Omniscient von lady_j (YuKa) ================================================================================ Kapitel 2: New York ------------------- BBA Revolution vs. Baihuzu Neo Borg vs. F-Sangre PPB All Starz vs. Barthez Soldiers Der Flug nach New York war lang und die Sitze zu eng, obwohl die Maschine schon um einiges größer war als jene, die sie von Irkutsk in die Hauptstadt gebracht hatte. Der Aufenthalt im Flughafen reichte gerade aus, um etwas zu essen und das richtige Gate zu finden. Schon waren sie wieder in der Luft. Kai saß in einer Dreierreihe, zum Glück außen. Ironischerweise hatte Sergeij den Platz in der Mitte bekommen, doch weder Kai noch Boris waren bereit, zu tauschen. Yuriy saß auf der anderen Seite des Ganges, der Platz neben ihm war frei. Kurz bevor er sein Handy ausschalten musste, erreichte ihn eine SMS von Max: WTF, Kai, bist du jetzt bei Neo Borg? Holy shit!! Kai hob eine Augenbraue, als er das las. Woher hatte der Amerikaner so schnell Wind davon bekommen? Er spürte Sergeijs Blick auf sich und stellte den Flugmodus an, bevor er ausdruckslos zu dem anderen hochsah. Sergeij drehte den Kopf nach vorn, verschränkte die Arme und schloss die Augen. Auch Kai lehnte sich zurück. Das Flugzeug setzte sich in Bewegung und fuhr über das Startfeld, während schon die Sicherheitshinweise gegeben wurden. Sie hatten peinlich darauf geachtet, dass niemand von Kais Beitritt zu Neo Borg erfuhr. Es reichte vollkommen aus, wenn die Öffentlichkeit am Abend vor dem Beginn des Turnieres davon in Kenntnis gesetzt wurde. Die BBA und Daitenji wussten natürlich davon, denn Yuriy hatte die neue Teamaufstellung offiziell anmelden müssen. Vielleicht hatte Judy Tate dank der Verbindungen der BBA zur PPB etwas mitbekommen - das würde zumindest Max’ Nachricht erklären. Nun, es könnte schlimmer sein. Kai vertraue darauf, dass sein ehemaliger Teamkollege nicht plaudern würde. Max hatte nie Probleme damit, Konkurrenz auszublenden, und das schätze Kai sehr. Er verstand den Zusammenhang zwischen „Team“ und „Freundschaft“ und somit auch den von „kein Team“ und „Feindschaft“ nicht so wirklich. Für ihn waren das zwei verschiedene Paar Schuhe. Jemand wie Kinomiya aber konnte das nur schwer nachvollziehen, und so fühlte der Japaner sich immer gleich persönlich angegriffen, wenn etwas nicht so lief wie er sich das vorgestellt hatte. Am liebsten würde Kai es vermeiden, im selben Raum wie Kinomiya zu sein, wenn der erfuhr, dass er zu Neo Borg gewechselt war. Er seufzte. „Nervös?”, brummte Sergeij. „Nein”, entgegnete Kai. Der Flug dauerte noch einmal zehn Stunden. Sie waren am Abend gestartet, und auch wenn sie der Sonne folgten, wurde es langsam aber sicher Nacht um sie herum. Irgendwann wurde das Licht gedimmt und die Fenster verschlossen. Kai lehnte sich zurück und versuchte, eine bequeme Position zu finden. Kurz schielte er zu Sergeij, der sich nach anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Bord-Entertainment vertraut gemacht hatte; nun flimmerte ein Film über den kleinen Monitor vor ihm. Sergeijs Augen waren schon beinahe geschlossen und Boris auf seiner anderen Seite schlief bereits - der Kopf lag ihm auf der Brust. Kai stopfte sich das kleine Kissen, das hier zur Ausstattung gehörte, in den Nacken und wickelte seine Beine in die Decke ein. Über die Zeit hatte er gelernt, dass ein paar Stunden Schlaf an Bord einen Jetlag wesentlich erträglicher machten. Nichtsdestotrotz fiel es ihm jedes Mal schwer, zu entspannen. Die Nähe seiner Mitreisenden, die schlechte, trockene Luft und die schiere Höhe, die ihm manchmal auf den Magen schlug, zehrten an seinen Nerven. Er drehte sich so gut es ging zur Seite und spürte erleichtert einen kühlen Luftzug im Gang. Dann fiel sein Blick auf Yuriy. Im Dunkeln war nicht viel von seinem Teamchef zu erkennen, doch seine weit geöffneten Augen reflektierten das spärliche Licht. Seine Hand hatte sich um die Armlehne geschlossen, zwar nicht krampfhaft, doch es wirkte auch nicht