Die Drachensonate von Kylie (Band 2 - Drachen-Saga) ================================================================================ Prolog: Unbändiger Zorn -----------------------       Die Geschichte und Charaktere sind reine Fiktion. Alle Ähnlichkeiten mit echten Personen (egal, ob im Leben oder bereits verstorben), Geschehnissen und Orten sind reiner Zufall.                         [LEFT][LEFT]„Viel mehr als unsere Fähigkeiten[/LEFT][/LEFT] sind es unsere Entscheidungen,   die zeigen, wer wir wirklich sind.“ » J.K. Rowling                         Prolog: Unbändiger Zorn   Die Gabe des Sehens ist so selten wie sie vielseitig ist. Es gibt jene, die können in die Zukunft blicken, aber auch die, welche die Vergangenheit erleuchten können. Nur sehr wenige können beides... Einen wahrhaftigen Seher zu finden, ist wahrlich eine Herausforderung. Zahlreiche Menschen und Nichtmenschen täuschen vor, dass sie die Zeitstränge und die Schicksale der Lebewesen sehen könnten, besitzen jedoch keinerlei Magie. Für normale Sterbliche ist der Unterschied nicht wahrnehmbar. Sie sind so verzweifelt auf der Suche nach Antworten, dass sie keinen Beweis einfordern. Viele der falschen Seher prophezeien ihrer Kundschaft schreckliche Zukünfte, welche sie durch den Kauf bestimmter „magischer“ Relikte abwenden könnten. Natürlich alles erlogen... In den Relikten steckt meist genauso wenig Magie wie in den vermeidlichen Wahrsagern. Doch es gibt genug, die auf diese Betrügereien die Tage hereinfallen, die so düster zu sein scheinen. Für mich jedoch ist es keine Herausforderung, einen wahrhaftigen Seher von einem falschen zu unterscheiden. Ich kann ihre Magie spüren. Das Pulsieren in all ihren Gefäßen! Kein Unbegabter könnte das jemals vortäuschen. Ich wollte nur zwei Fragen beantwortet haben: „Was hätte ich anders machen sollen? Hätte ich sie retten können?“ Sie alle gaben mir stets die gleiche Antwort: „Nein, ihr Tod war vorherbestimmt. Egal, welche Wege du anders gewählt hättest, der Tod bekommt seinen Tribut.“ Eine sehr unbefriedigende Antwort, wie ich zugeben muss. Und es trieb mich an, immer weiter zu suchen. Noch mehr Fragen zu stellen. Zu erfahren, weshalb der Tod ihre Seelen eingefordert hatte. Natürlich waren auch hier die Antworten keineswegs besser ausgefallen. „Egal, was du getan hättest, ihre Seelen gehörten dem Tod bereits.“, sagte eine Seherin ernst. „Selbst, wenn du die Gefangennahme des Urbösen hinausgezögert hättest, wären sie gestorben. Die Ursache wäre eine andere gewesen wie bei Argrim, doch sie wären definitiv gestorben.“ „Wieso?“, wollte ich verzweifelt wissen. „Weil es ihnen so vorherbestimmt gewesen ist.“ „Wieso lebe ich noch?“ In diesem Moment räusperte sich die Seherin und fuhr sich nervös durch das kurze Haar: „Du weißt, dass dein Ende genauso bevorsteht. Nicht heute oder morgen, aber es ist nicht allzu weit weg.“ Ja, sie hatte recht damit. Ich wusste, dass ich genauso durch Zodiak sterben würde wie meine Freunde. Ich wusste, dass jene Zeit nicht gekommen war, doch ich spürte die kalte Hand des Todes schon seit der Gefangennahme tief um mein kleines Herz.   Mit den düsteren Antworten auf meine Fragen, verließ ich mein Zuhause. Ich ließ die Unterwelt zurück und versuchte meinen Vater zu vergessen. Meine Familie zu vergessen... Alles, was sie mir Schreckliches angetan hatten. Auf meiner Suche nach Antworten, fand ich Mentoren, die mir weiterhelfen konnten. Sie erklärten mir meine Magie und zeigten mir Wege auf, um sie besser zu kanalisieren. Ich suchte sogar die letzten Drachen auf, um meine Fähigkeiten auch in dieser Richtung weiter ausbauen zu können. Die wichtigste der Begegnungen kam jedoch ganz unverhofft. An einem wirklich schlechten Tag... Ich war so ungemein wütend gewesen! Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht mal mehr, weshalb ich so in Rage geraten war. Doch ich erinnere mich an die massiven Auswirkungen auf jene, die meinen Weg kreuzten. Ich lief Amok! So wütend und voller Verzweiflung... Ich tötete alles, was meinen Weg kreuzte. Brutal und nicht immer schnell oder sauber. Ich tränkte den Boden in rotes Blut. In meinen Augen war es diese verfluchte, schwarze Schlacke, die mir alles genommen hatte. Sie war nicht da... Sie war ewig nicht mehr da gewesen! Dank uns. Dank unserer Opfer... Doch der Preis war zu hoch gewesen. In dem Moment, wo ich ein Kind sah, welches ich töten wollte, sprang mir ein Mann in die Quere. Ich war so verdammt sauer darüber! Doch er grinste, als könnte ihn kein Wässerchen trügen. Selbstverständlich machte mich das nur noch wütender und ich ging direkt zum Angriff über. Er wich mir aus, als wäre es die einfachste Übung für ihn. Sein längeres, gewelltes braunes Haar bekam nicht mal ansatzweise mein Schwert zu spüren, so schnell war er! Nicht mal eine Berührung mit dem Handrücken... Er wartete immer den letzten Augenblick ab, ehe er dann jedes Mal ein anderes Manöver zum Ausweichen nutzte. Manchmal tänzelnd, manchmal nur ein einziger Schritt. Das trieb er so lange mit mir, bis er mich vollkommen ausgelaugt hatte. Ihm stand kaum der Schweiß auf der Stirn, als er mir dann schließlich seinen Ellenbogen tief in die Magengrübe rammte und mich allmählich zurück in die Realität prügelte. Als ich aus meiner Trance erwachte und das Blutbad sah, welches ich angerichtet hatte, brach ich vollkommen zusammen. Unter Tränen beteuerte ich, wie leid es mir täte. Dann wurde alles um mich herum Schwarz...   Ich erwachte in einem geheimen Ort. Ein Ausbildungslager, wie sich dann schließlich herausstellte. Und das Tasten nach meinem Kopf machte mir klar, dass ich ohnmächtig geworden war, weil der Mann mir einen heftigen Hieb verpasst hatte – vermutlich mit dem Knauf seines Schwerts. Tage lang brachte man mir wortlos Essen, Trinken und versorgte meine Wunden. Ich fragte immer und immer wieder, was ich hier sollte und wo ich sei, doch keiner antwortete mir. Der Raum war außerdem magisch versiegelt, sodass ich keine Chance hatte, zu entkommen. Ein Teil von mir fürchtete sich. Diese Welt war nach Zodiaks Rückzug nur noch grausamer geworden. Nichtmenschen wurden wie Fleischwaren gehandelt! Sie waren nur noch Sklaven und jeder, der sich mit Nichtmenschen einließ, wurde gnadenlos verfolgt und hingerichtet. Mischlinge wurden sogar noch härter bestraft. Jene, die mit Mischlingen oder Nichtmenschen sympathisierten, wurden genauso gejagt und mussten mit dem Tod rechnen. Vor allem dann, wenn Liebe im Spiel war. Das war das neue Gesetz, das überall vorherrschte. Im Gegenzug wurden aber alle großzügig entlohnt, die solche „Verräter“ fassten oder eben Nichtmenschen auslieferten. Nun konnte ich schwer abstreiten ein Nichtmensch zu sein. Die spitzen Ohren, meine Statur... Die Magie, die ich wirken konnte. Alles machte überaus deutlich, dass ich niemals ein Mensch gewesen war oder jemals sein würde. Ich konnte also einem Kopfgeldjäger in die Arme gelaufen sein oder aber einem Sklavenhändler, der meinen Körper an den Höchstbietenden verkaufen wollte. Zweiteres kam eher in Frage... Immerhin wurde ich medizinisch versorgt und auch sonst eher gut gepflegt. Man bot mir auch regelmäßig an, mich zu waschen oder sogar zu baden. Eine gepflegte Dirne wäre kostbarer als eine, die dem Tode nah war!   Nach bestimmt zwei oder drei Wochen kam dann endlich der Mann zurück, der mich niedergeschlagen hatte. Ich war bereit! Ich sprang ihn direkt an und wollte ihn zu Boden reißen, aber natürlich wich er mir sehr geschickt aus. Eine Weile sah er mir dabei zu, wie ich mich aufzurappeln versuchte. Dann aber kniete er sich hin, bot mir seine Hand an und half mir aufstehen. In diesem Augenblick waren wir uns so nah, dass ich sehen konnte, dass er sicherlich schon im mittleren Alter war. Seine Haut war gebräunt von seiner ganzen Zeit draußen. Auch seine Augen waren so braun wie sein Haar. Viele hätten das langweilig gefunden, doch ihr gefiel das ausgesprochen gut. Er wirkte nicht übermäßig gepflegt. Doch ich konnte auch sehen und riechen, dass er nicht ungewaschen war oder die Kleidung über einen sehr langen Zeitraum trug ohne sie zu waschen. Penibel, aber nicht wie ein Adliger. „Kannst du deine Wut auch sinnvoll einsetzen?“, fragte er mich plötzlich mit wachem Blick. „Wie meint Ihr das?“, hinterfragte ich in seinem Volksmund. Mein Akzent war sehr stark ausgeprägt. Ich hatte die letzten Jahre damit verbracht, alle Sprachen der Oberwelt zu lernen. Hinzu kam, dass ich immerhin auch die Sprachen der Unterwelt konnte. Allerdings schien er trotzdem kein Problem damit zu haben, mich zu verstehen. „Du bist nicht nur eine Magiebegabte, du bist außerdem begabt im Kampf.“, sagte er schließlich. „Du bist aber ausgesprochen wütend und neigst dazu... Übersprunghandlungen auszuführen. Sehr tödliche Übersprunghandlungen, die uns dazu zwingen, hinter dir aufzuräumen.“ „Weshalb tut Ihr das...?“ „Weil wir im Schatten agieren wollen. Das geht aber schlecht, wenn wir eine Spur aus Leichen hinterlassen.“ Ich räusperte mich und spürte, wie Schamesröte in mein Gesicht schoss: „Vergebung... Ich hatte wirklich nicht vorgehabt-...“ Er unterbrach mich mit einer harschen Handbewegung: „Wir haben alle schlimme Dinge erlebt. Kannst du dich auch beherrschen?“ „Ja.“ „Gut.“, sagte er und ging Richtung Tür. „Deine Ausbildung beginnt morgen früh.“ „Ausbildung?“, hinterfragte ich aufgeregt und sprang auf. „Was für eine Ausbildung? Wer seid Ihr?“ Er drehte sich langsam nochmals um und grinste: „Duncan. Ich bin der Anführer des Attentäter-Ordens. Du bist ab heute unser Rekrut.“ Ich war vollkommen perplex! Ich hatte nicht um solch eine Aufnahme gebeten und sah mich auch selbst nicht als eine talentierte Attentäterin an. Sicherlich konnte ich mit verschiedenen Waffen umgehen und einige Sprachen sprechen, doch Spionage und hinterhältige Anschläge gehörten nicht in das Paket. „Und wenn ich das nicht möchte?“, wollte ich schließlich wissen und raffte die Schultern. „Das möchtest du.“, sagte Duncan und ließ mich alleine zurück in meinem Zimmer. Die Magie, die mich darin einschloss, wurde kurz darauf aufgehoben. Er hatte recht behalten: Ich wollte es. Und ich bin verdammt gut darin! Kapitel 1: Eine neue Welt ------------------------- Hammond wusste, dass er die Welt hasste, die der „Weltenlenker“ erschaffen hatte. Der selbsternannte Gott verkaufte sich zwar als Messias und als Retter der Oberwelt, doch wenn man mal ehrlich war, war er nichts weiter, als ein verdammter Tyrann. Er entschied über Leben und Tod. Er entschied, welche Rassen es verdienten, zu leben, frei zu sein oder versklavt zu werden.   Die Rassenvielfalt war längst nicht mehr geboten. Die Drachen waren so gut wie ausgerottet, ebenso wie die Zwerge und Orks. Die Menschen hingegen vermehrten sich wie die Karnickel! Es schien viele von ihnen nicht zu stören, dass sie ihren Weg auf Leichen aufbauten. Oftmals schien es ihnen sogar egal zu sein, wenn diese Leichen Menschen waren. Er war kein Mischling oder Nichtmensch. Er war ein reinrassiger Mensch, der eine glänzende Zukunft vor sich gehabt hatte. Hammond vermutete, dass er schon Hauptmann oder Kommandeur wäre, wenn er seinem Pfad einfach treu geblieben wäre. Einen besseren Soldaten hatte es in seinem Trupp nicht gegeben! Dazu kam, dass er ein außergewöhnlich talentierter Titan war, der seine Magie gut einzusetzen wusste. Die waren auch nicht mehr sehr häufig... Schweigend betrachtete er sich in dem alten, vergilbten Spiegel, der hier und da schon Risse aufwies. Er war von großer Statur. Fast zwei Meter! Dazu hatte er so viele Muskeln, dass man wohl tatsächlich von einer Berglandschaft sprechen durfte. Sein schwarzes Haar trug er kurz, während sein ebenso schwarzer Bart durchaus gepflegt gestutzt war. In diesem Augenblick trug er nicht seine eindrucksvolle Rüstung, sondern bloß ein einfaches Hemd und eine abgenutzte Lederhose, das machte ihn aber nicht weniger eindrucksvoll. Als er noch gedient hatte, war seine Kleidung hochwertiger und sauberer gewesen. Seine Haare hatte er sich nicht selbst schneiden müssen. Eigentlich war es ihm wirklich gut gegangen! Selbst die Bezahlung hatte keinen Grund zum Klagen aufkommen lassen. Jeder würde ihn einen Idioten schimpfen, weil er all das aufgegeben hatte. Doch das Herz wollte, was es wollte... Er hatte diese eine Frau gewollt! Wunderschön, temperamentvoll und so exotisch. Die Dirne seines Herren, welche regelmäßig fast von ihm totgeprügelt worden war. Trotzdem hatte sie ihm immer wieder Paroli geboten. Letztendlich hatte das aber natürlich zu immer mehr Gewalt geführt oder zu noch schlimmeren sexuellen Übergriffen als sowieso schon. Hammond erinnerte sich noch genau an den Tag, als sein Herr besonders wütend auf sie gewesen war. Leandra hatte wieder irgendwas gesagt, was ihm überhaupt nicht gefallen hatte. Dafür ließ er ihr die Kleidung vom Leib reißen und alle höher gestellten Soldaten durften sie vergewaltigen. Es war ein schrecklicher Anblick gewesen, an dem sich zu viele beteiligt hatten! Er nicht... Er hatte zusehen müssen. Doch Leandra gönnte ihnen den Sieg nicht. Sie hatte weder geweint noch um Gnade gebettelt. Stattdessen hatte sie die Massenvergewaltigung über sich ergehen lassen und sich zurückgezogen, sobald man es ihr erlaubt hatte. Stolz und mit erhobenem Haupt. Er hatte Soldaten gesehen, die nach ein paar Toten auf dem Schlachtfeld wesentlich angeschlagener gewesen waren! Doch sie tat so, als hätte all das eine andere Frau erlebt. Nicht sie. An jenem Tag entschied er, dass er sie endlich ansprechen wollte. Er wollte diese starke, impulsive Person kennenlernen, die all den Widrigkeiten trotzte. Dennoch musste Hammond sich überwinden, um es endlich zu wagen, sie in einem ruhigen Moment anzusprechen. Natürlich hatten sie alleine sein müssen! Wenn er, als einfacher menschlicher Soldat die nichtmenschliche Dirne seines Herren ansprach, konnten schnell Gerüchte aufkommen. Die konnten ihnen beiden den Kopf kosten! Und alles musste subtil ablaufen. Diskret. Sicherlich wusste das auch Leandra, die sich einfach zu ihm drehte und die Arme vor der Brust verschränkte: „Du hast mich aber lange warten lassen.“ „Was-...? Wie bitte?“, hinterfragte er damals atemlos. „Wie lange beobachtest du mich jetzt schon?“, warf Leandra selbstbewusst ein. „Auf jeden Fall schon sehr lange. Und du hast mich partout nicht angesprochen, obwohl ich darauf gewartet habe.“ „Ihr habt darauf gewartet, Mylady?“ „Nenn‘ mich nicht so.“, warf sie herrisch ein. „Ich bin vieles, aber gewiss keine Lady.“ Zum ersten Mal hatte der Krieger die Möglichkeit, diese wunderschöne Frau genauer zu betrachten. Ihr Haar war rot wie das lechzende Feuer! Die Haut leicht gebräunt und hier und da konnte man Sommersprossen erkennen. Nur sehr blass, aber sie waren da. Dazu kamen seltsam schimmernden Augen, die beinahe wie flüssiges Gold aussahen. Wunderschön, aber irgendwie auch bedrohlich. Jetzt, wo er sie so genau betrachtete, fielen ihm auch die Schuppen auf, die hier und da an ihrem Körper schimmerten. Nicht in ihrem Gesicht, aber an den Armen und auch an den Beinen. Manche waren deutlich zu erkennen, andere nur zu erahnen. Hammond wusste, dass wenn er sie berühren würde, er mehr von ihnen spüren konnte. Hier und da würden die scharfen Schuppen ihn sicherlich sogar schneiden! Das war so bei der menschlichen Gestalt eines Drachen. Nicht perfekt, aber sehr stabil und sie wussten sich durchaus selbst zu verteidigen und sich über ihren Schuppenmantel zu schützen. Soweit er wusste, konnten Drachen sogar in ihrer menschlichen Form Klauen oder Dornen haben. Also hatte sie sogar eine fast fehlerfreie Erscheinung, wenn man es so wollte. Trotzdem waren die Gesetze eindeutig, wenn es um Drachen ging. Der Weltenlenker verbat den Kontakt zu ihnen vollständig. Sie durften nicht mal als Sklaven, Soldaten oder Spielzeug verwendet werden. Er beschrieb sie als gefährlich, unkontrollierbar und eine Gefahr für die gesamte Menschheit. Vermutlich hatte er damit sogar ausnahmsweise mal recht. Sie waren gefährlich! Wenn sich ein Drache verwandelte, konnte er ganze Städte niederfackeln oder sogar Kontinente dem Erdboden gleich machen. Doch das taten sie nicht. Das schlimmste, was er jemals gehört hatte, dass einige Drachen mal Herden von Nutzvieh gerissen hatten. Er meinte sich zu erinnern, dass auch hier von totem Vieh gesprochen worden war. Erst vor einigen Tagen. Die Vermutung war gewesen, dass Wölfe oder andere Raubtiere diese gerissen hatten. Hammond vermutete nun aber eher, dass das Raubtier ein wenig größer gewesen war und auch schuppiger. Leandra lächelte: „Unser gemeinsamer Herr mag das Risiko. Selbst wenn es ihn den Kopf kostet.“ „Warum fliehst du nicht?“ „Was würde mir das bringen? Irgendein anderer Adliger würde mich aufgreifen und vielleicht noch schlimmer mit mir verfahren.“ Damit hatte sie durchaus recht. Über die Möglichkeiten brauchten sie nicht sprechen, welche die Menschen hatten, wenn es darum ging, möglichst grausam mit anderen Lebewesen umzugehen. Das hatte auch der Weltenlenker oft genug bewiesen, wenn er öffentlich ganze Familien enthaupten ließ – samt ihrer Kinder. Doch über solche Dinge sprachen sie nicht. Sie sprachen über gemeinsame Interessen, was sie zu ihrem gemeinsamen Herrn gebracht hatte. Leandra wollte wissen, weshalb Hammond Soldat geworden war und wieso er nicht weiter in der Hackordnung aufzusteigen versuchte. Es ging auch in die Richtung, was sie sich generell für ihre Zukunft wünschten. Vieles hoffnungslose Träume, doch sie gehörten ihnen ganz alleine, genauso wie der Augenblick ihres Kennenlernens. Nach dieser Unterhaltung folgten gefühlt tausende weitere. Hammond lernte von ihr Drakonisch – die Sprache der Drachen. Er hätte nie geglaubt, dass eine fremde Sprache so schwer zu erlernen sein könnte, doch Leandra versicherte ihm immer wieder, dass Drakonisch auch besonders schwer zu meistern sei. Vor allem, wenn man keine gespaltene Zunge besaß... Trotzdem gab sie sich alle Mühe, um ihm die Grammatik und auch die Aussprache beizubringen. Im Gegenzug zeigte er ihr, wie man Rechenaufgaben löste und die Gemeinsprache las. Es kam, wie es kommen musste – und wenn Hammond ehrlich war, bereute er es heutzutage ein bisschen – sie verliebten sich ineinander. Es dauerte nicht lange, da teilten sie sogar das Bett miteinander, was leichter klang, als es tatsächlich war. Bald wusste er, wieso die Drachen sich schwer damit taten, sich zu vermehren. Ihre Weibchen wollten erobert werden! Nicht, wie es Menschendamen wollten. Keine Komplimente, Geschenke oder Gedichte, sondern es war ein wahrhaftiger Kraftakt. Er hatte ihr beweisen müssen, dass er ihrer würdig war, indem er stärker war und blieb. Sie durfte ihn weder umreißen noch besiegen! Ansonsten wurde der Akt sofort beendet. Viele mochten sagen, dass das doch keine Herausforderung sein dürfte als Muskelberg mit der magischen Begabung eines Titanen, aber es war wahrlich schwer gewesen! Sie hatte sich aus Instinkten heraus jedes Mal gegen ihn gewehrt und ihre scharfkantigen Schuppen hatten viele Narben hinterlassen, ebenso wie ihre Nägel und Zähne. Er war trotzdem bei ihr geblieben. Sogar noch, als ihre Affäre schließlich ans Licht kam und ihr gemeinsamer Herr sehr deutlich machte, dass das sofort enden würde oder er ihre Köpfe forderte. Sie beendeten es nicht. Ihr Herr war bereit, ihre Köpfe zu fordern, doch irgendwie schaffte es Leandra, aus ihrer Zelle zu entkommen. Auf diesem Wege befreite sie auch Hammond aus seinem Käfig und sie ergriffen gemeinsam die Flucht. Von diesem Tag an waren sie Flüchtige vor dem Gesetz. Die Belohnungen, die ihr betrogener Herr für sie ausrief, waren gigantisch! Tod oder lebendig... Es war ein reizvolles Unterfangen, welches zahlreiche Kopfgeldjäger, Soldaten und sogar arme Bauern auf ihre Fährte brachte. Wenn die meisten Adligen auch nicht unbedingt klug oder weitsichtig waren, verstanden sie sich dennoch sehr gut darauf, Hetzjagden zu veranstalten. Nur kostete diese Jagd nicht den Gesuchten ihre Köpfe, sondern tatsächlich dem adligen Herrn, der sie beide so verabscheute. Durch die Steckbriefe und Panik-Macherei erfuhr der Weltenlenker nicht nur, dass ihm eine Sklavin abhandengekommen war und einen Soldaten dabei mitgerissen hatte, sondern auch, dass diese Sklavin eine Drachendame war. Er fackelte nicht lange, sondern reiste direkt zu dem Adligen und presste alle Informationen über Leandra und Hammond aus ihm heraus, die er bekommen konnte. Im Anschluss ließ er seinen getreuen Altan ihn einfach mit bloßen Händen den Kopf abreißen. Altan war selbst ein Inquisitor. Eine Kreatur, die durch den Weltenlenker erschaffen worden war und ihn abgöttisch liebte. Die Inquisitoren waren eigentlich – wie der Name schon verriet – für das Foltern zuständig. Nur war Altan das geliebte, erste Kind vom Weltenlenker und genoss eine besondere Stellung. Er war eine Art Leibwächter und Henker, wenn der Weltenlenker reiste. Hammond war Altan nie begegnet, doch er hatte ihn schon einige Male aus der Ferne gesehen, wenn öffentliche Hinrichtungen stattfanden. Über zwei Meter groß, Muskelberge, die seine eigenen lachhaft wirken ließen und überall Tattoos und Narben. Inquisitoren besaßen keine Iris, wodurch ihre Augen weiß waren mit einem schwarzen Punkt darin. Altan selbst hatte eine Glatze, doch Hammond wusste nicht, ob das auf alle seiner Art zutraf. Als wollte er seiner monströsen Erscheinung trotzten, trug er stets Roben mit Kapuzen, die er jeder Zeit aufsetzen konnte, wenn es nötig war. Noch viel unheimlicher als dieses dämonische Aussehen, waren die Waffen, die solche Wesen trugen! Zwar hatte Hammond bisher nur Altan gesehen – und er hoffte auch, dass er niemals andere seiner Art treffen würde – doch er wusste aus zuverlässigen Quellen, dass sie alle Waffen aus Mithril mit brutalen Widerhaken trugen. Schwerter, Äxte, Dolche... Sie waren so gefertigt, dass ihre Opfer möglichst lange, große Schmerzen erlitten ohne zu sterben. Das machte sie als Folterknechte immens effektiv. Als er ihn beobachtet hatte, waren ihm keinerlei Gefühle aufgefallen. Es konnten Frauen oder Kinder hingerichtet werden, doch Altan reagierte nicht darauf. Manchmal grinste er sogar, wenn sich die Opfer wanden und um Gnade bettelten! Das bestätigte die Quellen, dass Inquisitoren äußerst sadistisch veranlagt waren... Jedenfalls hatte eben dieser Inquisitor ihren verhassten, ehemaligen Herren getötet. Leandra und er hatten gehofft, dass damit auch die Hetzjagd auf sie endgültig enden würde, doch der Weltenlenker war sogar noch energischer hinter ihnen her. Er verdoppelte und schließlich verdreifachte er das Kopfgeld, welches auf sie ausgesetzt worden war. Hammond schrieb er als „Tod oder lebendig“ aus, doch Leandra wollte er lebend. Sie hatten oft und lange darüber gesprochen, weshalb er gerade sie lebend haben wollte, doch sie kamen niemals auf einen Nenner. Sie war sich sicher, dass es an ihren drakonischen Wurzeln lag, er dagegen vermutete, dass sie bewusst oder unterbewusst Informationen aufgeschnappt haben könnte, die für den Weltenlenker von Bedeutung waren. Die Zeit verstrich und niemand konnte sie gefangen nehmen. Nicht, dass es nicht zahlreiche Kopfgeldjäger, Bauern oder andere Mutige gewagt hätten, doch einen ausgebildeten Soldaten zusammen mit einem Drachen zu besiegen, stellte sich als eine Herausforderung heraus. Vor allem dann, wenn zumindest der Drache überleben musste. Das sah auch der Weltenlenker schließlich ein und zog die Aufforderung schlussendlich zurück, dass man sie lebendig zu ihm bringen sollte. Ihm reichten beide Köpfe. Eine Weile lang verschärfte dies die Jagd auf sie, doch irgendwann verrann das Ganze einfach im Sand. Sie fanden sogar ein Dorf weit abseits von allen Kopfgeldjägern und Steckbriefen. Es war wie ein Heim, welches Flüchtige aufnahm. Die Rasse, Herkunft und Motive waren vollkommen egal, so lange sie niemanden verletzten oder verrieten. Leandra und Hammond schlossen dort den Bund der Ehe und fanden schnell Freunde. Ebenso schnell schaffte er es, seine Frau zu schwängern. Nicht nur einmal! Zwei wunderbare Kinder kamen zur Welt. Ein Junge und ein Mädchen. Das Mädchen mit ebenso rotem Haar wie ihre Mutter und der Knabe mit schwarzen Locken. Sie waren sein ganzer Stolz! Für Hammond spielte es keine Rolle, dass sie gemischtrassige Kinder waren. Es war ihm auch egal, wessen Gene am Ende dominieren würden und ob sie sich mal in Drachen verwandeln konnten oder sie eine menschliche Gestalt behielten. Es gab durch seine Magieveranlagung und ihre auch große Chancen darauf, dass auch sie Magiebegabte sein könnten, jedoch war ihm auch das nicht wichtig. Er liebte seine Familie. Genauso, wie sie war. Das konnte ihm keiner wegnehmen. Nur leider machte er den entscheidenden Fehler davon auszugehen, dass er unantastbar geworden wäre. Dass die Jahre des Glücks für die Ewigkeit bestimmt waren. Eine Rechnung, die er ohne den Weltenlenker und dessen Kreaturen gemacht hatte. Wenn er nur einmal verharrt wäre, wäre ihm klar gewesen, dass sie nicht aufgaben. Jemand verriet ihren Aufenthalt und besiegelte damit das Schicksal aller Dorfbewohner. Als die Drachenhetzer und der Fessler kamen, waren sie weder gewillt zu verhandeln noch Gnade walten zu lassen. Sie töteten alle, die ihren Weg kreuzten. Ob Kind, Frau oder Mann spielte keine Rolle. Auch nicht, ob sie reinrassige Menschen oder Nichtmenschen waren. Es schien ihnen nicht solch eine Freude zu bereiten, wie den Inquisitoren das Foltern, aber sie waren auch nicht abgeneigt von der Panik. Drachenhetzer waren Bestien, welche für die Jagd für Drachen speziell geschaffen worden waren. Das verriet auch ihr unheilvoller Name. Sie konnten Drachen jeder Zeit erkennen, egal welche Gestalt sie annahmen. Außerdem besaßen sie eine eher schuppige Haut, welche sie vor Flammen und Angriffen schützte. Auf ihrer Brust trugen sie stets ein Brandmal, welches ihren Rang signalisierte. Ihre Waffe war stets eine Klinge mit Widerhaken, welche an einer stabilen Kette befestigt worden war. So hatten sie eine recht hohe Reichweite. Fessler hingegen waren anders. Auch sie waren vom Weltenlenker zu einem speziellen Zweck erschaffen worden. Sie sahen aus wie gewöhnliche Männer, doch wenn sie ihre Fähigkeiten einsetzten, zogen sich leuchtende Linien über ihre Gesichter und Körper. Die Farbe des Lichts signalisierte ihren Rang. Je höher ihr Rang war desto mächtiger waren auch ihre Fähigkeiten des Magiebindens. Leandra hatte es ihm so erklärt, dass Fessler die Verbindung zur Magie von anderen trennen konnten, indem sie diese an einen anderen Punkt banden. Die Dauer war abhängig von ihren eigenen Fähigkeiten und dem Magiepotenzial ihrer Gegner. Das machte deutlich, dass Fessler zur Ergreifung und Tötung von Magiebegabten erschaffen worden waren. In Kombination waren diese beiden Kreaturen definitiv tödlich! Und in diesem Fall waren es gleich mehrere Drachenhetzer. Dazu noch einige gewöhnliche Soldaten, die die Drecksarbeit für die Erschaffenen übernahmen. Hammond war an jenem Tag auf der Jagd gewesen, was er wohl bis zum heutigen Tag bereute und immer bereuen würde. Er kam zurück, als es schon zu spät war. Das Dorf brannte lichterloh! Es stapelten sich Berge von Leichen. Alles zerfiel. Er erinnerte sich noch sehr genau an den Anblick seiner verstorbenen Freunde. Ihre entsetzten, toten Gesichter. Kaum einer von ihnen hatte sich auch nur versucht zu wehren. Immerhin waren sie alle keine Kämpfer gewesen. Niemals wieder war der Soldat so schnell gelaufen, wie an diesem einen verheißungsvollen Tag. Er stürmte zu dem gemeinsamen Haus, welches bereits in Flammen stand. Die Leiche seiner Frau lag kopflos vor dem Eingang. Er erkannte sie nur an der Kleidung und weil einige der roten Haarsträhnen um ihre Leiche herumlagen. Die hatte sie entweder im Überlebenskampf verloren oder bei der Enthauptung. Letztendlich spielte es keine Rolle. Blanke Panik ergriff sein Herz, als er das brennende Haus erblickte und sich die Frage stellte: Wo waren meine Kinder? Gerade als sich Hammond wappnete, um das brennende Gebäude zu stürmen, erkannte er eine schemenhafte Gestalt, die aus den Flammen trat. Im Arm trug er sein kleines Mädchen, während sein Erstgeborener die Hand des Fremden hielt. Beide waren bedeckt mit Ruß, schienen allerdings unverletzt geblieben zu sein. „Lasst sie los!“, schrie Hammond voller Zorn und packte seinen Schwertgriff so fest, dass seine Handgelenke weiß anliefen. Der Mann lächelte. Sein Gesicht war schmutzig, aber nicht nur von dem Ruß, sondern auch von einfacher Erde. Das blonde Haar wirkte dunkler als es in Wahrheit war, ebenso wie dessen Bekleidung, die teilweise verbrannt schien. Die eisblauen Augen waren das einzige, was weder durch Schmutz noch durch den Qualm wirklich düster werden konnte. Es lag an dieser Freundlichkeit und Wärme, die er trotz dieses Chaos ausstrahlen konnte. Es sorgte dafür, dass Hammond vermutete, dass auch er zu dem Weltenlenker gehörte. Nur deshalb richtete er seine Waffe auf den Unbekannten. Doch es kümmerte ihn nicht. Er kam einfach weiter auf ihn zu und hielt ihm dann sein Töchterchen entgegen. „Was...?“, stammelte Hammond und steckte gezwungenermaßen die Waffe weg, um sein Kind entgegen zu nehmen. „Wer seid Ihr?“ „Kelvin.“, erwiderte der Mann und sorgte dafür, dass auch sein Sohn zu Hammond kam. „Aber wir sollten unser Kennenlernen verschieben. Ich habe noch etwas zu erledigen.“ Der blonde Mann, der sich als Kelvin vorgestellt hatte, deutete auf eine Kreatur, die auf sie zukam. Er sah aus wie ein gewöhnlicher Mann, doch das blaue Leuchten seiner Haut machte deutlich, dass es der Fessler war. Die Drachenhetzer waren offenbar mit dem Kopf von Leandra nach Götterherz zurückgekehrt. Die Hauptstadt des Weltenlenkers, in der sich seine Festung befand. Der Fessler war noch hier, weil Hammond bekanntermaßen ein Titan war. Er konnte dessen Magie binden und ihn dann ebenso töten wie dessen Frau. Offenkundig hatte man aber auch versucht, die gemeinsamen Kinder zu töten, was Kelvin vereitelt hatte. „Ihr Fessler seid immer so unhöflich.“, amüsierte sich Kelvin und zog zwei Dolche aus seinem Gürtel. „Immer brennt es, wenn ihr auftaucht.“ „Und ihr Rebellen seid einfach nur lästige, dumme Kreaturen, die ausgelöscht gehören.“, knurrte der Fessler und zog einige Wurfmesser. Obwohl der Fessler sicherlich geschickt war, verfehlte er mit seinen Klingen sein Ziel. Kelvin war ungemein schnell und preschte sofort voran, nachdem er den Angriffen ausgewichen war. Der Fessler zog zwei Sicheln und parierte den Angriff mit den Dolchen. Zwar konnte er Magie binden, doch Fessler waren nicht für Zweitkämpfe ausgelegt. Vermutlich verließen sie sich zu sehr auf ihre Gabe. Sie tauschten einige Schläge aus, während Hammond mit seinen Kindern nach einem sicheren Unterschlupf suchte. Er wollte nicht zwischen die beiden geraten und auch nicht von einstürzenden Häusern erschlagen werden. Es bestand auch die Gefahr, dass das Feuer sie einfach erstickte und das wäre qualvoll. Die Soldatenehre gebot Hammond trotzdem zu bleiben. Er beobachtete den Kampf der beiden Großmächte. Und wie mächtig dieser Kelvin eigentlich war, wurde ihm erst klar, als dieser Flammen beschwor und auf den schockierten Fessler schleuderte. Offenbar hatte er nicht bemerkt, dass er gegen einen Magiebegabten antrat. „Dein Fehler, Mischblut.“, zischte der Fessler grinsend. „Deine Macht kann ich binden.“ „Zumindest, wenn du es schaffst, mich zu berühren.“, konterte Kelvin. „Und dafür müsstest du mich erstmal zum Essen ausführen.“ Offenkundig war es die Absicht des Magiers gewesen, den Fessler auf seine Magie aufmerksam zu machen. Denn jetzt versuchte der Fessler nur noch, irgendwie an ihn heranzukommen, um seine Magie zu binden und seine Macht zu kontrollieren. Es war wohl die Arroganz solcher Kreaturen, die solch eine Gabe mit sich brachte. Doch Kelvin bewies, dass er nicht von seiner Magie abhängig war. Immer wieder wich er an Angriffen aus und verletzte seinen Angreifer entweder mit Feuer oder seinen Dolchen. So ermüdete er den Fessler immer mehr. Als er sich sicher war, dass sein Feind nicht mehr die Kraft hatte, allem auszuweichen, zeigte Kelvin sein ganzes Potenzial. Er erschuf eine Säule aus Flammen, welche er durch einen extremen Windstoß einfach auf die Bestie zuschleuderte. Der Fessler kreischte auf, als die Flammen ihn ergriffen. Mit einer Handbewegung schaffte er es sogar, die Erde aufzurütteln, sodass Sandkörner direkt in die Augen der Kreatur getrieben wurden. Die Blindheit nutzte Kelvin direkt aus und preschte voran, um die Dolche direkt neben dem Brustbein in den Körper hineinzudrücken. So würde er das Herz auf jeden Fall treffen und es nicht durch die Eile verfehlen. Im Anschluss riss er die Klingen aus dem Körper des entsetzten Fesslers, welcher auf seine Knie sackte. Er war der erste Essenzbeherrscher, welchen Hammond in seinem Leben jemals gesehen hatte. Zuvor kannte er lediglich Gerüchte. Hamm wusste, dass Essenzbeherrscher wahnsinnig selten waren und eigentlich nur in den höchsten Rängen in Adelshäusern zu finden galten. Zwar beherrschten sie alle Essenzen, doch nicht so gut wie ein Essenzmagier, der spezialisiert war. Er als Titan hatte mehr Möglichkeiten die Erde zu kontrollieren als es ein Essenzbeherrscher konnte. Nur hatte er gerade deutlich gezeigt, dass das kein Nachteil sein musste, denn er vereinte die einzelnen Essenzen einfach miteinander. Als Kelvin auf den Rest der kleinen Familie zukam, packte Hammond kurzzeitig Panik. Zwar hatte er zuvor seine Kinder gerettet und nun auch den Fessler ausgeschaltet, jedoch wusste er trotzdem nicht, welche Absichten er tatsächlich verfolgte. Das alles konnte auch ein dummer Trick sein, um sein Vertrauen zu gewinnen! Zugegeben: Es wäre ein außergewöhnlicher gut ausgeführter und brutaler Trick., überlegte Hammond verbittert und blickte nochmals zu den Überresten seiner geliebten Frau. Ihre Drachengene hatten sie nicht retten können. Genauso wenig wie er. „Wieso...?“, fragte Hammond mit trockenem Mund. „Wieso was?“, hinterfragte Kelvin. „Wieso sie gestorben ist oder ich geholfen habe?“ „Beides.“ „Nun, ich kam leider zu spät, um ihr noch zu helfen. Mich hatte interessiert, was der Weltenlenker vorhat und bin dem Trupp gefolgt, den er hierherschickte. Dadurch war ich dann natürlich weiter hinten. Deshalb kam ich zu spät, um Schlimmeres zu verhindern.“ „Warum es überhaupt versuchen?“, wollte der Soldat verbittert wissen. „Ist doch nutzlos.“ „Oh, das meint Ihr bestimmt nicht so!“, sagte Kelvin freundlich. „Vielleicht konnte ich nur Euch und Eure Kinder retten, aber das ist auch schon verdammt viel. Und es wird diesen Bastard echt ärgern.“ „Wieso tut Ihr das?“ „Der Fessler sagte es bereits: Ich bin ein Rebell. Ich tue alles, was den Weltenlenker ärgert.“ Hammond verstummte und musste zugeben, dass ein Teil sich wünschte, dass er ihn und seine Kinder hätte sterben lassen. Sie wären dann im Tod wieder mit Leandra vereint und mussten nicht lernen, ohne sie zu leben. Einer seiner Ausbilder sagte ihm mal, dass es einfach wäre zu sterben, doch nicht zu leben. Erst recht, wenn man ein Überlebender war. Damals hatte er es nicht verstanden, jetzt schon. Wie sollte er als Überlebender weitermachen? Was sollte er seinen Kindern über Leandra erzählen? Wie ihnen irgendwann beibringen, was sie getötet hatte? Seine Kinder waren potenzielle Drachen und wenn der Weltenlenker erfuhr, dass sie überlebt hatten, würde er sie noch energischer jagen als Leandra. Ihr Tod würde vermutlich noch hässlicher werden... Immerhin hatten die Bestien sie bei lebendigem Leib verbrennen wollen. Ein langsamer und qualvoller Tod. „Ich sehe doch, dass du nicht weißt, was du machen sollst.“, sagte Kelvin. „Es ist ganz einfach: Schließ‘ dich meiner Sache an!“ „Was?“, hinterfragte Hammond irritiert. „Wieso sollte ich das tun?“ „Um deinen Kindern eine Zukunft zu ermöglichen. Du könntest ihnen eine Welt hinterlassen, in der es sich zu leben lohnt.“ „Wie sollte ich das bitte machen?“, wollte Hammond bitter wissen. „Ich konnte nicht mal Leandra schützen. Und wie sollte ich rebellieren und gleichzeitig meine Kinder großziehen?“ „Andere Mütter schaffen ihren Weg auch alleine.“, warf der Blondschopf ein. „Außerdem wirst du dich von ihnen trennen müssen. Wenn ihr zusammenbleibt und herauskommt, dass deine Kinder leben, wird der Weltenlenker nicht nochmals die Chance versäumen, euch auszulöschen. Ihm wird klar sein, dass zumindest du noch lebst, weil sein Fessler nicht zurückkommt. Mit Kindern darfst du nicht gesichtet werden.“ Diese Wahrheit war grausam, doch notwendig. Er konnte sie nicht aufziehen. Nicht bei ihnen bleiben. Es wäre nicht sicher... Sie konnten nur dann zusammenbleiben, wenn der Weltenlenker abdankte und all seine Kreaturen mit sich nahm. Bis dahin musste er einen Unterschlupf für die Kleinen finden, um sie zu schützen. Und er musste weit, weit weg von diesem Unterschlupf sein. Genau das tat er schließlich auch. Und trotz all seiner Vorbehalte entschied er sich auch, Kelvin zu folgen und sich dessen Rebellion anzuschließen. Denn er hatte bei einer Sache vollkommen recht gehabt: Wenn er es nicht mal versuchte, dann musste er seine Kinder in einer Welt lassen, welche sie hasste und töten wollte. So gab es zumindest eine Chance, dass er ihnen einen besseren Ort hinterlassen konnte. All diese schrecklichen Ereignisse waren inzwischen sicherlich schon zehn oder zwölf Jahre her. Natürlich besuchte er ab und zu seine Kinder heimlich, die eine neue Familie gefunden hatten, doch ansonsten hielt er sich von ihnen fern. Kelvin war hingegen zu einem Freund geworden, der ihm neue Freunde verschafft hatte. Allesamt Rebellen, doch sie als Gruppe waren unschlagbar und ebenso unzertrennlich. Nur leider kam ihre Rebellion kaum voran. Ständig verloren sie Leute für ihre Sache. Entweder starben sie oder sie verloren einfach ihren Glauben daran, dass sie es schaffen konnten. Trotzdem wollte Hammond nicht aufgeben. Die Schuld an Leandras Tod zerfraß ihn jeden Tag ein bisschen mehr und er bereute, dass sie einander getroffen hatten, denn dann würde sie noch leben, doch das konnte er nicht ändern. Aber er konnte die Zukunft ihrer Kinder ändern. Das war er ihnen und ihrer Mutter schuldig...   Konstanin Maximilian von Rabenwacht war nun seit drei Jahren König im Reich Lebensberg. Der Name kam nicht irgendwo her, denn der Lebensberg ermöglichte tatsächlich das Überleben aller Reiche unter der Herrschaft vom Weltenlenker. Hier gab es Felder, Bauernhöfe, Nutzvieh in Massen. Nirgendwo gab es solch eine gesunde Flora. Ohne ihre ganzen Nahrungsmittel wären die Reiche längst einen Hungerstod gestorben. Genau das war aber auch das Konzept der Königreiche, die alle unter der Aufsicht des Weltenlenkers standen. Sie brauchten einander. Was das eine Reich im Überfluss besaß, hatte das andere gar nicht und umgekehrt. So bestand eine Abhängigkeit in dem zerbrechlichen Frieden zwischen ihnen. Der Handel war belebt, doch die Preise schwankten dennoch, weil es an den jeweiligen Reichen lag, Mengen und Preise festzulegen. Gab es eine Fehde zwischen den Herrschern, konnten einige Dinge wahrlich teuer werden. Der Lebensberg bot Nahrung im Überfluss, während Eisenheim enorme Erz-Aufkommen besaß und in der Waffen-Forschung ganz vorne mitspielte. Wobei Eisenheim eher eine gigantische, fortschrittliche Stadt mit zahlreichen Minen und Schächten war, besaß sie ein eigenes Politiksystem. Es war zudem das einzige Reich, welches zurzeit von einer Frau regiert wurde, da ihr Mann erst kürzlich ermordet worden war. Sie hatten keinen Erben. Der Weltenlenker schaffte es allerdings auch nicht, Isabella von Eisenheim zu vermählen, da sie sich strikt gegen die Kandidaten weigerte. Ihre Macht war so groß, dass er ihre Ablehnung nicht einfach niederdrücken konnte. Der einzige König, mit dem er befreundet war, war Leonard von Götterdorn. Seine Ressourcen war Holz, Möbel und die besten Handwerker im Gebiet der Holzbearbeitung. Doch das war es nicht, was sein Reich vor allem so beliebt machte, sondern die „Vergnügungsmöglichkeiten“, die nur er anbot. Er besaß eine Pferderennbahn, die keine wirkliche Pferderennbahn war. Es gab dort keine Pferde! Nur Menschen und Nichtmenschen, die nackt und in Zaumzeug Wettrennen machen mussten. Wie es bei Adligen so war, ging es aber natürlich auch nicht ohne die sexuelle Komponente. Die Hengste mussten Stuten besteigen und das oft genug unter Zuschauern. Oder Adlige bezahlten dafür, dass sie Sex mit einem Hengst oder einer bestimmten Stute haben durften. Soweit Konstantin es verstanden hatte, versuchte Leonard auch regelmäßig, seine „preisgekrönten Pferde“ miteinander zu verpaaren, damit ebenso „preisgekrönte Fohlen“ herauskamen. Dass das mit Menschen und Nichtmenschen nicht so funktionierte, wollte der Herrscher jedoch nicht hören. Interessant war auch das Reich von Melchior von Lohensturm. Er selbst war ein Essenzmagier – ein Drakonier, um genau zu sein. Aus diesem Grund konnte der König Feuer beherrschen, was ihn zu einer tickenden Zeitbombe machte. Da sein Temperament dem eines Drachen glich, hatten schon diverse Zofen Verbrennungen erlitten. Es hielten sich auch Gerüchte wacker, dass er selbst seine eigene Gattin schon mehrfach schwer verletzt hatte, wenn er wütend geworden war. Sein Reich brachte zahlreiche Essenzmagier hervor, die dort auch ausgebildet wurden. Alle mussten erst dem Weltenlenker angeboten werden, bevor sie einem anderen Reich zugeteilt werden durften, wenn dieser einen nicht wollte. Es war ironisch, dass ein Adliger dafür zuständig war, der seine eigenen Kräfte nicht kontrollieren konnte. Weniger eindrucksvoll war dagegen das Reich von König Khaleb Thonalas. Er bot keine besonderen Ressourcen an und war auch sonst nicht sonderlich beeindruckend. Es hielten sich sogar die Gerüchte darüber, dass dieser ein Mischblut sei. Soweit Konstantin wusste, war er dafür zuständig, eventuelle Dracheneier unterzubringen, schlüpfen zu lassen und im Sinne des Weltenlenkers auszubilden. Angeblich war Khaleb einst ein Krieger und Drachenreiter gewesen. Schwer vorzustellen, denn er litt inzwischen an starkem Übergewicht und frönte der Völlerei. Seine Dienste wurden ohnehin nicht gebraucht, denn es gab eigentlich keine Dracheneier mehr, die sich der Weltenlenker wirklich sichern konnte. Und natürlich gab es das Reich des Weltenlenkers selbst, in dem er alleine herrschte. Der Weltenbaum hatte mit Abstand das größte Heer, dazu kamen die selbsterschaffenen Kreaturen und sogenannte Götter, die vom Volk angebetet wurden. Ob sie wirklich Gottheiten waren, wusste Konstantin nicht. Er bezweifelte es allerdings. Generell zweifelte er an der Schreckensherrschaft des Weltenlenkers und an dessen Göttlichkeit. Doch seine Macht und wie weit sie sich eigentlich erstreckte, war nicht von der Hand zu weisen. Drei Jahre..., dachte Konstantin und fuhr sich seufzend durch seine braunen Locken. Es kam ihm noch gar nicht so lange vor. Eigentlich fühlte es sich eher so an, als wäre es gestern gewesen, als der Weltenlenker ihn nach Götterherz rief. In der Hauptstadt des Weltenlenkers gab es Heimdall, seine gigantische Festung. Hier lebten auch all seine Kreaturen. Nahe von Heimdall wohnten die vermeidlichen Götter, die unter dem Weltenlenker dienten. Um Heimdall herum erstreckten sich zudem die Adels-Viertel. Sie waren nicht groß, aber imposant. Alle Häuser hatten in ihrer Führung jene, die fest an den Weltenlenker glaubten oder ihm zumindest treu ergeben waren. Doch das war nicht das, was Konstantin bei seinem Aufenthalt dort im Gedächtnis geblieben war. Es war die Armut gewesen, die sich innerhalb der Mauern von Götterherz erstreckte. Alle litten Hunger, unter Verlusten und konnten sich kaum Holz für den Kamin leisten. Genug verkauften sich freiwillig an das örtliche Kolosseum, um wenigstens an ein paar Silbermünzen für ihre Familie zu kommen oder sie versuchten es mit Diebstahl. Beides absolut tödliche Unterfangen für einfache Leute ohne besondere Gaben! Überall hatte es gestunken. An fast jeder Ecke standen Nichtmenschen mit gesenkten Köpfen und Brandmalen, welche sie als Sklaven kennzeichneten. Einige waren Sexsklaven aus Bordellen, andere sollten den Unrat von den Straßen entfernen. Natürlich gab es dann noch die Sklaven, welche Adlige auf ihren Einkäufen begleiten mussten. Sie mussten dann dafür sorgen, dass kein Dreck und keine Fremden an sie herankamen und natürlich alles schleppen. Einige Sklaven wurden sogar auf öffentlicher Straße vergewaltigt. Es war wie ein Weg der Schande! Mit viel Schamgefühl hatte er Heimdall betreten und es vermieden, den Kreaturen dort in die Augen zu blicken. Alle Geschöpfe des Weltenlenkers waren blutrünstig und nymphoman. Reizte man sie, dann wurde man entweder zerstückelt oder vergewaltigt. Konstantin war beides nicht recht. Die wenigen menschlichen Soldaten schienen die Devise des damaligen Prinzen zu teilen. Auch sie wagten keinen Blickkontakt mit den Bestien. Als er den Thronsaal des Weltenlenkers betrat, stellte Konstantin überrascht fest, dass sein Vater auch dort war. Er sah aus, als habe man ihn Tage lang gefoltert und schwer misshandelt. Schweiß ließ ihn feucht schimmern. Neben ihm stand Altan, dessen weißen Augen ihm eiskalt entgegen starrten, als der unsichere Prinz näherkam. Auf dem Thron saß der Weltenlenker. Er wirkte gepflegt und ein bisschen so, als wäre er mental nicht wirklich anwesend. Als wäre er weit, weit weg von hier. Sein schwarzes Haar stand im Kontrast zu seiner recht hellen Adelskleidung, bei der Weiß und Gold dominierten. Jedoch hoben sich seine durchdringenden, grünen Augen, als ihm bewusst wurde, dass sein geladener Gast angekommen war. „Konstantin.“, sagte er mit einer erschreckend sanften Stimme und winkte den Prinzen heran. „Ich befürchtete schon, dass du nicht auftauchen würdest.“ „Euer Gnaden...“, murmelte der damals 28-jährige Prinz verunsichert. „Was ist denn bitte hier los?“ „Nun, dein Vater hatte uns eine Menge zu berichten. Maximilian wurde wirklich geschwätzig, nachdem er-... Sagen wir einfach, dass er etwas die Zweisamkeit mit Altan genießen durfte.“ Der besagte Inquisitor grinste dreckig und stieß den König an, der wie ein kleiner Junge wimmerte und bettelte. Soweit Konstantin wusste, war sein Vater vor einer Woche aufgebrochen, um nach politischen Ehepartnerinnen für ihn Ausschau zu halten. Zwar hatte er seinen eigenen Sohn vor einigen Jahren enterbt, doch da er keinen weiteren Thronerben bekommen hatte, musste er doch Vorkehrungen treffen. Offensichtlich war die Reise aber eine Tarnung gewesen oder der Weltenlenker hatte ihn abgefangen. Maximilians Zustand ließ vermuten, dass er mindestens drei Tage hier gewesen sein musste. Mehr brauchten Inquisitoren in der Regel auch nicht, um ihre Opfer zum Reden zu bekommen. „Weil er mich enterbt hat, Mylord...?“, stammelte der Braunhaarige unsicher. „Ich habe viel Unsinn angestellt. Er wollte das korrigieren.“ Der Weltenlenker lächelte müde und zog die Augenbraue in die Höhe: „Denkst du denn, dass mich solche Sachen wirklich interessieren? Solange er einen Thronfolger hat, kann er so viel enterben, wie er möchte. Am Ende bekommst du trotzdem die Krone.“ „Worum geht es denn dann?“ „Also weißt du es wirklich nicht?“ Konstantin wurde still und blickte hilfesuchend zu seinem Vater, der aber nur den Boden anstarrte, als wäre dieser sehr interessant. In dessen Augen konnte er sehen, dass er einfach nur gebrochen worden war. „Er sagte so etwas auch...“, murmelte der Weltenlenker und lehnte sich gelangweilt zurück. „Er hat meine Ideale verraten. Schon einige Jahre lang. Das kann ich natürlich nicht dulden. Das ist Verrat.“ Jetzt war der Prinz noch verwirrter. Sein Vater hatte ihm ständig gepredigt, dass er sich an die Gesetze des Weltenlenkers halten müsste! Es war kaum vorstellbar, dass er sich vielleicht selbst nicht daran gehalten haben könnte. „Ich weiß immer noch nicht, weshalb ich hier bin, Euer Gnaden.“, gestand der Prinz schließlich. „Ich habe mit der Politik nichts zu tun.“ „Das wird sich ab heute ändern.“, erwiderte der Weltenlenker und hob seine Hand. Offenkundig war das ein abgesprochenes Signal für Altan, der einen alten, rostigen Dolch zog. Pervers grinsend setzte er sie an den Hals seines Vaters an und begann langsam zu schneiden. Die Schmerzensschreie und das Betteln um Gnade seines Vaters würde Konstantin vermutlich niemals vergessen. Noch weniger das Gurgeln, als dessen Hals sich mit seinem eigenen Blut füllte und er daran zu ersticken drohte! Irgendwann wurde es einfach still. Alles schien plötzlich rot zu sein. Besudelt mit all dem Blut... Konstantin merkte erst, dass er die Luft angehalten hatte, als ihm schwindelig wurde. Dann erst zwang er sich wieder Luft zu holen. Als er an sich hinabblickte, entdeckte er einige Blutspritzer, die von seinem Vater stammen mussten, dessen Leichnam von Altan zu Boden geschleudert wurde. „Komm‘ zu mir, mein Junge.“, säuselte der selbsternannte Gott und winkte den Prinzen heran. Wie in Trance folgte er dem Befehl, konnte dabei aber den schockierten Blick nicht von seinem Vater abwenden. Er sah nur noch all das Blut! Einst war sein Vater ein strenger, majestätischer und intelligenter Mann gewesen. Dominant und durchsetzend. Niemand hatte es jemals gewagt, seine Befehle infrage zu stellen oder ihm zu widersprechen. Abgesehen von seinem eigenen Sohn. Doch nun lag er da. Reglos und mit panisch geweiteten Augen, welche bald milchig werden würden. Keine Anmut mehr, keine Erhabenheit. Kein tadelnder Blick. Kein Vortrag darüber, dass man sich nicht aus dem Schloss schlich oder die Kleider von Dienerinnen stahl, wenn diese irgendwo badeten. Er würde mir jetzt sagen, dass ich stark sein müsste. Dass ich nicht die Leiche so anstarren darf..., dachte Konstantin verbittert, schaffte es aber trotzdem nicht, seinen Blick zu lösen. Beinahe wäre er sogar noch gegen den Weltenlenker gelaufen, wenn Altan ihn nicht sehr grob mit der Hand gestoppt hätte. Der Inquisitor grinste immer noch. Der Prinz wusste, dass er ihn nicht angreifen durfte und er eh keine Chance hätte. Altan war die Nummer Eins des Weltenlenkers. Der Anführer aller Inquisitoren. Sein Lieblingskind! Er würde alles für ihn tun. Umgekehrt war es genauso. „Konstantin.“, schnurrte der Weltenlenker sanft und lenkte so seine Aufmerksamkeit auf ihn. „Du würdest mich doch sicherlich niemals hintergehen, nicht wahr? Dein Herz ist doch viel zu rein, um mich genauso zu enttäuschen wie dein nutzloser Vater, oder?“ Wieder wurde es still. Der Prinz öffnete seinen Mund, doch es kam kein Wort heraus! Er wollte es wirklich, doch der Schock saß so tief, dass er es einfach nicht schaffte. Zumal da viele andere Dinge waren, die er seinem Gegenüber gerne direkt ins Gesicht donnern wollte. „Beruhige dich, mein Kind. Ich habe nicht vor, euch gemeinsam zu Grabe zu tragen.“ „Was-... Was wollt-... Ihr dann...?“, hinterfragte Konstantin krächzend. In diesem Augenblick kam er sich wenig männlich vor. Er wusste nicht, ob irgendjemand nach so einem Szenario mehr Fassung hätte bewahren können. Der Weltenlenker lächelte zuversichtlich und erhob sich dann. Er war ein imposanter, großer Mann, dessen Statur von viel Training sprach. Zwar hatte Konstantin gehört, dass er ein ausgezeichneter Kämpfer sein sollte, hatte ihn aber niemals in Aktion gesehen. Bisher übernahmen stets seine Bestien die Drecksarbeit für den selbsternannten Gott. Trotzdem konnte keiner abstreiten, dass er ein gutaussehender Mann war, der Erhabenheit, Dominanz und Macht ausstrahlte. Wären da nicht all die Grausamkeiten, die er regelmäßig allen Lebewesen antat, wäre da Potenzial. „Du sollst seinen Platz einnehmen, mein Junge.“, hauchte er ihm entgegen und strich ihm über die Wange, als wäre er nun sein Sohn. Konstantin widerte das an, doch er war außerstande etwas dagegen zu tun. Also fuhr der Weltenlenker fort: „Und du wirst es besser machen als er. Du wirst meinen Regeln folgen, dann wirst du auch belohnt werden. Solltest du allerdings nicht gehorchen... Nun, ich denke, dass ich dir nicht erklären muss, was ich dann mit dir anstelle und allen, die du liebst.“ Konstantins Mund wurde ganz trocken, während er vor seinem geistigen Auge nochmals das Szenario durchging, welches Altan ihm geboten hatte: „Ich-... Ich habe verstanden...“ „Gut.“, sagte der Weltenlenker zufrieden. „Dann wirst du mit mir zu Abend essen, nachdem ich dich offiziell gekrönt habe. Morgen früh kehrst du dann nach Rabenwacht zurück und übernimmst den Thron. Selbstverständlich ist dein Rat bereits darüber informiert, dass die Thronfolge etwas... beschleunigt wurde. Sie bereiten bereits alles für dich vor. Außerdem habe ich eine nette Adelstochter für dich gefunden, die du übermorgen ehelichen wirst. Du siehst also, dass ich dir niemals etwas Böses wollte, Konstantin.“ „Natürlich, Euer Gnaden...“, presste der Prinz heraus und rang um Fassung. Alle Fasern in seinem Körper wollten sich auf den selbsternannten Gott stürzen. Er wollte ihn umbringen! Doch angeblich war dieser Mann unsterblich, also würde es ihm nichts nützen. „Ach ja...“, hang der Weltenlenker heran, der sich gerade die Krone von Konstantins Vaters entgegennahm. „Du wirst außerdem das Geschenk der Langlebigkeit erhalten, damit du auch lange auf dem Thron verweilen kannst. Dein Vater braucht sie ja nicht mehr.“ Unberührt wischte er die Krone sauber, die voll mit dem warmen Blut war. Im Anschluss setzte er diese auf den braunen Lockenkopf drauf und ratterte einen Eid herunter, den Konstantin wiederholen musste. Dann war die Übergabe des Amtes offiziell und er hatte sein Erbe letztendlich doch antreten müssen. Die Leiche allerdings durfte er nicht mitnehmen. Der Weltenlenker wollte nicht ausführen, weshalb, doch aus irgendeinem Grund wollte er den Leichnam in Heimdall behalten. Deshalb gab es eine Beerdigung ohne die Leiche des einstigen Königs. An sich ein Skandal! Doch er konnte es genauso wenig ändern wie den Tod seines Vaters. Es kam dem jungen König außerdem so vor, als wollte der Weltenlenker ihn nur noch zusätzlich quälen. Die besagte Frau, die er ihm zur Gemahlin machte, war genau der Typ Frau, den er schrecklich fand. Immerzu am Plappern, ständig versuchte sie in seine Nähe zu kommen und nicht gerade bestrebt, sich zu bilden. Sicherlich war das für einige Männer genau das, was sie suchten, doch er schätzte Intelligenz mehr als Schönheit. Und wenn er ehrlich war, fand er sie nicht mal außergewöhnlich schön. Eher wie ein Mauerblümchen... Elizabeth war vieles, aber gewiss nicht besonders oder strebsam. Ihre Leidenschaft war das Nähen, was in seinen Augen absolut gewöhnlich war für eine Frau ihres Standes. Generell wollte man das weibliche Geschlecht in gewisse Rahmenbedingungen zwängen. Sie sollten kochen, nähen und schweigen. Konstantin mochte Frauen, die diesen Regeln zuwiderhandelten. Wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, kam er generell nicht gut mit Frauen aus. Sie waren oftmals klug, zielstrebig und waren ohne Zweifel das schönere Geschlecht, doch er sagte immer irgendwas Dummes und erregte ihren Zorn! Außerdem schaffte er es nicht, in ihrer Gegenwart erregt zu werden. An seine Hochzeitsnacht mit Elizabeth erinnerte er sich wahrhaftig sehr gut. Die Zeugen hatten lange bleiben müssen, bis sie endlich ihr Ziel erreicht hatten. Danach hatte sich der König eher vergewaltigt gefühlt. Vermutlich ging es Elizabeth damit nicht anders... Leider nicht das erste Mal. Sein Vater hatte verzweifelt versucht, ihm die Freuden des weiblichen Geschlechts näherzubringen. Ständig hatte er ihm Dirnen ins Zimmer geschickt und sein damaliger bester Freund, hatte bei dem Ganzen auch noch mitgewirkt! Er hatte Frauen ausgesucht oder sogar selbst welche bezahlt, damit er seine Jungfräulichkeit verlor. Und nun bist du seit drei Jahren nicht mehr auffindbar, Theodor..., dachte Konstantin verbittert. Gerade dann, wenn ich dich am meisten gebraucht hätte. „Konstantin!“, hörte er eine schrille Frauenstimme seinen Namen rufen. Vielleicht war ihre Stimme gar nicht so schrill, denn der Kopf machte viele Dinge, wenn man jemanden nicht mochte. Kurz darauf stand Elizabeth vor ihm. Ihr langes, braunes Haar wirkte kraus, als würde der Stress sich darauf auswirken. Seit ihrer Hochzeitsnacht hatten sie keinen Sex mehr gehabt und ihre biologische Uhr sagte ihr, dass sie schwanger werden musste. Das wirkte sich auch auf ihr müdes Gesicht aus. Konstantin musste gestehen, dass selbst ihre Kleiderwahl mal besser gewesen war. Es war ein langweiliges, grünes Adelskleid, welches ihrer Figur nur wenig schmeichelte. Eigentlich war sie schlank, doch das Kleid trug wirklich unglücklich auf! Es konnte ein trauriger Versuch sein, für Außenstehende schwanger zu wirken. Sie konnte eine Fehlgeburt vortäuschen, damit es zumindest so aussah, als versuchten sie einen Erben zu zeugen. „Elize...“, presste der König ohne Wertschätzung heraus. „Kannst du bitte ein paar Oktaven tiefer gehen?“ „Oktaven...? Was?“ „Es täte dir wirklich gut, wenn du mal ein paar Bücher lesen würdest, Elize.“ Ihr Gesicht wurde sofort bleich, während ihre Augen leicht glasig wurden. Innerlich tat es dem König etwas leid, dass er stets so hart zu ihr war, doch anders konnte er seine unliebsame Gattin nicht auf Abstand halten. Sonst hing sie den ganzen Tag an ihm und kam auf die Idee, sie könnten sich doch ein Bett teilen! Das war für ihn keine Option... „Ist es wahr...?“, wollte sie dann mit verletzter Stimme wissen. „Hast du das Gesetz wirklich in Kraft gesetzt?“ „Welches meinst du genau? Ich verabschiede fast täglich Gesetze und Gesetzänderungen.“ „Das weißt du genau!“, keuchte Elizabeth atemlos. „Hast du wirklich die Sklaverei und Nichtmenschen-Verfolgung verboten?“ „Ach, das...“, murmelte der König. „Ja, das ist wahr. Der Lebensberg gilt ab heute ganz offiziell als Zufluchtsort für Nichtmenschen und Gejagte. Das war vorher auch schon so, aber eben im Geheimen...“ „Der Weltenlenker wird das als Verrat ansehen.“ „Vermutlich.“ „Er wird sich an uns rächen!“, krächzte die Königin mit ihrer Hand am Herzen. Wenn er so weitermachte, würde sie bald einen Infarkt bekommen. Wenn Konstantin ehrlich war, wäre es nicht schade drum. „Kann schon sein.“, gestand er mit einem seltsamen Anflug von Wut. „Aber das ist mir ziemlich egal. Zumal er mich bestrafen wird, nicht dich. Du hast damit ja nichts zu tun.“ „Glaubst du, dass ihn das interessiert? Immerhin bin ich deine Frau.“ „Auf dem Papier.“, erinnerte er sie. „Ja, von mir aus auch das...“, stammelte Elizabeth erneut verletzt. „Trotzdem wird er das an allen hier auslassen. An dir, mir und deinem Volk.“ Auch wenn der König sich dafür hasste, spürte er Wut in sich aufkochen. Er sprang von seinem Thron und kam bedrohlich auf seine Gattin zu, die sofort zurückwich. Einen Augenblick lang glaubten sie wohl beide, dass er ihr nun eine scheuern würde, doch er riss sich zusammen. „Wage es nie wieder, mich an die Konsequenzen zu erinnern.“, zischte er wütend. „Ich habe gesehen wozu er fähig ist! Ich habe Angst vor ihm, ja. Ich fürchte mich davor, dass er sich für diese Schritte rächen wird. Aber es ist das Richtige! Ich weiß, dass du an ihn glaubst, Elize. Ich weiß, dass du zu ihm betest. Mir ist auch bewusst, dass du ihm häufig Informationen über mich zugespielt hast. Das ist deine Sache und geht mich nichts an, aber wage es nicht, mir sagen zu wollen, was für mein Volk das Beste ist und wie ich zu regieren habe.“ Elizabeth schämte sich offenkundig. Schweigend verbiss sie sich auf ihrer Unterlippe, während Röte ihre blassen Wangen flutete. Sie kam nicht viel heraus. Nicht ungewöhnlich für eine Adlige, doch Konstantin fand das fatal. Er selbst war gebräunt. Er war oft draußen und mischte sich unter das Volk. So konnte er sich umhören und für sie handeln. Außerdem konnte er sich so von dem Gewicht der Krone erholen. Schnaubend drehte sich der König um und ging ein paar Mal auf und ab. Vielleicht hatte Elizabeth recht und es war nicht fair gewesen, das ohne sie zu entscheiden. Sie war natürlich in Gefahr. Das waren sie alle. „Es-... Es tut mir leid...“, wimmerte seine Frau schließlich und gab nach. „Ich wollte nicht... anmaßend erscheinen.“ „Mit deinen Einwänden oder der Spionage?“ „Beides...“ „Du gibst es also zu, dass du der Informant des Weltenlenkers bist?“ Sofort wich ihr wieder jegliche Farbe aus dem Gesicht, während sie den König entsetzt anstarrte, der immer noch unruhig auf und ab ging: „Aber-... Eben hast du doch gesagt, dass-... dass du es wüsstest!“ „Ich hatte lediglich einen Verdacht.“, erwiderte Konstantin gelassen. „Und ich habe hoch gepokert und gewonnen.“ Seine Gattin lehnte die Hand vor den eigenen Mund und wirkte absolut verzweifelt. Er konnte sich denken, was in ihren Kopf vorging. Sie malte sich aus, ob er sie nun umbringen würde oder den Job an einen Attentäter vergab. Das würde wohl jeder Mann machen, dessen Frau ihn derartig verraten hatte, wie sie es getan hatte. Doch ist es wirklich Verrat, wenn jemand zu seinem Gott geht und ihm von den Sünden ihres Mannes berichtet? Sich um die eigene Seele sorgt?, fragte sich Konstantin innerlich. Wohl eher nicht. Sie glaubt an seine Göttlichkeit. Sie glaubt so sehr daran, wie ich an die Freiheit glaube. Ein Teil von ihm wollte sie dennoch weiter quälen. Sie dafür bestrafen, dass sie so an einem Mann hing, der ihm alles entrissen hatte. Der dafür gesorgt hatte, dass der König seit drei Jahren jede Nacht Albträume vom Tod seines eigenen Vaters hatte. Wenn nicht das, dann träumte er, dass dieser ihn heimsuchte und wissen wollte, wieso sein feiger Sohn seinen Tod nicht rächte. Seufzend winkte er ab: „Du kannst gehen. Elize. Und sei unbesorgt: Ich lasse dich nicht umbringen. Du glaubst an ihn und das respektiere ich.“ „Danke!“, kreischte sie schrill und erleichtert auf. In diesem Augenblick hielt sich der König die Ohren zu und sah sie eiskalt an. Der Blick reichte, damit Elizabeth einen Knicks machte und davoneilte. Ihre Gangart strahlte ihre Erleichterung aus. Ob sie dem Weltenlenker weiterhin Informationen zuspielen würde, wusste Konstantin nicht. Wenn sie zumindest ein bisschen intelligent war, dann würde sie den Bogen nicht weiter überspannen. Leider ist sie wohl nicht besonders klug..., dachte er seufzend. „Durell!“, rief der König schließlich deutlich. Es dauerte nicht lange, da stolperte ein junger Mann in den Thronsaal. Durell war ein attraktiver, junger Mann von gerade mal vierundzwanzig Jahren. Er hatte dunkelbraune Locken, die etwas länger waren als vom König. Sein drei-Tage-Bart ließ ihn ein bisschen verwegen wirken, auch wenn er das eigentlich gar nicht war. Konstantin würde ihn eher als offenes Buch beschreiben. Ein offenes, ehrliches und wirklich intelligentes Buch, welches ein hohes Verständnis für Politik besaß. Außerdem war er ein ausgezeichneter Krieger! Durell hatte bereits zahlreiche Duelle gegen Kämpfer gewonnen, die älter und erfahrener waren als er. Auch in diversen Schlachten und Scharmützeln hatte er seinen wahren Wert unter Beweis gestellt. Besonders beeindruckend fand Konstantin, dass er seine eigenen Wölfe züchtete und sie im Kampf einsetzte. Einige wurden sogar zum Schutz eingesetzt. All das hatte ihm eine hohe Stellung eingebracht. Nach seiner Krönung hatte er den jungen Mann zum Hauptmann seiner Leibwache gemacht. Einige Monate später wurde er so etwas wie seine rechte Hand, die ihn vertrat, wenn er mal keine Zeit hatte oder eine Pause vom Thron brauchte. Viele hatten Konstantin dafür verurteilt, dass er diese wichtige Position einem halben Kind anvertraut hatte, doch es war gut gewesen, dass er nicht gehört hatte. Durell war einfach perfekt! Seit er seinen Dienst angetreten hatte, war kaum noch jemand unbemerkt in das Schloss hereingekommen. Geschweige denn, dass es jemand verließ ohne sein Wissen. Die Wachposten waren stets gut verteilt, aber dennoch so unauffällig, dass sie den täglichen Ablauf nicht störten. Durell selbst schien kein Privatleben zu haben. Wenn er nicht schlief oder aß, dann war er in der Nähe seines Königs. „Ihr wollt doch nicht doch, dass wir Eure Gattin ermorden lassen, Majestät?“, hinterfragte Durell unsicher. Konstantin musste schmunzeln, als er seine Augen langsam zu ihm lenkte: „Hast du wieder gelauscht?“ „Ähm... Nein?“ „Sehr überzeugend, Durell.“, spottete der König amüsiert. „Nein, ich halte mein Wort. Mir wäre es lieber, du würdest mich erstmal vertreten. Ich muss etwas nachdenken.“ „Natürlich, Majestät.“, sagte Durell und salutierte loyal. „Soll ich in der Zeit etwas Bestimmtes für Euch erledigen?“ „Nein, kümmere dich nur um alle Anfragen, die in meiner Abwesenheit gestellt werden. Sollte es was Dringendes sein, findest du mich in den Kellergewölben.“ „Ich habe verstanden. Aber ich muss darauf bestehen, dass Ihr-...“ Konstantin winkte ab: „Ja, ja, ich werde zwei deiner Wachen mir folgen lassen.“ Durell wirkte wahnsinnig erleichtert, als er das ohne Diskussion zugestand. Das war bei dem König nicht immer so einfach! Ständig wollte er seinen Kindskopf durchsetzen und das am liebsten ohne irgendwelche Zeugen. Natürlich eine gefährliche Eigenart für einen Adligen. Wenn etwas passierte, wäre jedoch der Hauptmann der Leibwache schuld und nicht der König selbst, der den Schutz ablehnte. Vorsichtig nahm er die Krone von seinem Schopf und legte sie auf ein Samtkissen, welches neben dem Thron aufgebahrt war. Wenn dort die Krone lag, wussten fast alle, dass der König gerade unterwegs war und Durell der Ansprechpartner für alle Eventualitäten war. Die Regel war klar: Trug Konstantin nicht seine Krone, war er gerade auch nicht der König. In diesem Zeitraum wollte er wie jeder andere behandelt werden und mal seinen Kopf klarbekommen. Der Hauptmann setzte sich derweil auf den noch warmen Thron und legte die behandschuhten Hände auf dessen Lehnen. Er würde solange hier verharren, bis Konstantin ihn von dieser Pflicht entband. Es gab keinen besseren Zeitpunkt, um den Keller aufzusuchen. Elizabeth würde vorerst schmollen, Durell kümmerte sich um die königlichen Angelegenheiten und Konstantin brauchte dringend etwas Zerstreuung. Obwohl wahrscheinlich irgendwann jemand einen Herzinfarkt bekommt, weil ich ständig runterkomme..., sinnierte er schmunzelnd. Seine heutigen Wachen folgten ihm mit etwas Abstand und versuchten unauffällig dabei zu erscheinen. Konstantin nahm sie wahr, würde sie aber nicht für ihre Arbeit anschreien. Sie taten nur ihre Pflicht. Dass er sich nach einunddreißig Jahren ständiger Verfolgung, Überwachung und Tadel immer noch nicht an Leibwächter und unterwürfige Blicke gewöhnt hatte, war eindeutig sein Problem. Einige Zofen, die den König erkannten, wichen ihm sofort aus. Kaum einer wagte es auch nur, ihn zu grüßen. Seine Regel hatte sich bisher leider nicht gut integriert. Alle sahen immer nur den König, wenn er die Flure entlangkam und behandelten ihn so, als wäre er aus Porzellan. Deshalb liebte er die Kellergewölbe, zu denen er die Treppen schnell herabnahm. Hier unten gab es kaum Zofen oder andere Diener. Hier waren die Trainingsräume der Soldaten. Ebenso einige Gemächer für jene, die in Rabenwacht kein Haus hatten, weil sie aus einem anderen Ort im Lebensberg stammten. Auch die Waffenkammern befanden sich größtenteils hier unten, damit im Ernstfall alle Soldaten schnell bewaffnet und in Rüstung waren. Draußen gab es natürlich auch noch Höfe, auf denen trainiert werden konnte. Einige Übungspuppen, aber auch Gelände für Reit- und Bogenübungen. So etwas konnte man nicht innerhalb der Schlossmauern machen. Geschweige denn von der Ausbildung von Essenzmagiern, die sich seiner Armee anschließen wollten. Ihre Magie hatte in vier Wänden definitiv nichts zu suchen! Viele von ihnen konnten mit ihren Kräften noch nicht umgehen, weil sie vor dem Weltenlenker auf der Flucht waren und deshalb nie trainieren konnten. Dafür hatte er einige hohe Magister hier, die sich ihrer annahmen. Wenn Konstantin ehrlich war, hatte er inzwischen ein unerwartet großes Heer erhalten. Viele von ihnen waren vielleicht nur irgendwelche Flüchtige, doch sie waren ungemein dankbar. Hätte er ihnen kein Asyl gewährt, dann wären sie nicht nur mittellos, sondern vermutlich auch längst tot. Loyalere Soldaten konnte man also kaum finden. Etwas, was dem Weltenlenker sicherlich nicht gefallen würde, der selbst die größte Armee für sich wollte. Gedankenverloren strebte Konstantin einen bestimmten Trainingsraum an. Hier fanden zumeist Duelle statt. Natürlich zur Übung von Frischlingen oder zum Kräftemessen zweier Krieger. Soweit der König wusste, wurden so auch oftmals Streitigkeiten zwischen den Soldaten geklärt. So oder so: Es war immer wieder faszinierend, bei den Kämpfen zu zusehen. Anders als Show-Kämpfe, war hier die Leidenschaft vollkommen echt und man konnte etwas lernen. Bei diesen Duellen war eigentlich auch stets der Hauptmann der Armee anwesend. Benedikt Galvin Graufell. Auch ein junger Mann von gerade mal neunundzwanzig Jahren. Natürlich war sein Rat auch bei ihm dagegen gewesen, dass er diesen hohen Rang erhielt. Nicht nur, weil er so jung war, sondern auch wegen seines Charakters. Es war durchaus bekannt, dass Benedikt ein Problem mit dem Alkohol hatte. Unter dessen Einfluss kam es häufig zu Streitereien in Schenken und er prügelte sich auch gerne mal. Das machte ihn aber nicht zu einem schlechteren Kämpfer oder Anführer! Konstantin hatte etwas in ihm gesehen, was sonst keiner gesehen hatte. Er hatte nicht das blonde Haar gesehen, welches durch den ständigen Dreck und Schlamm eher braun wirkte. In seinen Augen war nicht das schmutzige, aber maskuline Gesicht gewesen. Sein nicht gerade moderner Kleiderstil hatte für den König keine Rolle gespielt. Stattdessen hatte er einen Mann mit Potenzial entdeckt. Jemand, der eine Aufgabe brauchte, durch die er vollkommen aufblühen konnte. Etwas, woran er glauben konnte. Vielleicht hatte das noch nicht seinen Alkoholkonsum geschmälert, doch zumindest war er generell ruhiger geworden. Was noch viel wichtiger war: Konstantins Soldaten waren besser denn je! Sie alle liebten ihren Hauptmann, der sich ihnen gegenüber eher wie ein Freund verhielt, aber im richtigen Augenblick einen strengen Umgangston nutzte. Sie waren ihm gegenüber absolut loyal und würden vermutlich sogar Bauchtanz lernen, wenn er es wollte. Heute aber kämpfte nicht Benedikt im Ring. Er stand nahe am Rand der Arena und beobachtete zwei Neulinge, die mit Holzschwertern versuchten, aufeinander einzuschlagen. Es sah ein bisschen aus wie zwei Jünglinge, die mit Stöckern im Wald Krieg spielten. Die meisten Hiebe gingen einfach in die Luft! Die Soldaten am Rand feuerten die beiden an und wollten sie motivieren, mal richtig loszulegen. Die Rekruten zeigten aber deutlich, dass sie einander nicht verletzen wollten oder einfach nicht geschickt genug dafür waren. Der König ging leise auf eine erhöhte Position und beobachtete belustigt, wie die beiden Knaben einander immer wieder verfehlten. Traf durch Zufall doch mal ein Hieb, wurde natürlich sofort gejammert. Wären sie nun in einem ernsten Kampfgeschehen, dann wären sie auf jeden Fall schon mehrmals durch andere feindliche Mitstreiter getötet worden. Als die beiden noch extremer anfingen, mit den Holzschwertern zu fuchteln, konnte sich Konstantin nicht mehr beherrschen und musste doch lachen. Offensichtlich etwas zu laut, denn der größte Teil der Soldaten drehte sich skeptisch zu ihm herum. Da er weder seine Krone trug noch einen Umhang aus Fellen oder edle Seide, erkannten die meisten ihn offenbar nicht sofort. Sie sahen nur einen jungen Mann in enger Lederkleidung, der etwas zu gepflegt aussah für einen Kämpfer. Diejenigen, die ihn trotzdem erkannten, wichen sofort respektvoll zurück und zeigten Demut. Benedikt nahm sich einen Holzstab und riss damit den beiden kämpfenden Rekruten schließlich die Füße weg. Sie knallte lautstark auf den harten Steinboden und fingen direkt an zu jammern. Der Hauptmann winkte ab und scheuchte sie hinaus aus der Arena. Er war offenkundig sehr enttäuscht von den Neuzugängen, was Konstantin verstehen konnte. „Wollt Ihr Euer Glück wagen?“, fragte Benedikt plötzlich und sah seinen König provokant an. „Immerhin scheint Ihr das Ganze ja sehr lustig zu finden.“ Konstantin zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe, während die Soldaten ehrfürchtig schwiegen. Jetzt hatten sie wohl alle verstanden, wer sich unter ihre Reihen gemischt hatte. Doch viel schockierender war für sie, wie ihr eigener Hauptmann mit dem König sprach. Bei anderen Adligen würden dafür definitiv Köpfe rollen! „Verzeihung...“, sagte Konstantin ehrlich reumütig. „Ich wollte Euch damit nicht beleidigen, Hauptmann.“ „Das habt Ihr nicht. Die beiden habe ich bisher nicht ausgebildet.“, sagte Benedikt gelassen. „Hättet Ihr über einen ausgebildeten Soldaten gelacht, sähe das Ganze natürlich anders aus.“ „Natürlich...“ „Also? Wollt Ihr es wagen in den Ring zu steigen?“ Zum ersten Mal wünsche ich mir, dass man mich doch mal als König behandelt!, dachte Konstantin mit Herzrasen. Er hatte eben über die Rekruten gelacht, doch konnte er sich nun genauso gut blamieren. Der Stolz des Königs ließ es allerdings nicht zu, dass er nun einen Rückzieher machte. Nur deshalb trat er durch die Reihen aus Soldaten, die sofort eine Schleuse bildeten und nahm sich eines der Holzschwerter entgegen. Sie waren relativ gut ausbalanciert, was für die Ausbildung auf jeden Fall wichtig war. Trotzdem war es nicht mit dem Stahl einer echten Klinge zu vergleichen. Alleine schon durch das andere Gewicht. „Soll ich gegen einen Eurer Rekruten antreten, Hauptmann?“, hinterfragte Konstantin neugierig. „Ich dachte eher, dass wir ein Tänzchen wagen, Konstantin.“, erwiderte er gelassen. Offenbar wusste er, dass er mit seinem Vornamen angesprochen werden wollte, wenn er seine Krone nicht trug. Und was noch viel besser war: Er hielt sich daran! Dafür kam ihm ein Graus, als ihm klar wurde, dass der Hauptmann ihn gerade zum Duell herausforderte. Ganz entspannt nahm sich dieser ebenfalls eines der Holzschwerter und ließ es ein bisschen rotieren. Er wirkte nicht nur absolut entspannt, sondern siegessicher. Eigentlich sollte Konstantin sich wohl beleidigt fühlen, doch er konnte verstehen, dass sein Hauptmann nicht davon ausging, verlieren zu können. Er war ein ausgezeichneter Kämpfer. Selbst dann, wenn er bis oben voll war! „Ihr wollt mich aber sehr hart bestrafen, nicht wahr, Ben?“, scherzte er. Auch er wusste, dass der Hauptmann die Abkürzung bevorzugte und stets von allen verlangte, ihn so zu nennen. Kaum einer sprach ihn anders an. „Vielleicht ein bisschen.