Enemy's Ambition von YukihoYT (Chroniken von Mikoto Asahina) ================================================================================ Kapitel 1: Ketten der Vergangenheit. Im Kerker des Schicksals. -------------------------------------------------------------- Ich bin Mikoto Asahina, fünfzehn Jahre alt und letztens habe ich beschlossen, diesen Idioten, der hinten am Fenster sitzt, zu hassen. Dieser Kerl hält sich wohl für besonders toll. Ich kann ihn nicht ausstehen! Es begann alles letzte Woche, als dieser Typ in unsere Klasse gekommen ist. Allein, dass er existiert, entzürnt mich so sehr, dass ich beim Gedanken an ihn drei Bleistifte geschrottet habe. Und das liegt nicht daran, dass ich generell ein hasserfülltes Arschloch bin. Ich denke an diesen Tag zurück, als wir diesen neuen Schüler bekommen haben. Nichts dergleichen war an seinem Auftritt irgendwie normal. Wirklich nichts! Ich saß wie üblich gelangweilt auf meinem Platz und dachte mir nichts. Ich war sogar fast eingeschlafen, als die Katsuoka, unsere Lehrerin, hereinkam und unsere Aufmerksamkeit erregte. Denn sie war nicht allein. Ein Schüler folgte ihr. Ich musterte ihn. Komische Frisur. Gerader Pony, zwei Strähnen an jeder Seite und der Rest kurz? Worum hatte er seinen Friseur bitte gebeten? Lass mich aussehen, als wollte ich geschlagen werden? So richtig ins Gesicht? Obwohl diese Frisur ihn noch einmal wie einen kompletten Idioten aussehen lässt. Trotz dem fragwürdigen Haarschnitt ist er nicht einmal hässlich. Er ist ziemlich schlank, hat reine Haut und rote Augen, die aussehen, als wäre er in den Fernseher gesprungen, hätte gegen Sasuke gekämpft und sein Sharingan geklaut. Und seine Frisur sieht entfernt auch ein wenig aus wie die von Sasuke. Das ist jetzt nicht sein verdammter Ernst. Wer schneidet sich denn bitte die Haare so komisch und trägt rotfarbige Kontaktlinsen, nur um wie ein Anime-Charakter auszusehen? Ist der vollkommen irre? "Liebe Klasse 1-4, ich... ich weiß, dass das vielleicht ein wenig seltsam so am Anfang des neuen Schuljahres kommt, aber... wie ihr seht haben wir einen neuen Schüler unter uns.", sagte sie an, zeigte auf den Typen neben ihr und gab ihm etwas Kreide in die Hand, damit er seinen Namen schreiben konnte. Noch nie sah ich jemanden so schnell schreiben. Als wenn er die ganze Zeit nie etwas anderes getan hatte. Dann starrte er wieder der Klasse entgegen. Er starrte einfach nur und blinzelte ab und zu. "Willst du denn überhaupt nicht deinen Namen verraten?", fragte Katsuoka. "Elvis Kyokei.", antwortete er. Was war denn das für ein Name? "Ähm... Kyokei-kun, willst du der Klasse denn nicht ein wenig über dich erzählen?", hakte sie weiter nach. "Ich verstehe nicht ganz, was die anderen mit den Informationen anfangen sollen. Und selbst wenn, da ist nichts, was interessant genug wäre, um es zu erzählen. Verzeihung.", entschuldigte er sich emotionslos. "Also ich finde, zwei Wochen zu spät zur Schule zu kommen, ist definitiv interessant genug.", entgegnete ich durch die Klasse. Sein Blick verfinsterte sich. "Asahina-kun, ich muss doch wirklich bitten.", mahnte mich die Lehrerin. "Asahina, also? Ich kenne dich nicht. Und du mich definitiv noch weniger. Ich verstehe nicht. Wieso bist du so scharf auf mich?", wollte er im selben neutralen Tonfall wissen. Daraufhin brach die Klasse in Gelächter aus. "Pff, ich wusste gar nicht, dass Asahina auf Jungs steht.", hörte ich jemanden im Gekicher spekulieren. Dieser Kyokei guckte etwas verwirrt drein, als wenn er sich gar nicht bewusst war, wie diese Formulierung eigentlich rüberkam. Ich biss die Zähne zusammen. "Liebe Klasse, bitte beruhigt euch wieder. Kyokei-kun, fahr bitte fort.", damit wurde es wieder ruhiger. "Wie gesagt, wenn Sie wirklich darauf