so, als würde er sich wohl in dieser Umgebung fühlen. Kai beobachtete ihn eine ganze Weile, und da Yuriy sich nicht bewegte, streckte er schließlich den Arm aus, um ihn kurz zu berühren. Der andere schreckte auf und wandte sich zu ihm um. „Nervös?”, fragte Kai und Yuriy verzog das Gesicht. „Ich war nur in Gedanken.” „Hm.” Yuriy mochte vielleicht in Gedanken sein; dass er derartig vergaß, auf seine Umgebung zu achten, war jedoch sehr ungewöhnlich. Abteijungen waren wie Katzen, sie wussten immer, was um sie herum geschah. Nicht zum ersten Mal ahnte Kai, dass irgendetwas seinen Teamchef belastete, etwas, über das er nicht einmal mit Boris oder Sergeij sprach. In den seltsamsten Momenten schien Yuriy abzuschweifen, vielleicht merkte er es nicht einmal selbst. Seine Mundwinkel bildeten dann zwei tiefe Falten, sein ganzer Gesichtsausdruck war beinahe wild, als würde er gleich die Zähne fletschen wollen. Auch ein Grund, warum niemand wagte, ihn darauf anzusprechen. Da Kai nicht weitersprach, wandte Yuriy sich wieder von ihm ab und stützte das Kinn in die Hand. Kai beobachtete ihn verstohlen noch eine Weile, doch der Rothaarige rührte sich nicht mehr. Das Flugzeug schaukelte sanft, und irgendwann fielen ihm die Augen zu. Sie bekamen zwei Hotelzimmer. Kai, Boris und Sergeij checkten schon ein, während Yuriy ein Taxi vom Flughafen zum Stadion genommen hatte, wo das erste Treffen der Teammanager stattfand. Ohne ihn hatten sie keinen Grund gefunden, sich vernünftig zu unterhalten, deswegen herrschte die meiste Zeit über Schweigen zwischen ihnen. Kai ahnte allerdings, dass auch Boris und Sergeij die Fähigkeit beherrschten, sich durch vielsagende Blicke zu verständigen. Er wollte gar nicht wissen, welche stummen Kommentare sie hinter seinem Rücken über ihn austauschten. An der Hotelrezeption wurden sie gefragt, welche Zimmeraufteilung sie bevorzugen würden. Lächelnd legte die Angestellte ihnen vier Schlüsselkarten hin, doch weder Boris noch Sergeij rührten sich. Kai hob eine Augenbraue und wandte sich seinen Teamkollegen zu. Boris starrte die Schlüsselkarten an, als wolle er mit seinem Blick Löcher in sie brennen und es dauerte eine Weile, bis Kai verstand, warum. „Jetzt mach dich nicht lächerlich, Kuznetsov”, sagte er und griff wahllos nach einer Karte, bevor er zu den Fahrstühlen hinüberging, ohne abzuwarten, was die anderen beiden tun würden. Das Zimmer war auf halber Höhe des Hotels. Der Blick aus dem Fenster fiel auf die gegenüberliegenden Gebäude, der Raum wurde beinahe gänzlich ausgefüllt von zwei Betten. Für New Yorker Verhältnisse war es sehr komfortabel. Kai fragte sich, und das nicht zum ersten Mal, woher die BBA das Geld nahm, um dieses Turnier auszurichten. An den Bladern selbst verdiente die Organisation nicht viel, denn sie waren nur Amateure. Der ganze verdammte Sport bestand aus Amateuren. Ein Wunder, dass noch niemand auf die Idee gekommen war, Beyblader unter Vertrag zu nehmen und sponsern zu lassen. Er stellte seine Tasche in einer Ecke ab, warf sich auf eines der Betten und wartete. Es tat gut, nach dem langen Flug mal wieder zu liegen. Sein Rücken entspannte sich und er spürte, wie er tiefer in die weiche Matratze sank. Vielleicht war er in diesem Moment eingedöst, denn als sich plötzlich die Tür öffnete kam es ihm vor, als wären erst wenige Sekunden vergangen. Aber es war Yuriy, der nun im Zimmer stand, und der hätte es gar nicht so schnell hierher schaffen können. Kai richtete sich auf und fuhr sich durch die Haare. „Ich dachte, du teilst dir ein Zimmer mit Boris?” „Wie kommst du darauf? Boris redet im Schlaf, ich würde niemals mit ihm in ein Zimmer gehen”, antwortete Yuriy zerstreut. Seine Aufmerksamkeit galt ganz einem Stapel Unterlagen, den er nun auf den Schreibtisch legte. „So viel Papierkram für ein einziges Turnier.” Er seufzte und blätterte in den Dokumenten. „Was ist das alles?” Kai stand auf und ging zu ihm, um ihm über die Schulter zu sehen. Es waren die üblichen Formulare, die bei