“, erwiderte er und grinste schief. „Aber ich werde versuchen, Euch nicht allzu schlimm zu zurichten. Eure Frau weint sonst.“ „Das tut sie auch so.“ „Auch wieder wahr...“, gestand Benedikt und zuckte mit den Schultern. „Seid Ihr bereit?“ „Ich denke schon...“ Mehr Eröffnungsgeplänkel brauchte der Hauptmann nicht, der sofort auf den König zu preschte. Der parierte den frontalen Angriff geschickt und tänzelte einige Schritte zur Seite, um im Anschluss einen Gegenangriff zu starten. Ben hatte keine Schwierigkeiten damit, die Attacke mit seinem eigenen Holzschwert abzulenken und im Anschluss direkt wieder auf den König einschlagen zu wollen. Dem Adligen wurde schnell klar, dass er in der direkten Konfrontation keine Chance hatte. Körperlich war Benedikt ihm bei weitem überlegen! Nicht nur, weil er viel mehr Muskeln besaß, sondern auch, weil er größer war. Dafür war Konstantin wesentlich wendiger. Ohne Probleme duckte er sich unter dem nächsten Angriff hinweg und machte eine seitliche Rolle. Als er aus dieser aufsprang, nutzte er den Schwung, um das Holzschwert direkt in die Seite des Hauptmannes zu schlagen. Dieser zischte auf vom Schmerz und sein Blick zeigte deutliche Überraschung. Kaum einer wusste, dass Konstantin sich als Prinz heimlich hatte ausbilden lassen. Er hatte nicht viele Lehrmeister gefunden, die sich gegen den ausdrücklichen Befehl seines Vaters stellten und ihn ausbildeten, doch diejenigen hatten gute Arbeit geleistet. Sie hatten ihm beigebracht, seine schlanke Statur für sich einzusetzen. Benedikt musste grinsen. Er hatte nicht mit einer Herausforderung gerechnet! Konstantin konnte sogar hören, wie die Soldaten um sie herum, zu tuscheln anfingen und sogar Wetten aufstellten. Offenbar hielt es im Ring kaum einer länger als drei oder vier Schläge gegen Benedikt aus. „Ich gebe zu, dass Euer Spott berechtigt war.“, sagte der Hauptmann anerkennend. „Habt Ihr noch mehr solcher Tricks drauf?“ „Ich möchte die Überraschung nicht kaputt machen.“ Die Vorfreude glänzte in den Augen des Kriegers. Er liebte eindeutig die Herausforderung des Kampfes und freute sich darüber, dass er mal einen Feind vor sich hatte, der ihm was entgegensetzen konnte. Geschickt stürmte Benedikt voran, doch bevor er zum Schlag ausholte, machte er einen Satz zur Seite und versuchte dann nach dem Oberschenkel des Königs zu schlagen. Der machte eine Pirouette zur Seite und nutzte davon den Schwung, um den nächsten Schlag zu parieren. In diesem Augenblick entschied er, dass er doch etwas aggressiver vorgehen musste. Bewusst ließ Konstantin seine Deckung fallen und ließ es so aussehen, als sei es keine Absicht. Natürlich wollte der Hauptmann diese Schwäche ausnutzen. Statt einen Treffer zu landen, tänzelte der Adlige zur Seite und verpasste ihm knapp einen Schlag gegen den Oberarm. Das Manöver forderte dennoch seinen Tribut, denn Benedikt drehte sich um die eigene Achse und nutzte den Schwung, um ihm direkt das Holzschwert gegen die Hüfte zu donnern. Schmerz benebelte ihm für einen Moment die Sicht. Er war sich sogar sicher, dass er einen Augenblick getaumelt war! Noch etwas mehr Kraft und seine Hüfte wäre vermutlich sogar gebrochen gewesen. Zumindest verriet ihm das die Übelkeit, die er sofort zu schlucken versuchte. Benedikt ließ ihm keine Pause zum Verschnaufen und nutzte die Gunst der Stunde. Zwar konnte der König seinem nächsten Angriff gerade noch ausweichen, bekam aber den zweiten Hieb gegen die Schulter direkt ab. Nochmals peitschte ihn Schmerz durch den Körper, doch dieses Mal riss es ihm nicht fast den Boden unter den Füßen weg. Schnaubend schluckte er all das herunter und nahm Anlauf. Offensichtlich hatte der Hauptmann nicht mit dem gerechnet, was nun kam! Vollkommen überrascht wurde er von dem König einfach zu Boden gerissen, der ihn alleine durch den Anlauf und sein geringeres Gewicht zu Boden brachte. Nur knallten sie beide lautstark auf den Stein. Für Benedikt war der Aufprall dennoch härter, weil sein König direkt auf ihm landete. Nur konnte der sich schneller wieder fassen, eines der Holzschwerter packen und es seinem Hauptmann direkt an die Kehle halten. „In Ordnung... Okay!“, sagte Benedikt und hob die Hände. „Ihr habt mich vollkommen überrumpelt und ich ergebe mich!“ Atemlos stieg der König langsam von seinem Hauptmann herunter und stützte sich auf das Holzschwert: „Das ist aber kein Manöver für das Schlachtfeld...“ „Nein, definitiv nicht. Aber wir waren nicht auf dem Schlachtfeld, also habt Ihr gewonnen.“, warf Ben ein. „Euer Kampfstil ist nicht so ehrenvoll und elegant, wie man es von einem Adligen erwarten sollte. Aber er ist sehr... effektiv.“ Er hat mich gewinnen lassen, oder...?, sinnierte Konstantin für sich. Um meine Ehre zu wahren. Damit ich vor den Männern stärker dastehe. An sich spielte es aber keine Rolle, ob es wirklich so gewesen war. Die Soldaten waren allesamt beeindruckt und applaudierten begeistert. Ihre Moral schien gestiegen zu sein und das Ansehen des Hauptmanns litt keineswegs unter dieser „Niederlage“. Im Schloss würde sich die Kunde über den kämpfenden König gewiss schnell verbreiten. „Wer hat Euch das Kämpfen gelehrt?“ „Das waren ein paar Soldaten, als ich noch ein Prinz gewesen bin.“, erklärte der König und nannte bewusst keine Namen. „Später noch ein paar Offiziere. Ist schon ewig her.“ „Unerlaubtes Training?“, verstand der Hauptmann sofort. „Es hat sich jedenfalls gelohnt.“ Selbst heute konnten seine Ausbilder vom Rat angeklagt werden, obwohl sein Vater nicht mehr lebte. Das Verbot war damals eindeutig gewesen und wer sich nicht daranhielt, galt als Verräter. Nur hatte Konstantin stets die Meinung vertreten, dass es gut war, wenn man beschützt wurde, aber besser, wenn man selbst schützen konnte. Maximilian war jedoch der Meinung gewesen, dass es für einen König zu gefährlich war, selbst zu kämpfen. Selbst während der Ausbildung war er zu ungeschützt, wenn Attentäter hinter ihnen her waren. Was sagst du nun, alter Mann? Siehst du mir aus dem Toten-Reich zu und gibst endlich zu, dass du unrecht hattest?, dachte Konstantin stolz auf sich. „Kommt ruhig häufiger her zum Trainieren, Konstantin.“, sagte der Hauptmann plötzlich. „Dann rostet Ihr nicht ein und könnt noch ein paar neue Manöver lernen. Und wir können auch etwas von Euch lernen.“ „Ihr meint, wie man Haken wie ein Hase schlägt, damit man nicht getroffen wird?“ „Genau das.“ „Es wird mir eine Ehre sein, Euch die Hasen-Technik zu lehren.“, sagte Konstantin verheißungsvoll. „Und ich werde gerne von Euch lernen, wie ein Mann zu kämpfen.“ Es war das erste Mal, dass er Benedikt lächeln sah. Nicht mal, als er ihm das Angebot gemacht hatte, der neue Hauptmann zu werden, hatte er derartig freudig gewirkt. Stolz, ja und durchaus erfüllt davon, dass seine Ambitionen so erfolgreich gewesen waren, aber nicht überglücklich. Bei diesem Anblick stockte dem König der Atem und sein Herz setzte für einen Augenblick aus. So etwas hatte er in der Gegenwart von keiner Frau jemals gefühlt. Und doch wusste er, dass diese Gefühle wahrhaftig und aufrichtig waren. Egal, wie sehr er sich bemühte, er würde so einen Moment niemals mit Elizabeth teilen. Nicht mal dann, wenn sie sich um etwas mehr Intelligenz bemühen würde... „Vielen Dank für den Übungskampf, Ben.“, sagte Konstantin freundlich und verbeugte sich. „Viel Erfolg beim weiteren Training.“ „Danke. Viel Erfolg beim... Herrschen.“ Der König lachte, zog sich dann aber zurück. Er wollte die Männer nicht weiter ablenken und er musste Durell langsam wieder ablösen. Heute Nacht würde er vielleicht mal keine Albträume von seinem toten Vater haben. Das alleine war es definitiv wert gewesen.   Die neue Welt gefiel ihr nicht. Zwar gab es keine schwarze Schlacke mehr, die durch die Adern von Lebewesen schoss und man konnte nicht mehr überall das Flüstern Zodiaks hören, aber dennoch befand sich die Oberwelt im Ausnahmezustand. Den Nichtmenschen erging es schlechter denn je. Viele der Rassen waren bereits ausgelöscht oder standen kurz davor. Jene Menschen, die sich zu mischen wagten, erging es keinen Deut besser. Bereits bei der Geburt wurde entschieden, wie die Zukunft von ihm oder ihr auszusehen hatte. Sklaverei, einfache Dienste, Soldatentum, Adel... Alles war schon in Stein gemeißelt und niemand wurde gefragt, ob es so in Ordnung war. Vor allem die, die viel besaßen, wollten nicht am Käfig rütteln, um irgendwas zu verändern. Sie vergötterten lieber den Weltenlenker und töteten munter weiter. Oder sie vergewaltigten... Eigentlich war es kaum anders, als zu den Zeiten, in denen Zodiak seine Terrorherrschaft ausgebaut hatte. Nur konnte hier niemand behaupten, dass er oder sie fremd gesteuert wurde. Der tote Adlige, der zu ihren Füßen lag, war ein enger Anhänger des Weltenlenkers. Soweit sie es verstanden hatte, war er für die Finanzverwaltung zuständig und beurteilte größere Projekte, die finanziert werden sollten. Wenn er sich nicht um seinen Beruf kümmerte, dann hatte er sich liebend gerne Nichtmenschen-Sklaven gehalten. Die Misshandlungen, die er ihnen angetan hatte, grenzten an Folter. Ihm hatte es eine perverse Freude bereitet, Verwandte miteinander schlafen zu lassen, während er ihnen dabei zuguckte. Bruder und Schwester. Vater und Tochter. Mutter mit Tochter... Er war da sehr kreativ gewesen. Zuvor mussten sie natürlich gebrochen werden, damit sie auch gehorchten, wenn er sie zur gegenseitigen Vergewaltigung zwang. Darunter waren Kinder gewesen... Um ihn war es gewiss nicht schade! Selbst seine eigene Familie würde ihn wohl nicht vermissen, die sich sehr für seine Aktivitäten geschämt hatte. Auch wenn die Misshandlung, Vergewaltigung, Ermordung und Verfolgung von Nichtmenschen und Mischlingen ausdrücklich erwünscht war, bedeutete das nicht, dass es solche Dimensionen annehmen musste. Ihre eisblauen Augen musterten ohne Mitgefühl den schockierten Blick. Sein Ende hatte sie ihm langsam gezeigt. Er sollte zumindest für eine Weile leiden. Normalerweise war es nicht ihr Stil. Eigentlich hieß es immer: Schnell rein und wieder heraus! Doch bei solch einem Monster machte man doch gerne eine Ausnahme. Obwohl sie auf dem linken Auge komplett erblindet war, schränkte es sie kaum ein. Natürlich sahen Dinge, Räume und Lebewesen für sie anders aus, doch ihre Elfenohren hörten dafür umso deutlicher. Ihr Geruchssinn war viel ausgeprägter. Inzwischen fühlte es sich für die Elfe nicht mehr so an, als wäre sie beeinträchtigt. Das musste immerhin auch dieser Adlige feststellen. Vermutlich hatte er sowieso nicht gesehen, dass sie auf einem Auge blind war. Unter der langen, schwarzen Kapuze war das sehr schlecht zu erkennen. Vor allem, weil an die Krempe der Kapuze extra verziertes Metall verarbeitet worden war, damit sie möglichst tief saß und nicht so leicht verrutschte. Dazu kam, dass sie darunter eine Metallmaske trug, die bis über die Nase reichte. Ihr Gesicht war also kaum zu erkennen. Unter ihrer schwarzen Lederrüstung trug sie ebenso schwarze, gut dehnbare Stoffe, die ihr viel Bewegungsfreiraum einräumten. Dennoch waren bestimmte Bereiche mit Metallen verstärkt, um sie im Kampf zu schützen. In den dunklen Handschuhen und Stiefeln versteckte sie außerdem stets Waffen. Über ihrem langen, schwarzen Umhang hatte sie einen Bogen gehangen, dessen Pfeile überall in der Rüstung eingearbeitet waren. So, dass sich die Elfe nicht verletzen konnte, sie aber auch schnell greifen konnte, wenn es ernst wurde. Ihre Garnitur war absolut einzigartig. Ebenso wie ihr neustes „Hobby“. Liebend gerne suchte sie Adlige auf, die dem Weltenlenker besonders zugetan waren und tötete diese. Dabei veranstaltete sie keinen Lärm. Es war ihr sehr wichtig, dass sie nach Möglichkeit nur ihr neustes Ziel tötete und wieder verschwand. Langsam beschwor sie ihre Seelenklinge. Dieses Schwert war an die Seele der Elfe gebunden und besaß außergewöhnliche Kräfte. Nicht nur, dass sie es überall und jeder Zeit beschwören konnte, es war außerdem in der Lage, selbst Langlebige zu töten. Jeder, der ihrem Schwert zum Opfer fiel, übertrug außerdem seine verlorene Lebenszeit auf sie und verlängerte auf diese Weise ihr Leben. Es gab kaum noch Waffen, die gegen Langlebige wirkten und kaum einer wusste, dass sie eine besaß. Ihr Blick glitt über das Schwert, welches beinahe schwarz aussah. Es bestand größtenteils aus Mithril – ein magisches Erz, welches sehr selten war – aber ebenso aus Obsidian. Das machte es nicht nur besonders haltbar, sondern auch ungemein scharf. Das bewies die Elfe auch, als sie die Klinge niedersausen ließ und der Leiche damit den Kopf abtrennte. Er rollte ein bisschen zur Seite, was ungemein makaber aussah, sich aber nicht vermeiden ließ. Im nächsten Atemzug verschwand ihre Seelenklinge wieder und sie konnte sich zu dem Kopf hocken, um ihn gefühlskalt aufzulesen. Im Anschluss verstaute sie ihn in einem dicken Jutebeutel, der bereits vom Blut vorheriger Köpfe getränkt war. Sicherlich nicht unbedingt hygienisch, doch die Elfe bezweifelte, dass sich ihre Opfer noch daran störten. Selbst wenn, hatten sie ihr Schicksal selbst besiegelt. Den Jutebeutel band sie sich um die Hüfte, ehe sie das Fenster zu ihrer linken öffnete und einfach hinausstieg. Es fiel ihr nicht schwer, das Gemäuer hinunterzuklettern und dabei keinen Lärm zu machen. Sehr zufrieden musste sie zugeben, dass sie dieses Mal wirklich gute Arbeit geleistet hatte. Bis auf dem Adligen war keiner gestorben und es war bisher auch kein Alarm ausgelöst worden. Also hatte sie genug Zeit, um weitgehend friedlich zu türmen. Zu dieser nächtlichen Stunde waren die Straßen von Götterherz leer. Am Tag konnte man sich kaum bewegen, weil ständig Kutschen, Pferde, Sklaven und Soldaten hier entlangkamen. Ganz zu schweigen von den Kreaturen des Weltenlenkers und den öffentlichen Hinrichtungen. Wenn im Kolosseum auch noch ein großer Kampf anstand, sollte man die Hoffnung auf schnelles Vorankommen vollkommen vergessen! Aber zum Glück agieren Attentäter in der Regel nachts. Das macht einiges einfacher., schmunzelte die Elfe amüsiert. Bald stand sie schon vor der gigantischen Festung des Weltenlenkers, die er selbst Heimdall getauft hatte. Ob ihm die Ironie dahinter bewusst war, wusste sie nicht. Immerhin hatte er selbst befohlen, dass alle Schriften über andere Götter vernichtet werden mussten und keine andere Religion als seine erwünscht war. Dennoch verwendete er den nordischen Wächter aller Götter als Namen für seinen eigenen Sitz. Das wusste nur kaum einer, weil die Namen der Götter in Vergessenheit gerieten. Immerhin konnte man sie nicht mehr nachlesen... Sie bezweifelte ohnehin, dass er dieses atemberaubende Denkmal selbst hatte bauen lassen oder auch nur die Idee dazu hatte. Überall in Heimdall gab es magische Adern, die sich durch das Gestein zogen und wie Blut pulsierten. Wenn man ein Gespür dafür besaß, in sich horchte und seine eigene Magie damit verband, konnte man ganz Heimdall überblicken. So wusste sie ganz genau, wo sich wer aufhielt und welche Wege sie lieber meiden sollte. Der Weltenlenker selbst schien gar nichts von diesen magischen Adern zu wissen, denn er nutzte sie selbst nicht und unternahm auch nichts, damit sie nicht von Außenseitern genutzt werden konnten. Sie vermutete außerdem, dass Heimdall ihn auch nicht als Eigentümer der Gemäuer akzeptiert hatte und sich deshalb nicht den Bewohnern offenbarte. Ein Vorteil für sie! Das Gebäude schien sie immerhin zu mögen, weshalb sie jedes Mal wieder diesen Vorteil nutzen konnte. An sich waren die Gemächer des Weltenlenkers wirklich gut gesichert und bewacht, aber nicht, wenn man alle Bewegungen jeder Wache kannte. Deshalb fiel es ihr auch leicht, sich einfach hinein zu stehlen. Der Weltenlenker selbst saß in seinem Sessel und las gerade ein Buch über Politik. Noch mehr Ironie... Er versteht nichts von Politik, liest aber ständig Bücher darüber, um dann nichts umzusetzen., dachte sie und rollte mit den Augen. „Billie...“, sagte er mit seiner samtigen Stimme ohne aufzusehen. „Ich kann das Blut riechen. Du hast es doch nicht schon wieder getan?“ Vorsichtig löste sie den Jutebeutel von ihrer Hüfte, öffnete ihn und kippte den Kopf einfach heraus, damit er zu den Füßen des Weltenlenkers kullerte. Sie selbst war sehr zufrieden mit sich, während sie sich die Kapuze vom Kopf strich. Das goldblonde, lange Haar hatte sie in einem Zopf geflochten, damit es sie nicht störte. Als sie die Maske vom Gesicht nahm, konnte er auch die fraulichen Züge sehen, die mit Sommersprossen und einer angenehmen Bräune gesegnet worden war. Sie sah schon lange nicht mehr aus, wie eine Jugendliche und darüber verspürte die Elfe keine Trauer. Der Kampf gegen Zodiak hatte alles gefordert und war der Schritt zum Erwachsenwerden gewesen. „Gib doch zu, dass du meine Geschenke zu schätzen weißt, Wyrnné.“, schnurrte sie amüsiert. „Deshalb habe ich dich auch immer als Katze betitelt...“, schnaubte der Weltenlenker und legte sein Buch beiseite. „Du bringst genauso abartige Geschenke.“ „Besser als abartige Lügen.“ Er zog die Augenbrauen in die Höhe und fuhr sich anschließend mit einer Hand durch das längere, schwarze Haar: „Ich weiß nicht, was du willst.“ „Du hast versprochen, zu widerstehen. Und du wolltest alles besser machen.“ „Es ist doch alles besser.“ „Vielleicht für die meisten Menschen, aber nicht für Nichtmenschen oder Mischlinge.“, warf sie erbost ein und ließ es sich nicht nehmen, gegen den Kopf zu treten. „Nur solchen Bestien geht es hier gut! Da erscheint mir Zodiak ja fast handzahm.“ „Unsere Definition von besser sind verschieden.“ „Damals hättest du diese ganzen Hinrichtungen nicht gemacht. Du hast Nichtmenschen bewundert und wolltest Frieden!“ „Damals waren andere Zeiten, Billie.“, warf Wyrnné ein und betrachtete endlich den Kopf. „Ernsthaft? Er war doch nur ein Bürokrat.“ „Ein sadistischer Bürokrat.“ „Jetzt muss ich mir einen neuen Finanzberater suchen. Du hast ja keine Ahnung, wie anstrengend das ist...“ „Du hast ja keine Ahnung, wie schwer es ist, jemanden zu enthaupten.“ „Habe ich nicht? Ich lasse doch ständig Verräter enthaupten. Ich sollte es also schon wissen...“ Billiana lachte spöttisch und machte eine wegwerfende Geste: „Das machst du ja nicht mal selbst!“ „Dein Punkt.“ „Und dann dein neustes Gerücht, dass du unsterblich seist? Du bist vieles, aber gewiss nicht unsterblich!“ „Gewissermaßen schon...“, seufzte Wyrnné. „Ich beherberge Zodiak, der unsterblich ist.“ „Ja, Zodiak ist unsterblich, aber nur, weil du einen Bruchteil seiner Macht beherbergst, bist du noch lange nicht selbst unsterblich.“, zischte die Elfe augenrollend. „Bist du denn schon so von ihm verblendet worden? Du kannst ja gar nicht mehr klar denken! Zorn köchelte in dem selbsternannten Gott hoch, der sich ganz langsam erhob und direkt auf sie zukam. Billie wusste, dass sie nicht zurückweichen durfte. Tat sie das, räumte sie sich ihm gegenüber eine Schwäche ein, die er direkt ausnutzen würde. Er tat überlegen und ging ein bisschen um sie herum, als wollte er ihren Schwachpunkt finden. „Was interessiert dich all das?“, wollte er dann wissen und ließ seine Fingergelenke knacken. Offenkundig musste er sehr stark mit sich ringen. Noch etwas mehr und er schlug vielleicht zu. „Warum es mich interessiert? Weil du Zodiak mit all dem hier hilfst!“ „Inwieweit sollte ihm das helfen?“ „Du versammelst alle göttlichen Splitter schön nah um dich herum. Sie könnten vielleicht dazu beitragen, Zodiak für immer zu verbannen oder sogar zu töten.“, zischte sie ihm böse entgegen. „Warum glaubst du also, will er sie dann hier haben? Für die göttlichen Splitter gibt es eine eigene Welt, auf der sie lernen sich zu kontrollieren und mit ihrer neuen Identität zu leben. Weit weg von der Oberwelt.“ „Midgard.“ „Was?“ Der Weltenlenker räusperte sich überheblich: „Wir nennen das nicht mehr Oberwelt, wie ihr primitiven Unterweltler.“ „Ich vergaß...“, säuselte sie und hob theatralisch die Hände in die Luft. „Du verbrennst ja alle Schriften, um jede andere Religion, Kultur und Denkweise loszuwerden, klaust dann aber Bezeichnungen und Namen daraus.“ „Besser gut geklaut, als schlecht selbst gemacht, findest du nicht auch?“ „Darüber lässt sich streiten...“ „Du denkst also, dass Zodiak will, dass sie alle hier sind, damit er was tun kann? Sie alle töten, sobald er eine Möglichkeit dazu findet?“, hinterfragte Wyrnné nun interessiert und ließ ihr wieder mehr Freiraum. „Sie sind alle unsterblich. Ich habe das getestet...“ „Wir Langlebigen, liebster Wyrnné, wissen genau wie wir einander töten können. Für einen Normalsterblichen ohne Wissen ist das unmöglich, weshalb sie uns für unsterblich halten, aber wir Eingeweihten wissen es allesamt besser.“, erinnerte sie ihn kühl. „Glaubst du nicht, dass es Unsterblichen genauso geht? Vielleicht haben sie Mittel und Wege, damit sie sich gegenseitig umbringen können.“ „Dann wäre die Bezeichnung unsterblich wohl auch falsch gewählt.“, spottete der Schwarzhaarige. „Es kann immer Hintertürchen geben. Die gab es bei Zodiak auch.“ „Weißt du was? Mich interessieren deine wilden Theorien nicht.“, seufzte Wyrnné gelangweilt und nahm Platz. „Ich werde dir nun meine Männer auf den Hals hetzen, damit du wirklich schnell verschwindest. Und lass‘ den Unsinn mit den Köpfen. Das ist albern.“ Einen Augenblick lang schloss sie ihre Augen und lauschte. Auf dem Flur bewegte sich etwas. Der Weltenlenker war eng verbunden mit seinen Schöpfungen, weshalb er sie nicht wirklich rufen musste. Das tat er über seinen Geist. Und sie brauchten nicht lange, um dann zu ihrem „Vater“ aufzubrechen und diesen zu beschützen. Sie zählte bisher drei Männer. Einer davon war definitiv Altan. Dann noch ein weiterer Inquisitor und wahrscheinlich ein Fessler. Das konnte sie anhand des Gangbildes, dem Gewicht auf den Füßen und den Geräuschen von Kleidung schließen. Altan hingegen erkannte sie unter Tausenden. Er führte die Inquisitoren an und musste deshalb eine besondere Bedeutung für Wyrnné haben. Er war auf jeden Fall der mächtigste unter ihnen! Aus der Ferne rückten bereits einfach Soldaten heran. Sie waren noch zu weit weg, um beurteilen zu können, wie viele es tatsächlich waren. Altan hatte sie sicherlich in dem Augenblick rufen lassen, als er den Zorn Wyrnnés gespürt hatte. So waren sie für den entscheidenden Augenblick abrufbereit. Als wüsste sie von all dem nichts, griff sie zu einem besonders dicken Buch, welches auf einem Tisch lag. Es war wirklich schwer und der Einband war besonders stabil. Hier und da war er mit Metallen verstärkt worden, was das Gewicht stark erhöhte. „Die Dynastie der Hochelfen...“, las sie dann schließlich vor und zog die Augenbrauen in die Höhe. „Ein wirklich gutes Buch. Hast du es bereits durchgelesen?“ Wyrnné wirkte skeptisch, nickte dann aber trotzdem: „Ja, habe ich. Wieso?“ „Gut.“ Ohne mit der Wimper zu zucken, schleuderte die Attentäterin das Buch einfach auf die große Fensterscheibe zu, die sofort in tausende Stücke zersprang. Glas kam gerade in Mode, wodurch sich nur hohe Adlige solche Scheiben leisten konnten. Meist gut für sie, denn so konnte sie meistens problemlos überall einsteigen und wieder heraus. Hier musste sie sich vorher überlegen, wie sie die Glasscheibe aus dem Weg bekam. Mit einem amüsierten Lächeln blickte sie nochmals zum schockierten, falschen Gott und setzte sich dann die Maske wieder auf. Ihre Kapuze folgte nur einen Herzschlag später, damit die Elfe wieder vermummt war. Zwar kannte Wyrnné ihr Aussehen und ihre Identität, doch sein Wissen hatte er bisher nicht für Steckbriefe verwendet. Ein Teil von ihm schien noch an der alten Zeit zu hängen und ihr nicht schaden zu wollen. Bisher konnte sie das ausnutzen. „Danke für die Gastfreundschaft. Bis zum nächsten Mal, Wyrnné.“, sagte sie amüsiert, trat zurück und ließ sich dann einfach nach hinten fallen. „Nein!“, schrie der Weltenlenker und stürmte zu der zerstörten Scheibe. Als er nach unten blickte, konnte er nichts entdecken. Keine stürzende Silhouette, kein Geschrei und unten war auch keine Leiche zu erkennen. Jedoch war es auch sehr dunkel, weshalb er sie in der schwarzen Bekleidung wohl kaum erkennen würde, wenn sie da lag. „Mylord?“, hörte er Altan fragen. „Was ist passiert? Wurdet Ihr angegriffen?“ „Schon gut.“, sagte der Weltenlenker und rang um Fassung. „Finde heraus, ob da unten eine Leiche liegt und sag‘ mir Bescheid.“ „Natürlich.“ Der Inquisitor hinterfragte keine Befehle, sondern führte diese nur aus. Anders, als ein normaler Soldat, würde eine dieser Schöpfungen niemals widersprechen oder Dinge hinterfragen. Sie führten einfach nur aus. Das machte sie loyaler, aber auch unselbstständig. Er will also eindeutig nicht, dass ich sterbe., schmunzelte die Elfe, die nur einen Sims unter dem Zimmer war und deshalb alles hören konnte. Das ist ein Vorteil. Sie war nicht dumm und hatte damit gerechnet, dass er sie mal wieder herauswerfen würde. Nur musste sie dieses Mal trotzdem einen dramatischen Abgang machen, weil die Wachen bereits vor der Tür standen. Doch für solche Fälle verbarg sich im Handschuh eine zwergische Mechanik. Sie konnte einen Metallanker herausschießen, der sich durch fast jedes Gestein oder Holz bohrte, um im Anschluss Ärmchen auszuklappen, die sich dann festsetzten. Am anderen Ende befand sich ein sehr stabiles Seil, an dem man sich festhalten und dann in die richtige Position hangeln konnte. Oder man verhinderte eben einen wirklich fatalen Sturz in die Tiefe! Als Langlebige würde sie den Absturz natürlich überleben, aber der Heilungsprozess würde nahezu sofort einsetzen, wodurch sie nicht mehr fliehen könnte. Deshalb musste sie solche Abstürze und andere tödlichen Manöver auch sein lassen, wenn sie im Anschluss noch laufen wollte oder eben springen. In diesem Fall würde sie viel über Dächer und Balkone springen müssen, um weit weg von Heimdall zu gelangen. Immerhin würde Wyrnné nun nach ihr suchen lassen, wenn auch nur, um zu tarnen, dass er ihre Gräueltaten nicht einfach so durchgehen ließ. Die Suche würde sich gewiss weder weit erstrecken noch wirklich lange andauern. Bis dahin würde die Elfe sich aber bedeckt halten.   Kelvin wusste, dass es schon zahlreiche Rebellionen gegen den Weltenlenker gegeben hatte, jedoch keine davon jemals von Erfolg gekrönt gewesen war. In No’gobor – die Stadt des Wissens – gab es Aufzeichnungen zu den Aufständen. Immerhin tat der selbsternannte Gott alles, um gerade solche Informationen geheim zu halten. Leider hatten diese ganzen Bücher und Schriften den Rebellenanführer nicht wirklich weitergebracht. Er hatte nicht herausfinden können, ob es Unsterblichkeit wirklich gab oder ob man den Weltenlenker doch irgendwie töten konnte, wenn man nah genug herankam. Auch über die vermeidlichen Götter hatte er einfach nichts herausfinden können. Das war wirklich frustrierend! Dafür wusste er aber, dass Wyrnné nicht log, wenn es darum ging, dass einst eine dunkle Macht Midgard beinahe den Untergang gebracht hatte. Offenbar war es eine Art Seuche gewesen, welche jedem Lebewesen, welches damit in Kontakt gekommen war, vollkommen wahnsinnig gemacht hatte. Doch wie diese Plage tatsächlich besiegt werden konnte, war nirgendwo aufgeschrieben worden. Deshalb vermutete Kelvin, dass der Weltenlenker nur entfernt etwas damit zu tun gehabt hatte, sonst hätte er diese Schriften nicht ebenso verschwinden lassen wie all die Religionen und Kulturen. Er musste trotzdem zugeben, dass er die neue Welt nicht mochte. Er wäre lieber mit dieser Seuche aufgewachsen, als unter der Führung dieses Irren! Ohne diese barbarischen Kreaturen, die er erschaffen hatte... Ohne tägliche Hinrichtungen. Natürlich waren die Völker damals im Ausnahmezustand gewesen und hatten häufig Kriege gegeneinander geführt, doch sie hatten alle eine reelle Chance gehabt zu überleben. Heutzutage waren alle Rassen vom Aussterben bedroht, abgesehen natürlich von den Menschen. Ironischerweise gab es in diversen Schriften Hinweise darauf, dass der Weltenlenker selbst niemals ein reinrassiger Mensch gewesen war. Das waren Informationen, die sich wunderbar als Gerüchte eigneten. Der durchschnittliche Bürger brauchte kein fungiertes Wissen und belegbare Informationen, um zu wanken. In der Regel reichten ein paar gut ausgearbeitete Gerüchte über Geheimnisse. Gerne hätte er gewusst, was seine Mutter von all diesen Ambitionen gehalten hätte. Sie war eine hochrangige Adlige gewesen, die den Fehler gemacht hatte, sich in ein Mischblut zu verlieben. Offenbar war er ein Diener gewesen. Zwar hatte sie noch versucht, Kelvin als das Kind ihres Mannes zu verkaufen, doch der Weltenlenker hatte die Wahrheit recht schnell herausgefunden. Es hatte nicht lange gedauert, da war das Haus Morgenstern ausgelöscht gewesen. An sich Strafe genug, doch Wyrnné hatte das Ganze einfach nicht gereicht. Er hatte Kelvin gefangen nehmen lassen und dann an seinen sogenannten „Todesspielen“ teilnehmen lassen. Die Todesspiele waren letztendlich eine Hinrichtung für Kinder und Jugendliche, die entweder selbst Verrat begangen hatten oder dessen Eltern den Weltenlenker verraten hatten. Sie dienten der Abschreckung, aber auch der öffentlichen Belustigung. Letztendlich wurden die Kinder mit Waffen und Giften in das Kolosseum geworfen und mussten dann öffentlich gegeneinander antreten. Hierbei wurde darauf geachtet, dass die Kinder nach Möglichkeit keine Magiebegabten waren. Man versprach den Kindern, dass wenn sie als Letzter überlebten, man ihnen die Freiheit schenken würde. Ihre Verbrechen würden gesühnt sein und sie bekamen eine zweite Chance auf ein Leben. Natürlich überlebte eigentlich niemals ein Kind. Entweder brachten sie sich alle untereinander um oder das letzte Kind erlag den Verletzungen. Bei Kelvin war es anders gewesen. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass er ein Essenzbeherrscher war, weshalb sie ihn auch in den Kampf zugelassen hatten. Ihm wurde gesagt, dass er nun für die Sünden seiner hurenden Mutter bezahlen musste. Irgendwann im Laufe der Kämpfe entfachte die Macht seiner Magie und er schaffte es zu überleben. Zu dieser Zeit war er noch naiv gewesen. Vielleicht zehn Jahre alt... Er hatte voller Hoffnung zu der Tribüne des selbsternannten Gottes und seiner Anhänger hinaufgeblickt und auf den Freispruch gehofft. Stattdessen hatte er das Volk befragt, ob Kelvin es sich verdient hatte, frei zu sein. Natürlich wurde das verneint. Sie wollten Blut sehen! Unabhängig davon, dass es sich um Kinderblut handelte. Als ihm klar wurde, dass niemand vorhatte, ihn gehen zu lassen, hatte er seine neugewonnene Macht benutzt, um schnellstmöglich zu entkommen. Wenn Kelvin ehrlich mit sich selbst war, wusste er bis heute nicht, wie er das eigentlich geschafft hatte. Jedenfalls war es wirklich knapp gewesen! Er hatte sich diverse Verletzungen zugezogen und nur durch Glück überlebt. Für Wyrnné war das wirklich das denkbar schlimmste Szenario, welches geschehen konnte. Er ließ direkt diverse Steckbriefe anfertigen, schickte seine Kreaturen, Söldner und Soldaten los, um das Kind zu finden. Ein Essenzbeherrscher, der nicht unter seiner Kontrolle war und frei herumlief, war keine Option. Es hatte Wochen gedauert, bis der Jüngling die Grenzen erreicht hatte und in ein Reich fliehen konnte, welches nicht unter der Kontrolle des Weltenlenkers stand. Auch wenn er gerne so tat, gehörte ihm nicht die Welt. Über den Meerengen gab es zahlreiche andere Länder und Reiche und selbst neben dem eigenen Herrschaftsgebiet gab es andere Könige, die ihm nicht dienten. Einige waren selbstverständlich mit ihm verbündet, um nicht angegriffen zu werden, aber die meisten gaben sich lieber neutral. Genau solch ein neutrales Land war letztendlich die Rettung für das Kind gewesen. Dort fand er einen Meister, der ihn seine Magie lehrte und ihm Kontrolle beibrachte. Das reichte Kelvin jedoch nicht, der auch jemanden fand, der ihm beibrachte, wie er mit Dolchen kämpfen konnte. Zwar wollte der Krieger ihm auch den Umgang mit anderen Waffen lehren, doch der Rebellenanführer war damals sicher gewesen, dass es keinen Sinn machte. Dolche und Messer konnte man verstecken! Damit konnte man schnell, gezielt und absolut tödlich zuschlagen, wenn man es gut machte. Nur war das viel schwerer als es klang... Nachdem er die Todesspiele überlebt hatte, war sich das damalige Kind aber sicher gewesen, dass er alles überleben konnte. Er würde nur zukünftig keine Gelegenheit bieten, damit man ihn durch seine Unwissenheit schlagen konnte. Erst mit zwanzig Jahren entschied Kelvin, dass er die Welt etwas bereisen wollte. Auch, um noch mehr zu lernen und sich immer weiter zu entwickeln, damit er irgendwann Rache nehmen konnte. Auf dieser Reise lernte er Amelie kennen. Eine sehr exotische Schönheit, die ihm gerade deshalb gefiel, weil sie kein Interesse an ihm zeigte. Ihre gebräunte Haut und das dunkelbraune Haar, passten so wunderbar zu ihren braunen Augen. Noch perfekter war ihr trainierter Körper, den sie für den Bauchtanz so gut pflegte. Irgendwann hatte er es geschafft, ihre Zunge etwas zu lockern. Sie berichtete ihm dann, dass sie einst eine Tänzerin vom Prinzen Teucer Malik-Kumar gewesen war, aber dann mehr von der Welt sehen wollte. Heutzutage war er kein Prinz mehr, sondern der König Indiens. Sie waren einmal dort gewesen. Kelvin hatte die Kultur und vor allem die Tiere dort wahnsinnig interessant gefunden. Die Leidenschaft von Teucer für Elefanten konnte er bis heute sehr gut nachvollziehen. Für Amelie waren all diese Dinge aber natürlich trist geworden. Sie gehörten zu ihrem Alltag. Deshalb hatte sie die Welt erforschen wollen, um mehr davon zu sehen und sich zu entwickeln. Im Laufe dieser Reise hatte auch sie das Kämpfen gelernt und war zu einer wirklich geschickten Kriegerin geworden. Schnell, wendig und tödlich. Sie schienen wirklich verwandte Seelen zu sein! Nach fünf Jahren offenbarte Amelie ihm schließlich, dass sie schwanger sei. Er fackelte nicht lange und machte ihr einen Antrag. Doch ihre Hochzeit traten sie niemals an... Zu diesem Zeitpunkt befanden sie sich knapp über einer Grenze, dessen Reich dem Weltenlenker zugetan war. Erschwerend hinzukam, dass jemand sie offenbar erkannt hatte und die Information weitergab. Altan selbst war dabei, ein Fessler und zahlreiche Soldaten, als sie dann kamen. Amelie stieß Kelvin eine nicht allzu tiefe Schlucht herunter, pöbelte im Anschluss die Bestien an und opferte dabei ihr Leben. Von Zorn gepeinigt, musste er dennoch die Flucht antreten, um ihr Opfer zumindest nicht umsonst sein zu lassen. Es war die schwierigste Entscheidung, die er jemals in seinem Leben hatte treffen müssen. Mit einem Schlag hatte er seine Familie verloren! Ein zweites Mal... Wie ein Berserker tötete er seine Verfolger und sorgte dafür, dass sie sich trennten. So schaffte er es, seinen ersten Fessler zu töten. Ein rangniedriger, aber dennoch war es für den Rebellenanführer wie eine Neugeburt im Blut gewesen. Er stellte sich selbst Altan, musste sich aber zurückziehen, weil der Inquisitor einfach zu übermächtig gewesen war. Bedauerlich, doch an diesem Tag war der Rebellenanführer wie ein Phönix aus der Asche auferstanden und schwor ewige Rache. Dieses Mal würde er nicht davonlaufen. Er würde nicht eher ruhen, bis der Weltenlenker genauso gelitten hatte, wie so viele Menschen, Nichtmenschen und Mischlinge durch ihn! Der Tod war nicht Strafe genug. Diese Erlösung würde er ihm erst gewähren, wenn er es als angebracht ansah. Natürlich würde ihm das nicht Amelie oder sein ungeborenes Kind zurückbringen, aber er würde sich dann vielleicht endlich mal etwas besser fühlen. Vielleicht konnte er dann sogar endlich frei sein. Nicht frei von Schuld, aber frei von all den Albträumen und dem Gefühl, nicht genug gekämpft zu haben. Und er hatte die Hoffnung, dass die Geister seiner Familienmitglieder dann Frieden finden würden, wenn ihre Peiniger fort waren. Lächerlich, so seinen Morddrang zu rechtfertigen..., dachte Kelvin verbittert. Aber ich muss gestehen, dass ich immer noch nicht glaube, dass der Weltenlenker es besser verdient. „Hamm.“, sagte Kelvin freundlich. Er war erst seit einigen Minuten von seiner Reise zurück, aber er war zu ruhelos, um lange still zu halten. „Kel.“, erwiderte der Titan überrascht. „Seit wann bist du zurück?“ „Erst seit eben.“ „Willkommen Zuhause.“, sagte der Hüne grinsend und reichte ihm die Hand, um diese fest zu drücken. „Hast du die Informationen gefunden, auf die du gehofft hast?“ „Leider nicht wirklich... Aber ich habe ein paar Schriften mitgehen lassen. Vielleicht übersehe ich ja etwas.“ „Das dürfte für dich eine dauerhafte Verbannung aus No’gobor bedeuten.“ „Falls sie jemals herausfinden, dass ich es war.“, amüsierte sich der Rebellenanführer. „Ein paar Schriften sind auf Drakonisch. Ich hatte gehofft, du wirst vielleicht daraus schlau.“ „Du weißt schon, dass ich kein Drache bin?“ „Ja.“ „Und dir ist auch klar, dass meine Frau tot ist und mir nicht beim Übersetzen helfen kann?“ „Natürlich.“ „Schön, dass wir alle Klarheiten beseitigt haben.“, schnaubte Hammond augenrollend. Kelvin zuckte mit den Schultern und ging dann schnurstracks in die Küche ihres Verstecks. Irgendwie schafften sie es immer, die Schränke befüllt zu halten. An guten Tagen gab es sogar süßes Gebäck! Es war dem Rebellenanführer unbegreiflich, wie sie so etwas anbieten konnten, obwohl sie wirklich wenig Mittel zur Verfügung hatten. Das musste an ihrer Finanzdame liegen, die seit einigen Monaten alles hier übernahm, wenn es um Gold ging. Sehr zufrieden nahm er sich eine Zimtschnecke. Es war ein Gebäck aus einem ganz anderen Reich und wurde neuerdings zum Weltenbaum importiert. Natürlich konnten sich nur reiche Menschen diese leisten! Doch offenbar wollte Elena auch ihnen nicht diese Freude vorenthalten und hatte ihnen zumindest sechs Stück organisiert. Zimt kannte der Essenzbeherrscher nicht und war sehr überrascht über den neuen Geschmack. Hefeteig und Zucker hingegen waren für ihn bereits bekannt. Hier war wirklich dieses Gewürz dominierend und brachte ihn kurzerhand auch zum Grinsen. „Schmeckt gut, nicht wahr?“, warf Hammond lächelnd ein. „Elena hat sie besorgt.“ Oh, süße Elena, was würden wir nur ohne dich machen?, sinnierte Kelvin angetan. Wirklich gut, dass der Weltenlenker es mit den de Windsors nicht gut meint. Elena de Windsor war eine wirklich hübsche, dunkelhaarige Adelstochter, dessen Familie sehr übel mitgespielt wurde. Ihre Mutter war offenbar irgendwann wahnsinnig geworden und hatte überall Geschichten über den Weltenlenker erzählt. Offenbar meistens mit sehr eindeutigen Behauptungen, dass sie einst Sex miteinander gehabt hatten, doch die Methoden des Mannes sehr fragwürdig waren. Irgendwann war das Gerede so viel geworden, dass der selbsternannte Gott einschreiten musste, um seinen Ruf zu wahren. Er hatte es so dargestellt, dass man ihre Mutter erlösen musste, da sie offenbar krank gewesen sei. Zwar war die Tötung dahinter nicht so qualvoll gewesen, wie er es sonst bevorzugte, doch er hatte einer Tochter ihre Mutter genommen. Als würde das nicht reichen, hatte er den Rang der de Windsors im Anschluss niedriger gestellt und ihnen so, sehr viel Macht und Geld genommen. Zwar überwachten sie immer noch den Schlund – der einzige Ort, an dem Mithril gewonnen werden konnte – aber das war auch die einzige Ehre, die ihnen geblieben war. Und vielleicht noch der Adelstitel, der nun beinahe wertlos geworden war... Selbst der Schlund war eine fragwürdige Ehre. Zwar galt das Mithril als das kostbarste und seltenste Erz Midgards und war durch seine magischen Eigenschaften ungemein begehrt, doch hatten sie selbst keinen Anspruch auf das, was abgebaut wurde. Alles ging an den Weltenlenker, der den größten Teil für sich und seine Armee behielt. Den Rest verkaufte er an auserwählte Personen zu seinen eigenen Konditionen. Außerdem arbeiteten im Schlund kaum freiwillige Arbeiter. Es waren hauptsächlich Schwerverbrecher, wie Vergewaltiger, Mörder und Verräter. Man musste also nicht nur sehr viel Wachpersonal beschäftigen, um die Mine als solche zu verteidigen, sondern auch, um die Minenarbeiter in Schach zu halten. Das war keine Ehre, der man freiwillig folgte. Kelvin selbst war nie dort gewesen, doch Elena beschrieb den Schlund als einen riesigen Krater. Sie vermutete, dass etwas sehr Großes aus großer Höhe dort eingeschlagen war. Irgendwann hatten sich dann Knoten gebildet, aus denen sich das Mithril entwickelte. Und selbst jetzt wuchsen die Knoten nach vielen Jahrzehnten nach. Deshalb verebbte die Quelle vorerst nicht, obwohl dort jeden Tag geschürft wurde. Durch die steilen Abhänge war das Abbauen jedoch sehr gefährlich. Sie verloren regelmäßig Arbeiter, weil sie keine Vorrichtungen bekamen, um sich vor Abstürzen zu schützen. So mussten sie ständig neue Leute finden, sie einarbeiten und trotzdem für Ruhe unter ihnen sorgen. Vor der Enthebung ihrer Mutter, hatte Elena jedoch eine wirklich gute Ausbildung genossen. Sie konnte lesen, schreiben und rechnen. Oh, wie gut sie rechnen konnte! Außerdem war sie wirklich gut darin, Verhandlungen zu führen. Das half der Rebellion ungemein weiter. Deshalb war es zumindest für sie kein Schaden, dass man diese Adlige so ungerecht behandelt hatte. Ihr Zorn half ihnen, so wie der eigene Zorn jeden von ihnen antrieb. „Ich habe mir überlegt, dass wir mal einen der vermeidlichen Götter einen Besuch abstatten sollten.“, sagte Kelvin nach dem langen Schweigen. „Anders können wir wohl nicht mehr über sie erfahren.“ Hammond verschluckte sich bei seinem nächsten Bissen und musste sich kräftig auf die Brust klopfen. Er war schon bei Übergriffen auf Adlige dabei gewesen, aber das war definitiv etwas anderes! Sie mussten nicht in ein einfaches Anwesen einbrechen, sondern in Paläste und Schlösser, die viel extremer bewacht wurden. Einigen von ihnen standen sogar Schöpfungen des Weltenlenkers zur Verfügung, weil sie besondere Privilegien genossen. Es war ein bisschen so, als wollte ein Mann gegen eine ganze Armee ohne Waffen antreten. „Glaubst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?“, wollte der Titan wissen, nachdem er ein Glas Wasser getrunken hatte. Anders hätte er das Stück Gebäck wohl nicht sicher herunterbekommen. „Wir müssen halt endlich ausprobieren, ob sie wirklich unsterblich sind.“, warf er ein. „Und wir sollten auch herausfinden, was sie für Fähigkeiten besitzen. Abgesehen von der Fähigkeit, sehr eigenwillige Namen zu tragen...“ „Um zu testen, ob man sie töten kann, muss man nah genug an sie herankommen.“, erinnerte ihn Hammond. „So stark, wie sie alle bewacht werden, wird das schwierig.“ „Dem stimme ich zu. Aber sie haben eine neue Gottheit, die bisher noch nicht öffentlich aufgetreten ist.“ „Du meinst Lebenswelt? Dieser Gott, über den man nur den Zunamen weiß und sonst nichts?“ „Ja, genau.“ Der Titan räusperte sich, während er sich irritiert setzte: „Inwieweit sollte uns das weiterhelfen?“ „Der angebliche Gott ist erst seit kurzem bekannt. Ich bin mir sicher, dass das Wachpersonal noch nicht so gut miteinander eingespielt ist.“, erklärte Kelvin gelassen. „Und es gab bestimmt noch nicht die Gelegenheit, den Palast besonders auszustatten. Ich denke mal, bei ihm können wir eher einsteigen als bei den anderen.“ „Das ändert nichts daran, dass wir überhaupt nichts wissen.“ „Natürlich werde ich vorher versuchen, an Pläne des Palastes zu kommen und an eine ungefähre Aufstellung des Personals.“ „Wenn das denn mal reicht, um in solch einen Ort einzusteigen.“, bezweifelte der Hüne stirnrunzelnd. „Wir haben immer noch recht wenige Anhänger, Kel. Diejenigen, die sich uns anschließen, sind meistens keine Kämpfer... Dorian wird sicherlich mitkommen, wenn du ihn gut überredest, aber er ist auch nicht gerade das, was man einen Krieger nennt.“ „Ist doch eh besser, wenn wir nur eine kleine Truppe sind. Dann können wir unbemerkt rein und wieder raus.“ „Im Unbemerktsein scheinst du mir nicht gerade die Person mit dem größten Erfahrungswert zu sein...“ „Ich bezweifle, dass das ein Wort ist...“ Hammond winkte ab: „Ist doch egal, es macht doch deutlich, dass du nicht gerade in den Schatten agierst.“ „Wir werden einen Weg finden, damit selbst ich es schaffe, dass nicht alles Alarm schlägt. Klingt das gut?“ „Das Ganze klingt nicht gut, Kel. Das sollte auf jeden Fall noch genauer besprochen werden.“ Und du willst ein Soldat sein?, sinnierte Kelvin etwas enttäuscht. Wäre mir lieber, du wärst einer von denen, die salutieren und loslegen. Ach... Stimmt nicht! Ist schon ganz gut, dass du mich zu zügeln versuchst. „Versprich‘ mir einfach, dass du vorsichtig bist, wenn du in dieser Richtung recherchierst.“, sagte Hammond schließlich seufzend, denn er merkte, dass er ihn ohnehin nicht aufhalten konnte. Aber vielleicht konnte er zumindest dafür sorgen, dass er nicht direkt dabei draufging. „Ja, von mir aus kann ich das versprechen.“, erwiderte der Rebellenanführer. „Aber in der Regel fällt es mir schwer, diese Versprechen auch zu halten.“ „Ich hatte befürchtet, dass du das sagst.“, seufzte er. „Aber mal was anderes... Vor einigen Stunden ist offenbar jemand in Heimdall eingedrungen, hat es bis zum Weltenlenker geschafft und ist im Anschluss abgehauen.“ „Tatsächlich?“, hinterfragte Kelvin interessiert. Er wusste nicht, ob das jemals geschehen war! Wenn ja, dann hatte man diese Information bisher wirklich gut zurückhalten können. Jetzt war aber offensichtlich etwas nach außen gedrungen. Der Titan nickte zustimmend: „Ja, ich bin nachgucken gegangen. Im dritten Stock wurde tatsächlich ein Fenster beschädigt. Dadurch soll die Person geflohen sein.“ „Aus dem dritten Stock? Hast du eine Ahnung, wie hoch das ist?“ „Es kann natürlich sein, dass der Eindringling bereits tot ist, aber darüber habe ich bisher keine Informationen erhalten.“ „Weiß man denn irgendwas über diesen Wahnsinnigen?“ „Bisher gar nichts.“, antwortete der Hüne kopfschüttelnd. „Er war vermummt und ist schnell rein und wieder raus. Das, worin du so >gut< bist.“ Kelvin zog die Augenbraue in die Höhe. Jemand, der es in diesen Palast schaffte und lebend wieder herauskam, wäre für ihre Sache nicht einfach nur ein Gewinn, sondern würde sie vermutlich zum Sieg führen! Wenn sie herausfanden, wie sie den selbsternannten Gott töten konnten, konnten sie diesen Teufelskerl einfach hineinschicken und es ihn machen lassen. Dann wäre der Spuk endlich vorbei. Nur leider waren diese Informationen zu spärlich, um auch nur ansatzweise nach ihm suchen zu lassen. Zumindest eine Haarfarbe und die Rasse waren schon mal ein guter Hinweis. Alle weiteren Merkmale wären natürlich der Hauptgewinn! Doch so suchten sie die Nadel in einem Haufen von Nadeln... Kapitel 2: Zukünftige Allianzen ------------------------------- Billiana war vollkommen klar, dass sie sich erstmal etwas aus Götterherz und dessen Angelegenheiten heraushalten musste. Noch wurde nach ihr gesucht, wenn der Weltenlenker auch tatsächlich keine Beschreibung geliefert hatte, geschweige denn ein Phantombild. Trotzdem musste sie es ja nicht auf die Spitze treiben! „Athena.“, hörte sie Nero sagen. Er war ihr Partner, wenn es um Söldner-, Spionage- und Attentats-Missionen ging. Sein rotes Haar ging ihm etwas über den Nacken und er war an sich auch ein attraktiver Mann im mittleren Alter. Jedoch passte er nicht zu seinem Söldnerdasein. Ihr war nie ein zweiter untergekommen, der derartig tollpatschig und ungeschickt war wie er. Viele hatten ihr davon abgeraten, weiterhin mit ihm zu arbeiten. Sie sagten, dass er eine Gefahr für die Elfe darstellte und sie unnötig in Gefahr brachte. Doch seine Schusseligkeit hatte einen eindeutigen Vorteil: Kein Feind nahm ihn ernst. Er fiel hin, es wurde herzlich über ihn gelacht und im Anschluss spießte der Söldner seine Gegner auf. Denn wie tollpatschig er auch war, genauso gnadenlos beendete er ein Leben. Hätten sie sich unter anderen Umständen kennengelernt, wüsste er ihren wahren Namen. Bisher aber kannte er nur ihren Decknamen „Athena“, der sie im Untergrund geheim agieren ließ. Eigentlich wusste er nicht mal wirklich, wie sie genau aussah, weil sie die Farbe ihres Haares stets veränderte und auch einige Details kaschierte. Das gestattete ihr die Drachenmagie und ein wenig Unterricht bei ihrem Bruder Conner. Er war ein ausgezeichneter Illusionist, weshalb er ihr das Gestaltenwandeln gut lehren konnte. Es war recht ähnlich, nur dass man ihre Tarnung problemlos berühren konnte, während seine dann verpuffte. Heute hatte sie ebenfalls rote Haare so wie Nero. Unter den Deckmantel der Magie versteckte sie die Drachenschuppen und Maserungen, die sonst in ihrem Gesicht erkennbar waren. Ihre Makel als Drache... Doch wenn sie sich als solcher offenbarte, würden ihr zahlreiche Kopfgeldjäger am Hintern kleben. Als Elfe konnte sie sich wenigstens noch als Sklavin tarnen, als Drache ging das nicht. Ihre Sommersprossen konnte sie gefahrlos lassen und auch ihre Elfenohren. Das waren Merkmale, bei denen sich niemand irgendwas dachte. Nicht mal bei dem blinden Auge. Jedoch musste sie das Brandmal der Attentäter-Gemeinde versteckt halten, auch wenn es magisch abgeschirmt wurde. Es war besser, wenn es nicht zu sehen war, falls doch mal der falsche sie kontrollierte. „Willst du wirklich eine einfache Karawane begleiten und Geleitschutz bieten?“, hinterfragte Nero verwirrt. „Das ist doch sonst nicht dein Stil.“ „Ich muss mich mal etwas aus Götterherz fernhalten.“, erinnerte die Elfe ihn. „Mein letzter Auftritt war mal etwas zu dramatisch.“ „Das will ich nicht abstreiten, aber das ist schon öde.“ „Du musst nicht mitkommen.“, erinnerte sie ihn. „So etwas schaffe ich problemlos alleine. Außerdem könntest du stolpern und die Karawane versehentlich selbst töten.“ „Haha...“ Als der Karawanenführer auf sie zukam, verstummten die beiden. Er war ein beleibter Händler, der keine besonderen Merkmale aufwies. Seinen Namen hatte Billiana bereits wieder vergessen, weil er für sie unbedeutend war. Dieser Job diente nur der Aufstockung ihres Goldes und der Entfernung aus der Hauptstadt. „Es kommt noch ein Leibwächter hinzu.“, sagte der Mann vorsichtig. „Ich weiß nicht, ob ich einem halben Hemdchen und einer Frau meine kostbaren Waren anvertrauen kann...“ Billie zog die Augenbraue in die Höhe, während sie sich breitbeinig vor ihm stellte, um Dominanz auszustrahlen und mehr Platz für sich zu beanspruchen. Sie trug eine enge Lederhose, dazu eine ebenso enge Bluse, die unter einem halb geöffneten Mantel lag. Diesen zügelte sie unterhalb ihres Busens mit einem Gürtel, sodass es hinten etwas wie ein Umhang wirkte und vorne wie ein Kleid. Feminin, aber auch mit vielen Möglichkeiten im Kampfgeschehen. Unter anderem, weil sich Waffen wunderbar verstecken ließen und sie den Mantel auch einzusetzen wusste. „Ihr glaubt also, dass wir ungeeignet sind, um deine lächerlichen Stofffetzen zu verteidigen, Händler?“, hinterfragte die Elfe scharf und verengte dabei ihre eisblauen Augen. „Wollt Ihr mir etwa sagen, dass wir nicht wüssten, wie wir arbeiten müssen?“ „Ähm... Nein... Nein, Mylady!“ „Ich bin keine Lady.“, zischte sie deutlich. „I-Ich wollte... Euch und Euren Freund nicht beleidigen, aber-...“ Billiana kam einen bedrohlichen Schritt näher und blickte auf ihn herab. Mit ihren 1,78 Metern war das für sie durchaus möglich, wenn sie vor einem recht kleinen, rundlichen Händler stand, der vor Angst bibberte. „Aber was?“, fragte sie scharf. „Nichts... Gar nichts, bitte verzeiht...“, flehte der Händler leichenblass. „Der will uns ernsthaft sagen, wie wir unseren Job zu machen haben, oder?“, richtete sie an Nero, der irritiert die Augenbraue in die Höhe zog, aber nichts sagte. „Wir sagen Euch doch auch nicht, wie Ihr Eure Arbeit zu machen habt!“ „Es tut mir wirklich leeeeiiid!“ Wieso bringt es nur solch einen Spaß, Menschen zu verängstigen?, dachte die Attentäterin innerlich grinsend. Er macht sich fast in die Hose! „Woah, ruhig Blut, Leute!“, unterbrach sie plötzlich eine fremde Männerstimme, als sie gerade zum nächsten Hieb ausholen wollte. Langsam drehte sich die Elfe um und war erstaunt, dass sie einen bestimmt zwei Meter großen Mann entdeckte, der die Statur eines Soldaten besaß. Er war beinahe ein Berg bei den Muskelmassen! Dazu trug er einen gepflegten, schwarzen Bart und ebenso gepflegtes, kurzes, schwarzes Haar. Seine Augen strahlten etwas Freundliches und Warmes aus, was sie so selten bei Menschen bemerkte. Seine Rüstung wirkte alt, aber sehr gut in Schuss. Sie konnte sich vorstellen, dass er sie täglich polierte und auf Beschädigungen kontrollierte. Sein Schwert wirkte genauso gut erhalten, wenn es auch bestimmt genauso als war. „Und Ihr seid?“, wollte Billie schließlich wissen und behielt ihren breiten Stand bei, während sie die Hände in die Hüften stemmte. Auch wenn ihr der Mann optisch gefiel, würde sie es ihm nicht leicht machen. „Hammond, junge Dame.“, stellte er sich vor und deutete eine Verbeugung an. „Aber bitte nennt mich Hamm. So wie Hamm-Hamm, nur mit einem Hamm. Ich bin die Verstärkung.“ Sie musste doch schmunzeln, als sie die eigenwillige Art und Weise hörte, wie er sich vorstellte. Beinahe so, als redete er mit einem kleinen Kind, dem er beibringen wollte, was Essen war. Sie sah es aber nicht als Beleidigung an. „Athena.“, stellte sie sich stattdessen vor und deutete dann auf ihren Partner. „Und das ist Nero. Vor ihm müssen wir die Karawane beschützen. Er stolpert gerne...“ „Oh, verstehe.“, kicherte der Soldat und nickte dem errötenden Nero zu. „Dann sollten wir ihn vielleicht lieber an einen Baum binden? Wäre für alle sicherer.“ „Wieso bin ich nicht auf diese Idee gekommen?!“, schockierte sich die Elfe gespielt. „Hunderte Leben hätte man retten können, wenn man das mal eher gemacht hätte!“ „Ihr wisst schon, dass ich euch hören kann?“, warf Nero peinlich berührt ein, war aber außerstande wirklich etwas dagegen zu unternehmen. „Athena...“, wiederholte Hammond schließlich murmelnd. „Der Name kommt mir bekannt vor.“ „Mhm, ja, weil ich im Untergrund recht bekannt bin. Ich erledige alle Jobs. Teils sogar mit unverhofften Bonussen.“ „Natürlich! Ja... Genau. Man redet nur noch von Eurem Geschick und wie viele Köpfe Ihr schon gebracht habt.“ Köpfe... Ja, nicht nur zu Auftraggebern., sinnierte Billiana schmunzelnd. Wyrnné konnte sicherlich bald eine Kopf-Party veranstalten, wenn er es wollte. Doch er entsorgte die Köpfe sicherlich eher. „Wir... sollten aufbrechen...“, warf der Karawanenführer schließlich kleinlaut ein. „Ich habe einen engen... Terminplan.“ „Ernsthaft?“, zischte die Elfe und funkelte ihn böse an. „Ihr wollt uns schon wieder sagen, wie wir zu arbeiten haben?“ „Nein! Natürlich nicht!“, widersprach der Mann und hob die Hände vollkommen verzweifelt. „Wir brechen auf, wenn Ihr soweit seid!“ Das war der Augenblick, in dem er auf den Hacken kehrt machte und sich davonstahl. Offenbar wollte er sich nicht mit der Elfe anlegen, die kurz darauf zu lachen begann. Natürlich hätte sie ihn niemals verletzt, wenn es nicht wirklich sein musste. Doch das musste er ja nicht wissen. „Und wann brechen wir nun auf?“, hinterfragte Nero sichtlich verwirrt. Mit dem ganzen Schabernack konnte er gerade wirklich nichts anfangen. „Jetzt.“, antwortete Billie. „Ich habe noch eine Menge Termine und keine Zeit zum Trödeln.“ Während Nero sie fassungslos anstarrte, begann Hammond lautstark zu lachen und amüsierte sich ungemein darüber, dass sie den Händler so sehr ärgerte. Vielleicht sogar provozierte. Was genau sie damit bezwecken wollte, wusste der Soldat nicht, der sich aber auf eine lustige Reise freute.   Einen Tag waren sie nun bereits unterwegs und sie kamen schnell voran. Bisher hatten noch keine Verbrecher versucht, die Karawane anzugreifen oder zu behelligen. Das würde dafür sorgen, dass sie ihr Ziel viel schneller als geplant erreichen würden. Das war auch in Hammonds Sinne, der diesen Auftrag nur machte, um die Kassen der Rebellion aufzufüllen. Elena hatte ihm nahegelegt, dass derartige Missionen gut waren, wenn man schnell an Münzen kommen wollte ohne sich direkt mit dem Weltenlenker anzulegen. Damit hatte sie vollkommen recht. Jede Leibwächter-Mission, die er bisher angenommen hatte, war zwar schwierig gewesen, hatte ihm aber am Ende hohe Summe eingebracht. Oft genug mit Gefahrenbonus. Wenn wir nun aber gar nicht angegriffen werden, kann ich dieses Mal nicht auf einen Bonus pochen., überlegte der Soldat. Er wusste nicht, ob er froh oder enttäuscht sein sollte. Zumindest waren sie eine lustige Truppe! Nero war tatsächlich solch ein Tollpatsch. Immer wieder stolperte er und riss entweder welche der Händler um oder landete im Dreck. Seine wirklich schöne Begleiterin hingegen schien das Spiel aufrechtzuerhalten, dem Anführer das Gefühl zu geben, dass sie ihn umbringen wollte. Hammond ging nicht davon aus, dass sie eine derartige Absicht verfolgte, aber der Karawanenanführer schien um sein Leben zu bangen. Deshalb überraschte es ihn auch nicht, als der besagte Mann leise in sein Zelt stolperte. Seit eben war das Nachtlager fertig aufgeschlagen und einige der Frauen von den Händlern waren dabei, für alle ein Mahl zu kochen. Athena hatte ihn gebeten, sich vorerst auszuruhen, während sie die Gegend patrouillierte. Nero überwachte derweil das Lager als solches. „Ihr wisst hoffentlich, dass ich Euch nur bezahlen kann, wenn ich lebe, oder?“, wollte der Händler wissen. Man sah ihm an, dass er um ein bisschen Würde rang und er den Versuch startete, wie ein ganzer Mann auszusehen. Dafür hatte er sich von der Elfe jedoch zu sehr aufs Korn nehmen lassen. „Ja, darüber habe ich tatsächlich Gerüchte vernommen.“, antwortete er amüsiert. „Ihr werdet doch nicht so dumm sein und mich sterben lassen, wenn sie mich versucht, umzubringen?“ „Ihr werdet doch nicht so dumm sein und wirklich glauben, dass sie das vorhat?“ Der beleibte Mann wand sich etwas und schien sich unwohl zu fühlen: „Was macht Euch da so sicher?“ „Erstmal währt Ihr längst tot, wenn sie Euren tot wollte. Dann seid Ihr – Verzeihung – ein recht kleiner Fisch unter den Händlern.“ „Vielleicht, aber man könnte sie trotzdem beauftragt haben!“ „Bezweifle ich...“, murmelte der Rebell. „Ihr habt sicherlich nicht viele allzu reiche Freunde oder Feinde, nicht wahr? Keiner von ihnen wird sich das Honorar für eine derartige Auftragsmörderin leisten können.“ „Ich bevorzuge die Bezeichnung Attentäterin.“, sagte plötzlich eine Frauenstimme, die den Eingang des Zelts öffnete. Just in diesem Augenblick erstarrte der Karawanenanführer und ging etwas hin und her, als suchte er einen Fluchtweg. Einen, der nicht direkt an der Elfe vorbeiführte. Natürlich ohne Erfolg. Dafür müsste er unter den stabilen Wänden des Zeltes durchkrabbeln, was viel Zeit kostete und seine Kleidung komplett versauen würde. „Oh, bitte! Kommt runter!“, warf die eigentliche Blondine augenrollend ein. „Ich habe keinen Auftrag Euch zu töten. Ihr wärt der Erste, der das spüren würde.“ „Aber-... Aber wieso immer diese... Blicke...? Und diese ganzen... Worte?“ „Spaß. Ich will Euch nur ärgern.“ „Das kann nicht Euer Ernst sein!“, empörte sich der beleibte Mann sichtlich. Langsam zog die Elfe eine Augenbraue in die Höhe, während sie ihn skeptisch ansah: „Wäre es Euch lieber, ich wollte Euch tatsächlich ein Leid zufügen? Das lässt sich gewiss einrichten... Hammond, wie wär’s? Wollt Ihr mir den Auftrag nicht erteilen, ihn für Euch zu erledigen?“ „Hmmm~...“, überlegte der Soldat laut und versuchte zumindest so zu tun, als wäre er ernst. „Ich hatte schon lange keinen Händler-Braten mehr...“ „I-Ich-... Ich habe verstanden!“, keuchte der Mann und drängelte sich an der Attentäterin vorbei aus dem Zelt heraus, um endlich zu flüchten. Ihm war es unbegreiflich, wie ein einzelner Mensch nur so naiv und dumm sein konnte. Immerhin hatte er Athena selbst angeheuert und zu diesem Zeitpunkt sicherlich um ihren Ruf gewusst. Sonst wäre er nie das Risiko eingegangen, einen offensichtlichen Nichtmenschen – dazu auch noch eine Frau – für diese Reise anzuheuern. Da hat offenbar jemand nicht zu Ende gedacht..., amüsierte sich Hammond. Er wird sich auf dieser Reise mehrmals nass machen. „Im weiteren Umkreis scheint alles soweit sicher zu sein.“, erklärte ihm dann die hübsche Frau. „Nero behält weiterhin das Lager im Auge und ich auch. Ich werde aber zwischendurch immer mal patrouillieren. Ihr dürft Euch gerne ausruhen und später mit Nero den Posten wechseln.“ „Und was ist mit Euch, Lady Athena?“, hinterfragte der Soldat neugierig. „Wann wollt Ihr Schlaf finden?“ „In der nächsten Nacht oder bei der nächsten Rast.“, erwiderte sie gelassen. „Dann könnt ihr beide Arbeitsteilung betreiben. Ich komme recht lange ohne Schlaf aus.“ „Das glaube ich Euch ungesehen.“, schmunzelte Hammond doppeldeutig. „Ihr seid ziemlich frech!“ „Nur, weil ich Euch indirekt vorhalte, dass Ihr nachts sehr aktiv seid? Das kann ich mir nicht vorstellen, dass mich das frech macht.“ Die Elfe musste doch lachen und wollte gerade gehen. Der Soldat schaffte es aber, vorher sanft nach ihrer Hand zu greifen und sie so zu hindern. „Darf ich Euch etwas fragen, werte Athena?“ „Natürlich.“, antwortete sie und wandte sich ihm wieder zu. „Aber das heißt nicht, dass ich auch antworten werde.“ „Ich habe nichts anderes erwartet.“, gestand der Titan grinsend. „In den Berichten über Euch, gibt es zahlreiche Unstimmigkeiten. Euer Geschlecht ist meistens weiblich, auch wenn dort manchmal etwas anderes behauptet wird, aber Eure Haarfarbe scheint ständig zu wechseln. Versteht mich bitte nicht falsch: Ich weiß, dass Zeugenaussagen eher schwammig sind, aber dann sollte nicht jede Haarfarbe vertreten sein. Vielleicht zwei oder drei... Die meisten müssten sich irgendwie decken.“ „Ihr habt vollkommen recht.“, stimmte sie ihm zu und nickte. „Ich färbe mir die Haare. Damit meine Identität geheim bleibt, natürlich.“ „Natürlich.“ Jetzt war er doch fasziniert. Er musterte ganz genau ihre Haare, ob er ausmachen konnte, welches ihre Naturhaarfarbe war. Doch er konnte nicht mal eine kleine, andersfarbige Haarsträhne entdecken! Ihr Haar wirkte vollkommen natürlich. So rot, wie damals auch Leandras Schopf. Hammond hatte von Farben gehört, die man aus Pflanzen gewann. Die meisten davon nutzte man für das Färben von Stoffen für Kleidung oder um eine Rüstung einen neuen Anstrich zu verpassen, aber sie hielten nicht an Haut oder Haar. Es gab Experimente in dieser Richtung. Ein paar Waren gab es bereits, die dazu dienten, die Lippen einer Frau mehr zu betonen, indem sie roter wurden. Das klappte aber wohl noch nicht so gut. Meistens reichten ein paar Küsse, damit die Farbe verblasste und dabei übertrug sie sich auch noch auf die Lippen des Partners. Die adligen Damen waren also auf Festen und Bällen stets damit beschäftigt, die Farbe neu aufzutragen. Aus diesem Grund bezweifelte er stark, dass es eine Methode gab, die es ermöglichte, Haare so perfekt zu färben. Wenn, dann musste es stark abfärben und ständig erneuert werden wie die Farbe der Lippen! Sie waren schon seit Stunden unterwegs und für die Elfe hatte sich keine Gelegenheit geboten, um die Haarfarbe zu erneuern, trotzdem sah sie nicht verblasst aus. Vollkommen fasziniert streckte der Titan seine Finger zu einer ihrer Haarsträhnen aus. Ganz vorsichtig rieb er mit den Kuppen darüber. Es fühlte sich seidig und natürlich an. Gar nicht stumpf, wie man erwarten könnte, wenn sie es doch ständig umfärbte, um sich zu tarnen. Als er auf seine Finger blickte, konnte er auch keine Farbe daran ausmachen. Nicht mal etwas Pulver oder Flüssigkeit. Habe ich gerade etwa ernsthaft einfach ihre Haare angefasst?, wurde es dem Titan schlagartig klar. Er blickte auf und stellte fest, dass sie amüsiert grinste, während sie die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Ärger konnte er in ihren eisblauen Augen nicht ausmachen. Offensichtlich fand sie sein Interesse eher witzig und würde sich darüber gewiss noch lange amüsieren. Ähnlich wie über die Tollpatschigkeit von Nero. „Zufrieden?“, hinterfragte sie nicht ohne Spott. „Wirklich... gute Arbeit...“, gab er dann peinlich berührt zu. „Täuschend echt.“ „Vielen Dank für die Blumen.“ Verlegen kratzte sich Hammond etwas am Hinterkopf, während seine Wangen leicht rot anliefen: „Ich wollte Euch wirklich nicht bedrängen. Es erscheint nur so unwirklich.“ „Gewiss, das verstehe ich.“ „Wie genau macht Ihr das? Benutzt ihr Pflanzensäfte oder Säfte von Früchten?“ „So in der Art.“, erwiderte die Elfe gelassen und fuhr sich selbst einmal durch das rotgefärbte Haar. „Ich nehme ein paar natürliche Zutaten, um das Haar zu bearbeiten und wirke dann mit Magie etwas nach. Das Haar nimmt die Farbe auf und wird sozusagen wirklich zu dieser bis ich den Zauber aufhebe.“ „Beeindruckend.“, staunte der Soldat nicht schlecht. „Wozu noch die pflanzlichen Zutaten?“ „Als Basis für die Magie und die Farbe, die das Haar annehmen soll. Sozusagen ein Tribut dafür.“ „Von solcher Magie habe ich noch nie etwas gehört.“ „Sie ist auch wahnsinnig selten.“, lächelte sie verwegen. „Wenn nicht sogar fast ausgestorben.“ „Das ist wirklich außergewöhnlich! Wenn ich ein Schreiberling wäre, würde ich das alles sofort aufschreiben und Euch genauer studieren!“ Eine Weile redete Hammond sich noch um Kopf und Kragen, ehe ihm eigentlich bewusst wurde, dass sie wohl schon eine Weile nicht mehr hinhörte. Die Elfe wirkte so, als wäre sie in Trance. Ihr Kopf war leicht zur Seite geneigt, die Augen kurz vorm Schließen, während sie weit weg wirkte. Der Titan wusste nicht, wie lange sie überhaupt schon redeten, aber offenbar hatte er sie gelangweilt. „Verzeihung...“, murmelte er und berührte sie am Arm. Die Attentäterin schrak auf und blickte ihn irritiert an, während er fortfuhr: „Ich wollte Euch nicht langweilen.“ „Habt Ihr nicht.“, winkte Athena ab. „Ich habe auf die Schritte in der Ferne gelauscht. Wir bekommen Gäste.“ „Was...?“, hinterfragte Hammond vollkommen irritiert und war sich nicht mehr sicher, ob sie nur von allem ablenken wollte. Jedoch wirkte die Frau wirklich ernst! „Schätzungsweise sind es sieben oder acht Männer. Teils mit Rüstungen, teils in leichterer Montur. Bewaffnet scheinen sie alle zu sein...“, berichtete sie ganz unverfroren. „Könnten Söldner sein oder Soldaten, die patrouillieren. Letzteres scheint mir eher unwahrscheinlich... Sind zu weit weg von Götterherz und anderen großen Städten. Wahrscheinlicher ist, dass es Banditen sind.“ „Du kannst das alles hören? Wie?“ „Darauf können wir später eingehen. Wir sollten uns lieber bereit machen.“ „Natürlich!“ Hammond brauchte nicht lange, um seine eigene Waffe zu packen und das Zelt eilig zu verlassen. Die Elfe folgte ihm dabei. Ihnen standen nicht viele kampftaugliche Männer und Frauen zur Verfügung, aber es musste für diesen Augenblick einfach genug sein. Immerhin hatten sie die eventuellen Feinde wahrscheinlich selbst angelockt. Mit Lagerfeuern mussten sie zukünftig vorsichtiger umgehen!   Es überraschte Billiana nicht, dass ihre Vermutungen stimmig waren. Es war sieben Männer auszumachen, die teilweise schwere Rüstungen trugen und ein paar in Lederkluft. Sie waren alle bewaffnet und unterhielten sich leise über eine Taktik, damit sie die Leute am Lagerfeuer überfallen konnten. Hierbei wollten sie nichts dem Zufall überlassen. Die Banditen scheinen immer leichter an gute Ausrüstung zu kommen., überlegte die eigentliche Blondine verbittert. Reisen werden immer gefährlicher. Ohne Leibgarde kommt man kaum noch sicher irgendwo an... Als sie sich näher an die gegnerische Gruppe heranschlich, konnte sie ausmachen, was es für Leute waren. Teils waren es Nichtmenschen, teils war es nicht zu erkennen. Vermutlich aber viele Mischlinge, die kein Zuhause mehr hatten und auf diese Weise überlebten. Wenn Wyrnnés Männer sie erwischten, würde man sie öffentlich hinrichten oder sogar foltern. Sie konnte nicht ausschließen, dass Magiebegabte dabei waren oder eben nicht. Es war nicht mal klar, ob einige von ihnen nicht vielleicht eine taktische Ausbildung gehabt hatten, bevor sie zu Flüchtigen geworden waren. Es würde also ein Kampf des Ungewissen sein. Eine Weile war es still. Der richtige Augenblick, um nach Nero und Hammond zu lauschen. Sie sollten die wenigen Kämpfer koordinieren und bestimmte Orte dafür nutzen. Inzwischen schienen alle gut verteilt zu sein. Auch die beiden Männer schienen ihre eigenen Positionen zu beziehen, um sich bereit zu machen. Dann sollten wir das Tänzchen mal beginnen., dachte die Elfe grinsend. Leise murmelte sie einige Worte der Macht und malte Lichtzeichen auf die Erde, die aus einer toten Sprache stammten. Kurz darauf erhob sich ein kreisrundes Portal, welches mehrere Steinringe besaß. Sie begannen sich zu drehen, als sie die Formel fortsetzte, während in der Mitte ein strahlendes, bläuliches Licht entstand. Jetzt wurden ihre Feinde aufmerksam. Sie folgten irritiert dem Licht und wussten offenkundig nicht genau, ob sie alarmiert sein mussten. Ein paar von ihnen fanden den Ursprung und starrten das magische Portal mit weit geöffneten Mündern an. So etwas hatten sie definitiv noch nie in ihrem Leben gesehen und die Chance war groß, dass es auch nie wieder dazu kommen würde. Zu spät schrie einer ihrer Anführer, dass sie das Tor zerstören sollten. Just in diesem Augenblick war der Beschwörungszauber bereits abgeschlossen und eröffnete den Zutritt zu dieser Welt aus einer anderen. Umgekehrt war es derzeit nicht nutzbar. Eine spinnenartige Bestie sprang aus der Mitte des Portals. Es war gigantisch und sehr wütend darüber, dass man sie gestört hatte. Wenn Billiana ehrlich war, wusste sie nicht genau, wo sie gerade das Tor beschworen hatte und würde vermutlich diese Kreatur nur schwer bändigen können. Es diente aber auch nur der Ablenkung. Sie musste also nur verhindern, dass es sie oder ihre Verbündeten tötete. Da die kleine Gruppe das erste war, was die Bestie zu Gesicht bekam, ging sie wohl davon aus, dass sie den törichten Fehler gemacht hatten, sie zu beschwören. Fauchend sprang sie direkt auf einen der Männer zu, riss ihn zu Boden und zerfetzte ihm blutrünstig die Kehle. Das Geschrei war kurzzeitig laut, verstarb aber schnell in einem Gurgeln. In diesem Augenblick verstand auch der Rest der Truppe, dass diese eigenartige Spinne nicht ihr Freund war. Sie zogen ihre Waffen und versuchten auf den Chitinpanzer des Insekts einzuschlagen. Vorerst ohne Erfolg. Wenn ihre Klingen nicht darauf abrutschten, dann verpuffte ihr Angriff einfach im Nichts. Ich sollte das Portal öfters in diese Richtung öffnen... Das Vieh ist ja echt effektiv!, dachte die Elfer überrascht und machte dann eine Drehung, um einen Angriff von hinten mit ihrem Seelenschwert zu blockieren. Noch in der Drehung hatte es sich aus einem dunklen Nebel in ihrer Hand materialisiert. Der hinterhältige Angreifer wirkte vollkommen schockiert darüber, dass die Elfe plötzlich bewaffnet war und starrte sie einen Herzschlag zu lange einfach nur an. Ohne Gnade holte sie aus und stach mit der Spitze des Schwertes direkt durch den Hals des Mannes. Es tat ihr leid um diese armen Geschöpfe, doch wenn sie sie nicht tötete, dann taten sie es mit ihnen. Ihre Unterhaltungen hatten das sehr deutlich gezeigt! „Angriff!“, schrie sie, so laut sie nur konnte. Es war das Signal für ihre Verbündete, in den Kampf einzuschreiten und das Überraschungsmoment zu nutzen. Ihrem Befehl wurde Folge geleistet, wenn auch nicht so schnell und effektiv, wie es bei einer gut ausgebildeten Truppe der Fall war. Sie stürzten sich auf die üblichen Männer, um der Bestie zu helfen, dessen Panzer allmählich Risse bekam. Nun musste sich Billie darauf konzentrieren, ihren Verstand zu kontrollieren. Die Spinne wollte alles und jeden umbringen. Wenn sie diesen Wunsch nicht auf die gewünschten Ziele einschränkte, konnte das ganz schnell sehr übel für sie alle ausgehen. Um sie herum wurde alles leise. Die Kampfgeräusche wurden zu einem Rauschen. Alles um sie herum verschwamm. Da waren nur noch sie, die riesige Spinne und die gewünschten Ziele, auf die sie sie ausrichtete. Es war nicht so einfach, eine Kreatur zu lenken, die intelligent und eigenwillig war. Sich überhaupt zu verbinden, war schon eine Herausforderung! Wäre sie nicht solch eine erfahrene Beschwörerin, wäre es ihr nicht möglich und sie wären alle tot. Plötzlich musste sie sich doch noch auf andere Dinge konzentrieren. Andere Geräusche, welche sie beinahe vollkommen aus dem Takt gerissen hätten. Immerhin waren eigentlich nur noch zwei der feindlichen Angreifer übrig und wurden gerade von Hammond und Nero eingekreist. Der Rest der Männer versuchten die Waffen, Rüstungsteile und alles von Wert von den Toten zu bergen. Sie konnten es auf ihrer weiteren Reise gebrauchen. „Es kommen noch mehr!“, schrie die Attentäterin schließlich als sie sich sicher war. „Viel mehr! Es muss ein ganzer Trupp sein!“ „Von woher kommen sie?!“, schrie Hammond zu ihr zurück und wirkte bereit. „Norden!“ In diesem Tumult war es schwer auszumachen, wo nun welche Himmelsrichtung war. Deshalb deutete sie auch in die entsprechende Richtung. Der Soldat hatte es aber schon vorher gewusst und sich in diese Richtung gedreht. Er ist gut..., musste die Elfe zugeben. Wie gut er eigentlich war, wurde ihr erst im nächsten Augenblick klar, als er seine Faust auf den Boden donnerte. Unter dieser bildeten sich Risse, welche sich in Richtung Norden weiter ausbreiteten. Nur einen Herzschlag später brachen diese erst unbedeutenden Risse auf und bildeten einen gigantischen Spalt. Wie tief dieser war, konnte sie nur erahnen. Es war effektiv, denn sie konnte die Schreie von stürzenden Männern hören. Knochen, die auf Felsen zerschlagen worden oder Metalle, die darauf prallten. Einige konnten sich noch festhalten oder ihrem sicheren Tod durch einen Sprung zur Seite ausweichen, doch der größte Teil der Gruppe schien durch diesen meisterlichen Angriff getötet worden zu sein. Er ist ein Titan..., wurde es ihr mit trockenem Mund bewusst. Nicht irgendein Titan! Ein Meister seiner Magie... So etwas kann kaum ein Zweiter ihm nachmachen. Respekt kroch in der Langhaarigen hoch. Ihre Magie mochte relativ einzigartig und mächtig sein, doch die Essenzmagie der Menschen fand sie deshalb nicht weniger eindrucksvoll, wenn sie so meisterhaft ausgeübt wurde. Sie musste aufhören zu schwärmen, als ihr klar wurde, dass ihre Riesenspinne gerade versuchen wollte, einen ihrer Verbündeten zu fressen. Sofort riss sie brutal an der unsichtbaren Leine, welche sie verband, um die Bestie wieder unter Kontrolle zu bekommen. Um den Blutdurst der Kreatur zu löschen, gab sie ihr sofort den Befehl einen der Überlebenden anzugreifen. Dem ging sie gerne nach und warf den armen Tropf direkt in die neu entstandene Schlucht. Durch Hammonds Einschreiten war es kein Problem mehr, auch die restlichen Angreifer zu töten. Es war nun beinahe zu einfach gewesen! Billiana würde sich aber gewiss nicht darüber beklagen, dass dieser Händler durch Glück wirklich gute Leute für den Schutz der seinen eingestellt hatte. Nur interessierte sie sich allmählich für seine Beweggründe, sich solch einer Mission anzuschließen. Bei seinen Fähigkeiten könnte er reich sein! Ein ausgezeichneter Kämpfer mit Gehirn und einer Magiebegabung, die zu seinem kämpferischen Talent genau passte. Eigentlich ein geborener Anführer. Für diese Unterhaltung gab es aber immer noch Zeit. Jetzt sollten sie erstmal die Besitztümer der Banditen sichern, ihre Wunden lecken und sich ausruhen. Sie hatten noch ein paar Meilen vor sich und wussten nicht, ob sie noch mehr solcher Angriffstruppen begegneten.   