Das Herz will, was das Herz will! von Weissquell (Fortsetzung zu "Die Personentombola") ================================================================================ Kapitel 9: Der Moment der alles veränderte ------------------------------------------ Der Weg führte die beiden Männer durch ein paar verlassene Flure und Treppenhäuser bis sie schließlich bei einem großen Raum mit einer massiven Tür ankamen. Seto zückte eine Chipkarte und steckte sie in eine Kontrolltafel an der Wand. Nach einem kurzen Piepen ertönte ein „Seto Kaiba. Zugang gewährt!“ Dann öffnete sich mit einem kurzen Zischen die Tür und gab den Weg in einen großen Raum frei, der voll mit Monitoren und technischen Konsolen gespickt war. „Ziemlich viel High-Securety für einen simplen Freizeitpark“, konnte Eiri sich nicht verkneifen. „Du bist nicht zufällig ein wenig paranoid, hm?“ Wieder fing er sich einen kurzen Seitenblick von Seto ein. „Du würdest staunen wie oft diese Technik schon nötig war in meiner Vergangenheit. Ich habe kein gesteigertes Interesse mehr daran, irgendwelchen unerlaubten Eindringlingen ihre Vorhaben auch noch zu erleichtern.“ Er betrat den Raum und kaum hatte auch Eiri die Tür durchquert, glitt diese langsam wieder ins Schloss. Seto trat an die Konsole und schaltete routiniert einige Monitore ein während Eiri sich interessiert im Raum umsah. „Heißt das, wir sind jetzt hier drinnen eingeschlossen?“, fragte er wie beiläufig. Setos Finger ruhten kurz auf der Konsole, dann sagte er beherrscht. „Nein, das heißt es nicht. Die Tür wird nur verriegelt, wenn das System einen unerlaubten Zugriff registriert. Es steht dir also jederzeit frei zu gehen.“ Eiri wandte sich dem jungen Mann am Kontrollpult zu, sagte aber nichts dazu. Setos Augen waren starr auf die Armaturen gerichtet. Täuschte er sich, oder vermied er es bewusst, ihn anzusehen? Nun flackerte ein paar weitere Monitore auf und jetzt konnte man die eindrucksvolle Apparatur draußen im Park von mehreren Seiten betrachten. Es waren zwei große ausfahrbare Schienen, zwischen denen eine Art riesige Schaukel hing, die so zwischen den Türmen angebracht war, dass sie dazwischen vor und zurück schaukeln konnte. Es war jedoch abzusehen, dass es dabei nicht bleiben würde. Eine grafische Simulation deutete an, dass die Maschine die Fahrerkabine hochfuhr, nach oben hin eindrehte, dort einrastete und dann sowohl Schaukel als auch Kabine freigab und gegensätzlich rotieren ließ. Allein schon von dieser Grafik bekam Eiri ein flaues Gefühl im Magen. Nein, das war definitiv nichts für ihn, aber Shuichi hatte sicher Spaß daran. Gerade erreichten die beiden jungen Männer das Gerät und kletterten hinein um sich jeweils die besten Plätze zu suchen. Seto betätigte einen Kippschalter und wandte sich dann an ein Mikrophon vor sich. „Ihr teilt euch bitte einen Doppelsitz!“ „Och, Seto!“, kam es gedehnt von Mokuba. Sein Blick suchte die Kamera. „Ich bin kein Baby mehr. Ich kann alleine sitzen.“ „Du sitzt mit Shindo-san zusammen, oder du kannst lange darauf warten, dass ich starte“, gab Seto ungerührt zurück. Beleidigt funkelte Mokuba in die Kamera, dann stapfte er zurück zur Maschine und setzte sich neben Shuichi. Der Doppelschalensitz hatte einen gemeinsamen Bügel, den die beiden nun herunterklappten. Seto betätigte nun ein paar Knöpfe und sprach dann erneut ins Mikro: „Es dauert einen Moment, die Maschine muss erst hochfahren.“ Geschäftig machte er sich nun wieder an den Apparaturen zu schaffen. Er drückte verschiedene Knöpfe, betätigte mehrere Schaltflächen und gab einige Daten in einen Computer ein. „Dauert das jedes Mal so lange eine Fahrt zu starten, oder versuchst du nur Zeit zu schinden um dich so wenig wie möglich mit mir zu befassen?“, kam nun Eiris ruhige Frage hinter ihm. Noch immer widmete Seto ihm keinen Blick. „Das System ist nach der Winterpause noch nicht wieder in Betrieb genommen worden. Die Maschinen müssen erst mal wieder zum Laufen kommen, das dauert eben seine Zeit.