internationalen Turnieren ausgefüllt werden mussten. Allein ihre Reiseroute verlangte einige Vorbereitung für die Grenzübergänge. Dann kamen noch Informationen für die BBA hinzu und manchmal auch für die Stadien, in denen ihre Matches stattfanden. Natürlich war das neu für Yuriy. Team Neo Borg hatte noch nie an einem Turnier teilgenommen, das außerhalb von Russland stattgefunden hatte. Kai schob den Rothaarigen beiseite und setzte sich an den Tisch. „Zeig mal her.” Er sortierte die Dokumente zu mehreren kleineren Stapeln. „Die hier sind nur für die BBA”, erklärte er, „Aber es muss jeweils ein Formular für jedes Teammitglied ausgefüllt werden, deswegen ist es so viel. Das hier sind nochmal Reiseunterlagen, da musst du dir einen Stempel von Daitenjis Assistentin geben lassen, und dann legst du es am besten irgendwohin, wo es nicht verloren gehen kann. Und für die hier verrate ich dir einen Trick, die brauchst du nämlich gar nicht ausfüllen - die sind für die Medien. Wenn da nichts draufsteht, dürfen sie uns nur bei den offiziellen Pressekonferenzen interviewen. Super praktisch.” „Super praktisch”, wiederholte Yuriy. Als Kai sich zu ihm umdrehte, war er erstaunt, dass sein Blick ihm galt und nicht den Unterlagen. Die Müdigkeit stand seinem Leader deutlich im Gesicht, vermutlich hatte er doch nicht während des Flugs geschlafen. Der Ausdruck, mit dem er ihn ansah, war schwer zu beschreiben, eine Mischung aus Resignation und stummer Dankbarkeit für seine Hilfe. Allein die Tatsache, dass Yuriy zuließ, gelesen zu werden, ließ Kai innehalten. Er gab ihm einen Augenblick, doch der andere schien nicht die geringste Lust (oder Kraft) zu haben, seine Mimik zu sortieren. „Du solltest das ausfüllen”, sagte Kai schließlich unbeholfen und erhob sich, um den anderen an den Schreibtisch zu lassen. Dank der Enge des Zimmers standen sie so direkt voreinander und ihm fiel ein loser Faden an Yuriys Kragen auf. Der Rothaarige bewegte sich noch immer nicht. Doch dann grinste er schief und glitt an Kai vorbei auf den Stuhl. „Und ich dachte, als Teamchef der Bladebreakers wärst du nur mit Babysitten beschäftigt gewesen.” Kinomiyas Reaktion auf Kais Teamwechsel war wie zu erwarten schlecht. Eigentlich war Kai sogar überrascht, dass er ihm nicht gleich mitten in der Arena vor versammelter Menge eine Szene machte. Beinahe wagte er zu hoffen, unbehelligt aus der Halle herauszukommen, als er die Schritte hörte. Dann brüllte der andere seinen Namen und zog dabei das i in die Länge, um ihn dann im selben Atemzug einen Verräter zu nennen. Er hatte nicht einmal Zeit, sich zu ihm umzudrehen. „Meine Güte”, murmelte Yuriy neben ihm, dann hob sein Teamchef die Stimme, um Kinomiya Einhalt zu gebieten. Als Kai sich schließlich umwandte, offenbarte sich ihm ein ungewöhnlicher Anblick. Sein Team hatte sich vor ihn gestellt. Sergeij hatte Kinomiya sogar an der Schulter gepackt, damit er nicht zu ihm durchkam. Boris und Yuriy standen nebeneinander und bedachten den Weltmeister wahrscheinlich mit höhnischen Blicken, die Kai aus seiner Position aus nicht sehen konnte. In dieser Situation wurde es offensichtlich, wie groß die drei waren. Kai hielt sich selbst nicht für klein, er hatte bei den Bladebreakers immer alle überragt, doch die Neo Borg wirkten plötzlich wie eine hohe Mauer. Kinomiya war winzig neben ihnen, bemerkte diesen Nachteil in seiner Wut allerdings nicht. Er war ehrlich verletzt, denn wie immer verstand er nicht, was vor sich ging. Dabei hatte die BBA Revolution momentan doch wohl größere Probleme - sie würden zuerst gegen Baihuzu, Reis Team, antreten. Das war kein schöner Start. Und doch schien Kais Verhalten Kinomiya mehr aus der Bahn zu werfen als ein Match gegen einen seiner größten Rivalen. Also erbarmte er sich und erklärte es ihm. Er machte so wenig Worte wie nötig, denn er hatte keine Lust, sich lange mit Kinomiya auseinanderzusetzen - in einer Gemütslage wie der jetzigen war der andere sowieso nicht zu rationalem Denken fähig. Und