Wenn Kelvin in einer Sache schlecht war, dann war es definitiv sich zurückzuhalten. Er wusste, dass Hammond sich zurzeit auf einer Mission befand, dessen genauen Inhalt er nicht kannte. Der Rebellenanführer vermutete aber, dass es sich um eine Aufstockung ihrer Finanzen im Sinne von Elena handelte. Davon würde er ihn nicht abhalten! Es gab ihm gewisse Gelegenheiten, denn nun würde der Soldat nicht an ihm herummeckern oder ihn tadeln. Es überraschte ihn nicht mal mehr selbst, dass er sich im Palast dieses angeblichen Gottes befand, dessen Gesicht bisher keiner zu sehen bekommen hatte. Sah man von dessen Personal ab. Dieser Lebenswelt machte sich auch deshalb so interessant, weil bisher nicht sein ganzer Name bekannt gegeben worden war. Alles war absolut widersprüchlich, wenn es um diese neue Gottheit ging! Sonst konnte der Weltenlenker es kaum abwarten, möglichst alle Informationen seiner Gottheiten zu verbreiten, um seine Gläubiger mehr in Staunen zu versetzen. Es musste also etwas nicht stimmen, wenn er diesen einen nicht dafür benutzte. Bei einem Punkt hatte er Hammond nicht belogen: Er hatte von Anfang an mit wenigen Leuten hier einsteigen wollen. Es war weniger auffällig und sie konnten sich auch schnell als Diener verkleiden, wenn es die Situation erforderlich machte. Zwei oder drei neue Diener fielen nicht auf, aber wenn es eine halbe Armee war... Obwohl diese Kleidung wirklich nicht modisch ist., dachte Kelvin spöttisch und zupfte an den Klamotten. Und auch nicht bequem! Wieso will man freiwillig dienen? Schlechte Bezahlung, schlechte Behandlung und schlechte Bekleidung... Die drei B’s. Seine Verkleidung hatte er sich von einem unaufmerksamen jungen Diener „geliehen“ und ihn im Anschluss im Keller eingesperrt. Mit etwas Glück, würde man ihn lange weder hören noch durch Zufall finden. So konnte er recht unbeobachtet den Palast erkunden und konnte im Notfall sich eine Lüge ausdenken, falls man doch wissen wollte, warum er hier oder dort war. „He, du!“, hörte er eine tiefe Männerstimme rufen. Einen Augenblick lang hoffte der Rebellenanführer, dass man nicht ihn meinte und ging einfach weiter. Da ihn dann aber eine behandschuhte Hand an der Schulter stoppte, war die Hoffnung dahin. Ein kurzer Seitenblick reichte, dann erkannte Kelvin, dass die Handschuhe mit Eisen beschlagen waren. Es konnte also eine Wache sein. Die gab es meistens als Pärchen. „Was machst du hier?“ Kelvin drehte sich langsam um und tat unschuldig: „Ich fürchte, ich habe mich verirrt, Herr...“ Jetzt erkannte der Rebell den Mann auch erst! Er war keine Wache, sondern ein Priester. Zur Sicherheit behielt er die Ausbildung aller Priester im Auge, denn sie wiesen spezielle Fähigkeiten und Begabungen auf und wurden anhand dessen Gottheiten zugeteilt. Diese Fähigkeiten konnten magischer Natur sein, aber auch ganz andere Attribute erfassen. Dieser Mann hieß Melvyn Nadhoron. In seinem vorherigen Leben war er ein Heerführer gewesen, der dann aber offenbar den Glauben fand. Also hatte er seine Berufung an den Nagel gehangen und sich der Ausbildung zum Priester gewidmet. Soweit Kelvin wusste, besaß er keinerlei besonderen Fähigkeiten, wenn man von seinem taktischen Können, seiner Kampffertigkeit und seinen diplomatischen Leistungen absah. Eigentlich war er mehr eine Leibwache... Für sein gutes Aussehen war Melvyn jedenfalls nicht hier gelandet. Zumindest fand der Rebellenanführer ihn auch in diesem Bereich eher gewöhnlich. Sein Haar hatte ein etwas dreckig wirkendes Mittelblond, seine Augen wusste er nicht zu definieren und sonst bestand er einfach nur aus Rüstung und Muskeln. Er musste aber aus einem bestimmten Grund hierhergeschickt worden sein. Immerhin wartete er schon ewig auf seine Zuordnung! „Verlaufen? Ich kenne dich nicht.“, sagte Melvyn ernst und ihm folgten zwei Wachen. Das machte deutlich, dass er sogar einen höheren Rang bekleiden musste. Ist er etwa Lebenswelts Hohepriester?, überlegte der Rebellenanführer entsetzt. Gehen dem Weltenlenker etwa die begabten Priester aus? Rasch riss sich Kelvin aus seinen Gedanken und lächelte freundlich: „Mein Bruder wurde krank. Ich vertrete ihn.“ „Wer ist dein Bruder?“ „Tom.“, antwortete er ohne lange zu überlegen. Es war ein Allerweltsname, der sicherlich auch in dieser Dienerschaft mehrfach vertreten sein würde. Da nur adlige, reiche oder hochgestellte einen Familiennamen zugesprochen bekamen, musste er sich darum keine Gedanken machen. „In welchen Bereich würde Tom normalerweise arbeiten?“, hakte der Priester skeptisch nach. „Mir wurde kein Tom als krankgemeldet.“ „Ich glaube, er ist sonst in der Küche, aber er redet da nicht wirklich drüber.“, redete sich der Rebell raus. „Er wollte nicht ausfallen, wegen der Münzen des heutigen Tages. Deshalb wollte er, dass ich ihn vertrete. Damit es nicht auffällt... Seid Ihr nun sauer, Euer Gnaden?“ Melvyn traute ihm offensichtlich nicht, gab aber seufzend nach. Es war im Augenblick schwer für ihn, die Geschichte zu überprüfen oder ihn wegzuschicken. Auch wenn es eine Menge Personal gab, war es meistens trotzdem zu wenig, um Adel oder Gottheiten zufrieden zu stellen. Auch wenn es dem Mann offenkundig nicht gefiel, dass ein Fremder hier war, wollte er ihn auch nicht direkt wegjagen. Deshalb nickte er schließlich: „Na gut, von mir aus. Aber hier kannst du nicht bleiben. Das sind die privaten Räumlichkeiten von Lebenswelt. Anna! Zeig‘ ihm die Küche und erkläre ihm, wie er dort aufzuräumen hat.“ „Ja, Mylord.“, sagte die Zofe freundlich und winkte ihn heran. Sie war nicht außergewöhnlich schön, aber auch nicht hässlich. Auf jeden Fall schien sie sich hier wohlzufühlen, denn sie strahlte Zufriedenheit aus. „Bitte entschuldige, wenn ich Umstände bereite.“, sagte Kelvin charmant. Er wusste, dass er eine gewisse Wirkung auf das andere Geschlecht hatte. Vor allem, weil er ein durchaus attraktiver Mann in einem angemessenen Alter war. Nicht zu alt, nicht zu jung. „Kein Problem.“, sagte Anna freundlich. „Wie heißt du denn? Hast du neu angefangen?“ „Meine Freunde nennen mich Eddy.“, sagte er wie aus der Pistole geschossen. „Ich vertrete nur meinen kranken Bruder.“ „Das ist ja nett von dir. Bitte folge mir.“ Oh, du armes Ding, du hast ja keine Ahnung..., dachte der Rebellenanführer grinsend. Zwar würde er jetzt erstmal mit ihr mitgehen, sich aber den Weg zu den privaten Gemächern gut einprägen. Dieser Palast war ein Labyrinth. Sicherlich konnte sich ein Kenner anhand der Wandteppiche und Vasen hier gut zurechtfinden, aber er gehörte definitiv nicht dazu. Er musste sich an anderen Dingen orientieren. Kleinere Makel, wie Dreck oder Risse, die sonst keinem anderen aufgefallen waren. Ein Farbanstrich, der nicht ganz in das Bild passte oder ein schlecht positioniertes Fenster. So würde er sich hier einigermaßen zurechtfinden. Den Rest musste er dann raten. Zu seinem großen Glück war die Küche nicht allzu weit weg von den Gemächern. Sicherlich, damit das Essen nicht so weit transportiert werden musste. Sie war außergewöhnlich groß und soweit er es beurteilen konnte, auch sehr gut organisiert. Jeder wusste, was er oder sie zu tun hatte. Alles hatte offenbar seinen Platz. Natürlich ging es trotzdem hektisch zu, doch noch in einem recht freundlichen Umgangston. Es kam Kelvin fast so vor, als habe er die Welt des Adels längst verlassen und wieder in einem niedrigen Viertel gelandet. So viel soziale Kompetenzen sah man eigentlich nicht bei den Reichen und „Schönen“. Um seine Tarnung nicht zu gefährden, ließ sich „Eddy“ noch die Küche zeigen und erklären, wo er was fand. Anna teilte ihm noch einen Bereich zu, dann gaukelte er vor, dass er sich erleichtern müsste. Es überraschte ihn nicht, dass die Frau ihn dabei begleiten wollte. Sicherlich eine Anweisung von Melvyn, keine Fremden im Palast unbeaufsichtigt zu lassen. Nur auserwählte Personen durften sich hier unbeobachtet fortbewegen. Wenn der Rebellenanführer ehrlich mit sich selbst war, tat es ihm nicht leid, als er ihr einen harten Gegenstand über den Kopf zog. Als er genauer hinsah, stellte er fest, dass es sich um eine teure Vase handelte. Etwas mehr Schwung und er hätte der Zofe vermutlich den Kopf gespalten, doch er wusste seine Kraft zu kontrollieren. Wie er es sich vorher schon überlegt hatte, orientierte er sich an den vielen kleinen Makeln, um den Weg zurück zu den privaten Räumlichkeiten der Gottheit zu finden. Dieses Mal war er aber vorsichtiger, um nicht wieder versehentlich einem mürrischen Priester in die Arme zu laufen oder sogar einem Wächter. Es überraschte Kelvin nicht, dass es hier sehr viele Räume und lange Flure gab. Immerhin waren weder der Adel noch angebliche Götter für ihre Bescheidenheit bekannt. Wo andere hungerten, hatten sie Stühle aus Gold. Es widerte ihn an! Für diesen unnötigen Luxus waren schon so viele Menschen und Nichtmenschen gestorben. Gute Leute, die den Tod nicht verdient hatten. Erst recht nicht so... Die meisten Räume waren leer. Zumindest befanden sich keine Lebewesen darin. Nur teure Möbel, die sich gegenseitig zu übertrumpfen versuchten. Er konnte sich gar nicht festlegen, was davon am teuersten gewesen war! Sicherlich wirkte alles sehr bequem und gut ausgepolstert, doch dieses übertriebene Prunkvolle machte deutlich, dass die Reichen irgendwas zu komprimieren versuchten. Schockiert stellte der Rebellenanführer fest, dass eines der Zimmer doch nicht leer war. Er war so in den Trott geraten, dass er die Tür eher gelangweilt aufgestoßen hatte, um einen Blick zu riskieren. Jemand saß an einem riesigen Schreibtisch und schien einen Berg von Briefen zu beantworten. Von hinten konnte er nur das glatte, feine und weiß schimmernde Haar erkennen. Die Gestalt wirkte recht klein und zierlich. Nicht das, was ich erwartet habe..., gestand sich Kelvin enttäuscht ein und schloss derweil hinter sich so leise wie möglich die Tür. Das Klacken des Schlosses machte aber die Person schließlich doch aufmerksam. In diesem Augenblick war er sich sicher, dass das nicht die Gottheit sein konnte! Es war eine wunderschöne Frau, die trotz des weißen Haares nicht älter als zweiundzwanzig sein konnte. Die Haut war beinahe genauso weiß wie ihre Haare, dessen Pony gerade geschnitten war. Es stand ihr gut und betonte sehr schön ihr makelloses Gesicht. Ihre Augen waren in einem strahlenden Violett getaucht, doch das konnte einfach nicht möglich sein. Immerhin konnte er keine spitzen Ohren entdecken und auch sonst keine Anzeichen dafür, dass sie ein Nichtmensch war! Anmutig erhob sich die Hellhaarige zur vollen Größe und präsentierte sich schamlos in zahlreichen durchscheinenden Stoffen. Man konnte ihre Brustwarzen und sogar das Seidenhöschen erahnen, welches sie sicherlich ein halbes Vermögen gekostet hatte. Solch „Unterwäsche“ war vollkommen neu und diente dazu, die Schambereiche zu bedecken. Bei dem Kleid wohl durchaus angemessen... Er wusste nicht mal genau, was die Stoffe für Farben besaßen! Es war weder Grün noch Blau. Ich werde wohl ein paar Sachen über Farben, Stoffe und Mode lernen müssen, wenn ich sie mir so ansehe... Er war sich erst sicher, dass sie die Geliebte des Gottes war, doch dann dämmerte es ihm. Sie strahlte! Sie hatte eine sanfte Lichtaura um sich herum und wirkte irgendwie... erhaben. Nichtmenschlich. Nicht, wie eine Elfe oder ein Ork, sondern wie ein übernatürliches, unsterbliches Wesen. „Eine Frau!“, keuchte er ungewollt heraus. Er hatte es nicht laut sagen wollen, doch der Schock darüber war einfach zu überwältigend! „Herzlichen Glückwunsch.“, säuselte die Schönheit mit ihrer honigsüßen Stimme, die wie die pure Verlockung wirkte. „Ihr könnt die Geschlechter auseinanderhalten.“ „Meine Mutter wäre nun gewiss wahnsinnig stolz! Die Saat geht endlich auf...“ „Davon bin ich überzeugt.“, erwiderte die Göttin vollkommen entspannt. „Wer seid Ihr? Mel hat nicht gesagt, dass ich einen neuen Diener bekomme.“ „Kelvin, zu Euren Diensten.“, stellte sich der Rebell frech grinsend vor und deutete eine Verbeugung an. „Ich weiß nur, dass Euer Familienname Lebenswelt lautet, verzeiht.“ „Fiona von Lebenswelt, aber mich nennen hier alle Lebenswelt.“ „Ist ja auch weniger verfänglich.“ Skeptisch zog sie die Augenbraue in die Höhe und kam ein paar Schritte näher: „So ist es.“ Er wusste, dass er vorsichtig sein musste. Gottheiten waren vielleicht nicht das, was sie vorgaben zu sein, doch sie waren definitiv gefährlich. Jeder von ihnen wies bestimmte Talente auf, die häufig auch magischer Natur waren. Selbst wenn sie nicht wirklich unsterblich waren, fühlte es sich so an, denn ein Dolchstich zeigte keine Wirkung. Ein paar Rebellen vor ihm hatte es versucht... Trotzdem kam Kelvin nicht drumherum die Ironie bei dem Ganzen zu erkennen. Der Weltenlenker predigte laufend, dass Frauen wertlose Geschöpfe waren, die nur dazu dienten, Kinder zu gebären, diese großzuziehen und für die Familie den Haushalt zu schmeißen. Wenn es nach ihm ginge, dann durften sie nicht mal entscheiden, ob beim Sex die Kerzen an oder aus waren! Und nun war eine dieser besagten wertlosen Geschöpfe zu einer Gottheit aufgestiegen. Es wunderte ihn gar nicht, dass er das nun versuchte zu vertuschen. Doch er konnte auf ihre wichtige Rolle in seiner Gesellschaft auch nicht verzichten. Vermutlich konnte er sie nicht mal selbst töten, um den Fehler zu bereinigen! Du hast hoch gepokert und verloren., spottete der Rebell amüsiert. Jetzt wirst du dir wohl dringend überlegen müssen, wie du das hier wieder richten kannst. Da wirst du dein ganzes Charisma aufbrauchen in der Rede! Darüber würde er nicht schweigen. Mit dieser Information konnte er den Weltenlenker demütigen! Er machte sich immer unglaubwürdiger. Immerhin predigte er des Weiteren, dass es wichtig sei, sich zu vermehren, doch er selbst, seine Gottheiten und viele seiner Könige waren kinderlos. Einige von ihnen waren sogar unverheiratet! Sah man genauer nach, war seine ganze Religion ein einziger Widerspruch. „Mel hat dich nicht geschickt.“, sagte Fiona mit deutlichem Unmut. „Was willst du hier?“ „Ich hatte gehofft, dass wir uns vielleicht verbünden könnten.“, schlug er salopp vor. „Ist doch sicherlich langweilig hier. Du könntest frei sein, wenn du mir hilfst, den Weltenlenker von seinem Thron zu holen.“ „Sehe ich irgendwie so aus, als wäre ich vollkommen verblödet?“, zischte die Langhaarige und griff nach einem Schwert, das verborgen neben einem Schrank angelehnt gewesen sein musste. „Ich verbünde mich doch nicht mit einem Unbekannten, der ungefragt in meine Gemächer eindringt.“ „Nun, besser ich dringe unerlaubt in Eure Gemächer ein als in Euch.“ Dass sie das nicht lustig fand, bekam er recht schnell zu spüren, als sie ihre Hand hob und eine Lichtwelle auf ihn schoss. Diese schleuderte den Rebellen durch den halben Raum und ließ ihn stöhnend gegen eine Wand knallen. Er brauchte einen Moment, weil er von den Schmerzen vollkommen benommen war. Ihre Begabung war definitiv magischer Natur und dazu noch sehr unangenehm für ihn. Da sie offenbar nicht in der Stimmung für Verhandlungen war, musste er vorerst das Feld räumen. Deshalb erzeugte er eine Flamme, die er mit etwas Wind in einen Wirbel verwandeln konnte. Das züngelnde Feuerspiel schleuderte der Essenzbeherrscher anschließend direkt auf die vermeidliche Gottheit zu und grinste siegessicher. Immerhin konnten nicht viele die Essenzen verbinden. Sein Grinsen erlosch recht schnell, als sie in die Luft ein Zeichen aus Licht malte und im Anschluss ein Wall aus Licht vor ihr erschien, welche sie vor dem Feuerangriff schützte. Es preschte ein paar Mal gegen die Barriere, um dann einfach im Nichts zu verpuffen. Wenn Kelvin ehrlich war, hatte er sich durchaus mehr von seinem Angriff erhofft. „Gib‘ mir nur einen Grund, weshalb ich dich nicht auf der Stelle töten sollte.“, zischte Lebenswelt angriffslustig. „Wie wäre es mit meinem guten Aussehen? Oder meinem fesselnden Charakter?“ „Falsche Antwort.“ Mit einem Satz sprang die Langhaarige auf ihn zu und holte im Sprung mit der Klinge aus. Sie schlug direkt nach seinem Hals. Wäre er nicht so blitzschnell ausgewichen, dann hätte sie ihn wohl problemlos enthauptet! Sie hatte also nicht nur eine außergewöhnliche Magiebegabung, sondern auch noch Kampfgeschick und Kraft. Und der Weltenlenker behauptet, dass Frauen schwach seien? Sie ist eine Armee!, dachte er schwitzend. So vorgeführt hatte ihn schon lange keiner mehr. Er musste dem nächsten Angriff ausweichen. Wenn er kein Essenzbeherrscher wäre, hätte sie ihn schon mehrmals getötet. Kelvin war einer der wenigen, der sich eine der speziellen Begabungen aneignen konnte. Geschwindigkeit! Bisher war es immer ein Vorteil gewesen, doch in diesem Augenblick war er sich nicht sicher, ob nicht ein anderes Attribut gerade besser gewesen wäre. „Wartet! Wartet...“, warf er schließlich ein und hob beide Hände, um sich als unbewaffnet zu outen. Natürlich trug er versteckte Dolche, aber das war nicht der Augenblick, um sich mit ihr anzulegen. Im Moment war sie ihm bei weitem überlegen und er kannte keine Methode, um sie zu entmachten oder umzubringen. „Also?“, hinterfragte die angebliche Göttin und verharrte in ihrer Bewegung. „Hast du jetzt eine Antwort parat?“ „Es gibt keine richtige Antwort.“, erwiderte Kelvin. In diesem Augenblick wollte sie wieder ausholen, doch er hob sofort wieder die Hände: „Sachte! Lasst mich doch ausreden... Ihr kennt mich nicht und ich kenne Euch nicht. Ihr wisst nicht, ob ich halten kann, was ich verspreche und wenn ich ehrlich bin, weiß ich das auch noch nicht. Doch wenn Ihr mir etwas Zeit und eine Chance gebt, dann würde ich es Euch gerne beweisen, dass ich es wert bin. Ich möchte den Weltenlenker stürzen, um alle aus seiner Knechtschaft zu befreien. Ich möchte Rache für die, die grundlos sterben mussten aus der Laune eines falschen Gottes heraus. Wir sind noch wenige und uns fehlen noch viele Informationen, aber wir versuchen unser Bestes. Und ich denke, wir können es gemeinsam schaffen...“ Stille trat zwischen ihnen ein. Diese unbeschreiblichen, violetten Augen stierten ihm direkt in seine blauen. Nichts regte sich in ihrem Gesicht. Kelvin konnte wirklich nicht sagen, was gerade in der angeblichen Gottheit vorging. Zumindest greift sie mich nicht wieder an..., sinnierte er erleichtert. „Ich gebe zu...“, begann sie schließlich ruhiger. „Mir gefällt seine Politik und Denkweise ebenfalls nicht. Ich gebe zu, dass ich diesen Palast als Gefängnis ansehe und gerne frei wäre. Doch ich muss auch zugeben, dass Ihr von Eurer Sache selbst nicht sehr überzeugt klingt.“ „Ich bin überzeugt, Lebenswelt, sogar sehr. Ich kann nur nicht versprechen, dass meine Überzeugung ausreichen wird.“ „Königreiche sind schon durch weniger gestürzt... Ich werde Euch diese Chance geben. Unter einer Bedingung...“, sie machte bewusst eine Pause, um ihn auf die Folter zu spannen. „Ihr werdet nicht den Thron von ihm übernehmen, falls Ihr es schaffen solltet.“ Sie sah ihm an, dass er widersprechen wollte. Dass er sein Interesse abstreiten wollte. Fiona hob die Hand, um etwaige Ausreden direkt im Keim zu ersticken: „Streitet es nicht ab. Ich kann Eure Gier nach Macht spüren. Euren Wunsch danach, alles zu zerstören, was der Weltenlenker aufgebaut hat. In gewisser Weise seid ihr euch sehr ähnlich... Und das ist gefährlich. Wenn es soweit ist, dass ein Putsch infrage kommt, werden wir einen würdigen Nachfolger suchen und der wird den Thron dann übernehmen, um Ordnung zu schaffen. Ihr seid vieles, aber kein würdiger Herrscher.“ Kelvin schluckte schwer. Das waren viele Vorwürfe und eine harte Bedingung. Fanden sie keinen, der den Thron und diese kaputte Krone übernehmen wollte, dann würde sich der Sturz verzögern. Sie hatte recht: Er wäre bereit gewesen, den Thron zu besteigen und hätte dann eine Hexenjagd auf alle Anhänger Wyrnnés und der Adligen losgetreten. Es wäre wohl wirklich so ziemlich auf das Gleiche hinausgelaufen und hätte die Geschichtsbücher erneut rot gefärbt. „Ihr seid mir etwas unheimlich, Lady Lebenswelt, aber ich stimmte dennoch zu. Ihr habt Recht.“ „Sag‘ ich ja.“ „Sobald ich die Möglichkeit habe, werde ich mich Euch beweisen und zurückkehren.“ „Ich werde es wissen, wenn Ihr soweit seid.“, erwiderte die Frau gelassen. „Und nun geht. Mel wird hier bald auftauchen und er sollte Euch nicht erwischen.“ „Vielen Dank für Euer Gehör.“, sagte er aufrichtig und verbeugte sich erneut. Etwas sagte ihm, dass in ihr viel Lebensfreude steckte, wenn man sie nur ließ. Doch jetzt war nicht die Zeit, um das aus ihr heraus zu kitzeln und sie in ihrer wahren Natur zu erleben. Als er die Tür öffnete, musste er leise sein und ein paar Wachen vorbeilassen. Dann erst schlich er sich wieder heraus und würde sich hüten, nochmals in die Arme des Priesters oder von Anna zu laufen. Endlich gab es Hoffnung auf eine wirklich stake Allianz! Diese vermeidliche Gottheit konnte diese Rebellion in eine vollkommen neue Richtung kippen. Das Unmögliche möglich machen. Nun musste er nur noch einen Beweis dafür finden, dass es sich lohnte ihm zu vertrauen. Für diesen Part würde er seine Crew brauchen. Sie alle waren das Herz dieser Rebellion. Ohne sie, gab es auch keinen Aufstand. Wenn sie erstmal einsahen, dass sie Lebenswelt brauchten, würden sie vielleicht auch Ideen liefern, damit sie diese für ihre Sache überzeugen konnten.   Der restliche Weg zu dem gemeinsamen Ziel war nicht einfacher geworden, doch schließlich hatten sie die Karawane sicher abliefern können. Die Bezahlung war großzügig ausgefallen. Nicht nur, weil der Anführer schreckliche Angst vor der Rache der Elfe gehabt hatte, sondern auch, weil er die ganzen Gefahren extra bezahlt hatte. Nun würden die Händler dort erstmal ihrer Arbeit nachgehen und sich anschließend neues Personal suchen, wenn sie weiterziehen wollten. Für Nero, Athena und Hammond war es also an der Zeit nach Hause zurück zu kehren. Und ich muss zugeben, dass ich es irgendwie schade finde..., dachte der Soldat tatsächlich traurig. Sie sind beide wirklich talentiert und haben einen faszinierenden Charakter. Vor allem verstehen sie Spaß! Doch wenn er ganz ehrlich mit sich selbst war, war das nicht alles, was ihn an der Truppe in den Bann schlug. Es war die wunderschöne Elfe, von der er nur schwer den Blick losreißen konnte. Seit Leandra hatte er nicht mehr so empfunden und eigentlich hatte er nicht daran geglaubt, dass das jemals wieder soweit kommen würde. Anders als bei seiner verstorbenen Frau, war er sich bei der Attentäterin sicher, dass sie auf sich selbst aufpassen konnte. Leandra hatte sich stets gegen das Kämpfen gesträubt und darauf bestanden, dass es keine gute Idee war, das zu erlernen. Ihm war klar, dass es sie wahrscheinlich nicht gerettet hätte, aber vielleicht doch. Es hätte ihr zumindest Zeit verschafft, in der Kelvin sie vielleicht rechtzeitig gefunden hätte, um sie zu befreien. Doch das waren nur „Was-wäre-wenn-Szenarien“, die er niemals erproben konnte. „Sollen wir gemeinsam nach Götterherz zurückkehren?“, erkundigte er sich dann endlich bei den Partnern. „Es spricht wohl nichts dagegen.“, erwiderte die falsche Rothaarige gelassen. „Obwohl wir wohl jeden Widerstand schon auf dem Hinweg beseitigt haben.“ „Die wachsen wie Unkraut nach.“ Nero blickte skeptisch zwischen den beiden hin und her: „Ja... Ich denke, wir sollten aufbrechen.“ „Ist alles in Ordnung, Nero?“, erkundigte sich Athena besorgt. „Bist du etwa verletzt?“ „Nein, alles bestens. Wir sollten zurück. Wir haben jetzt schon mehr als drei Tage gebraucht, durch die ganzen Zwischenfälle.“ Hammond konnte der Elfe ansehen, dass sie nicht zufrieden mit seiner Antwort war, doch sie hakte nicht weiter nach. Das erschien ihm weise, denn Nero würde dann wohl noch eher dicht machen und sie erfuhr dann immer noch nicht, was eigentlich los war. Inzwischen waren sie zumindest schwer bewaffnet. Das würde den Rückweg wahnsinnig erleichtern. Außerdem waren da keine hilflosen Händler mehr, die auf ein Lagerfeuer bestanden, wenn es kühl wurde. Sie würden definitiv weniger Angreifer anlocken. Selbst wenn man sie ausspähen würde, würde man sich eher gegen einen Übergriff entscheiden, weil sie alle offenkundigen Kämpfer waren und keine Wertsachen transportierten. Langsam schloss er mit der Frau auf, die sich zur Angewohnheit gemacht hatte, immer etwas voranzugehen. Dabei sondierte sie hochkonzentriert die Umgebung. Lauschte nach allem, was nicht hierhergehörte und hielt Ausschau nach Dingen, die verdächtig schienen. Unabhängig davon, ob es sich um Fußabdrücke handelte oder nur einem abgeknickten Zweig. Als Späherin brachte sie richtige Qualitäten mit sich, aber auch als Jägerin. Jedes Mal, wenn sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, war sie aufgebrochen und immer mit irgendeinem Tier zurückgekehrt. „Darf ich Euch fragen, wie Ihr zu der Politik steht?“, quetschte Hammond endlich hervor. Er konnte ihr ansehen, dass sie einen Augenblick lang den Atem angehalten hatte. Vermutlich hatte auch ihr Herz einen Moment lang gestolpert. Immerhin war das nicht nur eine gefährliche Frage, sondern auch die Antwort konnte einem schnell den Kopf kosten, wenn man sie dem Falschen gab. „Warum wollt Ihr das wissen?“, hinterfragte sie skeptisch und sah ihn mit durchdringenden Augen an. „Scheint mir keine angemessene Thematik.“ „Weil wir dringend nach Verstärkung suchen und Ihr scheint mir nicht an die Sache des Weltenlenkers zu glauben.“, warf er unverblümt ein. „Eure Fähigkeiten sind... außergewöhnlich. Genau so etwas brauchen wir dringend.“ „Mit wir, meint Ihr vermutlich die Rebellion? Ich hatte mir schon gedacht, dass Ihr zu denen gehört...“ Einen Herzschlag lang wurde es still zwischen ihnen, doch der Titan konnte nicht lockerlassen: „Ihr scheint mir nicht begeistert von uns?“ „Das ist es nicht...“ „Was ist es dann?“, hinterfragte er dickköpfig. „Glaubt Ihr etwa an diese Religion? An das System?“ „Ganz bestimmt nicht.“, spuckte sie es beinahe heraus, als wäre es eine schreckliche Beleidigung. „Ich bin ein Nichtmensch, schlimmer kann es einen in diesem System kaum treffen!“ „Dann klärt mich bitte auf.“ „Ich glaube wirklich, dass die Rebellion eine gute Sache ist und deutlich zeigt, dass diese Welt noch eine Chance hat. Aber bisher sind so viele von diesen Rebellionen gescheitert...“ „Das heißt nicht, dass es uns auch so ergehen muss.“ „Ja, dem stimme ich zu.“, erwiderte die Langhaarige nickend. „Aber es birgt dennoch ein Restrisiko, wenn man sich dieser Sache anschließt. Bisher wusste Wyrn-... der Weltenlenker sehr genau, wie er Aufstände zerschlagen muss, wenn es zu viel wurde.“ „Wyrn?“, hinterfragte Hammond interessiert. Es war deutlich, dass sie nicht den Titel des Mannes benutzen wollte. Kennt sie etwa seinen wahren Namen? Seinen Namen als Sterblicher, bevor er selbst entschieden hat, dass er aufgestiegen sei?, überlegte er für sich. Das wäre eine Information, mit der sie vielleicht arbeiten konnten! Es gab eine sehr wichtige Devise in der Kriegsführung und die lautete: Kenne deinen Feind. Wenn sie die Vergangenheit des falschen Gottes kannten, konnten sie vielleicht auch Schwachstellen finden, um ihn endgültig auszulöschen. Vielleicht half es ihnen sogar etwas, die Beweggründe des Mannes zu verstehen. Nicht, dass es irgendwas gab, was Massenmord tatsächlich rechtfertigte! Man konnte aber vielleicht die nächsten Schritte voraussehen. „Nichts... Ich hatte mich versprochen.“, winkte die Elfe ab und machte deutlich, dass sie das vorerst nicht verraten würde. „Gebt mir ein paar Tage, um über Euer Angebot nachzudenken, Hammond. Falls ich Interesse haben sollte, möchte ich mir angucken, was Ihr bisher vorzuweisen habt. Dann werde ich endgültig entscheiden, ob ich euch unterstütze oder es lieber sein lasse.“ „Mehr verlange ich gar nicht!“ „Hängt es aber nicht an die große Glocke, dass ich mir eure Organisation ansehen möchte.“ „Selbstverständlich nicht. Wir agieren im Schatten. Wenn wir unsere Mitgliedernamen preisgeben würden, wären wir ziemlich blöd...“ „Nur, dass euer Anführer sich nicht wirklich so verhält, als würde ihm die Schatten gefallen.“, erinnerte sie ihn mit hochgezogener Augenbraue. „Jeder kennt ihn. Dafür hat er gesorgt.“ Hammond spürte, wie seine Wangen leicht erröteten vor Scham, doch er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen: „Ja, da habt Ihr recht... Auch ein Grund, warum wir Euch brauchen. Ihr müsst ihm beibringen, wie man sich ein bisschen bedeckter gibt.“ „Ich fürchte, da kämpfen wir auf verlorenem Posten...“ „Das befürchte ich auch, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.“ „Ja, sonst würde es keine Rebellion geben.“ „Was ist mit Eurem Partner?“, wollte der Titan vorsichtig wissen. „Würde er sich auch anschließen, wenn Ihr Euch dazu entschließen würdet?“ „Ich bin mir nicht sicher...“, gestand die Elfe und warf einen Blick über die Schulter. In diesem Augenblick stolperte Nero gerade über einen Stein und wäre beinahe hingefallen. Sie musste sich ein Lachen ernsthaft verkneifen. „Ihr könnt ja mal mit ihm sprechen, wenn ihr beide alleine seid und Ruhe dafür findet.“ „Ja, das ist wohl besser. Er scheint etwas angespannt zu sein.“ „Wie kann ich Euch kontaktieren, wenn wir in Götterherz angekommen sind?“, erkundigte sich Hamm hoffnungsvoll. „Ich werde Euch kontaktieren.“, warf die Attentäterin direkt ein. „Soll ich Euch also sagen, wo sich einer unserer Posten befindet?“ „Nein, das müsst Ihr nicht.“, sagte sie kopfschüttelnd. „Ich finde Euch. Glaubt mir.“ Hammond musste doch etwas lachen. Er hatte vergessen, dass Leute aufzuspüren zu ihrem Beruf gehörte. Oft genug bekam sie sicherlich einen Auftrag, in dem es hieß, dass sie jemanden töten sollte, der aber längst untergetaucht war. Dann musste sie diese Person auch mit den wenigen Hinweisen finden, die man ihr gab. Nun hoffte er nur, dass auch Kelvin mit ihr klarkäme, sofern sie sich dieser Sache anschloss. Das letzte Wort behielt immerhin ihr Anführer, wenn es um solche Angelegenheiten ging. Dennoch war sich der Soldat sicher, dass sie kaum jemanden finden würden, der besser zu ihnen passte und dabei genauso viel Kampfgeschick und Magiebegabung mit sich führte wie diese Frau. Durch ihre Nichtmenschlichkeit hatte sie dazu genug Motivation und Antrieb, um dieses Regime kippen zu wollen. Es wäre in ihrem Sinne und in dem Sinne ihrer Zukunft. „Ich hoffe sehr, dass Ihr Euch entschließen werdet, uns zumindest eine Chance zu geben.“, sagte er lächelnd. „Bis dahin hätte ich auch nichts dagegen, wenn wir zusammen häufiger kleine Missionen machen würden. Leute bewachen und solche Sachen...“ Sie lächelte ihm verführerisch entgegen, während sie sachte nickte: „Dagegen spricht nichts. Ich werde mich nach entsprechenden Aufträgen umhören und Euch gegebenenfalls kontaktieren.“ „Wunderbar.“ Das wäre eine Gelegenheit, damit er sich ihr beweisen konnte. Wenn Hammond sie überzeugte, dann würde sie vielleicht eher erwägen, sich der Rebellion anzuschließen. Das war zumindest seine Hoffnung. Ob der Elfe das klar war, war nicht zu sagen. Sie wusste es, ein Pokerface aufzusetzen und sich vollkommen mysteriös zu geben. Kel wird sie vergöttern!, sinnierte der Soldat schließlich. Er liebt solche Mensch-... Nichtmenschen. Geschöpfe, die er wie ein Puzzle zusammensetzen muss, damit er ihre Geheimnisse ergründen kann. Er wird nichts dagegen haben, wenn sie sich anschließen möchte. Doch ob der Rebellenanführer sich auch Nero gegenüber so offen und herzlich zeigen würde, wusste er nicht. Er bezweifelte es sogar, weil der Söldner weniger talentiert schien und dazu ein Tollpatsch war. Just in diesem Augenblick konnte man einen dumpfen Aufprall hören. Athena ließ sich nach hinten fallen und half ihrem Partner zurück auf die Füße. Hammond zweifelte etwas daran, dass Nero es schaffen konnte, ohne fremde Hilfe zu überleben. Wie er es überhaupt soweit geschafft hatte, war ihm ein Rätsel! Aber irgendwas sagte ihm, dass es die beiden nur im Doppelpack geben würde...   Wyrnné wusste nicht recht, ob Billie wirklich mit allem recht hatte, was sie ihm ständig an den Kopf warf. Wurde er wirklich so sehr von Zodiak manipuliert? War er tatsächlich zu einem Monster geworden, welches alle Ideale vergessen hatte? Oder war es doch die Gesellschaft gewesen, die ihn letztendlich gebrochen hatte? Altan schnitt gerade vor seinen Augen einem Mann den Ringfinger ab. Er schrie bestialisch und bettelte um Gnade. Der selbsternannte Gott wusste, dass er nun eigentlich etwas fühlen müsste. Sei es nun Mitleid, Bedauern oder Trauer. Passend wäre vielleicht auch noch Wut, Ekel oder Abneigung. Da war nichts. Er sah, wie das Blut spritzte und er empfand absolut gar nichts dabei. Altan konnte er seine Gefühle ansehen. Er empfand Freude, Erregung und den Wunsch, diesem Mann noch Schlimmeres anzutun. Ihn widerte es nicht an, wenn seine Opfer nichts mehr halten konnten. Ihn erfüllte keine Gnade, wenn man ihn darum anbettelte oder Abscheu gegenüber dem Blut. Es war wie eine Art Spiel für den Inquisitor. Gewonnen hatte er, wenn er alle Geheimnisse, Informationen und Beweggründe seiner Opfer erfuhr. Er verlor, wenn diese vorher starben, flohen oder ermordet wurden. Altan verlor sehr selten... Deshalb war er auch der Anführer seiner Inquisition. Es gab einst einige Probleme mit Verrätern. Sie hatten sich zu Gefangenen begeben und sie befreit oder getötet, damit sie keine Informationen verraten konnten. Altan hatte dieses Problem schnell beseitigt. Es durften nur noch autorisierte Personen in die Kellergewölbe gehen und es gab überall Wachposten, die ständig kontrollierten, dass keine unerlaubten Zutritte stattfanden. Selbst bei Inquisitoren wurde geprüft, ob sie da sein durften, wo sie sich aufhielten. Seither hatten die Rebellen ernsthafte Probleme etwas für die ihren zu tun, wenn man sie erwischte. Doch der Weltenlenker misstraute nicht nur dem menschlichen und nichtmenschlichen Personal, sondern selbst einigen seiner eigenen Schöpfungen. Billiana würde wohl grinsend sagen, dass er ein Vertrauensproblem habe, an dem er arbeiten müsse und damit hatte sie vermutlich auch recht, aber er konnte es nicht abschalten. Einige von ihnen weckten einfach seine Missgunst, weshalb sie überwacht wurden. Darunter gehörte auch Mammon, der gerade den Raum betrat. Er war einer der ältesten seiner Inquisitoren und schien allmählich seinen Verstand zu verlieren. Er maß fast 2,5 Meter Körpergröße, hatte schwarze Haut mit Rotstich, weiße Augen und ein Tattoo seines Schädels und Gehirns im Gesicht, das sich über den Körper erstreckte. Dazu kam zwei Nasen-Piercings. Wie es bei Inquisitoren üblich war, hatte auch er eine Glatze, ein großes Tattoo am Oberarm, welches seinen Rang symbolisierte und führte eine Waffe mit Widerhaken mit sich. Soweit Wyrnné es beurteilen konnte, war es eine Art Hacke, mit der er auf seine Feinde einschlug, um sie in eine breiige Masse zu verwandeln. Das war es nicht, was ihn so skeptisch machte. Neuerdings kratzte Mammon sich ständig an seinen Unterarmen, bis diese stark bluteten. Davon behielt er inzwischen schon Narbengewebe, welches als solches nicht ungewöhnlich für solche Kreaturen war, aber an der Stelle und selbstzugefügt schon. Immer, wenn er darauf angesprochen wurde, beteuerte er ständig, dass er starke Schmerzen habe. Sie würden erträglich werden, indem er sich selbst welche zufügte. Kein anderer Inquisitor machte das oder klagte über diese Problematik, was Wyrnné skeptisch machte. „Herr...“, murmelte Mammon und kratzte wieder an seinem Unterarm. „Das Mädchen beteuert nach einer Woche immer noch, dass sie nichts von den Machenschaften ihres Vaters wusste.“ „Damit deckt sie sich mit seiner Aussage.“, mischte sich Altan direkt ein und deutete auf den Mann, der inzwischen nur noch vier Finger an seinen Händen hatte. „Des Weiteren behauptet sie, dass ihre Mutter schon vor Wochen verschwunden sei.“, fuhr Mammon einfach fort. „Angeblich sei sie ohne ein Abschiedswort an irgendeinem Morgen weg gewesen.“ „Hier decken sich die Aussagen nicht... Er behauptet, dass sie sich neu verliebt habe und mit ihrem neuen Mann durchbrannte.“ „Das-... Das ist auch wahr, Herr...!“, keuchte der angeschlagene Mann bibbernd. „Ich-... Ich wollte das meiner... Tochter ersparen!“ „Zu dumm nur...“, begann der Weltenlenker mit seiner samtigen Stimme. „Dass deine Frau in meinem Palast gearbeitet hat und ohne ein Wort nicht mehr auftauchte. Das Personal wird hier auf Lebenszeit eingestellt.“ Und wenn ich sie nicht mehr brauche, wird ihr Leben eben vorzeitig beendet., dachte er gefühlskalt. Niemand konnte behaupten, dass ihnen das nicht klar war, wenn sie einen Dienst in Heimdall antraten. „A-Aber-... Da können wir doch nichts... für!“ Altan duldete derartige Widerworte nicht und nahm sich eines der rostigen Messer. Es gab einiges Werkzeug, welches schon Rost auf den Klingen oder Spitzen aufwies. Dadurch wurde der Prozess des Schneidens noch schmerzhafter und durch die Verschmutzung konnte es zu einer Sepsis kommen, welche noch mehr Schmerz verursachte. Ohne einen Funken von einem schlechten Gewissen, packte er nun den letzten, kleinen Finger des kreischenden Mannes und fing langsam an zu schneiden. Es knackte und knirschte, als die rostige Klinge irgendwann den Knochen durchtrennte. Die Wunde war sehr unsauber und es klebte überall Rost von der Klinge daran. Es würde sich definitiv entzünden, wenn der Familienvater bis dahin überlebte. „Du entscheidest nicht, wofür du Verantwortung trägst und wofür nicht.“, zischte Altan böse. „Es ist deine Frau und du hättest sie kontrollieren müssen! Falls deine Geschichte überhaupt wahr ist.“ Wimmernd bettelte er um Gnade und beteuerte immer wieder, dass er nicht log. Nur überzeugte er keinen hier im Raum. Er bekam auch kein Mitleid von ihnen. In den Augen des Weltenlenkers stand das Verbrechen bereits fest, welches begangen worden war: Verrat. Langsam erhob sich der Schwarzhaarige und trat auf das Häufchen Elend zu, während seine grünen Augen ihn eiskalt taxierten. Als er fast neben dem Foltertisch stand, hob er seine Hände und aus ihnen glitt ein schwarzer, düsterer Nebel, der sich wie eine Schlange um den Mann wand. Es dauerte nicht lange, dann fing der Mann an zu schreien: „I-Ich... kann nichts sehen...! Ich bin blind! Und... dieser Schmerz! Herr! Rettet mich!“ Der Nebel war toxisch und würde nach und nach das Nervensystem des Mannes angreifen, während alle Sinne nicht mehr aktiv waren. Dazu konnte er darüber eine Verbindung zu den Gefühlen des Opfers aufbauen. Er verstärkte die Angst des Mannes und erschuf zusätzlich noch Panik, die ihn gegen die Ketten ankämpfen ließ. Durch das Band zwischen ihnen konnte Wyrnné spüren, wie das Herz raste und dass er bald einen Infarkt bekommen würde, weil der Stress zu viel wurde. Deshalb verstärkte er diese Gefühle noch mehr und unterdrückte jeden Anflug von Hoffnung. Stattdessen schuf er noch mehr schmerzhafte Stellen. Bald schon trat ein, was er prophezeit hatte: Der Organismus des armen Mannes versagte vollkommen. Das Herz hörte auf das Blut durch die Adern zu pumpen. Die Schreie erstickten. Irgendwann wurde es vollkommen still in der Folterkammer, als wäre niemand hier. Als wäre hier eben niemand zu Tode gefoltert worden. Langsam kroch der Nebel wieder zurück in die Finger des Weltenlenkers. Für ihn selbst war er nicht schädlich und er konnte dessen Macht auch steuern. Es war ihm möglich, dass sie seinen eigenen Geschöpfen nicht schadete, doch wenn er es wollte, konnte er sie damit auch töten oder foltern. Was er niemals verhindern konnte, war die eingeschränkte Sicht in den Nebeln. Deshalb setzte er die Gabe meistens nur ein, wenn er sie gut lenken und gezielt auf eine oder mehrere Personen einsetzen konnte. So wie jetzt. „Mylord...“, begann Mammon, der nicht mehr so gehorsam war wie früher. „Habt Ihr denn nun überhaupt die Antworten bekommen, die Ihr gesucht habt?“ „Willst du etwa behaupten, dass unser Vater nicht wüsste, wann er jemanden töten muss?!“, zischte Altan ihn wütend an. „Das habe ich nicht gesagt...“ „Was hast du denn dann bitte gesagt, he?!“, gebar er weiter auf und war wohl drauf und dran auf Mammon einzuschlagen. „Wolltest du etwa sagen, dass er versehentlich gehandelt hat?! Oder unüberlegt?!“ „Ich würde niemals an unserem Vater zweifeln, das weißt du.“, ermahnte der Inquisitor seinen Vorgesetzten. „Jedoch gab es Fragen, auf die Antworten gefordert waren. Mich hat interessiert, ob diese alle vorhanden sind.“ Gerade wollte sich der Anführer der Inquisitoren wutentbrannt auf seinen Untergebenen stürzen, da hob Wyrnné seine Hand und unterband den Kampf der Giganten, bevor er überhaupt begann. Inquisitoren kämpfen zu lassen, barg immer ein Risiko für Leib und Wohl, aber zwei Inquisitoren gegeneinander kämpfen zu lassen, war blanker Selbstmord! Geschweige denn davon, was sie mit Heimdall anstellen konnten, wenn sie einander zu zerfleischen versuchten... „Mammon hat recht...“, gestand er sich mit ruhiger Stimme ein. „Ich hatte noch nicht alle Antworten. Ich verlor die Beherrschung... Versucht meinen Fehler bei dem Mädchen zu korrigieren. Quetscht alles aus ihr heraus, was sie weiß. Wenn ihr sicher seid, dass da nichts mehr zu holen ist, dann lasst sie an den Todesspielen teilnehmen. Es wird Zeit, dass das Volk sich wieder etwas vergnügen kann.“ „Sehr wohl, Herr.“, sagten die Inquisitoren wie aus einem Munde. Sie warteten nicht ab, sondern verschwanden beide aus der Kammer, um sich um die Halbwaise zu kümmern. Sollte ihre Mutter in Wahrheit tot sein, dann ist sie ohnehin eine Vollwaise und würde auf der Straße nicht überleben. Mit den Todesspielen tue ich ihr einen Gefallen., dachte der Weltenlenker für sich. Doch eine Stimme in ihm sagte ihm, dass das nur eine Ausrede dafür war, um grausam sein zu können. Die Stimme klang nach Billiana... Ihm war durchaus bewusst, dass er nur in ihrer Gegenwart Gefühle hegte. Wut, Zweifel, Liebe... Und dann diese Sorge, als sie aus dem Fenster gesprungen war! Doch sobald er wusste, dass es ihr gutging und sie nicht mehr auffindbar war, verschwanden all diese Regungen einfach wieder. Diese Leere schien unüberwindbar für eine Person alleine, doch er ließ ihr auch keine Chance, um ihm zu helfen. Seine Augen rutschten auf den verstümmelten Leichnam des ehemaligen Familienvaters. Er spürte nicht mal Ekel bei diesem Anblick. Nicht mal Erleichterung, weil er ihm eigentlich einen weniger qualvollen Tod geschenkt hatte, als es seine Inquisitoren getan hätten. Zumal er den Tod seiner Tochter nicht miterleben musste, auch wenn es Gerüchte gab, dass die Toten auf die Lebenden herabblickten. Wenn das stimmte, bekam er eh alles mit. Ohne auch nur irgendwas zu spüren, drehte sich der selbsternannte Gott um und verließ die Kammer. Einer der niedrigen Inquisitoren würde die Leiche entfernen und verbrennen, sobald Altan die Erlaubnis dazu erteilte. Im Anschluss wurden dann alle Spuren davon beseitigt, als habe es diesen Menschen niemals gegeben. Etwas melancholisch fragte er sich: Wird mir das auch passieren? Wird man mich mal grausam zerfetzen und dann vergessen? Wyrnné meinte, dass ein Teil von ihm sich auf diesen Tag zu freuen schien. Der andere, viel größere Teil, tadelte ihn als Schwächling und schrie ihn an, dass er weitermachen musste. Es gab viel zu tun. Da draußen waren noch so viele Verräter, um die er sich kümmern musste...   Hammond war wirklich froh, als sich die kleine Gruppe auflöste und er endlich nach Hause konnte. Er lebte bescheiden, doch es reichte ihm vollkommen aus. Er beneidete weder die Reichen noch die Adligen um ihre Villen, Anwesen und Paläste. Auch nicht um die wohlerzogene und hochwohlgeborene Nachbarschaft, die dort hauste. Sein eigenes, kleines Haus war ein bisschen abseits von den eng zusammengepferchten Straßen. Recht dicht an der Außenmauern von Götterherz, sodass er schnell fliehen konnte, wenn es darauf ankam. Die Grundstücke daneben waren nur frei, weil er sie zusammen mit Kelvin aufgekauft hatte, als sie mit der Rebellion gemeinsam angefangen hatten. Als er ihn angeworben hatte, bestand diese Rebellion eher nur aus dem Anführer selbst. Durch den Soldaten kam recht schnell Zuwachs, weshalb er ihn als zu kostbar eingestuft hatte, als dass er in einer eng bewohnten Straße aufflog und starb. Dieses Privileg genoss er sehr. Trotzdem war er vollkommen schockiert, als er feststellte, dass die Tür nicht abgeschlossen war und drinnen mehrere Augenpaare ihn anstierten. Im ersten Moment zweifelte er an seinem Verstand. Er fragte sich, ob er nicht inzwischen doch zu alt war, weil er schon vergaß die Tür abzusperren. Dann kam kurz Panik hoch, weil Hammond davon ausgehen musste, dass man ihn enttarnt hatte. Das verpuffte allerdings, als Kelvin endlich eine Kerze entfachte und so die Gesichter aller Anwesenden lüftete: Das Herz ihrer Rebellion. „Bitte... Fühlt euch wie Zuhause.“, seufzte Hammond und legte seine Sachen ab. Von diesem Schock musste er sich erstmal erholen. Kelvin grinste und tat so, als wäre das alles vollkommen normal: „Gefällt dir das Empfangskomitee etwa nicht? Wie war deine Reise? Willkommen zurück, mein Freund!“ „Bestens.“, antwortete er skeptisch. „Was ist los? Ich bin nicht blöd...“ Er konnte in den Gesichtern der anderen sehen, dass sie auch noch nichts Genaues wussten. Mit ihm eingeschlossen, führten derweil fünf Leute die Rebellion an, die unterschiedlicher kaum sein konnten. Da gab es Elena de Windsor, die mit Abstand das jüngste Mitglied war. Kaum älter als zwanzig Winter, wunderschön und sehr faszinierend. Für eine geborene Adlige, eines ursprünglich hohen Ranges, war sie erstaunlich herzlich, gütig und aufgeschlossen für die Probleme der Welt. Zurzeit war sie nur dafür zuständig, ihnen Gold in die Kassen zu bringen. Dadurch, dass das Ansehen ihrer Familie so tief gesunken war, konnte sie kaum mehr bieten. Obwohl sie auf viele Festlichkeiten aus Höflichkeit weiterhin eingeladen wurde, bekam sie dort nur selten Gespräche mit, die wirklich halfen. Man verstummte in ihrer Gegenwart. Trotzdem quälte sie sich jedes Mal hin und versuchte es. Hammond vermutete, dass Kelvin mit ihr schlief. Ob da mehr dahintersteckte, wusste er nicht, glaubte aber auch nicht daran. Er kannte als einziger die wahre Geschichte um den Tod seiner Verlobten und des ungeborenen Kindes... Dorian war zu seinem besten Freund geworden. Ein eher beleibter Mann, der im mittleren Alter angekommen war und sich stets manierlich gab. Abgesehen von Elena, hatte er den feinsten Kleidergeschmack und versuchte auch nicht ständig die gleichen Sachen zu tragen. Sein Haar war leicht lockig, braun und kurz gehalten. Dorian hatte ihm mal bei einem Becher Met berichtet, dass er einst im Palast des Weltenlenkers gedient hatte, bis Kelvin ihn abgeworben hatte. Dadurch besaß er viele Kenntnisse über den Aufbau dieses Ortes und wie dort die Gepflogenheiten waren. Er hätte sich der Rebellion wohl niemals angeschlossen, wenn man dort nicht herausgefunden hätte, dass er ein Quellgeist war. Das bedeutete, dass er ein Essenzmagier war, der das Wasser kontrollieren konnte. Viele Quellgeister waren Gelehrte, weil sie viel klüger waren und sie kämpften nur, wenn es nicht anders ging. So war es auch bei Dorian. Hammond fand es immer noch faszinierend, dass diese Gaben indirekt beeinflussten, zu was sich ein Mensch entwickelte. Titanen waren eigentlich immer Krieger, Quellgeister Gelehrte, Drakonier Verbrecher und Sturmläufer Diebe oder Späher. Sie entwickelten sich selbst dann in diese Richtung, wenn sie von ihrer Begabung nichts wussten. Jedenfalls hatte Dorian diese Begabung fast sein Leben gekostet. Als einfacher Diener durfte er keine Magiebegabung mitbringen, weil der Weltenlenker so etwas nur Reichen, Adligen und angeblichen Gottheiten zusprach. Diener mit solchen Gaben waren entweder aus Affären oder hatten Gene aus früherer Zeit. Der Beleibte hatte Hammond berichtet, dass er einfach nur die Gene besaß, da seine Eltern auch bescheidene Diener gewesen waren. Nur glaubte der selbsternannte Gott so etwas niemals, egal wie sehr man darauf schwor. Schließlich war da noch Kyle. Er besaß keine magische Begabung, war kein Gelehrter und nicht vom Adel. Seine Talente beschränkten sich darauf, vieles gut und sauber organisieren zu können. Er plante Treffen der Rebellion, Reden, um an Mitglieder zu kommen und auch Unterschlüpfe. Für größere Einsätze machte er die Pläne, welche Wege sie nehmen sollten, um welche Uhrzeit es los ging und ähnliches. Darin war er wirklich gut! Kyle war auch ein passabler Kämpfer, doch kein Vergleich zu Kelvin oder ihm. Sie wussten aber, dass er sich im Notfall durchaus verteidigen konnte. Kyle war im Alter von Kelvin und es gab Gerüchte, dass sie zusammen aufgewachsen waren. Bisher hatte aber keiner von beiden darüber gesprochen. Doch man erwischte sie oftmals zusammen, wenn sie miteinander plauderten oder tranken. Sie wirkten immer sehr entspannt zusammen, was sehr für ein Vertrauensverhältnis sprach. Das hatte Kyle sicherlich diese hohe Position gesichert. Auch ehr hatte braunes Haar, das allerdings länger war als von allen anderen hier. Dazu trug er einen Bart, der mal besser gepflegt gewesen war. Kyle wurde immer nachlässiger mit der Zeit, was dafürsprach, dass auch er langsam müde wurde. Die Rebellion ging nun schon sehr lange und diese Schreckensherrschaft noch wesentlich länger. „Nun... Du erinnerst dich doch sicherlich an unsere Unterhaltung neulich...?“, begann Kelvin ausweichend. Wenn er sich so um etwas herumdruckste, dann war klar, dass er etwas angestellt hatte! Mit verengten Augen blickte Hammond ihn direkt an: „Was hast du getan?“ „In Ordnung, du willst, dass wir direkt zur Sache kommen, he?“, hinterfragte der Anführer immer noch hinhaltend. „Ich bitte darum.“ „Nun... Ich habe uns eine Gottheit gesichert!“ Den Schock aller Anwesenden konnte man in dem kleinen Häuschen nahezu anfassen! Keiner hier war auf den Adel, die vermeidlichen Gottheiten oder andere Dinge in diesem Bereich besonders gut zu sprechen. Späße darüber kamen erst recht nicht an! Für sie war aber definitiv klar, dass der Rebellenanführer einen dummen Scherz machen musste. Mit so jemanden arbeiteten sie nicht zusammen! Sie töteten grundlos Menschen und Nichtmenschen... Sie dienten freiwillig dem Weltenlenker! „Guckt doch nicht so...“, warf Kelvin ein und raffte sich auf. „Wir brauchen sie. Lebenswelt hat wirklich außergewöhnliche Fähigkeiten, dazu noch Einfluss und zahlreiche Möglichkeiten.“ „Sie?“, hakte Dorian sofort nach. Er war klug und ihm fielen solche Kleinigkeiten natürlich sofort auf. „Hatte ich das etwa nicht erwähnt? Die neue Gottheit, die sich nicht zeigt, ist eine Frau!“, erzählte er euphorisch. „Eine Frau! Ist das nicht witzig? Der Weltenlenker überlegt sicherlich schon seit Wochen, wie er das erklären soll!“ „Bisher kann ich keinen Witz entdecken...“, warf Elena ein und wirkte wenig amüsiert. „Wie kommst du darauf, dass so eine angebliche Gottheit uns helfen würde? Sie sind bisher stets loyal gewesen.“ „Bisher durften sie sich auch stets im Rampenlicht suhlen. Diese muss sich aber verstecken und darf sich ihren... Gläubigern nicht offenbaren.“ „Du setzt also darauf, dass sie ein Narzisst ist?“ „Genau.“ „Da sie nicht hier ist, sind da wohl Bedingungen, damit sie sich überhaupt aus ihrem goldenen Käfig wagt, oder?“, schlussfolgerte Hammond skeptisch. „Was will sie, damit sie uns tatsächlich hilft?“ „Oh, das wird euch gefallen!“, begeisterte sich Kelvin und allen war klar, dass es ihnen nicht gefallen würde. „Sie will, dass wir uns erstmal beweisen. Dass sie das Gefühl bekommt, dass wir den Weltenlenker wirklich stürzen können!“ Skeptisch zog der Soldat die Stirn kraus: „Und was noch?“ „Nichts weiter...“ „Keeeel~...“, sagte er langgezogen und kam auf ihn zu. „Was will sie noch?“ „Wenn sie sich anschließt, dann darf nicht ich mich auf den Thron setzen.“, gab er dann schließlich nach. „Sie will entscheiden, wer sein Nachfolger wird.“ „Und was ist, wenn sie den Platz einnehmen möchte?“, wollte Elena wissen. „Noch einen mit Gottkomplex können wir uns wirklich nicht mehr erlauben. Götterherz fällt doch jetzt schon auseinander.“ „Ich denke nicht, dass sie tatsächlich so narzisstisch ist, dass sie selbst herrschen möchte.“ „Wie schön, dass du das denkst.“, sagte Dorian sarkastisch. „Du denkst aber auch, dass wir Luftsprünge machen würden, wenn du uns ein Bündnis mit einem Gott vorschlägst. Oder war das jetzt schon beschlossen? Haben wir überhaupt ein Stimmrecht in dieser Sache?“ „Natürlich...“, antwortete Kelvin und schien es direkt wieder zu bereuen. „Aber darf ich vielleicht erstmal zu Ende berichten? Bisher habt ihr mich alle unterbrochen! Ich konnte noch gar nicht die ganzen Vorzüge auflisten.“ Es wurde eine Weile still in dem kleinen Haus. Einige schienen sich umzusehen, als wären sie das erste Mal hier. Oder als wunderten sie sich, dass der Soldat es hier so ordentlich hatte. Doch es war wohl eher so, dass sie die ganze Geschichte erstmal sacken lassen mussten und sich entscheiden, ob sie in diesem Augenblick noch mehr hören wollten. Kelvin hatte sie zu sehr überrumpelt. Nicht, dass es das erste Mal wäre, dass er über sein Ziel hinausschoss. Wenn er nicht aufpasst, dann spaltet er die Rebellion..., überlegte Hammond, der Kelvin stets vertraut hatte. Die Sache hätte er etwas besser durchdenken sollen. Dem mehr Zeit geben... Er ist manchmal zu ungestüm. Trotzdem mussten sie ihm zumindest die Möglichkeit geben, sich zu erklären. Vielleicht sahen sie wirklich einige Facetten des Plans nicht, die er umso deutlicher erkannte. Und vielleicht – aber auch nur vielleicht – konnte ihnen das wirklich einen Sieg einbringen. Den konnten sie wirklich gut gebrauchen! Immer mehr verloren ihren Glauben und wollten sich einfach nur noch fügen. Akzeptanz war einfacher als zu kämpfen... „Erleuchte uns.“, sagte der Soldat schließlich als erster. „Wunderbar. Wunderbar!“, freute sich Kelvin sichtlich erleichtert. „Der Weltenlenker vertraut seinen angeblichen Gottheiten blind. Er glaubt an ihre Loyalität, weshalb sie ihre eigenen Armeen bekommen, Priesterschaft und Anhänger. Er gibt ihnen Privilegien, die sonst kein zweiter hat. Das würde Lebenswelt Möglichkeiten geben, an Informationen für uns zu kommen oder Dinge zu entwenden. Ihre besonders fanatischen Anhänger würden sich uns außerdem sicherlich auch anschließen, wenn sie es tut. Also erweitert sich unsere Armee dann auch um einige Männer und Frauen. Hinzu kommt, dass ich mir eine... Kostprobe ihrer Gabe nehmen durfte. Sie ist eine geschickte Kämpferin und dazu noch eine Magiebegabte mit einzigartigen Fähigkeiten. Sie kann Kuppeln erzeugen, um selbst Magie verpuffen zu lassen! Was meint ihr, was das für ein Vorteil wäre, wenn wir mal gegen die Armee des Weltenlenkers antreten müssten? Wenn sie sich für uns entscheidet, dann fangen auch andere an am Weltenlenker zu zweifeln. Einmal, weil sie eine Frau ist, dann weil sie sich gegen ihn auflehnt. Vielleicht würden sich auch andere dieser Götter dann abwenden und uns unterstützen. Es wird auf jeden Fall Chaos stiften.“ „Wenn sie so mächtig ist, wie du behauptest, was schützt uns dann davor, dass sie sich nicht doch gegen uns wendet?“, hakte Elena skeptisch nach. „Nichts...“, gestand Kelvin schließlich etwas kleinlauter. „Sie ist so mächtig, dass keiner von uns ihr wirklich etwas entgegensetzen kann. Wenn sie uns wirklich feindlich gesinnt ist, weiß ich weder, wie ich sie töten könnte noch, ob es gelingen würde, selbst wenn wir wüssten wie.“ „Das müssen wir aber vorher wissen.“, sagte Dorian mit Nachdruck. „Bevor ein Bündnis überhaupt infrage kommt, müssen wir wissen, wie wir sie im Notfall ausschalten können! Sonst liefern wir uns wehrlos einer Macht aus, die größer ist als wir alle... Und wir sehen ja, wohin das geführt hat.“ Wieder kehrte Stille in die Runde ein. Sie alle wussten sehr genau, was die Machterhebung vom Weltenlenker für Konsequenzen mit sich gebracht hatte. Und dass nur, weil sich keiner seiner Macht entgegenstellen wollte, als er den Thron forderte. Er wurde ehrlich gewählt und als er es sich bequem gemacht hatte, konnte niemand mehr etwas dagegen unternehmen. Als habe er das vom ersten Tag geplant gehabt. Wenn sie Pech hatten, dann war sie der zweite Weltenlenker. Nur, dass sie dann die Schuldigen waren, wenn sie ihr dann auf den Thron halfen. Wie sollten sie mit dieser Schuld leben? Es war jetzt schon kaum auszuhalten! Es fühlte sich ständig so an, als täten sie nicht genug. Als mussten deshalb so viele Menschen und Nichtmenschen weiterhin sterben oder leiden. „Ja, ich stimme zu.“, sagte der Soldat dann offen. „Wir müssen erst wissen, wie wir sie notfalls töten oder sie zumindest stoppen können, ehe wir ein Bündnis schließen. Und wir müssen die Methode oder Methoden vorher testen!“ „Wie sollen wir das testen?“, hinterfragte Kyle skeptisch. „Wir können sie schlecht bitten, dass wir mal an ihr probieren, ob wir einen Weg zu ihrer Tötung gefunden haben. Oder zumindest zur Bindung ihrer Kräfte...“ „Nicht an ihr, du Narr!“, erwiderte Hammond abwinkend. „An einem uns feindlich gesinnten Gott. Einer, wo ganz sicher ist, dass er sich uns niemals anschließen würde. Wir recherchieren so viele Möglichkeiten, wie wir finden können, dringen in dessen Palast ein und probieren alle aus. Entweder funktioniert dann eine oder nicht.“ „Wie stellst du dir das vor?“, erkundigte sich Kyle. „Wir können da nicht reinspazieren und vorschlagen, dass wir ein paar Tötungsmethoden an ihrer Gottheit ausprobieren wollen. Vielleicht glauben wir nicht an sie, aber ihre Anhänger tun es ohne Zweifel.“ „Kelvin hat es einmal geschafft und das alleine. Da bin ich sicher, dass er es ein zweites Mal mit Verstärkung schaffen kann.“ Nun richteten sich wieder alle Blicke auf den Rebellenanführer, der wirklich sehr zufrieden wirkte. Die Erwartungen an ihn waren vielleicht hoch, doch letztendlich hatte er sein Ziel erreicht. Sie hatten indirekt zugestimmt, dass sie die Göttin in der Rebellion aufnahmen! Es würde zwar viel Arbeit bedeuten, um nach einer Methode zu forschen, mit der sie diese angeblichen Götter töten konnten und sie mussten sich dann immer noch beweisen, aber sie waren auf dem richtigen Weg. Zumindest hoffte er das. Feierlich hob er die Hände: „Kein Problem! Das kriegen wir alles hin.“ Keiner von ihnen schien auch nur ansatzweise zu glauben, dass das kein Problem für sie darstellte. Weder die Göttin von ihrer Sache zu überzeugen noch herauszufinden, wie man ein angeblich unsterbliches Wesen endgültig umbringen konnte, wenn es sein musste. Doch es gehörte zu Kelvins besonderen Charme sich optimistisch zu geben. Wege zu finden, die unmöglich schienen und sie dann doch einfach zu beschreiten, als wäre es keine Herausforderung für ihn. Wenn Hammond eines wusste, dann, dass die meisten Leute sich ihnen angeschlossen hatten, weil sie von dem eigenartigen Charme des Anführers gelockt worden waren. Durch ihn hatten sich nur einige Soldaten angeschlossen, die nach Disziplin suchten oder einer Arbeit. Männer, die man aus irgendeinem Grund aus ihrem Dienst entlassen hatten, aber nicht bereit dazu waren. Er hatte es dem Rebellenanführer mehrmals sagen wollen, doch er hatte nicht hingehört. Stattdessen hatte er den Titan zu seiner rechten Hand gemacht und schloss ihn in alle Entscheidungen mit ein. Er war ehrlich zu ihm. Ganz anders als zu allen anderen, hatte er Hammond jedes Details seines Lebens erzählt. Er wusste, dass er ein Adliger war. Er wusste um Amelie. Seine Beweggründe waren ihm kein Rätsel. Trotzdem schaffte Kelvin es, seine Geschichte überall anders wiederzugeben, um sich anzupassen. Hier wurde ein Detail weggelassen, dort einige hinzugefügt, um Gruppierungen zu überzeugen. Bisher war dieses Lügenmärchen noch nicht aufgeflogen, weil die Rebellen nicht über intime Geheimnisse untereinander sprachen, doch irgendwann konnte dieses Kartenhaus zusammenfallen. Erst recht, wenn er anfing, mit so großen Mächten zu spielen. Doch ich kann nicht abstreiten, dass wir Lebenswelt brauchen werden., schnaubte er gedanklich. „Vielleicht habe ich die Lösung für zumindest eines unserer Probleme.“, warf Hammond endlich ein. Diese Gelegenheit war einzigartig! Alle Köpfe der Rebellion waren anwesend und sie schienen keine weiteren Themen zu haben. „Welches meinst du genau? Den Größenwahn unseres Anführers? Unsere Mittellosigkeit?“, witzelte Dorian amüsiert. „Oder doch den wahnwitzigen Plan, einen Gott zu rekrutieren?“ „Das letzte.“ Wenn an diesem Abend eines häufig der Fall war, dann war es diese schockierte Stille. Wenn die Leute anfingen, nach der Wahrheit zu suchen. Wenn sich niemand sicher war, ob hier gerade gespaßt wurde oder hier mit Tatsachen gearbeitet werden sollten. „Elena bat mich, ein paar Missionen anzunehmen, um uns einige Münzen einzubringen. Deshalb war ich ja auch die Tage verreist. Ich habe eine Karawane begleitet.“ „Eine wirklich spannende Geschichte...“, warf Dorian ungeduldig ein. „Worauf möchtest du hinaus?“ „Sei doch nicht so ungeduldig, mein Freund. Die Pointe kommt schon noch.“, ermahnte der Soldat den Quellgeist. „Jedenfalls hat der Karawanenanführer nicht nur mich angestellt, sondern noch zwei weitere Leibwächter. Er misstraute offenbar ihren Fähigkeiten... Eine dieser Personen war Athena höchstpersönlich.“ In diesem Augenblick wurde vor allem Kelvin hellhörig. Er versuchte schon seit Monaten Kontakt mit der Attentäterin aufzunehmen, die für Angst und Schrecken in den Adelshäusern sorgte. Bisher aber erfolglos. Anfragen auf eventuelle Missionen hatte sie höflich abgelehnt, ohne sich ihm zu zeigen. Als er versucht hatte, sie ausfindig zu machen, indem er ihre nächsten Missionen in Erfahrung brachte, hatte sie ihn immer wieder sauber abgeschüttelt. Er hatte nicht mal eine Haarspitze zu Gesicht bekommen! Kelvin war irgendwann richtig frustriert gewesen, weil er nicht mal die Gerüchte bestätigen oder verneinen konnte, wenn es um ihr Geschlecht ging. Immerhin gab es kaum so starke Frauen. Noch weniger davon übten einen derartigen Beruf aus. Es war wahrscheinlicher, dass ein Mann dahintersteckte und zu den Verhandlungen als Tarnung eine Frau schickte. So konnte man auch jeden in Sicherheit wiegen. Frauen waren durch die schlechte Propaganda des Weltenlenkers nicht besonders hoch angesehen. Jedoch wurden sie gerne als Mittelsmann für besondere Geschäfte genutzt. Nach all den Bemühungen und dem Versagen, sagte nun Hammond einfach salopp, dass er sie durch Zufall kennengelernt hatte. Man konnte dem Rebellenanführer den verletzten Stolz ansehen, auch wenn er mit sich rang. Eigentlich sollte er sich freuen, weil nun endlich mal in der Richtung sich etwas entwickelte. „Und du bist dir ganz sicher?“, hakte Kelvin dennoch nach. „Eine Verwechslung ist ausgeschlossen?“ „Ich habe sie kämpfen sehen, Kel.“, wandte Hammond gelassen ein. „Entweder vermehren sich die Frauen mit außergewöhnlichen Kampftalent oder sie war es wahrhaftig.“ „Also steckt hinter dem Decknamen tatsächlich eine Frau? Die Gerüchte stimmen soweit?“ „Alle Gerüchte stimmen, würde ich sagen.“ Nun musste der Anführer doch lachen: „Ach ja? Auch die, dass sie ein rothaariger, tollpatschiger Mann sei? Oder, dass sie mal rote, dann braune und schließlich wieder schwarze Haare hat?“ „Ja, es stimmt absolut alles.“ Wieder Stille. Wenn es so weiterging, hatte sich die Rebellion bald nichts mehr zu sagen. Zumindest kam es Hammond allmählich so vor... „Der besagte rothaarige Mann ist ihr Partner. Vielleicht auch ein Teil ihrer Tarnung... Er war die andere Person, die angeheuert wurde.“, erklärte der Soldat schließlich zufrieden. „Sie selbst hat mir erzählt, dass sie durch Magie ihre Hare für die Aufträge färbt, um ihre Identität geheim zu halten. Deshalb sind die ganzen Geschichten über sie so... uneindeutig.“ „Man kann sich durch Magie die Haare färben?“, hinterfragte Dorian sowohl verwundert als auch mit echtem Interesse. „Ganz bestimmt?“ „Sie hat versucht es mir zu erklären, aber ich kann es nicht wiedergeben. Sie hat es mir auf der Rückreise dann einmal gezeigt. Also ja, das geht wirklich.“ „Das erklärt tatsächlich einiges...“ „Jedenfalls habe ich ihr auch ein Bündnis vorgeschlagen. Sie ist noch nicht überzeugt, wollte aber über die Möglichkeit nachdenken.“, ergänzte Hammond vorsichtig. „Wenn sie es in Erwägung zieht, würde sie mit uns das Gespräch suchen und dann endgültig entscheiden.“ „Inwieweit sollte uns das weiterhelfen?“, hinterfragte der Rebellenanführer. „Abgesehen davon, dass sie für uns einige schwer bewachte Adlige kopflos machen kann.“ „Denk‘ doch mal nach, Kel! Wenn sie zu unseren Verbündeten gehört, wird das auch Lebenswelt locken.“, konterte der Soldat sofort. „Nicht nur, weil sie beide Frauen sind, sondern weil sie beide mächtig sind. Wenn Lebenswelt recherchiert, wird sie von einer hundert prozentigen Erfolgsquote dieser Attentäterin lesen. Sie wird außergewöhnliches Kampfgeschick erkennen. Und einsehen, dass wir viel zu bieten haben, um unsere Ziele tatsächlich zu erreichen. Außerdem ist Athena viel herumgekommen und scheint mehr über den Weltenlenker zu wissen, als sie zugeben wollte. Mir war so, als wollte sie einmal sogar seinen wahren Namen benutzen, doch sie brach leider ab.“ „Sie weiß, wer er vorher war?“, fragte Kyle vollkommen schockiert. „Es gibt kaum Berichte vor der Zeit des Weltenlenkers! Wir haben alles versucht, um auch nur herauszufinden, ob er vorher auch schon schwarze Haare hatte...“ „Ich kann nicht viel dazu sagen, solange sie uns nicht erzählt, woher sie all das weiß.“, murmelte der Titan vorsichtig. „Aber ich vermute mal, dass sie sich aus der Zeit kennen, bevor er sich zum Gott ernannte. Wenn das wahr wäre, dann weiß sie vielleicht, wie man ihn und seine Götter ausschalten kann. Oder sie weiß zumindest, wo wir nach diesen Antworten suchen müssen.“ „Also müssen wir jetzt letztendlich versuchen, Athena von uns einzunehmen und über sie eine Möglichkeit zur Tötung von den Göttern zu finden, damit sich dann auch Lebenswelt uns anschließen kann...“, fasste es Kelvin nachdenklich zusammen, nickte dann aber. „Ja, das könnte tatsächlich funktionieren. Hamm hat recht: Wenn man sich die Berichte durchliest, dann ist das Machtpotenzial von Athena mindestens genauso überragend wie das der Götter. Ganz davon abgesehen, dass sie auch eventuelle Tötungsversuche gegen die Götter übernehmen könnte. Sie kommt überall rein.“ „Vor allem kommt sie überall rein und raus ohne Aufsehen zu erregen.“, amüsierte sich Dorian. „Zwar sind die Leute im Anschluss recht kopflos, aber sonst weiß kaum einer, was eigentlich passiert ist, bis es passiert ist. Da könnten einige von uns noch was lernen.“ „Reitet ihr immer noch darauf rum, dass ich den Alarm mal ausgelöst habe?“, stöhnte der Anführer gespielt genervt. „Das kann doch mal passieren!“ Kyle schüttelte zweifelnd seinen Kopf: „Einmal? Du meinst wohl eher jedes Mal, wenn wir irgendwo einbrechen wollen!“ „Hey, hey, hey! Ab und zu komme ich ungesehen zurück. Zum Beispiel bei Lebenswelt!“ „Ein blindes Huhn, findet auch mal ein Korn.“ Alle fingen an zu lachen. Sich auf Kosten des Rebellenanführers zu amüsieren, war immer wieder witzig. Vor allem, weil das alles der Wahrheit entsprach. Kelvin schaffte es einfach nicht, nicht die Wachen aufmerksam zu machen. Jedes Mal mussten sie mit einer Traube von Verfolgern die Flucht antreten! Im Anschluss hieß es dann abtauchen und abwarten. Bei Athena sah es anders aus. Sie sorgte für Aufregung, nachdem sie ihren Job erledigt hatte und längst in Sicherheit war. Dann fing die Hexenjagd nach ihr zwar auch an, doch niemand wusste, nach wem wirklich gesucht wurde. Deshalb verebbte das Chaos schnell, während sie unbeschadet aus der Sache herauskam. „Und wie wollen wir Athena für uns gewinnen?“, warf dann Elena ernst ein. „Wenn sie auch so mächtig ist, wird sie sich nicht einfach mal so anschließen. Auch sie wird überzeugt werden müssen.“ „Das ist natürlich wahr.“, antwortete Hammond gelassen. „Aber ich konnte sie davon überzeugen, dass sie mit mir ein paar Aufträge macht. Ich werde dann versuchen, sie von einer Unterhaltung mit uns zu überzeugen. Ich denke, dass unsere Argumente dann ausreichen werden, wenn sie uns erstmal Gehör schenkt.“ „Dann haben wir ja nun einen Plan. Einen zeitaufwändigen, langweiligen Plan, aber einen Plan.“, sagte Kelvin entspannt. „Wer hat Hunger? Also ich kriege nach so einem Kriegsrat ja immer Kohldampf! Hamm... Du solltest deinen Gästen etwas kochen.“ Gespielt rollte der Soldat mit seinen Augen: „Schön, dass ihr euch selbst einladet. Und dass ich letztendlich auch die Probleme gelöst habe. Danke, Hamm, das hast du toll gemacht.“ Um seinen Sarkasmus noch ein bisschen zu untermauern, tätschelte sich der Titan selbst seine Schulter. Das löste wieder allgemeines Gelächter aus. Trotzdem begab er sich anschließend in die recht kleine Küche, um für die Truppe etwas zu kochen. Er hatte eigentlich immer viele Lebensmittel da, um immer versorgt zu sein. Aber auch, damit er in solchen Situationen etwas auf den Tisch zaubern konnte. Hoffentlich habe ich nicht zu viel versprochen..., sinnierte er zweifelnd. Wenn ich Athena doch nicht überreden kann, dann fällt das ganze Kartenhaus zusammen. Aber wir haben auch nicht wirklich eine Wahl... Zumindest dann nicht, wenn sie wirklich gewinnen wollten. Sie brauchen übernatürlich große Mächte, damit sie sich einer ebenso großen, übernatürlichen Macht wie dem Weltenlenker stellen wollten.   Schon vor einigen Tagen hatten die Späher berichtet, dass eine Gruppe nach Rabenwacht unterwegs war. Es waren offizielle Boten des Weltenlenkers, die eine Eskorte aus einem Fessler, zwei Drachenhetzern und drei einfachen Soldaten besaß. Die Boten selbst waren wohl ganz einfache Menschen ohne besondere Begabungen. Doch wenn sie so gut bewacht wurden, dann war die Nachricht, die sie zu übermitteln hatten, sehr wichtig oder es ging um kostbare Ware. Seit Konstantin wusste, dass sie bald hier waren, war er regelrecht gereizt. Heute war der Tag der Ankunft. Das zwang den König dazu, sich in feine Gewänder hüllen zu lassen, seine Krone zu tragen und einen anmutigen Platz auf dem Thron einzunehmen. Der weinrote Samtstoff fühlte sich falsch an. Sonst bevorzugte er rotgefärbtes Leder, welches sich perfekt an seine Haut schmiegte. Beim besten Willen konnte er sich nicht erklären, was der Adel an diesen ganzen Stoffen so fantastisch fand! Am meisten hasste der Brünette sogar die goldenen Knöpfe, die sich von seinem Hals an bis zu seinem Schritt herunter arbeiteten. Mit dem dicken Ledergürtel konnte er sich hingegen noch anfreunden, auch wenn dieser ebenfalls durch eine goldene Schnalle zusammengehalten wurde. Die schwere, goldene Krone erinnerte ihn an den Tag seiner „Krönung“. Auch ein Grund, weshalb er sie nicht gerne trug. Zur Sicherheit waren sowohl Durell als auch Benedikt anwesend. Die beiden Hauptmänner schienen miteinander befreundet zu sein und unterhielten sich leise. Ihnen war die Unruhe ihres Herrschers durchaus aufgefallen, doch sie wussten nicht so recht, wie sie ihm tatsächlich helfen konnten, damit er sich beruhigte. Ihr könnt mir nicht helfen..., dachte Konstantin seufzend. Nicht bei dieser Sache. Nicht, wenn Boten vom Weltenlenker mein Heim ansteuern. Er wird von den Gesetzesänderungen gehört haben... Das sind meine Henker! Mit stummer Verzweiflung fuhr sich der König über seinen gepflegten Drei-Tage-Bart, der ihn etwas reifer wirken ließ als er war. Das war für ihn irgendwann die Distanz zu seinem Prinzen-Dasein, in dem er noch ein anderer Mensch gewesen war. Ein wirklich glücklicher, humorvoller und ehrlicher junger Mann. Einer, der gerne Streiche spielte und zu keiner noch so dummen Mutprobe jemals „Nein“ sagte. Die Krone hatte ihn gezwungen, erwachsen zu werden. Schlussendlich war es das Beste für das Volk gewesen und er bereute es auch nicht, dass er es für sie zumindest versuchte, doch das machte es nicht einfacher. Mit dem Tod seines Vaters, hatte er seine Identität ebenso verloren. Einer seiner Diener kündigte schließlich die Ankunft von Boten aus Götterherz an. Bleiern deutete er an, dass er sie hereinlassen sollte und versuchte die Bilder zu verdrängen, die er vor seinem geistigen Auge sah. Die blutverschmierte, gefolterte Leiche seines Vaters. Die ersten Nächte danach, in denen er mit der Krone auf dem Kopf einfach nur in der Dunkelheit gesessen und mit feuchten Augen in die Leere gestarrt hatte. Er schluckte den Schmerz herunter. Er musste ihn herunterschlucken! Wie die Späher berichtet hatten, war ein Fessler, zwei Drachenhetzer und drei Soldaten dabei. Zu seiner Überraschung war aber auch eine Frau unter den beiden Boten. Ohne sie jemals persönlich gesehen zu haben, wusste der König dennoch, wer sie war. Ihre schwarze Rüstung, die dennoch Bewegungsfreiheit gewährte, das kurze, schwarze Haar und das dazu so unpassend zarte Gesicht verrieten sie. Solche Frauen gab es kaum noch! Starke, mächtige und gefürchtete Frauen. „Lady Sor’car...“, grüßte er sie mit durchgedrücktem Rücken. „Was verschafft mir die Ehre?“ „Majestät.“, erwiderte die Frau nüchtern. „Der Weltenlenker schickt mich mit einer Botschaft.“ „Und Ihr brauchtet dafür eine halbe Armee? Ich hörte von Armeen, die Ihr alleine geschlagen habt...“ „Alles nur Gerüchte, Mylord.“, winkte sie mit einem düsteren Grinsen ab. „Es waren nur zwei Armeen.“ Ich wusste nicht, dass sie Sinn für Humor hat., dachte Konstantin nervös. Ich weiß nur, dass sie kein Mensch ist. Ein Drache ist sie... Das weiß inzwischen jeder. Deshalb würde er sie gewiss nicht reizen. Drachen waren temperamentvoll und konnten tatsächlich Armeen auslöschen, wenn diese nicht wussten, wie man gegen eine solch übergroße Echse ankam. Der König wusste, dass er weder die Männer noch die Waffen für solch ein Unterfangen hätte. Verwandelte sie sich, wäre Rabenwacht verloren. „Welche Botschaft habt Ihr für mich, Lady Sor’car?