bestehen, Katsuoka-sensei. Ich gebe mein Bestes. Ich heiße Elvis Kyokei, ich bin fünfzehn Jahre alt und ich lese gerne. Reicht das?", wollte er wussten. "Ich denke schon, du kannst dich setzen. Such dir einfach einen der freien-", die Tür wurde aufgerissen und eine weitere Person betrat das Klassenzimmer. Ach was, sie stürzte herein. "Oh mein...", das war Egaoshita. Seine Augen weiteten sich, als er Kyokei sah. "Egaoshita-kun, du bist zu spät. Wir haben gerade einen neuen Schüler bei uns willkommen geheißen. Das ist Elvis Kyokei.", fasste sie für den Zuspätkommer zusammen. "Aha.", entgegnete er nur. Kyokei drehte sich zu Egaoshita und verbeugte sich. "Sehr erfreut.", begrüßte er ihn mit der gleichen Manier wie auch die ganze Zeit vorher. "J-ja, gleichfalls... schätze ich.", Kyokei ging weg und setzte sich hinten ans Fenster. "Egaoshita-kun, willst du an der Tür Wurzeln schlagen oder was ist?", weckte ihn die Katsuoka aus seiner Winterstarre. "J-ja...", stammelte er und setzte sich neben Kyokei. Damit begann die erste Stunde und ich kam immer noch nicht darüber hinweg, wie arrogant dieser Typ meine Beliebtheit zunichte gemacht hatte. Obwohl, die hatten mich ja auch vorher nicht sonderlich gemocht. Der blöde Asahina. Volldepp. Hässlon. Oder wie ich noch genannt werden könnte, sofern alle die Busfahrerin aus South Park kennen und wissen, was dieses Wort eigentlich bedeutet: Abgenudelter Hurenbock. Ich meine, es würde mich nicht wundern, wirklich so genannt zu werden, echt. Verstehst du jetzt, wieso ich ihn nicht ausstehen kann? Er ist arrogant, tut einen auf cool und verspottet mich. Am nächsten Tag gerieten wir aneinander. Es war keine Prügelei. Die Konversation sah etwa so aus: "Macht es dir eigentlich so einen Spaß, so ein Fake zu sein, Sasukei?", spuckte ich förmlich aus. "Was meinst du? Und so heiße ich überhaupt nicht.", sagte er und sah genervt aus. "Ich meine, dass du absolut lächerlich bist. Neuer, schön und gut, aber dafür musst du nicht so edgy drauf sein und rote Kontaktlinsen tragen. Pass lieber auf, dass die anderen nicht sehen, wie uncool diese falsche Coolness ist.", "Ich verstehe nicht. Lächerlich, das ist Ansichtssache. Wenn du mich komisch findest, dann meinetwegen. Ich soll cool tun? Was würde mir das bringen? Und Kontaktlinsen? Fehlanzeige, meine Augen sehen immer so aus.", "Pff, ist ja auch egal. Nicht mein Problem. Du bist das Letzte.", "Wenn dich das glücklich macht.", "Was stimmt nicht mit dir? Hast du überhaupt zugehört? Hörst du dir eigentlich selber zu? Ich hasse dich!", "Wenn dich das glücklich macht.", "Aaaarrrgghh….", Dann bin ich knurrend weggelaufen. Er macht mich einfach sauer. Es ist einfach so, Kyokei ist mein Erzfeind. Nicht nur, weil er direkt sowas von wegen scharf raushauen muss, nur weil ich der Einzige in der Klasse bin, der ein bisschen misstrauisch ist. Das war eine absolut nachvollziehbare Handlung. Völlig human. Ein bisschen unhöflich, rau und vorlaut... aber human. Das ist alles, was ich kann: Mensch sein. Zwar kein besonders guter, herausstechender, aber immerhin ein Mensch. Dieses Wort gibt mir einen Stich. Beim Gedanken an Menschlichkeit tut mein Herz ein bisschen weh. Das letzte Mal, als ich ein guter Mensch sein wollte, war ich damit gleichzeitig ein schlechter, weil ich nur an mein eigenes Wohl gedacht habe, wenn ich denn ganz ehrlich bin. Ich dachte nur an mich, nur meinetwegen sollte alles wieder annähernd so sein wie damals, als alles noch gut war. Ich war nur ihretwegen stark. Meiner Eltern wegen. Und obwohl ich der Junge war, der Schreckliches erlebt hat, bin ich überhaupt nicht nett. Es stimmt nicht, dass traurige Menschen das freundlichste Lächeln haben. Zumindest nicht bei mir. Schon wieder denke ich an diesen Tag zurück, ab dem ich seither