anstatt sich zurückzunehmen wurde Kinomiya bei seinen Worten sogar noch ausfallender. Schlussendlich war es Yuriy, der die Situation auflöste, indem er sich einfach abwandte, die Augen verdrehte (was nur Kai sehen konnte) und den Weg zum Ausgang fortsetzte. Sie folgten ihm, und zum Glück besaß Kinomiya genug Anstand, um nun zurückzubleiben. Sie sahen sich das Match in einer Kabine an, die ihnen zugewiesen worden war. Einige der anderen Teams saßen auf den Rängen, doch im Stadion ging immer so viel vor sich, dass man kaum mitbekam, was in der Bowl passierte. Gerade bei Kinomiyas Kämpfen wollten sie kein Detail verpassen. Ihm war anzusehen, dass er noch immer aufgebracht war. Es war beeindruckend: Die Weltmeisterschaft war noch nicht mal einen Tag alt und der Champion drehte schon am Rad. Daichi mit seiner überschäumenden Energie war dabei keine Hilfe. Sie schaukelten sich gegenseitig hoch. „Was für ein erbärmlicher Haufen”, meinte Boris, „Da hast du ja was angerichtet, Kai.” Kai schwieg. Ja, vermutlich war dieses Trauerspiel im Stadion zum Teil sein Verdienst, doch Kinomiya war schon nach Reis und Max’ Weggang nicht mehr er selbst gewesen. Nur hatte er gehofft, dass sein Rivale sich wieder erholte und den erzwungenen Alleingang zum Anlass nahm, sich mehr Mühe zu geben. Doch es kam anders: Die BBA Revolution verlor ihr erstes Match. „Und das ist jetzt unser Weltmeister”, stellte Yuriy fest und Kai knurrte genervt. Auf dem Bildschirm machten Kinomiya und Daichi ein Riesendrama und begannen einen neuen Streit. In Reis Gesicht allerdings stand die Enttäuschung, die Kai fühlte. Dieser Kampf war ganz und gar unsinnig gewesen. Er stand auf, um den Raum zu verlassen. „Wo gehst du hin?”, fragte Boris. „Geht dich nichts an”, grollte Kai. Er musste Frust ablassen. „Unser Match fängt gleich an.” Darauf erwiderte er nichts, denn er konnte nicht garantieren, dass er sachlich bleiben würde. Stattdessen ging er nach draußen und vage in die Richtung, in der er die Trainingsräume vermutete. Weit kam er allerdings nicht, denn jemand folgte ihm. Es war Boris. „Hiwatari. Warte.” Die Worte klangen nicht so, als wolle der andere einen Streit mit ihm anfangen. Also drehte Kai sich zu ihm um und verschränkte die Arme. Boris kam bis auf wenige Zentimeter zu ihm heran, stand aufgrund seiner Größe leicht über ihn gebeugt und nahm so viel mehr Platz ein als er eigentlich musste. „Hör zu, Hiwatari”, raunte er, „Ich sage das nur einmal. Ich habe keine Ahnung, wie du in unserem Team enden konntest und wäre es nach mir gegangen, ich wäre lieber mit nur drei Leuten hier aufgekreuzt als mit dir. Aber aus irgendeinem Grund bist du wichtig für Yuriy. Und deswegen rate ich dir - vermassel es nicht, klar?” „Was willst du von mir?” „Du tust, wofür Yuriy dich geholt hat: Du tauchst zu deinen Matches auf. Du gewinnst sie. Fertig.” Sie maßen sich eine Weile lang stumm mit Blicken, bevor Kai entschied, statt eines dummen Spruches eine richtige Antwort zu geben. „Yuriy weiß, was er an mir hat. Und ich habe vor, diese Weltmeisterschaft zu gewinnen. Ich verstehe also nicht ganz, wo dein Problem liegt, Kuznetsov.” Boris hob die Hand und hielt ihm den Zeigefinger vors Gesicht. „Vermassel. Es. Nicht”, wiederholte er. „Ich muss zu einem Meeting“, sagte Yuriy. Es war später Nachmittag. Nach ihrem Match gegen F Sangre waren sie zurück ins Hotel gekommen und Boris hatte ihnen Wolborg und Dranzer abgenommen, um sie bis zum nächsten Tag auf Schäden zu überprüfen. „Ich komme mit”, sagte Kai. Sein Teamchef warf ihm einen kurzen Blick zu, als er das Magazin weglegte und vom Bett aufstand. „Wo willst du hin?“ „Ich treffe mich mit Max“, sagte er und Yuriy hob billigend die Schultern. Er wusste, dass er ihm nicht einschärfen musste, nichts von ihrer Taktik zu verraten. Wahrscheinlich würde Max’ Partner, dieser bullige Typ, ihm den Kopf abreißen, wenn er wüsste, dass er sich mit Kai traf – aber Kai blühte das gleiche Schicksal, sollte Boris davon erfahren. „Ich hoffe, ich muss deswegen nicht um mein Leben fürchten“, sagte er, als sie nebeneinander die Treppen zum Foyer hinunterstiegen. „Nein“, entgegnete Yuriy, „Was Boris nicht weiß, macht ihn nicht heiß, und was deine Alleingänge angeht, halte ich mich so lange da raus, wie ich sicher sein kann, dass du keinen Mist baust.