“, erkundigte er sich mit ruhiger Stimme. Bisher konnte er seine Angst gut verstecken und sich anmutig im Thron halten. „Der Weltenlenker möchte, dass Ihr uns begleitet und ihn in Götterherz aufsucht.“, sagte sie salopp. „Deshalb die Eskorte. Er will sich sicher sein, dass Ihr heil bei ihm ankommt, damit ihr reden könnt.“ „Wie stellt er sich das vor? Ich habe Verpflichtungen, denen ich nachkommen muss.“ „Genauso wie der Weltenlenker. Nur dass er viel mehr davon hat und deshalb nicht selbst herkommen kann. Ihr habt doch eine Frau, die Euch vertreten kann.“ „Elize?“, hinterfragte Konstantin mit hochgezogener Augenbraue. „Ihr kennt sie wohl nicht besonders gut, was? Ich bin nicht davon überzeugt, dass sie überhaupt lesen kann – geschweige denn ein Königreich regieren.“ „Unabhängig von der Intelligenz Eurer Gattin, werdet Ihr uns morgen begleiten.“ „Schon morgen?!“ „Wir konnten Euch keine Taube schicken. Es wäre gut möglich gewesen, dass Ihr dann davongelaufen wärt...“ „Ich wusste seit einer Woche, dass Ihr kommt.“, erwiderte er gereizt und erhob sich nun endlich. „Was wollt Ihr mir also unterstellen, Lady Sor’car? Dass ich ein Feigling sei?“ Sein eigener Mut überraschte ihn selbst. Er zitterte nicht, obwohl er nun auf seinen Füßen stand und es sogar wagte, auf sie zu zuschreiten. Erhaben und dominant. Obwohl die Wachen der Drachendame sich in den Weg stellten, blieb er erst knapp vor ihnen stehen. Irgendwas schien er richtig zu machen, denn die Schwarzhaarige senkte kurzzeitig entschuldigend den Blick: „Selbstverständlich nicht, Majestät. Ihr beweist jetzt schon sehr großen Mut. Daran zweifle ich keine Sekunde lang.“ „Gut.“, schnaubte der König, behielt aber seine aufrechte Körperhaltung bei, während er mit gespreizten Beinen mehr Platz beanspruchte. „Warum genau soll ich nach Götterherz kommen? Ist es wirklich so dringend?“ „Könnt Ihr Euch nicht denken, worum es gehen wird?“, hakte die Frau vorsichtig nach. „Doch seid unbesorgt, Majestät, wenn er Euren Kopf wollte, dann würde er Euch vorher nicht einladen. Und Ihr hättet ihn längst nicht mehr.“ „Sehr beruhigend...“ Jetzt erst spürte er die überraschten Blicke von seinen Hauptmännern und den abgestellten Leibwächtern. Offenbar hatte keiner damit gerechnet, dass er so sehr auf Konfrontationskurs gehen würde. Wie auch? Er hatte es ja selbst nicht kommen sehen! Bisher hatte sich Konstantin stets selbst für einen Angsthasen gehalten. Sie hat recht... Der Weltenlenker will vermutlich irgendwas wissen, sonst würden wir hier nun nicht plaudern., sinnierte er für sich. Wahrscheinlich will er mich foltern und wenn er hat, was er will, tötet er mich. Dann lässt er mich für jemanden ersetzen, der sich ihm blind beugt... Das bedeutete, dass er bis zu seiner Ankunft in Götterherz absolut sicher war. Ironischerweise war der sicherste Ort nun wohl an Sor’cars Seite. Zumindest solange, bis sie Heimdall erreicht hatten und sie ihn dort ablieferte. Jedoch machte sie deutlich, dass es keinen Aufschub geben würde. „Dann werde ich wohl heute Nacht versuchen müssen, dieser Frau ein bisschen Verstand einzuhämmern.“, seufzte der König schließlich. „Das nächste Mal solltet Ihr einfach darauf vertrauen, dass nicht gleich die Flucht ergriffen wird.“ „Das solltet Ihr lieber dem Weltenlenker sagen. Ich wollte sowieso eine Taube schicken und nicht herkommen.“ „Gut, dann werde ich es ihm sagen. Er wird sicherlich begeistert sein.“, winkte er sarkastisch ab. „So begeistert wie ich es bin.“ „Eure Freude ist wahrlich erschlagend.“ „Ich werde noch eigene Männer mitnehmen.“, warf Konstantin streng ein. „Nichts für ungut, aber ich traue diesen... Kreaturen nicht.“ Abschätzend deutete er sowohl auf den Fessler als auch die Drachenhetzer. Beide Schöpfungen zeigten sofort einen Anflug von Feindseligkeit und wären wohl losgestürmt, wenn Sor’car nicht herrisch ihre Hand gehoben hätte. Sie gebot ihnen Einhalt, auch wenn es ihnen nicht gefiel. „Selbstverständlich dürft Ihr einige Eurer eigenen Männer mitnehmen.“, erwiderte die Schwarzhaarige gelassen. „Aber übertreibt es nicht. Eine ganze Armee ist nicht erwünscht.“ „Selbstverständlich nicht.“ Wortlos winkte der König eine Zofe heran, die sich ängstlich hinter einer Säule verkroch. Das arme Ding musste von dem Anblick dieser Kreaturen vollkommen verängstigt sein! Verständlich... Jeder kannte die Geschichten über diese. In diesem Raum war keiner wirklich sicher, solange diese Bestien noch hier waren. Deshalb zwang er sich, auch möglichst sanft mit ihr zu sprechen: „Bereitet zwei Zimmer für unsere Gäste vor und lasse ihnen Speisen bringen. Morgen früh auch Frühstück.“ „Natürlich, Majestät...“, stotterte das junge Ding nervös. „Du darfst jetzt gehen.“ „Danke, Herr!“ Das ließ sie sich nicht zwei Mal sagen. Sofort nahm sie ihre Beine in die Hand und lief davon, um sich um ihren Auftrag zu kümmern. Nur würde sie deshalb heute Nacht nicht ruhiger schlafen. Er auch nicht... „Bitte, fühlt Euch wie... Zuhause.“, sagte er nicht ganz so ehrlich. „Ich muss mich nun um sehr viele Angelegenheiten kümmern.“ „Selbstverständlich. Danke für Eure Gastfreundschaft.“ „Ich hoffe, ich muss nicht extra erwähnen, dass hier keiner irgendwelche Leute töten darf?“, warf er skeptisch ein. „So sehr Zuhause sollte sich hier keiner fühlen.“ Sor’car musste doch etwas hämisch kichern, als sie das hörte: „Wir werden uns zusammenreißen, auch wenn es schwer sein wird.“ „Danke sehr.“ Mit einer Verbeugung drehte sich die Frau um und wies ihrer Eskorte harsch an, sie zu begleiten. Es gab noch böse Blicke von den Kreaturen, aber sie gehorchten ihr trotzdem aufs Wort. So viel Gehorsam hatte er nur durch den Weltenlenker erwartet. „Ihr wollt sie wirklich begleiten?“, hinterfragte Durell derweil leise. „Sie wollen Euch gewiss in Götterherz umbringen.“ „Ich habe nicht gerade eine Wahl...“ „Da hat der König recht.“, mischte sich Benedikt ungefragt ein. „Deshalb sollten wir uns vorbereiten, damit es nicht soweit kommt. Wir haben einen entscheidenden Vorteil.“ Durell zog skeptisch die Stirn kraus und blickte ihn dann verwirrt an: „Ach ja? Der wäre?“ „Wir wissen, was sie vor haben.“ Kapitel 3: Tausend traurige Geschichten --------------------------------------- Vier Aufträge hatten Hammond und Billiana inzwischen miteinander absolviert. Alle erfolgreich. Eine Leibwächter-Mission für einen gehobenen Gentleman, der an einer Feier teilnehmen wollte. Nicht wirklich gefährlich, aber durchaus lukrativ. Zwei Mal hatten sie Karawanen bewacht, die innerhalb vom Weltenbaum Handel betrieben. Und dann war da noch ein eigenartiger Auftrag gewesen, in dem sie dem Sohn eines Adligen eine Lektion erteilen sollten. Sie hatten ihn in der Nacht überfallen müssen, um ihm klarzumachen, dass es nachts auf einer Straße nicht sicher war für einen Hochwohlgeborenen. Auch wenn es lustig war, bezweifelte keiner, dass er bald trotzdem wieder des nachts unterwegs sein würde. Heute aber hatten sie einen ganz anderen Auftrag. Es ging um eine recht große Verbrecher-Bande, die alle möglichen Bereiche abdeckte. Sei es nun Menschenhandel, Schmuggel, Diebstahl, Hurerei... Billie wusste nicht so recht, wie es diese Gruppierung überhaupt geschafft hatte, so groß zu werden. Sonst griff Wyrnné relativ schnell ein, wenn sich so viele Menschen zusammentaten. Ihm war wohl nicht klar, wie groß sie inzwischen geworden sind..., sinnierte die Elfe und spannte ihren Bogen an. Sie waren auch recht klug. Ihre Verstecke in den Wäldern zu verteilen, war vorausschauend. Eigentlich zu vorausschauend, doch darum machte sie sich weniger Gedanken. Ihre Auftraggeber wollten großzügig bezahlen und hatten ihnen einen Teil der Verstecke schon nennen können. Den Rest hatte Nero recht schnell herausgefunden, indem er sich in die Bande eingeschleust hatte. Da Nero nicht besonders bedrohlich wirkte und eine anziehende Wirkung auf sein Umfeld ausübte, hatte er schnell Vertraute gefunden, die ihm Informationen gegeben hatten. Auf diese Weise hatten sie auch noch die restlichen Verstecke ausfindig machen können. Jetzt waren Hammond und sie dabei, diese Verstecke allesamt auseinanderzunehmen. Schnell und effektiv, damit keiner die anderen warnen konnte, um das Lager zu verlassen. Nero und der Titan waren hierbei immer an vorderster Front. Da die Verbrecher Nero kannten, ließen sie ihn herein oder kamen heraus. Dann konnte der Soldat zuschlagen, während sie aus der Ferne die Feinde ausschaltete. Es war schon fast etwas zu einfach! Komisch, dass sie schlau genug waren, um so viele einzelne Verstecke zu errichten, aber zu dumm waren, um ein Warnsystem für den Fall eines Angriffs auszuarbeiten., sinnierte die Langhaarige und ließ los. Ihr Pfeil zischte in ihren Ohren, als er durch die Luft glitt als wäre dort kein Widerstand. Sie konnte es ganz genau hören, wie die Flugbahn sich manchmal verschob, wenn der Wind dagegen trieb, doch die Auswirkungen waren minimal. So etwas berechnete die Attentäterin eh mit ein, weshalb es sie nicht überraschte, dass sie ihr Ziel direkt zwischen die Augen traf, welches einfach umkippte. Der Dieb hatte gerade Hammond von hinten angreifen wollen, der kurz dankbar in ihre Richtung blickte. Billiana hatte einen wunderbaren Platz gefunden, um aus sicherer Distanz zu arbeiten. Oben auf dem Baum konnte man sie nur sehr schwer ausmachen, sie aber alles überblicken. Deshalb wussten auch weder der Soldat noch Nero, wo sie sich genau befand. Das war kein Problem, solange jeder tat, wofür er hier war. Einen Herzschlag lang glaubte sie, dass ihr schwindlig wurde. Die Elfe schloss ihre Augen und streckte ihre unsichtbaren Fühler nach dem aus, was sie aus der Bahn warf. Ihre Hand lehnte am starken Baumstamm, während sie sich auf ihr Umfeld konzentrierte. Sie konnte hören, wie Hammond einem Mann den Ellenbogen in die Seite rammte, eine Drehung machte und mit dessen Schwung einen anderen enthauptete. Nero war gerade über eine große Wurzel gestolpert, nutzte diesen Moment aber trotzdem aus, um von unten einen Dolch direkt durch den oberen Hals in das Gehirn zu stoßen. Durch ihr inneres Auge konnte sie Lichtlinien erkennen, die sich hastig bewegten. Inzwischen wusste Billie, dass das die Lebensenergie war, die jedes Tier, jeder Mensch und auch jeder Nichtmensch in sich trug. Gewissermaßen auch Pflanzen, doch diese Energiequelle sah anders aus und war schwerer zu spüren. Man hatte sie gelehrt zu unterscheiden, welche Lebenskraft stärker oder schwächer war. Wodurch sie erkennen konnte, ob es ein Mann oder eine Frau war. Ob Tier oder Mensch... Im Normalfall griff sie auf diese Gabe nicht zurück. Sie ergab sich durch ihre Macht des Schöpfens, die sie als Beschwörungsmagie nutzte. Doch es konnte im Dunkeln oder auf großer Distanz hilfreich sein, um Hinterhalte zu verhindern. Im Alltag oder normalen Kampfgeschehen war diese Perspektive allerdings nur verwirrend und hinderlich. Zumindest solange wie sie noch ein gesundes Auge besaß. Dann schließlich fand sie eine Energiequelle, die weiter weg von all dem war. Größer, mächtiger und sehr unruhig. Die Linien waren keine wirklichen Linien, sondern viel mehr unruhige Zacken, die sich wie ein Wellenmuster bewegten. Manche davon waren dicker, andere dünner. Sie kannte dieses ungleichmäßige Bildnis. „HAMMOND! NERO!“, schrie sie so laut sie konnte. „WEG DA!“ Obwohl die beiden sich umdrehten und nach ihr Ausschau hielten, schienen sie sie nicht ganz zu verstehen. Ihr Gehör war eben das von Menschen... Schlecht und leicht durch Nebengeräusche zu beeinflussen. Ebenso wie ihre Augen und anderen Sinne, die nur bedingt ihren Dienst taten. Es war bedauerlich, jedoch nicht zu ändern. Eilig kletterte die Elfe vom Baum herunter. Sie trug ihre schwarze Attentäter-Rüstung samt Kapuze und Maske. Zwar hatte sie ihre Haare braun gefärbt, versuchte es dennoch zu vermeiden, dass man sie erkennen könnte, wenn sie offen herumlief. Sie nutzte es gerne aus, dass Nichtmenschen für Menschen alle gleich aussahen. Deshalb reichte es in der Regel aus, Kleinigkeiten zu ändern, wie die Haarfarbe oder die Nase. Doch das war ihr trotzdem zu ungewiss. Gerade bei Missionen wie diesen. Zusätzlich boten Maske und Kapuze auch im Kampfgeschehen durch die Metallplatten gewissen Schutz. Sie rannte so schnell sie konnte. Dabei musste sie über Stock und Stein springen. Das war nicht das schwierige, sondern nirgendwo mit der Kleidung hängen zu bleiben. Außerdem musste sie während des Rennens noch den Bogen auf ihrem Rücken befestigen. Billiana konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so schnell gelaufen war. Dabei ließ sie das Gefühl im Magen nicht los, dass sie mal wieder auf ihr eigenes Verderben zulief. Nicht das erste Mal und gewiss auch nicht das letzte Mal. Trotzdem schaffte sie es rechtzeitig anzukommen. Gerade hatten die beiden Männer die letzten Banditen zur Strecke gebracht und waren stolz auf sich selbst. Doch dann sprang etwas Gigantisches aus dem Gebüsch. Nero geriet vollkommen in Panik, während Hammond sofort eine Rüstung aus Stein um sich herumbildete. Die Kreatur erkannten die beiden sofort. Das war auch nicht schwer bei der pechschwarzen Haut und die Tattoos, die durch die wegfliegende Kapuze erkennbar wurden. Inquisitoren hatten mindestens genauso feine und ausgeprägte Sinne wie die Elfe. So hatte er sie vermutlich finden können. Er hatte die Panik der sterbenden Verbrecher gespürt und eine Gruppe selbstbewusster Jäger. Wie eine Einladung zum Blutbad! Mit zwei Beilen, die Widerhaken an unterschiedlichen Stellen besaß, wollte er gerade auf Nero einzuschlagen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es jemand wagen würde, sich zwischen ihn und seine Beute zu werfen. Billie war aber so tollkühn und hatte beim Ansturm ihre Seelenklinge gerufen, mit der sie den heftigen Angriff abblockte. Dabei musste sie etwas in die Hocke gehen, um sich nicht doch irgendwas zu brechen. Die Elfe hielt weiterhin dagegen, während der Inquisitor sich aufbaute und versuchte, sie mit purer Muskelkraft in die Knie zu zwingen. Sie wusste, dass er das schaffen konnte, wenn er nur genug Zeit dazu bekam. „Ihr sollt fliehen!“, rief sie den Männern zu ohne sie anzublicken. „Schnell!“ „Aber... Was ist mit dir?“, wollte der Titan wissen und half Nero derweil zurück auf die Füße. „Wenn ihr weg seid, werde ich fliehen, sobald ich kann. Solange ihr da seid, seid ihr mir im Weg.“ Auch wenn sich der Soldat sichtlich unwohl damit fühlte, verstand er sie offenbar. Er hatte ihre Kampfkünste und auch ihre Magie nun ausreichend in Aktion gesehen. Sie brauchte Platz und Möglichkeiten, damit sie diese problemlos einsetzen konnte. Doch solange sie auf die beiden Männer Rücksicht nehmen musste, ging das nicht. Sie würde immer aufpassen müssen, dass ihnen nichts geschah. „Komm‘ heil zurück.“, schnaubte der Titan schließlich. „Ich werde auf den Tollpatch aufpassen.“ „Danke.“ Sofort zog der Schwarzhaarige Nero mit, der bleiben wollte. Natürlich wusste er, dass er nichts ausrichten konnte, doch es erschien ihm genauso falsch, seine langjährige Partnerin im Stich zu lassen. „Ihr bleibt hier!“, schrie der Inquisitor und wollte Billiana von sich stoßen. „Ihr sterbt alle gemeinsam!“ Die Attentäterin wusste, dass die Inquisitoren so feine Sinne hatten, dass es schon schmerzte. Aus diesem Grund riskierte sie gerne, dass sie selbst ein Klingeln in den Ohren haben würde. Geschickt hockte sie sich etwas hin und ließ ihn erstmal losstürmen, um selbst den Schild von einem der Toten einen heftigen Tritt zu versetzen. Das Metall schlitterte lautstark über den Waldboden und prallte dabei klirrend gegen zahlreiche Waffen und Steine. Die Flugbahn hatte sie nicht ganz beeinflussen können, doch der Lärm war schrecklich genug. Ich werde die nächsten Minuten selbst kaum was hören können!, fluchte sie schnaubend. Ihr Ziel aber erreichte die Blondine durchaus, denn der Hüne krümmte sich zusammen und ließ die Waffen fallen, um stattdessen seine Ohren zu zuhalten. Er schrie unter Schmerzen auf. Das Klingeln in seinem Gehör musste mindestens doppelt so heftig sein wie bei ihr. Zwar konnte sie sein Leid nachempfinden, wusste aber auch, dass sie gnadenlos sein musste. Deshalb stürmte die Attentäterin auch direkt auf den Inquisitor zu, um mit ihrem Schwert auszuholen. Im letzten Moment riss er seinen Arm hoch und blockierte ihren Angriff damit. Zu ihrem Bedauern trug er einen sehr stabilen Metallschutz, den sie nur leicht beschädigt hatte. „Mammon, du bist weit weg von Zuhause.“, sagte sie mit ruhiger Stimme. „Dein Vater wird sich gewiss sorgen.“ „Woher weißt du meinen Namen?“, zischte der Inquisitor, der seine Waffen wieder aufhob. Der kurze Schock durch den Krach war wohl wieder verebbt. „Oh, ich kenne viele von euch...“ „Das beantwortet meine Frage nicht.“ „Das war auch nicht meine Absicht.“, konterte sie und holte erneut mit ihrer Klinge aus. Mammon fiel es nicht schwer, den Angriff mit den Beilen abzublocken und im Anschluss zum Gegenangriff auszuholen. Er war schnell und die Schläge dennoch sehr kraftvoll. Ein falscher Treffer und er brach ihr etwas oder trennte Körperteile ab. Auch wenn die Inquisitoren eigentlich zur Folter erschaffen worden waren, waren sie dennoch einzigartige Kämpfer. Einer von ihnen konnte zehn gute Soldaten ersetzen! Manchmal auch mehr... Er trieb sie immer weiter zurück. Sie war nur noch damit beschäftigt, seinen Angriffen auszuweichen oder sie zu parieren. Ihm war keine Sekunde anzumerken, dass die Angriffsdauerschleife ihn irgendwie auslaugte. Kontinuierlich schlug er auf sie ein, bis sie mit dem Rücken an einem Baumstamm stand. „Du musst die Hure meines Vaters sein.“, zischte er wie eine Beleidigung. „Die ihn immer wieder besucht und ihm Köpfe anschleppt.“ „Ich hatte nicht erwartet, dass er darüber mit jemanden spricht.“ „Hat er nicht.“ „Dann warst du wohl ein unartiges Kind?“, erwiderte Billiana und drückte ihr Schwert gegen seine Beile. Er hielt problemlos dagegen. „Ab und an müssen Kinder unartig sein, um ihre Eltern zu schützen.“, sagte er mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht. Es wirkte falsch, wenn ein Inquisitor so etwas wie Freude zeigen wollte. „Da stimme ich dir zu.“, hauchte die Elfe konzentriert. „In diesem Fall hilft es dir aber nicht weiter.“ Der Inquisitor verengte seine weißen Augen und fixierte sie. Beinahe so, als versuchte er ihr Selbstbewusstsein zu durchschauen. Auch das half ihm letztendlich nicht weiter, denn just in diesem Augenblick konnte sie mit dem Fuß ausholen und mit dem Absatz direkt auf seinen treten. Das wiederholte sie ein paar Mal an unterschiedlichen Stellen, um mehrere Impulse auszusenden. Auch wenn es Mammon ärgerte, musste er trotzdem von ihr ablassen. Wenn er sie weitermachen ließ, dann hatte er vielleicht bald ein Loch im Fuß und dann konnte er seinem Schöpfervater nicht mehr ausreichend dienen. Just in diesem Augenblick streckte die Attentäterin ihre Hand aus und eine unsichtbare Schockwelle aus überschüssiger Magie drang hervor. Die Wucht traf den Inquisitor so heftig, sodass er durch mehrere Bäume krachte. Die Spur aus Vernichtung sah wirklich furchtbar aus, doch es ging nicht anders. Sie konnte Mammon keuchen hören und wie er versuchte, sich wieder aufzurappeln. Der perfekte Augenblick für die Elfe, um ein kleines Portal zu erschaffen, welches sich schnell vergrößerte. „Ereinion...“, flüsterte sie. „Ich brauche dich hier.“ Die Kreatur ließ sich nicht zwei Mal bieten und sprang aus dem Portal hindurch. Eine vorerst nebelartige Gestalt, die dann die Form eines riesigen Albtraumwolfes annahm. Seit dem Kampf gegen Zodiak, hatte sie die Kreatur der Zwischenwelt kaum noch beschworen. Eigentlich nur, wenn sie sich schnell irgendwo hinbewegen wollte. Das lag unter anderem daran, weil sie nicht so viele Seelen opfern wollte. Aber vor allem daran, weil sie inzwischen wusste, wer er einst gewesen war. Es kam ihr so vor, als würde er dennoch beständig wachsen. All die Seelen, die er bei der damaligen Reise ergattert hatte, mussten sein Machtpotenzial immer noch zunehmend aufbauen, auch wenn sie eigentlich seiner Königin zustanden. Doch vermutlich bekamen sie alle ihren Anteil, wenn sie ihr Opfer besorgten. Oder Ereinions Macht wächst mit meiner..., überlegte die Beschwörerin nicht minder fasziniert. Dann könnte es noch sehr spannend werden. „Dort wäre eine besonders große und schmackhafte Seele für dich.“, sagte sie und deutete auf Mammon. „Das wird deine Königin erfreuen.“ „Nicht nur sie.“, knurrte der Schattenwolf. „Wobei ich das schmackhaft bezweifle...“ Der Hüne hatte es in der Zwischenzeit geschafft, sich wieder auf die Attentäterin zu zubewegen. Er wirkte etwas lädiert, aber keineswegs bereit, um nun einfach aufzugeben. Eines konnte man von den Schöpfungen des Weltenlenkers jedenfalls nicht behaupten: Nämlich, dass sie schnell aufgaben, wenn es heikel wurde. „Was ist das für ein Zauber?“, zischte er angeschlagen. „Etwa eine Illusion?“ „Überzeuge dich doch selbst, Mammon. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Illusionen dir nicht so wehtun können, wie er es gleich tun wird.“ Billie konnte ihm ansehen, dass er stutzte. In diesem Augenblick verschwand Ereinion einfach im Nichts und tauchte direkt hinter dem Inquisitor wieder auf. Wie ein echter Wolf knurrte er, als er sich einfach in dessen Arm verbiss. Das Blut spritzte. Der Schrei der Schöpfung war so markerschütternd, dass es in ihrem feinen Gehör für ein unangenehmes Klingeln sorgte. Obwohl Mammon um sich schlug und versuchte, den Schattenwolf abzuschütteln, ließ dieser einfach nicht von ihm ab. Die spitzen, langen Zähne schienen sich eher noch fester in sein Fleisch zu verkeilen. Die Attentäterin musste zugeben, dass Ereinion wohl immer eine wirklich praktische Geheimwaffe bleiben würde. Auf Dauer würde sie nicht auf seine Hilfe verzichten können, wenn sie hier überleben wollte. Trotzdem schaffte es die Kreatur schließlich doch, den Wolf von seinem Arm abzureißen. Nicht ohne sich selbst ein großes Stück Fleisch entfernen zu lassen, welches Ereinion angewidert ausspuckte. Das zumindest klärte die Frage, ob Inquisitoren überhaupt schmackhaft waren. Ohne Mammon Zeit zur Erholung zu geben, rief sie ihre Seelenklinge erneut und stürmte auf den Inquisitor zu. Sie schlug nach ihm, doch er schaffte es auszuweichen oder zumindest zu parieren. Bis ihm schließlich der Schattenwolf mitten in die Wade biss. Wutentbrannt schrie der Hüne auf und riss dabei einen gewaltigen Ast aus einem Baum. Im ersten Augenblick glaubte sie, dass er damit nach ihr schlagen wollte, doch stattdessen schmetterte er diesen gegen den Kopf des Wolfes. Mit einem Jaulen wurde er einige Meter weit weggeschleudert. Ereinion hatte wohl auch nicht mit diesem heftigen Gegenangriff gerechnet. „Du verdammte... kleine Hure...“, zischte Mammon und kam bedrohlich auf sie zu. „Du rufst irgendwelche Dämonen, weil du mich alleine nicht schaffst, he?! Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, du hättest dich direkt ergeben!“ „Ich brauche ihn nicht gegen dich, Mammon.“, erwiderte sie gelassen. „Aber er schadet mir auch nicht.“ Als habe sie den besten Witz aller Zeiten gemacht, lachte der Inquisitor auf und packte eines seiner Beile, um damit direkt auf sie einzuschlagen. Leicht bückte sich die Elfe und parierte dabei den Schlag mit ihrem Schwert. Tänzelnd schaffte sie es so, sich hinter ihn zu bewegen und mit ihrem Fuß heftig in das Kreuz des Inquisitors zu treten. Er strauchelte, bekam aber auch seine zweite Waffe in diesem Augenblick zu packen. Immer noch von Zorn getrieben, drehte sich Mammon um und stürmte wieder auf sie zu. Der erste Schlag zielte auf ihre Schwerthand, dem sie mit einer sauberen Pirouette entging. Sein zweiter Schlag aber sauste von oben auf ihren Schädel herab. Dafür warf sich die Attentäterin auf den Boden und rutschte geschickt zwischen seinen Beinen hindurch. Dabei ließ sie es sich nicht nehmen, mit ihrem Schwert einmal über seine bereits verletzte Wade zu ritzen. Er fluchte so laut, dass sie kaum ein Wort verstand. Nur immer mal wieder etwas von „Hure“ und „Wie kann das sein?“, aber wesentlich mehr schnappte sie nicht auf. Billiana verstand seinen Ärger. Die Schöpfungen von Wyrnné waren in vielen Hinsichten überragend und nahezu unbesiegbar – wenn sie gegen normale Sterbliche antraten. Doch sie war keine normale Sterbliche. Sie hatte Wyrnné seine Macht verliehen und sie konnte ihm diese auch wieder wegnehmen. Nur wusste das sonst keiner, außer ihnen. Blind vom Zorn wollte die Kreatur sie wieder angreifen, wurde aber von Ereinion unterbrochen. Der Wolf schien seine Benommenheit recht schnell abgeschüttelt zu haben. Wieder verbiss er sich in dem Inquisitor, dieses Mal aber in die andere Wade. Erneut wollte er den Schattenwolf treffen, wenn auch dieses Mal mit seinen Waffen. Doch Ereinion fiel kein zweites Mal auf so eine stupide Masche herein und löste sich einfach auf. So verletzte Mammon sich nur selbst mit den Widerhaken und heulte schmerzhaft auf. Er schien die Welt nicht mehr zu verstehen. „Wer zur-... verdammten Hölle seid Ihr...?“, keuchte er atemlos. „Euer schlimmster Albtraum.“, antwortete die Elfe und kam näher. „Und nun schlaf.“ „Was...?“ Er war zu schwach, um sich gegen sie zu wehren, als sie ihre Hand an seine Stirn presste. Sie nahm eine Verbindung mit ihm auf. Es war nur eine Vermutung, doch zu ihrem Glück traf diese durchaus zu. Sie konnte sich mit ihm verbinden, weil die Macht des Weltenlenkers auf der basierte, die er von ihr einst erhalten hatte. Er war vielleicht der Schöpfervater all dieser Bestien, doch sie war sozusagen ihre Mutter. Viel sanfter, als es Wyrnné sicherlich jemals getan hatte, knüpfte sie ein Band mit diesem eigenartigen Wesen. Spürte seinen Schmerz. Seinen Zwiespalt. Sie fühlte einen Augenblick lang alles, was er fühlte. Seine unbändige Liebe zu Wyrnné, die Trauer, weil er allmählich in dessen Missgunst fiel und die zerfressende Einsamkeit, weil alle sich abwandten. Sie konnte sogar Bruchstücke seines früheren Lebens entdecken, bevor er ein Inquisitor wurde. Es lag nicht in ihrer Natur, einfach wegzusehen, wenn ein Lebewesen leiden musste. Aus diesem Grund sandte sie ihm Wärme und Liebe zu. So, wie es nur eine Mutter tun konnte. Ein kleines Trostpflaster. Erst dann gab sie ihm sanft den Befehl, einfach seiner Erschöpfung nachzugeben. Der Inquisitor sackte direkt vor ihren Füßen zusammen. Ihr war bewusst, dass sie Glück gehabt hatte. Er war durch die ständigen Schmerzen nicht mehr er selbst und litt unter der Ablehnung. Mit einem Inquisitor wie Altan, der fest überzeugt war und viel Selbstbewusstsein besaß, hätte sie diese Verbindung nicht knüpfen können. Dafür vergötterte Altan auch zu sehr seinen Vater. Das könnte interessant werden..., gestand Billie sich ein. Wenn ich seine Schöpfungen zumindest teilweise umdrehen kann, hat er bei weitem nicht mehr so viel Macht. Und ich kann sie besser verstehen lernen... „Wieso hast du mich gerufen, wenn du mich nicht brauchst?“, wollte der Schattenwolf wissen, den sie beinahe vergessen hatte. Das Knüpfen des Bandes hatte recht lange gedauert und war durchaus anstrengend gewesen. Langsam fuhr sie sich über die Kapuze und kontrollierte, ob alles noch richtig saß, ehe sie ihn anblickte: „Zur Sicherheit. Ich wusste nicht, dass er so sehr wankt.“ „Willst du ihn nun als Marionette benutzen?“ „So in der Art...“ „Inwieweit macht dich das besser als Wyrnné?“ „Ich habe nie versucht, besser zu sein als er.“, erwiderte sie skeptisch. „Das stimmt. Du tust es einfach.“ „Werden wir etwa sarkastisch?“ „Ich kann nicht sarkastisch werden.“, erinnerte er sie und bleckte die Lefzen. „Keine Gefühle, falls du dich erinnerst? So lange haben wir uns auch nicht gesehen.“ Sie musste doch etwas grinsen: „Komisch, dass du trotzdem ständig sarkastisch rüberkommst. Ich glaube, ein paar Gefühle sind da schon.“ Daraufhin erwiderte der Schattenwolf nichts mehr. Stattdessen schnupperte er an dem bewusstlosen Mammon, der für eine Weile ausgeknockt sein würde. Aber nicht so lange, dass man allzu lange verharren durfte. „Wird er sich an das erinnern, was du getan hast?“, wollte der Zwischenweltler wissen. „Erstmal nur unterbewusst.“, erwiderte Billiana leise. „Er wird sich fühlen wie immer und nach und nach wird er merken, dass er mir wohlgesonnener sein wird. Bald kann ich dann normal mit ihm sprechen und er kann mir Informationen liefern. So ist es sicherer für ihn... Wyrnné wird es nicht merken, dass er zu mir steht. Zumindest nicht rechtzeitig.“ „Wenn er es doch rechtzeitig herausfindet, wird er ihn ziemlich qualvoll umbringen lassen.“ „Wahrscheinlich...“, murmelte sie und spürte ihr schlechtes Gewissen. „Jetzt sollten wir erstmal weg hier. Er wird bald aufwachen und seine Loyalität ist mir gegenüber noch nicht stark genug.“ Aber was mich noch mehr an ihm beunruhigt, ist seine Leidenschaft für Kinder. Ich weiß nicht, ob ich ihm diese Vorliebe austreiben kann..., überlegte die Elfe missgestimmt. Vielleicht ist Wyrnné ihm gegenüber auch deshalb skeptisch. Wenn er selbst mal Nachwuchs bekommt, darf er den nicht in Mammons Nähe lassen. Alleine mit diesen Bedenken stieg sie auf den Rücken des mächtigen Schattenwolfes. Er brauchte keinen Befehl, um in die Zwischenwelt mit ihr zu springen und sich über diese fortzubewegen. Billie fand sie immer noch unheimlich. Die Stimmen, die einem verlockende Angebote zuflüsterten und die Tatsache, dass ein falscher Schritt einem die Seele kosten konnten, waren nicht gerade reizvoll. Warum Connar sich hier so gerne aufhielt, war ihr ein Rätsel! Doch sie verstand den Vorteil. Über die Zwischenwelt konnte man wahnsinnig schnell reisen, wenn man Zeitdruck hatte oder eine andere Welt besuchen wollte. Hier verging die Zeit anders. Eine Stunde in der Zwischenwelt waren vielleicht zehn Minuten auf den anderen Welten. Ereinion sprang durch eines der „Fenster“, um sie zurück auf die Oberwelt zu bringen. Er wusste offenbar, dass sie noch zu Hammond und Nero zurückkehren wollte, denn er suchte einen Ort in deren Nähe. Nicht so nah, dass sie ihn eventuell erblicken konnten. Dafür war die Zeit noch lange nicht reif. Sie vertraute ihnen nicht genug. Lächelnd stieg sie von dem breiten Rücken des Schattenwolfes und tätschelte ihn zärtlich: „Danke, Schatti. Das nächste Mal gibt es dann aber eine Seele. Bestimmt.“ „Du sollst mich nicht so nennen...“, knurrte er und zog die Lefzen drohend in die Höhe. „Und das nächste Mal sollte es sich lohnen, sonst überlege ich mir, ob ich deinem Ruf nochmals folge.“ „Verständlich.“ Der Schattenwolf sprang in ein Fenster der Zwischenwelt, welches sie selbst nicht sehen konnte. Ihr Bruder konnte das und jede Kreatur, die aus der Zwischenwelt stammte auch. Dabei war unwichtig, ob dieses Wesen schon Teil der Zwischenwelt war oder es noch werden würde. Nur nahmen viele von ihnen diese Risse wohl nicht wahr oder konnten sie nicht nutzen. Entspannt und zufrieden mit sich selbst, schlenderte sie in die Richtung der beiden Männer, die sicherlich schon wahnsinnig vor Sorge waren.   „Athena!“, keuchte Nero erleichtert und stampfte direkt auf seine Partnerin zu. Er tastete sie ab, als wollte er sichergehen, dass es sich nicht doch um einen Geist handelte. Oder er suchte Verletzungen, da war sich Hammond nicht ganz sicher. Grinsend beobachtete er die beiden. Er lauschte der Attentäterin, die dem Rotschopf zu versichern versuchte, dass es ihr bestens ginge. So ganz wollte das wohl keiner glauben, denn sie hatte sich immerhin einem leibhaftigen Inquisitor stellen müssen! Bisher hatte er von keinem Menschen oder Nichtmenschen gehört, der es geschafft hatte, eine solche Bestie zu töten oder unbeschadet davon zu kommen. Doch bisher hatte er auch niemals von solch einer talentierten Frau wie ihr gehört. Ihr Umgang mit Waffen und Magie war meisterhaft. Er war fast etwas neidisch! Aber wenn meine Vermutungen richtig sind, ist sie auch schon viel, viel älter als ich. Und als fast jeder andere Mensch und Nichtmensch auf Midgard., gestand sich der Soldat ein. Irgendwann schaffte es die Elfe ihren Partner davonzujagen. Sie schickte ihn zurück nach Götterherz in sein Zuhause, damit er sich erholte und sich vor allem etwas bedeckt hielt in den nächsten Tagen. Sie wussten immerhin nicht, weshalb der Inquisitor überhaupt dort gewesen war. Letztendlich bestand die Gefahr, dass man sie alle bald steckbrieflich suchen würde. Zumindest die, die man beschreiben konnte und das waren eindeutig nur die Männer. Sie war klug genug gewesen, um sich zu verhüllen. Als konnte sie Gedanken lesen, zog sie langsam die Kapuze herunter und nahm sich die Maske vom Gesicht. Erst jetzt konnte Hammond sehen, dass sie dieses Mal braune Haare hatte, die sie zu zwei Zöpfen geflochten hatte. Zwei freche Strähnen hingen ihr aber trotzdem noch im Gesicht, was ein bisschen gewollt aussah. Obwohl er sie nun schon einige Male gesehen hatte, war er immer wieder atemlos, wenn er ihr schönes Gesicht sah. Selbst für eine Elfe war sie außergewöhnlich schön! Die Sommersprossen, die deutlich in ihrem Gesicht verteilt waren, passten einfach so perfekt zu ihrer frechen Art. Selbst das blinde Auge tat diesem Bildnis einfach keinen Abbruch. Bisher hatte der Soldat auch nur flachbrüstige, drahtige Elfen gesehen, wozu sie nicht gehörte. Sie hatte Kurven! Und maß trotzdem eine beeindruckte Körpergröße für eine Frau. Trotzdem fragte er sich, wie sie wohl in Wahrheit aussah, wenn sie keine Magie nutzte, um ihre Identität zu verschleiern. Ob es vielleicht Makel gab, die sie auf diese Weise versteckte oder andere interessante Details. Ich sollte echt nicht so von ihr schwärmen... Ich bin doch keine siebzehn mehr!, tadelte er sich selbst, doch er wusste, dass es wieder geschehen würde. „Geht es dir auch gut?“, erkundigte sich die Attentäterin sanftmütig. „Ihr scheint mir ja schnell genug weggelaufen zu sein.“ „Oh ja, alles bestens.“, erwiderte er lächelnd. „Dank dir. Und wie geht es dir?“ „Gut soweit. Bekomme bestimmt ein paar blaue Flecken, aber es gibt Schlimmeres.“ „Ja, sich zum Beispiel alleine einem mächtigen Inquisitor zu stellen!“ „Ja! Das stelle ich mir schrecklich vor!“ Hammond musste ja doch lachen, als er ihr grinsendes Gesicht betrachtete: „Ernsthaft: Ich bin froh, dass es dir gut geht, aber lass‘ mich das nächste Mal bitte helfen.“ „Deine Sorge in allen Ehren, aber ich brauche doch keinen Beschützer.“ „Ja, brauchst du nicht, aber ich fühle mich dann besser.“ Etwas theatralisch hob sie die Arme und schüttelte den Kopf: „Wenn es denn sein muss? Dann gelobe ich Besserung.“ „Danke sehr.“, sagte der Soldat grinsend. „Dann fangen wir direkt damit an, dass ich dich in die Stadt begleite.“ „Einverstanden.“ Er hatte mit mehr Widerstand gerechnet, aber sie wollte sicherlich nicht lange hier ausharren. Der Inquisitor war offenbar noch da draußen und er konnte sie zu schnell finden, wenn sie hierblieben. Auch wenn sie zur Zeit des Kampfes ihre Maske und Kapuze getragen hatte, würde Mammon sie sicherlich trotzdem erkennen und ausschalten, wenn er sie sah. „Was ist eigentlich aus dem Inquisitor geworden?“, erkundigte er sich doch neugierig. Sie würde gewiss nicht ins Detail gehen, doch zumindest grob zu erfahren, was geschehen war, würde ihm weiterhelfen. „K.O. in der dritten Runde.“, sagte sie salopp. „Habe die Zeit dann genutzt und bin abgehauen.“ „Du hast einen Inquisitor mal eben ausgeknockt?“ „Hast du das etwa noch nicht getan?“ „Oh, doch, doch!“, lachte Hammond heiter. „Das ist Teil meines Morgentrainings. Erstmal hundert Liegestützen, dann Gewichte heben und anschließend jeden Inquisitor K.O. hauen, den ich finden kann.“ „Na, siehst du? Alles gar nicht so aufregend.“, kicherte die Langhaarige. „Ich hatte einfach Glück. Er war mit den Gedanken woanders.“ „Die können denken?“ „Ja, ich vermute es mal.“, sagte sie schulterzuckend. „An Folter, Sex, Schmerzen, Gewalt...“ „Okay, okay... Habe verstanden! Sie sind komplett gestört und das hat dir den süßen Hintern gerettet.“ Einen Augenblick wurde es still zwischen ihnen. Er bereute seine Wortwahl sofort und befürchtete, dass er sie beleidigt haben könnte. Dieses Gefühl verstärkte sich noch mehr, als sie ihre Maske aufsetzte und im Anschluss ihre Kapuze überzog. Hammond rang um Atem und überlegte ernsthaft, wie er sich aus der Misere retten sollte! „Ich muss mal eben über die Mauer klettern.“, sagte die Attentäterin schließlich vollkommen ruhig. „Die lassen mich als freie Elfe nicht einfach durch das Tor. Bis gleich.“ „Natürlich... Bis gleich.“ Okay, ich bin eindeutig ein dummer Teenager! Natürlich hat sie nicht deshalb geschwiegen, sondern weil wir da sind!, verfluchte er sich selbst. Seit Leandra hatte er kein ernsthaftes Interesse mehr an einer Frau gehegt, doch irgendwie war die Elfe reizvoll für ihn. Er konnte nicht mal sagen, was es genau war. Nicht nur ihr Aussehen! Schöne Frauen kannte er viele, doch keine davon machte ihn so konfus. Er beobachtete sie sogar gerne, wie sie ein paar Bäume nutzte, um in die Luft zu kommen und schließlich den Rest der Mauer nach oben kletterte. Sie rutschte kein einziges Mal ab. Fast so, als wüsste sie ganz genau, wo es lockere Steine gab und welche einen sicheren Halt boten. Wahrscheinlich war dem auch so, denn sie konnte ja niemals durch die Tore gehen, wenn sie zurückkehrte. Ihn ließ man dagegen problemlos durch die Tore. Er besaß einen Passierschein, der durchaus gefälscht war, doch es war eine ausgezeichnete Fälschung! Er war bisher nicht mal weiter kontrolliert oder befragt worden, wenn er ihn vorzeigte. Kam das doch mal heraus, dann würde man ihn gewiss öffentlich hinrichten. Das würde aber auch passieren, wenn herauskam, dass er ein Rebell war. Es spielte also keine Rolle. Auf der anderen Seite der Mauer suchte er die Gassen nach der Elfe ab. Es gab viele dunkle Ecken hier, doch er fand sie einfach nicht. Der Soldat befürchtete, dass sie entweder erwischt worden war oder sie ohne ihn flüchtete. Plötzlich kam ihm eine blondhaarige Elfe lächelnd entgegen, die ein ähnliches Outfit trug, wie bei ihrem Kennenlernen. Eine enge Lederhose, dazu eine lockere Bluse, über der ein langer, lockerer Mantel hing. Der wiederum wurde durch einen Gürtel unterhalb der Brust gezüchtigt. Das eine Auge war blind, das andere dafür umso strahlender. Ihm stand der Mund etwas offener, als er in dem strahlend schönen Gesicht auch noch ein paar schimmernde Drachenschuppen um ihre Augen entdeckte. Kaum zu erkennen, wenn man nicht wusste, was man suchte oder mit Drachen verkehrte. Mit den Schuppen verankerten sich noch ein paar schmuckvolle Maserungen, die eher wie ein blasses Brandmal aussahen. Es war stimmig und doch dezent. Die meisten Drachen wären dankbar dafür, wenn sie nur so wenige Makel in ihrer menschlichen Gestalt hätten. Da sie aber eine Elfe war, war sie wohl kein geborener Drache, sondern ein erwachter. Das erklärt einiges..., gestand er sich selbst ein. Gegen einen Drachen sehen viele alt aus. „Was ist los? Verschlägt es dir die Sprache?“, erkundigte sich die Elfe grinsend. „Eben wolltest du doch noch über meinen »süßen Hintern« sprechen.“ Schamesröte peitschte in sein Gesicht, als er ihre spöttischen Worte hörte, die er durchaus verdient hatte. Rasch schüttelte der Soldat das aber ab und versuchte wieder zu grinsen: „Was soll ich dazu sagen? Nicht das, was ich erwartet hatte.“ „Ich bin schnell im Umziehen.“, sagte sie lässig. „Ist eine meiner Superkräfte.“ „Ich merke es schon.“ „Meine andere Bekleidung ist am Tag mitten in der Stadt etwas... auffällig.“ „Ja, dem stimme ich zu.“, lächelte Hammond offener. „Ist das-... Siehst du so in »echt« aus?“ „Ich sehe immer in echt aus.“, spottete die Elfe amüsiert. „Aber wenn du mich zu fragen versuchst, ob das meine Originalhaarfarbe ist, dann ja.“ „Und du bist tatsächlich ein Drache?“ Wieder trat Stille ein. Dieses Mal aber wohl eher, weil sie ihn forschend ansah. Drachen waren in der Gesellschaft sehr unbeliebt. Heute wie damals. Inzwischen waren sie aber tatsächlich auf Midgard vom Aussterben bedroht und wenn sie von den falschen Leuten enttarnt wurden, war das ein Todesurteil! Gerade hier in Götterherz. Zum Glück der Drachen war es jedoch so, dass kaum noch einer sie in ihrer menschlichen Gestalt als Drache erkennen konnte. Die Berichte über die offensichtlichen und versteckten Makel waren vernichtet worden. Er blieb entspannt. Sie sollte merken, dass er ihr nicht feindlich gesinnt war und auch sonst nicht angespannt. Es war wichtig, dass sie nicht davon ausgehen musste, dass von ihm eine Bedrohung ausging. Oder er sich vielleicht vor den gigantischen Echsen fürchtete. Aus Angst taten Menschen immerhin wirklich dumme Dinge! „Schuldig im Sinne der Anklage...“, offenbarte sie schließlich mit einem schwachen Lächeln. „Schlimm?“ „Nein, keineswegs. Ich mag Drachen.“ „Danke.“ „Wofür?“ „Dass du nicht in Panik gerätst und um Hilfe schreist.“, kicherte die Blondine. „Ich heiße übrigens Billie. Aber bei Aufträgen rufst du mich bitte weiterhin als Athena.“ „Freut mich sehr, Billie.“, sagte er lächelnd. „Immer noch Hamm. So wie-...“ „Hamm-Hamm nur mit einem Hamm?“, amüsierte sie sich köstlich. „Ja, das habe ich nicht vergessen.“ Hammond musste breit grinsen, als sie seinen Satz beendete. Er hatte sich bisher nur einmal in ihrer Gegenwart vorstellen müssen, doch das eine Mal hatte offenbar gereicht, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Vollkommen entspannt schlenderten sie durch die Straßen von Götterherz. Es war nicht unbedingt ein schöner Anblick. Jedenfalls nicht in den Straßen, in denen sie sich zusammen aufhalten konnten. Hier standen an jeder zweiten Ecke nichtmenschliche Huren, um ihre Dienste anzubieten. Es gab auch genug halbnackte oder nackte Sklaven, die für ihre Herren oder Herrinnen Besorgungen machen mussten. Sie waren deutlich an Brandmalen zu erkennen, die ihren Status zeigten. Einige hatten zusätzlich das Wappen der Familie eingebrannt bekommen, der sie gehörten. Schmerzhaft, doch so gab es keinen Streit um den „Besitz“. Besser – wenn auch nicht wirklich viel – traf es die Mischlinge, denen man das nichtmenschliche Blut nicht ansah. Sie wurden eher selten versklavt. Meistens waren sie einfache Diener in kleineren Häusern, mussten die Straßen der Stadt sauber halten, verrichteten handwerkliche Dienste und machten auch sonst alles, was die reinrassigen Menschen nicht selbst machen wollten. Sie mussten sich selten an Hurenhäuser verkaufen, um ihre Familie zu ernähren. Außerdem wurden sie seltener auf offener Straße beschimpft. All das Elend nahm der Soldat nicht wahr, wenn er neben ihr ging. Immer wieder warf er ihr Seitenblicke zu und bewunderte ihre aufrechte Haltung. Wie stark sie war, obwohl alles um sie herum zusammenbrach und keiner ihrer Art frei leben durfte. Man konnte auch jeder Zeit über sie herfallen und sie beschimpfen. So viel Würde hatte er noch nie an einem Nichtmenschen bemerkt. „Wohin gehen wir eigentlich?“, fragte Billiana plötzlich und riss ihn damit vollkommen aus seinen Gedanken. Es machte ihm klar, dass sie gerade ziellos durch Götterherz spazierten! „Du wirst sicherlich nicht wollen, dass ich dich nach Hause begleite...“, schlussfolgerte er schließlich behutsam. „Also begleitest du entweder mich oder wir verabschieden uns bis zum nächsten Auftrag.“ „Ich kann dich auch begleiten.“, erwiderte sie gelassen. „Nur zur Sicherheit... Falls du dich nochmals mit einem Inquisitor anlegen solltest.“ „Oh, das ist zu freundlich von Euch, Mylady.“ „Ich weiß. So bin ich!“ Keck zwinkerte sie ihm zu und verführte ihn zum wiederholten Male zu einem Lachen. Es war wirklich angenehm, mal nicht ständig zu bangen und mal ein einfacher Mann zu sein. Auch wenn es vielleicht nur für einen Augenblick war. Es war eventuell nur ein Traum. Doch ein wirklich schöner, der vielleicht irgendwann mal wahr werden würde. Sein kleines, bescheidenes Heim war nicht allzu weit entfernt. Immerhin waren sie schon in dem schlechteren Viertel gewesen und nahe der Mauer. Hier fiel Billiana nicht mal als Elfe besonders auf, weil sie auch eine Dirne sein konnte, dessen Dienste er in Anspruch nahm. In der Nähe seines Hauses hielt sich in der Regel jedoch eh kaum noch einer auf, weshalb es egal war. „Hier wohne ich auch schon.“, sagte er lächelnd. „Möchtest du noch etwas reinkommen? Du hast bestimmt Durst.“ Einen Herzschlag lang haderte die Elfe und sah sich etwas um. Schließlich nickte sie dann doch: „Ja, habe ich tatsächlich. Wenn es dir keine Umstände bereitet?“ „Umstände?“, hinterfragte er amüsiert. „Meiner großen Lebensretterin, die gegen einen Inquisitor gekämpft hat, werde ich wohl zumindest ein Glas Wasser bieten können! Bei den Umständen, die du dir erst gemacht hast...“ „Verstand, verstanden.“, lachte sie auf und ließ sich die Tür aufhalten. Durchaus anmutig betrat sie das kleine Haus und sah sich um. Anders als seine Freunde und Partner schien sie die Ordnung keineswegs zu überraschen. Sie entdeckte sogar recht schnell die zahlreichen Porträts und Gemälde seiner Familie. Es gab Bilder von seinen Kindern als Babys, im Kleinkindalter, Kindesalter und natürlich auch jetzt, wo sie beinahe erwachsen waren. Von Leandra besaß er weniger Gemälde. Sie hatte sich einfach zu selten malen lassen. Es gab aber ein paar gemalte Meisterwerke der vollständigen Familie. Hammond konnte sehen, wie ihr sehendes Auge zwischen den Bildern hin und her sprang. Offenbar verglich sie die Gesichter miteinander. Schließlich musterte sie sehr genau die aktuelleren Gemälde seines Sohnes und seiner Tochter. Es war absolut still. Keiner von ihnen sagte etwas. Wenn man genau hinhörte, konnte man der Atmung des jeweils anderen lauschen, mehr aber auch nicht. Der Soldat war sich unsicher, weshalb sie sich so sehr auf diese Gemälde konzentrierte oder sich sogar versteifte. „Alec und Emily sind also deine Kinder?“, schlussfolgerte sie plötzlich. Einen ewig langen Augenblick lang war er vollkommen perplex. Er musste wirklich um Fassung ringen, damit er überhaupt über ihre Frage oder eher Feststellung nachdenken konnte. Vor allem, weil er bisher weder seine Kinder noch dessen Namen in ihrer Gegenwart erwähnt hatte. „Du... weißt, wer sie sind...?“, hakte er mit trockenem Mund nach. „Drache, schon vergessen?“, erinnerte sie ihn mit hochgezogener Augenbraue. „Ich besuche selbstverständlich regelmäßig den Hort.“ Just fiel ihm ein gigantischer Stein vom Herzen. Daran hatte der Titan gar nicht gedacht! Er hatte sie nach Kelvins Rettung zum letzten Hort der Drachen gebracht, damit sie auf sie aufpassten. Nicht nur zu ihrem Schutz, sondern auch, falls sie als Drachen erwachen sollten. Dann waren sie direkt am richtigen Ort, um ihre Fähigkeiten zu erlernen. Keiner von ihnen zeigte bisher drakonische Gene, obwohl sie beide den Echsen sehr zugetan waren. Dennoch befand sich vor allem Alec am richtigen Ort. Er hatte sich recht früh als Magiebegabter herausgestellt und musste sein Temperament und seine Fähigkeiten dringend zu zügeln lernen. Als geborener Drakonier beherrschte er das Feuer, war aber auch so wild wie ein Drache. Er hatte schon diverse Räumlichkeiten unbeabsichtigt abgefackelt. Dennoch war er ein guter Junge, was auch die Drachen wussten. Einer ihrer Meister hatte ihn sogar nahezu adoptiert und nahm sich seiner intensiv an. Emily besaß bisher weder magische Talente noch fiel sie sonst irgendwie besonders auf. Ein fröhliches, freundliches Mädchen, welches viel lachte und zahlreiche Verehrer besaß, doch mehr war da nicht. Hammond war darüber nicht traurig. Als Magiebegabter oder Nichtmensch lebte man stets gefährlich. Diese Gefahr bestand bei ihr nicht. Zumindest solange sie weder als Drache erwachte noch magische Fähigkeiten in sich fand. „Du hast vermutlich nicht viel mit ihnen zu tun?“, schlussfolgerte Hammond schließlich. „Wie kommst du darauf?“ „Weil sie dich bisher nicht erwähnt haben. Weder als Billie noch als Athena.“ „Haben sie denn öfters von der zukünftigen Drachenkönigin gesprochen?“ „Ja, ständig.“, erwiderte er verwirrt. „Sie sind sehr am Schwärmen. Vor allem Alec ist ganz verzückt! Moment-... Bist du etwa...?“ „Leibhaftig und in Farbe.“ „Dann bildest du zurzeit hauptsächlich meinen Sohn in seiner Magie aus?“ Billiana nickte nachdenklich: „Ja, das stimmt. Er macht große Fortschritte.“ „Hätte ich gewusst, wer du bist-...“ „Das hätte doch nichts geändert, oder?“, warf die Blondine lächelnd ein und riss sich von den ganzen Gemälden los. „Wir hätten trotzdem zusammengearbeitet und du würdest mich trotzdem für die Rebellion wollen.“ „Natürlich, natürlich.“, stimmte er grinsend zu. „Aber ich hätte häufiger meinen Hofknicks geübt!“ „Idiot!“, tadelte sie ihn lachend. „Noch bin ich keine Königin.“ „Aber eine angehende. Also bist du eine Art... Prinzessin?“, schlussfolgerte er spöttisch. „Oh, Eure Majestät ist so bescheiden! Da schwindelt es einem einfachen Soldaten ja fast.“ Billiana schien ihm die Albernheiten nicht übel zu nehmen und sich auch nicht beleidigt zu fühlen. Zumindest lachte sie über die Scherze. Im Anschluss bekam er sogar einen spielerischen Hieb auf seinen Brustkorb, den er kaum wahrnahm. Trotzdem stöhnte er einmal gespielt auf, als hätte sie ihm ernsthaft wehgetan. „Es ist wirklich schön hier.“, gestand sie schließlich. „Ich mag es, dass es so bescheiden ist.“ „Danke sehr.“ „Du kannst deinen Leuten ausrichten, dass ich sie in ein paar Tagen treffen möchte. Sofern sie noch wollen.“ Seine Augen begannen direkt zu leuchten, als sie diese freudige Nachricht überbrachte. Er hatte nicht damit gerechnet! Zumindest nicht heute. Doch das schmälerte seine Begeisterung keineswegs. „Wirklich?“ „Ja, natürlich.“, erwiderte sie lächelnd. „Ich vertraue dir. Alles andere kommt dann von selbst. Zumindest, wenn sie mich überzeugen können...“ „Fantastisch! Ich teile es ihnen direkt morgen mit!“ „Was denn? Nicht direkt heute?“ „Oh nein, heute habe ich noch etwas vor.“ „Musst du noch ein hübsches Mädchen treffen?“, erkundigte sich die Attentäterin amüsiert. „Ihr den Hof machen?“ „So etwas in der Art.“ Ihre eisblauen Augen blitzten überrascht auf, als er ihre Handgelenke mit Kraft, aber auch Gefühl packte, um sie herum zu reißen und an die nächste Wand zu drücken. Hammond konnte ihr ansehen, dass sie nicht damit gerechnet hatte. Dann sind wir nun quitt., dachte er süffisant grinsend. Ich hatte nicht mit deiner Zustimmung gerechnet und du nicht damit, dass ich dich heute auf Händen tragen werde. Einen Augenblick lang sahen sie einander einfach nur an. Tief in die Augen, als wollten sie einander in die Seelen blicken. Keiner von ihnen sagte etwas. Schließlich senkte die Elfe unterwürfig ihre langen, dunklen Wimpern. In diesem Augenblick hob er ihre Hände über ihren Kopf und hielt sie schließlich nur noch mit seiner rechten. Seine linke Hand wanderte gefühlvoll, aber bestimmend an ihre Kehle, um ihren Kopf nur mit Daumen und Zeigefinger anzuheben. Der Rest seiner Hand behielt ihren Hals dominant unter Kontrolle, während sie einander wieder ansahen. „Du bist die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe, Billie...“, flüsterte er ihr mit heißem Atem entgegen. „Aber vor allem bist du die klügste Frau, der ich jemals begegnet bin. Ich bin dir vollkommen verfallen.“ „Geht mir mit dir nicht anders.“, hauchte die Elfe honigsüß zurück. „Deshalb vertraue ich dir auch.“ Mehr Zustimmung brauchte er nicht. Der Titan presste ihr seinen Mund voller Leidenschaft auf, ließ ihr aber immer noch keine Möglichkeit auf Flucht. Er wusste, dass sie als Drachendame erobert werden musste. Wenn er ihr nur eine Sekunde zu viel Freiraum ließ, dann würde sie sich wehren. Im schlimmsten Falle würden sie sich dann nicht näherkommen. Vielleicht sogar niemals... Soweit ließ er es nicht kommen. Lieber biss er ihr leidenschaftlich in die Unterlippe und zog animalisch daran. Manchmal saugte er sogar an dieser, während seine Hand ihre Kehle freiließ, um ihren kurvenreichen Körper zu erkunden. Er war wirklich froh, dass an ihr nichts Jungfräuliches zu finden war. Das fanden viele Männer vielleicht aufregend, doch er bevorzugte harten, wilden und langanhaltenden Sex. Ihr Keuchen verriet ihm, dass es ihr da nicht anders ging. Je fester er sie anpackte desto lauter wurde sie. Hammond war sich bei einer Sache ganz sicher: In dieser Nacht würde zwischen ihnen ein Feuer brennen, welches heißer sein würde als das eines Drakoniers oder Drachen.   Kelvin wusste beim besten Willen nicht, wie er es schon wieder in diese brenzlige Lage geschafft hatte. Noch vor zwei Tagen hatte er sich gefreut, dass Hammond Athena überzeugen konnte, mit ihnen zu sprechen. Ein genauer Termin stand noch nicht, weshalb er der Rebellion eigentlich gerne einen Vorteil verschaffen wollte. Etwas Gold, um ihre Möglichkeiten zu erweitern. Immerhin mussten sie sich nun erstmal ihr beweisen und anschließend einem vermeidlichen Gott. Nur leider hatten seine Freunde recht. Er schaffte es einfach nicht, irgendwo schnell rein zu gehen und ohne Aufsehen wieder zu verschwinden. Der Punkt, ab dem alles schiefgelaufen war, wusste er noch sehr genau. Als er die Kontrolle verloren und einen Wächter viel zu brutal getötet hatte und der der Alarm in dem Adelshaus ausgelöst worden war. Jetzt stand er mitten in einer Gruppe von Soldaten. Alle gierten nach seinem Blut und richteten ihre Waffen auf ihn. Etwas peinlich berührt kicherte der Rebellenanführer und schob seine Kapuze tiefer ins Gesicht: „Aber, aber, Freunde! Damit könntet ihr doch jemanden verletzen!“ Keiner reagierte oder lachte. Kelvin merkte schon, dass er ein schwieriges Publikum hatte. Eines, bei dem er nicht genau wusste, ob vielleicht auch Magiebegabte unter ihnen waren. Selbst wenn nicht, waren es einfach viel zu viele! Wie kam ich noch gleich auf die Idee, alleine einen feindlichen Adligen töten und sein Vermögen an mich bringen zu wollen?, sinnierte der Essenzbeherrscher. Eigentlich bin ich ja selbst schuld... Warum will ich mich auch immer wieder neu definieren? Er kannte die Antwort. Es lag an Amelie. Die Art und Weise, wie sie gestorben und wie sie gelebt hatte. Das Kind, welches er verloren hatte, bevor er es überhaupt im Arm halten konnte. Für sie konnte er nichts mehr tun. Keine Veränderung würde bewirken, dass sie zurückkehren würden. Er würde niemals vergessen... Doch die Veränderungen würden bewirken, dass andere keine solche Verluste mehr erleiden mussten. Jedenfalls nicht so. Zorn stieg in ihm auf. Der Nährboden, der ihm hierbei helfen würde. Feuerbrunsten stiegen um ihm herum auf, die er mit einem Wirbel aus Sturm einfach auf die schreienden Wächter zu fächerte. Die Lücke nutzte er aus, um hindurch zu laufen. Seine einzige, ganz besondere Gabe war die Geschwindigkeit, die sonst nur einem reinen Sturmläufer zur Verfügung stand. Wäre er nicht so ein begabter Essenzmagier, hätte er dieses Talent nicht und wäre nun noch ernsthafter in Gefahr. Zwischen ihm und seinen Feinden gab es nun Raum. Den konnte er für sich nutzbar machen, indem er eine Welle aus Wasser auf seine Angreifer zuschleuderte. Der ganze Boden würde nass und rutschig werden. Diejenigen, die es darüber schafften ohne zu stürzen oder sich zu verletzen, würden zumindest einige Zeit dafür brauchen. Genug, um die Wächter noch weiter voneinander zu trennen. Kelvin verschwand um eine Ecke und zog seine beiden Dolche, die nichts Besonderes waren. Dennoch pflegte er sie, damit sie scharf blieben. Auch wenn er sich an Abenden wie diesen immer wieder schwor, er würde sich endlich spezielle Waffen für sich schmieden lassen, um besser gewappnet zu sein. Jetzt musste er aber damit auskommen. Eiskalt reagierte er und rammte einen der Dolche direkt durch das Kinn eines Wächters, der gerade vorbeilaufen wollte. Seinem erschrockenen Kollegen rammte er die zweite Klinge durch die Leber. Im Anschluss riss er seine Waffen heraus und rannte er weiter, um sich ein neues Versteck in dem gigantischen Anwesen zu suchen. Eine Gruppe aus vier Wächtern kam ihm alarmiert entgegen. Es tat ihm beinahe um sie leid, als er einige Steine durch seine Magie aus einer Mauer riss und sie einfach darunter begrub. Diesen Trick hatte ihm Hammond gezeigt! Und er musste zugeben, dass er wirklich praktisch war. Die Soldaten schienen nicht alle tot zu sein. Er hörte ein Keuchen und den Versuch, unter den Felsen hervorzukommen. In dem Moment, wo er es beenden wollte, flogen jedoch Pfeile dicht an ihm vorbei. Als er sich umdrehte, erblickte er weitere Wächter, die auf ihn schossen. Wären sie näher an ihn herangekommen, hätten sie ihn problemlos getroffen. Sie waren aber offenbar zu ängstlich dafür. Trotzdem wollte Kelvin es nicht weiter herausfordern, denn einige zogen nun auch Armbrüste. Stattdessen konzentrierte er sich auf eine andere Wand, um auch dort das verarbeitete Gestein herauszureißen. Ein Schuttberg würde den Fernkämpfern nun erstmal den Weg versperren. Sie konnten also weder auf ihn schießen noch ihn weiterverfolgen. Auf einmal erschienen die Flure ewig lang zu sein und der Ausgang zu weit entfernt. Er hatte es nicht mal geschafft, mehr als einen Beutel mit Goldmünzen zu stehlen! Es ärgerte ihn. Doch mehr schleppen ging auf der Flucht auch schlecht. Bei dem Aufgebot an Gegenwind konnte er froh sein, wenn er an einem Stück herauskam. Ein Wächter merkte nicht, dass er von hinten angestürmt kam und würde es wohl erst im Totenreich begreifen, denn er rammte ihm gnadenlos seine Dolche in den Nacken. Es knackte so wahnsinnig laut, dass selbst Kelvin einen Moment zusammenzuckte. Auch wenn ihm anderes nachgesagt wurde und er diesen Aussagen auch nie widersprach, fiel es ihm nicht leicht, Leben zu nehmen. Vor allem dann nicht, wenn er nicht wusste, ob diese Leute es überhaupt verdienten. Es fiel ihm nur bei Adligen, Reichen und fanatischen Anhängern von Wyrnné leicht. Endlich erblickte er den Hinterausgang des Anwesens! Er verspürte große Erleichterung, als er die stabile Tür einfach auftrat. Sie gab ihm nach, auch wenn es in seinem Fuß und seinem Bein schmerzhaft zog. Der Rebellenanführer war schon lange nicht mehr so glücklich gewesen, an der frischen Luft zu sein wie in diesem Augenblick. Kurz streckte er die Arme aus und atmete mehrmals tief ein und aus. Die Dolche hielt er dabei weiterhin fest umschlossen, während er die Augen kurz zumachte. Die Luft fühlte sich so sauber an. Hier roch es nicht nach Feuer, Blut und Tod. Auch wenn er drinnen größtenteils selbst für diese unangenehmen Gerüche gesorgt hatte... Plötzlich spürte er einen Anstieg an Hitze. Sofort machte Kelvin die Augen auf und sah einen Feuerball auf sich zu donnern. Mehr aus Reflex als durch taktische Erfahrung riss er aus dem Boden einen großen Felsen, den er geschickt genug vor sich manövrierte, um den Ball damit abzufangen. Das beantwortet die Frage danach, ob es unter den Wächtern Magiebegabte gibt..., sinnierte er atemlos. Diese Antwort hätten sie mir gerne schuldig bleiben dürfen. Verschwitzt sah er sich um und erblickte den Drakonier, der in Begleitung einer weiteren Person war. Wenn er eines wusste, dann war es definitiv das, dass er wirklich ungern gegen die Feuermagier antrat. Sie waren unberechenbar, nachtragend und zumeist wahnsinnig begabt! Sie konnten absolut alles abfackeln. Einschließlich von Menschen. Leider stellte sich seine Begleitung als Titan heraus. Er erschuf sich nämlich eine Rüstung aus Felsbrocken, während er einen großen Streithammer von seinem Rücken löste. Sie waren die zweite Klassifizierung von Gegnern, die er bevorzugt mied. Zu allem Überfluss schienen beide Essenzmagier wahnsinnig wütend zu sein. Heute muss mein Glückstag sein! „Wie wäre es? Wollen wir nicht verhandeln?“, hinterfragte Kelvin vorsichtig. „Es ist doch fast gar nichts passiert.“ „Du hast unseren Herren getötet!“, schimpfte der Drakonier erbost. „Und zahlreiche unserer Kollegen auch noch!“, ergänzte der Titan etwas ruhiger, wenn auch nicht viel. „Das war nur... ein Unfall! Ein Missverständnis... So etwas passiert mal!“ „Du hältst dich wohl für unwahrscheinlich witzig?“ „Zumindest sagt man mir Humor nach.“ „Man wird dir bald noch mehr nachsagen, Rebell.“, zischte der Feuermagier. „Dass du ehrlos gestorben bist unter anderem.“ Damit waren die Verhandlungen offenkundig beendet. Der Drakonier stürzte direkt auf den Anführer zu und entfachte noch während des Laufens seinen ganzen Körper. Es war die besondere Fähigkeit von ihnen, die nur ein wirklich guter Drakonier beherrschen konnte. Die Kunst lag darin, alles andere zu verbrennen, außer sich selbst. Sie waren eine Art lebende Fackel. Keuchend wich Kelvin dem Magiebegabten aus, der die Arme um ihn legen wollte. Das hätte schon gereicht, um ihm mindestens schwere Verbrennungen zu zufügen. Viel wahrscheinlicher wäre gewesen, dass der Drakonier ihn nicht losgelassen und bei lebendigem Leib verbrannt hätte. Anschließend musste er schon dem riesigen Hammer des Titanen ausweichen, dessen Kraft nicht minder beeindruckend war. Er hinterließ im gepflasterten Boden nämlich einen Krater, als der Kopf des Hammers dort aufprallte. Als Kelvin seinen Dolch gegen den Titanen schlug, prallte dieser einfach an der Steinrüstung ab. Das überraschte ihn nicht wirklich. Hammond hatte ihm deutlich erklärt, dass diese kaum zu durchdringen war, jedoch den Nachteil der Unbeweglichkeit bot. Der Drakonier war aber noch lange nicht fertig mit seinem Versuch, ihn Feuer und Flamme zu machen. Nun wollte er den Rebellen von hinten in seine flammenden Arme schließen. Es war mehr eine Kurzschlussreaktion, als er das Wasser aus dem Brunnen des Gartens zog, um es direkt über dem Entflammten zu ergießen. Zu seinem großen Glück war es genug Flüssigkeit, um ihn tatsächlich zu löschen. Vollkommen entsetzt stand der Magiebegabte dort und starrte auf seine nasse Bekleidung. Es war offensichtlich, dass er noch nie zuvor gelöscht worden war. Diese Verblüffung wollte Kelvin natürlich ausnutzen und holte mit einem seiner Dolche aus. Der Titan wollte das jedoch nicht zulassen und blockierte den Angriff mit seinem steinummantelten Arm. Es war so eine gute Gelegenheit! Innerlich fluchend machte er einen Satz zurück, um wieder Distanz zwischen sich und seine Feinde zu bekommen. Erstaunt stellte der Rebellenanführer dabei fest, dass der Drakonier plötzlich auf seine Knie zusammensackte. Als er einen genaueren Blick riskierte, konnte er einen Pfeil zwischen den Augen entdecken. „Was hast du getan?!“, kreischte der Titan vollkommen außer sich. Offenbar waren sie nicht nur Kollegen gewesen, sondern auch Freunde. „He, was soll ich denn bitte getan haben? Ich verstecke in meiner Hose bestimmt keinen Bogen!“ Mit Logik brauchte er es wohl gar nicht erst versuchen. Wütend wollte der gigantische Mann sich auf ihn werfen, doch er sackte vorher ebenfalls zusammen. Auch er wurde mit einem Pfeil bespickt. Genauso gezielt zwischen die Augen, wie es auch schon bei dem Drakonier der Fall war. Was geht hier vor sich?, fragte sich Kevin und sah sich misstrauisch um. Wenn ein Pfeil mich verfehlt hätte, okay, aber zwei Schüsse, die versehentlich zwischen die Augen gehen...? Wohl kaum. Doch egal, wie sehr sich der Rebell auch anstrengte, er konnte niemanden entdecken. Es war einfach zu dunkel und vom Anwesen ging zu viel Lärm aus, um nach einer Stimme zu suchen. Wer auch immer ihm geholfen hatte, war wahnsinnig geschickt und ihm offenbar sehr wohlgesonnen, denn als er sich umdrehte, kamen zahlreiche Wachen aus der zerstörten Tür gelaufen und worden mit Pfeilen beschossen. Sie schrien und wichen sofort wieder zurück. In Ordnung, es ist Zeit zu verschwinden. Egal, was hier auch immer gerade passiert ist., beschloss er. Kelvin kontrollierte nochmals seinen Umhang und die Kapuze, dann rannte er los. Er durfte nicht sein Gesicht offenbaren. Wenn Steckbriefe erstellt worden, konnte er bald keine ruhige Minute mehr verbringen. Nicht, dass er die Ruhe irgendwie mochte... Doch es wäre für seine Sache durchaus hinderlich. Seine Verfolger schafften es offenbar nicht, ihm nachzusetzen. Ihm kamen auch keine Wachen der Stadt entgegen, als er durch die Nacht verschwand. Er musste nicht mal eine Mauer hochklettern oder über Dächer springen! Niemand aus dem Anwesen hatte es offenbar geschafft, rechtzeitig die Wächter des Weltenlenkers zu benachrichtigen. So viel Glück hatte der Rebell seit seiner Begegnung mit Amelie nicht mehr gehabt. Er war sich auch absolut sicher, dass er auch in Zukunft nicht mehr so viel Glück haben würde. Immerhin hatte er heute Abend eigentlich sein Todesurteil unterschrieben. Zur Sicherheit tauchte Kelvin dennoch einige Stunden unter, bevor er sich auf den Weg nach Hause machte. Inzwischen war auch die Nacht eingebrochen. Kaum einer betrat noch freiwillig die Straßen, solange er kein Soldat oder Säufer war. Der Himmel war sternenklar. Es war wirklich eine schöne Aussicht, die er genoss. Ebenso wie die frische Luft und das Gefühl, eine aussichtslose Situation überlebt zu haben. Die Erleichterung ließ etwas nach, als er entdeckte, dass in seinem kleinen Haus Licht brannte. Der Rebell war sich absolut sicher, dass er es nicht angelassen hatte. Selbst wenn es so gewesen wäre, wäre es nach all den Stunden ohne Aufmerksamkeit längst erloschen! Oder es hätte seine Hütte abgefackelt... Er atmete mehrmals tief durch, während er wieder seine Dolche zückte. Die Kapuze zog er sich erneut tief über das Gesicht. Bereit, alles zu riskieren! Wenn man ihn gefunden hatte, dann würde er denjenigen ihre gerechte Belohnung für dieses Kunststück zukommen lassen. Eine Weile stand er an der Tür, dann riss er diese auf. Er holte aus und dann... Stellte er fest, dass man ihn mit seinen eigenen Waffen schlug. Dorian, Hammond, Elena und Kyle saßen da, um ihm mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen zu blicken. Sie hatten sich wohl selbst eingeladen. Selbst schuld! Das tat er ja auch regelmäßig... „Eine Intervention?“, hinterfragte er atemlos und schloss hinter sich die Tür. „Ich denke, ich habe verstanden. Ich melde mich zukünftig an.“ „Keine Intervention...“, sagte eine ihm unbekannte samtige Frauenstimme. Sofort sah sich der misstrauische Anführer um und entdeckte den bezaubernden Ursprung. Eine hochgewachsene, schlanke Elfe mit goldblondem Haar und eisblauen Augen. Das eine war zwar milchig und offenbar blind, doch es tat ihrer atemberaubenden Schönheit keinen Abbruch. Nicht mal die Schuppen, die er nur Dank Hammonds langen Unterweisungen entdecken konnte. Wenn Kelvin ehrlich war, hatte er eine Schwäche für Frauen mit Makeln. Ob es nun Narben waren, ein blindes Auge oder Drachenschuppen... Es machte sie erst richtig schön, wenn sie nicht perfekt aussahen! Ihm gefielen sogar die spitzen Elfenohren, die in ihrer Gesellschaft nicht mehr hoch angesehen waren, obwohl Elfen als Huren immer noch gerne benutzt worden. Ihre Mode machte deutlich, dass sie kein verwöhntes, adliges Gör dieser abartigen Zeiten war. Anders als Elena, war sie weder zugeknöpft noch trug sie aus Eitelkeit großartig Schmuck. Abgesehen von einer Kette, die ein verzierten, silbernen Sichelmond besaß. Oberhalb der Sichel befand sich ein einzigartiger grünschwarzer Juwel. Er schätzte, dass es grüner Obsidian war, weshalb er eine Weile darauf hängen blieb. Lange ließ er sich davon nicht ablenken, sondern musterte die enge Lederhose, in der eine Bluse steckte, die durch einen Mantel und einen Gürtel gezüchtigt wurde. Mit geschulten Augen entdeckte er die Dolche in den Reiterstiefeln. Ein zweiter Blick zeigte ihm den Bogen auf ihrem Rücken. Sie war vieles, aber gewiss nicht vergleichbar mit ihrer adligen Unterstützung! Um nicht unhöflich zu erscheinen, riss er sich von dem aufregenden Körper und Kleiderstil los, um ihr endlich wieder in das wirklich schöne Gesicht zu blicken. Sie hatte in der Zwischenzeit den Kopf nach links geneigt, wodurch ihre Haare auf diese Seite rutschten. Es wellte sich über ihre linke Schulter und verlockte einen dazu, es anfassen zu wollen. Doch noch verführerischer war dieses bezaubernde Lächeln. In Zeiten wie diesen, hatte kaum noch einer dieses warme, einnehmende Lächeln - jedenfalls kein ehrliches. Bei all den Göttern dieser Zeit... Sie reißt mich etwas aus der Bahn!, musste Kelvin sich eingestehen. Das ist nicht das, was ich erwartet hatte! „Ihr seid wohl die große Athena...?“, erkundigte er sich räuspernd. Sie musste sein Starren genauso bemerkt haben, wie alle anderen auch. Trotzdem blieb sie vollkommen locker und lächelte weiterhin warmherzig. Er wusste wirklich nicht, wie sie das schaffte! Selbst er musste sich ständig zu seiner Heiterkeit zwingen. „Ich würde mich nicht groß nennen...“, erwiderte Billie honigsüß. „Aber ja. Ich bin Athena.“ „Hübsche Haarfarbe...“, murmelte er vorsichtig. „Heute also mal blond?“ Sie begann zu kichern und er musste zugeben, dass ihn das verwirrte. Auch Hammond lachte, was ihm das Gefühl gab, dass er einen wirklich guten Witz gemacht hatte. Nur, dass er es selbst nicht mal mitbekommen hatte. „Das ist meine echte Haarfarbe.“, klärte sie ihn sanftmütig auf. „Wärst du mal eher aufgetaucht, wüsstest du das auch.“, tadelte Dorian ihn. „Wir warten schon Stunden! Und wie siehst du überhaupt aus?“ „Ich... hatte zu tun...“, erwiderte Kelvin und blickte an sich herab. Dorian hatte recht: Er sah schrecklich aus! Überall war sein Mantel zerrissen, schmutzig und es gab sogar ein paar Einschusslöcher. Wohl von den Pfeilen und Bolzen, die ihn bei seiner Flucht knapp verfehlt hatten. „Was hast du wieder angestellt?“, wollte Hammond streng wissen. „Du warst auf jeden Fall wieder mal ohne Hilfe unterwegs...“ „Ich habe uns ein paar Münzen beschafft.“, sagte er stolz und warf den Beutel auf den Tisch. Elena nahm diesen vorsichtig entgegen und öffnete ihn. Sie zog die Augenbrauen kraus und schüttete die Goldmünzen dann auf den Tisch aus. Es war für eine einzelne Person eine Menge, doch sehr wenig für eine Organisation. Erst recht, wenn diese Organisation gegen den Weltenlenker antreten wollte. Der besaß immerhin nahezu unerschöpfliche Finanzpolster und noch mehr Anhänger. „War es das wirklich wert?“, hinterfragte Kyle skeptisch. „Dein Umhang hat fast genauso viel gekostet.“ „Was soll ich dazu sagen?“, erwiderte Kelvin und grinste keck. „Die Party wurde schnell voller und ich musste schnell verschwinden. Ihr habt ja keine Ahnung, wie viel so ein Säckchen voll Gold wiegt!“ „Und dafür hast du uns warten lassen...“, seufzte Dorian gespielt theatralisch und nippte am billigen Met. Sie hatten es sicherlich aus der Taverne um die Ecke besorgt, um sich die Wartezeit zu versüßen. Nur die anwesenden Damen hatten keinen Becher. Hammond stand auf und schenkte auch Kelvin etwas von dem Alkohol ein. Der Holzbecher fühlte sich gut an. So knapp entkommen zu sein, war durchaus einen kräftigen Schluck wert! Also fackelte er auch nicht lange und trank von dem Met, welches wirklich nicht gut war. Doch es erfüllte immerhin seinen Zweck. „Ich wusste ja nicht, dass ihr hier seid...“, widersprach er schließlich. „Also bitte ich vielmals um Verzeihung, dass ihr warten musstet.“ Endlich erinnerte er sich an den langersehnten Gast. Die Attentäterin schlenderte etwas durch seine Hütte und musterte die Ausstattung. Das hatte sie offenbar bisher nicht gemacht. Vielleicht, um höflich zu sein. Jetzt konnte er immerhin entscheiden, ob er das zulassen wollte. Hierbei schämte er sich nicht für das offenkundige Chaos in seinem Zuhause. Klamotten lagen herum. Saubere, aber auch dreckige. Ein paar Bücher, Pergamente und Federn schwirrten auch hoffnungslos verloren im Raum umher. Nichts schien seinen Platz zu haben. Das genaue Gegenteil von Hammonds Disziplin, wenn es um Ordnung und Sauberkeit ging. „Darf ich Euch etwas zu Trinken anbieten, Lady Athena?“, erkundigte sich Kelvin schließlich charmant. Er wusste, dass er auf sein Umfeld eine gewisse Wirkung hatte. Nur deshalb war die Rebellion inzwischen zu einer imposanten Größe angewachsen. „Billie.“ „Wie bitte?“ „Ich heiße Billie.“, erklärte die Elfe. „Athena ist mein Deckname im Untergrund, wenn ich Aufträge annehme. Ihr wollt aber keine Attentäterin, sondern ein Mitglied.“ „Verzeihung... Ja, das ist wahr. Also, Lady Billie, wollt Ihr etwas trinken?“ „Ich bin keine Lady.“, korrigierte sie ihn amüsiert. „Und nein danke.“ Will sie mich ärgern? Um herauszufinden, ob ich schnell die Beherrschung verliere?, sinnierte der Anführer und musterte sie weiterhin neugierig. Einige seiner „Dekorationen“ berührte sie sanft. Ihre Kuppen glitten einfach über ein paar Schalen und Vasen, die er irgendwo geklaut hatte. Nur, um dann von Elena gesagt zu bekommen, dass sie wertlos seien. Nur billige Imitate. Also hatte er sie behalten, auch wenn er nicht wirklich was damit anzufangen wusste. „Nun... Ihr seid hier, weil Ihr mit uns sprechen wollt?“, versuchte er in Erfahrung zu bringen. „Was genau wollt Ihr wissen?“ „Wie Eure Pläne aussehen natürlich.“, sagte sie süffisant lächelnd. Sie genoss es sichtlich am längeren Hebel zu sein. Ihr war offenkundig bewusst, dass die Rebellion ihrer Unterstützung dringender brauchte als Gold. „Wir wollen den Weltenlenker stürzen. Er sollte bestraft werden für alles, was er uns angetan hat.“, erklärte Kelvin ruhig. „Er hat uns allen so viel genommen und-...“ Die Elfe hob harsch ihre Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Verärgert musste er feststellen, dass er sich mit der Geste hatte tatsächlich den Mund verbieten lassen. Er wusste um seinen eigenen Charme, aber ihre Wirkung schien noch wesentlich heftiger zu sein. „Ich unterbreche an der Stelle direkt...“, sagte sie sachlich. „Bitte erzählt mir nun keine schrecklichen Geschichten. Das interessiert mich nicht wirklich.“ „Wie bitte?“ „Es gibt da draußen tausende traurige Geschichten. Viele davon werden niemals erzählt werden, weil diejenigen tot sind, die es tun könnten. Alle haben etwas verloren. Nicht nur die, die sich gegen den Weltenlenker stellen.“, erläuterte Billiana ernst. „Auch die, die ihm dienen, müssen immer wieder Verluste in Kauf nehmen. Auch vor dem Weltenlenker hat es Tote, Folter und Verfolgung gegeben. Die wird es auch nach ihm geben... Ich weiß, dass Ihr normalerweise so arbeitet, Kelvin, aber mich lockt Ihr nicht mit einer Abwandlung Eurer traurigen Vergangenheit.“ Der Rebellenanführer war für einen Augenblick absolut sprach- und ratlos. Im nächsten Moment packte ihn der Zorn. Sein böser Blick traf direkt Hammond, der unschuldig die Hände in die Luft erhob. „Guck mich gar nicht so an.