“ Für eine kleine Weile beobachtete Eiri lediglich Setos Bemühungen das Fahrgeschäft einsatzbereit zu machen. Dann sagte er: „Dir gefällt das hier wirklich, nicht wahr? Dieser ganze Maschinenkram, das ist dein Ding, oder?“ „Warum auch nicht“, kam es kurz angebunden zurück. „Maschinen sind logisch und kontrollierbar. Und vor allem tun sie was man ihnen sagt, und zwar wenn man es ihnen sagt. Sie sind nicht so irrational wie gewisse Personen.“ „Du findest, ich bin irrational?“, kam jetzt die ruhige Frage. Seto ballte unwillkürlich die Faust. „Habe ich dich etwa erwähnt?“, gab er angespannt zurück. „Was hast du gegen irrational?“, nun trat Eiri zu ihm und lehnte sich leicht gegen die Konsole. Setos Augen waren starr auf den Computerbildschirm gerichtet. „Irrationalität folgt keiner Regel. Sie ist unberechenbar und das ist ein Risikofaktor und das kann ich in meinem Leben nicht gebrauchen.“ „Tust du niemals etwas Unüberlegtes?“, kam es fast schon verwundert zurück. „Nicht wenn ich es irgendwie vermeiden kann!“, gab Seto bestimmt zurück. Abschätzend musterte Eiri den jungen Mann neben sich. „Hast du vor allem Angst was du nicht beeinflussen kannst?“ Setos Augen blinzelten kurz. „Wer sagt, dass ich Angst habe? Ich behalte nur eben gern die Kontrolle.“ Eiri verdrehte leicht die Augen. „Das habe ich gemerkt.“ Eine geballte Faust traf auf die Konsole auf und Eiri blickte hoch. Zum ersten mal sah der junge Firmenchef ihn wieder an, aber sein Mienenspiel war einer eifrigen Regung unterworfen. Es lag Ärger darin und Verwirrung aber auch eine Spur von Schmerz. „Komm mir nicht so herablassen!“, fuhr er ihn an. „Ich kann diese Art Drama in meinem Leben nicht gebrauchen und ich will es auch nicht. Ich wäre nicht da wo ich heute bin, wenn ich solchen Dingen gestatten würde mich einfach in Beschlag zu nehmen. Und darum werde ich mich auch nicht länger manipulieren lassen von dir, denn ich hasse es wenn andere über mich bestimmen und mich Dinge tun lassen die ich nicht will.“ Schwer atmete er ein und aus, man konnte sehen wie er mühsam um seine Fassung rang. Schweigend hatte Eiri den Worten gelauscht. Zunächst rührte er keinen Muskel, dann senkte er leicht den Kopf. „Ich würde nie etwas mit dir tun, was du nicht willst“, sagte er dann leise. „Zumindest nicht noch einmal“, fügte er mit einem schwachen Schulterzucken hinzu. „Tröstlich zu wissen!“, bemerkte Seto unwirsch. Dann fuhr er sich einmal mit der Hand über das Gesicht. Verdammt! Er hatte es schon wieder geschafft ihn aus der Reserve zu locken. Er hatte sich doch so fest vorgenommen, das nicht länger zuzulassen. Ein nachhaltiges Piepen erregte nun seine Aufmerksamkeit. Er wandte sich zum Monitor um, der ihm mitteilte, dass das System einsatzbereit war. Dankbar für die Ablenkung griff er zum Mikrophon. „Ok, es kann losgehen!“, verkündete er, was von zwei begeisterten Jubelschreien durch den Lautsprecher quittiert wurde. Rasch drückte er einige Tasten an der Konsole und beobachtete dann über die Monitore wie die Maschinen ansprangen und die Passagierkabine langsam in die Höhe fuhr. Begleitet von dem Juchzen der beiden Insassen bewegte sich die Gondel bis beinah dreißig Meter in die Höhe. Dort angekommen klappten nun aus der Seite zwei mächtige Arme heraus und drapierten sich direkt über dem Gefährt. Ein Ruck ging durch die Sitze als die Gondel einklinkte und sich jetzt langsam vorwärts nach oben rotierte. Ein Quietschen entfuhr den beiden Jungs und schließlich standen sie komplett auf dem Kopf und mächtige Magneten in den Metallarmen über ihnen hefteten sich nun an die Unterseite der Kabine und ließ sie dort einrasten. Jeden Augenblick würde die Gondel freigegeben werden und die wilde Wirbelfahrt konnte beginnen. Doch die Momente zogen sich hin und nichts geschah. Ein energisches Zischen erklang aus der Maschinerie, doch die Kapsel hing wo sie hing. Die Sekunden verstrichen und allmählich machte sich Verwunderung auf den Gesichtern der Überkopf-Hängenden breit. Setos Herzschlag beschleunigte sich. „Da stimmt etwas nicht“, murmelte er angespannt. Hastig kontrollierte er die Konsolen und betätigte einen Schalter. Doch die Kapsel hing weiter wie festgeklebt in dreißig Meter Höhe und rührte sich nicht vom Fleck. „Seto, was ist denn los?