“ „Ich baue keinen Mist.“ „Hmm.“ Kai hob die Augenbrauen und sah Yuriy an. Für ihn unerwartet trafen sich ihre Blicke, doch es erschien ihm ganz natürlich, dass sie daraufhin ein verschwörerisches Grinsen austauschten. „Mach mir keine Schande vor der Bourgeoisie“, sagte Yuriy noch, dann beschleunigte er seine Schritte und eilte quer durch die Empfangshalle zu einem Gang, der ins Nebengebäude führte. Kai merkte erst, dass er ihm nachsah, als Max plötzlich vor ihm stand. Normalerweise übersah er andere Personen nicht. „Das war ein ganz schön mieser Start in die Saison”, meinte Max, als sie im Hotelcafé saßen. Sie hatten eine Nische in einer der hinteren Ecken gefunden und wurden halb von einer Pflanze vor Blicken geschützt. Er wirkte bedrückt, und das, obwohl er einen großen Eisbecher vor sich hatte. Den Kampf gegen Barthez Soldiers hatten sie zwar gewonnen, doch sein Partner hatte es geschafft, das gesamte Stadion gegen sie aufzubringen. Das musste ihn beschäftigen, denn sonst redete er auch einfach gern über alles andere außer das Bladen. „Hm”, machte Kai, „Dieser Rick ist nicht ohne. Wo kommt er her?” „Mom hat ihn entdeckt”, antwortete der Blonde und seufzte. „Die anderen sind sauer auf mich. Rick mögen sie sowieso nicht, aber als ich den zweiten Platz für das Tagteam gewonnen habe, habe ich ihnen alle Möglichkeiten genommen, selbst anzutreten.” Kai wusste erst nicht, von wem er sprach, doch er musste Michael, Eddie und Emily meinen. Ihm wäre so etwas egal, es war ihm ja auch egal, dass Boris ihn unter anderem deswegen nicht leiden konnte, weil er ihm den Platz als Yuriys Partner weggenommen hatte. Aber Max war anders, er konnte vor allem dann Höchstleistungen bringen, wenn es im Team harmonisch zuging. Streit setzte ihm immer sehr zu. Kai wollte etwas sagen, stellte aber fest, dass er nicht wirklich wusste, was. Doch dann wechselte sein Gegenüber von selbst das Thema. „Aber erzähl du. Wie ist das mit Neo Borg passiert?” Kai hob die Schultern. „Sie haben mich gefragt. Ich habe zugesagt.” „...nachdem du bereits die Vorrunden in Japan gewonnen hattest?” Manchmal war es unheimlich, wie Max die Menschen durchschaute. Kai wurde klar, dass er eigentlich gar nicht mehr viel zu sagen brauchte, der andere wusste schon Bescheid. „Es war etwas komplizierter als das”, antwortete er, „Aber im Grunde ja.” „Aw man, Kai”, sagte der Blonde und leckte kurz seinen Löffel ab, „Kein Wunder, dass Takao so neben sich stand bei seinem Match. Lass mich raten - er hat von deinem Wechsel genau zu dem Zeitpunkt erfahren, als es durch die Medien ging, nicht wahr?” Nun, das war allerdings nicht Kais Schuld, sondern die von Hitoshi. Der hatte bereits bei Kais Weggang gewusst, für wen er das Team aufgab. Es war allein der Entscheidung ihres Coaches zu verdanken, dass die BBA Revolution am Vortag derart aus allen Wolken gefallen war. „Ich hätte nicht mit Kinomiya hier antreten können”, murmelte er. Max nickte und stützte nachdenklich das Kinn in die Hand. „Ich verstehe dich. Um ehrlich zu sein habe ich fest geglaubt, du wärst der erste, der sich verabschiedet. Dann war ich es selbst.” „Oh, das heißt nicht, dass ich es nicht vorhatte. Ich hatte nur kein Backup-Team wie du oder Rei.” Max hob flüchtig den Blick zu ihm, erwiderte jedoch nichts. Natürlich, alle assoziierten ihn irgendwie mit Borg, allein wegen der Abtei und dem Turnier von vor zwei Jahren. Aber als die jetzige Weltmeisterschaft ausgerufen worden war hatte er ja nicht einmal gewusst, ob es überhaupt ein russisches Team geben würde. „Jedenfalls hast du mal wieder ganze Arbeit geleistet”, meinte Max dann. „Die PPB hat noch nicht einmal gewusst, dass Neo Borg teilnehmen werden. Du hättest sehen sollen, was los war, als sie die Vorrunden in Moskau gewonnen haben. Und jetzt das - du und Yuriy? Im Tagteam? Ich schwöre dir, hier geht gerade allen der Arsch auf Grundeis, mich eingeschlossen.” „Gut”, entgegnete er nur und Max lachte. Schmunzelnd trank Kai von seinem Kaffee und dachte etwas selbstgerecht, dass er eben doch noch wusste, wie man einen netten, kleinen Skandal verursachte. Ansonsten wäre diese Weltmeisterschaft doch wirklich zu langweilig. „Du verstehst dich gut mit Yuriy.