“, sagte er verteidigend. „Von mir weiß sie gar nichts.“ „Ich bin nicht dumm, Kelvin.“, warf die Elfe ein. „Selbstverständlich habe ich mich informiert, bevor ich hierhergekommen bin. Genaugenommen sogar noch vor meiner Zustimmung zu dieser Unterhaltung.“ „Was wollt Ihr dann wissen?“, zischte er verbittert. Wenn er nicht mit den Ambitionen punkte konnte, die sie alle besaßen, wurde es schwierig. „Ich will wissen, was Ihr genau vorzuweisen habt. Nicht nur die Leute, die sich bereits angeschlossen haben, sondern auch die Bilanz der steigenden Anhängerschaft.“, fuhr sie gelassen fort. „Ob und an wie viele Waffen, Rüstungen und ähnliches Ihr herankommt. Was genau Eure Ziele sind. Wie viele kleinere Ziele bereits erreicht worden sind. Was Ihr für die Zukunft des Reiches plant.“ „Das ist aber eine gewaltige Liste, die Ihr da abgeklärt haben wollt, Lad-... Billie.“ Sie schmunzelte verlockend: „Natürlich. Ich sagte ja, dass ich nicht dumm bin.“ „Wir haben etwas mehr als tausend Männer. Die haben noch Frauen und Kinder, die aber größtenteils nicht kampffähig sind, aber bei der Versorgung helfen.“, erklärte der Anführer schließlich sachlich. „Ehrlich gesagt, steigen die Zahlen unregelmäßig. Gab es viele öffentliche Hinrichtungen, dann schließen sich viel mehr an, weil sie wütend sind. Und wir kommen derzeit auch kaum an Ausrüstung heran... Wir sind zu viele und die meisten Schmieden gehören dem Weltenlenker. Wir planen, dass der Weltenlenker seinen Thron... aufgibt und mit ihm auch alle Adelshäuser und angeblichen Götter ihre Posten verlassen. Zumindest die, die ihm treu ergeben waren bis zum Schluss... Die Nichtmenschen, Mischlinge und Armen sollen ihre Reichtümer bekommen und freigelassen werden, damit sie sich von allem erholen können.“ „Und wer soll die Herrschaft übernehmen?“, hakte die Blondine nach. „Wer übernimmt die neuen Plätze auf den Thronen der gefallenen Könige und Gottheiten?“ Kelvin warf einen weiteren Blick zu dem Titan. Der zeigte deutlich, dass er auch nicht darüber mit ihr gesprochen hatte. Offenbar denken Frauen alle gleich... Kann doch kein Zufall sein, dass sie beide darauf pochen, wer den Thron erbt., dachte er verbittert. Wenn das so weitergeht, dann kommen wir in den nächsten zehn Jahren nicht weiter. „Das wissen wir noch nicht...“, gab er dann doch seufzend zu. „Wisst Ihr denn schon, wie Ihr den Weltenlenker von seinem Thron stoßen könnt?“ „Nein.“ „Wisst Ihr, wie Ihr seine falschen Götter ausschalten könnt? Seine langlebigen Könige?“ „Nein...“ „Fangen wir doch mit dem an, was Ihr wisst.“, schlug sie schließlich vor. Wütend verbiss er sich solange auf seiner Unterlippe bis diese zu bluten begann. Sein Grinsen war ihm vergangen, genauso wie sein bodenloser Optimismus. Wenn man mit solch einer Frau sprach, dann kam man sich wie ein dümmlicher Narr vor. Jemand, der so weit in die Zukunft plante, war sehr schwer zufrieden zu stellen. Er verstand es ja! Er verstand es wirklich gut... Aber der Weltenlenker verstand sich auch gut darauf, alle Spuren zu verwischen. „Ich weiß...“, setzte Kelvin endlich unruhig an. „Dass der Weltenlenker nicht immer so war wie jetzt. Ich weiß, dass er sterblich ist... Und ich weiß, dass er selbst in No’gobor alle Schriften zu seiner Vergangenheit vernichtet hat. Ich weiß, dass es wahnsinnig schwer sein wird, ihn zu töten. Und ich weiß, dass es noch schwerer sein wird, ihn zu ersetzen. Mir ist klar, dass diese Rebellion viele Opfer fordern wird. Nicht nur auf seiner Seite, sondern vor allem auf unserer. Ich weiß, dass wir noch viel erforschen müssen, bis wir überhaupt daran denken können, wie die neue Regierung aussehen sollte. Und mir ist auch bewusst, dass wir noch viel zu wenige für unsere Ambitionen sind.“ Stille nahm ihren Platz ein. Gewohnte, unangenehme Stille. So viel Realität auf einmal war schwer zu verdauen. Die Crew des Rebellenanführers war es gewohnt, dass er optimistisch zur Schlacht ausrief. Dass er davon sprach, dass sie es bald schaffen würden, alles zu ändern. Egal, wie deutlich sie auch zeigten, dass sie ihm nicht glaubten, gab er ihnen sonst jene Hoffnung. Kelvin war das Licht dieser Unternehmung. Doch auch jedes Licht sorgte für Schatten. Je heller er erstrahlte desto dunkler wurden die Schatten, gegen die er zu kämpfen hatte. Um Amelies Willen kämpfte er weiter, doch auch er musste sich langsam eingestehen, dass sie gegen Mauern rannten. Sie waren in den letzten Monaten einfach nicht mehr weiter vorangekommen. Ohne Athena und Lebenswelt würde die Rebellion wahrscheinlich sogar endgültig sterben. „Ihr wisst wirklich viel.“, sagte Billiana plötzlich und riss alle aus ihrer Melancholie. „Euch ist bewusst, dass das hier kein Spiel ist und es ein harter, langer Weg zum Sieg sein wird. Das ist alles, was zählt. Ich werde mir Eure Rebellion in den nächsten Tagen genauer ansehen und mir ein Bild verschaffen. Es wäre nett, wenn Ihr mir Zugriff auf Eure Unterlagen und Pläne lasst. Außerdem würde ich gerne mit Euren wichtigen Anhängern sprechen... Danach werde ich endgültig entscheiden, ob und welche Rolle ich in Eurer Rebellion einnehmen möchte.“ „Ich-... Ich-...“, stammelte Kelvin ehrlich überrascht. „Ja... Ja, natürlich!“ Damit hatte ich nun nicht gerechnet..., gestand er sich perplex ein. Fühlte sich eher so an, als habe sie mich gerade niedergemäht! Aber er urteilte offenbar inzwischen genauso schnell wie der Weltenlenker selbst. Sie mochte Fragen gestellt haben, die wie ein persönlicher Angriff wirkten, doch sie hatte wohl nur seine Wahrnehmung prüfen wollen. Wissen wollen, ob dem Anführer selbst klar war, worauf er sich eingelassen hatte. Ob hier Illusionen regierten, stand gesundem Menschenverstand. „Na, wunderbar!“, sagte Hammond feierlich und hob seinen Becher. „Dann haben wir also ein... Fast-Bündnis! Und ein bisschen ernüchternde Wahrheit. Das schreit ja danach, dass wir die Taverne leer trinken!“ „Oh ja, dem stimme ich zweifelsohne zu.“, schloss sich Dorian grinsend an. Trotz dieser ernüchternden Wahrheit schien kein Glaube ernsthaft erschüttert worden zu sein. Allmählich glaubte Kelvin, dass er der einzige Zweifler unter ihnen war. „Billie...“, richtete Kyle schließlich an die Elfe. „Möchtest du uns gerne begleiten?“ „Heute nicht, danke. Das nächste Mal.“, erwiderte sie mit einem mütterlichen Lächeln. „Aber du kommst dieses Mal mit, Elena!“, warf Dorian ein und legte den Arm um die Adlige. „Du vertröstest uns nun schon viel zu oft.“ „Aber-...“ „Kein Aber! Zwei Mal vertrösten, in Ordnung, aber mehr als zehn Mal ist gemein.“ „Was ist mit dir, Kel?“, erkundigte sich Kyle. „In Feierlaune?“ „An sich schon, aber ich muss heute passen.“ „Dann trinken wir für euch mit.“, sagte Dorian feierlich und hakte nicht weiter nach. Wenn der Beleibte eines gelernt hatte, dann, dass man manchmal nicht fragen sollte. Die kleine Truppe verließ nach einem kurzen Abschied das kleine Haus des Anführers. Bevor auch Billiana durch die Tür gehen konnte, griff Kelvin allerdings behutsam nach ihrer Hand, um sie aufzuhalten. Langsam und durchaus anmutig wandte sich die Frau ihm zu. Einige ihrer Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht, doch es verdeckte kaum das zarte Lächeln. Wenn er es nicht besser wissen würde, würde er sie glatt mit einem Engel verwechseln. „Danke...“, murmelte er schließlich. „Wofür?“ „Dafür, dass Ihr mir den Arsch gerettet habt.“ „Ich weiß nicht, was Ihr meint.“, sagte sie geheimnisvoll. „Ihr habt einen Bogen, aber keine Pfeile...“, verdeutlichte Kelvin aufmerksam. „Ich bin auch nicht dumm, wisst Ihr? Ich merke, wenn jemand mich rettet.“ Ihr Lächeln schwoll zu einem Grinsen heran, welches ihre geraden Zähne zeigte, die viel zu weiß waren. Manchmal fragte er sich wirklich, wie Elfen es schafften, so viel gepflegter und anmutiger auszusehen. Selbst dann – nein, gerade dann – wenn die Zeiten ganz schlecht für sie aussahen! „Gern geschehen.“, sagte sie ehrlich. „Vergesst aber nicht, dass ich nicht immer da sein werde, um Euch Euren Arsch zu retten, Lord Morgenstern.“ Ihm stockte einen Augenblick lang der Atem, während er sie mit geweiteten Augen betrachtete: „Woher-...?“ „Ich habe doch gesagt, dass ich mich vorher informiert habe.“, sagte sie so dahin. „Natürlich werde ich niemanden etwas von Eurer Vergangenheit und wahren Identität verraten. Auch der Aufenthaltsort Eures Bruders ist bei mir gut aufgehoben.“ „Ihr macht Eure Hausaufgaben wirklich sehr, sehr gründlich...“ „Natürlich.“ „Dann gestattet mir, dass ich Euch offenbare, dass ich wirklich nicht dumm bin.“ „Selbstverständlich. Bitte... Überrascht mich.“ „Wie Ihr ja vernommen habt, habe ich mich in No’gobor ausgiebig informiert. Ich bin über zahlreiche Berichte und Geschichten gestolpert. Nichts, was mir beim Weltenlenker hilft, aber sehr wohl in anderen Bereichen.“, erklärte der Rebellenanführer nicht ohne Stolz. „Unter anderem fand ich ein paar interessante Aufzeichnungen zur unabhängigen Stadt Exodus. Es ging um dessen Gründung und ihre fragwürdigen Gesetze. Ihr kennt doch sicherlich Exodus?“ „Gewiss doch.“, antwortete Billiana wahrheitsgemäß, während ihr Gesicht ernster wurde. Sie schien zu ahnen, worauf er hinauswollte. „Es gab dort eine Liste von den eingetragenen Nachfahren des Gründervaters. Wer sozusagen im Falle seines Ablebens die Führung übernehmen soll. So eine Art Stammbaum.“, fuhr er gelassen fort. „Interessant fand ich hierbei nicht, dass Hades Markrhon seit vielen Jahrhunderten nicht mehr in der eigenen Stadt war, sondern dass er seine jüngste Tochter als seine direkte Erbin eingetragen hat. Sein ältester Sohn kommt doch tatsächlich erst nach ihr an der Reihe... Billiana Fayh Cailean Markrhon. Ein recht einprägsamer und seltener Name. Nicht, weil Euer Vater offenbar ein Faible für Mehrfachnamen hat. Es gab auch ein paar Zeichnungen in No’gobor. Es war immer eine recht hübsche, blonde Elfe dargestellt. Ganz anders als Hades selbst. Zierlich, wohl etwas veraltet die Gemälde, aber ich erkenne eine gewisse Ähnlichkeit.“  „Ich gebe zu, dass ich beeindruckt bin...“ „Natürlich war ich dann doch interessiert. Wie konnte es sein, dass ein Herrscher eine Tochter als Thronerbin wollte? Dann auch noch die jüngste? Vor allem dann, wenn der Erstgeborene ein Junge ist und eine beeindruckende Laufbahn aufzeigt. Heerführer, Herrscher in einem anderen Reich, dessen Standort und Namen ich noch nie gehört hatte...“ „Also habt Ihr über mich Nachforschungen angestellt?“, hakte die Blondine angespannt nach. „Und was habt Ihr dabei herausgefunden?“ Kelvin musste grinsen. Endlich hatte er das Ruder herumgerissen! Seit er in sein eigenes Heim zurückgekehrt war, hatte sie das ganze Geschehen dominiert. Er hatte nicht ein einziges Mal die Möglichkeit gehabt, sich unter Beweis zu stellen. Will ich das wirklich?, fragte er sich innerlich. Will ich sie wirklich um jeden Preis beeindrucken? Ihre eisblauen Augen ruhten nur noch auf ihm. Wenn sie ernsthaft nervös war, konnte sie es gut verbergen. Ihre Hände spielten weder unruhig an ihrer Kleidung herum, noch an ihrem goldenen Haar. Ihr Gesicht war zwar ernst, aber nicht unter totaler Anspannung. Wenn jemand von Beherrschung sprechen konnte, dann war es definitiv diese Elfe. „Ich fand heraus, dass du eine Heerführerin deines Vaters geworden bist. Die jüngste in der Geschichte dieser eigenartigen Welt im Schatten.“ „Die Unterwelt...“ „Ja, genau, Unterwelt. So nennt ihr eure Heimat...“ „Bitte fangt jetzt nicht mit den Namen der Menschen an, okay?“, warf sie ein. „Hölle und solche Begriffe treffen keineswegs zu.“ „Bevorzugt Ihr vielleicht eher die Bezeichnung aus den Büchern? Haljô?“ „Nein, nicht wirklich...“ „Na gut, dann passe ich mich Eurem Wunsch gerne an, Lady Billie.“, sagte er grinsend. „Ihr wart also die jüngste Heerführerin in der Geschichte der Unterwelt. Ihr habt schon im Kindesalter deutlich gezeigt, dass Ihr tatsächlich die mächtigste aller seiner Kinder seid. Eure Magie erschütterte die gesamte Unterwelt und lehrte sie das Fürchten. Schon als Kind gab es hunderte Anschläge auf Euer Leben, die Ihr alle überlebt habt. Ihr habt es als einziges Kind dieses Mannes geschafft, Euren Kopf durchzusetzen. Ihr habt Lesen und Schreiben gelernt, den meisterhaften Umgang mit dem Bogen und die Kontrolle über Eure einzigartige Magie. Ihr habt es in Rekordzeit geschafft, die weiblichen... Kreaturen der Unterwelt hinter Euch zu versammeln. Ihr habt Kriege entschieden als Ihr noch eine Jugendliche wart! Ich muss zugeben, dass ich kaum aufhören konnte zu lesen, als es um Euer politisches und strategisches Wissen ging. Ich war wirklich beeindruckt...“ „Was soll ich dazu sagen?“, murmelte die Elfe immer noch reichlich unentspannt. „Ich habe eben ein wirklich weit gefächertes Interessenfeld.“ „Und obwohl Ihr Eure Geschwister um Ihr Erbe gebracht habt und sie einfach überflügelt habt, lieben sie Euch bedingungslos.“, warf Kelvin ein. „Keiner nimmt es Euch übel. Trotz der Anschläge kann man behaupten, dass die gesamte Unterwelt Euch ebenso vergöttert. Ihr habt mich gefragt, wen wir gedenken, auf den Thron zu setzen, wenn der Weltenlenker fort ist. Und ich denke, dass ich die Antwort inzwischen kenne.“ Langsam verengte die Elfe die Augen und blickte ihn durchaus feindselig an. Ihr war klar, was er sagen wollte. Jetzt endlich zeigte auch ihr Körper die Anspannung, die er aus ihrer Stimme längst gehört hatte. Er hatte sie endlich aus der Reserve gelockt! Nun konnte er dieser einzigartigen Blume auf den Zahn fühlen, die sich bisher als gelassener Todesengel präsentiert hatte. Was sie zweifelsohne auch war... „Wie wäre es, wenn Ihr das einfach übernehmt, wenn er tot ist?“ „Ihr geht zu weit.“, zischte Billie durchaus angriffslustig. „Ich rate Euch dringend, etwas langsamer zu machen.“ „Was spricht denn dagegen? Ihr habt Erfahrung darin, große Massen zu bewegen. Ihr seid klug, charismatisch und weitsichtig.“ „Ich will diesen Thron nicht.“ „Wollt Ihr speziell diesen Thron nicht oder wollt Ihr gar keinen haben?“ „Gar keinen.“ „Perfekt!“, jubelte der Rebell und klopfte ihr auf die Schulter. „Die Geschichte vom Lebensbaum lehrt uns, dass es besser ist, wenn jemand den Thron nicht möchte. Offenbar wird man dann nicht so schnell größenwahnsinnig.“ Etwas irritiert sah die Elfe ihm in die Augen: „Ihr wollt mich mit König Konstantin von Rabenwacht vergleichen? Ernsthaft?“ „Wieso denn nicht? Er wollte die Krone nicht und nun macht er sich fabelhaft als Herrscher!“ „Ich mache das nicht.“ „Warum nicht? Weil Ihr den Weltenlenker liebt?“ Mit einem Schlag schien die Farbe aus dem hübschen Gesicht zu weichen. Er konnte ihr ansehen, dass sie gegen den Drang ankämpfte, ihm mitten ins Gesicht zu schlagen. Das hätte er ihr nicht mal übelgenommen! Er provozierte sie gerade massiv. An ihrer Stelle wäre er schon fünf Sätze vorher handgreiflich geworden. „Hamm hat erzählt, dass Ihr offenbar den Namen des Weltenlenkers kennt.“, erklärte Kelvin vorsichtig. „Das lässt darauf schließen, dass ihr beiden euch schon sehr lange kennt. Es gibt immerhin keine Aufzeichnungen zu seinem Leben vor der Zeit als Weltenlenker. Warum geht er also das Risiko ein und lässt einen Zeitzeugen am Leben, der ihm nicht loyal gesonnen ist? Weshalb lasst Ihr ihn am Leben, wo Ihr doch eindeutig nicht mit seiner Politik einverstanden seid? Man tötet einen Tyrannen, aber keinen Geliebten. Solange die Gefühle da sind, würde man jedes Monster leben lassen.“ Ihr Blick senkte sich. Plötzlich schienen ihre Fußspritzen wahnsinnig interessant zu sein. Der Rebellenanführer konnte ihr die Scham ansehen, die sie gerade dominierte. Beinahe tust du mir leid... Du hast ihm dein Herz geschenkt und er dir seines. Doch ihr werdet niemals zusammen sein., sinnierte Kelvin mit ehrlichem Bedauern. Ihr habt euch den Weg selbst verbaut. Habt euch entschieden, dass ihr Feinde sein müsst. So nah und doch unerreichbar fern... Er hatte seine Verlobte an den Tod verloren. Doch zumindest hatte er davor ein Leben mit ihr gehabt! Es gab tausende schöne Erinnerungen, die er nachts in sich wachrufen konnte, wenn er schwankte. Wenn er wollte, konnte er von der Zukunft träumen, die sie gehabt hätten. Sich ausmalen, wie sein ungeborenes Kind ausgesehen hätte, wenn sie nicht gestorben wären. Sie hatten zumindest eine Chance gehabt. „Auch wenn Ihr ihn liebt, ist das, was er tut, falsch.“, sagte er einfühlsam. „Ihr wollt ihn retten, doch Ihr erkennt allmählich, dass es nicht möglich ist, nicht wahr? Sonst wärt Ihr nicht hier... Sonst hättet Ihr mich heute Abend sterben lassen.“ „Ja...“ „Dann gebt mir die Chance Euch zu zeigen, was ich in Euch sehe.“, forderte Kelvin mit Nachdruck. Seine Hände ergriffen nun die verkrampften Hände der Elfe. Überrascht blickte sie mit offenem Mund auf und sah ihn endlich wieder an. Er sah, dass ihre Augen feucht geworden waren. Die Wahrheit schmerzte, doch sie war notwendig. Das hatte sie selbst heute gezeigt. „Ich sehe Großes in Euch, Billie. Ihr denkt vielleicht, dass Eure Ära vorbei ist... Ihr mögt glauben, dass Ihr alles erreicht habt, aber Ihr irrt Euch.“, hauchte der Rebell ihr aufrichtig entgegen. „Eure Ära hat gerade erst angefangen. Ihr werdet die Heilung dieses Reiches sein. Das größte Opfer habt Ihr bereits gebracht... Nun liegt es an mir, Euch Eure Größe zu zeigen. Euch zu zeigen, dass Ihr es seid, die auf seinen Thron gehört.“ „Keiner... würde mich akzeptieren...“, warf sie kleinlaut ein. „Die Menschen sind in der Überzahl. Sie hassen Nichtmenschen... Meine Abstammung kann ich nicht ändern.“ „Sie werden bereit sein. Wenn die Zeit gekommen ist, werden sie bereit sein.“ „Was macht Euch da so sicher?“ „Weil ich Kelvin Morgenstern bin.“, sagte er breit grinsend. „Ich mache das Unmögliche möglich!“ Blinzelnd musterte die Blondine sein optimistisches Gesicht. Er hatte gelesen, wie grauenhaft ein Leben in dieser Unterwelt sein musste. Solch positive Denkweise würde sie daher nicht wirklich kennen. Und sein blindes Vertrauen in sie und die Zukunft, die sie gemeinsam einleiten wollten ohnehin nicht. Doch das war seine Stärke! Er war gut darin, Visionen zu erschaffen. „Ich habe keine Ahnung weshalb...“, begann die Elfe schließlich. „Aber aus irgendeinem Grund glaube ich Euch.“ „Das liegt an meinem einzigartigen Charme.“ „Ja... Ja, nennen wir es mal Charme.“, murmelte sie mit hochgezogener Augenbraue. „Ich glaube aber eher, dass es grenzenloser Wahnsinn ist.“ „Charme... Wahnsinn... Wo liegt der Unterschied? Wichtig ist doch nur, dass wir eine bessere Welt erschaffen.“ „Am Vorgehen ändert sich trotzdem nichts. Ich will mir Eure Rebellion erst genauer angucken.“ „Selbstverständlich.“ „Und ich werde alles abstreiten, wenn Ihr von dieser Unterhaltung irgendwas erzählt.“, ergänzte sie. „Ich habe nichts anderes erwartet.“ „Außerdem...“, begann sie und blickte ihn skeptisch an. „Wäre ich Euch sehr verbunden, wenn Ihr meine Hände loslassen würdet. Ich muss los.“ Tatsächlich hatte Kelvin vergessen, dass er ihre Hände noch hielt! Er wollte es sich aber nicht anmerken lassen, weshalb er langsam diese anhob und jede einzelne Kuppe mit sanften Küssen benetzte. Er war taktvoll. Bei jeder anderen Frau hätte er direkt daran gesaugt oder hätte versucht, sie zu Sex zu drängen, doch bei ihr war es etwas anderes. Er respektierte sie schon jetzt. Ihre Verblüffung war es außerdem wert! Mit offenem Mund sah sie ihm zu, wie er diese hauchzarten Küsschen verteilte und war sprachlos. Auch wenn die Elfe es abstreiten würde, war sie nicht immun gegen seinen Charme. Um sie nicht weiter in Verlegenheit zu bringen, ließ der Rebellenanführer ab von ihren weichen Händen und ging ein paar Schritte zur Seite. Billiana fackelte nicht lange und ging an ihm vorbei, um sein chaotisches Zuhause zu verlassen. Zu seiner Freude behielt sie ihn wie einen Feind bei jedem Schritt im Auge. Das verspricht witzig zu werden...   Wenn Konstantin eines hasste, dann waren es definitiv die Geschöpfe des Weltenlenkers, denn diese Kreaturen lockten Ärger an. Wenn er ganz ehrlich war, dann wären sie ohne ihre Eskorte vermutlich schon längst sicher und unbeschadet in Götterherz angekommen. Nun aber wurden sie gefühlt alle zwei Schritte angegriffen oder die Bestien suchten den Ärger. Einmal hatte der Fessler sogar darauf bestanden, der Spur eines Magiers zu folgen, um dann festzustellen, dass dieser Magiebegabte nicht mal ein Abtrünniger war. Wozu sollte mich der Weltenlenker umbringen wollen? Das ist die schlimmere Strafe!, fluchte er innerlich. Auch jetzt befanden sie sich inmitten eines Schlachtfelds. Irgendwie hatten sie es geschafft, einer Truppe aus Nichtmenschen zu begegnen, die offenbar gerade aus den Reichen des Weltenlenkers fliehen wollten. Vermutlich auf dem Weg zu einem Hafen, um über die Meerenge zu fliehen. Viele der Schiffe schafften die Überfahrt durch die stürmischen Unwetter zumeist nicht. Ironischerweise war ihre Überlebenschance trotzdem höher, denn im Dunstbereich des Weltenlenkers starben sie auf jeden Fall. Die Anhänger des Weltenlenkers hatten natürlich nicht lange gefackelt und sich entschieden, dass sie die Überlebenschance der Flüchtlinge auf Null Prozent senken wollten. Selbstverständlich gingen die Nichtmenschen durch ihre Anwesenheit davon aus, dass auch der König und seine Männer Anhänger des selbsternannten Gottes waren und wurden mit in die Schlacht hineingezogen. Nur Sor’car schaffte es irgendwie, sich nicht großartig ins Kampfgeschehen einzumischen. Er war wirklich froh, dass er sich seine stabile, bequeme und bewegungsaktive Lederkluft angezogen hatte und nicht den feinen Zwirn eines Königs. Noch dankbarer war er, dass er auch nicht unbewaffnet mitgekommen war, obwohl man ihm versichert hatte, dass er die Waffen nicht brauchen würde. Sein Schild war ihm irgendwann im Laufe des Kampfes verloren gegangen. Fairerweise musste man sagen, dass das ein regelrechtes Handgemenge war! Fast wie eine Schlägerei in einer Taverne voller Betrunkener. Es war nahezu unmöglich den Überblick zu behalten. Irgendwann hatte ein Elfenmann ihn angegriffen, wobei der König dann seinen Schild wegwerfen musste. Leider ohne darauf zu achten, wohin er ihn geworfen hatte. Nun sah er sich zwei Mischlingen gegenüber. Einer davon hatte auf jeden Fall elfische Abstammung. Der andere vermutlich orkische. Oder er war einfach nur verdammt hässlich, das war für Konstantin nicht klar zu definieren. Klar war nur, dass sie wahnsinnig wütend waren! Und er nur sein Einhandschwert hatte. Gefühlvoll ließ er die Klinge in seiner Hand rotieren, während er mehrmals tief durchatmete. Der Elfenmischling trug selbst auch nur ein Schwert, das besorgte ihn weniger. Der Orkmann hingegen hatte eine riesige Streitaxt, die schon Respekt erweckte. „Wollen wir nicht doch nochmals über alles reden?“, erkundigte sich der Adelssohn hoffnungsvoll. Keiner der Feinde antwortete ihm. Wenn Konstantin ehrlich war, wusste er nicht, ob sie überhaupt seine Sprache verstanden. Es wäre nicht ungewöhnlich, dass man Sklaven die Gemeinsprache nicht lehrte, sondern nur einfache Kommandos und bestimmte Gegenstände. So konnten sie weder widersprechen noch sich Hilfe suchen. Zu seinem großen Glück, griff zuerst der kleinere der Gegner an. Er wich geschickt dem Schwerthieb aus und schnitt dem armen Mischling die Seite auf. Er hatte offensichtlich keinerlei Kampferfahrung. Nur eine Waffe, die er nicht zu führen wusste. Es tat dem Adligen ehrlich um den Jüngling leid, doch er konnte auch nichts weiter für ihn tun, als ihm sein Schwert mitten durch die Kehle zu treiben. Ein schnelles Ende ohne Leid. Da preschte auch schon der Orkmischling auf ihn zu. Die riesige Axt schwang er über seinen hässlichen Kopf und holte mit viel Wucht aus. Der König wich rasch zur Seite aus und betrachtete mit aufgerissenen Augen, wie der Nichtmensch den Schädel seines toten Kameraden spaltete. Er hatte also definitiv mehr Kampferfahrung und noch mehr körperliche Kraft. Sofort drehte sich der Angreifer wieder zu ihm. Schnaubend schlug er nun mit der Axt ein paar Mal hin und her, damit der König zurückweichen musste. Immer wieder verlor er mehr Kontrolle über das Kampfgeschehen, was wirklich nicht gut war. Wenn der Orkkämpfer erstmal genug Raum für sich beanspruchte, würde er ihn nicht besiegen können. Unter dem nächsten Angriff duckte sich der König hindurch, um mit seinem Schwert schließlich einmal über die Schienbeine zu schlagen. Es ergab tiefe, blutende Wunden, die die Bewegungen gewiss einschränkten, aber nicht tödlich waren. Viel schlimmer war, dass es den Mischling offenbar bloß noch wütender machte! Er schrie wie von Sinnen und raste dann wie ein Berserker mit der Streitaxt auf ihn zu. Nur ganz knapp konnte der Adelssohn zur Seite tänzeln und packte in diesem Moment das Schwert des toten Elfenmischlings. Er würde es gewiss nicht mehr brauchen. Prüfend ließ er die zweite Waffe kreisen, um sich mit dessen Balance auseinanderzusetzen. Viel Zeit dafür blieb nicht, aber es musste gehen. Immerhin lag hier nirgendwo sein oder ein anderer Schild herum, den er nehmen konnte. Als der orkische Mischling erneut angriff, überkreuzte Konstantin beide Klingen miteinander und bremste so den Angriff ab. Schweiß trat ihm auf die Stirn, während er keuchend dem Mann entgegen starrte. Lange konnte er ihn nicht auf diese Weise blockieren, weil der Mischling ihm körperlich überlegen war. Das musste er auch nicht, weil dem Nichtmenschen eine Axt in den Rücken gerammt wurde. Einen Herzschlag lang glaubte der König, dass es ihn nicht umwarf, doch dann sackte die Kreatur einfach auf seinen Knien zusammen. Erleichtert blickte er in das Gesicht von Benedikt, der vollkommen ernst war. Überall an ihm klebte Blut. Es musste sich für den Hauptmann so anfühlen, als führte er gerade Krieg. Bloß ohne seine Armee... „Danke sehr...“ „Immer wieder gerne, Majestät.“, erwiderte Benedikt gelassen. „Diese Bestien sollten dringend mal ihre Prioritäten klären.“ „Das sehe ich genauso.“, gestand Konstantin. Er hob seinen Blick und beobachtete, wie ein Drachenhetzer um einen Gegner herumtänzelte und ihm anschließend mit seinem Schwert den Kopf abtrennte. Seine Waffe besaß Widerhaken und trotzdem konnte er damit Knochen durchtrennen. Wie widerlich diese Kreaturen auch waren, musste er zugeben, dass sie im Kampfgeschehen beeindruckend waren. Der Fessler jedoch überzeugte ihn weniger. Zwar konnte er Magie aufspüren und diese binden, war aber im Kampf fast wehrlos. Die meiste Zeit stand er in der Nähe von Sor’car, die jeden Angreifer mit ihrem Kampfstab problemlos abwehrte. Die menschlichen Soldaten waren längst alle gestorben. Mit wie vielen Männern ist sie wohl ursprünglich hergereist? Auf dem Hinweg muss es solche Zwischenfälle auch schon gegeben haben., überlegte der König skeptisch. Gefühlt opfert der Weltenlenker hier sein halbes Heer. Und wofür? Um mich zu töten? Das ist lächerlich... Bisher beeindruckten ihn wirklich nur die beiden Drachenhetzer, die eigentlich zur Verfolgung und Tötung von Drachen eingesetzt worden. Es musste für die beiden schwer zu verkraften sein, dass sie Sor’car weder töten noch ihr widersprechen durften. Es war gegen ihre Natur. Und trotzdem rührten sie die Frau nicht an. Sie stritten nicht mal mit ihr! Stattdessen beschützten sie sie gegen die Nichtmenschen, damit sie möglichst nichts zu tun bekam. Letztendlich hatten sie den Kampf natürlich auch selbst provoziert... Doch wie sie es schafften, die Nichtmenschen gegeneinander auszuspielen, um immer wieder hinter sie zu gelangen. Wie tänzerisch sie sich bewegten, um blitzschnell zu zuschlagen... So viel Geschick vereint in einem Körper war wirklich selten. Der König verstand schon, weshalb sie in der Lage waren, Drachen zu töten. Während Fessler wohl einfach nur ein übergroßes Ego besaßen, weil sie nur gegen Magiebegabte effektiv sein konnten. Aber auch nur, wenn die Magier von ihrer Magie abhängig waren, so wie die Fessler von ihrer Gabe. Da muss der Weltenlenker wohl noch etwas an dem Konzept feilen..., sinnierte er. Doch Konstantin würde ihn gewiss nie auf die Mängel aufmerksam machen! Am Ende korrigierte er die Fehler tatsächlich und erschuf doch absolute Vernichtungswaffen. Inquisitoren waren schon schlimm genug. Der eine Drachenhetzer tötete den letzten Feind. Damit war auch diese Schlacht entschieden. Es hatte sie genug Zeit, Kraft und Nerven gekostet! Was mit etwas diplomatischen Geschick hätte verhindert werden können. „Ich weiß ehrlich nicht, was das hier alles soll...“, murmelte der König, als er auf Sor’car zukam. „Eure tollen... Soldaten legen sich mit jedem an, der unseren Weg kreuzt.“ „Seid doch froh.“, erwiderte die Drachendame unbekümmert. „Weshalb?“ „Dann können diese ganzen Mäuler nicht in Euer Reich fliehen, um sich dort durchfüttern zu lassen.“ „Zufälligerweise mache ich das gerne.“ „Oh! Ich wusste nicht, dass ihr Schmarotzer so gerne habt.“, spottete Sor’car. „Dann würdet Ihr Khaleb lieben.“ „Wie es der Zufall auch hier will, kenne ich Khaleb ziemlich gut. Er war schon bei mir zu Gast.“ „Und Eure Felder haben das überstanden? Respekt.“ „Wisst Ihr, Lady Sor’car, wenn ich es nicht besser wissen würde, könnte ich glatt auf die Idee kommen, dass Ihr nicht so ganz hinter dem Weltenlenker und seiner Anhänger steht.“ „Gut, dass Ihr es besser wisst.“, erwiderte sie gelassen, als könnte nicht mal der Weltenlenker selbst sie umbringen. Wäre auch dumm, da sie seine persönliche Leibwächterin war. „Durell...“, richtete er an den Hauptmann seiner Leibwache. „Geht es dir gut?“ „Mir geht es bestens, Majestät.“, erwiderte der junge Mann entschlossen. „Wir haben leider einen Mann verloren.“ „Das ist wirklich bedauerlich. Solch ein sinnloser Tod...“ „Weshalb sinnlos?“, fragte einer der Drachenhetzer nicht gerade freundlich. „Er starb im Kampf gegen diese Dinger.“ „Wisst Ihr...“, begann der König und straffte seine Schultern. „Euresgleichen bezeichnet man auch eher als »Dinger« und trotzdem seid Ihr noch hier. Das sollte Euch zu denken geben.“ Die Drachenhetzer wollten sich erzürnt auf den Adelssohn stürzen, doch Sor’car hielt sie direkt mit einer harschen Handbewegung auf. Sie würde also nicht zulassen, dass er starb. Es hatte auf dieser Reise immerhin genug Gelegenheiten dazu gegeben, ihn einfach zu töten oder sterben zu lassen. Also wollte der Weltenlenker es entweder selbst tun oder er verfolgte ganz andere Absichten. „Eure Mami erlaubt euch offenkundig nicht, mit mir zu spielen.“, spottete der König. „Noch.“, zischte die Drachendame nicht begeistert. „Aber wenn Ihr so weitermacht, dann überlege ich mir das Ganze nochmals.“ „Das würde dem Weltenlenker sicherlich nicht gefallen.“ „Und mir gefällt es nicht, dass Ihr offenkundig ständig Streit sucht.“ „Sagt die, dessen Kreaturen pausenlos irgendwelche Nichtmenschen angreifen...“ „Touché.“ „Ich wäre dafür, dass wir es nun einfach mal sein lassen, alle möglichen Karawanen und Gruppen anzugreifen.“, schlug Durell diplomatisch vor. „Wir sollten einfach abseits der Wege reisen. Das ist sicherer und geht schneller.“ „Ich stimme dem zu.“, schloss sich Benedikt mit ernstem Blick an. „Abseits der Wege?“, grunzte der hochgewachsene, schlanke Fessler. Man sah ihm nicht an, was er war, solange die feinen magischen Adern nicht leuchteten. Selbst Konstantin wirkte neben dem Fessler nahezu eindrucksvoll und er hielt sich selbst nicht für besonders maskulin! Nicht, wenn er sich mit Benedikt verglich oder sogar mit dem jungen Durell. Dafür war er aber geschickt. „Habt Ihr etwas dagegen einzuwenden?“, hinterfragte der König unfreundlich. „Ich halte es nur für feige, Majestät.“ Zumindest benutzt er meinen Titel, während er mich beleidigt. Das macht ihn höflicher als die Drachenhetzer., dachte er sarkastisch. Augenrollend stemmte der Adelssohn die Hände an seine Hüfte, während er den Fessler herabsetzend anblickte: „Sprach derjenige, der bisher nicht einmal gekämpft hat.“ Schon wieder musste die Drachendame eingreifen. Dieses Mal um zu verhindern, dass sich der Fessler auf den König stürzte. Da er kein Magiebegabter war und auch sonst nicht abhängig von magischen Dingen, wäre der Kampf sicherlich zu seinen Gunsten ausgefallen. Doch Sor’car wollte wohl nicht riskieren, dass es vielleicht doch anders ausging. „Es reicht jetzt!“, keifte die Frau streng. „Wir gehen nun abseits und vermeiden Kämpfe! Ich kann es kaum erwarten, endlich Götterherz zu erreichen.“ „Endlich sind wir uns mal einig!“, spottete Konstantin und verstaute sein Schwert in seiner Schwertscheide. Das neu erworbene Schwert des Elfenmischlings wollte er vorerst nicht aufgeben. Deshalb löste er dessen alten Gürtel von der Hüfte und befestigte diesen an sich selbst, damit er dessen Schwert auch verstauen konnte. Er kam sich vor wie ein Leichenschänder, doch sein Gürtel erlaubte nicht das zweifache Gewicht der Waffen. Zumindest hatten sie Durells Vorschlag durchbekommen und würden nun weniger Widerstand antreffen. Das schien den jungen Mann zu Recht stolz zu machen. Er gab seinen Männern einige Befehle, dann folgten sie den Anhängern des Weltenlenkers. Je näher sie Götterherz kamen desto mehr bereute er es, dass er freiwillig mitkam. Immer wieder dachte er daran, wie er Elizabeth eingetrichtert hatte, dass sie ihn vertreten musste. Anfangs hatte sie sich gefreut. Sie hatte davon gesprochen, dass das eine große Ehre für sie sei. Zumindest bis zu dem Augenblick, als er ihr klar gemacht hatte, dass sie eigentlich nichts machen durfte, außer auf dem Thron zu sitzen, ihre Krone zu tragen und allen zu zuhören, die etwas wollten. Wichtige Anfragen sollte sie notieren oder seinen unabhängigen Beratern vorlegen. Anfragen auf kleinere Hilfestellungen wie Saat, etwas zu Essen oder Medikamente sollte sie annehmen. Größere Bedürfnisse musste sie leider selbst abwiegen, wann sie es genehmigen sollte, wenn die Zeit es nicht anders zuließ. Aber letztendlich war es ihm lieber, wenn sie einfach gar nichts tat, außer Präsenz zu zeigen. Nun begleitete er tatsächlich eine Eskorte mit Aggressionsproblemen, um sich einen Tadel beim Weltenlenker abzuholen. Es nervte ihn, dass dieser sich nicht selbst herbewegt hatte, um sich mal mit seinen Schöpfungen etwas genauer zu befassen. Vielleicht wäre ihm dann aufgefallen, dass sie zu Kurzschlussreaktionen neigten... Obwohl das auch unwahrscheinlich war. Immerhin war der Weltenlenker auch nicht gerade für seine Vernunft bekannt. Konstantin befürchtete, dass falls er in seine Heimat zurückkehren durfte, seine Gattin alles in ein Scherbenmeer verwandelt hatte. Vor allem dann, wenn er nochmals das „Glück“ hatte, dass der Weltenlenker ihm eine Eskorte als sicheren Geleit zur Verfügung stellte. Als er den nassen Laub unter seinen Füßen spürte, schloss er einen Moment lang die Augen. Er fragte sich, ob sein Vater auch auf diese Weise nach Götterherz gebracht worden war. Ob er auch eine Eskorte gehabt hatte und dann abseits der Wege reisen musste, damit die Bestien nicht ständig Kämpfe provozierten. Er fragte sich, ob das letzte, was er als freier Mann gespürt hatte, auch Matsch, nasser Laub und peitschende Äste gewesen waren. Ob er zuletzt in Freiheit noch den Gesang von Vögeln gehört hatte und das Säuseln des Windes durch das Geäst. „Ihr werdet doch nicht den Kopf verlieren, oder?“, fragte plötzlich Sor’car und riss ihn aus seinen Gedanken. „So wie Euer Vater einst...“ „Ich nehme den Wortwitz zur Kenntnis und muss Euch sagen, dass Ihr nicht besonders witzig seid.“ „Er wurde nicht abgeholt, Majestät.“, erklärte sie ihm schließlich. „Er wurde durch einen Boten nach Götterherz bestellt und reiste mit einer Kutsche dorthin. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartet hat. Er hatte nur ein paar einfache Leibwächter dabei.“ „Woher wisst Ihr-...?“ „Euer Gesicht. Ihr wart eben leichenblass... Und durch Eure Frau wissen wir, dass Ihr lange um den Tod Eures Vaters getrauert habt.“ Nette Formulierung dafür, dass ich wie eine Frau geheult habe und nicht schlafen kann., dachte Konstantin verbittert. „Wenn er Euch töten wollte, würde er sich nicht so viel Arbeit machen. Das versichere ich Euch.“ „Wie lange wisst Ihr schon, dass ich all diese Gesetze erarbeitet habe?“, wollte er dann doch wissen. „Eine Weile...“ „Wieso ist er nicht eingeschritten?“ „Das solltet Ihr ihn am besten selbst fragen, Eure Majestät.“, erwiderte Sor’car geheimnisvoll. „Also versucht bis dahin nicht noch mehr gegen Euch aufzubringen. Ihr habt eine Art an Euch...“ „Ja, ich weiß.“, gluckste der König amüsiert. „Meinem Vater fiel es auch schwer, gelassen zu bleiben.“ „Kann ich durchaus verstehen.“ Sor’car begab sich wieder an die Spitze der Truppe. Obwohl das Ganze nicht witzig oder erfreulich war, musste er etwas grinsen. Er hatte seinen jugendlichen Leichtsinn offenbar doch nicht mit dem Tod seines Vaters verloren. In ihm war vielleicht auch etwas gestorben, doch nicht alles. Das war seltsam tröstlich. Kapitel 4: Facetten des Verrats ------------------------------- Allmählich fragte sich Billiana wirklich, ob es eine gute Idee gewesen war, sich auf die Rebellion einzulassen. Nicht, dass sie deren Ziele und Ambitionen nicht unterstützen würde, doch ihre Vorgehensweise war nicht besonders dezent und erst recht nicht durchdacht. Seit den letzten Wochen hatte sie einige ihrer Missionen begleitet. Dabei war nicht wichtig gewesen, ob es darum ging, Münzen zu beschaffen oder dem Weltenlenker ans Bein zu pinkeln. Sie wollte einfach sehen, wie sie arbeiteten. Dabei stellte sie fest, dass wenn Kelvin dabei war, alles früher oder später im Chaos endete. Er machte immer die Wachen auf sich aufmerksam! Und das nicht durch Tollpatschigkeit. Das blieb das Markenzeichen von Nero. Er flippte zwischendurch vielmehr aus und richtete dann mehr Vernichtung an als nötig. Das löste den Alarm dann aus. In dieser Nacht war es nicht anders. Sie waren zu zweit in ein Adelshaus eingestiegen, um den dortigen Herren zu töten und dessen Reichtümer gleich mitzunehmen. Ein toter Adliger ohne Erben brauchte sein Vermögen immerhin nicht mehr. Außerdem handelte es sich um einen fanatischen Anhänger des Weltenlenkers. Sie gewannen also doppelt! Leider hatte Kelvin dann beschlossen, den Adligen lautstark gegen einen Schrank zu schleudern, der zu aller Überfluss auch noch umgekippt war. Der Krach hatte Billianas Sinne eine Weile vollkommen betäubt und sie selbst aufschreien lassen. Sie war ja einiges gewohnt, aber der Essenzbeherrscher schaffte es immer wieder, selbst sie vollkommen aus dem Takt zu bekommen. Die Wachen und Soldaten des Verstorbenen hatten schnell Alarm geschlagen und waren sofort zum Ursprung des Lärms geeilt. Sie waren nicht unbedingt erfreut gewesen, als ihr geliebter Herr begraben unter einem Schrank lag. Noch weniger Begeisterung zeigte sich, als eine Elfe mit gebleichten, weißen Haaren, einer Kapuze und Maske dort stand. Nicht weit von ihr stand Kelvin, der einen Umhang trug, der ebenfalls eine Kapuze besaß. Zwei Vermummte und ein Toter... Da muss man wirklich kein Genie sein, um darauf zu kommen, was geschehen sein musste. Diejenigen, die noch keine Waffen gezogen hatten, taten es in diesem Anblick sofort. Auch Kelvin zog seine beiden einfachen Dolche und ging in Kampfstellung. Noch waren es nicht so viele Männer, dass sie ernsthaft in Gefahr waren, doch die Verstärkung war unterwegs. Sie schloss ihre Augen und konzentrierte sich. Sie hörte das Klirren von Rüstungen, die schweren Stiefel auf dem teuren Boden. Angestrengt keuchenden Atem. „Wir sollten gehen, solange es am schönsten ist.“, schlug die Attentäterin vor. „Und ich denke, dass das jetzt ist.“ „Da stimme ich dir absolut zu, meine Liebe.“ Mehr Worte mussten sie nicht austauschen, damit Kelvin die Wächter provozierte. Er ging einfach ein paar Schritte auf sie zu, grinste feist unter seiner Kapuze hervor und winkte sie herbei. Solch einer Einladung war für impulsive Menschen schwer zu widerstehen. Das zeigte sich deutlich, als einer der Wachen wütend auf den Rebellenanführer zustürmte und mit seinem Breitschwert ausholte. Es schien Kelvin so wahnsinnig leicht zu fallen, unter dem gigantischen Schwert unterzutauchen und noch in der gleichen Bewegung seinen Dolch direkt in die Leber des Angreifers zu rammen. Jetzt konnten sich auch die anderen Männer nicht mehr beherrschen und stürmten schreiend auf ihn zu. Ich muss zugeben, dass er ein Mensch ist, den man offenbar gut hassen kann., schmunzelte die Elfe innerlich. Perfekte Ablenkung für absolut alles, würde ich mal behaupten. Keiner der Männer hatte überhaupt wahrgenommen, wie sie etwas Distanz gesucht hatte, um ihren Bogen zu zücken. Konzentriert legte die eigentliche Blondine einen Pfeil auf die Sehne, spannte diesen und zielte schließlich. Obwohl sich alle bewegten und miteinander zu vermengen schienen, fiel es ihr nicht schwer, ihr Ziel zu treffen. Einem Axtschwinger jagte sie einen Pfeil direkt zwischen die Augen. Einen anderen Soldaten traf sie mitten in den Hals. Anfangs verarbeitete noch keiner, dass sie sie gerade ausdünnte. Sie sahen nur diesen furchtbar grinsenden Rebellen, der sie ebenfalls verletzte oder sogar tödlich traf. Wie er lachend Angriffen auswich. So schafften sie es, die Tür für sich zurückzuerobern, doch die erste Verstärkung traf bereits ein. Dieses Anwesen war nicht so üppig und verworren erbaut worden wie die anderen. So kam jeder darin schnell voran. Sehr zu ihrem Leidwesen. Und diese Männer waren noch nicht verblendet von ihrer Wut. Hatten noch nicht wahrgenommen, dass Kelvin jemand war, der einen gut reizen konnte. Sie sahen, dass der Mann an der Front war und dann sahen sie eine vermummte, zierliche Gestalt, die aus der Ferne mit Pfeilen schoss. Billie verurteilte sie nicht dafür, dass sie daraus Rückschlüsse zogen, die dazu führten, dass man nun auch sie fokussierte. Mit gezogenen Waffen eilten die Männer an den Kämpfenden vorbei, um sich stattdessen ihr zu zuwenden. Sie gingen davon aus, dass sie im Nahkampf hilflos sein würde und der Rebellenanführer ihr im Moment nicht helfen konnte. Sie schoss noch einen letzten Pfeil ab, der hautnah an Kelvin vorbeischoss und direkt das Herz eines Mannes ohne Rüstung durchbohrte. Der Rebellenanführer keuchte erschrocken auf und brachte ein „Hey!“ heraus, nahm es ihr aber offenbar nicht wirklich übel. Ein Mann holte mit dem Schwert aus, dem sie geschickt auswich und dabei ihren Bogen auf dem Rücken verstaute. Im nächsten Augenblick musste sie schon einer kleinen Axt ausweichen. Während sie ihren Rücken nach hinten durchbog und die Waffe beobachtete, die knapp über ihren Körper lang fuhr, streckte sie ihre Hand aus. Aus einem schwarzen Nebel bildete sich ihre Seelenklinge, dessen Griff sie fest packte. Dann richtete sie ihren Oberkörper in einer seitlichen Bewegung auf, um den Schwung zu nutzen und dem Axtschwinger ihre Klinge direkt in den Hals zu rammen. Die Elfe ließ gar nicht zu, dass die Angreifer sich von dem Schock erholten. Geschickt drehte sie sich um ihre eigene Achse und schnitt zwei Männern dabei die Kehle auf. Einem Dritten versetzte sie einen heftigen Tritt, sodass er nach hinten in die Arme von Kelvin stolperte. Der nutzte das aus und warf ihn in seine eigenen Männer, um selbst zwei Soldaten zu töten. „Ich denke, schöner wird es nicht mehr, Kel.“, säuselte die Attentäterin und wich einem Pfeil aus. „Und ich bin zu schüchtern für so viele Leute.“ „In Ordnung, Prinzessin, dann wird es Zeit, dass wir das hier beenden.“ „Ich bitte darum.“ Bisher hatte sich der Rebellenanführer sichtlich zurückgehalten. Etwas, was er sehr gerne korrigierte. Mit einem starken Windstoß warf er die üblichen Wachen einfach weg von sich. Schließlich hob er seine Hände und die Wände um die Männer herum fielen einfach in sich zusammen. Als er die Hände senkte, klatschten all die Felsen auf die schreienden Männer nieder. Bald hörte man nur noch ein Röcheln oder Husten. Sie würden das nicht überleben, das war sicher. „Weshalb hast du das denn nicht direkt gemacht?“, hinterfragte die Langhaarige und rollte mit den Augen. „Ich wollte es spannender machen.“, lachte der Rebell heiter. „Außerdem hat es so doch viel mehr Spaß gemacht. Findest du nicht?“ „Unsere Vorstellung von Spaß geht weit auseinander, Kel.“ „Wie bedauerlich. Wir sollten aber ohnehin langsam mal gehen.“ Das ließ sich die Elfe nicht zwei Mal sagen, die sofort neben ihm herlief. Sie mussten ein paar Flure und Soldaten überwinden, schafften es aber relativ problemlos hinaus. Das wahrhaftige Problem fanden sie erst draußen vor. Ihnen versperrte ein Fessler und auch ein Drachenhetzer den Weg in die Freiheit. Der Fessler hielt bereits mehrere Wurfmesser in der Hand und war offensichtlich bereit, sie auf die Flüchtigen zu werfen. Der Drachenhetzer nahm sich derweil die Kapuze vom Kopf und offenbarte dabei sein allzu menschliches Gesicht. Wären da nicht die zahlreichen Schuppen, die selbst ohne Licht deutlich schimmerten. Viel extremer als es bei einem einfachen Drachen je der Fall sein würde. Das lag daran, weil sie gewollt waren. Die Schuppen schützten die Hetzer davor, allzu schnell verletzt zu werden. Viele Waffen drangen durch Drachenschuppen nicht hindurch und sie waren auch hitzebeständig. Der Weltenlenker hatte diese Eigenschaften gerne auf seine Jäger übertragen. Immerhin sollten sie wirklich gegen Drachen antreten. Billiana wusste nicht, ob diese eigenartige Verschmelzung von Wesen vielleicht irgendwann massive Folgen haben würde. Für sie waren Drachenhetzer purer Hohn an Mutter Natur und gleichzeitig extrem gefährlich. Ihr waren da sogar Inquisitoren wesentlich lieber! „Bis hierhin und nicht weiter, Drache.“, zischte der Drachenhetzer erfreut. Er hatte sicherlich schon ewig keinen echten Drachen mehr gejagt, da sie fast alle ausgestorben waren. Die, die noch lebten, waren im Drachenhort. Unerreichbar für die Kreaturen des Weltenlenkers. „Ich verharre wirklich nicht gerne.“, erwiderte die Elfe schließlich. „Warum auch? Wir wollten eh gerade gehen.“ „Keiner von euch geht jetzt.“, spottete der Drachenhetzer amüsiert. „Ihr seid beide begehrte Ziele unseres Herren. Ihr könnt uns freiwillig zu ihm begleiten oder wir lösen das Ganze mit Gewalt.“ „Wir würden es bevorzugen, wenn ihr uns einen Grund gebt, euch mit Gewalt zu ihm zu bringen.“, ergänzte der Fessler. „Wieso überrascht mich das jetzt nicht?“, erwiderte Kelvin kichernd. „Wir lehnen aber dankend ab. Der Weltenlenker kann aber das nächste Mal gerne selbst seine Einladung aussprechen. Dann kommen wir dem gerne nach.“ „Ihr habt es ja nicht anders gewollt.“ Der Fessler warf sofort mehrere der Wurfmesser in ihre Richtung. Billie musste sich ducken, um nicht getroffen zu werden. Diesen Moment der Schwäche nutzte der Drachenhetzer augenblicklich aus und stürmte auf sie zu. Beim Laufen holte er mit seinem Schwert aus, an dem schreckliche Widerhaken prangten. Kelvin warf sich direkt zwischen die Kreatur und seiner derzeitigen Partnerin, um den Angriff mit seinen überkreuzten Dolchen zu blockieren. Billiana rammte derweil ihren Kopf einfach in den Magen des überraschten Drachenhetzers. Er hatte die Situation offenbar falsch eingeschätzt. Da der Rebell noch nicht lange mit ihr zusammenarbeitete, hatte er wohl nicht damit gerechnet, dass sie schon so eng zusammenarbeiten würden. Der Rebellenanführer wollte gerade seinen Dolch in die Kehle des Mannes rammen, da flogen auch wieder Wurfmesser in ihre Richtung. Jetzt erwiderte die Elfe ihm seinen Gefallen und erschuf zwischen ihm und den Angreifer ein kleines Portal. Die Klingen flogen einfach hindurch und waren verschwunden. Sie konnte im Gesicht des Fesslers sehen, dass er so etwas noch nie gesehen hatte. In dieser Fassungslosigkeit wollte sie sich am liebsten sonnen! Doch dafür war keine Zeit. Wutentbrannt schrie der Drachenhetzer auf und hätte beinahe Kelvin mit seinem Schwert erwischt. Er hatte keine Wahl gehabt und musste von der Kreatur des Weltenlenkers wegspringen. Diesen Moment nutzte der Hetzer aus, um sich direkt gegen die Elfe zu werfen und sie zu Boden zu schleudern. Eigentlich hatte der Rebell helfen wollen, doch er bekam seine eigenen Probleme. Der Fessler war herbeigestürmt und packte ihn am Arm. Kurz darauf leuchteten hellblaue Adern über seinen ganzen Körper, während er die Magie von Kelvin einfach blockierte. Er würde nun mindestens fünf Minuten ohne sie auskommen müssen. Vielleicht auch etwas länger. Außerdem würde er sich dadurch geschwächt fühlen. „So, Drachenschlampe, da wären wir nun.“, knurrte der Hetzer mit perverser Freude. „Du wolltest die harte Tour.“ „Ich stehe eben auf hart. Ich hoffe doch sehr, dass wir diese Leidenschaft teilen.“ Ohne Vorwarnung hob die Attentäterin ihr Knie und rammte es etwas schräg in den Schritt ihres Feindes. Dieser jaulte voller Schmerz auf und ließ sofort von ihr ab. Zumindest hatte Wyrnné diese Schwachstelle vergessen auszupolstern. Nichts, was sie ihm sagen würde! Es wäre ohnehin schwer, dort auch noch Schuppen zu platzieren, um diese Bestien noch mehr zu schützen. „Pardon.“, sagte sie leichthin. „Ich habe manchmal unkontrollierbare Zuckungen.“ „Könntest du diese Zuckungen vielleicht auch mal an diesem verdammten Bastard bekommen?!“, keuchte Kelvin, der gerade mit dem Fessler rang. Zwar waren Fessler körperlich eher schwächlich, doch das traf auch auf einen Magiebegabten zu, dessen Magie unterbrochen worden war. Da konnte selbst solch ein schlaksiger Mann mit seinen beiden Sicheln bedrohlich wirken. Erst recht, wenn man so viel auf seine Magie zu griff, wie es der Rebellenanführer normalerweise tat. Er nutzte immerhin stets die zusätzliche Geschwindigkeit, um im Kampf einen Vorteil zu genießen. Gerade als sie dem Rebellen zur Hilfe eilen wollte, hörte sie, wie das Schwert des Drachenhetzers durch die Luft schnitt. Sie dankte allen Göttern für ihre scharfen Sinne und ihre ausgezeichnete Ausbildung! Nur deshalb konnte sie sich nach vorne beugen, damit die Waffe über sie hinweg sauste. Andernfalls hätte der Hetzer sie geköpft. Diese Viecher können echt verdammt gut einstecken!, fluchte Billie verbissen. Das bedeutete, dass sie nun beide sich erstmal um ihren eigenen Gegner kümmern mussten. Wenn sich nur einer von ihnen im falschen Moment umdrehte, konnten sie im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf verlieren. Etwas, was sie lieber an ihren eigenen Opfern praktizierte, als es selbst zu erleben. Als der Drachenhetzer wieder angreifen wollte, stieß die eigentliche Blondine einen Überschuss aus Magie aus, um ihn etwas zurückzuschleudern. Der Effekt fiel gering aus, aber genug für sie, damit sie vorpreschen und einen Angriff starten konnte. Zu ihrem Bedauern wich ihr Feind aus und bekam nur eine brennende Schnittwunde auf seiner Wange. Sie war sicherlich tief, würde ihn aber nicht umbringen. Plötzlich trat er ihr heftig mit seinem Stiefel auf ihren Fuß und ließ die Elfe aufschreien. Eigentlich hätte sie damit rechnen sollen! Drachenhetzer waren dafür berüchtigt, dass sie einen dreckigen Kampfstil hatten und nicht viel von Ehre oder Fairness hielten. Im nächsten Moment rammte er auch schon seinen Ellenbogen in ihren Magen. Die Schmerzimpulse waren wirklich heftig und hätten sie beinahe einknicken lassen! Als ihr Gegner dann noch seine Klinge in ihre Seite rammte, hätte sie schwören können, dass sie Sterne sah. Die Widerhaken zerrten so schmerzhaft an ihrem Fleisch, dass sie sicher war, sie könnte spüren, wie es zerriss! In dem Gesicht des Drachenhetzers konnte sie perverses Vergnügen entdecken. Er erfreute sich an ihrem Leid. Drehte die Klinge sogar in der nicht tödlichen Wunde, um die Qual noch etwas mehr anzufachen. „Das-...“, begann sie zu knurren. „... war ein Fehler.“ „Von wegen, Drachenschlampe. Das ist wahrhaftiges Vergnügen!“ Er war viel zu nah an ihr dran. Der Drachenhetzer unterschätzte ihre Fähigkeiten. Bedachte einfach nicht, dass sie nicht wie andere Drachen war und andere Fähigkeiten besaß. Sein Fehler. Er trug immerhin nur eine Lederrüstung, die ihn nicht mal ansatzweise vor dem schützen würde, was ihn nun erwartete. Billiana holte mit ihrer Seelenklinge aus. Er wich sofort zurück, als er das Heben der Waffe bemerkte, war aber nicht schnell genug. Sie konnte ihm noch einen tiefen Schnitt am Oberarm verpassen. Ihre magische Klinge schnitt auch durch Drachenschuppen problemlos als wäre es Butter. Sie malte Symbole aus Licht auf den Boden und murmelte einige Worte der Macht. Weil niemand den Drachenhetzer für sie beschäftigen konnte, konnte sie kein richtiges Portal beschwören, doch um ihren Schattenwolf zu rufen, brauchte sie weit weniger Zeit. Er sprang voller Blutgier hinaus. „Nein!“, schrie der Drachenhetzer empört. In diesem Augenblick bereute er es sicherlich, dass er seinem Kollegen nicht gesagt hatte, auch ihre Magie zu binden. Tja, das geschieht, wenn man seinen Feind falsch einschätzt. Man steht dumm da., freute sie sich grinsend. „Ereinion, ich bin mir sicher, dass der da nach deinem Geschmack sein wird.“ „Das will ich doch hoffen.“, knurrte der gigantische Wolf und fletschte seine Lefzen. „Ansonsten suche ich mir eine neue Beschwörerin.“ Der Drachenhetzer begriff zu spät, dass er hätte eingreifen sollen. Auch jetzt war er einfach zu langsam. Es wäre angemessen gewesen, wenn er sofort nach der Beschwörung weggelaufen wäre, doch stattdessen hatte er all das ungläubig beobachtet. Der Drachenjäger konnte einfach nicht fassen, dass er eine Kreatur der Zwischenwelt vor sich hatte. Aufgeben lag aber eindeutig nicht in der Natur von Wyrnnés Geschöpfen, denn er packte seine Waffe nun etwas fester. Dieses Mal wartete Billiana aber nicht darauf, dass er als erstes angriff, sondern stürmte selbst los. Beim Laufen holte sie bereits mit ihrer Seelenklinge aus, dessen Schlag der Drachenhetzer parierte. Ereinion sprang derweil in ein offenes Fenster der Zwischenwelt und tauchte hinter ihrem Feind wieder auf. Ohne Gnade sprang er ihn an und verbiss sich brutal in dessen Nacken. Der Drachenhetzer kreischte fürchterlich, doch noch schaffte es der Wolf nicht, mit seinen riesigen Zähnen durch die Schuppen zu dringen. Die Attentäterin holte derweil erneut aus. Noch hatte ihr Gegner genug Kraft, um auch dieses Mal einen tödlichen Schlag zu verhindern, doch als das erste Blut aus seinem Nacken drang, ließ das allmählich nach. Er wirbelte herum und versuchte Ereinion zu treffen, der einfach losließ und wieder in der Zwischenwelt verschwand. Die Elfe hieb erneut nach ihm und schnitt der Bestie dabei die komplette Seite auf. Er schrie erneut auf. Wütend drehte er sich zu ihr, kam aber nicht dazu, wirklich nach ihr zu schlagen. Der Schattenwolf sprang aus dem Nichts und schnappte nach dessen Schwertarm. Brutal verbiss er sich darin und nutzte dessen Schwung aus, um ihn einfach herauszureißen. Blut spritzte der Elfe direkt entgegen und tauchte ihre Kleidung in dessen Rot. Dennoch kannte sie keine Gnade. Ohne lange zu zögern, schlug sie dem Drachenhetzer mit ihrem Schwert den anderen Arm ab. Mit einem heftigen Tritt zwang sie ihn schließlich auf die Knie und hielt ihr Schwert genau vor seine Augen. „Gibst du auf, Drachenschänder?“, fragte Billie mit eiskaltem Blick. „Niemals!“, keuchte er mit letzter Kraft. „Er gehört dir.“ Ereinion ließ sich bei so etwas gewiss nicht zwei Mal bitten. Er sprang den Hetzer direkt an und verbiss sich in dessen Kehle. Knurrend zerfleischte er diese, nachdem er es geschafft hatte, die Drachenschuppen zu durchdringen. Jegliches Geschrei ging bald schon in Gurgeln und Röcheln unter. Die Seele des Drachenhetzers verleibte sich der Schattenwolf kurz darauf selbst ein. Die Blondine stellte fest, dass diese Seele anders aussah als von normalen Menschen. Irgendwie... unruhiger. Sie konnte es nicht beschreiben. Aber ich sollte dem nachgehen. Vielleicht hat Wyrnné es wirklich übertrieben mit diesen Geschöpfen..., sinnierte sie. Wenn ihre Vermutung stimmte, dann hatte der Weltenlenker vielleicht etwas Größeres ausgelöst. Etwas, was die Welt mit in den Abgrund reißen konnte. Er spielte Gott. Doch er hatte keine Ahnung, mit welchen Mächten er sich anlegte. Langsam drehte sie sich von dem blutigen Schauspiel mit dem Schattenwolf weg. Kelvin wurde von dem Fessler ernsthaft bedrängt. Eigentlich parierte er nur noch mit seinen Dolchen die zahlreichen Angriffe der Sicheln. Wenn die Fessler auch keine außergewöhnlichen Kämpfer waren, waren sie trotzdem schnell und geschickt. Sie wussten genau, wohin sie schlagen mussten. Erst recht, wenn sie einen Magier zuvor noch entmachten konnten, um diesen zu schwächen. Nur war auch ihre Arroganz ihre größte Schwäche. Er achtete einfach nicht mehr auf sein Umfeld. Ging plump davon aus, dass der Drachenhetzer sie schon umbringen würde und sich alles von selbst erledigte. Sie konnte den Kreaturen des Weltenlenkers keinen Vorwurf machen. Wie sollten sie weniger von sich überzeugt sein als ihr Schöpfervater? Er lebte es ihnen schließlich vor. Seufzend hob sie ihr Seelenschwert und rammte es von hinten direkt zwischen die Schulterblätter durch den Körper des Fesslers. Seine Augen weiteten sich, doch er war machtlos gegen den Tod, der kalt nach ihm griff. Womit die Elfe jedoch nicht gerechnet hatte war, dass Blitze aus dem toten Körper schossen und in ihre Klinge eindrangen. Zahlreiche davon! Und es warf sie zurück. Sie schlitterte sogar ein Stück weiter weg von dem zusammensackenden Fessler und dem irritierten Rebellenanführer. Schnaubend richtete die Elfe sich auf und blickte auf ihre Waffe. Sie sah unbeschädigt aus. Es tauchten auch keine Blitze mehr auf. Weder an dem Metall noch an dem toten Feind. Beinahe so, als wäre niemals etwas gewesen. Kelvin eilte an ihre Seite und hockte sich nieder: „Bist du verletzt?“ „Nein, alles bestens.“ „Was war das?“ „Seine Lebensenergie...“, antwortete Billie. „Wie bitte?“ „Offenbar meint Wy-... der Weltenlenker es sehr gut mit seinen Kindern.“, murmelte Billiana erklärend. „Er hatte sehr viele Lebensjahre in sich gespeichert und wahnsinnig viel Machtpotenzial. Als mein Schwert all das absaugte, während er starb, kam es offenbar zu einer Art Überladung.“ „Dein Schwert saugt mal eben Lebensenergie ab?“ „Ja.“ „Und dieser... Wolf?“, erkundigte sich Kelvin. „Ich erkläre dir alles später, in Ordnung?“, schlug die Attentäterin vor und erhob sich derweil wieder. „Es ist weder der richtige Ort noch die Zeit.“ Eine Handbewegung reichte aus, um Ereinion zurück in die Zwischenwelt zu schicken. Vorerst würde sie seine Dienste wohl nicht mehr brauchen und vielleicht war er selbst überladen worden. Wenn der Fessler so viel Machtpotenzial und Lebenskraft in sich gespeichert hatte, dann vermutlich auch der Drachenhetzer. Zumindest glich das den längst überfällig Sold des Schattenwolfes wieder aus. „Gut, dann lass‘ uns verschwinden.“, lenkte Kelvin ungern ein. Sie konnte ihm ansehen, dass die Unwissenheit ihn nahezu wahnsinnig machte. Billiana konnte das verstehen. Sie wollte auch immer alles wissen. Am besten auch sofort, statt später. Nur hörte sie, dass immer mehr Soldaten anstürmten. Sie waren schon viel zu lange hier und würden bald von einer wahren Armee überrannt werden, wenn sie nicht abhauten. Dennoch schickte sie die Seelenklinge vorerst wieder fort. Sie war nicht wirklich schwer, aber beim Laufen war so etwas eher hinderlich. Dann eilte sie mit dem Rebellenanführer los, damit sie endlich auch den Garten durchqueren konnten. Bevor er jedoch eine der Pforten öffnen konnte, legte sie ihre Hand an dessen Schulter: „Nicht da lang. Da sind Soldaten.“ „Bist du dir sicher?“ „Absolut.“ Obwohl er einen Augenblick zögerte, entschied er sich dann wohl doch, ihr einfach zu vertrauen. Sie führte ihn die Mauer entlang und half ihm schließlich, einen Baum zu erklimmen. Als Gegenleistung hievte er sie im Anschluss mit hinauf. Sie deutete in die Richtung, in die er ursprünglich fliehen wollte. Dort standen mindestens zwanzig von Wyrnnés Soldaten bereit und warteten darauf, dass jemand das Tor öffnete. „Ich werde nie mehr an deinen Fledermausohren zweifeln, Prinzessin.“, flüsterte er grinsend. „Wenn du mir weiterhin solche Spitznamen gibst, komme ich vielleicht auf die Idee, mal weniger gut zu hören.“ „Ich habe verstanden, werde aber gewiss nicht so schnell damit aufhören.“ „Ich hatte befürchtet, dass du das sagst.“ Geschickt sprang die Attentäterin von der Mauer. Sie winkte ihn heran, damit auch er sprang. Dem Rebellenanführer fehlte es definitiv nicht an Geschick, denn er schaffte den Absprung ohne Verletzung. Außerdem schien er sich auch wieder besser zu fühlen, denn er wirkte nicht mehr so bleich. Seine Magie kehrt entweder zurück oder ist sogar wieder vollständig., stellte sie fest. Ist sicherlich nicht verkehrt in unserer Lage. Denn sie hörte rundherum überall Soldaten und Wachen. Klirrende Rüstungen, gezogene Waffen und aufmerksame Wächter liefen umher. Sie begrenzten sich nicht nur auf das angegriffene Grundstück, sondern auch auf ein weites Gebiet um das Anwesen herum. Sie wollten absolut sicher gehen, dass dieses Mal der Rebell nicht mehr entkam. Nur ahnten sie nicht, dass er nicht alleine war. „Dort lang.“, sagte sie deutlich. Dieses Mal diskutierte er nicht mit der Elfe. Kelvin folgte ihr einfach in die nächste dunkle Gasse und blieb dicht bei ihr. Immer mal wieder blieb sie kurz stehen und konzentrierte sich auf ihre Umgebung, damit ihr nichts entging. Trotzdem mussten sie immer mal über beleuchtete Straßen huschen, um in die nächste Gasse zu kommen. „Halt.“, befahl sie leise und hielt ihn mit ihrer Hand ab, weiterzugehen. Nur einen Herzschlag später gingen ein paar Wächter an der Gasse vorbei. Sie schauten nicht hinein. Sie unterhielten sich gerade darüber, dass der Rebell immer wieder einbrach, Lärm machte und dann trotzdem entkam. Keiner von diesen Männern kam auf die Idee, dass eben dieser Rebell gerade greifbar nah war. „Weiter.“ „Ich bin wirklich beeindruckt.“, gab Kelvin zu. „Ich danke für das Urteil.“ Wieder huschten sie über die Straße in eine enge Gasse. Ab hier wurde es einfacher. Die Patrouillen wurden weniger und kleiner. Die Soldaten, die sich hier noch aufhielten, waren zudem weniger aufmerksam. Es war zu spät, damit andere Leute auf den Straßen herumlungerten, weshalb sie sich trotzdem versteckt halten mussten. Vorsichtig strich sie sich die Kapuze von ihren weiß gebleichten Haaren und entfernte die Maske von ihrem sonnengeküssten Gesicht. Die Maske verstaute sie sicher an ihrem Gürtel. „Wieso enttarnst du dich?“ „Wenn wir jetzt Wachen treffen, können wir behaupten, dass ich deine Dirne bin. Wir sind weit genug weg, damit sie nicht gleich den richtigen Rückschluss ziehen werden.“ „Mhm~, meine Dirne...“, schnurrte er spielerisch und legte seine Hände an ihre Hüften. „Vielleicht sollten wir schon mal für den Ernstfall üben?“ „Vielleicht sollte ich ausprobieren, ob mein Schwert bei dir auch fast explodiert, wenn ich es dir zwischen die Schultern ramme.“ Sofort zog er seine Hände zurück, grinste aber weiterhin dreckig: „Schon in Ordnung. Ich mag es, wenn sie sich noch wehren.“ „Nun klangst du fast gar nicht nach einem Vergewaltiger.“ „Sehr gut, dann habe ich meine Wirkung ja erfüllt.“ Billie verdrehte genervt die Augen nach oben, auch wenn sie ihn innerlich eigentlich witzig fand. Doch sie mochte es noch mehr, wenn er glaubte, dass sie genau das nicht leiden konnte. Es würde ihn wahnsinnig machen, dass sie seinem „Charme“ nicht erlag! Und er würde sich dadurch noch mehr Mühe geben. Trotzdem vermied es die Elfe, dass man sie erwischte. So mussten sie keine Show vor den Soldaten hinlegen und nicht riskieren, dass man sie doch als die flüchtigen Angreifer identifizierte. Leider hatte die Mission nicht unbedingt das eingebracht, was sie gehofft hatten, doch zumindest waren sie beide lebend aus der Sache herausgekommen.   In Sicherheit zu sein, fühlte sich in Nächten wie diesen noch besser an. Kelvin musste zugeben, dass der Kampf eben wirklich gefährlich gewesen war. Er musste wirklich an sich arbeiten. Wenn er nicht wieder alle Wachen aufmerksam gemacht hätte, dann wären sie am Ende nicht in die Bredouille gekommen, gegen einen Fessler und einen Drachenhetzer anzutreten. Billiana hatte diesen Fehler behoben und sie zu allem Überfluss auch noch heil in sein kleines, chaotisches Haus gebracht. Nun saß sie auf seinem alten Sessel und schob ihre Kleidung beiseite, um Schnittwunden zu kontrollieren. Offenbar war sie öfters getroffen worden, als er wirklich wahrgenommen hatte. Es steckte sogar ein abgebrochener Pfeil zwischen ihren Rippen! Okay, ich fühle mich etwas schuldig... Sie wurde verletzt, wegen mir., gestand sich der Rebellenanführer ein. Ich muss meine Impulsivität dringend zügeln, sonst stirbt jemand, der mir wichtig ist. Noch jemand... Denn auch wenn er sich damals geschworen hatte, dass er keinen Menschen mehr so nah an sich heranlassen würde wie Amelie, war es dennoch passiert. Er liebte seine Freunde. Anders als seine getötete Verlobte, doch ebenso aufrichtig. Er wollte nicht, dass ihnen etwas Schreckliches zustieß, weil er sich für unbesiegbar hielt. Seufzend ging er zu einem alten Schrank. Er würde bald zusammenbrechen, wenn er nicht endlich versuchte ihn zu stabilisieren oder zu setzen, doch das war ihm herzlich egal. Er erfüllte immerhin seinen Zweck. Darin befand sich Kleidung, aber auch etwas Medizin, die er den Medikussen gestohlen hatte. Kelvin suchte nach den wenigen sauberen Bandagen, die er dort ebenso verstaut hatte und kam dann langsam auf Billiana zu, die gerade den Pfeil rausziehen wollte. „Lass‘ mich das machen.“, schlug er rasch vor und legte das Verbandsmaterial auf den klapprigen Tisch. „Ich denke, dann reißt du nicht direkt alles auf.“ „Stattdessen reißt du dann alles auf, Kel? Ich weiß nicht, wo der Unterschied ist.“ „Das will ich dir gerne zeigen.“ So oft hatte er eigene Verletzungen versorgen müssen, aber auch schon welche von anderen Rebellen. Oder von Leuten, denen er mit seiner Hilfe zeigen wollte, dass es eine gute Idee war, sich ihm anzuschließen. Immerhin war ihm das Wohlergehen der seinen nicht gleichgültig. Unwillkürlich hatte er dabei viel gelernt. Die Bandagen tauchte er in eine Kräutermixtur, die bei der Wundheilung helfen sollte. Vor allem verhinderte diese allerdings Entzündungen, die zu einer Sepsis führen konnten. Der Medikus hatte ihm sogar versichert, dass sie selbst schon beginnende Entzündungen aus Wunden ziehen konnte. Das aber nur im Rahmen. Auch wenn Billie sicherlich eine sehr gute Selbstheilung hatte, war es besser, wenn man diese noch unterstützte. Sie brauchten sie. Dringender als bisher angenommen. Als er alles soweit vorbereitet hatte, setzte er sich vor sie und blickte ihr in die wunderschönen, eisblauen Augen: „Bist du bereit?“ „Immer. Leg‘ los.“ Er musste etwas grinsen. Sie ließ sich nie etwas anmerken! Kelvin wusste beim besten Willen nicht, wie sie das anstellte, immer so gelassen zu bleiben. Die Welt ging den Bach runter und sie verlor partout nicht ihren Kopf, sondern tat die nächsten logischen Schritte. Ihm fiel es schon schwer, so heiter zu bleiben. Obwohl seine Fröhlichkeit auch eine seiner stärksten Waffen in Zeiten wie diesen war. Es gab Augenblicke, in denen er die Maske fallen lassen musste, unter anderem dann, wenn er massive Schmerzen erlitt. Seine blauen Augen hoben sich in ihre, nachdem er den Pfeil ertastet hatte. Er wandte den Blick nicht ab. Auch nicht, als er Holz und Metall möglichst gerade aus der Wunde riss. Sie zischte auf, rang aber bereits kurz darauf wieder um Fassung. Er war beeindruckt, wie schnell sie ihm dann wieder in die Augen sehen konnte. Da waren keine Tränen. Nicht mal Fältchen, weil sie das Gesicht verziehen müsste! Neben ihr komme ich mir beinahe etwas unzulänglich vor..., gestand er sich verlegen ein. An ihr ist echt ein guter Kerl verloren gegangen! Doch er war nicht so dumm, das auszusprechen. Sie würde ihn auf der Stelle töten, enthaupten und seinen Kopf als Warnung aufspießen! Also nahm er lieber einen Stofffetzen, den er ebenfalls in der Kräutermixtur eingeweicht hatte, um das Loch zwischen ihren Rippen damit zu reinigen. Es musste höllisch brennen, doch sie krallte sich einfach in die Lehnen des Sessels und hielt es aus. „Wie oft wurdest du schon gefoltert?“, hinterfragte der Rebell gelassen und öffnete einige der Schnallen ihrer Kleidung. „Wie bitte?“ „Du hältst Schmerzen viel besser aus als jeder, den ich kenne.“, erklärte er. „Also musst du darin geübt sein. Und zieh dich bitte etwas aus. Ich verarzte alles.“ Schamgefühl kannte die Blondine offensichtlich keines, denn sie griff nach Leder und Stoffen, um sie einfach zu entfernen. Alles wurde feinsäuberlich abgelegt, bis sie ihren Oberkörper entblößen konnte. Kelvin musste schwer schlucken, als er ihre nackte, üppige Oberweite sah, die wirklich perfekt geformt schien. Vielleicht bildete er sich das auch nur ein, weil er selbst angeschlagen war, doch er war sich ziemlich sicher, dass die Attentäterin einen nahezu perfekten Körper besaß! Vereinzelnd waren dort immer mal Ansammlungen von Sommersprossen, doch sie waren nicht so dunkel wie im Gesicht, weil dort die Sonne seltener hinkam. Aber gerade diese Flecken machten ihren Körper noch aufregender. Wären da nicht überall offene Schnittwunden, das Loch von dem Pfeil und ein paar schwer erkennbare Narben. Er war erstaunt, als er die Augen kurz schloss und beim Öffnen vereinzelnde Drachenschuppen zu erkennen waren. Der Rebellenanführer musste nicht hinaufgucken, um zu wissen, dass sie wieder ihr blondes Haar trug. Sie hatte die Gestaltenwandlung offenbar aufgegeben. Es kostete sie gewiss auch Kraft sie aufrechtzuerhalten und hier musste das vorerst nicht sein. „Hat es dir die Sprache verschlagen?“, spotte Billiana amüsiert. „Du wolltest mich doch seit dem ersten Tag nackt sehen.“ „Gewiss doch, aber ich dachte, dass es andere Umstände sein würden.“, gestand er dreckig grinsend. „Oh, ich kann mir denken, an was du gedacht hast, Kelvin.“, erwiderte sie mit gespieltem augenrollen. „Und ich wurde übrigens schon ein paar Mal gefoltert.“ „Wie hält man das aus?“ Vorsichtig begann er nun auch die Schnitte zu reinigen. Er wollte zumindest das Blut weitgehend entfernt haben, damit es nicht direkt die Bandagen vollsog. Sie würden diese eh wechseln müssen, aber dann weniger schnell. „Es ist eigentlich recht einfach. Man muss sich in seine eigenen Gedanken zurückziehen und die Realität ausblenden. Man sollte aber trotzdem noch einigermaßen ansprechbar sein, um die Fragen mitzubekommen.“ „Einfach? Das klingt gar nicht einfach.“ „Ja, ist es vermutlich auch nicht... Ich mache das schon so lange, dass es mir inzwischen einfach vorkommt.“ „Inwieweit ziehst du dich in deine Gedankenwelt zurück?“, hakte Kelvin nach und legte das Tuch beiseite. Stattdessen nahm er sich die Bandagen, um sie vorsichtig um ihren Körper zu wickeln. „Du visualisierst Ereignisse, Dinge und Lebewesen, die dich mit positiven Gefühlen erfüllen. Dein erster Kuss, das Lächeln deiner Mutter, ein schöner Abend mit deinen Freunden... Alles, was dich glücklich macht.“, fuhr die Elfe sachlich fort. „Du versuchst es jede erdenkliche Minute vor deinen Augen zu haben. Die Schönheit zu erkennen. Nach Details in diesen Erinnerungen zu suchen, die dir bisher vielleicht entgangen sind. Du darfst dich nicht einfach nur erinnern, du musst es nochmals durchleben! Musst nochmals fühlen, was du damals gefühlt hast. Innerlich sagen, was du damals sagtest. Jedes noch so kleine Detail wachrufen. Als wäre deine Seele woanders, während dein Körper schreckliche Dinge erleidet.“ „Und das funktioniert wirklich?“ „Mal besser, mal weniger gut. Es geht darum, Geist und Körper voneinander zu trennen. Wenn man sehr emotional ist, ist es schwierig.“ „Abgesehen von den Schmerzen, weshalb sollte man sehr emotional bei einer Folter sein?“ „Wenn du beispielsweise von einem eigentlichen Vertrauten gefoltert wirst. Oder wenn man deinen Liebsten Schmerzen androht, wenn du schweigst.“, erwiderte sie wissentlich. „Folter ist nicht nur körperlich, sondern oftmals auch seelisch. Man soll gebrochen werden, damit man alles verrät, was der Folterknecht wissen möchte.“ „Du wurdest schon von Vertrauten gefoltert?“ „Ja.“ Stille trat ein. Kelvin konnte sich nicht ausmalen, wie sich das angefühlt haben musste. Was das emotional mit ihr gemacht hatte. Auch wenn sie natürlich dadurch gestählter durch die Welt schreiten konnte, schien der Preis zu hoch zu sein. Obwohl er auch gerne so wenig zucken würde, wenn ihm jemand Kräuterverbände um frische Wunden wickelte. „Meine Familie erachtet es als sehr wichtig, dass man Folter in allen Formen widerstehen kann.“, erklärte die Elfe schließlich, während ihr Blick in die Ferne rückte. „Erst bildet ein ein neutraler Meister aus. Er fügt einem Schmerzen zu. Einfach nur Schmerzen. Die steigert er nach und nach. Schließlich beginnt er intime Fragen zu stellen. So wird getestet, wie viel man grundsätzlich schon aushält und über welche Dinge man trotz Schmerzen zu schweigen versucht. Das geht Wochen lang so. Wenn die Familie beschließt, dass man genug Widerstand aufgebaut hat, lassen sie einen frei. Man darf sich waschen, etwas essen und sich bekleiden. Man fühlt sich sicher...“ „Doch in Wahrheit bereiten sie alles für den zweiten Schritt vor...“, schlussfolgerte der Rebell, der gerade dabei war, die letzten Verbände anzulegen. „So ist es. Sie kommen einen ganz unerwartet holen und dann ist es kein Ausbilder, der einem die Kleider vom Leib reißt und auf eine Bank schnallt, sondern ein Verwandter.“, erzählte sie durchaus betrübt. „Das ist eine vollkommen andere Situation, die in vielen Hinsichten viel schmerzhafter ist. Vor allem, weil man ja davon ausgehen sollte, dass man seiner Familie vertrauen kann.“ „Sie waren der Meinung, dass sie dir damit halfen, oder? Ihnen kam es zu diesem Zeitpunkt offenbar richtig vor.“ „Du missverstehst das... Sie machen das schon immer so. Seit die Markrhons existieren, bilden sie alle ihre Kinder aus. Sie müssen Folter widerstehen und eine Soldatenausbildung absolvieren. Und sie dürfen nicht scheitern.“ „Du kannst dich wieder bekleiden.“, flüsterte Kelvin vorsichtig und erhob sich. Er nahm sich einen Eimer, um seine Hände abzuwaschen. Er wusste, dass viele Krankheiten durch mangelnde Hygiene ausbrachen oder erst richtig schlimm worden. Deshalb versuchte er sich reinlich zu halten. Erst recht, wenn er offene Wunden behandelt hatte! Billie nahm sich derweil wieder ihre Kleidung entgegen, um sich diese überzuziehen. Selbst die Gürtel und Schutzteile wurden fachgerecht wieder befestigt. Dabei wirkte sie keineswegs bewegungseingeschränkt. Ihre Ausbildung war vielleicht übertrieben hart gestaltet, aber sie war definitiv effektiv., musste der Rebellenanführer zugeben. Es macht nach außen den Eindruck, als würde sie gar keinen Schmerz spüren. Und im Kampf sah es so aus, als würde der Schmerz sie eher anfachen. „Ich würde das gerne lernen.