für niemanden mehr Liebe empfinde als für meine Eltern. Es war die schlimmste Nacht meines Lebens. Die Nacht, die mir bewiesen hat, dass Freundlichkeit am Ende keinen Menschen, der dir wichtig ist, davor bewahrt, dir weggenommen zu werden. Dass Menschen, die außer nett sein, nichts drauf haben, wertlos sind. Und dass man es gar nicht erst versuchen muss, wenn man weiß, dass das eigene Herz nicht so rein und freundlich ist. "Mama, können wir Bubbletea kaufen? Ich will unbedingt!" , flehte ich meine Mutter an und klammerte mich an ihrem Hosenbein fest, bevor wir das Haus verließen. "Aber sicher doch! Wenn du heute für die Weihnachtseinkäufe brav bist, können wir Bubbletea kaufen, Mikoto!", motivierte sie mich, durchzuhalten. "Ja!", freute ich mich, doch ehe wir wirklich einkaufen gingen, ging die Tür auf und mein Vater kam raus. "Ich bin dann so weit! Lass uns einkaufen!", "Yay!", auch das war ich. Mit den Händen von beiden in meinen kleinen Kinderhänden gingen wir durch die beleuchteten Dezemberstraßen und besorgten alles, was wir brauchten. Auch ich konnte hinter der prall gefüllten Einkaufstüte weder meine Füße, geschweige denn meinen Weg sehen. "Können wir jetzt Bubbletea essen?", drängte ich wieder. "Mikoto, das ist zum trinken, dass isst man nicht.", korrigierte mich mein Vater. "Aber das kaut man auch. Ist es falsch zu sagen, dass man nicht kaut, sondern isst?", wollte ich wissen. "Na ja, Kaugummi kaut man ja auch. Aber wenn du ihn essen würdest... sagen wir mal so, das wäre alles andere als dasselbe.", erklärte er es so, dass auch ich endlich verstand. "Wow, Papa, du bist so schlau!", bewunderte ich ihn. "Ach, nicht wirklich. Das mit dem Kaugummi hätte sonst wer klären können.", stritt er es ab. Ich freute mich einfach, dass es Bubbletea gab. Wir setzten uns in den Laden, stellten unsere Einkaufstüten unter den Tisch und tranken das Getränk, auf dass ich mich schon von Anfang an gefreut hatte. Es war eigentlich viel zu kalt für ein Eisgetränk, aber meine Eltern hatten trotzdem nicht versucht, es mir auszureden. Auch wenn ich innerlich tatsächlich fror und versuchte, mir nicht anzumerken, dass Bubbletea im Dezember nicht die beste Idee war, die ich jemals hatte, genoss ich jeden Schluck davon, einzig und allein deshalb, weil jemand so nett war, es für mich zu besorgen. Ich hatte nie abgelehnt, wenn mir jemand Zuneigung entgegenbrachte, indem er nette Dinge für mich tat. In der Schule war ich auch immer lieb zu allen, auch wenn die dafür nicht besonders zurück lieb waren. Ich hatte nie aufgegeben, eines Tages auch ihre Zuneigung zu spüren. Es war einfach so, egal, wie lange ich brauchen würde, Zuneigung fühlte sich viel zu gut an, als dass ich auf sie verzichten könnte. Ich hatte gehofft, wenn ich lange genug war wie ich war, würden sie diese Handlungen meinerseits erwidern. Ich war regelrecht besessen von der Zuneigung anderer. Weil ich Einzelkind war, wollte ich die Aufmerksamkeit, die mir galt, für nichts auf der Welt teilen. Das wiederum machte mich zu einer weniger netten Person. Es war ist nicht nett, nett zu sein, nur um seinen selbstsüchtigen Gelüsten nachzugehen. Doch ich kam damit durch, auch wenn die Erwiderung meiner Freundlichkeit noch immer ausblieb. Ich war wildentschlossen. Ich lebte mein Leben uns nichts war verkehrt daran. Ich bekam meine Liebe und mehr zählte nicht. Doch dieser Zustand sollte schneller gestört werden, als ich gucken konnte. Eines Nachmittages baten mich meine Mutter und mein Vater zu sich ins Schlafzimmer. Ich dachte mir nichts dabei, also tat ich brav, was man mir sagte. Ich setzte mich also mit auf das große Doppelbett und wartete darauf, dass meine Eltern mir endlich erzählten, was um alles in der Welt so dringend erzählt werden musste. "Mikoto, du