“ Das war eine Feststellung. Max schaffte es, dass es klang, als wäre es die normalste Sache der Welt. Er wartete nicht auf Kais Erwiderung, sondern löffelte sofort weiter sein Eis. „Wie kommst du darauf?“, entgegnete er. „Naja, man sieht es dir sonst nicht so an, wenn du jemanden sympathisch findest.“ Beinahe ein Viertel der letzten rosa gestreiften Eiskugel verschwand in Max‘ Mund. „Er sieht gut aus, findest du nicht? Abgesehen vielleicht von diesem Killerblick, den ihr Neo Borgs immer aufgesetzt habt. Auf jeden Fall wirkt er jetzt gesünder als früher. Also, wenn du meine bescheidene Meinung hören willst”, fuhr der Blonde fort. „Er wäre mit Sicherheit eine bessere Wahl als…You Know Who. Vor allem auch nicht so alt.“ Er wusste es natürlich. Vor den Bladebreakers hatte Kai nicht lange hinterm Berg halten können. Sie hatten einfach viel zu viel Zeit miteinander verbracht. Doch letztendlich war es gut so, es machte vieles unkomplizierter. „Was willst du mir damit sagen, Max?“, fragte Kai und ließ seelenruhig den Keks in seinem Kaffee schwimmen. Das Grinsen des anderen konnte er nicht sehen, weil er konzentriert beobachtete, wie das Gebäck sich vollsog und unterging. „Nichts. Ich erläutere nur die Tatsachen.“ „Du willst doch auch nicht gleich etwas von jedem Mädchen, dass dir sympathisch ist“, sagte Kai und sah nun endlich wieder auf. Er war etwas erstaunt darüber, dass der andere seinen Eisberg tatsächlich in den wenigen Minuten ihres Gesprächs fast komplett aufgegessen hatte. „Doch“, sagte Max, „Eigentlich bin ich in jedes Mädchen ein wenig verknallt. Aber zurück zu dir. Seit You Know Who wissen wir, dass du eine Schwäche für Kerle hast, die größer und älter sind als du und dir sagen wo es langgeht. Und du hast es vielleicht nicht gemerkt, aber während deines Matches gegen Raul konnte dein Teamchef keine Sekunde lang den Blick von dir abwenden.“ „Max, was zur- " „Ich will sagen, er ist genau dein Typ“, unterbrach Max ihn fröhlich. „Ach. Ist er das, ja?“ Als er den Blick wandern ließ, bemerkte er durch die Glastür des Restaurants hindurch ein paar Gestalten. „Beeil dich ein bisschen, die Reporter sind schon wieder da.“ Sie hatten sich wie Aasgeier auf ihre beiden Teams gestürzt, schriftliche Erlaubnis hin oder her. Auf Neo Borg, weil Kai zu ihnen gewechselt war, und auf die PPB All Starz, weil sie sich so unbeliebt gemacht hatten. Eigentlich hatten sie Hausverbot in ihrem Hotel bekommen, aber irgendwie schafften es immer ein paar von ihnen, hereinzuschleichen, und sie mussten aufpassen, damit sie ihnen nicht vor die Kameras liefen. Max verdrehte die Augen. „Wer von uns verschwindet diesmal?“ „Ich.“ Kai trank seinen Kaffee in wenigen Zügen aus und stand auf, um ein paar Minuten in der Toilette zu verbringen, bis irgendwer die Reporter bemerkte und rauswarf. Ein Blader allein war noch nicht mal halb so interessant wie zwei. Wenn Kai und Max aber zusammen gesichtet wurden, würde das im Moment wohl einen Skandal auslösen. Am Morgen war das Trainingsgelände leer. Hinter dem Stadion schlossen sich weitläufige Anlagen an, mit Tennisplätzen, einer Wurfzone für Baseball und einem Basketballfeld. Um das gesamte Areal zogen sich Tartanbahnen, voneinander abgegrenzt durch saubere, weiße Linien. Yuriy lief auf der äußersten Bahn. Seine Schritte waren lang und regelmäßig, der Laufstil beinahe gelassen. Nur anhand der dunklen Flecken auf seinem Shirt und der Art, wie einige Strähnen seines Haars ihm auf der