“, sagte er plötzlich und konnte selbst nicht fassen, dass es aus ihm herausgesprudelt kam. „Ich möchte lernen, Folter auszuhalten und Schmerzen. Ich will auch so schweigen können wie du.“ Skeptisch drehte sich die Elfe zu ihm und sah ihn mit verengten Augen an. Er erkannte, dass sie an seinem Verstand zweifelte. Wenn er ehrlich war, tat er das gerade auch! Diese Bitte war absurd, wenn auch in der aktuellen Situation des herannahenden Krieges verständlich. Jeder Zeit konnte der Rebell gefangen genommen werden. Wenn er dann nicht schweigen konnte, würde die ganze Rebellion einfach in sich zusammenfallen. „Du bist wahnsinnig.“, sagte sie dann nüchtern. Wenn sie seine Bitte wütend machte, zeigte sie es zumindest nicht. Eine Weile lang sagte keiner etwas. Sie stand nur da und starrte in die Leere des Raums, während er sich auf den Fußboden setzte. Er bekam gar nicht mit, wie er sich in den Schneidersitz begab und ein bisschen vor und zurück wippte. Er musste ein bisschen kindisch nach außen wirken. Die Wahrheit war jedoch, dass er seit dem Tod von Amelie nicht wirklich stillhalten konnte. Er war ruhelos. In ihm brannte solch ein Feuer, das drohte ihn zu übermannen, wenn er es nicht abarbeitete. Deshalb schlief Kelvin auch kaum noch. Das sorgte sicherlich auch für seinen überreizten Zustand und seine alarmierende Wirkung bei Missionen. Anders als sonst, empfand er diese Stille nicht als unangenehm. Wenn seine Crew nichts mehr sagte, dann fühlte er sich unbehaglich. Haderte mit seinen Worten. Fing an, an sich und seiner Sache zu zweifeln. Doch bei ihr kam es ihm nicht so vor, als habe er gerade irgendwas falsch gemacht. „Das ist eine harte Ausbildung, die du antreten möchtest, Kelvin.“, sagte die Blondine ernst. „Du lernst nur dann Folter zu widerstehen, indem du selbst gefoltert wirst. Du wirst mir Dinge anvertrauen, die du noch niemandem gesagt hast. Das bleibt nicht aus. Und du wirst betteln...“ „Das ist mir bewusst.“, erwiderte der Rebellenanführer seltsam überzeugt. „Aber ich muss im Falle einer Gefangennahme schweigen können. Ich weiß, wer unsere Mitglieder sind und ich weiß, wo sie sich aufhalten. Ich kenne unsere Pläne, unsere Finanzen... Mit mir steht und fällt alles. Doch sollte ich mal gefangen genommen werden, möchte ich sicherstellen, dass nicht alle sterben.“ Die Attentäterin sah ihn einfach nur an. Eine Augenbraue angehoben und mit Skepsis in den Augen. Er war sich nicht sicher, ob sie an seinen Fähigkeiten zweifelte oder daran, dass er es schaffen konnte. Etwas in ihr ließ sie zumindest hadern. Das zeigte ihm, dass sie ganz anders war als ihre Familie. Keiner von ihnen hätte lange gezögert, sondern ihn direkt auf die Folterbank geschnallt. „Im Orden der Attentäter bilde ich die Rekruten aus. Ich kümmere mich durchaus auch darum ihnen beizubringen, Schmerzen zu widerstehen und Folter auszuhalten.“, erklärte die Elfe schließlich sachlich. „Ich kann dir das beibringen und ich kann es auch schnell machen. Ich kann dir nicht nur das beibringen, Kelvin... Du kämpfst gut, doch du könntest besser sein. Viel besser. Wenn du das wirklich tun möchtest, dann will ich keine halbe Sache daraus machen. Wenn, dann möchte ich dich zu einem richtigen Attentäter ausbilden. Ich würde dich Kontrolle lehren und dich unabhängiger von deiner Magie formen. Ich habe dich in den letzten Wochen beobachtet und denke, dass du es schaffen kannst. Dafür wirst du deine persönlichen Laster allerdings loslassen müssen. Ich weiß nicht, ob du dazu bereit bist? Diese Frage kannst du dir nur selbst beantworten.“ „Ich bin bereit loszulassen.“, erwiderte er aufrichtig. „Ich warte schon ewig darauf, dass mir jemand zeigt, wie ich loslassen kann.“ „Gut, dann sei es so. Ich werde dir alles beibringen, was ich dir beibringen kann. Wir beginnen morgen mit deiner Ausbildung.“ Kelvin grinste stolz. Er hatte sie überzeugt! Und er würde neue Fähigkeiten erwerben, um es dem Weltenlenker noch schwerer zu machen. Vielleicht würde diese Ausbildung sogar dafür sorgen, dass sie bald einen Sieg davontrugen. Er konnte es wirklich nicht voraussagen. Doch eines wusste er gewiss: Das würde die Karten nochmals neu mischen. „Und erklärst du mir noch die Sache mit deinem Schwert?“, hakte er trotzdem nach. „Und was das für ein riesiger Wolf ist, der einfach auftaucht und wieder verschwindet?“ „Dafür, dass du echt in die Enge getrieben worden warst, sind dir aber viele Details aufgefallen.“ „Ich bin eben ein sehr aufmerksamer Mann.“ „In der Tat.“ Wieder Schweigen. Bei jeder seiner Fragen schien sie zu sinnieren, ob sie ihm vertrauen konnte. Ob er soweit war. Ihre Vorsicht begrüßte der Essenzbeherrscher sehr. Das war eine gute Eigenschaft, wenn man in ihrer Branche tätig war und auch für einen echten Freund. „Hast du von den Waffen gegen Langlebige gehört? Ihr bezeichnet sie auch gerne als Unsterbliche.“ „Nein, bisher nicht.“ „Hätte mich auch sehr gewundert. Wyrnné versucht alles, um diese Waffen geheim zu halten. Sobald es ihm möglich war, hat er alle Schriften dazu vernichten lassen. Und jeden, der mehr darüber weiß...“ „Ist dein Schwert eine dieser Waffen?“ „Ja und nein.“, antwortete die Elfe verworren und schien jedes Wort genau abzuwiegen. „Wo fange ich nur an?“ „Am besten am Anfang.“ Sie rollte genervt mit den Augen, ehe sie unruhig durch sein kleines Zuhause wanderte. Egal, worum es genau ging, es fiel ihr offenkundig schwer, es einem Außenstehenden zu erklären. Vielleicht war es ihr sogar verboten. Trotzdem würde er nicht so leicht lockerlassen! Er hatte gesehen, dass ihre Waffe einfach durch Drachenschuppen schnitt. Vielleicht konnte man damit den Weltenlenker töten. Vielleicht will sie es mir deshalb nicht sagen. Damit ich ihn nicht umbringen kann., wurde es ihm plötzlich klar. Sie liebt ihn und hofft, dass sie ihn vielleicht noch bekehren kann. „Vor langer, langer Zeit – noch lange vor dem ersten Krieg der Rassen – gab es eine Einigung zwischen allen Völkern. Sie schmiedeten gemeinsam Waffen, die so mächtig sein sollten, dass Gott selbst sich vor ihnen fürchten sollte.“, begann die Blondine dann schließlich doch noch. „Die Menschen steuerten das Mithril bei, welches unbedingt dafür gebraucht wurde. Die Zwerge bearbeiteten die Erze und formten die Waffen in ihren Öfen daraus. Im Anschluss verzauberten die Elfen jede Waffe speziell mit Waffenrunen. Das mag einfach klingen, ist es aber nicht. Mithril ist immer noch ein wahnsinnig seltenes Erz, welches sehr schwer zu verarbeiten ist. Kaum einer kann das noch. Niemand so wie die Zwerge. Und die Zwerge sind fast ausgestorben. Außerdem sind auch die Öfen von ihnen von großer Bedeutung. Die Runenmagie der Elfen ist auch ein Geheimnis von ihnen. Sie teilen es nicht mit Außenstehenden. Ich bezweifle auch, dass ein Nichtelf sie erlernen könnte...“ „Du bist eine Elfe. Kannst du diese Magie wirken?“ „Dir entgeht wirklich gar nichts, was?“ „Ich bin der Stolz meiner Mutter.“, sagte er spöttisch. „Das glaube ich gerne, aber ja. Ja, ich kann diese spezielle Waffenmagie anwenden.“ „Also könntest du theoretisch solche Waffen herstellen?“ „Ja und nein. Ich bräuchte die Schmiedeöfen und -künste der Zwerge und genug Mithril. Eine solche Übereinkunft ist heutzutage nicht mehr möglich.“ „Woher hast du dein Schwert bekommen, wenn es so unmöglich ist, noch welche herzustellen?“ „Die Waffen gegen Langlebige sind fast unzerstörbar. Fast... Es gibt wenige erfolgreiche Wege, weshalb es aus der damaligen Zeit nur noch fünf Waffen gibt. Eine ist in Besitz vom Weltenlenker. Mein Vater besitzt die zweite... Auch die letzten Drachen beherbergen eine der Waffen. Mit einer der Gründe, weshalb der Weltenlenker sie unbedingt vernichten möchte. Die letzten beiden sind bei den Zwergen und den Elfen.“ „Hast du die Waffe der Elfen erhalten?“ „Nein.“ „Die deines Vaters?“, hakte er weiter nach. „Oh Gott, nein. Die würde er mir niemals überlassen.“ „Okay, das ist der Punkt, ab dem ich nicht mehr folgen kann“, gestand Kelvin verwirrt. Sie grinste darüber, als habe sie genau das beabsichtigt. „Es gibt noch drei... sozusagen unbekannte Waffen. Kaum einer weiß um ihre Existenz. Wyrn-... Der Weltenlenker weiß von ihnen gar nichts.“ „Aber du sagtest, dass von damals nur noch fünf Waffen existieren würden.“ „Das ist ja auch die Wahrheit.“ „Weshalb gibt es dann drei Waffen, dessen Existenz beinahe unbekannt ist?“ „Mein Schwert habe ich damals mit meinem Verlobten hergestellt. Wir hatten keine Ahnung, was wir da machen.“, erklärte Billiana schließlich sachlich. „Argrim war ein Meisterschmied unter den Zwergen und ich beherrsche die Waffenmagie der Elfen. Das Mithril war ein Geschenk von-... vom Weltenlenker.“ „Ihr habt mal eben zufällig eine so mächtige Waffe hergestellt?!“, hinterfragte Kelvin vollkommen empört. Das klang wie purer Wahnsinn! „Ich denke eher, dass wir fremdgesteuert wurden und es nicht merkten... Aber faktisch gesehen: Ja, es war Zufall.“ „Und sind die anderen beiden Waffen auch einfach mal so hergestellt worden?“ „Nein. Ihre Herkunft ist gänzlich unbekannt. Sie stammen weder von damals noch wurden sie zur heutigen Zeit hergestellt. Eine der Waffen ist sogar vor all den anderen Waffen erschaffen worden.“ „Woher willst du das wissen?“ „Weil ich dessen Träger kenne und genau weiß, wann er sie erhalten hat.“, erklärte sie. „Und ich kenne auch den Träger der anderen Waffe.“ „Du wirst mir vermutlich nicht verraten, wer die Träger der beiden Waffen sind und woher du sie kennst?“ „Auf gar keinen Fall!“, spottete die Attentäterin amüsiert, als habe er einen ausgezeichneten Witz gemacht. „Ich bin doch nicht verrückt. Du hast keine Ahnung, wie man Folter übersteht.“ Kelvin musste ja doch schief grinsen bei ihrer letzten Aussage. Recht hatte sie. Wenn diese Waffen weitgehend unbekannt waren, sollten sie es wohl auch bleiben. Sie würde deren Aufenthaltsort nicht ausplaudern und wenn er es nicht wusste, konnte er es auch nicht tun. „Und was ist mit diesem Wolf? Ist der auch zufällig geschmiedet worden?“ „Nein, nicht wirklich. Er kommt aus der Zwischenwelt. Wir haben einen Pakt geschlossen.“ „Zwischenwelt?“ „Die Welt, die zwischen allen anderen Welten existiert. Sie ist das, was alles zusammenhält und verbindet. Normale Menschen nehmen ihre Existenz nicht wahr, doch sie spielt in alles mit herein.“ „Also gibt es tatsächlich mehrere Welten wie der Weltenlenker behauptet?“, hinterfragte der Rebell ehrlich überrascht. Dass dieser Mann überhaupt mal die Wahrheit sagen konnte, hatte er nicht geglaubt. Irgendwann muss er ja mal die Wahrheit sagen. Sonst kommt er vermutlich selbst ins Schleudern bei seinen ganzen Märchen., dachte Kevin verbittert. Sein Hass war echt und greifbar. „Ja, in diesem Punkt hat er nicht gelogen.“, antwortete die Elfe langgezogen. Er konnte das „Aber“ schon richtig heraushören! Sie räusperte sich etwas, als spürte sie das: „Aber er lenkt keine einzige Welt. Genaugenommen hat er niemals eine der anderen Welten jemals besucht.“ „Er ist sehr kreativ...“ „Er schätzt seine Macht einfach nur falsch ein.“ „Und dieser Wolf ist ein Bewohner dieser Zwischenwelt? Wozu habt ihr diesen Pakt?“ „Mich unterstützt er in Kämpfen oder um mich schnell fortzubewegen.“, erklärte die Attentäterin nüchtern. „Er bekommt dafür die Seelen von allen, die er während eines Kampfes tötet als Tribut. Außerdem kann er durch mich die Zwischenwelt verlassen und diese Form annehmen.“ „Du überlässt ihm die Seelen deiner Opfer?“ „Zu meiner Verteidigung: Die wollen mich alle vorher umbringen und ich rufe ihn nicht jedes Mal.“ „Oh ja, das klingt gleich total beruhigend.“ Langsam zog Billie eine Augenbraue in die Höhe und musterte ihn skeptisch. Ihre Augen funkelten, als habe er etwas sehr Dummes gesagt. Kelvin musste zugeben, dass sie einem auch das Gefühl geben konnte, dass man wirklich dumm war. Nahezu unwissend neben ihr. Wie ein Kind. Doch wenn sie den Weltenlenker vor seinem Aufstieg gekannt hatte, war sie auch enorm alt. Neben ihr war dann auch jeder so etwas wie ein Kind. Es musste schrecklich sein, wenn man jeden überlebte und kaum einer diese Zeitspanne mit einem teilte. Ein leeres und einsames Leben. „Ereinion mag sehr beängstigend auf dich wirken und seine Nahrung... barbarisch, aber er kann nichts für seine Natur.“, sagte sie schließlich belehrend. „Kein Zwischenweltler besitzt eine eigene Seele. Damit dieser Ort weiter existieren kann – samt ihrer Kreaturen – müssen sie Seelen von den anderen Welten erhalten. Das erreichen sie nur durch Pakte. Nicht alle sind so, wie dieser. Manche wollen auch etwas unbedingt haben und gehen dann einen Pakt ein, um es zu bekommen. Wenn sie dann sterben, geht ihre Seele auf direkten Weg in die Zwischenwelt.“ „Klingt nach der Hölle. Darüber habe ich in No’gobor etwas gelesen...“ „So in etwa ist es auch. Du hast es richtig gedeutet. Normalerweise denkt ihr Menschen immer, dass die Unterwelt die Hölle sei.“ „Du meinst der Ort, von dem du stammst?“, hinterfragte Kelvin aufmerksam. Seine Recherchen halfen ihm enorm dabei, alles zu begreifen. „Ja, dort befindet sich der Seelenstrudel. Er ist für den Prozess der Wiedergeburt zuständig.“ „Man wird tatsächlich wiedergeboren?“ „Ja, sofern man seine Seele nicht an die Zwischenwelt verliert. Jede Seele, die dort landet, kommt nicht in den Seelenstrudel.“, erläuterte die Blondine etwas bekümmert. „Der Seelenstrudel reinigt jede Seele so gut es geht und verfrachtet sie dann bei einer Geburt wieder in einen passenden Körper. In der Zwischenwelt dienen Seelen jedoch nur als Brennstoff.“ „Klingt sehr kompliziert.“ „Ist es auch.“ „Ich denke, dass das tatsächlich mehr war, als ich eigentlich wissen wollte.“, gestand er mit einem ehrlichen Lächeln. „Danke, dass du mir all das erklärt hast.“ „Gerne. Ich denke, es ist gut, wenn du es weißt.“ „Warum?“ „Damit du keinen Pakt mit der Zwischenwelt eingehst, um den Weltenlenker zu schlagen.“, sagte sie mit amüsiert zuckender Augenbraue. „Da kennt mich aber jemand schon verdammt gut!“ Dieses Mal lächelte die Elfe. Nur konnte er ihr Lächeln nicht deuten. Es konnte Hohn sein, aber vielleicht war es auch ehrlich. Er musste aber gestehen, dass ihre Sorge wohl begründet war, denn er wäre vielleicht wirklich einen Pakt eingegangen. Vielleicht würde er es sogar mit seinem jetzigen Wissen noch immer machen! Ich muss wohl tatsächlich an meiner Einstellung arbeiten, sonst bin ich noch vor dem Weltenlenker tot., sinnierte Kelvin seufzend. Billiana hingegen verabschiedete sich von ihm. Sie schwor ihm, dass sie ihn sehr früh morgens aus dem Bett zerren würde, um seine Ausbildung zu beginnen. Wenn er ehrlich war, freute er sich darauf. Da er ohnehin kaum schlief, konnte diese Ausbildung vielleicht genau das Richtige für ihn sein. Es half ihm eventuell sogar dabei, endlich mal wieder Schlaf zu finden!   Nur Mut..., redete er sich weniger überzeugt selbst ein, als sie Heimdall betraten. Konstantin hatte es nicht geschafft, seine Männer davon zu überzeugen, ihn alleine gehen zu lassen. Sie waren alle erpicht darauf, ihren König unter allen Umständen zu beschützen. Dabei hätte er gerade Benedikt gerne aus dieser Angelegenheit herausgehalten. Auch, weil er fürchtete die Nerven zu verlieren. Was würde er dann von ihm denken? Und was würde er von sich selbst halten? Immer wieder sah er vor seinem geistigen Auge, wie sein Vater hier gehockt hatte. Neben dem Thron. Die Augen gebrochen und ohne Hoffnung. Und dann all das Blut, als man ihm qualvoll und langsam den Kopf von den Schultern entfernt hatte! Nun wieder hier zu sein, war wie ein wahrgewordener Albtraum. So oft hatte er sich hier an der Stelle seines Vaters gesehen und wie der Weltenlenker ihn noch brutaler tötete, weil er nicht seinen Vorstellungen entsprach. Nervös leckte er sich über seine trockenen Lippen. Nur brachte es nichts! Es fühlte sich für den Adelssohn so an, als wäre sein Mund genauso trocken wie seine Lippen. Er wusste, dass das alles nur in seinem Kopf stattfand, doch das half nicht wirklich. Es war genauso wenig hilfreich, wie wenn einem jemand sagte, dass man einfach an was anderes denken sollte. Leicht gesagt! Auf dem Thron saß er. Gelangweilt, wie auch schon damals. Das schwarze Haar sah gepflegt aus, ebenso wie die Uniform sauber an seinem Körper anlag. Neben ihm stand Altan, der zu grinsen begann. Je näher der König herankam desto dreckiger schien der Ausdruck im Gesicht des Inquisitors zu werden. Beinahe so, als konnte er seine Angst spüren und sich daran ergötzen. Irgendwann werde ich dich persönlich töten. Im Namen meines Vaters! Und all derer, die du auf dem Gewissen hast., dachte er wütend. Der Zorn würde ihm vielleicht helfen nicht vor Angst in Tränen auszubrechen. Sor’car bedeutete ihm und seinen Männern stehenzubleiben. Sie waren nur einige Schritte vom Thron entfernt. Weit genug, damit niemand den Weltenlenker problemlos angreifen konnte, doch nah genug, damit niemand schreien musste. Es fehlt nur noch die Anstandsdame, die verhindert, dass wir uns zu nah kommen..., dachte der König augenrollend. „Konstantin...“, säuselte der Weltenlenker mit seiner gewohnten, charismatischen Stimme. Tatsächlich setzte er sich für den Adelssohn sogar aufrecht hin und betrachtete ihn genauer. In den drei Jahren hatte er sich nicht verändert. Da war keine Falte hinzugekommen. Konstantin konnte nicht mal ein graues Haar entdecken oder einen Altersfleck! Das ließ zumindest vermuten, dass die Gerüchte um seine ewige Jugend der Wahrheit entsprachen. Auch Konstantin hatte sich nicht großartig in diesen drei Jahren verändert. Durch das Geschenk der Langlebigkeit alterte auch er nicht mehr wie früher. Es kam ihm manchmal so vor, als konnte er mit der Kraft seiner Gedanken beeinflussen, ab wann er alterte und um wie viele Stunden, Tage oder Wochen. Ob das wirklich so war, konnte ihm höchstens der Weltenlenker selbst beantworten, von dem das Geschenk stammte. „Ihr wolltet mich sehen, Mylord...“, murmelte der König und deutete eine Verbeugung an. Altan zeigte deutlich seinen Missmut und trat einen Schritt voran: „Verbeugt Euch gefälligst richtig!“ „Altan, mein Kind, ganz ruhig.“, besänftigte der Herrscher den Inquisitor sofort. „Er ist ein König und braucht sich nicht verbeugen.“ Auch wenn es dem Inquisitor nicht gefiel, ging er wieder zurück auf seinen angestammten Platz und beließ es dabei. Der König war sich aber sicher, dass er den Hass in seinen Augen glitzern sehen konnte. „Sor’car, Liebes, ich danke dir. Du kannst dich zurückziehen und dich ausruhen.“ „Danke, mein Herr.“, erwiderte sie und verbeugte sich. Sie hinterfragte das nicht, sondern ging mit der Eskorte, die sie hierhergebracht hatte. „Ich hoffe doch, dass deine Reise angenehm verlaufen ist, Konstantin.“ „Das kann ich nicht behaupten.“ „War Sor’car etwa unhöflich?“, hinterfragte der Weltenlenker mit ehrlicher Überraschung. „Sie meint es nicht so.“ „Lady Sor’car war ganz bezaubernd, Mylord, aber Eure... Geschöpfe haben ständig Streit angefangen. Wir kamen kaum voran.“ „Ja, sie sind manchmal etwas impulsiv... Ich werde mit ihnen sprechen.“ „Ich möchte wirklich nicht unhöflich sein, Mylord-...“, setzte der König an. Jedoch wurde er augenblicklich vom Schwarzhaarigen unterbrochen, dessen Augenbraue tatsächlich amüsiert hochzuckte: „Ich denke, dass du durchaus unhöflich sein möchtest.“ „Da habt Ihr natürlich recht.“, bestätigte der König und war überrascht über seinen eigenen Mut. Schon wieder. Langsam musste er doch glauben, dass sich etwas in ihm verändert haben musste. Einfach über Nacht! „Sei unhöflich, Konstantin, ich bitte darum.“ „Warum habt Ihr mich hierhergebeten? Ich habe wichtige und zahlreiche Angelegenheiten in Rabenwacht, die nach meiner ungeteilten Aufmerksamkeit verlangen.“ „Ahhh, du gehst wahrlich keine Umwege. Ich wusste, dass du mal ein guter König sein würdest.“, sagte er nicht ohne Stolz, als sei er sein Vater. „Ich hörte von deinen... Reformen. Die ganzen neuen Gesetze in deinem Reich.“ „Es hätte mich gewundert, wenn Ihr nicht davon gehört hättet.“, erwiderte Konstantin sarkastisch. Wieder ein Wort zu viel für den Inquisitor. Knurrend zog dieser seine Waffe. Benedikt zögerte nicht und stellte sich sofort vor seinen König und hielt in seiner Hand eine Axt. Jeder Zeit bereit, um es mit dieser übermenschlichen Bestie aufzunehmen. Nicht nur ich bin etwas zu mutig geworden., dachte der Adelssohn besorgt. Offensichtlich habe ich eine sehr ansteckende Wirkung. „Genug!“, rief der Weltenlenker lautstark. Altan zuckte heftig zusammen. Seine Waffe verschwand so schnell wieder, wie er diese gezogen hatte. In seinem Gesicht konnte man Reue erkennen, wenn man genau hinsah. „Altan, geh‘ vor die Tür. Wenn ich dich brauche, dann rufe ich dich.“, befahl der Weltenlenker streng. „Und keine Widerworte.“ Es gefiel dem Inquisitor nicht, den König und dessen Gefolge alleine mit seinem Schöpfervater zu lassen, trotzdem gehorchte er und ging. Dennoch ließ er sich den dramatischen Effekt nicht nehmen und knallte das große Doppeltor hinter sich zu. In dem Augenblick sinnierte Konstantin darüber, ob sie vielleicht nur große Kinder waren. So wie er, als er noch ein Prinz gewesen war. „Verzeihung. Er ist zurzeit besonders impulsiv.“, sagte der selbsternannte Gott leichthin. „Ich hörte, dass dein neues System gut funktionieren soll. Angeblich hast du sogar bessere Ernten denn je?“ „Das ist korrekt, Mylord.“, antwortete Konstantin überrascht. „Ich hatte anfangs höhere Ausgaben, weil ich jeden Bauer unterstützt habe mit Saat und Medizin - je nachdem, was dieser brauchte - doch am Ende hat es sich tatsächlich gelohnt. Ich bekam das dreifache zurück.“ „Das ist beeindruckend.“ Der König war sich nicht sicher, ob das eine Falle war. Das Interesse an seiner Reform war seltsam. Immerhin handelte er gegen die Regelungen, die der Weltenlenker einst beschlossen hatte. Es gab Menschen, die hatte er für weniger ohne Anhörung töten lassen. „Das Volk ist auch allgemein zufriedener. Die Gesuche sind stark zurückgegangen, was mir mehr Zeit für andere Angelegenheiten gibt.“ Die Haltung des Weltenlenkers wirkte entspannt, während er ihn neugierig zu mustern schien: „Wichtigere Angelegenheiten?“ „Nein, Mylord, keine Angelegenheit ist wichtiger, als sich die Sorgen meines Volks anzuhören. Ohne sie, gäbe es kein Königreich.“ Stille trat ein. Dieses Prinzip trat der Weltenlenker immerhin mit Füßen. Er meuchelte sein eigenes Volk nach Lust und Laune. Wenn er in seinem bisherigen Tempo weitermachte, dann regierte er bald über eine Geisterstadt, so viel war sicher. Falls seine Gottheiten tatsächlich unsterblich waren, dann blieben ihm am Ende nur noch diese. Konstantin war keinem dieser Götter bisher persönlich begegnet, doch er wusste, dass sie alle Eigenbrötler waren. Jeder auf seine eigene Weise. Doch vor allem waren viele von ihnen außerordentlich grausam und machtgierig. Ob man mit diesen wirklich irgendwann alleine in einer Stadt leben wollte, wagte er zu bezweifeln. „Ich bin interessiert...“, säuselte der selbsternannte Gott plötzlich. „Hast du noch mehr Änderungen der Gesetze geplant?“ „Selbstverständlich. Tausende.“ Überrascht zuckten die Augenbrauen des Schwarzhaarigen in die Höhe. So viel Ehrlichkeit kannte er bestimmt nicht. Hier in seinem Palast würden ihm alle stets sagen, was er hören wollte. Keiner würde ihn reizen. Trotzdem stahl sich ein schmallippiges Lächeln in sein Gesicht: „So schlimm sind meine Gesetze also?“ „Darauf wollt Ihr gewiss keine ehrliche Antwort.“ „Das glaube ich allerdings auch.“ „Werdet Ihr mich nun hinrichten lassen, Mylord? Ihr hattet mich in jener Nacht gewarnt...“ „Vermutlich sollte ich das tun, ja...“, murmelte er leise, als würde er mit jemanden sprechen, den nur er sah. „Aber ich möchte gerne sehen, wohin das Ganze führt. Inwieweit du den Aufschwung mit deinen Ideen wirklich schaffst.“ „Wie meint Ihr das?“, hakte Konstantin verwirrt nach. „Ich soll weitermachen?“ „Ich bitte darum.“ „Wo ist der Haken?“ „Du bist wahrlich der Sohn deines Vaters. So misstrauisch... Aber in diesem Fall begründet.“, lächelte der Weltenlenker. „Ich gebe dir ein Jahr Zeit. Schaffst du es, dass dein Land in diesem Jahr noch viel mehr Aufschwung erlebt, dann werde ich darüber nachdenken, einige deiner Ideen umzusetzen und mich von dir... beraten zu lassen. Solltest du es aber in diesem Jahr nicht schaffen, dein Land noch mehr zu entwickeln oder es entwickelt sich in eine Richtung, die ich nicht dulden kann, dann werde ich dich und alle, die du liebst, öffentlich hinrichten lassen. Natürlich absolut ehrlos.“ „Natürlich...“ „Bleib‘ eine Woche mit deinen Männern in Götterherz.“, lud der Weltenlenker ihn ein, nun wurde sein Gesicht wieder ernst. „Du darfst unsere Attraktionen natürlich frei besichtigen und die Bibliothek aufsuchen. Ich würde in dieser Zeit nur gerne erfahren, was du noch planst und was für Auswirkungen du dir erhoffst.“ „Mylord, ich habe ein Königreich zu regieren.“, erinnerte Konstantin ihn vorsichtig. „Ja, ich auch. Und eigentlich müsste ich dich sofort köpfen lassen. Willst du also lieber kopflos sein oder mal eine Woche Götterherz genießen?“ „Na, wenn Ihr mir solch eine verlockende Auswahl stellt...“ Eindeutig kopflos sein!, schrie er innerlich. Er musste wirklich mit sich kämpfen, um es dem Weltenlenker nicht ins Gesicht zu schleudern. Bisher kam er nämlich tatsächlich glimpflich davon und er hatte keine Ahnung, weshalb. „Man wird dir und deinen... Begleitern Zimmer zur Verfügung stellen. Deinen Leuten natürlich im Wohnbereich der Diener.“, erklärte der Schwarzhaarige nüchtern. „Du wirst eine persönliche Zofe bekommen. Wende dich bitte an sie, wenn du etwas brauchst oder Fragen hast. Sie wird dich auch über die Essenszeiten informieren.“ „Ihr seid zu großzügig, Mylord...“, log der König. „Ist es Euch recht, wenn ich meiner Frau einen Brief zukommen lasse, damit sie weiß, wann sie mit mir zu rechnen hat?“ „Selbstverständlich.“ „Vielen Dank, Mylord.“ „Ich habe zu danken, Konstantin.“, erwiderte er mit seiner verlockenden Stimme. „Genieße deinen Aufenthalt. Du darfst dich erstmal zurückziehen.“ Konstantin verbeugte sich höflich vor dem Weltenlenker. Benedikt und Durell folgten seinem Beispiel. Keiner von ihnen wagte es, etwas zu sagen. Ein falsches Wort war in Heimdall definitiv tödlich. Hier liefen zahlreichen von den grausamen Schöpfungen des selbsternannten Gottes herum! Geschweige denn von den ganzen Magiebegabten und Soldaten... Also zogen sie sich allesamt schweigend in die ihnen zugeteilten Zimmer zurück und hofften inständig, dass der Weltenlenker hier keine Falle ausgelegt hatte, in die sie bereitwillig hüpften.   Wenn ihn jemand fragen würde, weshalb er so gnädig mit Konstantin umsprang, dann würde er es nicht beantworten können. Bei Billiana verspürte er Gefühle und Zweifel. In der Nähe des Königs fühlte er sich wieder... menschlich. Bei der Elfe konnte er sich denken, warum sie das in ihm auslöste, doch nicht bei dem jungen Mann. Damals war es auch schon so gewesen. Als der damalige Prinz seinen Thronsaal betrat und voller Entsetzen das Antlitz seines Vaters erblickte, hatte er zu fühlen begonnen. Wyrnné hatte es da noch unterdrücken können, doch jetzt war Konstantin noch erhabener geworden. Noch einnehmender! Und das faszinierendste daran war, dass er es offenbar selbst gar nicht wahrnahm. In dir steckt so viel mehr..., sinnierte der selbsternannte Gott. Und du hast keine Ahnung davon. Genau das rettete ihm aber immer wieder das Leben. Wie oft hatte er schon mit dem Gedanken gespielt, ihn töten zu lassen und seine Reform rückgängig zu machen? Wie oft hatte er beschlossen, dass er ihn bis aufs Blut foltern lassen würde? Doch er hatte letztendlich immer wieder eine andere Entscheidung gefällt. Eine Stimme in seinem Kopf flüsterte ihm zu, dass Konstantin ihn schwach machte. Sie sagte ihm, dass er ihn beseitigen musste, um diese Schwäche endgültig auszumerzen. Eine lautere Stimme sagte jedoch, dass er darauf nicht hören durfte. Dass Billie recht hatte und es das Geflüster des Urbösen war, welches ihn lenkte. „Altan...“, murmelte er mit monotoner Stimme. Der Inquisitor hob sofort seinen Blick. Er konnte ihm ansehen, dass er sich für seine Wutausbrüche immer noch schämte. Der Weltenlenker war sich langsam sicher, dass er die Kontrolle über all das verlor. Dass seine Kreaturen deshalb so unglaublich wütend waren. „Hast du irgendwas aus dem Rebellen herausbekommen?“ „Ja, mein Herr.“, antwortete der Hüne mit gesenktem Blick. „Er sagt immer wieder, dass ein Kelvin ihn rekrutiert hat. Er versprach ihm Freiheit dafür. Doch er schwört, dass er keine Ahnung hat, wo man ihn finden kann.“ „Kelvin...“, wiederholte Wyrnné. „Dieser Name kommt mir vertraut vor.“ „Viele andere Rebellen haben ihn unter Folter genannt, Herr.“ „Da kam er mir auch schon bekannt vor. Ich weiß nur nicht mehr, in welchem Zusammenhang ich ihn einst hörte.“, gestand der Weltenlenker sich ein. „Es wird Euch gewiss wieder einfallen, mein Herr.“ „Hatte er denn noch weitere Informationen von Bedeutung, Altan?“ „Nichts, was wir nicht schon wussten. Er sprach auch von einem inneren Kern, der alle Angelegenheiten der Rebellion regelt.“, berichtete der Inquisitor weiter. „Er kannte aber keine Namen und konnte sie auch nicht beschreiben. Angeblich hat er sie nie getroffen.“ „Meinst du, dass er die Wahrheit sagt?“ Kurz erstarrt Altan und schien nachzudenken. Eine Fehleinschätzung konnte fatal sein, dass wusste er durchaus. Auch wenn er sich ziemlich sicher sein konnte, dass er ihn niemals töten würde. Nicht ihn. Nicht, weil er einer seiner Schöpfungen war, sondern weil Altan sein Lieblingskind war! Solange das so blieb, genoss er Narrenfreiheit. „Ja, Mylord.“, antwortete er schließlich. „Unter den Qualen würde keiner mehr lügen. Er würde gerade sogar seine eigene Mutter verraten.“ „Gut, dann lass‘ ihn hinrichten. Öffentlich. Alle sollen um seinen Verrat wissen und was ihnen blüht, wenn sie rebellieren.“ „Sehr gerne, mein Herr.“ „Und mach‘ es selbst.“, ergänzte der Weltenlenker nachdenklich. „Dich fürchtet das Volk von meinen Schafsrichtern immer noch am meisten. Du solltest generell häufiger die Hinrichtungen leiten.“ „Nichts wäre mir lieber, Herr.“ Wyrnné wusste, dass der Inquisitor in dieser Hinsicht nicht log. Nicht nur, weil er eine perverse Freude daran hegte, andere leiden zu sehen, sondern weil er einfach gerne den Wünschen seines Schöpfervaters entsprach. Solch Treue fand man in keiner Armee. „Was geschieht nun mit diesem König?“, hakte Altan missmutig nach. „Ihr wollt ihn doch nicht tatsächlich gewähren lassen?“ „Doch, das will ich.“ „Aber könnte das nicht Eure Position schwächen, Mylord? Er handelt gegen Eure Gesetze.“ Langsam blickte der Weltenlenker auf, während sich seine Augen verengten: „Zweifelst du etwa an meinen Entscheidungen, Altan?“ Sofort senkte der Inquisitor wieder seinen Kopf und schloss die weißen Augen. Wenn seine Haut nicht sowieso rot wäre, wäre es wohl spätestens jetzt passiert. Er schämte sich offenkundig für seine Wortwahl. Rasch schüttelte Altan schließlich seinen Kopf: „Nein, Mylord. Natürlich nicht.“ „Wenn ich es ihm gestatte, dann spielt Konstantin weiterhin nach meinen Regeln.“, erklärte er streng. „Wenn er seine Sache wirklich gut macht, dann kann ich von nun an sagen, dass er unter meiner Anleitung gehandelt hat. Niemand würde das infrage stellen. Sollte er jedoch versagen, kann ich behaupten, dass er zu eigenmächtig gewesen sei und ihn öffentlich dafür anklagen. Dann wird es keiner mehr wagen so etwas zu tun.“ „Sollte er es schaffen...“, begann Altan vorsichtig. „Werdet Ihr ihn dann tatsächlich als einen Eurer Berater zulassen?“ „Vermutlich.“ Das gefiel dem Inquisitor wohl noch weniger als alles andere. Seine Kreaturen mochten den jungen König einfach nicht. Kaum ein Mensch hatte es jemals geschafft, sie so um den Verstand zu bringen! Alle wollten ihm gerne den Kopf von den Schultern reißen und daraus sein Blut trinken. Also hatte er auf seine eigenen Geschöpfe die gegenteilige Wirkung. Er wusste nicht, ob und was das zu bedeuten hatte, doch er wusste, dass er dem nachgehen musste.   „Es ist wirklich bemerkenswert.“, sagte plötzlich eine Frauenstimme in der Finsternis. Sie konnte beobachten, wie der junge König vollkommen schockiert hochschrak und sogar in der Versuchung war, sich an die Brust zu fassen. Dabei konnte er als Langlebiger gar keinen Herzinfarkt bekommen! Sie wusste das, ob er das auch wusste, bezweifelte die Elfe allerdings. „Ich-... Wie?“ „Durch den Balkon.“ „Aber die-... Ich hatte ihn geschlossen!“, warf Konstantin atemlos ein. „Und ich habe nichts gehört.“ „Majestät, es ist meine Spezialität lautlos überall hereinzukommen.“ „Seid Ihr hier, um mich-...“, er brach ab und fühlte sich offenkundig unwohl. Wahrscheinlich, weil er eben erst dem Tod knapp entkommen war, als er vor Wyrnné gestanden hatte. Nun schon wieder den Tod zu fürchten, musste wahrlich grausam sein. „Nein, Majestät, dann hätte ich Euch nicht vorher auf mich aufmerksam gemacht.“, säuselte Billiana sanftmütig. Langsam ging sie in dem riesigen Schlafgemach etwas auf und ab. Betrachtete die teuren Dekorationen und wunderschönen Möbelstücke, die ebenso wertvoll waren. Der Weltenlenker ließ sich nicht lumpen, wenn es um die Ausstattung seiner persönlichen Räumlichkeit ging. Und auch nicht, wenn es um die Gästezimmer ging. Vorsichtig berührte sie eine Vase. Sie kam aus einem fernen Land. Billie erkannte es an den Malereien und die Verarbeitung. Die Farben waren magischer Natur. Es war gewiss ein Geschenk gewesen, um Wyrnné milde zu stimmen, damit er keinen Krieg anfing. Dafür war er immerhin bekannt... Verfolgung, die über Landesgrenzen hinaus ging. Konstantin traute sich offenkundig nicht, das Wort an sie zu richten. Er saß auf seinem Bett, umklammerte das Buch, welches er zuvor noch gelesen hatte und beobachtete sie mit offenem Mund. Es kam ihr sogar so vor, als bewunderte er sie. Als würde er jede Bewegung ihres goldenen Haares beobachten, die Anmut, die sie beim Gehen an den Tag legte und ihre frauenuntypische Bekleidung. „Ich bin eine Attentäterin. Aber das habt Ihr wohl schon bemerkt, Majestät.“ „Ich hatte es vermutet, muss ich gestehen...“ „Ihr habt einen meiner Schützlinge in Euren Diensten.“, merkte die Elfe zärtlich an. „Gaia. Ich habe sie damals ausgebildet.“ „Sie... ist ein wahrer Gewinn.“, erwiderte er nun etwas mutiger. „Danke dafür.“ „Nichts zu danken.“ Behutsam legte der König sein Buch beiseite, um sich aus dem Bett zu schälen. Weder sie noch er störten sich an seinem Nachthemd. Das gehörte bei nächtlichen Besuchen dazu. Nicht, dass er nicht auch darin sehr erhaben wirken würde! Wyrnné hat ihn tatsächlich richtig eingeschätzt... Der geborene König., musste sie sich eingestehen. Er hat den Thron niemals gewollt. Die Krone trägt er so ungern... Und doch hat er etwas an sich. Etwas Königliches. „Weshalb kommt eine Attentäterin mitten in der Nacht in meine Gemächer, wenn nicht, um mich zu töten?“ „Eine ausgezeichnete Frage!“, sagte sie etwas zu euphorisch für den Inhalt ihrer Unterhaltung. Trotzdem antwortete die Elfe ihm nicht sofort. Sie schien sich auf etwas zu konzentrieren, was nur sie wahrnehmen konnte. Es gab ihm Zeit, ihre schwarze Kleidung genauer zu mustern. Sie wusste sehr genau, dass ihre Ausrüstung absolut einzigartig war und man es auch sah. Schließlich schien auch der König zu verstehen, weshalb sie schwieg. An der Tür konnte man nun deutlich Wachen hören, die miteinander sprachen und vorbeigingen. Offenbar war ihr Eindringen noch nicht aufgefallen, denn sie unterhielten sich über ihre Gattinnen und Kinder. Es war keine Aufregung in ihren Stimmen. „Ich wollte sehen, wer es schafft, bei Wyrnné einen Sinneswandel zu verursachen.“, sagte sie schließlich, als die Soldaten außer Hörweite waren. „Wyrnné?“, hinterfragte er verwirrt. Oh verdammt... Wieso kann ich es auch nicht sein lassen?, rügte sich die Elfe selbst. Na ja, er wird es wohl kaum rumerzählen. Dann müsste er offenlegen, woher er diese Information hat. Und er würde ihn töten... „Der Weltenlenker.“, korrigierte sie sich also doch. „Ein gefährliches Wissen. An Eurer Stelle würde ich es schnellstmöglich vergessen.“ „Im Vergessen bin ich leider gar nicht gut.“, gestand Konstantin. „Ja, davon habe ich gehört.“ „Von Gaia?“ „Unter anderem.“, bestätigte sie ihm nachdenklich. „Ihr seid ein außergewöhnlicher Mann, Konstantin Maximilian von Rabenwacht. Viele beobachten Euch und Eure Taten. Die Entwicklung Eures Landes... Manche mit Bewunderung, andere mit Hass und dann noch jene, die voller Spannung sind.“ „Zu welcher Art gehört Ihr?“ „Ich bin eine große Bewunderin Eures Mutes, Eurer Intelligenz, Eurer Großmütigkeit und Eurer Weitsicht, Majestät. Deshalb überließ ich Euch gerne Gaia.“ „So viel Lob...“, murmelte er sichtlich verlegen. „Das bin ich nicht gewohnt.“ „Ich weiß, was damals mit Eurem Vater wirklich geschehen ist, Majestät. Ich weiß, dass er ihn vor Euren Augen tötete, auch wenn die Geschichten anders ausgelegt worden.“ „Woher... wisst Ihr das?“ „Ihr habt mich damals nicht wahrgenommen, aber ich war auch dort. Verborgen.“ „Dient Ihr ihm?“, hinterfragte Konstantin scharf. „Dient Ihr dem Weltenlenker?“ „Nein.“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Ich diene nur mir selbst. Man nennt mich allgemein Athena. Ihr habt vielleicht auch in Rabenwacht von mir gehört...“ „Athena!“, keuchte der Lockenkopf ehrlich überrascht. „Ja, ich habe die Geschichten durchaus vernommen. Ihr habt zahlreiche von seinen Anhängern getötet...“ Sie lächelte mysteriös, während sie auf ihn zukam. Ihre Finger glitten kurz über sein bärtiges Kinn, ehe sie wieder durch das Zimmer wanderte. Es war beinahe so, als würde sie hier etwas suchen. Billiana wusste, dass dem nicht so war. Sie hatte es längst gefunden. Die Antwort auf die Frage, weshalb der Weltenlenker den jungen König verschonte. Er sah die Zukunft in ihm. Und sie sah diese auch... Klar und deutlich. „Wisst Ihr, was Wiedergeburt bedeutet, Majestät?“ „Nun, es bedeutet, dass Menschen oder Nichtmenschen, die sterben, irgendwann wiedergeboren werden.“, antwortete der belesene Mann vorbildlich. „Es gibt mehrere Theorien dazu. Einige besagen, man könne als alles zurückkehren, was man möchte. Andere vermuten, dass es darauf ankommt, wie man lebte. War man böse, wird man im nächsten Leben in eine Gestalt gesteckt, die das Verhalten bestraft.“ „Glaubt Ihr an die Wiedergeburt?“ Das war eine schwierige Frage. Eine, die sich zahlreiche Gelehrten bereits gestellt hatten. Da die Meinungen zu dem Thema stark auseinander gingen, gab es keine klaren Aussagen zu dieser Thematik. Aber es gab natürlich viele Theorien! Konstantin selbst hatte sich bisher kaum mit dieser essenziellen Frage beschäftigt. Obwohl der Tod in seinen Alltag verborgen ein ständiger Begleiter war, seit er sich entschieden hatte, die Gesetze des Weltenlenkers zu brechen. Doch irgendwann hatte er beschlossen, dass wenn er schon einen Tanz mit dem Tod machte, er nicht allzu sehr darüber nachdenken wollte. „Ich weiß es nicht...“, antwortete er schließlich unsicher darüber, wohin das hier führen sollte. „Kennt Ihr das Gefühl, wenn Ihr jemanden das erste Mal begegnet und Ihr findet diese Person einfach absolut fantastisch?“ Seine verlegene Röte und der ertappte Blick zeigten ihr, dass er dieses Gefühl durchaus kannte. Dass es sogar ein aktueller Zustand zu sein schien. „Ihr wisst also, was ich meine...“, sagte sie lächelnd. „Und Ihr kennt es dann gewiss auch, wenn man jemanden einfach direkt nicht leiden kann? Man sieht ihn und man ist sich absolut sicher, dass man niemanden jemals so hassen kann.“ „Ja, auch das kenne ich.“, gestand Konstantin schließlich. „Das fühle ich jedes Mal, wenn ich diesen Dingern vom Weltenlenker begegne.“ „Da seid Ihr gewiss nicht der Einzige, dem es bei denen so geht...“, schmunzelte die Attentäterin. „Verwandte Seelen fühlen sich zueinander hingezogen. Sie finden ihren Weg. Wenn in einem vorherigen Leben eine sehr enge Partnerschaft geschlossen wurde, dann versucht die Seele die des Partners wiederzufinden. Nicht bewusst... Man steht irgendwann vor dem Wiedergeborenen und ist direkt... verliebt.“ „Ihr meint das Phänomen, das man Liebe auf den ersten Blick nennt?“ „Genau! Ihr seid wirklich klug...“ „Also wollt Ihr mir sagen, dass alles stimmt? Es gibt Wiedergeburten?“, wollte er neugierig wissen. „Ja, definitiv. Nur kann man nicht als alles wiedergeboren werden. Ein Mensch kehrt stets als Mensch zurück. Ein Zwerg kann nur als Zwerg wiedergeboren werden. Ein Elf als Elf und so weiter...“ „Weshalb erzählt Ihr mir das?“ „Weil ich vermute, dass Ihr Wyrnné schon mal begegnet seid. In einem früheren Leben.“, erklärte sie ohne Umschweifen. „Er fühlt sich bei Euch wohl und will Euch nicht schaden. Das ist sehr ungewöhnlich für ihn... Und da ich in Euch keine Magie spüren kann, die das vielleicht verursachen könnte, scheint mir das logischer zu sein. Seine Seele zieht es zu Eurer.“ Der König musste sich tatsächlich auf einer Kommode abstützen, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. Er sollte eine wiedergeborene Seele in sich tragen, die einst schon mal dem Weltenlenker begegnet war? Er wusste wirklich nicht, was er davon halten sollte. Immerhin war das der Mörder seines Vaters! Wenn er die Klinge auch nicht selbst geführt hatte... Die Elfe bedrängte ihn nicht weiter. Ließ ihm die Zeit, die er brauchte, um sich irgendwie wieder zu fangen. Sie schien zu verstehen, dass ihm das alles schwer auf den Magen schlug. Nur enge Anhänger wurden gerne mit dem angeblichen Gott in Verbindung gebracht. „Worauf... wollt Ihr genau heraus, Lady Athena...?“, hakte er mit trockenem Mund nach. „Wir sollten diese Verbindung ausnutzen, Majestät.“, erwiderte sie einfühlsam. „Ihr könntet vielleicht dafür sorgen, dass er seine Art zu denken nochmals ändert. Einen anderen Weg einschlägt... Er scheint sich nicht bewusst zu sein, weshalb er Euch beschützt. Ihr könntet sein Vertrauen gewinnen.“ „Und was dann? Finde ich heraus, wie man ihn töten kann und man wirft ihn vom Thron?“ „Ich weiß, wie man ihn töten kann. Dazu brauche ich Euch nicht.“ Skeptisch zog der König die Stirn kraus und sah sie ungläubig an: „Wenn Ihr das wisst, warum lebt er dann noch?“ „Nun, ich kenne ihn gewissermaßen auch aus einem früheren Leben.“, gestand die Elfe vorsichtig. „Ich würde ihn lieber bekehren wollen.“ „Ich glaube nicht, dass das möglich ist.“ „Wenn man es nicht versucht, kann man es auch nicht wissen, Majestät.“ „Ich werde darüber nachdenken...“, murmelte er wahrheitsgemäß. „Aber ich verspreche nichts. Immerhin muss ich dann sehr dicht an ihn heran.“ „Mehr verlange ich gar nicht. Danke.“, sagte Billie aufrichtig. Und ich muss herausfinden, wessen Seele in dem König steckt und inwieweit er mit Wyrnné zu tun gehabt hat., beschloss die Elfe überzeugt. Wie schwer kann das schon sein? Es muss ein Mensch in den letzten Jahrhunderten gewesen sein, der verstorben ist. Wie viele können das schon sein? Billiana wusste genau, dass hierbei mehrere Millionen infrage kommen würden. Es war ein bisschen wie die Suche nach einer bestimmten Nadel im Nadelhaufen. Doch wenn Wyrnné sich gewissermaßen selbst verriet, dann wollte sie auch den Grund dafür wissen. Wo er doch Verrat so sehr verabscheute... Gerade, als sie noch etwas sagen wollte, hörte sie schwere Schritte auf dem Flur. Deshalb schwieg sie. Falls wieder eine Wache vorbeikam, wollte sie nicht auf dem Endspurt noch erwischt werden. Doch es war offenkundig keine Wache, denn derjenige klopfte kurz an die Tür und öffnete sie dann. Sie erkannte den schockierten, schmutzigen Hauptmann. Es musste für Benedikt sehr fragwürdig aussehen, dass eine fremde Frau im Gemach seines Königs stand, der sich immer noch etwas an der Kommode abstützte. Gerade hier in Götterherz! Mehr Anschläge gab es eigentlich nirgendwo. Es überraschte sie nicht, dass er schon im nächsten Atemzug seine Äxte zog, während sein Gesicht sich verfinsterte. Nicht, dass er zuvor wesentlich freundlicher dreingeschaut hätte, doch man konnte sich stets überbieten. Darin war er sowieso König. Zumindest wenn sie den zahlreichen Berichten über den alkoholsüchtigen Hauptmann glauben konnte. „Benedikt.“, keuchte Konstantin ehrlich überrascht. Sie hatten sich offenbar nicht verabredet, also hatte der Krieger wohl nur nachsehen wollen, ob es seinem König gut ging. Auch das war nicht verwunderlich. „Finger weg von meinem König!“, schrie Benedikt wütend und kam näher. „Ich berühre ihn doch gar nicht...“, warf die Elfe verwirrt ein und hob die Hände. Sie stand nicht mal besonders nah an ihm dran! Da ist aber jemand sehr empfindlich, wenn es um seinen König geht... Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass seine Wurzeln in einem anderen Reich liegen., sinnierte Billie für sich. „Benedikt, ganz ruhig!“, rief der König noch, doch das ging offenbar schon in einem Rauschen unter. Wie ein Berserker stürzte sich der Hauptmann auf die Attentäterin. Die Äxte hob er über seinen Kopf und wollte sie auf die Frau niedersausen lassen. Billiana wich dem Angriff knapp aus. Der Mann fackelte jedoch nicht lange und setzte sofort erneut an, um sie weiter zurückweichen zu lassen. Obwohl man meinen sollte, dass eine so schnelle, wütende Angriffsfolge ungenau sein sollte, war sie es nicht. Er war weiterhin geschickt und hätte sie schon mehrmals tödlich verletzt, wenn sie nicht so gute Reflexe hätte. Die Elfe musste schließlich sogar ein Spagat machen, um einer Enthauptung zu entgehen! „Um Himmelswillen, Benedikt!“, hörte sie Konstantin rufen, doch es ging in der Hitze des Gefechts eher unter. So ging es offenbar auch Benedikt. Er reagierte einfach nicht. Dafür reagierte er jedoch auf die Elfe. Als sie sich so verrenkte, wollte er mit einer Axt nach unten schlagen. Es war eine Finte, denn er holte mit der zweiten aus, als sie eine Rolle zur Seite machte. Schmerz durchströmte ihren Körper, als die Schneide der Axt ihr den halben Arm aufschlitzte. Er hätte vermutlich ihre Knochen beschädigt, wenn sie nicht ihre Schutzkleidung getragen hätte. Auch er schien darüber überrascht zu sein, denn er sah etwas schockiert auf ihren blutenden Arm. Auch wenn ihre Kleidung so aussah, als bestünde sie nur aus Stoff, waren die Fasern mit Metallen verstärkt. Hier und da waren dazu Schutzplatten befestigt, die klein und leicht waren, um ihre Bewegungen nicht einzuschränken. Das bot für eine Frau wie sie den optimalen Schutz und ließ Feinde sie falsch einschätzen. Rasch sprang die Elfe auf und hielt sich den blutenden Arm, während ihre eisblauen Augen ihn fixierten. Er fand seine Fassung in diesem Augenblick wieder. Sofort preschte er wieder voran, um erneut nach ihr zu schlagen. Nun waren ihre Bewegungen langsamer, doch sie entkam immer wieder knapp weiteren Treffern. „Woah!“, keuchte Billiana jedoch, als er plötzlich wesentlich schneller voranpreschte. Er beendete Distanz, die eben noch so sicher erschienen war. Das war der Moment, wo sie ihn nicht mehr schonen konnte. Ihre Seelenklinge erschien in einem schwarzen Nebel in ihrer heilen Hand und sie schlug die Axt damit zurück. Benedikt war sichtlich überrascht über die plötzliche Waffe, stellte es aber nicht infrage. Stattdessen setzte er ihr weiter zu. Jetzt aber hatte die Blondine ein Schwert, um seine Hiebe abzuwehren oder ihn sogar zu blockieren. Ich muss zugeben-..., dachte die Attentäterin ernst. Er ist verdammt gut! Für einen Menschen. Eigentlich hatte sie den Hauptmann nicht verletzen wollen, doch er ließ ihr keine Wahl. Deshalb stieß sie einen Überschuss aus Magie aus, um ihn zurückstraucheln zu lassen und dann voranzuspringen. Jetzt war sie es, die eine schnelle Schlagabfolge auf ihn einregnen ließ. Gezielt und geschickt, damit sie endlich wieder etwas Land gewann. Um Fassung musste dieser Mann jedoch nicht kämpfen. Bald schon parierte er ihre Schläge wieder geschickt oder holte sogar zu Gegenangriffen aus. Falls er gerade betrunken war, dann schien der Alkohol auf seine Sinne keine negativen Auswirkungen zu haben. Das zwang sie dazu, einen weniger ehrhaften Kampfstil einzuschlagen, indem sie immer mal wieder nach dem Krieger trat. Einmal erwischte sie ihn mit ihrem Stiefel mitten im Magen. Ein anderes Mal war es sein Knie. Doch er keuchte immer nur etwas auf und bedrängte die Attentäterin schließlich weiter. Plötzlich erklang ein lautes, metallenes Poltern und ließ beide zusammenfahren. Es klingelte so heftig in ihren Ohren, dass sogar ihre Seelenklinge einfach im Nichts verpuffte! Schmerzhaft griff sie sich nach ihren Elfenohren und krümmte sich etwas. Als sie endlich wieder Fassung fand und aufblicken konnte, sah sie Konstantin, der etwas verzweifelt einen Metallschild hielt. Auf den hatte er wohl mit seinem Schwert geschlagen, um die Streitenden endlich voneinander abzulenken. Sehr effektiv, wenn auch für eine Elfe, dessen Sinne so geschärft waren, ein einziger Albtraum. Doch auch Benedikt schien nicht unbeeindruckt von solch einem Lärm zu sein. „Genug jetzt!“, meckerte der König schließlich. „Sie will mich doch gar nicht umbringen!“ „Was...?“, hinterfragte Benedikt sichtlich verwirrt. „Aber-... Ihre Kleidung... Und Ihr stützt Euch auf Eurer Kommode...“ „Mir war kurz schwindlig und wir haben uns lediglich unterhalten. Hättest du mir mal direkt zugehört, wüsstest du das.“ „Ver-... Verzeihung.“ Die beiden unterhielten sich weiter, doch bei ihr ging es in einem Rauschen unter. Es fiel ihr schwer, den klingelnden Schmerz aus sich zu vertreiben. Etwas in ihr wollte auch vermeiden, nochmals die Sinne so zu schärfen, um dann wieder durch solch einen Krach aus der Bahn gerissen zu werden. Aber die Attentäterin wusste, dass sie es tun musste. Just im nächsten Moment bereute sie es beinahe schon. Ihr wurde sofort klar, wer bereits die Flure dieses Bereiches erreicht hatte. Sie waren einfach zu laut gewesen. „Verdammich...“, fluchte die Blondine und machte so auch die Männer aufmerksam. Abrupt sprang die Tür auf. Sie fiel fast aus den Angeln! Offenbart wurde ein wütender Altan, der den Ursprung des Lärms schnell gefunden hatte. Benedikt stellte sich sofort vor seinen König, um ihn zu beschützen. Er kam gar nicht auf die Idee, dass der Inquisitor nicht vorhatte, Konstantin irgendwas zu tun. Die Augen der Bestie ruhten nämlich nur auf der Elfe. „Endlich...“, grinste er mit einer hässlichen Fratze, die einen an den Teufel glauben ließ. „So oft haben wir uns schon verpasst, Elfe.“ „Bedauerlich, dass wir uns nicht wieder verpasst haben.“ Billie wich einige Schritte zurück, während Altan eine riesige Sense hinter seinem Rücken hervorholte. Wie bei Inquisitoren üblich, war an dessen Klinge Widerhaken befestigt. Sie wusste beim besten Willen nicht, weshalb sie die Idee gehabt hatte, sich den König mal genauer angucken zu wollen und das mitten in Heimdall! Ihre Magie war erschöpft. Erst die Sache mit Mammon, kurz darauf der Kampf gegen den Drachenhetzer und nun auch noch Altan. Außerdem hatte Benedikt ihr nicht geringfügig den Arm verletzt. Sie konnte ihn also nicht mit einem Ausstoß von Magie einfach wegschleudern, um zu fliehen. Einen Kampf konnte sie allerdings auch schlecht riskieren. Den Inquisitor interessierte all das nicht. Er wollte seinen Herren stolz machen und er wusste, dass es ihn sehr stolz machen würde, wenn er es schaffte, Billiana persönlich einzufangen. Ob nun schwerverletzt oder vollkommen gesund, spielte hierbei keine Rolle. Für so etwas gab es Heiler. Urplötzlich holte der Hüne mit seiner Sense aus und schlug nach der Attentäterin. Sie musste sich beinahe zu Boden werfen, um nicht in zwei Teile geteilt zu werden! Die Bestie holte direkt wieder aus und wollte sie mit der Spitze seiner Waffe durchbohren. Vermutlich auch, um sie auf dem Boden festzunageln. Angestrengt rollte sich die Elfe zur Seite und schwor sich, dass sie so etwas so bald nicht wieder tun würde. Sie würde nicht erneut riskieren, so unvorbereitet auf Altan zu stoßen. Ohne Umschweife holte der Inquisitor erneut aus und sie sah vor ihrem geistigen Auge, wie seine Waffe sie schon durchbohrte. Stattdessen schrie er schmerz- und hasserfüllt auf und wich weg von der Attentäterin. Als sie die Augen blinzelnd öffnete, sah sie eine Fontäne aus Feuer, die auf Altan ein preschte. Ein Blick über ihre Schulter reichte, um den Ursprung der Flammen zu finden. Offenbar war Kelvin ihr gefolgt. Zum ersten Mal war sie dankbar für ungewollte Neugierde! Auch wenn sie geschult worden war Folter auszuhalten, wollte sie diese nun dennoch nicht ertragen müssen. Entschlossen sprang die Blondine wieder auf ihre Füße und zog sich Kapuze und Maske dabei über. Dennoch warf sie dem schockierten Konstantin noch einen Blick zu: „Ich empfehle Euch das Kolosseum, während Eures Aufenthalts zu besuchen!“ Mehr hatte sie ihm nicht zu sagen. Seine Verwirrung war greifbar, doch lange würde sich der Inquisitor nicht mehr durch die Essenzmagie in Schach halten lassen. Deshalb eilte sie zu dem Rebellenanführer, der überheblich grinste. In diesem Augenblick musste er sich ungeahnt mächtig vorkommen, auch wenn es nur das Überraschungsmoment gewesen war, welches ihn obsiegen ließ. „Wir sollten gehen.“, schlug sie direkt vor. „Er wird gleich doppelt zurückschlagen.“ „Was immer Mylady wünscht.“, hauchte er und packte sie um ihre Taille. Etwas überrascht keuchte die Attentäterin auf, als er mit ihr einfach über den Balkon sprang. Billiana hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie ihn nun schon für wahnsinnig gehalten hatte, doch das war wieder solch ein Moment. Immerhin befanden sie sich etwa im dritten Stock! Und sie war viel zu erschöpft, um den Sturz irgendwie abzufedern. Erst recht nicht, wenn sie gleich zu zweit waren... Doch sie hatte vergessen, was er für ein begabter Essenzbeherrscher war. Er nutzte die Macht über den Wind und selbst über den Fallwind, um den Absturz zu verlangsamen. Es war ein bisschen so, als wäre er ein Drache, der die Aufwinde zum Fliegen nutzte. Nur, dass er nicht fliegen wollte, sondern den sicheren Tod verhinderte. Natürlich war die Landung trotzdem nicht besonders sanft oder elegant, aber durchaus effektiv. Niemand brach sich etwas und sie waren beide am Leben. Sie musste zugeben, dass sie immer wieder beeindruckt von seiner Kontrolle war. Vor allem, weil er nie eine richtige Ausbildung genossen hatte. Nicht so, wie sie einem Magier eigentlich zustand. Auf schnellstem Wege versuchte er mit ihr das Gelände zu verlassen. Der Alarm schlug viel zu spät an. Außerdem schienen die Wachen nicht zu wissen, dass sie nicht drinnen suchen mussten, sondern längst draußen. Billie war sich sicher, dass Altan gerade am Ausflippen war und er sicherlich Konstantin die Schuld geben wollte. „Danke...“, flüsterte sie, als sie endlich weit genug von Heimdall weg waren. „Nun sind wir eindeutig quitt.“, sagte Kelvin grinsend. „Ach ja? Ich habe dich zwei Mal gerettet und du mich erst ein Mal.“ „Waaaas? Du hast mich bloß einmal gerettet, junges Fräulein!“ „Einmal, als du alleine das Adelshaus angegriffen hast, wenn ich dich erinnern darf.“, sagte Billiana mit Nachdruck. „Und das zweite Mal vor dem Fessler, den ich von hinten aufgespießt habe. Also eindeutig zwei Mal.“ „Und ich habe dich danach verarztet und muss dich jetzt wieder verarzten.“ „Die Wunden würden mich aber nicht umbringen. Selbst wenn du sie nicht behandelst. Also rettest du mir streng genommen nicht das Leben.“ „Ich kann intelligente Frauen nicht ausstehen.“, murrte er im Spaß. „Danke für die Blumen.“, kicherte sie. „Trotzdem nimmst du mich das nächste Mal mit.“, tadelte der Rebell sie streng. „Du hättest draufgehen können und die Rebellion wäre ihre Geheimwaffe los.“ „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Hauptmann auftauchen würde...“ Kelvin zog die Augenbrauen in die Höhe, während er sie ungläubig musterte: „Und das macht es besser? Du hättest trotzdem nicht alleine gehen sollen.“ „In Ordnung! Ich gelobe Besserung!“, versprach die Blondine nicht unbedingt aufrichtig. Sie wusste, dass sie es wieder tun würde. Schon alleine, um Wyrnné zu besuchen. Da konnte sie schlecht die halbe Rebellion mitnehmen. Zumal keiner von ihnen gelassen bleiben würde. Kelvin fragte sie nicht mal, ob sie mit zu ihm wollte. Er setzte es einfach voraus, indem er sie mit sich zog. Noch waren kaum Wachen in den Straßen und Gassen unterwegs, doch das würde sich bald ändern. Altan würde zahlreiche Soldaten aussenden, um nach ihnen fahnden zu lassen. Es war womöglich ein Wink des Schicksals, dass sie den Anführer ausbilden wollte. „Wir werden Götterherz morgen für eine Weile verlassen.“, sagte Billie deutlich. „Wir trainieren an ungestörten und unbekannten Orten.“ „Ist wahrscheinlich eine gute Idee.“ „Nicht nur wahrscheinlich. Sorg‘ dafür, dass du in der Zeit vertreten wirst.“ „Kein Thema. Die wissen, dass ich manchmal mehrere Tage oder Wochen weg bin.“ „Wieso überrascht mich das nicht?“ „Was denn?“, hinterfragte er kichernd. „Wie soll ich sonst Informationen sammeln? Die fliegen mir ja nicht zu. Dafür muss ich reisen und manchmal dauert das halt.“ „Schon klar, schon klar...“, winkte sie ab. Es spielte an sich keine Rolle für sie. Solange sie vorerst Götterherz mieden, konnten sie in aller Ruhe sein Training angehen. Billiana war sich sicher, dass der Rebellenanführer danach ein ganz anderer Mensch sein würde. Und wenn alles gut ging, dann war er ein besserer Mensch und kein schlechterer... Kapitel 5: Instinkte -------------------- Lebenswelt ging das Treffen mit dem Rebellen nicht mehr aus dem Kopf. Sie wusste ziemlich genau, dass sie den Vorfall hätte melden müssen, doch sie hatte es nicht getan. Wenn jemand sie gefragt hätte, weshalb sie schwieg, hätte sie keine Antwort gewusst. Wahrscheinlich aus Langeweile..., gestand sich die vermeidliche Göttin ein. Jeden Tag diese tristen Wände und die gleichen Anfragen... Immer das Betteln um Kinder. Es ist ermüdend. Jede der angeblichen Gottheiten war auf ein Gebiet spezialisiert, welches der Weltenlenker ihnen zusprach. Wie genau er entschied, wer was machen sollte, wusste sie allerdings nicht. So ging es bei ihr stets um Fruchtbarkeit. Ihre Gläubiger erbaten also ihren Segen, damit sie Kinder bekommen und ihre Linie fortsetzen konnten. Ein wichtiger Aspekt in der Religion des selbsternannten Gottes. Es nervte sie ein bisschen, dass sie ein Teil dieser Machtgier geworden war. Wenn sie ehrlich war, dann hatte sie zwar alle Glaubenssätze gelesen, die der Weltenlenker als so wichtig erachtet, sie aber alle als absolut unwichtig wahrgenommen. Nahezu lächerlich! Wieso überhaupt so viele seines Volkes wahrhaftig an ihn glaubten, war ihr ein absolutes Rätsel. Langsam glitten ihre Kuppen über ihr Kleid. Es war aus Seide und fühlte sich samtig weich an. Es lag eng an und man brauchte nicht mehr viel Fantasie, damit man wusste, wie sie nackt aussehen würde. Ihr gefiel es, ihren Körper derartig zu offenbaren und ihre Dienerschaft um den Verstand zu bringen. Immer, wenn es die Zeit zuließ, schlief sie immerhin auch gerne mit ihnen. Nicht, dass sie darüber sprechen durften... Selbstverständlich war es den Dienern generell nicht erlaubt, ihr nah zu sein. Sie waren Diener und sie eine Gottheit. Würde das herauskommen, würden die armen Männer ihren Kopf verlieren, während man sie rügte. Ein durchaus unfaire Strafen-Verteilung, doch daran konnte sie nichts ändern. „Mel...“, säuselte sie und musste nicht mal hinsehen, damit sie wusste, dass er gerade den Raum betrat. Melvyn war trotzdem jedes Mal wieder überrascht, wenn er leise die Tür öffnete und noch nicht mal wirklich drin war, als sie ihn begrüßte oder ansprach. Das verstärkte gewiss seinen Glauben an ihre Göttlichkeit. Er sah es sicherlich als eine Art heilige Wahrsagerei oder einen göttlichen Blick in die Zukunft. Doch die Wahrheit war simpler: Sie spürte ihn. Egal, wo er sich aufhielt, sie wusste immer, wo er war, wodurch sie auch wusste, wann er sie aufsuchte. Fiona vermutete, dass es ein Teil ihrer Gabe war. Ähnlich wie das Licht, welches sie als Kampf- oder Schutzmagie einsetzen konnte. Das immerhin hatte Kelvin mehr als deutlich zu spüren bekommen, als er sie besucht hatte. Seine Überzeugung hatte sie berührt. Anders, als es jemals ein Diener getan hatte oder eine traurige Bitte eines Anhängers von ihr. Er ist von seiner Sache überzeugt. Von sich selbst..., sinnierte die angebliche Göttin. Das kann ich von mir nicht behaupten. Ich glaube an gar nichts... Am wenigsten an mich selbst. Hätte sie das laut ausgesprochen, hätte ihr Hohepriester ihr widersprochen. Melvyn hätte darauf bestanden, dass das bloß eine Phase war und sie sich in ihre Rolle einfinden würde. Ihr war bewusst, dass dem nicht so war. Wäre es so, dann hätte sie sich schon vor Monaten ihrer Rolle gefügt, doch stattdessen zweifelte sie. Am meisten zweifelte sie wohl an dem Weltenlenker selbst. All sein Handeln wirkte nicht durchdacht, sondern wie bloße Willkür. Als wollte er etwas unbedingt vor seinem Volk und seinen Anhängern verbergen. Etwas, was vermutlich offensichtlich war, aber dennoch zurzeit unterging. „Ihr habt noch nichts gegessen.“, stellte Melvyn höflich fest. Sein Blick ruhte auf dem Tisch, der voll war mit Lebensmitteln in allen Formen und Farben. Aufläufe, Obst, Gemüse, Fleisch... Jeder hungernde Bürger konnte von diesem Mahl mindestens einen Monat leben! „Deine Auffassungsgabe ist wahrlich überwältigend.“, zischte die Weißhaarige sarkastisch. „Bitte, sag‘ mir noch mehr Offensichtliches.“ „Ihr habt offenbar schlechte Laune, Mylady...“ „Potzblitz!“, stöhnte sie lautstark auf. „Du kannst dich wirklich noch steigern! Gib‘ mir mehr, Mel.“ Der Priester rollte etwas genervt mit den Augen und winkte dann eine Zofe herbei. Das Mädchen wirkte jung. Lebenswelt meinte sogar, dass die Beine des armen Dings schlotterten vor Aufregung. Sie stand noch nicht lange im Dienst einer Gottheit und musste sich an diesen Umstand erstmal gewöhnen. Sie konnte nicht hören, was genau Melvyn ihr auftrug, doch da im Anschluss der Tisch leergeräumt wurde, hatte es wohl etwas damit zu tun. Eventuell hatte er ihr auch noch Hinweise gegeben, wie man an Tagen wie diesen mit ihr umgehen sollte. Ihre Launenhaftigkeit hatte dem Palast nicht nur eine gute Dienerin gekostet... „Kann ich etwas für Euch tun, Euer Gnaden?“, erkundigte sich schließlich Melvyn taktvoll. Es wunderte sie immer wieder, wie viel Durchhaltevermögen er mit sich brachte. An seiner Stelle hätte sie längst gekündigt. Seufzend sah sie über ihre schlanke Schulter zu ihm: „Wie wäre es mit einem Ausflug ins Freie?“ „Ihr wisst, dass das nicht möglich ist.“ „Kleider kaufen fahren?“ „Mylady...“ „Was für eine Gottheit bin ich eigentlich, wenn ich in meinem eigenen Palast eingesperrt werde?“, hinterfragte Fiona mit Nachdruck. „All die anderen Götter dürfen sich frei vergnügen. Sie dürfen ihre Paläste verlassen, Feste besuchen und Kleider kaufen. Nur ich nicht.“ „Das ist mir bewusst...“ „Und doch ändert sich rein gar nichts. Ich hocke immer noch in diesem goldenen Käfig.“ „Es gibt wohl schlechtere Käfige...“, erinnerte er sie. Ihre violetten Augen fixierten ihren Hohepriester wütend. Es war klar, dass er keinen Schritt weiter in die falsche Richtung machen durfte. Bei ihrer Laune wäre es sein Todesurteil sie zu reizen! Auch das hatten einige Diener schon schmerzhaft erfahren müssen, als sie sie an einem schlechten Tag erwischten... „Ich bin bemüht, an diesem Umstand etwas zu ändern, Mylady.“, ergänzte Melvyn dann seufzend. „Ach ja?“, fragte die Göttin sichtlich überrascht. „Inwieweit bist du darum bemüht? Was tust du, damit ich mal etwas rausgehen darf?“ „Ich bin im Kontakt mit dem Shaô.“ „Oh, guter Gott...“, keuchte sie nun noch etwas genervter als zuvor. Vollkommen hilflos hob sie die Hände und schüttelte etwas verzweifelt den Kopf als wäre er verrückt. „Was gefällt Euch denn nun schon wieder nicht?“ „Alles, Mel. Absolut alles.“ „Es tut mir leid, meine Göttin, doch tatsächlich ist das keine hilfreiche Antwort.“, seufzte der Hohepriester unter Anstrengung. Er wusste beim besten Willen nicht, wie er mit ihr umspringen sollte. „Was soll es bringen, mit dem Shaô zu sprechen? Er hat keinen Einfluss auf den Weltenlenker.“ „Er ist sein Hohepriester! Der oberste aller Priester... Wenn jemand-...“ Sie unterbrach ihn harsch mit einer herrischen Handbewegung. Ihre violetten Augen fixierten Melvyn dabei streng: „Ja, er ist sein Priester. Und du bist meiner. Wie viel Macht hast du nochmals über mich? Inwieweit beeinflusst du mein... außergewöhnlich freundliches Verhalten?“ Er presste die Lippen zusammen. So fest, dass sie nur noch wie eine Linie aussahen. Innerlich verfluchte er Lebenswelt gewiss und erwog sicherlich nicht zum ersten Mal, ob er es aufgeben sollte. Dabei wusste sie seine Mühen durchaus zu schätzen. Es fiel ihr allerdings schwer, das auch angemessen zu zeigen, wenn er mit ihr sprach. Trotzdem habe ich in diesem Punkt recht., dachte Fiona verbissen. Der Shaô konnte den Weltenlenker genauso wenig beeinflussen wie die Priester der einzelnen Götter diese. Sie machten, was sie gerade wollten! Wenn sie mit jemanden schlafen wollten, dann taten sie es, auch wenn ihr Hohepriester dagegen war. Wenn sie morden wollten, töteten sie die betreffende Person, selbst wenn es ihr eigener Priester war. Wenn jemand tatsächlich machtlos gegenüber den Gottheiten war, dann waren es ihre eigenen Diener. Wobei sie vom Shaô gehört hatte. Es gab Gerüchte darüber, dass er kein Mensch sei. Nur trug er immer eine Kapuze, wenn er mal Gläubige oder Diener seiner Götter empfing, weshalb niemand Näheres dazu sagen konnte. Vielleicht verbarg er Elfenohren! Oder leuchtende Augen... Die Sagen und Mythen rankten um den Mann. So viele Geschichten gab es sonst eigentlich nur zu Toten, aber gewiss nicht zu Lebenden. Oder vielleicht noch über den Weltenlenker... Meistens hielt er sich in einem Zeltlager auf und wich nicht von der Seite seines engsten Vertrauten. Ein anderer Priester, der nur dem Shaô zu Diensten stand. Hrathen. Sie hatte ihn mal getroffen. Er war ein gutaussehender Mann mittleren Alters, der intelligent und listig schien. Doch es war nur ein flüchtiger Blick auf ihn gewesen, als der Weltenlenker ihr einen Palast zugeteilt hatte. Der Shaô selbst war an dem Tag unpässlich gewesen. Seufzend glitten ihre bleichen Finger durch ihr weißes Haar. Es schimmerte im Licht der Sonne, die sie so gerne mal auf einer Wiese spüren wollte. Selbst, wenn sie dabei beaufsichtigt wäre! Alles war besser, als ständig in diesem Palast festzustecken und sich das Gejammer von Bürgern durchzulesen, denen sie ohnehin nicht helfen konnte. Nicht, dass sie es nicht versuchte... Langsam blickte sie wieder zu Melvyn. Er wirkte ein bisschen ratlos. Ihre heutige Laune schien ihm größere Schwierigkeiten zu bereiten als sonst. Vielleicht merkte er aber auch bloß, dass sich diese Tage zu häufen begannen. Je länger man sie einsperrte desto weniger war Fiona gewillt, das Spielchen länger mitzuspielen. „Ihr dürft gehen.“, sagte die vermeidliche Göttin streng. „Und schließt die Tür.“ „Mylady...“, begann Melvyn vorsichtig. „Ihr habt noch viel zu tun.“ „Ich weiß. Das kann ich aber auch ohne fremde Hilfe tun. Ich bin eine Göttin, schon vergessen?“ „Natürlich nicht...“, lenkte der Hohepriester sichtlich verzweifelt ein. Er hatte keine Wahl als zu gehorchen. Wenn er es nicht tat, konnte sie seinen Kopf fordern oder jemand anderes verriet das Fehlverhalten. Wenn es dem kräftigen Mann auch nicht gefiel, verbeugte er sich trotzdem vor seiner Göttin. Dann drehte er sich um, damit er alle Diener aus dem Zimmer scheuchen konnte. Egal, ob diese gerade einer Tätigkeit nachgingen oder ohnehin unbeschäftigt gewesen waren. Als niemand mehr da war, wurde die Tür wunschgemäß geschlossen. Wollen wir doch mal sehen, was da draußen so auf mich lauert., dachte Lebenswelt amüsiert. Vorsichtig kletterte sie auf den Sims ihres Fensters. Es ging tief herunter, doch da sie angeblich unsterblich war, war das die Geringste ihrer Sorgen. Obwohl sie wirklich nicht genau wusste, ob es zutraf, dass sie nicht sterben konnte. Wenn sie stürzte, würde sie es zumindest sehr genau wissen und vermutlich große Schmerzen haben. Nur wusste sie nicht so genau, wie sie am besten hinausklettern sollte. Natürlich wollte die Weißhaarige nach Möglichkeit nicht in die Tiefe stürzen. Doch was tat man nicht alles für Freiheit? Und wenn es auch nur für einen Tag wäre... Lebenswelt wollte zumindest mal die Hauptstadt des großen Weltenlenkers sehen. Vielleicht würde ihr das neue Pforten öffnen, um irgendwann wirklich frei zu sein. Also stürzte sie sich in ihr erstes Abenteuer. Alleine und gespannt auf das, was sie entdecken würde.   Ihm ging nicht mehr aus dem Kopf, was Billiana gesagt hatte. Sie wollte nicht nur seine Hilfe, sondern hatte ihm auch eine Empfehlung ausgesprochen, was er in Götterherz unternehmen sollte. Konstantin hatte zwar keine Ahnung, weshalb sie gerade das Kolosseum vorgeschlagen hatte, wollte es aber dann nicht ausfallen lassen. Zu seiner großen Freude fand zwei Tage später auch ein großer Show-Kampf statt. Das bedeutete, dass die Gladiatoren zwar mit scharfen Waffen aufeinander losgingen, sich aber nicht töten durften. Nicht, dass nicht einige der Gladiatoren am Wundbrand im Anschluss verstarben... Der König hatte sich informiert. Das Kolosseum dieser Stadt stand unter der Führung von Caesar Optimus. Ein Adliger, der diese Einrichtung von seinem verstorbenen Vater geerbt hatte. Er selbst wohnte jedoch nicht in dem gewaltigen Gebäude, sondern besaß mit seiner Gattin ein eigenes Anwesen, was er nur für besondere Anlässe verließ. Kämpfe in seinem Kolosseum zählten dazu. Das Training der Kämpfer hingegen übernahmen Ausbilder, die er dafür bezahlte. Es oblag auch ihrer Verantwortung zu erkennen, welche der Kämpfer ernstzunehmendes Potenzial aufwiesen, um später mal Zuschauerliebling zu sein. Denn auch wenn die Gesellschaft es anders darstellte, ging es nicht nur um die blanke Gewalt, den Tod und die Tränen, sondern auch um die „Darsteller“. Gladiatoren waren stets männlich. Im Regelfall waren sie Straftäter, die nur noch zur Wahl bekamen, in der Arena zu kämpfen oder direkt geköpft zu werden. Einige wenige brauchten jedoch Geld für ihre Familien und wurden freiwillig Gladiator. Ihr Verdienst ging dann direkt an Frau und Kinder, während sie um ihr Leben kämpften. Dadurch unterschieden sich die Krieger alle ungemein voneinander. Einige waren bereits kampferfahren, andere hatten noch nie einen Dolch gehalten. Es waren Vergewaltiger, Rebellen, Bauern... Wobei die Bauern in der Regel früh sterben. Sie sind einfach zu unerfahren..., überlegte der König und warf seinen Begleitern einen Seitenblick zu. Benedikt schien immer noch reuevoll, weil er die Unterhaltung mit der Elfe so barsch beendet hatte. Vor allem, weil sie dadurch beinahe Altan zum Opfer gefallen war! Also hatte er nun darauf bestanden, dass er ihn zum Kolosseum begleitete. Falls sie hier auftauchen sollte, konnte er sich dann wenigstens angemessen bei ihr entschuldigen. Auch Durell hatte sich angeschlossen. Bei ihm gebot es jedoch auch seine Position, dass er der zweite Schatten des Königs war. Jedoch hatte Konstantin ihn davon überzeugen können, die restlichen Soldaten in Heimdall zu lassen. Immerhin gab es vor Ort genug Wachen, die auf das Publikum und die Gladiatoren achteten. Da musste er nun nicht mit einer halben Armee auftauchen... Es erstaunte ihn ehrlich, wie viele Menschenmassen heranstürmten, um diesen Kampf sehen zu dürfen. Unter ihnen waren natürlich viele Adlige, die bekannt für ihren barbarischen Blutrausch waren, aber es gab auch einfache Bürger. Sie wollten wohl mal andere Menschen und Nichtmenschen sehen, denen es noch schlechter ging als ihnen... Dann waren da noch die Sklaven und Sklavinnen, die ihren Herren begleiten mussten. An jedem Eingang standen Wachen. Hochgewachsene, muskulöse Männer mit strengen Gesichtern, die jeden genau taxierten. Neben ihnen gab es immer eine Frau oder einen Mann, der ein Eintrittsgeld von Interessierten verlangte. Keine hohe Gebühr, damit sich jeder an dem eventuellen Blutbad erfreuen konnte. Trotzdem schien es die Kosten dieser Anlage abzudecken. Konstantin wusste nicht genau, wie viele Sitz- und Stehplätze dieses Gebäude bot, doch er vermutete, dass es mehrere tausende sein mussten. Jede Münze finanzierte hierbei die Ernährung der Gladiatoren und auch dessen Ausrüstung. Und wenn seine Informationen stimmten, dann bekamen die Kämpfer auch einen kleinen Lohn, von dem sie sich ab und zu sogar Dirnen kaufen durften. „Manchmal finden hier auch noch vorher oder währenddessen Auftritte von Tänzern und Tänzerinnen statt.“, erklärte Durell ihm plötzlich. „An solchen Tagen ist der Eintritt höher. Es treten dann außergewöhnliche Kämpfer auf Leben und Tod gegeneinander an.“ „Ist das so?“, erkundigte sich der König aufmerksam, der froh war, dass er weder seine Krone trug noch die teure Adelskleidung. Er steckte lieber im hautengen, roten Leder, welches ihn immer noch anmutig aussehen ließ, aber nicht wie einen wehrlosen Adligen. Gerade in diesem Gedrängel wäre das mehr als unangenehm! Es gab sowieso diverse Taschendiebe, die der König schon entdeckt hatte. „Ja, solche Kämpfe werden immer Tage vorher angekündigt und groß geplant.“, ergänzte der Krieger nüchtern. „Es gibt aber auch private Veranstaltungen, für die die Gladiatoren gebucht werden können. Manche bezahlen Lord Optimus sogar enorme Summen, um einige Gladiatoren als Begleitschutz bei Reisen zu erhalten.“ „Ich wusste nicht, dass sie ein bisschen wie Söldner sind.“, gestand Konstantin aufrichtig. Benedikt lachte etwas kalt auf und warf ihnen einen undeutbaren Blick zu: „Sie sind wohl mehr männliche Huren... Sie müssen alles tun, was Lord Optimus möchte. Wenn also eine adlige Dame für den Schwanz eines Gladiators bezahlt, dann müssen sie das machen.“ „Klingt nach einer sehr ehrbaren Arbeit...“ „Sagt das lieber nicht in der Gegenwart einer dieser Gladiatoren, Konstan.“, ermahnte der Hauptmann ihn neutral. „Sie dürften das nicht so witzig finden. Wenn nämlich ein adliger Herr ihren Schwanz will, müssen sie sich auch bücken...