bist jetzt bald acht Jahre alt, nicht wahr? Du bist doch schon ein großer Junge, nicht wahr?", spielte mein Vater an. "Ja, wieso? Natürlich bin ich ein großer Junge.", antwortete ich. Meine Eltern tauschten kurz Blicke aus und sahen dann wieder mich an. "Wir haben dir etwas zu sagen.", begann meine Mutter und atmete ein. "Wir sind bald zu viert.", sagte sie und lächelte. "Bekommen wir einen Hund?", fragte ich und meinte fast, das Strahlen meiner Augen zu spüren. Mein Vater lachte kurz auf und erklärte mir wieder Dinge, die ich nicht verstand. "Haha, nein, mein Sohn, es... es ist aber vielleicht sogar noch besser. Ein Tipp: Es ist ganz in der Nähe.", soufflierte er. Mir schwante nichts Gutes. Alles, nur das nicht! "Ähm... eine Katze?", riet ich und merkte, wie unsicher mein Tonfall klang. Meine Eltern merkten das und kicherten erneut. "Nein, es ist überhaupt kein Tier. Du bekommst bald ein Haustier, wenn du alt genug bist. Aber fürs Erste... wirst du großer Bruder! Du bekommst ein Geschwisterkind!", löste meine Mutter das Rätsel aus und ich fiel aus allen Wolken. Bitte was wurde ich? Bruder? Das konnte doch nicht sein! Das... "Mikoto? Ist alles in Ordnung?", erkundigte sich mein Vater nach mir. "J-ja! Alles super. Ich... freu mich total.", überspielte ich es schwach. "Ach, Mikoto!", sagte mein Vater meinen Namen und strubbelte mir durchs Haar, wie er es oft tat. "Das wird toll, wirst schon sehen. Du kannst dem Geschwisterkind alles beibringen, was du weißt. Du hast jemanden zum Spielen und dir ist nicht mehr langweilig, wenn wir zur Arbeit müssen. Wirst schon sehen!", da musste ich wirklich etwas schmunzeln, auch wenn ich mich nur in sehr geringem Maße besser fühlte. Meine Tage, in denen die Liebe, die ich wie Luft zum Atmen brauchte, allein mir gehört hatte, waren gezählt. Dennoch riss ich mich am Riemen und beschloss weiter, nett zu sein, und wenn es alles war, wozu ich fähig war. Mir war klar, dass nie wieder etwas so sein werden würde wie bisher, aber ich wollte mir wirklich Mühe geben, egal wie sehr sich meine Bemühungen und mein Egoismus ineinander verbissen. Ich war ein guter Junge und deshalb war ich auch am nächsten Tag scheinbar besser gelaunt als sonst. Meine Eltern schienen zwar zu merken, dass ich mit mir rang, doch sie waren mir nicht böse und bewunderten viel mehr meine Reife, wenn man davon überhaupt sprechen konnte. Vier Monate vergingen. Meine Eltern und ich gingen zum Arzt, um das Geschlecht des Babys zu erfahren. Auf dem Weg dahin konnte ich im Auto vor Aufregung fast nicht stillsitzen. Ich wünschte mir einen Jungen, ich wollte so gerne einen Bruder, dass es wehtat. Die Mädchen in meiner Klasse waren komisch, nicht so gemein, aber irgendwie zickig. Waren denn alle Mädchen so? Ich weigerte mich, reif wie ich scheinbar war, zu glauben, dass sie alle so seien, doch ich wollte es andererseits auch nicht darauf ankommen lassen. Ich wollte nicht eine Person mehr haben, die mich schräg anstarrte und auch noch Liebe wegnahm. Beides zusammen war ganz sicher keine Option. Doch meine Erwartungen wurden enttäuscht. Es wurde ein Mädchen, doch ich versuchte, keine Schwäche zu zeigen und wie ein Mann die Fassung zu bewahren, wie mein Vater manchmal sagte, wenn ich quengelte. Auch wenn ich es albern fand, einen auf cool zu tun, nur weil ich einen Schniedel hatte, stand ich es dennoch durch und freute mich sogar ein klein wenig, als ich das Baby sich bewegen sah. Ich war trotz dessen, dass ich ja augenscheinlich enttäuscht sein sollte, hin und weg vom Ultraschallbild. Ich fasste es von vorne bis hinten nicht, dass da wirklich ein anderes Kind in meiner Mutter drin war und ich auch mal so ausgesehen hatte. Es war, als würde ich durch dieses rauschende Flackerbild in eine andere