“, drang jetzt die besorgte Stimme von Mokuba aus dem Lautsprecher. „Geht es nicht weiter? Es wird unbequem hier.“ „Kein Problem! Es geht gleich weiter“, antwortete Seto so beherrscht wie möglich ins Mikrophon. Dann wandte er sich sogleich wieder der Konsole zu. Fieberhaft überprüfte er alle Lämpchen, Hebel und Schalter. Irgendwo musste doch der Fehler liegen. Hatte er irgendetwas falsch eingegeben? Immerhin war es schon eine Weile her seit dem letzten Mal. Nein, die Schaltflächen waren so wie sie sein sollten. Der Fehler musste also im System liegen. Rasch ging er zum Computer hinüber und startete das Bearbeitungsprogramm. „Seto?“, kam es erneut aus dem Lautsprecher. Mokubas Stimme klang nun wirklich ängstlich. „Gleich, gleich!“, versicherte er eilig. „Nur ein kleines technisches Problem.“ „Na, wenn du das sagst?“, kam es mit dünner Stimme von seinem Bruder. Unruhig blickte Seto hoch auf die Monitore die jeden Winkel der Apparatur aufzeigten. Was lief hier verkehrt? „Gibt es ein Problem?“, erklang nun Eiris ernste Stimme hinter ihm. Setos Hände huschte über die Tastatur. „Da muss irgend ein Defekt vorliegen“, murmelte er knapp. „Ich kann aber nicht erkennen wo der Fehler liegt.“ Wieder ging sein Blick hinüber zu dem Monitor mit den zwei Passagieren. Gerade versuchten sie sich offenbar in eine bequemere Position zu bringen, als Seto auf einmal beinah das Herz stehen blieb. Der Bügel der beiden hatte sich bewegt! Auf dem Bildschirm war es deutlich zu sehen gewesen. Ein kurzer Ruck war hindurchgegangen und nun hing er ein Stück weiter auf. Wie als Bestätigung ertönte jetzt ein lautes Kreischen aus dem Lautsprecher. „Oh, Gott! Seto! Seto, Hilfe!“, der panische Schrei des Jungen schnitt Seto mitten durchs Herz. Wie betäubt starrte er auf den Monitor wo gerade sein Bruder durch die Lockerung des Haltebügels ein gutes Stück weiter nach unten gerutscht war. Er beobachtete in Zeitlupe wie die Hand des jungen Musikers neben Mokuba rasch zupackte und den kleinen Jungen rigoros festhielt, während dieser nun langsam weiter abwärts sackte. Das Ganze war mit ängstlichem Rufen und wildem Gekreische begleitet. Die Magnethalterung! Ging es Seto auf. Irgendwas konnte mit den Magnetspulen nicht stimmen. Zittrig überflog er die Anzeigen. Doch ein verzweifelter Ruf von Shuichi ließ ihn wieder hochfahren. „Yuki! Kaiba-san! Tut was, ich krieg ihn nicht richtig zu fassen! Er rutscht mir weg!“ Mit zitternden Fingern und kalkweißem Gesicht starrte Seto noch immer auf den Monitor. „Ja, gleich...!“, entfuhr es ihm schwach. „Ich muss nur.... ich mach gleich....!“ In seinem Kopf hatte sich ein schwarzes Loch aufgetan. „Nur die Ruhe! Ich kümmere mich darum...“, die Stimme versagte ihm. Das immer schriller werdende Geschrei aus dem Lautsprecher, ließ sein Herz bis zum Hals schlagen und kalter Schweiß brach ihm aus. In seinen Ohren rauschte es und er hatte das Gefühl, dass ihm gleich die Beine einknickten. Und plötzlich waren die Geräusche weg. Er fuhr herum und entdeckte wie Eiri gerade den Schalter für den Lautsprecher umgelegt hatte. Wut kochte hoch in ihm. „Was zum Teufel soll, dass schon wieder! Rühr das nicht an!“ Doch Eiri fixierte ihn nur mit einem durchdringenden Blick. „Konzentrier dich!“, sagte er nachdrücklich. Im ersten Moment schnappte Seto nur nach Luft, doch dann kam langsam die Rationalität zurück. „Stimmt, ja!