“ Bilder peitschten vor sein geistiges Auge, während der König etwas erschauderte. Ihn störte nicht der homosexuelle Aspekt, sondern viel mehr, dass die Männer dazu gezwungen wurden. Vielleicht hatten sie auch dann eine andere Sexualität und mussten dieser zuwiderhandeln, wenn es einem Reichen gerade Freude bereitete. Das musste schlimm sein... Gerade für diejenigen, die sich den Dienst als Kämpfer der Arena niemals ausgesucht hatten, musste das ein furchtbares Leben sein. Sie hatten es nicht für sich gewählt, dennoch mussten sie den Regeln der Obrigkeit folgen. Diejenigen, die freiwillig dienten, die hatten sicherlich gewusst, worauf sie sich einließen. Obwohl es das wohl nicht leichter machte, wenn sie dann vielleicht sogar unter Zuschauern Sex mit einem Unbekannten haben mussten oder im Dienst starben... Kurzerhand prallte jemand gegen ihn. Im ersten Augenblick glaubte der König, dass nun doch ein Taschendieb sich zu ihm verirrt hatte und griff automatisiert zu seinem Beutel. Der war aber noch da und fühlte sich immer noch schwer von den Münzen an. Auch sonst schien nichts zu fehlen. Also senkte er den Blick und entdeckte eine vermummte Gestalt in einem Umhang. Die Kapuze tiefgezogen.  „Würdet Ihr mich vielleicht mit hineinnehmen?“, fragte einer zarte Frauenstimme, die wirklich wunderschön klang. Doch er bekam es nicht hin, einen Blick von ihr zu erhaschen, solange sie den Kopf nicht hob. „Habt Ihr denn etwas Böses geplant, Mylady?“, hinterfragte der König spielerisch. Misstrauen lag nicht in seiner Natur. Sehr zum Leidwesen seiner Leibwächter. Endlich hob die Dame ihren Kopf an und er konnte etwas unter die Kapuze blicken. Ein eher bleiches, aber wunderschönes Puppengesicht. Einige weiße Haarsträhnen fielen hinein und ließen sie noch mysteriöser erscheinen. Aber sie schien keine Elfenohren zu besitzen, was den Adelssohn ein bisschen irritierte. Bei dem Teint und der Haarfarbe hatte er irgendwie damit gerechnet, dass sie eine Elfe sein musste. Schließlich verengte er seine Augen, um einen genaueren Blick zu erhaschen. Er meinte, dass er eine sanft strahlende Aura um sie herum entdecken konnte. Manchmal schien diese sogar etwas zu pulsieren, als reagierte sie empfindlich auf das Umfeld ihrer Trägerin. Da wusste er genau, wer oder was sie war. Zwar hatte der König noch nie eine der besagten Gottheiten persönlich getroffen, aber durchaus Leute, die das von sich behaupten konnten. Sie alle hatten das Gleiche gesagt: Die Gottheiten umgab eine magische Lichtaura. Wirklich interessant..., gestand sich Konstantin ein. Das muss Lebenswelt sein. Er hält sie also versteckt, weil es eine Frau ist und kein Mann. Das muss sehr peinlich für den Weltenlenker sein, nachdem er so viel gegen das weibliche Geschlecht sagte. „Natürlich habe ich keinen Unsinn vor, Mylord. Ich möchte nur gerne den Kampf sehen.“, flüsterte Fiona freundlich. „Gut, dann seid mein Gast, Mylady.“, lud er die Göttin ganz unverblümt ein. „Vielen Dank!“ Durell schien das Ganze beunruhigend zu finden und kam dichter an seinen Herren heran: „Haltet Ihr das für eine gute Idee? Sie könnte eine Attentäterin sein...“ „Unwahrscheinlich, mein Freund. Lass‘ mich nur machen. Sonst kannst du mir immer noch einen Vortrag halten.“ „Wohl kaum, wenn Ihr tot seid...“ „Wenn sie mich umbringt, muss ich wohl damit leben.“, gluckste der König amüsiert. Seine Begeisterung teilte wohl keiner seiner Hauptmänner, die flüchtige Blicke miteinander austauschten. Weder Benedikt noch Durell würden die bezaubernde Lebenswelt aus den Augen lassen. Innerlich fragte sich Konstantin allerdings, ob Billie ihn deshalb hierhergeschickt hatte. Doch woher hätte sie wissen sollen, dass sich die Göttin heute hierher schleichen würde? Er bezweifelte nämlich stark, dass sie hier sein durfte, sonst hätte sie wohl eigene Münze dabei, um den Eintritt in das Kolosseum zu bezahlen. Die kleine Gruppe erreichten nun endlich einen der Eingänge, wie zahlreiche Menschen vor ihnen. Es war etwas unbehaglich, wie die Wachen sie skeptisch musterten, doch keine ungewöhnliche Behandlung. „Vier Logenplätze.“, sagte Benedikt schließlich trocken. Erneut wurde die Gruppe gemustert, als wollte man feststellen, ob sie sich die Loge überhaupt leisten konnten. Das kam vermutlich hauptsächlich daher, weil sie eine vermummte Gestalt dabeihatten, ansonsten wären sie vermutlich ohne Blicke reingekommen. „Vier Goldmünzen.“, sagte der Verkäufer schließlich. Konstantin brauchte nicht lange, um ihm die Münzen zu überreichen. Für einfache Bürger war eine Goldmünze unbezahlbar, also würden sie niemals eine Loge von innen sehen. Für den König war das natürlich nichts. Auch für viele andere Adlige war das keine enorme Summe, um dafür bequem sitzen zu dürfen, während sie die Show genossen. Soweit er wusste, würde man sie nun sogar mit Getränken und Essen versorgen! Es war sozusagen das Luxusprogramm, wenn man das Kolosseum besuchte. Immerhin winkte der Verkäufer sogar eine Dame herbei und wies sie an, sie zu ihrer Loge zu bringen. Das war schon eine Extrabehandlung, die sonst kaum einer bekam. Ihre Loge war relativ weit unten, sodass sie einen wunderbaren Blick auf den Sandboden gewährte. Die Höhe kam daher, weil die Logen und Plätze direkt auf einer Mauer erbaut worden waren. Die Mauer verhinderte nicht nur, dass die Gladiatoren flohen, sondern auch, dass ungewollt das Publikum verletzt wurde. Sei es nun durch fliegende Waffen oder einen tatsächlichen Angriff durch die Kämpfer der Arena. Als sich der König umsah, konnte er feststellen, dass beinahe alle Logen besetzt waren. Genauso wie die wenigen Sitzplätze, die es auch ohne den Luxus einer Loge gab. Auf den zahlreichen Stehplätzen quetschten sich hingegen all die „armen Menschen“, welche sich nicht mehr leisten konnten. Hier und da schubsten sie sogar einander. Brach ein ernstes Handgemenge aus, dann konnte man durchaus davon ausgehen, dass das ein Blutbad ergeben würde. Schlimmer noch als jeder Kampf in den Arenen. Dafür gab es die Aufseher und Wachen. Sie gingen sofort dazwischen, wenn jemand einen Streit anfing oder geschubst wurde. Oftmals brachten sie die Männer ruppig auseinander. Doch es war eine angemessene Behandlung, wenn der König daran dachte, was sonst passieren konnte. „Meine verehrten Gäste!“, erklang schließlich nach einigen Minuten eine feste Stimme. Der König suchte nach dem Ursprung und stellte überrascht fest, dass es nur einige Logen neben ihm war. Ein beleibter, strenger Mann war es. Er hatte gewiss noch nie selbst eine Waffe gehalten, dafür aber umso mehr Kelche mit Met oder Weinen. Seiner edlen Kleidung war sein hoher Status durchaus anzusehen, obwohl sein struppiger Bart nicht sehr gepflegt wirkte. Generell wirkte er eher etwas verwildert. Konstantin wusste, dass das Caesar Optimus sein musste – der Leiter des Kolosseums. Man sagte ihm schließlich nach, dass er optisch nicht viel von einem Adligen hatte. Auch deshalb war er nicht gerne auf Bällen und Festen gesehen. Viele verglichen ihn sogar mit den ungepflegten Gladiatoren, was er nun durchaus verstand. Wahrscheinlich stimmten auch die Gerüchte über seine mangelnden Manieren und die, dass seine ebenso fette Frau sich lieber seinem Champion hingab als ihm. Der König suchte nach dieser Gattin und fand sie schnell. Sie war wirklich fett! Er fragte sich sogar ernsthaft, ob sie überhaupt noch selbstständig gehen konnte oder ob zahlreiche Diener sie hatten hereinschleppen müssen. Da überraschte es ihn minder, dass er die Affäre zu einem oder mehreren Gladiatoren zuließ. Mit solch einem Weib wollte man eher weniger das Bett teilen oder auch nur dieselbe Luft atmen! Ich will nicht mal Elize auf mir draufhaben und die ist wenigstens schlank., dachte der König angewidert. Der arme Gladiator, der diesen Berg erklimmen muss... „Ich begrüße Sie alle herzlich in meiner Arena! Heute sind es nur ein paar kleinere Kämpfe, um ein paar neue und alte Gesichter zu präsentieren!“, rief Caesar deutlich. „Ich bin davon überzeugt, dass alle begeistert sein werden! Viel Freude an der Show!“ Die Menge jubelte und applaudierte, obwohl noch nichts weiter geschehen war. Solche Kämpfe dienten in der Regel dazu, die Beliebtheit von Kämpfern zu überprüfen. Vor allem von neuen Gesichtern. Aber eben auch von älteren Gladiatoren. So konnten sie aussortieren oder das Training neu verlagern. Bald darauf betraten die ersten Kämpfer die Arena. Sie waren bewaffnet, trugen aber keine Rüstungen oder Helme. Es handelte sich vielmehr um eine Art Lendenschurz mit einigen Lederriemen. Als der König genauer hinsah, fiel ihm sofort auf, dass alle Gladiatoren sauber rasiert waren. Sowohl am Körper als auch im Kopfbereich. „Warum sind sie so... kahl?“, erkundigte er sich leise bei Benedikt. „Längere Haare können im Kampf störend sein oder der Gegner zieht daran, Konstan.“, antwortete der Hauptmann schmucklos. „Außerdem müssen Haare mehr gepflegt werden. Deshalb werden jedem Gladiator die Haare geschnitten und sie müssen sich täglich rasieren.“ „Und sie sind viel attraktiver dadurch.“, ergänzte Lebenswelt, die sich etwas über das Geländer beugte. Sie war fasziniert von dem Kampf, der gerade losging. „Ja... Ja, das auch.“, bestätigte Benedikt derweil räuspernd. Auch Konstantin war gefesselt von dem Kampf. Es war ein bisschen wie die Übungskämpfe in Rabenwacht, nur ohne Schutzkleidung und mit echten Waffen. Hier spritzte das Blut und es wirkte so, als mussten sie um ihr Leben kämpfen. Manchmal mussten sie sogar am Ende eines Kampfes die Gladiatoren trennen, damit sie einander nicht wirklich umbrachten. Es war wirklich faszinierend, wie anders Männer zu agieren schienen, wenn sie in solch einer Arena gegeneinander antreten mussten. Normalerweise um Leben und Tod... Ein Denken, was wohl nicht aus ihren Köpfen herausging, selbst dann nicht, wenn sie mal nicht um ihr Leben bangen mussten. Trotzdem waren sie anders als Soldaten. Sie wirkten wendiger und sie gingen viel aggressiver gegen ihre Feinde vor. Sprangen sie beinahe frontal an, um sie in die Ecke zu drängen oder zumindest mal einen Treffer zu landen. Sie kannten einander. Immerhin trainierten sie sonst zusammen, aßen am selben Tisch und wuschen sich im selben Bad, aber wenn sie in der Arena standen, dann waren sie Feinde. Dann nutzten sie jede Schwäche aus, die sie beim Training vielleicht erfahren hatten. Und manchmal müssen sie vermutlich vergessen, dass sie auf ihren Freund einschlagen... Sie mussten bestimmt schon oft ihre eigenen Freunde umbringen, um weiterzuleben. Das verändert., überlegte der König betrübt. Zahlreiche Kämpfe liefen mit dem gleichen Muster ab. Was variierte waren die Kämpfer und dessen Waffen. Selbst ihre Stile waren relativ ähnlich, weil sie wohl alle nach dem gleichen Konzept trainiert wurden. Doch weil der Ausgang jedes Kampfes ungewiss blieb und jeder Gladiator zumindest ansatzweise noch einen eigenen Touch besaß, verlor sich die Spannung partout nicht. Auch wenn es dem König durchaus um die Männer leidtat. Zumindest war auch die vermeidliche Göttin vollkommen davon in den Bann geschlagen. Sie verfolgte jeden Schlag mit Begeisterung und schien manchmal regelrecht mit zu fiebern! Immer mal wieder ahmte sie die Bewegungen etwas nach oder stöhnte auf, wenn ein Treffer gelandet wurde. Es hatte durchaus etwas Niedliches sie dabei zu beobachten, wie sie die Show genoss. Falls sie der Grund war, weshalb die Attentäterin ihn hier haben wollte, wusste er noch nicht genau, was sie von ihm erwartete. Zumindest war diese Frau mal sympathisch. „Wir kommen zu unserem finalen Kampf!“, rief plötzlich Caesar nach über einer Stunde kleinerer und größerer Kämpfe aus. „Heute tritt unser heißgeliebter Champion gegen Iupiter an, der vor ihm lange den Titel als Champion verteidigt hat. Applaus für den Champion!“ Beinahe wäre Konstantin aus seinem Sitz gefallen, als der Champion die Arena betrat. Ein Mann von mindestens 1,80 Metern, der stark definierte Muskeln aufwies, aber dennoch eine ansatzweise schmale Statur besaß. Sein braunes Haar trug er ganz kurz, wie es bei den Gladiatoren üblich war und da war nur ein 3-Tage-Bart in seinem Gesicht. Hier und da waren Narben zu erkennen, die von vorherigen Kämpfen herrühren mussten. Er befand sich im mittleren Alter, das wusste der König ganz genau. Theodor..., dachte er atemlos. Er bemerkte nicht mal, dass Durell neben ihm absolut bleich wurde und ein bisschen zurück schwankte. Nur Benedikt und Lebenswelt schienen unbeeindruckt. Sie musterten einfach den Kämpfer, der die nächste Show für sie alle anbieten sollte. „Theodor!“, rief Lord Optimus schließlich den Champion aus, wie Konstantin zuvor noch gedacht hatte. Die Menge tobte vor Begeisterung. Es gab Frauen, die lüfteten ihre Brüste. Etwas, was der Gladiator sicherlich gar nicht von da unten sehen konnte. Dennoch hob er die Hände und begrüßte die Menge, wie man es ihm sicherlich eingetrichtert hatte. Das verstärkte das Jubeln nur noch mehr. Alle schienen den Champion der Arena zu lieben. „Und hier ist Iupiter!“, wurde dann sein Gegner angekündigt. Er war ein älterer Mann, dessen Haare trotzdem noch dunkel und voll schienen. Breiter als Theodor, doch in etwa genauso groß. Sein Haar war etwas länger als gewöhnlich, was er wohl seinem Status als ehemaligen Champion zu verdanken hatte. Doch er wirkte etwas blass, beinahe kränklich. Offenbar wurde er langsam zu alt für diese ganzen Kämpfen, was Caesar Optimus sicherlich auch mit diesem Kampf überprüfen wollte. Er konnte herausfinden, ob das Publikum ihn noch mochte und seine körperliche Belastbarkeit erproben. „Meine Freunde des Kampfes...“, setzte Caesar Optimus fort. „Der Kampf beginnt jetzt!“ Mehr mussten die Kämpfer nicht hören, um sich brüllend aufeinander zu stürzen. Jetzt erst fiel dem König auf, dass Theodor einen Speer führte, den er über seinen Kopf schwang, um ihn auf Iupiter niedersausen zu lassen. Der weitaus ältere Kämpfer hatte seine Mühe, um diesem Angriff auszuweichen. Noch schwerer fiel es ihm sichtlich, im Anschluss mit seinem Schwert zum Gegenangriff überzugehen. Auch wenn der König es nicht sicher sagen konnte, schätzte er den ehemaligen Champion auf Ende Vierzig oder Anfang Fünfzig. Zwar hatte er so gewiss mehr Erfahrung, doch irgendwann versagte der Körper eben seinen Dienst. Das wusste auch Theodor. Er tänzelte anmutig um seinen Gegner herum und setzte ihm immer wieder mit kleineren Angriffen zu. Zwang ihn, auch mal zurückzuweichen. Letztendlich dominierte er die gesamte Arena und bekam dafür auch Jubelschreie. Das Volk liebte ihn! Sie schrien seinen Namen. Feuerten ihn an. Konstantin hatte noch nie zuvor gesehen, dass ein Mensch so mitriss. Von solch einer Anhängerschaft konnte der Weltenlenker bloß träumen! Er merkte gar nicht, wie er sich erhob und sich neben Fiona an das Geländer stellte. Mit offenem Mund beobachtete er den geschickten Schlagabtausch. Theodor spielte wie eine Katze mit seinem Feind. Er hätte ihn mindestens schon zehn Mal besiegen und den Kampf beenden können! Doch das würde ihm vermutlich weniger Münzen und Ruhm einbringen, was in dieser Branche absolut notwendig war. Stattdessen führte er die Show fort. Ließ Iupiter ihn sogar ein paar Mal treffen. Leichte Verletzungen, die dem ehemaligen Champion zahlreiche Buh-Rufe einbrachten, Theodor aber nicht wirklich einschränken würden. Konstantin vermutete aber, dass das nicht abgesprochen war. Der weitaus ältere Krieger wirkte nämlich überaus wütend und von Moment zu Moment kopfloser. Wie in Rage hieb er immer wieder auf Theodor ein und-... Verlor den Kampf haushoch! Theodor hatte eine Lücke ausgesucht und sich dann auf ihn gestürzt. Geschickt hatte er ihn mit dem Schaft des Speers einfach zu Boden gerissen und das Schwert beiseitegetreten. So entschied er den Kampf für sich und verhinderte sogleich, dass Iupiter sich impulsiv zu rächen versuchte. Damals hatte der König oft gegen ihn gekämpft. Theodor hatte ihn nie besiegen können, doch heute war er sich nicht mehr sicher, ob er überhaupt noch eine Chance hätte, wenn sie sich gegenüberstanden. Ein Teil von ihm wollte das gerne herausfinden, doch im Moment überwog seine Sorge, als Theodor die Arme hob und sich von den Zuschauern bejubeln ließ. Er hatte sich verändert... Das haben wir beide..., gestand sich der König ein. Und wir wurden offenbar beide verraten. Du scheinst mir nicht aus Rabenwacht geflohen zu sein. Nicht freiwillig zumindest... Leider existierte der damalige Rat nicht mehr, um ihn dazu zu befragen. Zu gerne hätte der König gewusst, was sie dazu zu sagen hätten. „Unser Champion hat mal wieder gewonnen!“, rief Lord Optimus zufrieden aus. „Applaudiert für euren Champion!“ Die Menge begann zu toben und zu jubeln. Applaudierte dem Sieger voller Elan. Manche warfen sogar Gegenstände herunter, die wohl Geschenke darstellten. Nur durfte der Gladiator diese sowieso nicht aufheben oder sogar behalten. Für Außenstehende musste es so aussehen, als genoss er den Ruhm. Doch sah man genauer hin, sah man die gebrochenen, leeren Augen, die nichts bei all dem empfanden. Der König konnte sehen, dass er sich gar nicht über seinen Sieg freute. Es war nur Teil seines Lebens und er musste wie ein Schauspieler einfach mitziehen. Iupiter schien nicht wahrzunehmen, dass das alles nur eine Maskerade war. Er fühlte sich gedemütigt. Er lag zu Boden, während sein Feind gefeiert wurde. Zeit genug für ihn, um nach seinem Schwert zu greifen und sich zittrig auf die Beine zu hieven. Theodor hatte ihm gerade den Rücken zugedreht, während er sich weiterhin bewundern ließ. „Nein!“, schrie Konstantin hilflos. Von hier oben würde man ihn nicht hören. Schon alleine, weil das Publikum so laut johlte. Es war einfach aus ihm herausgebrochen! Seine Sorge verpuffte augenblicklich, als Theodor seinen Speer fester umfing und eine Drehung machte. Dabei parierte er den Schwerthieb geschickt und stieß den anderen Gladiator gekonnt in den Sand zurück. Iupiter war anzusehen, dass dieser Aufprall sehr schmerzhaft gewesen war. Vermutlich kam er nun nicht mehr so schnell zurück auf seine Füße. Konstantin sackte in sich zusammen. Seine Hand fuhr an seine Brust. Eine Geste, die er schon bei Billiana ausgeführt hatte, obwohl er genau wusste, dass er keinen Herzinfarkt bekommen konnte. Doch in solchen Momenten glaubte er, dass es vielleicht doch möglich war. Wenn die Aufregung hochpeitschte und ihn mitzureißen drohte. „Geht es Euch gut?“, hinterfragte Fiona und blickte ihn irritiert an. „Ihr habt Euch aber sehr mitreißen lassen, Mylord.“ „Es war einfach so fesselnd...“, wich der König mit einem ausgesucht freundlichen Lächeln aus. „Ich dachte, Euch ginge es da ähnlich, Mylady?“ „In der Tat. Nur wohl nicht ganz so in dem Maße, wie es bei Euch der Fall war.“ „Ich bin dann wohl etwas impulsiver als Ihr, Lady Lebenswelt.“ Nun wirkte sie überrascht. Ihre violetten Augen hoben sich in seine. Suchten nach einer Wahrheit, die tief darin verborgen liegen musste. Suchte die Antwort, woher er wusste, wer sie eigentlich war, obwohl sie sich nicht vorgestellt hatte. Sie versuchte tief vorzudringen, doch fand sie nur Ehrlichkeit und Freundlichkeit bei ihm vor. „Woher-...?“ „Ihr strahlt, Mylady.“, antwortete er sanft. „Euch umgibt eine Aura. Den Rest habe ich mir selbst zusammengereimt.“ „Ich wusste gar nicht, dass es auch intelligente Männer gibt.“ Spöttisch lachte der König auf und war keineswegs gekränkt über diesen Kommentar. Viel mehr war es ein Kompliment! Er teilte ihre Annahme davon, dass es nicht viele kluge Männer in der heutigen Zeit gab. Doch leider auch nicht mehr allzu viele intelligente, weitsichtige Frauen... Und die wenigen wurden unterdrückt. „Konstantin von Rabenwacht.“, stellte er sich schließlich vor. Sanft ergriff er die Hand der angeblichen Göttin und küsste zärtlich dessen Rücken. Sein gepflegter, kurzer Bart kitzelte dabei gewiss auf der bleichen Haut, doch sie wirkte trotzdem geschmeichelt. Zumindest mal eine Frau, die sich nicht direkt von mir beleidigt fühlt..., dachte der König ehrlich erleichtert. Er eckte immerhin gerne mit der holden Weiblichkeit an. „Konstantin von Rabenwacht...“, wiederholte die Weißhaarige honigsüß. „Ihr seid ein König. Vom Lebensberg, richtig?“ „Das ist korrekt.“ „Ihr seid noch so jung!“ „Ich bin auch sehr jung gekrönt wurden.“ „Aber ich las, dass Ihr Euer Reich vorbildlich führt und es weit gebracht habt in den... drei Jahren?“ „Ja, es sind jetzt drei Jahre.“, bestätigte Konstantin ihr nickend. „Woher stammt Euer Interesse?“ „Ich versuche mit der Politik auf dem Laufenden zu bleiben. Falls ich mich irgendwann mal offenbaren darf...“ Ihre Antwort war klug, doch der Adelssohn vermutete mehr hinter ihrem Interesse. Dennoch beließ er es dabei. Er wusste, wann eine Schlacht verloren war und das wäre diese definitiv. Sie würde reden, wenn sie soweit war. Bis dahin würde er sich wohl an der Tatsache erfreuen, dass er einer der ersten Menschen war, der sie wirklich und leibhaftig getroffen hatte. „Ich bezweifle, dass der Weltenlenker Euch allzu bald hinauslassen wird, Lady Lebenswelt.“ „Fiona... Bitte, nennt mich Fiona.“, stellte sie sich lächelnd vor. „Weshalb glaubt Ihr, dass ich noch lange warten muss?“ „Konstan.“, stellte sich der König ebenso lächelnd vor. „Weil Ihr eine Frau seid, Fiona. Es wird ihm widerstreben, dass eine Frau so viel Macht erhalten hat. Nun dem Volk zu erklären, dass Ihr – ein wandelnder Brutkasten – nun als Gottheit verehrt werden sollt, wird wirklich schwierig sein. Er hatte alles dafür getan, damit Frauen wertlos und schwach erscheinen.“ „Da habt Ihr wohl leider recht, Konstan...“, gestand die Göttin seufzend. „Also bleibe ich wohl eine Gefangene.“ „Seid Euch gewiss, dass Ihr mich jeder Zeit besuchen dürft, wenn Ihr die Möglichkeit dazu habt. Und Ihr dürft dann auch gerne bleiben.“ Sie begann zu strahlen. Nicht ihre Aura, sondern ihre Lippen und ihre Augen. Sie freute sich. Es musste wohl das Netteste sein, was man ihr jemals gesagt hatte. Bisher hatte man sie sicherlich nur dazu ermahnt, sich zurückzuhalten. Glücklich mit ihrer Situation zu sein. Konstantin wusste sehr genau, dass das einen nicht über Schmerzen hinwegtrösten konnte. Es löschte keine Verluste aus... Er hatte seinen Vater verloren. Lebenswelt ihre Freiheit. Sie trauerten. Keiner aber hörte sie weinen. Sie taten es für sich. Und der Dank dafür war Undankbarkeit. Diener, Volk und Anhänger begannen sie als selbstverständlich zu erachten, ebenso wie ihre Güte. Er konnte in ihren Augen sehen, dass es ihr genauso ging. Und er fühlte es mit ihr. „Ich sollte nun verschwinden.“, sagte Fiona ehrlich enttäuscht. „Danke für Eure Einladung, edler König Konstantin von Rabenwacht. Ich habe unsere gemeinsame Zeit sehr genossen.“ „Ich danke für Eure Anwesenheit, ehrenwerte Lady von Lebenswelt. Ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen.“ Mit einem Lächeln winkte sie dem König. Dann drängelte sie sich aus der Loge, um in der gehenden Menschenmasse zu verschwinden. Beinahe wie ein Tagtraum. Innerlich wünschte der König ihr alles Gute für die Zukunft und das sie fand, was sie suchte. Denn heute hatte er Dank Billie gefunden, was er seit Jahren gesucht hatte. Etwas, was er längst verloren geglaubt hatte... „Wie kann man mit den Gladiatoren in Kontakt kommen?“, fragte er nun seine Hauptmänner. „Wieso wollt Ihr das wissen?“, hakte Benedikt zähneknirschend nach. Er wirkte etwas wütend. Vielleicht sogar... eifersüchtig? Der König konnte es ehrlich nicht sagen. „Ich möchte mit einem von ihnen sprechen.“ „Sprechen oder wollt Ihr Euch vergnügen? Ihr könnt es uns gerne sagen. Wir finden es eh heraus.“ „Hältst du mich für einen Perversen, Ben?“, hinterfragte Konstantin und spürte, wie ihm eine peinliche Röte ins Gesicht schoss. Er fühlte sich ertappt, obwohl er keine solcher Gedanken gehegt hatte. Der Hauptmann zuckte unschuldig mit den Schultern und machte eine wegwerfende Geste: „Kommt drauf an, mit wem Ihr den Kontakt suchen wollt...“ „Mit dem Champion.“ Benedikt sah seinen König ungläubig an, während Durell hart schluckte. Seit dem Finale hatte Durell nichts mehr gesagt. Konstantin machte sich etwas Sorgen um ihn. Irgendwas schien bei ihm nicht in Ordnung zu sein und er würde ihn darauf ansprechen müssen. Nur nicht jetzt. Es war weder der Ort noch die Zeit dafür, denn dabei sollten sie alleine sein. „Da werdet Ihr Kontakt zu Lord Optimus selbst aufnehmen müssen und jede Menge Münzen bereithalten.“, erklärte der Hauptmann ihm dann trocken. „An den Champion kommt Ihr gewiss nicht besonders schnell heran. Er wird ihn hüten wie seinen Augapfel. Immerhin ist das seine Haupteinnahmequelle. Und da er offenkundig attraktiv ist, wird er auch von anderen Adligen begehrt sein...“ „Ich will nicht mit ihm schlafen!“, wehrte sich der König sofort peinlich berührt. „Das mag ja so sein, aber das ändert doch nichts an dem Interesse, welches die Leute an dem Champion haben.“ „Kannst du mir solch ein Treffen ermöglichen, Ben?“ Überrascht zog der Krieger die Stirn kraus, nickte dann aber: „Ich denke schon, dass ich das hinbekomme.“ „Danke sehr.“, schoss es aus dem König heraus. Damit war es für ihn beschlossen und das Thema vorerst beendet. Benedikt vertraute er blind, wenn es um solche Angelegenheiten ging. Er würde sich bemühen, damit er schnell mit Theodor sprechen konnte. Er brauchte dringend die Antworten! Vielleicht brauchte der Gladiator diese sogar noch dringender als Konstantin selbst... Er ahnte nämlich Schlimmes. Mit seinen treuen Hauptmännern drehte sich der König um und verließ die Loge. Seine Gedanken aber hingen bei Theodor und dessen gebrochenen Augen...   Die kleine Gruppierung hatte sich wirklich über das Verschwinden ihres Anführers gewundert. Immerhin hatten sie nun endlich einen richtigen Schritt voran geschafft! Da hatten sie alle damit gerechnet, dass er vorerst bleiben würde, um das zu nutzen. Es war der ideale Zeitpunkt, um mehr Leute für ihre Sache zu gewinnen. Einen Herzschlag lang hatten sie sogar befürchtet, dass er sich nun doch mal hatte erwischen lassen und sie ihn nicht wiedersehen würden! Dann aber kam endlich ein Brief. Er war direkt an Hammond adressiert gewesen, der den Inhalt grob an die Führung weitergegeben hatte. Offenbar trainierte Kelvin zurzeit mit Billiana und wusste nicht so recht, wie lange es dauern würde. Seiner Wortwahl war jedoch zu entnehmen, dass es wohl länger dauern würde. Hammond musste gestehen, dass er froh war. Billie wusste, wie man kämpfte und sie wusste, wie man sich lautlos irgendwo einschlich. Wenn sein bester Freund von jemanden etwas Positives lernen konnte, dann war es gewiss die Elfe! Vor allem musste der Rebellenanführer dringend lernen ohne Magie auszukommen, wenn es die Situation erforderte. Auch dem Titan war bereits aufgefallen, dass er extrem abhängig von seiner Gabe geworden war. Kelvin wirkte beinahe... süchtig. Dennoch spürte er eine Spur Eifersucht in sich stechen. Seit er mit Billiana geschlafen hatte, ging diese atemberaubende Schönheit ihm nicht mehr aus dem Kopf! Ihm war durchaus bewusst, dass es bisher nur ein schnelles Vergnügen gewesen war und bisher keine Rede von Gefühlen war, doch irgendwie hoffte er, dass er irgendwie um ihre Gunst buhlen konnte. Jedoch hatte Kelvin einen unverkennbaren Charme, wenn es um die holde Weiblichkeit ging. Entweder landete der Rebell mit den Damen seiner Wahl im Bett oder er brachte sie sogar so weit, dass sie sich in ihn verliebten. Oft genug war es beides! Dagegen kam man schwer an, wenn man selbst wie ein ungehobelter Klotz nach außen erschien. Nur wusste er sehr genau, dass er das nicht beeinflussen konnte. Wenn Billie Kelvin wollte, dann würde sie sich ihn nehmen, wann es ihr beliebte. Eine Drachendame konnte man nicht bändigen oder zähmen! Man konnte ihr nur zeigen, dass es keinen Grund für Untreue gab, weil man ihr alles bot, was sie begehrte. Seufzend versuchte der Schwarzhaarige die Gedanken an diese wunderschöne Elfe zu vertreiben. Sein Blick hob sich zu den hohen Mauern des Drachenhorts. Nachdem er den Brief des Anführers gelesen hatte, hatte er Dorian um die Verwaltung der Rebellion gebeten und war selbst aufgebrochen. Es bot sich nicht oft die Gelegenheit seine Kinder zu besuchen. Wenn Kelvin vorerst unpässlich war, würde es in Götterherz erstmal ruhig bleiben. Also wurde der Titan im Moment nicht gebraucht. Trotzdem kam es ihm immer wieder eigenartig vor, wenn er wieder vor diesen Toren stand. Magische, massive und wunderschön verzierte Tore, die keinen Unbefugten hineinließen. Er kam sich als Mensch davor so... unbedeutend und klein vor. Immerhin passte durch dieses Tor auch locker ein verwandelter Drache hindurch! Auch die Mauern drumherum waren massiv und von magischer Natur. Dieses ganze Gebäude war generell ein Wunder der Architektur und ein einzigartiges Meisterwerk! Wenn jemand etwas von Baukunst verstand, dann waren es definitiv die Drachen. Jedes Gebäude von ihnen war ein ausgeklügeltes Meisterwerk, welches oftmals vor Magie so strotzte. Nur wussten die meisten diese nicht wahrzunehmen. Endlich spürte er das leichte Beben unter seinen Füßen. Das mächtige Doppeltor begann sich zu öffnen und war dabei nicht ansatzweise so laut, wie es eigentlich sein müsste. Das lag daran, weil es nicht durch Manneskraft, sondern durch Magie geöffnet wurde. Dazu kam, dass die Drachen das Gebäude wirklich gut pflegten und instand hielten. Es war ihre einzige Heimat. Der einzige Ort, an dem sich jeder Drache in Sicherheit wissen konnte. Hier würde man keine Minute einsparen, um diesen Schutz noch für Jahrtausende zu gewährleisten. Auf der anderen Seite stand bereits ein hochgewachsener Mann von etwa zwei Metern Größe. Seine Haare trug er kurz und sie waren bereits ergraut. Auch dem ernsten Gesicht konnte man die Falten des Alters bereits recht deutlich ansehen. Dennoch wirkte der Mann in seiner feinen Robe erhaben und beinahe majestätisch. Die hellen Augen fixierten den Titan, als konnte ihm nichts entgehen. Hammond vertrat sogar die Meinung, dass man ihm wirklich nichts vormachen konnte. Je nach Lichteinfall konnte man die Drachenschuppen des älteren Mannes erkennen. Er wusste sie besser zu verstecken als die meisten seiner Artgenossen und wusste auch sein Temperament zu zügeln. Jedenfalls meistens... Wenn es um Fleisch ging, dann verlor sich meistens die Beherrschung bei den Drachen. Doch Hammond war auch nicht so dumm, mit einer Fleischkeule vor dessen Augen herum zu wedeln. Nicht, solange er noch leben wollte. „Meister Tyr.“, sagte der Titan ehrerbietig und verbeugte sich tief vor ihm. „Hammond.“, erwiderte Tyr nüchtern. „Du solltest dir angewöhnen, dich vorher anzukündigen.“ „Bitte verzeiht, Meister, doch leider kann ich das nicht immer planen.“ Tyr winkte ab, als sei es unbedeutend: „Ist dir jemand hierher gefolgt?“ „Nein, ich habe darauf geachtet.“ Der Drache wies harsch ein paar jüngere Bewohner an, das Tor wieder sicher zu verschließen. Außerdem verdeutlichte er, dass einige über die Lande fliegen sollten, um sicherzugehen, dass ihm wirklich niemand gefolgt war. Der Ort war zwar magisch verborgen und dessen Standort geheim, doch wenn jemand es von selbst fand oder einen Wissenden folgte, konnten die Schutzzauber versagen. Hammond nahm es dem Gründer des Drachenhorts nicht übel, dass er auf Nummer sicher ging. Immerhin war er hier nicht nur der Anführer, sondern er war auch noch der Gründer dieses Horts. Soweit der Titan wusste, war er sogar der Architekt! Nur Tyr kannte alle Geheimnisse dieser uneinnehmbaren Festung und das war wohl auch besser so. „Emily und Alec sind zurzeit im Unterricht.“, erklärte Tyr und deutete mit einer Handbewegung an, dass Hammond neben ihm schreiten sollte. „Euer Wiedersehen muss bis nach der Stunde warten.“ Der Titan folgte der Deutung und begab sich direkt an die Seite des alten Drachen. Auch wenn die Echse sich stets hart und verschlossen gab, so wusste Hammond dennoch genau, dass er absolut gutherzig war. In Zeiten seiner größten Not hatte er ihn empfangen und seinen Kindern Unterschlupf geboten. Dabei hatten sie einander nicht mal gekannt! Den Hort hatte er nur gefunden, weil Leandra ihm zu Lebzeiten andeutungsweise berichtet hatte, wo sie sich in etwa befand. „Natürlich werde ich mich gedulden, Meister Tyr. Wie machen sich die beiden denn? Irgendwas Drakonisches erwacht?“ „Bisher nicht, nein.“, wies der Drache kopfschüttelnd zurück. „Emily scheint bisher nicht mal eine magische Begabung aufzuweisen. Aber Alec ist weiterhin sehr vielversprechend, wenn er nicht so... eigenwillig wäre.“ „Das klingt ganz nach meinen Babys.“, amüsierte sich der stolze Vater. „Ich traf jemanden, der zu Eurem Hort gehört und offenbar mit beiden Kontakt hat.“ „Ach? Ist das so?“, hinterfragte Tyr offenkundig interessiert. Hammond war sich sicher, dass der alte Meister wusste, auf wen er anspielte, also kam daher nicht sein Interesse. Schweigend nickte der Titan. Er wollte die Spannung etwas aufbauen. Es lag immerhin auf der Hand, dass Billiana sich weder abgemeldet hatte noch eine Dauer ihrer Abwesenheit angab, wenn sie sich vom Hort fernhielt. Als er wahrnahm, dass Tyr allmählich ungeduldig wurde, befreite er ihn aber aus der Qual, bevor sein Temperament vielleicht doch durchkam: „Oh ja... Sie stellte sich vor allem als Alecs Lehrmeisterin vor.“ „Wo ist sie zurzeit?“ „Sie bildet einen gemeinsamen Freund aus. Wie lange das dauert, wissen wir jedoch nicht.“ „Ihr habt also bereits gemeinsame Freunde, ja? Muss ich mehr wissen?“, hakte Meister Tyr nach. „Kommt drauf an...“ „Worauf?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte Hammond den Drachen an, ehe er fortfuhr: „Wie Ihr zu ihr steht.“ Amüsiert stellte er fest, dass der Drache leicht errötete. Er hatte durchaus verstanden, worauf er genau anspielte und es schien ihm peinlich zu sein. Immerhin wollten die Drachen gerne überdauern und mussten sich deshalb paaren. Nicht einfach, wenn es so wenige Weibchen gab, die dazu äußerst widerspenstig waren. Wenn Hammond ehrlich war, verstand er ohnehin nicht, weshalb die Drachen ihre Magie nicht dafür einsetzten, um ihr Überdauern zu sichern. Es gab immerhin auch den Zauber, dass sie in jeder Rasse erwachen konnten, auch wenn in dieser Person kein drakonisches Erbgut vorlag. Sie mussten lediglich diesen Zauber erweitern und sicherten so ihr Überleben. Nun aber standen sie kurz vor dem Aussterben... „Sie ist für mich wie eine Tochter.“, erklärte Tyr schließlich ernst. „Ich habe sie ausgebildet, als sie in schlimmster Not zu uns stieß. Ich lehrte sie, ihre Magie nicht nur zu kontrollieren, sondern sie auch zu perfektionieren. Durch mich weiß sie, wie sie sich verwandeln kann. Wie man Feuer speit... Ich lehrte sie das Drachendasein.“ „Das habt Ihr bei vielen vor und nach ihr getan.“, erinnerte Hammond ihn wissbegierig. „Was ist bei ihr anders?“ „Hat sie dir gesagt, wer genau sie ist?“ „Sie sagte, dass sie die nächste Drachenkönigin sei.“ Langsam nickte Tyr und faltete seine Hände ineinander, während sie gemeinsam eine Wendeltreppe hinaufgingen: „Genaugenommen ist sie schon längst die Königin. Sie verweigert nur, ihr Amt auch offiziell anzutreten... Solange übernehme ich ihre Aufgaben.“ „Und nur, weil sie eure Königin ist, ist sie für Euch wie eine Tochter?“ „Nein... Nein, das ist es nicht. Es ist diese Art, die sie an sich hat... Wie sie einen angucken kann. Wie sie mich angeguckt hat, als sie zu uns fand.“ „Ich wusste nicht, dass Ihr so schnell zu erweichen seid.“ Giftig blickte der Drache ihn an. Hammond war wirklich froh, dass Blicke nicht töten konnten! Und wenn es mal soweit war, dann war er sich sicher, dass Tyr der Entdecker dieser Gabe sein würde. Und der Titan wäre dann vermutlich auch sein erstes Opfer. Er genoss die Stille, die nun zwischen ihnen stand. Es gab ihm Zeit, nachdenklich über seinen dunklen, gepflegten Bart zu streichen und an die gemeinsame Nacht mit der Elfe zu denken. Daran, wie wild sie war... Er hatte es wirklich genossen. So hatte er seit Leandra nicht mehr empfunden und er hoffte wirklich sehr, dass er nicht wieder so lange hungern musste. „Du hast mit ihr geschlafen.“, zischte Tyr wissentlich. „Euch kann man wohl nichts vormachen?“ „Ich erkenne diesen Blick...“ „Welchen Blick?“, hakte Hammond amüsiert kichernd nach. „Gibt es einen »Ich-habe-Billie-nackt-gesehen«-Blick?“ „Ja, den gibt es in der Tat.“ Wenn der Titan ehrlich war, überraschte ihn das keineswegs. Billiana war ihm nicht wie eine Jungfrau vorgekommen und sie hatte eine verlockende Art an sich. Umso überraschter war er, dass Tyr offenkundig keinerlei sexuelles Interesse an ihr hegte. Sie wäre eine gute, neue Partnerin für ihn, um die Linie der Drachen fortzusetzen. Es würde seine sowieso schon große Macht noch mehr erweitern. „Sie kam hier an... klitschnass und durchgefroren. Sie war im Winter hierhergereist. Vollkommen allein und ohne passende Bekleidung.“, begann sich der Drache zu erinnern und öffnete die Tür zu seinem persönlichen Zimmer. Hier erledigte er die Angelegenheiten des Horts und gab Einzelunterricht für besondere Schüler. Oder er saß einfach da, genoss einen Tee und versuchte sich von den Strapazen des Tages zu erholen. „Und Ihr habt sie einfach hereingelassen? Weil sie so nass und alleine war?“ „Anfangs nicht, nein. Wir haben sie einfach vor den Toren gelassen...“, gestand der Meister mit schlechtem Gewissen. „Sie hat geschworen, dass sie den Weg von alleine gefunden habe. Sie schwor, sie habe einfach... gewusst, wohin sie müsste. Doch wir haben ihr nicht geglaubt... Wir hätten die Zeichen erkennen sollen. Ihr goldblondes Haar und ihr Wissen, wie sie uns finden konnte, doch wir waren verblendet. Der Weltenlenker hatte sich gerade erst erhoben, um die Nichtmenschen zu jagen. Er hatte über die Hälfte von uns hingeschlachtet... Der Hort war noch gar nicht fertig errichtet worden und die Schutzzauber noch nicht alle aktiv. Wir fürchteten, dass sie zu ihm gehören könnte... Nur ein Lockvogel war, damit wir sie hereinließen.“ Stille trat ein, als sich der Drache nachdenklich auf seinen Stuhl niederließ. Seine knochigen Finger richteten sich auf etwas Feuerholz und entfachten es alleine mit seinem Willen. Über dem Feuer hing ein Kessel, in dem stets frisches Wasser bereitgestellt wurde. So dienten die Flammen nicht nur dem Erwärmen des Zimmers, sondern auch dem Erhitzen von Wasser. Hammond setzte sich dem Lehrmeister gegenüber und ließ ihm all die Zeit, die er zum Erinnern brauchte. Es musste immerhin schon einige Jahrhunderte her sein. Da hatte er selbst noch gar nicht gelebt! Und auch Leandra war sicherlich noch nicht mal geplant gewesen... Die Welt war ein anderer Ort als heute gewesen, doch sicherlich kein besserer. Damals hatte die Schreckensherrschaft des Weltenlenkers seinen Anfang genommen. Das bestärkte aber auch die Vermutung, dass Billiana den Herrscher vor seinem Aufstieg gekannt haben konnte. Dass sie ihm nahegestanden hatte. Vielleicht hatte genau das dazu geführt, dass sie ihren Weg schlussendlich in die Reihen der Drachen gefunden hatte. Doch das verschwieg er. Bei solchen Thematiken waren die Echsen überaus empfindlich. „Meister Ragnar befahl schließlich die Tore zu öffnen. Er war fort gewesen... Hatte nach überlebenden Drachen gesucht, um sie hierher zu führen. Und er setzte sich direkt über meinen Befehl hinweg.“ „So kennen und so lieben wir ihn.“ „In seinen Augen bin und bleibe ich der kleine Drachenjunge von damals. Ich kann auch tausend Jahre hier der Anführer sein, aber ich bleibe der unwirsche Knabe in seinen Augen.“ Hammond zuckte etwas mit den Schultern und lächelte schließlich aufmunternd: „Das war doch damals auch gut so. Er will Euch vor Schaden bewahren.“ „Ja, so wird es wohl sein.“, stimmte Tyr nachdenklich zu. „Jedenfalls ließ er sie mit den restlichen Überlebenden hinein und er befahl uns beiden, mit in sein Zimmer zu kommen. Als ich direkt vor ihr stand, erkannte ich das, was Meister Ragnar sofort erkannt hatte...“ „Aber sie selbst hatte keine Ahnung von ihrer Bestimmung und dem, was sie erwarten würde.“ „Das ist korrekt. Hammond, ich bin überrascht, dass du dich so gut auskennst. Verfolgst du doch den Unterricht hier?“ „Ab und zu sitze ich in der hintersten Ecke und höre zu.“, schmunzelte der Titan keineswegs beleidigt. Immerhin hatten die Meister ihm selbst auch geholfen seine Magie besser zu begreifen. Durch sie war er zu einem wirklich geschickten Essenzmagier geworden, der auch ohne die Macht der Erde wunderbar zurechtkam. „Ja, sie hatte keine Ahnung von ihrem Schicksal und wir beließen es erstmal dabei. Uns war wichtiger, dass sie ihre Gaben zu kontrollieren lernte. Der Druck einer Ausbildung alleine ist schon groß genug. Es wird nicht gerade besser, wenn man dann noch gesagt bekommt, man sei die Königin, die den Untergang einer ganzen Rasse verhindern kann.“ „Hmm, ja, klingt tatsächlich etwas nach Druck.“ Belustigt zuckte eine Augenbraue des Meisters auf. Nur eine Millisekunde lang, doch es entging Hammond nicht. Obwohl die meisten Drachen nicht gerne verspottet, gereizt oder auch nur schief angeguckt wurden, nahm der Meister es stets gelassen. Er schien ihn sogar zu mögen! Ebenso wie Meister Ragnar, der ohnehin anders war als die anderen. Allmählich erhob sich Tyr und schritt zum Kessel. Das Wasser kochte bereits und er konnte es einfach in eine Kanne gleiten lassen. Nur durch die Kraft seiner Gedanken, erhob es sich daraus und landete im Porzellan. Hammond fand es immer wieder beeindruckend, wie sich die Drachen die Essenzmagie angeeignet hatten. Anders zwar, doch nicht weniger effektiv. Sie ahmten die Fähigkeit einfach nach. In einem filigranen Filter landeten frische Kräuter aus den eigenen Gärten. Sogar ein bisschen Obst, um Säure und Süße hineinzubringen, die natürlicher nicht sein konnten. Jedoch kamen die Drachen nur schwer an Früchte heran, da sie es kaum aus der Festung herausschafften. Und selbst wenn, konnten sie es nicht auf einem Marktplatz kaufen, da ihnen die Geldmittel dafür gänzlich fehlten. Eigentlich wusste der Titan gar nicht, wie es die Drachen überhaupt schafften, auf diese Weise zu überleben. Eingekerkert in diesem Hort, abgeschnitten von der Welt und ohne Reichtümer. Sie mussten jagen und dabei durfte man sie nicht sehen. Sie mussten sammeln ohne entdeckt zu werden. Immer auf der Flucht, wenn sie nicht in diesen Mauern in Sicherheit waren. Da das Getränk erstmal ziehen musste, fuhr der Lehrmeister fort: „Meister Ragnar wies mich an, sie zu unterrichten. Das war wirklich schwierig... Ungemein schwierig! Nicht nur, weil sie so unfassbar machtvoll war, sondern auch, weil sie so unglaublich trotzig war.“ „Ja, das klingt ganz nach ihr. Ihr Humor ist etwas... eigen und oftmals unangemessen.“ „So ist es.“ „Und dennoch habt Ihr sie zu einer meisterhaften Magierin gemacht.“, schmeichelte Hammond ihm. „Das war sie auch schon vorher. Ihre ganze Macht und ihr Potenzial sind ein Teil von ihr.“ „Doch ohne Euch hätte sie all das nicht kontrollieren oder begreifen können, Meister Tyr.“, widersprach der Titan aufrichtig. „Ich habe sie kämpfen sehen. Ich sah nie etwas Anmutigeres und Geschickteres als sie.“ Zaghaft musste der Drache lächeln. Er meinte sogar Stolz in den Augen sehen zu können! Sie musste wirklich eine Art Tochter für ihn sein, damit er so strahlte, wenn er von ihrem Talent hörte. „Irgendwann mussten wir ihr sagen, wer sie ist. Das nahm sie weniger gut auf... Sie rannte uns direkt davon.“ „Aber sie kam wieder...“ „Ja, nach einigen Jahrzehnten.“, bestätigte Tyr seufzend. „Wir haben nach ihr gerufen, sie gesucht und alles versucht, um wieder an sie heranzukommen, doch sie wollte einfach nicht gefunden werden. Und wenn Billie etwas will, dann bekommt sie es auch! Irgendwann beschloss dieses sture Ding dann, dass sie uns genug gequält hat und tauchte wieder auf. Sie sagte klar, dass sie nicht die Krone haben will und ernannte mich als ihren Vertreter. Sie selbst habe wichtigeres zu tun...“ „Das wiederum klingt etwas nach meinem besten Freund...“ Kelvin neigte auch dazu, dass er nicht sesshaft sein wollte. Da war auch alles andere unwichtig, solange er nur seine Flügel entfalten konnte! Zwar scheute er dabei weder Verantwortung noch Gefahren, aber er wollte eben in keinem Käfig feststecken. Billiana betrachtete den Hort offenkundig auch als eine Art Gefängnis. Doch irgendwas sagte Hammond, dass sie ihre Meinung ändern würde und ihr Volk führen würde. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber gewiss in naher Zukunft. Dann, wenn die Drachen sie wirklich und wahrhaftig brauchten, würde sie kommen. „Tee?“, erkundigte sich Tyr ausgesucht freundlich und hielt ihm die Kanne hin. Es roch stark nach den Kräutern. Von dem wenigen Obst war kaum etwas zu merken. „Nein, danke.“ Plötzlich konnte er lautes Geschrei vernehmen. Dinge, die umgeworfen wurden. Große Panik, als wäre der Weltenlenker selbst in die Festung eingedrungen, um die restlichen Drachen eigenhändig zu erledigen. Nur konnte Hammond nicht verstehen, was die aufgeregten Stimmen genau kreischten. Tyr seufzte angestrengt, während er in seiner Tasse rührte, als könnte er so den Krach ausblenden. Das war wohl nicht das erste Mal, dass solch ein Chaos ausbrach und gewiss auch nicht das letzte Mal. Nicht, wenn er das Gesicht des älteren Mannes richtig deutete. „Das dürfte dein Sohn sein.“, seufzte der Drache. „Sein täglicher, dramatischer Auftritt. Es klappt so wunderbar mit ihm, wenn Billie hier ist...“ Ja, weil mein Sohn offenbar für sie schwärmt., sinnierte der Titan und erhob sich von seinem Stuhl. Er konnte schlecht zulassen, dass die Meister sich alleine um Alec kümmerten, wenn er schon hier war. „Lass‘ dich nicht verbrennen.“, riet Tyr ihm schmunzelnd. Er wusste offenbar genau, was den zweifachen Vater erwarten würde. Freundlich nickte Hammond, ehe er das Zimmer verließ und auf den Krach zu eilte. An ihm liefen viele vorbei, die das genaue Gegenteil taten, um sich in Sicherheit zu bringen. Oder weil sie dem Lärm entfleuchen wollten... Hier gab es immerhin auch Elfen, Mischlinge und andere Wesen mit sehr feinen Sinnen. Wieder schoss ihm Billiana in den Kopf. Ihre vollen Lippen. Ihr herzhaftes Lachen... Die Art und Weise, wie sie sich zu bewegen wusste. Wie ihre Körper zu einem einzigen verschmolzen waren und das mehr als ein einziges Mal. Sehnsüchtig verbiss er sich auf seiner Unterlippe. Musste einen Herzschlag lang die Augen schließen. Dann peitschte ihm unbändige Hitze ins Gesicht! Es fühlte sich an, als würde sie ihm die Haut einfach wegbrennen, was vielleicht auch geschehen würde, wenn er nicht auf sich Acht gab. Als er seine Augen öffnete, sah er den Ursprung des ganzen Geschreis. Ein gigantisches Feuer! Es züngelte sich durch Holz, Bücher und alles, was ihm Zündstoff bot. Es suchte nach Sauerstoff, um weiter zu wachsen und alles auf dem Weg dorthin zu verschlingen. Die Vorhänge hatte man zuvor offenbar bereits abgenommen, doch das half nichts, wenn alles andere Brennbare noch in der Nähe zu sein schien. Mitten im Spiel von Hitze und Flammen stand ein inzwischen kräftiger, werdender Mann. Es kam Hammond wie gestern vor, als er noch ein Baby gewesen war und an ihm geklammert hatte. Doch diese Zeiten waren vorbei. Nun war er ein hübscher Jugendlicher mit wildem, schwarzem Haar und dazu passenden Sommersprossen. In seinen Augen sah er das Glitzern von Leandra. Sie wäre stolz gewesen! Er hingegen wankte gerade. Wenn er zusah, wie sein Knabe um das Feuer tänzelte und etwas hilflos es zu löschen versuchte, zweifelte er dessen gesunden Menschenverstand an. Alleine es derartig zu entfachen! Als Drakonier mochte Alec sehr leicht entflammbar sein, doch er musste wohl dringend sein Temperament zu zügeln lernen. Schlussendlich beobachtete der Titan die grenzenlose Verzweiflung etwas und wie sich das Feuer trotzdem weiter ausbreitete. Alec war schon lange nicht mehr Herr der Lage. Schließlich hob der Titan seine Hände und ließ einige der Steine aus den Wänden herausbrechen. Von der Decke ließ er bewusst die Finger, um einen Einsturz zu vermeiden. Die Wand war schon riskant! All die Steine ließ er auf die Flammen krachen. Soweit es ging, alles auf einmal. So wollte er das Feuer einfach ersticken, damit es sich weder weiter ausbreiten konnte noch jemand verletzt wurde. Natürlich würde er im Anschluss helfen, die Wände wieder zu reparieren. Verblüfft beobachtete der Drakonier, wie die Felsen einfach das Feuer erstickten, als würde es hier spuken. Ihm war klar, dass er selbst das nicht getan hatte und ihm auch die Macht dazu fehlte. Doch im ersten Moment schien Alec auch einfach nicht zu begreifen, wer ihm gerade geholfen hatte. „Wir sollten ein ernstes Wörtchen miteinander reden, Alec.“, sagte Hammond tadelnd. Endlich drehte sich der Sechszehnjährige um und entdeckte seinen Vater. Sofort begannen seine Augen zu leuchten. Er freute sich aufrichtig! Auch wenn er die meiste Zeit hier war, wusste er doch, wer sein leiblicher Vater war. Damals hatte der heutige Jugendliche es nicht verstanden. Er hatte oft geweint und hatte den Titan nicht sehen wollen, wenn er dann doch mal den Hort besuchte. Immer wieder hatte der Junge geschrien, dass er ihn nicht lieben würde. Hammond hatte keine andere Wahl gehabt, als es geschehen zu lassen und ihm seinen Frust zu lassen. Irgendwann war dieser einfach verflogen. Zusammen mit Emily hatte er ihn begrüßt und seither war kein Groll mehr wahrzunehmen. „Hast du das gesehen?!“, keuchte Alec voller Stolz. Er schien zwar zu wissen, dass er mit dem Feuer zu weit gegangen war, doch wirklich zeigen tat er es nicht. „Es war schwer zu übersehen.“ „Das habe ich ganz alleine getan!“ „Das will ich doch hoffen... Ich würde mir Sorgen machen, wenn dir dabei noch jemand geholfen hat.“, seufzte der Titan. Alec breitete die Arme aus, als wollte er zeigen, wie gigantisch das Feuer gewesen war: „Emmy kann so etwas nicht! Ich bin etwas Besonderes.“ „Emmy ist auch etwas Besonderes.“, widersprach er ihm streng. „Schon alleine deshalb, weil sie nicht den Hort versehentlich abfackeln würde. Und noch weniger wäre sie im Anschluss stolz auf sich.“ Nur einen kurzen Herzschlag lang wirkte der Jugendliche peinlich berührt. Hammond meinte sogar, dass seine Wangen rot geschimmert hatten. Alec grinste jedoch so schnell wieder breit, dass er es nicht mit Sicherheit sagen konnte. Lieber stürmte der Sechszehnjährige auf seinen Vater zu und warf sich in dessen starken Arme. Lachend und frohlockend klammerte er sich an ihn, als habe er ihn mindestens zwanzig Jahre nicht gesehen. Und dem Weltenlenker sei Dank, bist du noch keine zwanzig Jahre alt..., dachte er erleichtert. Dann wäre er kein Kind mehr und würde seine eigenen Wege gehen. Vielleicht würden sie sich dann sogar endgültig aus den Augen verlieren, was er nicht hoffte. Jetzt aber erfreute er sich selbst. Er freute sich über das Glück seines einzigen Sohnes und über dessen ausgesprochen fröhliches Gemüt. Hammond freute sich, dass er überlebt hatte. Er dankte innerlich Kelvin für seine meisterhafte Rettung und den Drachen für diesen Zufluchtsort. Wenn er seinen Sohn nur noch ein weiteres Mal so halten durfte, dann war es jeden Verlust wert gewesen. „Bist du denn wenigstens etwas beeindruckt?“, hakte der Junge schließlich nach. „So etwas konnte ich früher immerhin nicht tun.“ „Natürlich bin ich stolz auf dich. Ich bin immer stolz auf dich, mein Sohn.“, hauchte er aufrichtig. Zärtlich küsste er anschließend den schwarzen Schopf seines hübschen Burschen und genoss weiterhin dessen Nähe. Stolz grinste Alec breit: „Und Emmy lernt bloß solch einen Unfug wie Nähen und Kochen...“ „Du wirst dankbar dafür sein, wenn sie dir Kleidung anfertigt und deinen knurrenden Magen füllt.“ „Aber dazu habe ich doch dich!“ „Vielleicht bin ich ja irgendwann nicht mehr da, um das zu machen, Alec.“, erinnerte er ihn sanft. Wenn er auch starb, dann hatten die Geschwister nur noch einander. Ähnlich wie bei Kelvin... Sie würden einander schützen müssen, um in dieser grausamen Welt zu überleben. „Unkraut vergeht nicht, sagt Meister Tyr.“ „Ich hoffe sehr, dass er damit nicht mich meinte.“, lachte der zweifache Vater spöttisch. „Ich glaube nicht, aber es trifft doch zu.“, erklärte Alec lächelnd. „Immerhin sieht der Weltenlenker dich doch nur als Unkraut an, nicht wahr? Also wirst du nicht vergehen.“ „Eine sehr stichhaltige Theorie.“ „Nicht wahr?“ Der Titan lächelte. Ihm war bewusst, dass sein Sohn ihn keineswegs beleidigen wollte. Viel mehr munterte er ihn auf. Eine Aufgabe, die ein Kind eigentlich nicht für seinen Vater übernehmen sollte. Aber er war so stolz auf sich, dass er ihm diese neue Pflicht gerne überließ. Als der Schwarzhaarige seinen Blick hob, entdeckte er seine kleine Tochter in der Tür stehen. Ihr rotblondes Haar lockte sich wild und stand ihr so herrlich. Auch sie hatte überall im Gesicht diese wunderschönen Sommersprossen wie auch ihr Bruder. In ihrem neuen, blauen Kleid sah sie göttlich aus. Nicht, wie die angeblichen Gottheiten des Weltenlenkers, sondern wie eine wirklich heilige Gestalt, vor der man knien wollte, um sich in dessen Herrlichkeit zu suhlen. Erst recht, wenn ihr Lächeln ihre wunderschönen Augen erreichte. Wie bedauerlich es auch war, würde sie wohl mal eine wunderschöne, kluge und begehrenswerte Frau werden. Und er würde sie mit allen Mitteln verteidigen! Denn alles an ihr war so schützenswert, dass er einfach nicht begreifen konnte, wie der Weltenlenker so gnadenlos Kinder abschlachten konnte. „Vater!“, rief sie dann aus und eilte herbei. Die Vierzehnjährige räusperte sich etwas, um Fassung zu finden. Sie war neuerdings in der Phase, dass sie meinte eine Dame sein zu müssen. Sehr amüsant wie er fand. Vorsichtig löste er sich von Alec, um vor seinem Mädchen auf die Knie zu gehen. Seine viel größere Hand ergriff derweil ihre blassere, um dieser einen hauchfeinen Kuss zu schenken. So, wie ein edler Herr es auch bei einer gehobenen Dame getan hätte. Emily war ganz entzückt! Sie kicherte glockenhell auf und strahlte im ganzen Gesicht. Doch dann kam das Kind in ihr durch und sie warf sich um den Hals des Titans. Sie war ihm niemals böse gewesen. Nicht mal ein bisschen! Als hatte sie von Anfang an verstanden, weshalb er sie beide in den Drachenhort gebracht hatte. „Nun erzählt mir mal alles, was ihr seit unserem letzten Treffen gelernt und erlebt habt!“, rief Hammond fröhlich aus. „Und lasst kein Detail aus. Wenn eure Meister nichts dagegen haben, werde ich eine Weile hierbleiben. Da soll es sich so anfühlen, als wäre ich niemals weggewesen.“ „Jaah~!“, riefen die beiden Kinder wie aus einem Munde. Ihre Worte überschlugen sich beinahe, während sie beide versuchten ihm alles zu berichten. Jede Lehrstunde, jede Unterhaltung mit einem Mitschüler, jeder Ausflug ins Freie. Wie er es sich gewünscht hatte, sparten sie nicht an Details. Und er hang an ihren Lippen, als gäbe es auf dieser Welt nichts, was interessanter oder wichtiger war. Und für den Titan gab es auch nichts, was so bedeutungsschwer war wie seine eigenen Kinder.   Einst hatte es eine Zeit gegeben, in der hatten Drachen die Lüfte regiert. Die Welt beherrscht! An diese Zeit erinnerte er sich wirklich gut... An die Zeit des Friedens zwischen den ganzen Völkern. Als jeder noch nach Instinkten lebte, statt nach seinem Geldbeutel. Ob Mensch oder Nichtmensch. Tier oder Pflanze. Alles hatte sich instinktiv entwickelt und eine ganz eigene Harmonie zwischen sich gefunden. Es war eine Zeit der Räte gewesen. Als Menschen, Zwerge, Elfen, Drachen und all die Völker zusammen getagt hatten, um Lösungen zu finden. Oft genug hatten sie dabei natürlich Probleme geschaffen, doch sie hatten es irgendwie geschafft, den Frieden zu wahren. Zu jener Zeit war er ein König gewesen. Gewiss, er war kein guter König gewesen, doch er war einer gewesen. Einer mit Idealen! Mit Wertvorstellungen... Zu hoch gesteckten Zielen für die geringen Ambitionen seines Volkes. Zu friedfertig nach Dra’cor, die nicht nur den ersten Krieg mit provoziert hatte, sondern auch darin gefallen war wie eine Heldin. Dyad war kein Held. Er war kein König mehr. Und er war nicht mal wirklich gefallen, obwohl alle das glaubten und er sie im Glauben gelassen hatte. Nur so war er dem Thron der Drachen entronnen. Hatte den Platz freigegeben, damit der nächste König oder die nächste Königin folgen konnte. Er wusste, dass es das Beste für die Drachen gewesen war. Zumindest redete er sich das gerne ein, wenn er nachts zu schlafen versuchte... Wie so oft, hob er seinen Blick in den Himmel. Suchte nach den Silhouetten von Drachen ohne sie zu finden. Lauschte dem Gesang von Vögeln. Und erinnerte sich... Erinnerte sich daran, als Wyrnné noch ein einfaches Ratsmitglied unter seiner Führung gewesen war. Wer Wyrnné hätte sein können, wenn er dem Pfad von damals nur niemals verloren hätte! Er erinnerte sich daran, wie gut sie miteinander befreundet gewesen waren. Dass sie füreinander gestorben wären. Wie sie Seite an Seite für ihr Volk gekämpft hatten, um jede Ungerechtigkeit und jeden Schmerz zu tilgen. Als Zodiak die Oberwelt befiel – jene, die heute nur noch Midgard genannt wurde – hatte er sich endgültig seiner Machtlosigkeit gegenübergesehen. Schon am Anfang hatte er erkannt, dass er nicht hilfreich auf dem Thron war. Also hatte er sich in seine letzte Schlacht gestürzt! Hatte so viele Bestien des Urbösen mit sich gerissen, um ihn wenigstens etwas zu schwächen. Dyad wäre damals wirklich fast gestorben... Seine goldblonden Locken waren blutrot gefärbt gewesen, während sein eher sanftes Gesicht verstellt von Wunden gewesen war. Blutröchelnd und am Ende mit seinen Kräften hatte er – so wie auch heute – in den Himmel gestarrt. Nach den Silhouetten der freien Drachen gesucht. Nach einem Herzschlag des Friedens, um für jene zu sterben, die er am meisten liebte. Dessen ungeachtet tauchte ein Gesicht über ihm auf. Wyrnné, der zu dieser Zeit noch jünger, aber nicht weniger attraktiv gewesen war. Sein langes, schwarzes Haar fiel ihm über seine Schultern, während er nach den Schultern des schwerverletzten Drachen griff, um ihn hochzuhieven. Ganz alleine schleppte er ihn durch die Leichen. Dyad erinnerte sich genau, wie Wyrnné immer und immer wieder sagte: „Du wirst nicht sterben.“ Wie ein Mantra sagte er es auf, während der damalige Drachenkönig außerstande gewesen war, etwas zu sagen. Sonst hätte er darum gebettelt, ihn einfach nur sterben zu lassen. Loszulassen... Doch er war zu schwer verletzt gewesen, um das zu tun, also hatte er sich tragen lassen. Irgendwie hatte es das damalige Ratsmitglied doch geschafft, ihn aus dem Meer der Leichen und der schwarzen Schlacke zu tragen. Abseits von all dem Leid rettete er ihm das Leben. Ohne Magie schaffte er es, seine Seele dem Tod zu entreißen und seinen Körper soweit zu heilen, dass er irgendwann wieder sprechen konnte. „Das... hättest du nicht tun sollen...“, hatte er ihm atemlos zugeflüstert. „Ich weiß, dass du sterben wolltest.“ „Woher?“ „Man muss kein Gelehrter sein, um ein Himmelsfahrtkommando zu erkennen, wenn man eines sieht.“, seufzte Wyrnné damals. „Du bist ohne Verstärkung in zahlreiche dieser Kreaturen geflogen. Natürlich hast du viele flambiert, doch es war dennoch aussichtslos.“ Dyad war damals verwirrt gewesen. Er hatte nicht verstanden, weshalb sein Freund und Ratsmitglied dann trotzdem auf das Schlachtfeld gekommen war, um ihn aus den Leichen zu pieken. Hatte er ursprünglich nur die Leiche bergen und den Drachen aushändigen wollen? Oder hatte er tatsächlich gewusst, dass er es überlebt hatte? Fragen, die er bis heute nicht beantwortet bekommen hatte. Eigentlich spielte es auch gar keine Rolle, weshalb er ihn damals gesucht hatte. Nicht mal, wieso er ihm das Leben rettete, welches er gar nicht gewollt hatte. Es war entscheidend, was danach passierte... „Du darfst es ihnen niemals sagen.“, drängte Dyad, der sich endlich vollends von den eigentlich tödlichen Verletzungen erholt hatte. „Sie dürfen nicht wissen, dass ich überlebt habe.“ „Von mir werden sie es nicht erfahren, solange du es nicht wünscht, Dyad.“, schwor Wyrnné aufrichtig. Traurig betrachtete sich der ehemalige Drachenkönig in einem Spiegel. Seine goldblonden Locken waren nicht mehr vom Blut verschmiert und sein Gesicht hatte es ohne bleibende Schäden überstanden – wenn er auch nicht wusste, wie. Er sah, dass er sich selbst enttäuscht hatte. Und ihm war klar, dass er sich niemals selbst verzeihen würde, dass er davongelaufen war. Wyrnné aber sah etwas anderes. Er erhob sich von den Fellen und ging zu ihm, um ihm zärtlich ein paar der Locken hinter das Ohr zu streicheln. Dabei vermied er es, die Drachenschuppen auf seiner Haut zu berühren. Es wäre nicht das erste Mal, dass er sich daran schnitt! Seither war das Ratsmitglied vorsichtiger geworden. „Du hast etwas sehr Mutiges getan, Dyad.“, hauchte Wyrnné ihm zu. „Als du erkannt hast, dass du deinem Volk nicht das bieten kannst, was sie in diesem Moment am dringendsten brauchten, hast du Platz gemacht. Gut, sich selbst umbringen zu wollen, war durchaus idiotisch, aber na ja...“ „Sterben ist einfach.“, erwiderte er damals aufrichtig. „Doch diese Bürden zu tragen war schwer.“ „Ich weiß, mein Freund, ich weiß. Und auch wenn du mir widersprechen wirst, hast du das alles wirklich gut gemacht. Du warst ein guter König.“ „Ich war der erste männliche Herrscher der Drachenlinie...“ „Und du denkst, nun hast du dafür gesorgt, dass es wieder nur Königinnen geben wird?“ Der ehemalige Drachenkönig seufzte, ehe er nickte: „Ja, ich denke schon. Keine der Königinnen hat jemals so versagt. Oder aufgegeben...“ „Dra’cor hatte aufgegeben.“ „Hat sie nicht!“ Dyad ärgerte sich über diese Behauptung so sehr, dass er tatsächlich den Spiegel geschlagen hatte. Jener, der unter seiner Faust zerbrach. Es war ein grauenhafter Schmerz gewesen! Scherben schnitten sich in seine Hand und verteilten sich vor ihren Füßen. Einige bohrten sich sogar in seine hinein und rissen alte Wunden einfach wieder auf. Doch Wyrnné war nicht eingeschritten. Er hatte ihn einfach in den Scherben stehen und schmollen lassen, um ihn nicht weiter zu reizen. Er hatte sehr genau gewusst, dass man einen Drachen niemals provozieren durfte. Selbst einen so sanftmütigen nicht... Wortlos streckte er seine Hand aus und ballte sie erneut zur Faust. Das Blut tropfte herunter. Wanderte über einige der Scherben, um dann in den Boden des Zeltes zu sickern. Irgendwas hatte er in diesem Wechselspiel gesehen, was ihn klarer sehen ließ. Hatte ihn erkennen lassen, dass er nicht aufgegeben hatte – jedenfalls nicht wirklich. „Sie hat sich geopfert... Für ihre Soldaten.“, flüsterte er schließlich.“ „Dra’cor hatte gewusst, dass sie nicht siegen konnte, also tat sie das, was nötig war und starb. So konnte der Krieg beendet werden, welchen auch sie angezettelt hatte.“ „Aber dadurch hat sie nicht aufgegeben.“ „Gewissermaßen schon.“, korrigierte Wyrnné ihn sanft. „Sie hätte das Leben wählen und einen Friedenspakt schließen können. Doch wie du schon richtig sagtest: Sterben ist einfach.“ „Würdest du es auch tun...?“, wollte Dyad wissen. „Was meinst du?“ „Sterben, wenn es dem Wohl deines Volkes dienen würde? Wenn du erkennen würdest, dass du der falsche König wärst?“ „Ich weiß es nicht...“, gestand das damalige Ratsmitglied murmelnd. „Vielleicht. Es käme wohl auf die Situation an.“ In diesem Punkt hatten sie sich unterschieden. Dyad hatte es sofort gewusst. Ihm war sofort klargewesen, dass er sich für sein Volk opfern würde ohne zu zögern. Und er hatte es getan... Ob ihn das irgendwann zu einem besseren König gemacht hätte, wusste er nicht. Er wusste nur, dass er das Richtige getan hatte. Denn nur wenige Wochen später war Billie aufgetaucht. Beinahe so, als hätte sie nur auf den Moment gewartet, dass der König abdankte und sie erwachen konnte. Sie hatte Wyrnné geholfen. Hatte sein Herz berührt... Und schlussendlich hatte sie die Welt verändert. Das Urböse in seine Schranken gewiesen, als wäre es ein pubertierendes Kleinkind. Sie war es gewesen, welche das Volk gebraucht hatte. Die ganze Welt brauchte... Bis heute hat sich daran nichts geändert., gestand sich der Drache ein. Während sie sich gegen den Weltenlenker auflehnte, lebte er im Schatten. Sie kämpfte gegen den Rest der Welt! Alleine, wenn es sein musste. Während er sich alleine bemitleidete und sich die Frage stellte, ob er nun endlich der Mann werden konnte, der er sein wollte. Wyrnné hatte einst gesagt, dass er ein Träumer sei. Hoffnungslos verloren in seinen idealistischen Wertvorstellungen. Im selben Atemzug hatte der heutige Weltenlenker gekichert, dass er genau das an ihm mochte. Wie er den Kopf in den Wolken trug... Seufzend schloss er seine Augen. Er schüttelte die schwarzen Gedanken ab. Vertrieb die Geister seiner Vergangenheit aus seinem Verstand, um sie davonzujagen. Er tat das, was er damals hatte seinem besten Freund raten wollen: Loslassen. Ich kann meine Entscheidungen nicht mehr rückgängig machen und nicht ändern, wer ich bin. Aber ich kann ändern, wie ich mit all dem umgehe., erinnerte sich der ehemalige Drachenkönig selbst und lächelte. Die Welt brauchte keine Kriege mehr. Keine Leichen. Keine Helden. Diese Welt brauchte Freude und einen Grund zum Leben. Sie brauchte uralte Instinkte. Ein sanftes Lächeln auf den Lippen, um sich den Schrecken der tiefsten Nacht zu stellen. Und er war bereit. Er war endlich bereit dazu. Dyad hatte die Jahrhunderte nicht gezählt, die er dafür gebraucht hatte, denn er wusste inzwischen, dass es keine Rolle spielte. Heute war seine Zeit. Nicht damals...   Der Weltenlenker musste sich ehrlich wundern. Alle, die Heimdall betraten, schienen diesen Ort unheimlich zu finden. Ob es nun Besucher waren oder jene, die hier arbeiteten, sie wollten stets schnell verschwinden. Nur Konstantin schien sich als einziger hier wohlzufühlen. Er fragte nicht mehr pausenlos danach, ob er nun endlich abreisen dürfte, sondern erkundete tatsächlich die Stadt! Soweit er es gehört hatte, war er sogar im Kolosseum gewesen, um sich einen Kampf anzusehen. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass der König sobald wie möglich verschwinden würde und dass er sich in der Zwischenzeit in seinen Gemächern einschloss. Erstaunlicherweise schien er beinahe... glücklich. An sich eine Schande, wenn Wyrnné bedachte, dass er selbst sich niemals hier wirklich wohl gefühlt hatte. Und wie er es nicht anders kannte, saß er alleine in seinem Sessel. Wie gewohnt mit einem Buch in seinen Händen, welches er seit dem gestrigen Abend las. Es ging wieder um Politik. Es ging immer um Politik! Seltsam... Billie war seit längerer Zeit nicht mehr hier., stellte er nüchtern fest. Es fehlt mir irgendwie, wenn sie keine Kommentare zu meinen Lektüren abgibt und mir keinen Kopf vor die Füße legt. Wobei er selbstverständlich von dem nächtlichen Besuch bei Konstantin wusste. Seitdem war sie jedoch untergetaucht. Leider hatte er dem König nichts Genaueres über ihr Gespräch entlocken können. Immer wieder hatte er beteuert, dass es nichts Spannendes zu berichten gab. Deshalb wusste der Weltenlenker auch nicht, ob er vielleicht im Bilde darüber war, wo sie sich gerade aufhielt. Gelangweilt blätterte er um. Erinnerte sich zurück... An jenen verheißungsvollen Tag, als man Billiana auf dem Schlachtfeld fand. Oder eher abseits davon... Wie man sich um sie gekümmert hatte, obwohl es eigentlich gar nicht notwendig gewesen war. Wie sie wie eine Katze durch den Raum gesprungen war. Er musste doch etwas lächeln, wenn er an die knurrenden und fauchenden Geräusche dachte, die sie gemacht hatte, um ihn fernzuhalten. Sie war so naiv gewesen... So wild! Ganz anders, als jede Frau vor oder nach ihr. Als sie sich durch die Flure schlich und ihren Weg zu ihm fand, war es um ihn geschehen gewesen. Er hatte nicht mit ihr geschlafen, weil er sie besitzen wollte. Auch nicht, weil er es so dringend gebraucht hatte... Er schlief mit ihr, weil er dieser Elfe innerhalb weniger Momente verfallen gewesen war. Als wäre sie die Botin seines Schicksals. Es war nur eine Nacht gewesen, doch sie hatte sich wie hunderte angefühlt. Wyrnné war sich damals sicher gewesen, dass ihr Herz so für ihn schlug wie seines für sie. Doch sie entschied sich für Argrim. Den Zwerg, den er auch noch selbst gebeten hatte, auf sie zu achten! Wütend krallte sich seine Finger in das Buch. Es war die letzte Ausgabe, die noch existierte. Alle anderen hatte er verbrennen lassen, damit die Menschen sich nicht weiterbilden konnten. Doch er las sie vorher selbst. Erforschte die Wahrheit, die in ihnen lag. Billie hatte ihm oft gesagt, dass sie es sehr bedauerlich fand, dass er das Gelernte nicht umsetzte. Ihre eisblauen Augen hatten ihn dann immer so traurig angesehen, als betrachtete sie ein verblutendes Tier.   Noch besser erinnerte er sich an einen Streit mit ihr. Er hatte ihr an den Kopf gedonnert, dass sie keine Ahnung von seiner Bürde habe. Dass es leicht war, darüber zu urteilen, was er angeblich doch alles falsch machen würde. Sie hatte ihm zugestimmt. Das hatte ihn noch wütender gemacht! Er hatte lange nicht mehr so geschrien wie in jener Sommernacht, als er ihre Kritik über seine Politik nicht mehr ausgehalten hatte. Als dieser eine Kopf vor seinen Füßen, einer zu viel gewesen war... Wyrnné hatte ihr vorgehalten, dass sie es doch besser machen sollte. Immer wieder schrie er, dass sie doch stattdessen herrschen sollte, wenn es ihr so viel Freude bereiten würde. Das, was sie ihm als Antwort gegeben hatte, hatte sich tief in seinen Kopf gebrannt. Noch heute hörte er es sie immer und immer wieder sagen. Es hämmerte stets in seinem Hinterkopf. Ermahnte ihn, nicht so kopflos zu handeln. „Ich will deine zerbrochene Krone nicht.“, hatte sie in aller Ruhe gesagt. „Ich habe sie nie gewollt.“ Zerbrochene Krone... Das traf es genau. Seine Krone war vor langer Zeit zerbrochen, als er den Weg verloren hatte. Wer auch immer mal sein Erbe antreten würde, würde es nicht leicht haben, wenn er bis dahin so weitermachte wie bisher. Er hatte sich diese Reiche angeeignet und sie in ein Scherbenmeer verwandelt. Seine Könige und Gottheiten waren sadistische Monster, die beinahe schlimmer als Zodiak waren! Sah er von Konstantin ab... Konstantin, der ein seltsames Licht im Dunkeln war. Strahlend hell und so angenehm warm. Er konnte nicht in Worte fassen, wie gerne er diesen jungen Mann eigentlich um sich hatte. Wie sehr er die gemeinsamen Essen mit ihm genoss. Sein Lachen, wenn er mit seinen Hauptmännern sprach! Wyrnné fragte sich ernsthaft, wie in dieser bitterbösen Dynastie eine solche Blume hatte erblühen können. Wie er es geschafft hatte, sich aus Schlacke, Blut und Gestank zu einem wunderschönen Phönix zu erheben. Er wusste beim besten Willen nicht, wie er so hatte werden können! Trotz aller Widrigkeiten war er mit Abstand der beste König, den er jemals gesehen hatte. Vielleicht auch gerade wegen all den Steinen, die man Konstantin in den Weg geworfen hatte! Sein etwas pessimistischer Teil flüsterte, dass jedes noch so kleine Licht blendete, wenn es nur in absoluter Dunkelheit erstrahlte. Und er wusste, dass auch das der Wahrheit entsprach. Mit einem Mal hörte er eigenartige Geräusche auf seinem Balkon. Anfangs hielt er es für den lang ersehnten Besuch von Billiana, doch dann fiel ihm ein, dass die niemals solch einen Lärm veranstalten würde. Sie tauchte einfach auf! Man bemerkte erst, dass sie da war, wenn sie einen ansprach oder eben einen Kopf vor die Füße warf... Langsam legte er das Buch beiseite, welches längst nicht mehr sein Interesse weckte. Der selbsternannte Gott wanderte also zu der offenen Balkontür und beobachtete einen jungen Mann dabei, wie er sich versuchte, an dem Geländer hochzuhieven. Er sagte bewusst nichts. Der Schreck konnte dazu führen, dass er in die Tiefe stürzte. Ihm hing der wagemutige Sprung von Billie immer noch nach. Irgendwie war es doch amüsant zu sehen, wie schwerfällig er versuchte, sein Bein über das Geländer zu bekommen. Wyrnné wusste, dass das keine einfache Sache war, doch er war sich auch sicher, dass der junge Mann schon bessere Tage gesehen hatte. Als er sich sicher war, dass er nicht mehr stürzen würde, erhob er endlich seine charismatische Stimme: „Dyad... Wie schön, dass du hier wieder einsteigst, als seist du mein heimlicher Geliebter.“ Der ehemalige Drachenkönig lächelte, als er aufblickte. Seine schönen, goldblonden Locken waren verklebt von seinem Schweiß. Der Aufstieg musste mörderisch gewesen sein! Dabei müsste er allmählich Übung haben... Doch er war eben doch nicht mehr der Jüngste. Genaugenommen waren sie in etwa gleich alt. Nur wusste der Weltenlenker beim besten Willen nicht, wie dieser sanftmütige Drache all die Jahrtausende überlebt hatte! Selbst als Langlebiger musste man Leben nehmen, damit man weitermachen konnte. „Ich... Ich-...“, begann der Blondschopf noch vollkommen atemlos. Er hob einen Zeigefinger, um zu verdeutlichen, dass er einen Augenblick Pause brauchte. Seine andere Hand stützte Dyad derweil auf sein Knie und atmete tief runtergebeugt mehrmals durch. „Wenn du hier gleich tot umfällst, kann ich nicht dafür garantieren, dass ich deine Leiche nicht vom Balkon werfe.“ „Weißt du was...? Das... glaube ich dir sogar...“ „Du solltest einfach die Tür benutzen, Dyad.“, schlug der Weltenlenker ihm zum wiederholten Male vor. „Türen sind meine anerkannten Erzfeinde.“ „Verstehe.“ Er hatte nicht mal gemerkt, wie er sich an den Rahmen der Balkontür gelehnt und seine Arme verschränkt hatte. Er musste es ganz automatisch gemacht haben, während er den ehemaligen Drachenkönig beim Klettern beobachtet hatte. Nichtsdestotrotz stieß sich der Weltenlenker nun ab und wanderte durchaus erhaben zurück in seine Gemächer. Müde ließ er sich auf seinem Sessel nieder, den er schon oft als Bett missbraucht hatte. Nicht, dass es einen Unterschied machte... Er schlief seit Jahren entweder gar nicht oder wahnsinnig schlecht. Dyad folgte ihm kurz darauf herein. Seiner vorherigen Aussage zum Trotz schaffte er es problemlos, die Balkontür zu durchschreiten. Das musste Wyrnné ihm allerdings nicht unter die Nase reiben, auch wenn es amüsant wäre. „Ich bin dein heimlicher Geliebter!“, konterte der Blondschopf dann endlich. „Ich bin dein heimlicher, geliebter Freund, von dem keiner etwas wissen darf.“ „Woran ich nicht alleine schuld bin.“ „Ich weiß, ich weiß...“ Er kannte sich hier bestens aus. Eventuell kannte Dyad diese Gemächer sogar besser als er selbst. Immerhin war er stets neugierig gewesen und öffnete deshalb wahnsinnig gerne Schränke oder guckte unter Betten. Es war seine Art eines Abenteuers. Außerdem hatte er auch schon oft hier übernachtet. Inzwischen glaube ich tatsächlich, dass Dyad mein Bett häufiger nutzt als ich selbst..., sinnierte Wyrnné nüchtern. Aber das trifft wohl auf jeden in diesem Palast zu. Selbst Billie hat da häufiger drin gelegen! Der ehemalige Drachenkönig beschloss sich auf das Bett zu setzen. Er versank kaum darin, während er seinen Freund anschaute, als hatten sie sich ewig nicht gesehen. Wenn der Weltenlenker ehrlich war, wusste er nicht mal mehr so genau, wann er das letzte Mal durch sein Fenster eingestiegen war. Es konnte wirklich etwas her sein! „Du sehnst dich mal wieder nach Billie.