Welt sehen. Zu Hause hatte ich mich das erste Mal seit vier Monaten getraut, den Bauch meiner Mutter anzufassen. Vorher hatte ich, wie mein Vater sagte, den Mann gespielt und versucht, es gar nicht an mich heranzulassen oder weich zu werden. Doch auch ich hatte meine Grenzen und die waren schon länger erreicht, als ich zugab. Als ich ihn berührte, spürte ich meine Schwester zappeln. Sie schien schon ordentlich Temperament zu haben und schien alles tun zu wollen, um bemerkt zu werden. Diese Eigenschaft teilten wir. Von diesem Tag an hatte ich das Baby richtig lieb. Ich vergaß sogar meine Besessenheit und fokussierte mich nur noch auf das Wohl der Familie Asahina. Bald bekam meine ungeborene Schwester sogar einen Namen. Er war an meinen Namen angelehnt, an den ihres Bruders, der vergessen hatte, wie selbstsüchtig er eigentlich war. Makoto Asahina. Tief im Innern fühlte ich mich geehrt, dass ich als Inspiration herhalten durfte. Die Monate vergingen und der Tag der Geburt meiner kleinen Schwester rückte immer näher. Den Bauch meiner Mutter und somit auch meine Schwester zu streicheln wurde allmählig mein größtes Hobby und es gab kaum etwas, dass mich mehr erfüllte, als umso netter zu sein. Es machte so einen Spaß, dass ich mir einbildete, mir sei egal, dass niemand genauso nett war wie ich mich gab. Doch nichts blieb wie es war. Weder mein Glück noch meine selbstgefällige Freundlichkeit waren für die Ewigkeit bestimmt. Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass ich das mit der Schwangerschaft meiner Mutter erst im März erfuhr. Da hatte zumindest alles angefangen, sagte meine Mutter. Als ich sie fragt, wie sie darauf kam und wie solche Babys überhaupt entstanden, sagte sie bloß, ich würde das verstehen, wenn ich älter sei. Dann war ich beleidigt. Der Tag, an dem sich alles änderte und meine kindliche Seele sich niemals vom Schaden erholt hatte, spielte sich an Silvester ab. Seither hasste ich diesen Tag. Nie würde ich der sein, der ich einmal war. Das spielte sich alles also beinahe exakt ein Jahr nachdem wir genüsslich Bubbletea tranken, ab. Wir waren gerade auf der Terrasse und sahen uns das Feuerwerk an. Dieses Jahr gingen wir nicht raus. Die Aussicht von Hof bei uns zu Hause war grottig und einen tollen Platz zu suchen, würde uns auch wieder Zeit kosten. Außerdem hieß es, meine Mutter sei überfällig und könnte jederzeit das Baby kriegen, egal wie ungünstig es gerade war. Mein Vater wollte einfach das Auto in der Nähe haben, falls es soweit sei. Auch das verunsicherte mich. Jederzeit könnte sich alles verändern, egal wo und wie. Jederzeit könnte mir die Liebe abhanden kommen. Mir war klar, dass sie mich nicht weniger lieben würden, ich war mir dem wirklich völlig bewusst. Doch das reichte nicht, um mein armes Herz zu trösten und dafür hasste ich mich. Ich hatte nicht vergessen, dass das immer noch keine echte Nettigkeit war, sondern nichts als eine alltägliche Routine, ein Hilfeschrei aus Verlangen nach Zuneigung. Doch auch das vergaß ich für die Feuerwerke, die mich wie jedes Jahr vollkommen in ihren Bann zogen. Sie waren einfach wunderschön anzusehen. So nah und doch so weit weg. So greifbar und strahlend hell, so laut und auffällig, so beliebt. Doch mit einem Mal zerriss der Zauber dieser Nacht, als die Haustür unserer Wohnung zertrampelt wurde und dieser Mann in der Türschwelle kurz davor war, mir alles wegzunehmen. "Midori Asahina, du bist erledigt!", gröhlte der Kerl und schmiss einen schon gezündeten Böller in meine Richtung. Ich war vor Schreck vom Knall der Tür immer noch bewegungslos und kniff nur die Augen zu, trotz der Angst in meinen gefrierenden Adern. "Mikoto!", schrie meine Mutter, warf sich mir um den Hals und sprang zur Seite. Dann sah ich orangerotes Licht