“, versuchte er sich zu fokussieren. Wenn er nur den Schreien lauschte war er niemandem eine Hilfe. Er atmete einmal durch und tippte dann wie besessen auf die Tastatur ein. Mit aller Selbstbeherrschung zwang er sich nicht auf den Monitor zu blicken. Wenn er auch nur für einen Moment darüber nachdachte, wie Mokuba abstürzte, würde bei ihm nichts mehr laufen. Das wäre das Ende. Und hier musste schnell gehandelt werden. Da! Er hatte den Fehler entdeckt. „Offenbar gibt es ein Feedback in den Magnetspulen“, obwohl er mühsam versuchte sich zu beherrschen, zitterte seine Stimme. „Die Haltespulen der Gondel sind überladen und die Magnethalterung der Bügel ist ausgefallen. Jetzt hält nur der manuelle Raster. Aber der ist für diese Belastung allein nicht ausgelegt.“ „Kannst du das Gerät nicht abschalten?“ „Der Fehler liegt nicht im System“, kam es gereizt von Seto. „Die Mechanik muss defekt sein.“ „Gibt es keine Notabschaltung für solche Fälle?“ „Natürlich hat das System einen Soft Shutdown, der ist auch vom restlichen System getrennt. Dann würden sie ganz langsam wieder runterfahren.“ Setos Finger flogen über die Tastatur. „Aber ich kann ihn nicht aktivieren“, wieder zitterte seine Stimme. „Die Spulen geben die Kapsel nicht frei.“ „Schalt sie ab!“ Wütend fuhr Seto herum. „Was glaubst du was ich hier versuche die ganze Zeit? Der Befehl kommt an, aber es ist ein technischer Defekt. Da komme ich von hieraus nicht ran. Und bis irgendwer vor Ort ist....“ So beherrscht wie möglich atmete er durch. „Schalt doch den Strom ab.“ „Das geht nicht!“, Verzweiflung machte sich allmählich in Setos Stimme bemerkbar. „Das kann man rein aus Sicherheitsgründen nicht von hieraus machen.“ „Das ist irgendwie nicht sehr gründlich durchdacht“, gab jetzt Eiri trocken zu bedenken. „Das hilft jetzt so gar nicht!“, funkelte Seto ihn wild an und wandte sich dann wieder dem Monitor zu. Noch immer hatte Shuichi Mokuba krampfhaft am Arm und an der Kleidung gepackt und kämpfte offensichtlich darum, dass er ihm nicht entglitt. Seto wandte sich ab. Den panischen Gesichtsausdruck seines Bruders dabei zu sehen war mehr als er ertragen konnte. Wieder wandte er sich den Konsolen zu. Er musste irgendetwas unternehmen, aber was? Was? „Kann man nicht einfach die Sicherung raus nehmen?“ Seto horchte auf. Die Sicherungen! Mit drei großen Schritten schob er sich an Eiri vorbei zu einem anderen Computer. Hastig begann er zu tippen. „Ich kann sie zwar nicht raus nehmen, aber vielleicht kann ich sie überladen, so dass sie durchbrennen oder raus springen.“ Emsig tippte er weiter und merkte kaum, dass er alles verbal begleitete. „Die Anlage ist so entworfen, dass sie die ganzen Fahrgeschäfte gleichzeitig laufen lassen kann, aber wenn ich ihr noch etwas mehr zu tun gebe....“ Eilig hastete wieder zum anderen Terminal zurück und gab dort Daten in den Computer ein. Auf einmal heulten urplötzlich um sie her laute Sirenen auf. Unruhig blickte Eiri sich um. „Schon gut, das muss so sein“, bemerkte Seto beiläufig während er unter Hochdruck weiter tippte. „Ich simuliere einen unautorisierten Zugang im System. Die Anlage fährt jetzt alle Sicherheitsmaßnahmen hoch und zusammen mit sämtlichen laufenden Fahrgeschäften in diesem Bezirk sollte das wohl die nötige Überlastung verursachen.“ Hinter ihnen klickte es jetzt vernehmlich über das Geräusch der Sirene hinweg. „Nicht wundern“, meinte Seto geschäftig. „Die Tür ist jetzt dicht, damit wer immer hier drinnen was anstellt nicht entkommen kann.“ Sein Blick ging hinüber zum Monitor, wo die beiden jungen Männer noch immer verzweifelt um ihren Halt kämpften. Einige atemlose Sekunden starrten Seto und Eiri angespannt auf den entsprechenden Monitor, als plötzlich ein neuer Ruck durch die Gondel ging. Seto zuckte unwillkürlich zusammen und ein kurzer Schreckensschrei entfuhr ihm. Doch es war tatsächlich nur die Gondel die sich endlich löste, ganz langsam nach vorne wegschwang und wieder in die richtige Position glitt. Man konnte deutlich die Erleichterung auf den Gesichtern der beiden Passagiere sehnen. Dann urplötzlich war der Bildschirm schwarz. Die Sirene verstummte und der Kontrollraum hüllte sich in Dunkelheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)