Stirn klebten, war zu erkennen, dass das was er tat anstrengend war. Sein Blick war nach vorn gerichtet, ohne festen Fixpunkt, und so zog er seine Runden. Es hatte etwas Hypnotisches, seinen Bewegungen zu folgen. Kai saß auf einer der Tribünen und beobachtete ihn. Neben ihm standen ein Becher Kaffee für sich selbst und eine Flasche Wasser für seinen Teamchef. Yuriy hatte ihn gebeten, ihn nach seinem eigenen Training abzuholen, damit er die Zeit nicht aus den Augen verlor. Er wartete nun schon eine ganze Weile, aber Yuriy zog seinen Lauf durch als gäbe es nichts anderes auf der Welt. Wahrscheinlich hatte sein Leader noch nicht einmal bemerkt, dass er überhaupt da war. Kai hasste Ausdauersport, was er bisher nicht als einen Nachteil für sich empfunden hatte. Wenn er Yuriy so sah, wünschte er sich jedoch ein wenig mehr Geduld. Der Tritt des Rothaarigen war sicher und es wirkte so leicht, wie er dort unten nichts anderes tat als laufen. So eine simple Bewegung. Seine Arme waren angewinkelt, dicht am Körper, der kein Zeichen von Erschöpfung zeigte. Sein Haar leuchtete auch in der Entfernung, manchmal strich er es sich mit einer selbstvergessenen Geste aus der Stirn, nur, damit es wieder hinabfallen konnte, was er dann für eine Weile ignorierte. Irgendwann, als Kai sich schon fragte, ob er ihn doch von der Bahn zerren musste, wurde der Rhythmus von Yuriys Tritt langsamer, blieb aber gleichmäßig. Gerade war er wieder um die Kurve gekommen und lief auf das Podium zu, verringerte dabei stetig seine Geschwindigkeit, bis er schließlich in den Schritt fiel. Unterhalb von Kais Platz blieb er stehen, stemmte die Hände in die Seiten und beugte sich vor. Als er sich wieder aufrichtete, waren seine Wangen gerötet. Kai erhob sich und ging die Treppe hinunter, um ihm die Flasche Wasser zu geben. Während er an seinem Kaffee nippte, trank sein Leader große Schlucke. Als Yuriy absetzte, wischte er sich kurz mit dem Unterarm über die Stirn, bevor er einen langen Blick über die Sportfelder gleiten ließ. „Also”, sagte er ohne sich von der Aussicht abzuwenden, „F Sangre?” „Das war leicht”, meinte Kai, „Beinahe zu leicht, oder?” „Auf jeden Fall waren sie nicht gut vorbereitet. Boris hat herausgefunden, dass sie normalerweise zu zweit kämpfen. Wahrscheinlich lag es daran.” Kai nickte. „Sie haben exakt dieselbe Technik angewendet. Aber ich glaube, Julia ist etwas stärker, oder?” „Vermutlich”, sagte Yuriy und zuckte kurz die Achseln. F Sangre waren interessant, nun jedoch nicht mehr wichtig für sie. Wenn die beiden ihre Taktik nicht grundlegend änderten und ein paar Matches gewannen, würden sie wohl kaum noch einmal gegeneinander antreten. „Dein Blazing Gig jedenfalls war ziemlich beeindruckend”, fuhr sein Leader fort, „Ich habe es für einen Scherz gehalten, als Daitenji mir gestern versichert hat, er habe für Feuerlöscher bei unseren Matches gesorgt.” „Danke. Ich war eher beeindruckt von dem Spitznamen, den DJ uns gegeben hat”, erwiderte Kai. „Roter Komet? So nennen uns unsere Fans in Russland - Krasnaja Kometa. Finde ich eigentlich ganz hübsch.” „Aber woher -?” Kai musste den Satz nicht ausformulieren, denn in diesem Moment erkannte er, wie sein Team zu diesem Namen gekommen sein musste. „Deine Attacke”, sagte er zu Yuriy, „Bei der ersten Weltmeisterschaft.” „Die Holy Beast Weapon”, bestätigte der Rothaarige, „So nannte Volkov sie. Natürlich wusste niemand, dass es sich dabei wirklich um eine Waffe handelte. Für Unwissende sah sie aus wie ein - ” „Roter Komet”, beendete Kai. Sein Teamchef schien keine Lust zu haben, das Thema weiter auszuführen, denn er drehte sich um und ging in Richtung des Hotels davon. Er musste ihm wohl oder übel folgen. Ein paar Mal setzte er an, weitere Fragen zu stellen, doch er wusste einfach nicht, wie er sie formulieren sollte, also gab er es schließlich auf. Über dem Stadion stieg langsam die Sonne auf, wurde jedoch noch von etwas Dunst verdeckt. Das kühle Licht brach sich an den Glasfassaden der