und die Explosion zerriss mein Trommelfell. Mit einem Mal hörte ich nichts mehr. Ich bekam gehörlos mit, dass der Mann eine Waffe zog und auf meinen Vater zielte. Dieser fiel. Und ich konnte mir nur vorstellen, wie er dabei vor Schmerzen schrie. Der Mann nahm augenscheinlich an, dass ich ebenfalls bewusstlos war, also schenkte er mir nicht weiter Beachtung. Ich versuchte aufzustehen, als der Mann mir den Rücken kehrte und scheinbar nach etwas suchte, als ich merkte, dass Blut in meinem Gesicht klebte. Ich war voll davon. Doch ich schrie nicht. Ich schlug die Hand vor den Mund, um nicht zu schreien oder brechen zu müssen, als ich meine Mutter sah. Ihre Augen waren geschlossen, und ihr Gesicht voller Blut. Ich sah ihre Lippen zittern und sie atmete nur noch ganz schwer. Ich sah zu meinem Vater, bei ihm wusste ich nicht, ob er noch atmete. Verdammt, ich musste etwas tun. Ich sah den Mann in mein Zimmer gehend. Dass sah ich als Chance. Er würde mich nicht kommen sehen. Ich schob zerrissenen Herzens meine Mutter von mir und schlich in die Küche. Für einen Achtjährigen war das doch Wahnsinn, so etwas zu spüren! Was tat ich also da? Wieso ging ich zur Küchenzeile? Was suchten meine Hände am Messerhalter? Wieso schlossen meine Finger sich um das größte von allen? Wieso hatte ich ein zittriges Lächeln auf meinem Mund? Der Mann schien die Suche nach der Gewissen Sache aufgegeben zu haben und war nun gerade auf dem Weg zurück. Aber nein, nicht mit mir. Ich wusste nicht, ob es wirklich so war, aber so, wie ich lossprintete und der Mann sich umdrehte, die Augen aufriss und das Gesicht verzog, hatte ich geschrien und das Messer in seiner Brust versenkt. Er hatte nicht einmal Zeit, einer seiner Waffen zu ziehen, geschweige denn, mich abzuknallen. Er hatte mich völlig vergessen. Und ich mich auch. Das, was ich da fühlte, war nichts als kalter Hass. Mein Frust ging endgültig mit mir durch, nein, er ritt mich. Wem machte ich was vor, meine Freundlichkeit wurde in so einer egoistischen Welt nicht wertgeschätzt und ich selbst war nicht nett, wenn ich das nur für mich selbst tat. Und selbst wenn ich weiter nett wäre, die Menschen könnten mich dennoch hintergehen, mich verletzen. Oder sie wurden mir einfach genommen. All der Hass auf die Undankbarkeit aller und meiner eigenen erbärmlichen Existenz umhüllte mich und machte ein Monster aus mir. Ich stach noch weiter und weiter auf ihn ein, und so, wie mein Hals schmerzte, schrie ich dabei weiter. Ich hatte nicht vergessen, was ich dabei fühlte, als ich das Messer in seinen Körper ein- und ausdrang. Ich spürte noch immer das Lächeln in meinen Mundwinkeln. Es war eine Genugtuung für das, was er meinen Eltern angetan hatte. Er war das Ventil für meinen Hass, meine grenzenlose Enttäuschung von allem. Es hatte Spaß gemacht! Es hatte Spaß gemacht, ihn leiden zu sehen, zu sehen, wie ich stark genug war, dass das Leben aus diesem Mann drang, der viel älter war als ich und dennoch gegen mich verlor. Er starb unter meinem Sitz. Ich hatte ihn getötet. Der Boden war voller Blut. Meine Socken waren nass. Noch nie hatte ich nasse Socken so sehr gehasst wie in diesem Moment. Noch nie hatte ich mich selbst so gehasst. Nachdem ich realisierte, dass ich ihn mit Vergnügen ermordet hatte, war ich nur noch angewidert von mir. Ich verstand meine eigenen Gefühle nicht. Ich ließ vom toten Mann ab und sah, dass meine Mutter sich vor Schmerzen krümmte. Ich hörte sie nicht nach Hilfe schreien. Das ging ja nicht mehr. Aber es schien, als hätte es etwas mit ihrem Bauch zu tun. Es sah aus, als würde das, was sie seit Monaten mit sich herumtrug, nun ans Licht kommen. Sie bewegte sich und ich sah, wie groß die Blutlache wirklich war. Ich sah zu meinem Vater, dessen Blutlache fast genauso groß zu werden schien. Was danach geschah, wusste ich nicht mehr. Ich bekam nur noch mit, wie unsere Vermieterin durch die offene Tür starrte, die ganze Szenerie gesehen hatte und mir schwarz vor Augen wurde. Als ich aufwachte, lag ich im Krankenhaus. Ich hatte einen widerlichen Geschmack im Mund. Es fühlte sich alles so unwirklich an. Doch ich hörte augenblicklich wieder etwas. Ich hätte fast vor Erleichterung aufgelacht, doch stattdessen hat ich nichts. "Wie schön, dass du wach bist, Mikoto-kun.", sagte die Krankenschwester, als ich richtig zu mir kam. "Wo sind meine Mama und mein Papa?", war das Erste, was ich sagte. "Es geht ihnen gut. Man könnte sagen, sie haben großes Glück gehabt.", erzählte sie mir. Ich musste sie sehen. Ich musste sehen, ob es ihnen, meiner Mama, meinem Papa und auch meiner kleinen Schwester, auch wirklich an nichts fehlte. Ich stand auf und sah zur Tür. "Kann ich sie sehen?", bat ich und die Frau nickte nur stumm. Ich begleitete sie ins Zimmer meiner Eltern, um die beiden fast schon leblos in Betten liegen zu sehen. "Mama! Papa!", schniefte ich und trat zwischen die Betten. Ich tippte erst meinem Vater auf die Schulter, dann öffnete er die Augen und lächelte müde. Schon einmal einer von ihnen hatte überlebt. Dann sah ich zu meiner Mutter, von Nahem und schluckte. Irgendwas stimmte absolut nicht mit ihr. Sie hatte viel mehr Verbände am Kopf als mein Vater. Und ihr Bauch war letzte Nacht doch auch noch viel größer. Meine Schwester ist doch da gewesen. Sie war verdammt noch mal dabei, auf die Welt zu kommen! "Mama! Mama, was ist mit Makoto-chan? Wo... wo ist dein Ohr? Mama, was ist gestern passiert?!", keuchte ich völlig außer Atem. "Miko...to, … du...", doch mein Vater half mir zum ersten Mal nicht. Ich hatte keine Ahnung, was er mir sagen wollte. Ich hatte keine Ahnung, ob er selbst überhaupt Ahnung davon hatte. "Mikoto-kun, deine Mutter... hat gestern das rechte Ohr verloren.", sagte mir die Krankenschwester zögerlich und wandte mir den Rücken zu, um zu gehen. "Warte! Was ist mit meiner Schwester?! Mama war doch gestern viel dicker, dass muss doch irgendwer gesehen haben! Komm zurück, du blöde Hobelschlunze und renn nicht weg!", keifte ich, doch dann hörte ich wieder meinen Vater sich räuspern. "Mikoto… ich... also, deine Mutter... gestern... ich kriege es nicht übers Herz, aber... ich muss es dir sagen... Dir sagen, dass... Makoto es nicht geschafft hat.", sagte er mit der geringen Kraft, die er noch hatte. Die Schusswunde schien ihn immer noch zu schwächen. "Was soll das heißen, Makoto-chan lebt nicht mehr?! Ich dachte... ich dachte...", stammelte ich. "Ich kann es doch auch nicht glauben! Ich tue es immer noch nicht! Aber so ist es nun einmal und ich kann nichts tun, um ihr zu helfen!", fauchte er plötzlich, wovon die Schmerzen wohl noch schlimmer wurden. Er zuckte zusammen und fluchte leise. "Es tut mir leid... Es tut mir leid, Sohnemann. Aber wir müssen jetzt stark sein. Zum Mann sein gehört auch, einen Verstorbenen in Ehren zu halten... Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen, mein Sohn. Makoto Asahina… lebt nicht mehr.", schluchzte er. Bis heute gab ich diesem komischen Kerl, der meiner Mutter eins auswischen wollte und vor allem mir selbst die Schuld am Tod meiner Schwester. Ich hatte nämlich nichts Besseres zu tun als zu morden und das Bewusstsein zu verlieren. "Mikoto, wie war denn die Schule?", fragt mich mein Vater beim Abendessen. Ich zucke zusammen. "In Ordnung.", brumme ich. "Wo ist Mama?", frage ich. "Macht wieder Überstunden, weißt du doch.", beantwortet er meine Frage. "War eine Frage ohne Sinn. Weiß ich ja wirklich. Ich finde ja, sie kann ruhig 'nen Gang zurückschrauben.", gebe ich meinen Senf dazu. "Du weißt ja, wie sie ist. Sie