Wolkenkratzer und auf dem glänzend weißen Dach der Halle. Ein leichter Wind zerzauste Yuriys Haare, die unfrisiert und wild vom Lauf durcheinanderfielen. Da der Weg nur schmal war, lief Kai ein Stück hinter ihm und musterte ihn. Der Gang des anderen schien leichter geworden zu sein, vielleicht weil seine Muskeln nun gelockert waren, vielleicht war es auch etwas anderes. „Du hast gute Laune”, stellte Kai schließlich fest und Yuriy drehte sich mit einem spöttischen Grinsen zu ihm um. „Machst du mir daraus jetzt einen Vorwurf?” „Ich hab dich nur noch nie so gesehen.” „Vielleicht bin ich einfach nur erleichtert darüber, dass du deine Arbeit machst.” „Du meinst - Matches gewinnen?”, fragte Kai. „Hast du gedacht, ich blade absichtlich schlecht, oder was? Was sollte mir das nützen?” „Was weiß denn ich, Kai”, entgegnete Yuriy, „Ich habe keine Ahnung, was in deinem Kopf abgeht. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass du gerne mal für böse Überraschungen sorgst.” „Allein die Tatsache, dass wir uns zusammengetan haben, ist für alle anderen eine böse Überraschung. Also entspann dich und genieß die Reise”, sagte Kai leichthin. Inzwischen waren sie beim Hotel angekommen und blieben noch kurz vor dem Eingang stehen. Yuriy schraubte erneut die Wasserflasche auf, um sie nun auszutrinken. „Weißt du eigentlich, wie schwer es war, die ganzen verdammten Visa zu bekommen?”, fragte er dann unvermittelt. Kai wiegte den Kopf. Er konnte es sich vorstellen. „Es gab wirklich einige Momente, in denen wir dachten, wir könnten die Meisterschaft vergessen, weil sie uns nicht rauslassen”, fuhr der Rothaarige fort. „Dabei waren wir weiß Gott brav im letzten Jahr. Wir haben jedes dämliche Turnier gewonnen, das die BBA in Russland ausgeschrieben hat. Wir sind zur Therapie gegangen, haben unsere Abschlüsse gemacht und wenn wir gesoffen haben, dann in unserem eigenen Wohnzimmer. Keine schlechte Presse, nicht einmal. Und trotzdem…” Er seufzte genervt, während Kai einfach nur zuhörte. „Obwohl wir Hilfe von der BBA hatten, bin ich wahrscheinlich fünfmal zu den verdammten Botschaften gerannt. Mal hat dieses Papier gefehlt, mal jene Unterschrift… Das zog sich über Monate. Ich hatte mich wirklich schon darauf eingerichtet, dass wir jemanden bestechen müssen. Also ja” Mit diesen Worten wandte Yuriy sich ihm zu, „ich habe vor, diese Reise zu genießen! Wir sind endlich einmal raus aus Russland gekommen, und das ist gerade ein ziemlich gutes Gefühl.” Natürlich konnte Kai sich nicht in seine Lage versetzen. Er hatte einen japanischen Pass. Dennoch wurde ihm nun bewusst, dass die Dokumente, mit denen der Rothaarige am ersten Tag konfrontiert worden war, einen leisen Horror in ihm ausgelöst haben mussten. Er schwieg, und Yuriy schien auch gar keine Antwort zu erwarten. Er sah auf die leere Plastikflasche in seiner Hand hinab, die er rhythmisch zusammendrückte, sodass dabei ein regelmäßiges knirschendes Geräusch entstand. „Kai”, sagte er, und sein Gesicht nahm nun wieder einen ernsten Ausdruck an. Für einen kurzen Moment schien es, als würde wieder einmal diese Düsternis über ihn kommen, die Kai schon vorher aufgefallen war. „Wir müssen es ins Finale schaffen. Es ist mir scheißegal, gegen wen wir antreten, aber wir werden bis zum Ende durchhalten! Ist das klar?” Endlich hob er den Kopf und sah Kai mit einem wilden Ausdruck an. Und der hielt diesem Blick stand. „Klar”, sagte er langsam. „Ach hier seid ihr!” Die Stimme war vom Hoteleingang gekommen. Dort stand Boris, der seinen Laptop unter den Arm geklemmt hatte. Er winkte sie zu sich. „Ich habe die restlichen Daten ausgewertet. Yuriy, ich muss noch mal an Wolborg ran, es gibt da ein paar Schlenker, die mir gar nicht gefallen. Und Kai, du hast mit deinem Balanceakt gestern Dranzers Achse ganz schön belastet, wenn du so weitermachst kannst du die Base in der nächsten Runde wegschmeißen. Und ich bin nicht dein Ersatzteillager, verstanden?! …” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)