lässt sich nicht aufhalten.", sinniert mein Vater. Er hat recht. Meine Mutter ist schon immer sehr ehrgeizig gewesen, aber seit dem Vorfall an jenem Jahresende, ist sie noch viel zielstrebiger und zeigt fast gar keine Schwäche mehr. Sie hat eine Menge durchgemacht. Hat ihr Ohr verloren und dann ist auch noch das Baby gestorben. Totgeburt oder so. Wie das mit ihren Verletzungen zusammenhängt, kann man nicht genau sagen. Es war alles eine ekelhafte Mischung aus Zufall und Terroranschlag. Ein schrecklicher Abend. An dem Menschen verletzt worden sind, der Täter gestorben ist und jemand Unschuldiges, ehe er überhaupt sprechen konnte. Man hat meine unverzeihliche Art als einen Akt der Notwehr abgestempelt, aber ich fühle das nicht. Ich hatte jemanden kaltblütig ermordet. Weil er meine Familie verletzt hatte. Und allerspätestens dann merkte ich, dass ich wirklich niemals nett gewesen bin. Und auch das meine Schwester nicht gerettet hätte. "Du bist heute aber ganz schön böse auf den Fisch.", kommentiert mein Vater, als ich in Gedanken versunken bin. "Ich habe keinen Hunger mehr.", sage ich an und verschwinde in mein Zimmer. "Warte, Mikoto-", "Ich räume den Tisch nachher ab!", schneide ich ihm das Wort ab und lasse mich wenig später im Zimmer auf mein Bett fallen. Ich drehe mich zur Wandseite und betrachte die Babypuppe, die auf dem Fenstersitz platziert ist und mich unschuldig anstarrt. Nach dem Tod meiner Schwester hatte ich mit meinem eigenen Geld ein falsches Baby gekauft und es Makoto genannt, nur um nicht zu vergessen, wer ich bin und wer kurz davor war, mich zu ändern. Ich hatte sie geliebt. Ich werde vielleicht nie wieder fähig sein, jemanden so beschützen zu wollen, wenn auch aus eigenem Egoismus. Ich nehme das falsche Baby vom Brett und hebe es hoch. "Ach, Schwesterchen.", murmle ich und starre dem Baby in seine falschen Augen. "Es ist komisch, mit einer Babypuppe zu reden, geschweige denn, eine zu besitzen. Ich bin viel zu alt für diesen Mist. Aber ich fühle mich schuldig, wenn ich dich aus meinem Leben ausschließe. Habe ja sonst keine Freunde." mir ist klar, dass Makoto-chan mich nicht hören kann, wo auch immer sie ist. Aber das ist meine Art, mit dem Tod fertigzuwerden. Auf der einen Seite, bin ich traurig, weil ich sie lieb hatte, auf der anderen Seite froh, weil mir niemand Liebe ausgespannt hat. Aber darauf kam es letztendlich auch nicht mehr an. Nichts war wie damals, als das alles passiert ist. Ich blieb zwar Einzelkind, aber meine Eltern hatten sich verändert. Sie wirkten viel erstarrter. Weiter weg. Nie wieder habe ich mich so geliebt gefühlt wie damals. Seither fühle ich mich allein, auch wenn sich theoretisch nicht ganz so viel verändert hat. Fast meine ich, in den Augen des Babys Tränen glänzen zu sehen. Meine Einbildung spielt verrückt, ich weiß, aber es bricht mir trotzdem das Herz, sie traurig zu sehen. Ich drehe mich wieder zur Seite und drücke mir meine "Schwester" an die Brust. Ich bin schon wieder traurig. Ich fahre Makoto-chan durch das falsche Haar und lächle etwas traurig. Sich wie ein richtiger großer Bruder um dieses falsche Baby zu kümmern ist das wenige Glück, das noch mein Herz erreicht. Egal wie böse und unfreundlich ich bin, das lässt mich freundlich fühlen. "Gute Nacht, Kleines.", sage ich nach einer geschlagenen Weile und bin kurz davor, wegzudämmern und den Hass auf Kyokei für ein paar Stunden zu vergessen. Es ist zu früh zum Schlafen. Als ich beinahe das Bewusstsein verliere, kratzt die Tür den Boden etwas und ich höre meinen Vater seufzen. Das ist vielleicht auch nur Einbildung. Vielleicht genau wie der Satz, den er mir sagt, bevor ich wirklich richtig eingeschlafen bin. "Er hat es schon wieder getan." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)