“, erkannte Dyad sofort. „Lässt sie dich wieder am langen Arm hungern?“ „Dir entgeht aber auch gar nichts, mein Freund.“ „Du hättest vielleicht meinen Wunsch respektieren sollen, dann hättest du das Problem nicht mehr.“ „Ja, vielleicht hätte ich das tun sollen...“, murmelte Wyrnné unaufrichtig. „Aber der Schaden wäre größer gewesen. Ich hätte dich vermisst.“ „Awww~! Du wirst ja fast sentimental!“ Räuspernd nahm sich Wyrnné wieder das langweilige Buch entgegen, um stattdessen weiterzulesen. So musste er nicht auf diese demütigenden Worte reagieren. Immerhin war er nicht sentimental! Er war der verdammte Weltenlenker! Der mächtigste Mann Midgards. Und der einsamste Mann Midgards..., stellte er nüchtern fest. Nicht, dass ich nicht selbst Schuld daran hätte. „Was hast du denn dieses Mal angestellt, damit sie dich nicht mehr besuchen kommt?“ „Das letzte Mal sprang sie aus dem Fenster...“, säuselte er. „Ich wüsste also nicht, dass irgendwas Besonderes vorgefallen wäre.“ Skeptisch zog der ehemalige Drachenkönig die Augenbraue in die Höhe, während er seinen besten Freund musterte: „Sie ist aus deinem Fenster gesprungen? Nur, um dir zu entkommen? Maaan... Du kommst ja richtig gut an bei den Damen!“ „Sie wollte Altan entkommen.“, korrigierte er ihn trocken. „Ich fürchte, dass das aufs Gleiche hinausläuft, mein Freund.“ Darauf wusste Wyrnné nichts zu sagen. Immerhin endete jede Unterhaltung mit Billiana inzwischen vollkommen gleich. Nur der Verlauf variierte. Manchmal schliefen sie miteinander, manchmal eben nicht, doch am Ende stritten sie und Billie floh, damit seine Kreaturen sie nicht töteten. Im Anschluss vermied die Elfe es, sich ihm zu zeigen. Er vermutete zudem stark, dass sie oftmals auch Götterherz mied, wenn sie wieder aneinandergeraten waren. Denn kurz darauf wurde es stets still um „Athena“. Keine adligen Toten, keine Überfälle auf den Schlund und auch sonst keine der üblichen Handlungen. So wie auch zurzeit... Dabei hatte er bei ihrem letzten Besuch gar keinen Kontakt zu ihr gehabt. Nur Konstantin, dieser Benedikt und schließlich Altan. Außerdem hatte sein Inquisitor immer wieder betont, dass noch eine vierte Person aufgetaucht sei. Er hatte ihn nicht gesehen, war sich aber sicher, dass es der Rebellenanführer mit seiner Essenzmagie gewesen war. Ob das pure Paranoia war oder Kelvin tatsächlich der Attentäterin geholfen hatte, wusste er bisher nicht. Jedoch scheute er keine Kosten, um diese Informationen irgendwie zu erhalten. Khaleb hatte sogar zahlreiche Spione für ihn ausgesandt, um endlich Antworten zu finden. Nur verstand sich Billie darauf, Geheimnisse geheim zu halten. „Bereust du es?“, fragte ihn plötzlich Dyad. „Was meinst du?“ „Dass du mich damals gesucht, gefunden und gerettet hast. Dass ich immer noch hier bin...“ „Nein, Dyad, das bereue ich an keinem einzigen Tag.“, antwortete der Weltenlenker aufrichtig. „Es war die wohl beste Tat, die ich jemals in meinem Leben vollbracht habe. Es ist das einzige in meinem Leben, was ich niemals bereuen werde.“ „Und den Sex mit Billie.“, kicherte der ehemalige Drachenkönig amüsiert. „Und den Sex mit Billie...“ Der Blondschopf strahlte von einem Ohr zum anderen. Es war nicht schwer, ihn glücklich zu machen, dafür umso schwerer, diese Freude zu erhalten. Dyad hatte viel durchlitten und viel geopfert. Wyrnné war die tiefe Traurigkeit durchaus aufgefallen, gegen die sich der Drache zu wehren versuchte. Keiner verstand diesen Zwiespalt wohl so gut, wie er selbst es tat. Auch er zweifelte. Jeden Tag. Jede Minute... Außerstande etwas zu verändern. Gemächlich schloss der selbsternannte Gott seine Augen. Erinnerte sich an jenen Tag in diesem Zelt, als Dyad den Spiegel zertrümmert hatte. Wie das Blut des Drachen auf die Scherben tropfte, um dann in den Boden zu sickern. Dieser Anblick hatte etwas in ihnen verändert. Jeder für sich hatte etwas in sich erkannt, was er vorher nicht hatte wahrhaben wollen. „Ich habe dich damals aus egoistischen Gründen gerettet...“, hörte er sich plötzlich selbst sagen. „Was meinst du damit?“, hakte Dyad überrascht nach. Es war das erste Mal, dass sie wirklich darüber sprachen. Es war zu einem Tabu-Thema geworden. „Du warst damals bereit zu gehen. Dich zu opfern... Du warst fest entschlossen, es zu tun. Hast dich von allem losgesagt und dich verabschiedet.“, erklärte der Weltenlenker mit geschlossenen Augen, als durchlebte er jenen Tag nochmals. „Doch ich war nicht bereit, dich ziehen zu lassen. Ich ertrug den Gedanken nicht, ohne dich weiterzumachen... Vielleicht wäre es besser gewesen, doch ich wollte dich einfach nicht loslassen.“ „Und heutzutage? Würdest du es heute zulassen, dass ich mich opfere?“ „Nein.“ „Wieso nicht?“ Ein ehrliches, zerbrechliches Lächeln schlich sich auf die Lippen des Weltenlenkers. Etwas, was seit Jahrhunderten gewiss keiner mehr zu Gesicht bekommen hatte. Ein Anblick, den sich Dyad einprägen und tief in sein Herz speichern würde, um es niemals zu vergessen. Behutsam öffnete er seine Augen, um den ehemaligen König anzusehen: „Weil ich immer noch egoistisch bin. Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen.“ Es überraschte ihn weniger, dass Dyad wieder breit lächelte. Glücklich darüber, dass er im Herzen des Weltenlenkers solch einen Platz hatte. Wo doch sonst keiner ihn zu erweichen oder zu erwärmen wusste. Nicht mal sein eigenes Volk... Doch er war nicht bereit Dyad gehen zu lassen oder ohne ihn weiterzumachen. Dafür war Dyad dazu bereit, ihm endlich angemessen zur Seite zu stehen. So, wie es der selbsternannte Gott brauchte, um endlich zu seiner wahren Größe heranzuwachsen. Doch das würde ihn viel Arbeit kosten. Und Nerven! Vor allem Nerven... Kapitel 6: Entstehung der Welten -------------------------------- Billiana musste zugeben, dass sie wirklich beeindruckt war. Natürlich hatte Kelvin anfangs nur herumgealbert und nicht so mitgearbeitet, wie sie es sich erhofft hatte, doch er hatte schnell gemerkt, dass er damit nicht punkte. Die Elfe ließ ihn dafür nur immer härter arbeiten. Irgendwann hatte er dann nachgegeben und tat einfach, was man ihm auftrug. Nicht immer ohne Fragen, doch letztendlich überzeugte er nach wenigen Wochen. Für einen Menschen war er nicht einfach nur lernwillig, sondern erstaunlich aufgeschlossen. Selbst gefährliche Praktiken testete er bis zum Limit aus und stellte sich jeder noch so großen Herausforderung. Und er meisterte sie! Keiner ihrer Schützlinge hatte jemals solch ein Talent für Kampfkunst oder Folterwiderstand bewiesen wie er. Je mehr Schmerzen sie ihm zugefügt hatte desto mehr hatte er sich verschlossen. Natürlich hatte die Attentäterin alles über ihn erfahren, doch bei ihm hatte sie psychologisch arbeiten müssen. Erst dann erfuhr sie alles über seine verstorbene Verlobte, die ihr ungeborenes, gemeinsames Kind in sich getragen hatte und sich dennoch opferte. Sie erfuhr, wie schrecklich es sich anfühlte. Wie er sich aus der Asche erhoben und einen Aufstand anzettelte, der noch nie da gewesen war! Billie war wirklich beeindruckt von der Anzahl seiner Männer. Von ihrer Loyalität. Doch vor allem war sie von seiner Loyalität seinen Männern gegenüber beeindruckt. Je mehr sie ihn zwang sich zu öffnen desto schneller lernte er, sich zu verschließen. Den Schmerz nicht in sein Herz zu lassen. Ihre Worte nicht in seinen Verstand eindringen zu lassen. Er ließ los. Zog sich in glückliche Momente seines Lebens zurück, wie sie es ihm geraten hatte. Anfangs bekam er nicht mehr mit, was sie ihn fragte. Er war so gefangen in seinem Gedankenpalast, dass die Folter fast spurlos vorbeiging. Schließlich konnte er beides tun. In seinen Erinnerungen schwelgen und ihr aufmerksam lauschen, um mehr über sie zu erfahren. Kelvin hatte sogar den Spieß teilweise umdrehen können! Durch ihre Fragen Dinge erahnt und sie gegen sie eingesetzt. Schmunzelnd erinnerte sie sich an diesen Augenblick seines Triumphes. Als sie das erste Mal innehielt und ihn einfach nur fassungslos anstarrte. Wie stolz er gewesen war... Sie hatte sich niemals so über ihre Fortschritte gefreut wie er. Doch er lernte all das für ein größeres Wohl als sich selbst. Er lernte es nicht, um seinem Vater zu gefallen oder weil es seine Pflicht war. Er tat es für seine Männer. Auf dem Hügel konnte sie ihn gut beobachten. Zuschauen, wie er mit den Dolchen einige Übungspuppen malträtierte. Sein Waffenumgang hatte sich enorm gesteigert, ebenso wie sein Widerstand gegen Folter. Zwar nutzte er seine Magie immer noch zu viel, doch inzwischen glaubte die Attentäterin, dass er im Notfall auch ohne sie gut auskommen konnte. Wie ein Phönix aus der Asche..., dachte sie säuselnd. Das Feuer brennt so heiß in dir. Wenn du es doch nur selbst sehen könntest! Wenn du doch sehen würdest, wie alle anderen dich sehen, Auserwählter... Das war der Name, dem man ihm seit langem gab. Heimlich. Nur ein Flüstern, doch so sah das hungernde, leidende und missverstandene Volk ihn. Als den Auserwählten, der alles überlebte und für sie kämpfte, damit sie frei sein konnten. Und inzwischen glaubte sie auch, dass das Schicksal ihn erwählt hatte. Zu welchem Zweck würde sich noch zeigen. „Du magst ihn sehr.“, säuselte eine ihr vertraute Männerstimme. Sie musste nicht aufsehen, damit sie wusste, dass es ihr Halbbruder Connar war. Er war immer da. Irgendwie stets präsent. Er erfüllte das, was man sonst über verstorbene geliebte Menschen sagte. Stets an der Seite, um einen durch alle Widrigkeiten zu begleiten und das Herz zu berühren. Nur war er nicht tot. Und gewiss nicht so schmalzig veranlagt, um es genauso zu sehen wie sie. Obwohl er stets ihr Beschützer blieb. Das war offenkundig sein Schicksal. „Du warst noch nie so stolz.“, sagte Connar und beobachtete den Menschen bei seinem Training. „Hast dir noch nie so viel Mühe mit jemanden gegeben...“ „Es zahlt sich aus.“ „Das sehe ich. Er könnte wunderbar einen Truthahn tranchieren.“ Amüsiert zuckte ihre Augenbraue in die Höhe, doch die Elfe blickte ihn noch nicht an: „Besser als du auf jeden Fall. Du weißt kaum, welches Ende vom Dolch wohin gehört.“ „He, Vorsicht! Lass‘ das keinen hören, sonst bin ich geliefert.“ Lächelnd strich sie sich das lange, goldblonde Haar über die rechte Schulter, sodass ihr linkes Elfenohr zu sehen war. Es tat gut, wenn sie sich nicht verstecken brauchte. Sie waren weit abseits von jeglicher Zivilisation. Das nächste Dorf war Meilen weit entfernt, weshalb sie sich alles selbst jagten oder sammelten. Sie reiste nur selten zu den Orten, wenn sie mal etwas brauchten und ließ Kelvin dann im Wald trainieren. Die ersten Male war er ihr „heimlich“ gefolgt. Jedoch hatte der Essenzbeherrscher wohl schnell gemerkt, dass sie auf seine Hilfe nicht angewiesen war. Außerdem hatte er keine Fortschritte bei ihrer Rückkehr vorweisen können. Trotzdem hatte die Elfe ihn gelassen. Ihm nicht gesagt, dass sie durchaus gewusst hatte, dass er ihr gefolgt war. Billiana war sich sicher, dass er es letztendlich nur gut gemeint hatte. „Er erinnert dich an ihn.“, meinte Connar mit hochgezogener Augenbraue. „Bevor er einen Gottkomplex bekam. Bevor er alles wegwarf, was du ihm gegeben hast... Er seine Liebe zu dir vergaß.“ „Er hat sie nicht vergessen... Er verbannte sie nur weit in die hinterste Ecke seines Herzens.“ „Oh ja, das macht es ungemein viel besser! Ich vergaß, dass er irgendwo ein guter Mensch ist.“ Tadelnd blickte sie den Älteren an und musste dann doch wissentlich lächeln. Connar hatte sein Herz einst an die gemeinsame Schwester verschenkt, doch sie hatte diese Gefühle niemals erwidert. Seither war er recht verbittert. Nicht, dass Billie diesen ganzen Inzest unterstützte, doch sie verurteilte ihn auch nicht. Sie lebte strikt nach der Devise: Das Herz will, was das Herz will. Und wenn es einen Verwandten wollte, dann sollte es eben so sein. Solange nichts erzwungen wurde... Immerhin hatte sie selbst einst für ihren ältesten Bruder geschwärmt. Jugendlicher Leichtsinn und doch war es eine intensive Beziehung gewesen. „Ja, du hast recht... Wie so oft.“, säuselte die Elfe schließlich honigsüß. „Natürlich habe ich recht! Ich habe immer recht. Das ist mein angeborenes Vorrecht.“, sagte er ausschweifend. Natürlich lag der Schalk ihm deutlich auf den Lippen. Connar war vieles, aber sicherlich nicht eitel. Vielleicht ein bisschen selbstverliebter als gut war, doch auch gutherzig, intelligent und weitsichtig. Anders, als die anderen Markrhons. „Er ist was Besonderes...“, flüsterte Billiana zart und wandte den Blick wieder zu Kelvins Übungen. „Das war Wyrnné auch. Er war etwas Besonderes... Doch bei ihm ist es anders.“ „Du glaubst, dass er seine einzigartigen Begabungen und Talente nicht wegwerfen wird. Du glaubst an ihn...“ „So ist es.“ „Niemand kann dir dein Herz nochmals so brechen wie Wyrnné es getan hat.“, sagte der Illusionist ehrlich. „Niemand wird dich jemals mehr so enttäuschen... Denn du wappnest dich jeden Tag dagegen. Trotzdem lässt du diesen Menschen in dein Herz. Lässt zu, dass er Hoffnung in dir weckt... Was ist, wenn er dich doch enttäuscht, Schwester? Wenn er dich ebenfalls fallen lässt...? Er zu schwach ist, um deiner Hoffnung gerecht zu werden?“ „Dann habe ich immer noch dich, Brüderchen.“, erwiderte sie keck grinsend. „Du würdest mich auffangen und retten. Selbst vor mir selbst...“ Connar versuchte es nicht zu zulassen, doch sie sah das Zucken seiner Mundwinkel. Das Andeuten eines ehrlichen Lächelns. Die Art von Lächeln, welches die Augen erreichte. So selten und so kostbar, dass sich die Elfe versuchte, es in ihren Geist zu speichern. Um es abrufen zu können, wenn sie es brauchte. „Was haben diese ganzen Menschen bloß an sich, dass du stets so an ihnen hängst, Schwesterherz?“ „Das kann ich dir nicht beantworten. Vielleicht ist es die Art, wie sie ihr Leben zu genießen versuchen... Ihre Zeit ist so begrenzt.“ „Ja, sie wissen, wie man es genießt...“, seufzte er theatralisch. „Indem sie sich untereinander abschlachten, sich gegenseitig wehtun und einander verachten. Ich verstehe durchaus, dass das wirklich eine enorme Freude ist.“ Obwohl das nicht zum Lachen war, tat die Attentäterin es dennoch. Ein kurzes, spöttisches Lachen, als wäre er ein kleines Kind, welches etwas sehr Dummes gesagt hatte. Er war sichtlich verwirrt. Immerhin hatte er nur die Wahrheit über das Leben der Menschen gesagt. Sie waren Tötungsmaschinen und hassten alles, was anders war. Ihre Geschichte zeigte das deutlich. Sie teilten nicht gerne... Wollten, dass ihnen die ganze Welt gehörte und wenn sie diese hatten, wollten sie noch mehr. Dabei verdarben sie alles, was einst gut war... Er hatte für diese Rasse nicht viel übrig. Obwohl sie ihm laufend neue Seelen anboten. „Du siehst immer nur das Schlechte, doch Menschen lieben stärker und leidenschaftlicher. Sie streiten viel heftiger...“, säuselte die Blondine träumerisch. „Sind einander viel näher. Sie sind so eifersüchtig und neidisch... Wollen alles erreichen, solange sie es können.“ „Und dafür gehen sie über Leichen...“ „Das tun wir auch. Dabei haben wir genug Zeit, um es ruhiger anzugehen.“ „Verwechsle ihre Leidenschaft für Zerstörung nicht mit Liebe, Billie.“, tadelte er sie sanft. „Das tue ich nicht. Ich sehe sehr deutlich, was sie damit anrichten... Und trotzdem beneide ich sie darum. Ich beneide ihn...“ Sachte deutete sie mit einem Nicken auf Kelvin. Er entflammte gerade eine der Trainingspuppen, die sie ersetzen musste. Sein Blick zeigte deutlich, dass er das nicht vorgehabt hatte und ihm klar war, dass das Ärger bedeuten würde. Sie musste darüber schmunzeln. Dieses Mal würde sie ihn die Puppe selbst bauen lassen, damit er eine Lehre aus seiner mangelnden Kontrolle zog. „Worum beneidest du ihn? Dafür, dass er leichter entflammbar ist als ein Drache?“ „Dafür, dass er so leidenschaftlich für seine Ziele kämpft. Bereit ist, sich dafür zu opfern... Ich beneide ihn um dieses innere Feuer. Seinen Lebenswillen.“ Connar lächelte etwas, während er ihr sanft die Haarsträhnen über die rechte Schulter strich, die sich einfach davonmogeln wollten. Er liebte seine kleine Halbschwester. Er liebte sie mehr als alles andere auf dieser Welt. Er wusste, dass das wahr war. Ihm war klar, dass er niemals wieder so lieben würde wie er Billiana liebte. Dass er niemals ein aufrichtigeres Gefühl aufbringen würde als das. Dass sie litt, wusste er. Er hatte sie beobachtet. Er beobachtete sie immer... Auch, als sie ihre Liebe in den Minen verlor. Er hatte Argrims Leiche gefunden, sie aber dort unten gelassen, damit sie diesen Anblick nicht sehen musste. Der Illusionist hatte gewollt, dass sie ihn als Lebenden in Erinnerung behielt. Sich an sein Lachen erinnerte. An sein Lächeln... Seine warmen Hände auf ihrem Körper. Nicht an die milchigen, entsetzten Augen, die dem sicheren Tod entgegenstarrten. Nicht an die kalte, steife Maske eines einst großen Kriegers. Doch wenn er sie so sah und ihr lauschte, war er sich nicht mehr so sicher, ob es richtig gewesen war. Etwas in ihr war zerbrochen, als sie einen leeren Sarg beerdigt hatte. Als hätte sie Argrim aufgegeben. Als hätte sie mehr tun müssen, um seine Leiche zu finden und ihn angemessen zu begraben. Auch wenn es kein besseres Grab gab, als zwischen Gestein und dem Wissen, an der Seite jener Frau gestorben zu sein, die er geliebt hatte. Er wusste nicht, ob er es ihr jemals sagen würde. Ob sie es verstehen würde... Jedoch sagte ihm etwas, dass sie es längst wusste. Dass sie schon seit langem wusste, was er alles für sie getan hatte und tun würde. Sie war die einzige aus ihrer Familie, die wirklich liebevoll zu ihm war. Die ihn liebte. Billiana war die einzige Schwester, die wirklich von Bedeutung war. „In dir steckt dieses Feuer auch, Billie.“, sagte er absolut aufrichtig. „Noch viel heißer als bei ihm! Du hast mehr Antriebskraft als alle Menschen zusammen. Mehr Leidenschaft als sie... Niemand lebt so, wie du es tust. Niemand kämpft so wie du... Weißt du, woher ich das weiß?“ Langsam schüttelte sie den Kopf. Wagte es aber nicht, ihn anzusehen. Doch er erkannte, dass ihre Augen feucht wurden. Er sah, dass sie an seinen Worten zweifelte. „Weil du immer noch hier bist. Du bist noch hier, obwohl dich Wyrnné so sehr verraten hat. Obwohl Argrim gestorben ist... Obwohl deine Tochter sich umbrachte.“, schilderte Connar leidenschaftlich. „Trotz all dieser Grausamkeiten, die man dir antat, bist du immer noch hier. Du bist hier, um Midgard vor sich selbst zu retten. Du bist hier, um Wyrnné zu bekehren, obwohl niemand mehr etwas Gutes in ihm sieht - nicht mal er selbst. Du hättest umkehren und einen anderen Weg nehmen können, Schwester, einen leichteren Weg. Das hast du nicht getan. Stattdessen hast du den Kopf in den Himmel gereckt und zu den Sternen gegriffen. Auch wenn dein Name niemals in die Geschichtsbücher eingehen wird, wirst du diejenige sein, die alle rettet. Das hast du immer getan...“ „Ich konnte sie nicht retten...“, schluchzte die Elfe, die sich gegen die Tränen nicht mehr wehren konnte. Sie flossen über die sonnengeküssten Wangen und hinterließen eine Spur aus getrocknetem Salzwasser. Besudelten die hübschen Sommersprossen. „Weil es ihr Schicksal war zu sterben. Wie es Wyrnnés Schicksal war zu scheitern. Was nicht heißt, dass du sie nicht gerettet hast. Du hast ihren Leben einen Sinn gegeben. Reicht das denn nicht?“ „Mir hat es nie gereicht...“ „Und das ist in Ordnung. Das macht dich so stark.“ „Was ist, wenn ich nun wieder scheitere? Wenn sie alle sterben, wie damals meine Freunde?“, wollte sie heiser wissen. Sie würde die Tränen löschen, das wusste Connar. Würde es abschütteln, wie sie alles abschüttelte. Er kannte keine Kreatur im ganzen Universum, die auch nur ansatzweise so stark war. „Du wirst nicht scheitern. Es werden welche sterben, so ist es immer, aber du wirst nicht scheitern.“, prophezeite Connar überzeugt. „Dafür bildest du sie nun aus. Damit ihr gemeinsam siegen könnt. Alleine, kannst du das alles nicht beendet, doch zusammen seid ihr eine Armee.“ „Es sind so wenige... So wenige gegen Wyrnné und seine Bestien.“ „Ihr werdet wachsen, Billie. Damals hattest du viel weniger und Zodiak so viel mehr. Ihr seid gewachsen und habt gewonnen.“ Sie nickte. Er hoffte, weil sie verstand. Wenn nicht, dann würde die Einsicht zur gegebenen Zeit kommen. So war es stets und würde es auch immer sein. Das war das Eigenartige mit dem Schicksal: Oft erschien es einem unwirklich und man verstand nicht, was es von einem erwartete, bis es dann soweit war. Dann war plötzlich alles ganz klar. Ihre eisblauen Augen fixierten ihn. Keine neuen Tränen flossen. Irgendwie schaffte er es stets, diesen Tränenfluss bei ihr zu bremsen. Sonst bei keinem... Und es ließ sein Herz hüpfen und ihn innerlich herzlich darüber lächeln. Derweil umschlossen ihre Arme ihn sanft, um ihn einfach an ihren Körper zu drücken. Liebevoll und dankbar. Er erwiderte diese Umarmung, auch wenn sie beide anschließend bestreiten würden, dass es so weit gekommen war. Um ihn nicht in Peinlichkeiten zu stürzen, löste sie sich wieder von ihrem Halbbruder. Er stand wieder da, als habe er sich niemals von der Stelle bewegt und beobachtete, wie der Mensch mit den übrigen Puppen trainierte. Auch wenn er etwas anderes behauptet hatte, verstand er sehr wohl, was sie an Kelvin Morgenstern fand. Er war ein charismatischer, intelligenter und geschickter Mann von überdurchschnittlich gutem Aussehen. „Wirst du auch mit uns kämpfen?“, fragte die Elfe, als sie ihre Fassung wiedergefunden hatte. Von den Tränen gab es keine Spuren mehr. „Um Himmelswillen! Nein!“, kicherte der Illusionist. „Ich weiß doch gar nicht, wohin ich welches Ende des Dolches stecken muss! Schon vergessen?“ „Ich könnte es dich lehren...“, hauchte die Schönheit grinsend. „So wie ich ihn lehre, wie man richtig kämpft.“ „Hoffnungslos...“, sagte er und streckte theatralisch die Arme aus. „Es würde dich dein letztes bisschen Verstand kosten. Und den brauchst du noch. Immerhin hast du zugesagt, die Krone zu übernehmen.“ „Nur solange bis ein besserer König auftaucht...“ „Natürlich.“ „Glaubst du mir etwa nicht?“, hakte sie skeptisch nach. „Doch, ich glaube dir. Du hast die Krone niemals gewollt und dass du nun bereit bist, sie dennoch zu tragen, um seiner Sache zu dienen-... Es beweist, dass es dir sehr wichtig ist.“ „Mache ich etwa einen Fehler?“ „Auf keinen Fall. Du bist zum Herrschen geboren worden! Zumindest, wenn man Vater Glauben schenken will...“ Sie seufzte leise. Das Vertrauen ihres Vaters in die Markrhon-Gene hätte sie gerne. Die Elfe sah sie eher als Fluch an. Für viele Menschen war es auch so, denn die Markrhons hatten vermutlich mehr Blut an den Fingern als der Weltenlenker es jemals zu tun vermochte. Alleine in der letzten Woche... „Aber du wirst die Krone niemals abgeben.“, sagte er schließlich überzeugt. Irritiert blickte sie ihn an: „Was macht dich da so sicher? Wird sie mich korrumpieren?“ „Nein... Aber du wirst niemanden finden, der es schaffen könnte, in deine verdammt großen Fußstapfen zu treten.“ Glockenhell lachte die Elfe auf. Ihr ganzes Gesicht erstrahlte. So viel Zuversicht hatte sie nicht erwartet! Nicht mal bei Connar... Egal, wie oft er sie auch ermuntert und ihr den Rücken gestärkt hatte, so intensiv war er niemals dabei gewesen. Es ließ sie beinahe glauben, dass er einen Vorteil davon haben würde, wenn sie den Weltenlenker kippte. Wenn sie selbst dessen Krone trug, um dem Reich den nötigen Frieden und Stabilität zu geben. Nur wusste sie nicht, ob man sie jemals respektieren konnte. Nichtmenschen waren das Sinnbild des Bösen für die Menschen und selbst die Nichtmenschen begannen daran zu glauben. Selbst jene, die verfolgt wurden oder den Stand eines Sklaven tragen mussten, begannen daran zu glauben, dass das die natürliche Ordnung war. Ein Teil von ihr wusste, dass die Ära der Nichtmenschen vorbei war. Dass das Zeitalter der Menschen begonnen hatte, als sie sich erhoben hatten. Doch das bedeutete nicht, dass sie alle leidvoll abtreten mussten. Er schien sich absolut sicher zu sein, dass sie die Richtige für diesen Job war. Die Richtige für diesen düsteren, verdorbenen Thron, um die zerbrochene Krone zu reparieren. Auch Kelvin glaubte daran... Nun musste sie nur selbst glauben. „Schlaf‘ endlich mit ihm.“, plapperte Connar munter drauf los. „Ich wundere mich eh, dass du es nicht längst getan hast.“ „Wie bitte?“ „Wir sind Markrhons, Schwesterherz. Wenn wir keinen Sex haben, sterben wir langsam dahin...“ „Hast du einen Hirnschaden erlitten?“, hinterfragte sie skeptisch. „Zu direkt?“ „Ein bisschen.“ „Mit seiner rechten Hand hast du doch auch geschlafen. Eine verdammt lange Nacht lang...“, erinnerte er sie schmunzelnd. „Du dreckiges Luder.“ „Ich bin vielleicht ein dreckiges Luder, aber du bist pervers. Immerhin bestalkst du mein Sex-Leben.“, zischte Billie angewidert. „Unbeabsichtigt... Ich platzte so rein.“ „Wieder und immer wieder?“, hinterfragte sie mit hochgezogener Augenbraue. „Sonst wüsstest du kaum, dass wir die ganze Nacht gebraucht haben.“ Unschuldig zuckte er mit den Schultern und grinste sie keck an: „Ich bin eben ein kleiner Tollpatsch!“ Langsam schüttelte sie ihren Kopf, als wollte sie ihn alleine mit dieser Geste tadeln. Der Illusionist wusste wirklich nicht, was sie so an seiner Direktheit störte. Immerhin war es kein Geheimnis, dass sie genauso gerne Sex hatte wie alle Markrhons. Ihr erstes Treffen mit Wyrnné war damals auch nicht ohne die körperliche Vereinigung verlaufen. Doch da war sie auch noch instinktiver gewesen... Animalischer. Inzwischen war sie tatsächlich zu einer erwachsenen, schönen Frau geworden. Aus den Augenwinkeln musterte er sie. Die Elfe bemerkte es durchaus, sagte aber nichts dagegen. Sie war es gewohnt, dass keiner ihre Entwicklung wirklich begreifen konnte. Von einem wilden, pummeligen, animalischen Biest zu einer einzigartigen Schönheit mit Kontrolle. Gezeichnet von der Zeit und dem Tod, aber dennoch aufrecht und selbstbewusst. „Warum sollte ich mit ihm schlafen?“ „Weil du eine Nymphomanin bist, die sich vollkommen nach seinen Lenden verzehrt.“, erwiderte er gelassen. „Darüber denkst du nach, seit ihr hier alleine im Wald seid. Du willst wissen, ob er genauso gut im Bett ist wie Wyrnné.“ „Das klingt, als würde ich meine Männer nach ihren sexuellen Leistungen aussuchen. Und ihre Penisse vergleichen...“ „Ist es nicht so?“, gluckste Connar amüsiert. „Nein, so ist es nicht. Ich achte auch auf andere Werte. Innere Werte!“ „Selbstverständlich... Wenn ihre äußeren Werte zu deinem Inneren hinzugefügt werden.“ „Argh!“ Nicht wirklich wütend schlug sie nach seiner Brust. Er hätte sich auflösen und sie ins Nichts schlagen lassen können, doch er ließ es zu. Es tat nicht wirklich weh. Hätte sie es ernst gemeint, hätte es ihn von den Füßen gerissen, das wusste der Illusionist durchaus. Dann hätte er sich aufgelöst. So war es nur ein Tadel für seine eindeutige Zweideutigkeit. Ihn störte es keineswegs, dass ihr der Sex mit ihren Partnern stets so wichtig war. Nicht mal, dass sie sich nicht festlegen wollte. Nach all den Verlusten war ein gewisses Maß an Trennungsangst durchaus normal. Trotzdem hoffte Connar, dass sie diese Angst irgendwann überwinden konnte, um endlich glücklich zu werden. „Er will dich auch.“, sagte er einfach so daher, als wäre es das Normalste der Welt. „Natürlich will er mich! Die halbe Männerwelt will mich!“ „Nur die halbe? Heute sind wir aber bescheiden.“ Böse funkelte sie ihn an und spielte offenkundig mit dem Gedanken, ihm einen richtigen Schlag zu versetzen. Doch aus irgendeinem Grund tat sie es nicht. Es blieb bei einem bösen Blick: „Sie denken halt mit ihren Schwänzen.“ „Dagegen kann ich tatsächlich nichts einwenden. So sind wir Männer einfach... Und doch glaubst du, dass es nur die Hälfte der Männer sind?“ „Es gibt Homosexuelle, liebster Bruder, und jene, die wahrhaftig ihre Frau lieben. Eunuchen... Gläubige, die keinen Sex wünschen.“ „Ich wusste nicht, dass du inzwischen so viel von der Männerwelt hältst.“ „Ich auch nicht.“ „Also willst du neuerdings erobert werden?“, hinterfragte Connar skeptisch. „Soll er etwa versuchen, dein Herz zu erringen?“ Sie schwieg auf seine Fragen. Wenn Billiana ehrlich war, wusste sie darauf keine Antwort. Vielleicht wünschte sie sich wirklich, dass mal jemand um ihr Herz kämpfte, wie es ein Lord tun würde. Anständig und aufrichtig. Doch es klang so falsch! Unwirklich... Also schob sie es auf ihre Ängste. Dass sie sich vielleicht fürchtete, sie könnte sich in Kelvin verlieben, um ihn dann zu verlieren. Wer solange lebte, musste mit zahlreichen Verlusten klarkommen. Ihre Lebensdauer war nicht so begrenzt wie die der Menschen. Ihr Herz zwiegespalten. Wer zu viel Zeit besaß, verliebte sich häufiger. Doch ihr kam es dennoch so vor, als würde sie ihr Herz viel zu schnell verschenken. Vor allem an jene, die es nicht verdienten. Die darauf herumtrampelten, als sei es ein unwichtiges Accessoire eines Outfits. Oder sie starben... „Gib ihm die Chance sich zu beweisen, Schwesterherz.“, säuselte er schließlich und riss sie aus ihren Gedanken. „Vielleicht kann er dich ja überraschen.“ „Glaubst du neuerdings doch an die Menschen?“ „Auf gar keinen Fall. Aber ich glaube an dich.“ „Was hat das mit mir zu tun?“, hakte die Attentäterin skeptisch nach. „Sehr viel. Deine Männerwahl ist nicht immer fantastisch, aber meistens erkennst du einen guten Mann, wenn du ihn siehst. Und du machst ihn zu einem noch besseren Mann...“ „Igitt, du bist heute widerlich schmalzig!“ „Nicht wahr? Ich muss krank sein!“ „Definitiv. Ich möchte mich übergeben!“ „Lass uns das gemeinsam tun, Schwester.“, kicherte er und legte den Arm um ihre Schultern. „Da ich heute so sentimental bin, wäre das wirklich schön.“ „Ihh~, geh‘ weg!“, keuchte sie und schlug nach ihm. Er kicherte, während sich seine körperliche Hülle einfach auflöste. Sie schlug ins Nichts. Bevor er sie wieder alleine ließ mit ihrem Schützling, tauchte er einen kurzen Herzschlag wieder auf, um ihr einen Kuss auf die Wange zu schenken. Schelmisch grinsend verpuffte er schließlich. Als sich die Elfe umsah, war niemand mehr hier. Seufzend ließ sie den Hügel hinter sich und kletterte stattdessen nach unten. Die Bäume zu überwinden war nicht schwer. Diesen Ort kannte die Attentäterin inzwischen wie keinen zweiten, als wäre sie hier geboren. Oft kam sie her, um zu trainieren oder andere auszubilden, wie sie es bei Kelvin tat. Doch wenn der besagte Essenzbeherrscher sich nicht besser zu zügeln lernte, würde dieser Wald bald abgefackelt sein! Als sie ankam, versuchte er gerade eine zweite Puppe zu löschen. Dafür lenkte er das Trinkwasser aus einem Eimer einfach darauf zu. Kelvin wollte es wohl ertränken, bevor die Elfe ihn bei der ungewollten Nutzung seiner Macht erwischte. Er konnte nicht wissen, dass sie ihn schon die ganze Zeit beobachtet hatte. „Spielen wir wieder mal mit dem Feuer?“, warf die Blondine amüsiert ein. „Das Temperament eines Drakoniers...“ „Ich bin halt ein heißer Typ!“ „Offensichtlich.“ Eine Weile ließ sie Kelvin noch zappeln. Beobachtete ihn dabei, wie er verzweifelt den Brand löschen wollte, der den ganzen Wald verschlingen konnte. Er wäre nicht der erste Magier, dem die Natur zum Opfer fiel und gewiss auch nicht der letzte. Doch diese Erfahrung war wichtig. Er erkannte dann vielleicht, dass er etwas umsichtiger zaubern musste. „Ersticke die Flammen mit Gestein.“ „Was?“ „Reiß‘ Felsbrocken aus dem Boden und ersticke damit die Flammen.“, führte sie es genauer aus. „Ohne Sauerstoff erlischt das Feuer.“ Jetzt schien er es zu begreifen. Ohne weiter nachzuhaken, hob er seine Hände, um einige Felsen aus dem Erdreich zu reißen. Er konnte nicht so viele und große nutzen wie es ein Titan konnte, doch das war nicht weniger eindrucksvoll. Ohne Schwierigkeiten konnte er das Gestein über die Flammen lenken, um sie einfach zu ersticken. Erst drang noch Qualm aus den Ritzen hervor, der tiefschwarz war, doch er wurde immer blasser bis nicht mal mehr ein bisschen Rauch zu erkennen war. Sie konnte nicht mal mehr das Knistern des Feuers hören, war sich aber sicher, dass die Asche noch sehr heiß war. Es konnte neue Flammen ernähren, um das ganze Schauspiel von vorne beginnen zu lassen. Bis es erkaltet war, würde es noch einige Stunden dauern, das wusste sie genau. Als Attentäterin musste sie sich mit jeder Möglichkeit auskennen, die zum Töten benutzt werden konnte. Dazu gehörte auch Feuer. „Lass‘ die Felsen da erstmal liegen. Morgen räumst du sie wieder dahin, wo du sie hergenommen hast.“ „Das sind doch keine Spielzeuge!“, warf der Essenzbeherrscher empört ein. „Die kann man nicht einfach zurücklegen, als wäre nichts gewesen.“ „Ernsthaft? Widerspruch? Nachdem du den Wald fast abgefackelt hast?“ Augenrollend machte er eine wegwerfende Geste und kam ihr schließlich entgegen: „Ist doch alles gut gegangen. Wo warst du so lange?“ „Ja, weil ich dir sagte, was du tun musst...“ „So wie immer.“, sagte er breit grinsend. „Und wo warst du nun die ganze Zeit?“ „Nicht hier.“ „Ach? Sind wir jetzt geheimnisvoll?“ „Immer.“, grinste sie herausfordernd. „Ich frage dich ja auch nicht, wo du dich so rumtreibst.“ „Warum auch? Du weißt ja, dass ich hier bin.“ „Du könntest dich aber zwischendurch auch einfach woanders hinbegeben, während ich unterwegs bin.“ „Könnte ich, mache ich aber nicht.“ Interessiert musterte Billiana den Essenzbeherrscher. Sie wusste, dass er nicht log. Oft genug beobachtete sie ihn aus der Ferne. Seit er ihr nicht mehr folgte, wenn sie sich mal für Besorgungen entfernte, blieb er artig an diesem Trainingsort und arbeitete an den Lektionen. Wahrscheinlich entwickelte er sich deshalb auch so wahnsinnig schnell! Echte Bemühungen machten sich einfach schnell bezahlt, was allen zugutekam. „Ich habe ein paar Sachen aus den umliegenden Dörfern besorgt.“, beantwortete die Elfe schließlich doch seine Frage. „Ein paar neue Decken und Seile. Die Seile darfst du dann heute auch benutzen, um die Trainingspuppen zu ersetzen.“ „Was? Ich soll neue Puppen basteln?“ „Du hast sie schließlich auch kaputt gemacht, dann kannst du sie auch wieder richten.“ „Touché...“ Zufrieden deutete sie auf einige der Bäume, die besonders breite Stämme besaßen. Um die Körper, Arme, Beine und Köpfe formen zu können, musste er viel stabiles Holz haben. Es durfte dabei nicht zu schmal ausfallen, weil die Puppen dann nicht die richtige Größe bekamen. Sie sollten immerhin weitgehend an einen erwachsenen Menschen heranreichen. Seufzend folgte Kelvin der Deutung und wirkte nicht besonders zufrieden. Er war ein Kämpfer und ein Frechdachs, aber gewiss niemand, der gerne Bäume fällte und daraus Puppen bastelte. Letztendlich war ihr das egal. Er sollte endlich lernen, dass sie diese Puppen nicht herbeizauberte, sondern es harte Arbeit war, sie anzufertigen. „Und du wirst mir wirklich nicht helfen?“, hakte er etwas hoffnungsvoll nach. „Ganz bestimmt nicht.“, erwiderte Billie grinsend. „Ich habe die letzten hundert Trainingspuppen hergestellt. Jetzt schuldest du mir die gleiche Anzahl.“ „Du bist eine wirklich harte Ausbilderin, was?“ „Die härteste.“ „Ich wüsste auch etwas, was hart werden kann. Und du lässt doch sicherlich kein Hartholz verkommen?“ Amüsiert zuckten ihre Augenbrauen hoch. Es war beinahe so, als wusste er von der Unterhaltung mit Connar, doch das war unmöglich. Außer ihr Bruder hatte ihm die entscheidenden Hinweise hinterlassen, was nicht verwunderlich wäre. Nicht, dass er so etwas nicht gerne mal machte, doch in diesem Fall war es eher unwahrscheinlich, dass er sich einmischen würde. „Pass‘ lieber auf, dass ich nicht dein Hartholz fälle und daraus lebensechtere Puppen herstelle.“, warnte die Elfe ihn provokant. „Oh... Das ist keine so nette Vorstellung.“ „Sollte es ja auch nicht sein.“ „Aber wenn du auf so ein Zeug stehst?“, säuselte Kelvin dann spielerisch. „Dann mach‘ mit mir, was immer dir beliebt!“ „Weißt du, was mir belieben würde?“, hauchte die Blondine und kam langsam auf ihn zu. Anmutig und verlockend. Ihre Finger strichen dabei zärtlich über seine ruhig atmende Brust. Kelvins Blick war selbstbewusst und aufrecht. Es brannte Feuer darin, doch keine notgeile Leidenschaft, die ihn unbedacht handeln ließ. Anders, als sie es von Männern kannte. Er schien sich wirklich im Griff zu haben! Obwohl sie ihn berührte, honigsüß säuselte und keinen Hehl daraus machte, dass sie keine Jungfrau war. „Mir würde es belieben, wenn du nun endlich Bäume fällst und die Puppen ersetzt, die du mal wieder kaputt gemacht hast.“ „Ich hatte befürchtet, dass du das sagst...“, flüsterte der Essenzbeherrscher mit gespielter Enttäuschung. „Dabei könnten wir so viel Spaß haben. Während uns Eichhörnchen dabei zugucken und Rehe uns belauschen...“ Ein kalter Schauer lief ihr bei dieser Vorstellung über den Rücken und sorgte dafür, dass die Attentäterin sich etwas angewidert schüttelte. Sex in der Öffentlichkeit war für sie kein Thema, doch die Vorstellung, dass die Öffentlichkeit Tiere waren, war eine andere Geschichte. Wie verdorben sie auch war, hatte sie dennoch ein paar Grundsätze, die Tiere und Kinder einschlossen. „Okay, bevor du mich schlägst, sollte ich vielleicht lieber den Baum besteigen.“ „Ich bitte darum.“, sagte sie angewidert. Ihre Füße brachten sie kurz darauf etwas abseits von dem Übungsplatz, um die Axt zu holen, die sie dort schon abgelegt hatte. Es waren ja nicht die ersten Puppen, die er zerstört hatte und ihr Gefühl sagte ihr, dass es nicht die letzten sein würden. Als sie zurückkehrte, wurde sie beinahe von einem fallenden Baum erschlagen. Vollkommen entsetzt sah Billiana auf und erkannte, dass er gerade die Bäume mit seiner Magie fällte, indem er scharfkantige Felsen nahm und sie gegen den unteren Teil des Stammes schleuderte. Wieder und wieder! Ihre guten Ohren klingelten unter den immer lauter werdenden Aufprällen und sie schwor sich, dass sie ihm die Axt zwischen die Schultern rammen würde, wenn er sich nicht endlich zusammenriss! In diesem Augenblick fiel ein weiterer Baum. Dieses Mal erschlug dieser fast den Essenzmagier, statt sie. Es besänftigte jedoch nicht die wütende Unruhe in ihr, als sie sein selbstgefälliges Gesicht erblickte. Er kam sich schlau vor. „So habe ich das ganz bestimmt nicht gemeint.“, knurrte die Attentäterin animalisch. „Du solltest sie mit einer verdammten Axt fällen!“ „Das hast du aber nicht gesagt.“, warf Kelvin zufrieden grinsend ein. „So geht es außerdem schneller.“ „Es soll nicht schnell gehen. Es soll eine Strafe sein!“ „Oh, glaube mir, ich fühle mich schrecklich bestraft.“ Schnaubend kam sie auf ihn zu: „Du hast die Puppen mit Magie zerstört und nun denkst du, du kannst mit Hilfe der Magie abkürzen, ja? So läuft das nicht.“ Und ich dachte, dass er sich gut entwickelt? Ich denke, da habe ich mich geirrt., überlegte die Blondine zornig. Gerade sein Grinsen machte sie wahnsinnig! Wie er glaubte, dass er gewonnen hatte. Wenn sie seine zufriedene Grimasse so anstierte, wollte sie tatsächlich gerne reinschlagen. So etwas hatte lange keiner mehr in ihr ausgelöst. Nicht mal Wyrnné! Und der schlachtete laufend irgendwelche Unschuldigen wie Vieh hin. Doch zumindest war er dabei nicht so wahnsinnig unverschämt, dass einem schlecht wurde. „Wieso nicht abkürzen?“ Knurrend verengten sich ihre Augen, während sie Kelvin fixierte: „Kannst du dir das echt nicht selbst beantworten?“ „Du scheinst mir den gleichen Hass gegen die Magie zu haben wie der Weltenlenker gegen Nichtmenschen.“ „Ich hasse Magie nicht.“ „Was ist es dann? Du würdest alles tun, damit ich sie nicht einsetze.“, hakte der Rebellenanführer verwirrt nach. Sie konnte verstehen, dass es für ihn unbegreiflich war, wieso sie stets davon abriet, eine geschenkte Gabe zu nutzen, die einem so viel Macht verlieh. „Weil Magie kein Spielzeug ist. Sie ist gefährlich... Kann gute Menschen korrumpieren. Sie kann süchtig machen.“ „Man kann von Magie süchtig werden?“ „Ja.“ „Wie von Alkohol? Oder Opium?“ „Ja.“, antwortete die Elfe wahrheitsgemäß. „Was meinst du, warum es dir so schwerfällt, auf den Einsatz von Magie zu verzichten?“ „Weil ich ein Rebell bin?“ Billie rollte mit den Augen und drehte sich von dem Menschen weg. Mehrmals atmete sie dabei tief durch und zwang sich zur Ruhe, damit sie nicht doch noch ausflippte. Das würde definitiv nicht gut für ihn oder diesen Wald enden, wenn er sie zu sehr reizte. Ihr drakonisches Blut kochte beinahe über! Da sie nicht mehr mit ihm sprach, widmete er sich wieder dem Holz. Er wollte sie aber offenbar nicht noch weiter ärgern, weshalb er nun die Axt zur Hand nahm, um die beiden Stämme zu bearbeiten. Er musste immerhin daraus die Puppenteile anfertigen, nur merkte man sofort, dass er keine Ahnung von Holzarbeiten hatte. Er versuchte es nur mit Kraft. Das ließ es teilweise bersten und er bekam es auch nicht in die Größe, die er für seine Arbeit brauchen würde. Innerlich zählte die Blondine bis Zehn, ehe sie sich wieder zu ihm drehte. Er bemerkte es erst, als ihre Front sich an seinen Rücken drückte und ihre Hände über seine kräftigen Arme zu den Händen glitten. Kelvin blickte kurzzeitig über die eigene Schulter, wodurch sich ihre Gesichter ungemein nah waren. So nah, dass sie den Atem des anderen spürten. Billiana gab sich davon unbeeindruckt. Ignorierte die Nähe, die sie zueinander aufbauten und die Gefühle, die das in ihr auslöste. Versuchte zu vergessen, was Connar zuvor noch alles gesagt hatte, um sie anzustiften ihren Schatten zu überwinden. Es war weder die Zeit noch der Ort. Er war vielleicht nicht mal der richtige Mann... „Mit Gefühl...“, hauchte sie ihm schließlich ins Ohr. „Sieh genauer hin, bevor du zuschlägst. Du musst auf die Maserung des Holzes achten und wie sie an der Stelle beschaffen ist. Teste es, wenn du unsicher bist...“ „Testen...?“, fragte Kelvin kleinlaut. Sie war dankbar, dass er seine Frechheiten offenbar gerade nicht mehr herausbekam. Sie würde sich diese Methode merken. „Ja, du haust einmal drauf und schaust, wie sich das Holz verhält. Berstet es, suchst du eine andere Stelle.“ „Wo hast du so etwas gelernt?“ Billie schwieg einen Augenblick, ehe ihre eisblauen Augen sich in seine senkten: „Wenn man alleine auf der Welt ist, muss man alles lernen, um zu überleben.“ „Du hast dir das alles selbst beigebracht?“ „Größtenteils ja. Aber den letzten Feinschliff brachten mir andere dann bei.“ „Die Drachen?“, schlussfolgerte Kelvin richtig. „Und die Leute aus deinem Attentäter-Verbund?“ „Unter anderem, ja. Wobei es da eher um Kampf und Magie ging. Das Überleben der Wildnis lernte ich lange davor von sehr guten... »Menschen«.“ „Und wo sind die jetzt?“ „Tot.“ Nun war er es, der einige Herzschläge lang schwieg. Sie wusste von Amelie und was er alles verloren hatte und wie schlecht es ihm damit ging. Noch heute. Ein paar Dinge hatte er während des Foltertrainings auch über sie erfahren können, doch nichts Tiefgründiges. Nichts, was ihr Verhalten und ihren Beruf irgendwie erklärt hätten. Eine hübsche Frau wurde nicht einfach mal Attentäterin. Auch dann nicht, wenn sie einer Minderheit angehörte, die von Verfolgung und Ausrottung geplagt wurde. Bei ihrem Kennenlernen hatte sie die traurigen Geschichten der Rebellen nicht hören wollen. Sie hatte verdeutlicht, dass es tausende solcher Geschichten gab, die teilweise niemals erzählt wurden. Dass es nicht für sie reichte, um sich einer solchen Sache anzuschließen, wenn nur die Verluste der Grund seien. Billiana hatte sehr deutlich klar gemacht, dass ihr bewusst war, dass jeder Verluste erlitt, es aber nicht unbedingt die Motivation war, um eine Rebellion wirklich ans Ziel zu kriegen. Damals hatte er nicht gewusst, dass sie von sich selbst gesprochen hatte. Von ihren eigenen, unausgesprochenen Geschichten. Ihren eigenen Verlusten... Und ihren Mangel an Motivation für all diese Seelen selbstständig Rache zu nehmen. Sie hatte sich niemals auf die anwesenden Rebellen bezogen oder ihre Beweggründe infrage gestellt. Sie hatte sich selbst angezweifelt... „War es der Weltenlenker?“, hinterfragte er endlich. Sein Mund wurde ihm trocken. Er hasste es, diesen Titel zu benutzen, doch er hatte kaum eine Wahl. Zumal er damit aufwuchs... „Nein, er hatte mit ihrem Ableben nichts zu tun.“, antwortete die Attentäterin wahrheitsgemäß. „Ich war es.“ „Was? Du hast sie umgebracht?“ „Indirekt...“ „Wie meinst du das? Wie tötet man einen Menschen indirekt?“ „Sie begleiteten mich auf eine Reise, die große Gefahren mit sich brachte. Ich habe sie niemals aufgehalten, sondern ihre Hilfe bereitwillig angenommen.“, erklärte sie mit trübem Blick, als erinnerte sie sich an jene Zeiten zurück. „Letztendlich kam es, wie es kommen musste: Sie starben. Und ich war vollkommen machtlos.“ „Es war ihre Entscheidung und sie waren sich gewiss der Gefahren bewusst. Dafür kannst du also nichts.“ Sie seufzte leise, während sie sich von dem Rebellenanführer löste: „Hilft dir das, um nachts ruhig zu schlafen? Wenn einige deiner Rebellen sterben? Du sagst dir, dass sie die Risiken kannten?“ „Ja.“, antwortete er etwas zu schnell. „Ich glaube dir nicht.“ „Dadurch schlafe ich nicht ruhig, aber besser. Wenn ich mich für jeden Tod verantwortlich mache, dann könnte ich das alles nicht bewerkstelligen.“ „Und wenn es einer deiner Freunde wäre?“, wollte sie wissen. „Wenn Hamm sterben würde? Oder Dorian? Was würdest du dir dann einreden?“ Darauf wusste Kelvin keine Antwort. Sie sah es an seinem hilflosen Ausdruck. Der Blondine war klar, dass es auf solch eine Frage keine richtige Antwort gab. Solange man selbst nicht in diese Situation kam, konnte man nicht wissen, wie man darauf reagieren würde. „Die Frage war nicht fair von mir...“, gestand die Elfe also. „Es ist ein hartes Schicksal und ich wünsche es keinem. Nicht mal meinem ärgsten Feind.“ „Hatte der Weltenlenker denn irgendwas mit all dem zu tun?“ „Nein, hatte er nicht. Ich weiß, du willst ihn zu deinem idealen Feindbild erheben, doch mit meinem damaligen Schicksal hatte er herzlich wenig zu tun.“ „Aber du hast ihn in dieser Zeit kennengelernt?“, schlussfolgerte Kelvin aus ihren Worten. „Ja, das ist korrekt.“ „Und er war zu dieser Zeit ein anderer Mann als heute?“ Langsam nickte die Attentäterin, während ihr Blick wieder in die Ferne rückte: „Ja, war er.“ „Wie war er damals? Wenn du mir die Frage erlaubst...“ „Er war wie du.“ „Wie bitte?“ „Mir war bewusst, dass du das nicht gerne hören würdest.“, sagte Billie mit einem müden Lächeln. „Aber es stimmt. Ich erkenne viel von ihm in dir wieder.“ „Willst du mir damit sagen, dass ich mal ein grausames Monster werde, welches sinnlos Menschen tötet?“ „Tust du das nicht schon?“ Kurz schwieg Kelvin, während seine Augenbrauen in die Höhe zuckten. Das konnte er nicht abstreiten. Nur waren seine Opfer Anhänger von Wyrnné und oftmals sehr wohlhabend, während die Opfer vom Weltenlenker meist arme, hilflose und schutzlose Personen waren. Für die Attentäterin machte das keinen Unterschied. Wer ein Leben nahm, musste mit den Konsequenzen seines Handelns leben. Ob dieser Mensch wohlhabend oder ein Bauer war, spielte überhaupt keine Rolle. Dieses Lebewesen hatte Familie, Freunde und jene, die um den Verlust trauern würden. Natürlich auch Feinde und die, die sich über den Tod des Opfers freuten. Manche so sehr, dass sie für den Tod einer Person sehr viele Münzen zahlten. So kam sie immerhin gut über die Runden. Bei ihm war es jedoch anders. Er tötete nicht, um ein Kopfgeld zu erhalten, sondern aus Rache und teilweise, um seine Rebellion voranzubekommen. Er entschied, dass bestimmte Menschen den Tod verdienten, weil sie nach Außen einem Mann folgten, den er als die Ausgeburt der Hölle ansah. Dieser Krieg hatte schon zahlreiche Leben gekostet und nicht alle davon waren sinnvoll gewesen. „Er war sehr ambitioniert. Hohe Ziele... Faszinierende Träume. Einen Sinn für Gerechtigkeit und sehr viel Talent. Etwas hochmütig vielleicht... Zu idealistisch. Nicht bereit, Abstriche zu machen.“, erzählte Billie dann doch aufrichtig. „Irgendwann verlor er den Bezug zu sich selbst. Zwischen Ratsmitglied und Herrschaft... Er erkannte, dass er seine Ziele nicht erreichen konnte, die er sich so akribisch gesetzt hatte. Doch er war zu idealistisch, um sich mit den Ergebnissen zufrieden zu geben, die er hätte erzielen können.“ „Also entschied er, dass er jeden töten musste, der gegen ihn war...“ Bedächtig nickte sie: „Ja... Er dachte, dass wenn er alle tötet, die gegen seine Reformen sind, dann würde es einfacher werden. Er könnte dann alle Ziele genauso verwirklichen, wie er sie sich ausmalte.“ „Wieso dieser beständige Hass gegen die Nichtmenschen? Wozu erschuf er seine Bestien?“ „Wyrnné erkannte bald, dass die Nichtmenschen nicht einverstanden mit seinem Handeln waren. Sie suchten nach Magie... Mächtiger Magie, die seine Macht unterbinden sollte. Oder nach einem Gefängnis, welches ihn halten könnte...“, berichtete die Attentäterin nachdenklich. „Er sah sie als Verräter an. Glaubte, dass sie gegen seine Ideale und somit gegen ihn seien. Vor allem die Drachen. Er war der festen Überzeugung, dass sie die treibenden Kräfte waren und die anderen Nichtmenschen anstifteten.“ „War es denn so?“, hinterfragte Kelvin interessiert. „Vermutlich...“ Kurzzeitig kehrte wieder Stille ein. Die Übungspuppen waren vollkommen vergessen. Ebenso wie der vorherige Streit. Der Essenzbeherrscher konnte der Elfe ansehen, dass sie sich an die damaligen Zeiten zu erinnern versuchte. Alles, was sie ihm sagen konnte, würde ihm im Kampf gegen den Weltenlenker helfen. Ihm eventuelle Schwachpunkte aufzeigen. Oder Orte, an denen er danach suchen konnte... „Er erschuf seine Inquisitoren, damit sie jeden foltern konnten, der gefangen genommen wurde. Vor allem Nichtmenschen... Er wollte von ihnen wissen, wo er die Verstecke der Drachen finden konnte.“, fuhr sie langsam fort. „Er wollte wissen, wie weit ihre Pläne waren... Ob sie Armeen besaßen. Wyrnné interessierte, ob die Drachen alte Magie wiedererweckten, um sich ihm zu stellen.“ „Welche alte Magie?“ „Drachenreiter... Sie waren im ersten Krieg der Völker entscheidend. Jedoch distanzierten sich die Drachen anschließend von ihnen.“ „Weshalb?“ „Weil das Band zwischen Reiter und Drache so stark war, dass die Drachen selbst sie zu fürchten begannen. Starb der Drache, brachten sich die meisten Reiter um und umgekehrt war es genauso. Jene, die es nicht taten, führten von da an ein halbes Leben...“ „Ihnen fehlte ihre zweite Hälfte...“, schlussfolgerte Kelvin mitfühlend. „Sie wollten nicht mehr ohne ihren Reiter oder ohne ihren Drachen leben. Missten seine Anwesenheit...“ „Ja... Was anfangs als Bürde empfunden wurde, war plötzlich nicht mehr wegzudenken. Nicht mehr die Gedanken seines Drachens zu hören oder für einen Drachen den Herzschlag seines Reiters im Ohr zu haben... Nicht mehr gemeinsam den Himmel zu erobern. Die Wolken zu küssen...“ Ihr Blick rutschte weiter weg von diesem Ort. In so ferne Zeiten, die sich Kelvin selbst nicht ausmalen konnte. Obwohl er sich oft fragte, wie Midgard zu früheren Zeiten ausgesehen hatte. Wie die Menschen in jener Welt gewesen waren und wie sich Nichtmenschen in Freiheit fortbewegt hatten. Wie ihr Charakter und ihre Kultur ausgesehen hatten. Was es mit den Wäldern getan hatte... Es gab kaum noch Aufzeichnungen zu der früheren Weltordnung. Selbst in No’gobor waren solche Schriften entweder zerstört oder weggesperrt worden. Doch es gab Gemälde, die an jene Zeit zu erinnern schienen. Von saftigen Wäldern, ergiebigen Feldern, fröhlichen Gesichtern und einer anderen Art von Reichtum. Pure Idylle... Zumindest, wenn er es mit den Zuständen der heutigen Zeit zu vergleichen versuchte. Heute schien alles verdorben zu sein. „Hattest du mal einen Reiter?“, hörte er sich plötzlich fragen. Im nächsten Moment verfluchte er sich dafür. Solch eine Frage war furchtbar taktlos und konnte ihren offenen Redefluss unterbinden! So viele Fragen, die er dann immer noch nicht beantwortet bekommen würde. „Nein. Nein, ich hatte niemals einen Reiter... Ich bin noch nicht lange als Drache erwacht.“ „Du bist kein geborener Drache?“ Schon wieder eine Frage, für die er sich selbst auf die Unterlippe biss. Billiana faszinierte ihn so sehr, dass er seinen eigenen Charme einfach vergaß und offenkundig auch sein Gehirn. Hammond würde ihn nun hart tadeln! Und er musste zugeben, dass er damit ganz recht hätte. „Nein, ich wurde nicht als Drache geboren.“, antwortete die Attentäterin aufrichtig. Es nützte ihr ohnehin nichts, es zu leugnen. Über so etwas führten die Drachen Buch und wenn er es wirklich wollte, konnte er diese Aufzeichnungen finden. Leise seufzte er und beschloss, dass er die Richtung des Gesprächs ändern musste: „Betrieben die Drachen wieder die alte Magie?“ „Nein, das taten sie nicht. Doch Wyrnné wollte es nicht glauben... Also erschuf er die Drachenhetzer. Sie sollten jeden Drachen finden und umbringen. Dafür stattete er sie mit speziellen Fähigkeiten aus, die dafür sorgen sollten, dass sie lange in der Wildnis überleben konnten und einen Drachen in jeder Gestalt erkannten.“ „Und wozu erschuf er die Fessler? Um die Magie der Drachen zu binden?“ „Auch, ja...“, bestätigte sie nüchtern. „Aber vor allem wegen der Nichtmenschen. Viele von ihnen haben magische Begabungen, die sie seit ihrer Geburt tragen. Er wollte sich ihnen gewappnet sehen, indem er alle Kräfte binden konnte, wenn es nötig war. Doch bald kam auch die Essenzmagie zu den Menschen. Er fürchtete einen Komplott der Nichtmenschen, weshalb er die Fessler verstärkte und ihre Reihen ausbaute. Die Essenzmagie verkaufte er dann aber als Geschenk von ihm an treue Menschen.“ „Blöd nur, dass auch untreue Bürger die Essenzmagie in sich tragen konnten...“ „In der Tat.“ „Also hat er letztendlich alle diese Bestien nur erschaffen, um den Nichtmenschen möglichst stark zu schaden?“ „So ist es. Und um seine Position zu stärken.“ „Ihre Loyalität ihm gegenüber ist unerschütterlich...“, merkte Kelvin nachdenklich an. „Ja, weil sie sozusagen seine Kinder sind.“, erwiderte Billiana ehrlich. „Nur mit dem Unterschied, dass sie nie ganz erwachsen werden. Sie bleiben in dem Zustand eines Kindes, welches seinen Eltern blindes Vertrauen schenkt.“ „Also kontrolliert er gar nicht ihren Verstand? Sie lieben einfach nur ihren Vater?“ „Ja und nein... Er hat die Macht ihren Geist zu kontrollieren, wenn er es für notwendig hält. So kann er auch prüfen, ob sie loyal bleiben.“ Das war der Punkt, an dem der Rebellenanführer sofort hellhörig wurde: „Es gab Situationen, in denen sie es nicht waren?“ Billie erstarrte. Fast so, als erkannte sie, dass sie wohl zu viel gesagt hatte. Der Essenzbeherrscher sagte nichts dazu. Drängte sie nicht, mehr zu erzählen. Es hatte sich deutlich gezeigt, dass die Attentäterin offener sprach, wenn niemand auf sie Druck ausübte. Selbst wenn sie in diesem Augenblick nicht fortfuhr, würde sie es dann vielleicht in einigen Tagen oder Wochen machen, wenn er ihr nur genug Zeit gab. Das musste er zumindest hoffen. Gerade die Bestien des Weltenlenkers waren ein ernstes Problem. Für Normalsterbliche schienen sie unbesiegbar zu sein und in ihrer Treue waren sie unvergleichbar. Ein Inquisitor konnte eine halbe Armee ersetzen, wenn er nur ein machtvoller seiner Art war. Ganz zu schweigen von den Drachenhetzern, die immerhin nur zu dem Zweck geboren wurden, um ihrem Namen gerecht zu werden und Drachen zu töten. Wenn es eine Möglichkeit gab, ihren Willen zu erschüttern, dann würden sie diesen Schwachpunkt ausnutzen müssen. Anders war die Schlacht verloren, bevor sie begann. Egal, wie viele sich ihnen anschlossen, sie hätten keine Chance gegen diese Kreaturen. „Einige von ihnen weisen irgendwann... Symptome auf. Unterschiedliche...“, erklärte die Elfe bedächtig. „Sie gleichen sich nur in dem Punkt, dass sie sich wankelmütig zeigen. Manche klagen über Schmerzen, andere über Albträume oder Erschöpfung. Ganz plötzlich. Und wenn es beginnt, sinkt der Zustand der betreffenden Kreatur rasch.“ „Was macht er mit denen, die diese... Krankheit haben?“ „Er vernichtet sie. Endgültig.“ „Ist es vielleicht ansteckend?“, fragte Kelvin hoffnungsvoll. Schwerfällig schüttelte sie ihren Kopf und blickte ihn wieder an: „Nein. Es scheint keine wirkliche Krankheit zu sein, sondern eher eine Art... Alterserscheinung. Es befällt nur sehr alte Schöpfungen, aber auch da nicht alle.“ „Wie Rückenschäden bei alten Menschen?“ „Genau, das ist vergleichbar. Viele, aber nicht alle bekommen es. Manche früher, andere später...“ Das half im Kampf leider nicht. Sie konnten nicht darauf hoffen, dass alle Kreaturen plötzlich zu alt wurden und ihre Loyalität vergaßen. Solange sie diesen Zustand nicht künstlich auslösen konnte, würde es ihnen nur soweit helfen, dass sie sich zumindest etwas von selbst dezimierten. Je weniger Schöpfungen dem Weltenlenker zur Verfügung standen desto größer wurde die Chance auf einen Sieg. „Genug jetzt davon!“, stöhnte die Blondine schließlich genervt und sah ihn tadelnd an. „Bau‘ endlich die Übungspuppen! Und sie sollten so gut wie meine sein. Sonst lasse ich dich solange basteln bis du es hinbekommst.“ „Ja, Mylady!“, erwiderte er grinsend und salutierte vor ihr. Dafür bekam er einen bitterbösen Blick. Er wusste, dass sie nicht wirklich sauer war. „Und Kel... Keine Abkürzungen.“, ermahnte sie ihn streng. „Natürlich nicht.“ Ihm war bewusst, dass sie seine Arbeit von nun an beaufsichtigen würde. Also nahm er sich wieder die Axt entgegen und widmete sich erneut dem Holz. Ihre Tipps halfen tatsächlich. Es fiel ihm viel leichter mit dem Holz zu arbeiten, auch wenn er noch nicht so recht wusste, ob er die Oberflächen im Anschluss auch so gut hinbekam. Doch irgendwas sagte ihm, dass sie ihm auch dort Nachhilfe erteilen würde, wenn sie es als nötig ansah.    Wenn sich Kelvin eine Sache eingestehen musste, dann dass Billie ein harter Gegner war. Obwohl sie nur einen Übungskampf machten, zog sie alle Register, um ihn richtig ins Schwitzen zu kriegen! Und sie schaffte es... Ihr Duell war an gewisse Regeln gebunden. Natürlich war die oberste Regel, dass sie keine Magie einsetzen durften. Er sollte alleine mit seinen körperlichen Fähigkeiten überzeugen und ihr beweisen, dass er auch ohne magische Gabe gegen übermächtige Feinde bestand. Selbstverständlich wollte Billiana nicht hören, dass sie um einige Jahrhunderte älter war als er und sie deshalb sowieso im Vorteil war. Sie hatte deutlich gesagt, dass das seine Gegner auch nicht interessieren würde, wenn seine Fähigkeiten mal wieder von einem Fessler gebunden wurden. Und damit hatte sie vollkommen recht! Trotzdem machte es ihn beinahe wahnsinnig, immer wieder ihrem Holzschwert auszuweichen oder es direkt in seine Seite gerammt zu bekommen. In all den Wochen hatte er kein einziges Duell gegen sie gewonnen, obwohl er es wirklich versuchte. Wieder sauste das Holzschwert knapp über seinen Kopf hinfort, während er sich tänzelnd in die Hocke drehte. Wie er es bei Billie gelernt hatte, wollte er den Schwung für sich nutzen und schlug mit seinem Holzdolch zu, doch sie wehrte den Angriff mit ihrem Übungsschild ab. Seufzend machte Kelvin einen Sprung nach hinten, damit er sich wieder aufrichten konnte. Schweiß rann ihm über die Stirn. Dieser Kampf fühlte sich echt an. Provokant ließ die Elfe ihr Übungsschwert in ihrer Hand rotieren. Vollkommen gelassen, als wären sie nicht schon seit Stunden auf den Beinen. Als kämpften sie nicht schon seit mehreren Minuten gegeneinander! Eigentlich wusste der Rebell nicht mal genau, wie lange sie schon gegeneinander antraten, aber es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Eine Ewigkeit, die ihm bisher nicht mal einen einzigen Treffer eingebracht hatte. „Was ist los, Kel?“, fragte Billie grinsend. „Gibst du etwa schon auf?“ „Bestimmt nicht.“ Aber ich muss wohl meine Taktik ändern... Ich werde sie so niemals besiegen., gestand er sich selbst ein. Er entschied sich, dass er mal passiver an die Sache herangehen musste. Bisher hatte der Rebellenanführer immer versucht, sie als erster zu attackieren. Sie hatte dann pariert und ihn mit einem mächtigen Gegenschlag verdammt alt aussehen lassen. Was sprach also dagegen, dass er das nun auch machte? Entschlossen nahm er eine defensive Haltung ein. War bereit, wenn sie zum Angriff überging. Seine blauen Augen fixierten die wunderschöne Elfe, die seine veränderte Haltung wahrzunehmen schien. Mit einem Grinsen wechselte auch sie ihre Stellung und wurde nun aggressiver. Auf leisen Sohlen raste die Blondine auf ihn zu und schlug schnell und gnadenlos auf ihn ein. Kelvin war gezwungen, sich immer wieder zu ducken und das Holzschwert mit seinen Übungsdolchen abzuwehren. Ihre Schlagabfolge wirkte lückenlos. Innerlich fluchend zwang Billiana ihn, immer weiter nach hinten zu weichen. Er verlor Land und wusste beim besten Willen nicht, wie er das ohne Magie ausgleichen sollte. Dann endlich geschah es! Der Berserker-Modus der Langhaarigen ließ sie ihre Deckung für einige Herzschläge vergessen. Wahrscheinlich zu sehr mit dem Glauben beschäftigt, dass er ihr sowieso nichts anhaben konnte. Beflügelt von dieser einzigartigen Gelegenheit trat er ihr direkt in den Magen! Erschrocken strauchelte sie zurück und er preschte voran, um nun mit seinen Dolchen auf sie einzuschlagen. Nun war es die Elfe, die nur unter Anstrengung die Schläge abwehren konnte. Holz schlug auf Holz. Mit verzogenem Gesicht musste nun sie zurückweichen, behielt ihn aber gut im Auge. Sie suchte nach derselben Schwäche, die Kelvin eben noch bei ihr gefunden hatte. Vorerst wollte er ihr die Führung nicht mehr überlassen. Lieber zwang er sie dazu, dass nun Billiana sich immer wieder ducken musste. Allmählich bekam sie Schwierigkeiten, seinen Hieben noch rechtzeitig zu entgehen, also änderte auch sie ihre Technik. Überaus geschickt warf sich die Elfe hinter ihrem Schild mit einem Kriegsschrei auf ihn. Vollkommen überrascht ließ sich Kelvin zu Boden reißen und blickte kurz darauf auf die Spitze ihres Holzschwertes. Okay... Kreativ ist sie..., gab er spöttisch zu. „Das ist aber kein kluger Schachzug...“, murrte er unzufrieden. „Weshalb? Hat doch funktioniert.“ „Ja, jetzt, weil wir nicht auf einem Schlachtfeld sind. Wäre das hier ein richtiger Kampf, wärst du von einem anderen Gegner aufgespießt worden.“ „Wäre das hier ein richtiger Kampf, Kel, dann wären wir schon mehrfach aufgespießt worden.“, erinnerte sie ihn. „Ja, ja... Du musst immer das letzte Wort haben.“ „Tja, so bin ich.“ Endlich erhob sich die Blondine wieder von ihm und bot ihm ihre Hand an. Er wollte kein schlechter Verlierer sein, weshalb der Rebell ihre Hand packte und sich mit ihrer Hilfe wieder auf die Füße ziehen ließ. Natürlich hätte er es auch alleine geschafft. „Willst du es nochmals versuchen?“ „Das ist meine dritte Niederlage heute...“, seufzte Kelvin abwinkend. „Belassen wir es vorerst dabei. Mein Ego schafft nicht noch mehr.“ Billie kicherte böse darüber: „Du Memme.“ „Du kannst mich mal.“ Er war nicht wirklich böse oder geknickt. Es stimmte, dass sie viel mehr Erfahrung hatte als er, doch irgendwie glaubte er, dass er es irgendwann schaffen konnte. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber irgendwann würde er Billiana besiegen. Für heute war ihr Training vorerst abgeschlossen, weshalb sie gemeinsam in die Hütte gingen. Er half ihr beim Zubereiten des Essens. Kelvin hatte schon mehrmals schockiert festgestellt, dass ihre Kochkünste tödlich waren! So lange es nur darum ging, etwas Fleisch über einem prasselnden Feuer zu rösten, war alles in Ordnung. Sobald es aber mehr als das wurde... Er konnte es sich nicht erklären, aber bei der Elfe kamen dann nur noch breiige Massen heraus, die widerlich aussahen, rochen und so gar nicht schmeckten. Als kochte sie mit Gift. Als er sie darauf angesprochen hatte, hatte Billie ihm geschworen, dass sie das nicht absichtlich machte. Aus irgendeinem Grund lag es ihr einfach nicht, vernünftig zu kochen. Nicht mal dann, wenn es um eine ganz einfache Suppe ging oder um Reis. Dafür war sie umso besser als Jägerin! Sie brachte jeden Tag frisches Fleisch, zerlegte die Tiere ausgezeichnet und verarbeitete wirklich alles von ihnen. So konnte sie ihnen regelmäßig neue Kleidung schneidern oder sie reparieren. Aus den Knochen machte sie Waffen zum Üben oder verstärkte die Übungspuppen. Davon war er sehr beeindruckt. Außerdem fand sie in den Wäldern stets alle möglichen essbaren Kräuter, Beeren und Pilze. Hammond hatte Kelvin mal versucht zu erklären, wie er die ungiftigen Lebensmittel in der Wildnis erkannte, doch irgendwie war nichts davon hängen geblieben. Er wüsste nicht mal, wo er sie suchen musste. So ergänzten sie sich allerdings wunderbar. Ihre Ausflüge zu den Dörfern hatten sich reduziert, weil sie eigentlich alles hier hatten, was sie brauchten. „Darf ich dich etwas fragen?“, erkundigte sich der Rebell beiläufig, während er die Suppe abschmeckte, an der er werkelte. Billiana schnitt derweil das Fleisch, die Pilze und die Kräuter für ihn klein. „Du darfst, aber ich verspreche nicht, dass ich dir antworte.“ „Warum Billie?“ „Wie bitte?“ „Warum lässt du dich Billie nennen?“, wiederholte er neugierig. „Dein Name bietet viele Möglichkeiten, die nicht den Irrglauben wecken, dass du ein Kerl sein könntest.“ „Weshalb lässt du dich Kel nennen?“ Leise seufzte er. Eigentlich hätte er mit dieser Gegenfrage rechnen müssen! Hatte er aber nicht, also dachte er kurz nach, ehe er über die Schulter zu ihr sah: „Es gefällt mir und ist schön kurz. Lässt sich leicht merken.“ „Und mir gefällt Billie.“, sagte sie leichthin. „Das ist alles?“ „Das ist alles.“ „Also kein geheimer Wunsch danach, ein Kerl zu sein?“ Wieder wurde es still zwischen ihnen. Das schaffte der Rebellenanführer häufiger, wenn er sie nicht gerade zur Weißglut trieb. Er hatte inzwischen so viele Trainingspuppen zerstört, dass er es aufgegeben hatte, sie zu zählen. Dafür konnte er sie nun aber im Schlaf herstellen! Abwesend schnitt sie gerade einige Pilze klein, nachdem sie ihm das frisch geschnittene Fleisch gebracht hatte. Heute gab es Wildschwein. Ein richtig großes Wildschwein, dem es im Wald gut gegangen war! Schön fett und faul. Genau nach seinem Geschmack. Begeistert ließ Kelvin das Fleisch in den Kessel fallen, in dem die angesetzte Suppe bereits kochte. Pilze und Kräuter würde er erst kurz vor Vollendung hinzufügen, damit sie nicht zerkochten. „Mein Vater wünschte sich eher einen Jungen...“, sagte die Elfe dann seufzend. „Ich war das, was er immer wollte, nur hatte ich das falsche Geschlecht.“ „Deshalb der eher maskuline Spitzname?“ „Ich denke schon, dass mich das in meiner Wahl beeinflusst hat. Trotzdem gefällt mir Billie.“ „Mir auch.“, offenbarte er lächelnd. „War nur aus Interesse.“ Bei der restlichen Zubereitung schwiegen sie. So dauerte es nicht lange, bis sie gemeinsam an einem warmen Feuer hockten und ihre Suppe in sich hineinlöffelten. Kelvin war gewiss kein Meisterkoch, doch er fand, dass ihm diese besonders gut gelungen war. Das verdankte er auch ihren hochwertigen Zutaten, die sie ihm stets brachte. Eigentlich ließen sie es sich sogar ziemlich gut gehen, wenn er so darüber nachdachte. Sie hatten stets frisches Essen, eine Hütte mit Betten und viele Möglichkeiten sich zu waschen. Für ein hartes Training ziemlich viel Luxus. Jedoch ging Kelvin auch davon aus, dass Billiana selbst nicht zu hinterwäldlerisch leben wollte, wenn sie schon ständig Grünschnäbel ausbildete. Bei einer Sache musste er ihr inzwischen sogar beipflichten: Er war süchtig nach Magie! Seit sie ihn auf den kalten Entzug gestellt hatte, fiel ihm immer häufiger auf, dass er zitterte oder schwitzte. Außerdem schlief er nun noch schlechter. Noch schlechter! Er hatte gar nicht gewusst, dass das tatsächlich möglich war! Etwas in ihm wollte, dass er Magie einsetzte. Es redete ihm ein, dass es ihm besser gehen würde, doch die Elfe verhinderte es und langsam glaubte der Rebell, dass es besser so war. „Was war das für eine Reise?“, hörte er sich fragen, während Billiana gerade ein frisches Brot aufteilte. Es diente ihnen als Beilage und um es in die Suppe zu tunken. „Wie bitte?“ „Die Reise, auf der deine Freunde starben... Worum ging es dabei? Hat es etwas mit dieser bösen Macht zu tun, die der Weltenlenker immer mal erwähnt hat? Vor der er die Welten angeblich schützt?“ „Ja...“, antwortete die Blondine ausweichend. Statt es weiter auszuführen, tunkte sie lieber ihr Brot in die Suppe und aß es. Ihre eisblauen Augen blickten dabei zur gegenüberliegenden Wand, als sei es das erste Mal, dass sie diese sah. „Wenn du nie darüber sprichst, kannst du es auch nicht verarbeiten, Billie.“ „Wer sagt, dass ich das will?“ „Wollen wir das nicht alle? Alle, die wir in der Rebellion sind?“, warf Kelvin skeptisch ein. „Geht es nicht letztendlich darum, endlich Frieden zu finden?“ „Vermutlich... Ja.“ Es überraschte ihn nicht, dass sie trotzdem nicht zu reden begann. Wenn es stimmte, was sie sagte, waren all ihre Freunde auf dieser Reise gestorben. Außerdem erwähnte sie einen Verlobten, der mit ihr die Seelenklinge hergestellt hatte. Nur gab es keinen Ring... Nichts, was auf eine Ehe schließen ließ. Er war vermutlich dabei... Hat sie auf diese Reise begleitet und es nicht geschafft., sinnierte der Rebellenanführer mit ehrlichem Bedauern. Er wusste, wie es sich anfühlte, wenn man seine Liebe verlor. Ein Teil von ihm war damals gestorben. Dieser wichtige, große Teil, der Kelvin einst zu einem guten Menschen gemacht hatte. Durch den er nicht so auf Rache aus gewesen war, obwohl er allen Grund dazu gehabt hatte. Ohne Amelie war er verloren. Auch wenn es keiner sah, wusste er, dass es der Wahrheit entsprach. „Am Anfang waren die Götter...“, begann Billiana plötzlich und erlangte sofort seine Aufmerksamkeit. „Sie verspürten Langeweile und begannen ein... Spiel. Zuerst nur jene beiden, die heutzutage viele Namen besitzen. Gängig ist Schöpfervater und Schöpfermutter. Die Schöpfermutter erschuf Midgard mit der Vielfalt ihrer Rassen, der außergewöhnlichen Natur und zahlreichen Kulturen. Der Schöpfervater hingegen erschuf die Unterwelt oder Haljô. Sie war dunkel und kalt, aber auch voll mit verschiedenen Kreaturen, deren Erscheinung weniger ansehnlich war. Das Leben dort war hart wie er selbst es war.“ „Also entstanden diese beiden Welten wirklich durch göttliche Hände? Die Religionen haben recht?“ „Ja und nein...“ „Das ist keine wirkliche Antwort.“, seufzte der Rebell zweifelnd. „Es kommt drauf an, wie du einen Gott definierst, Kel. Ich denke, dass ein Gott keine sterbliche Hülle besitzt und sich nicht irrt.“, erwiderte sie mit ernster Miene. „Ich bezweifle, dass ein wahrer Gott aus purer Langeweile mit dem Leben spielen würde. Ich denke, dass diese angeblichen Götter nur sehr machtvolle Wesen mit außergewöhnlichen Gaben waren.“ „Hmm, ja... Ja, das ergibt Sinn.“ „Jedenfalls beobachteten diese angeblichen Götter ihre Werke, doch bald wurden sie wieder langweilig. Es herrschte Harmonie und das gefiel ihnen nicht, also gaben sie den Lebewesen neue Charakterzüge. Böswilligkeit, Sünden... Misstrauen.“ „Oh ja!“, keuchte Kelvin sarkastisch. „Wer will schon ein friedliches, harmonisches Leben führen? Ich vergaß, dass der Tag erst gut ist, wenn er mit einem Blutbad beginnt!“ Billie grinste schief, obwohl daran an sich nichts Lustiges war. Sie aß einige Bissen, dann rückte ihr Blick wieder in die Ferne: „Die Völker begannen sich untereinander zu bekriegen, doch auch das reichte ihnen nicht, also gaben sie ihnen Gaben. Fähigkeiten, die unterschiedlicher nicht sein konnten... Magie.“ „So wie die Essenzmagie?“ „Unter anderem, ja. Wobei die eine Weile lang fast ausgestorben war und dann mit Wyrn-... Dem Weltenlenker zurückkehrte.“ „Wieso war die Essenzmagie fast verloren?“, fragte er irritiert. Es kam ihn unvorstellbar vor, weil es inzwischen wieder recht viele Essenzmagier gab. Nicht alle waren machtvoll, doch sie waren recht zahlreich geworden. „Ich weiß es nicht...“, gestand die Elfe seufzend. „Ich denke, dass sie mit diesen göttlichen Wesen im Einklang ist. Ist ihre Macht schwach, ist die Essenzmagie fort und wenn sie stark sind, dann ist sie wieder da.“ „Eigenartig...“ „Die Gottheiten entschieden schließlich, dass sie das Spiel weiter ausbauen sollten und erschufen weitere Welten nach den Vorstellungen ihrer Kollegen.“, fuhr sie einfach fort. „Nur der Schöpfervater und die Schöpfermutter konnten Welten und Leben erschaffen, aber sie konnten es auch nach den Vorstellungen der anderen tun. So erschuf der Gott der Kunst mit ihrer Hilfe Yallad. Eine Welt, die wie ein einziges Gemälde aussieht und von Magie pulsiert! Die Drachen erkoren sich diesen Ort als ihre Heimat aus, ehe sie sich über die anderen Welten verbreiteten, um ihr Überleben zu sichern.“ „Gab es auf Midgard vorher keine Drachen? Kamen sie alle von... Yallad?“ „Doch, es gab dort Drachen, aber sie waren ganz anders. Nicht unbedingt von ihren äußeren Merkmalen, aber vom Wesen her.“ „Inwieweit unterscheiden sie sich voneinander?“, wollte Kelvin neugierig wissen. Er kannte bisher nur sie und sonst keinen einzigen Drachen. „Die Drachen Midgards sind eher Gelehrte. Friedenskämpfer, wenn du so willst. Die Drachen Yallads sind Krieger und Händler. Gutmütig, ja, aber man will sie nicht zum Feind haben.“ Natürlich wusste der Rebell von Hammond, dass die Drachen Midgards ein sehr friedliches Volk waren. Wenn es ging, vermieden sie Kämpfe. Nun bestätigte sie ihm diese Annahme und er fragte sich ernsthaft, ob sie den Krieg gegen den Weltenlenker überhaupt überstehen konnten. Wer nicht willig war, eine Waffe zu führen, konnte in Zeiten wie diesen nicht mehr überleben. Es war bedauerlich, doch leider nicht von der Hand zu weisen. Es gab so viele Opfer, die das belegten... Unschuldige Mütter, Kinder und auch Alte, die nicht die Kraft zum Kampf besessen hatten. Oder nicht mehr... Sollten die Drachen also ihre Ambitionen bezüglich des Kämpfens nicht ändern, dann würde der falsche Gott bald seine Drohungen wahrmachen können. Sie würden auf Midgard aussterben... Und dieses Mal würde es endgültig sein. „Immer mehr Welten und Kreaturen wurden erschaffen. Magische Fähigkeiten erdacht. Das ganze Netzwerk der Welten wuchs beständig unter der Kreativität der angeblichen Götter.“ „Ich höre ein großes Aber...“ „Aber-...“, setzte Billie schmunzelnd an. „Es geriet aus dem Gleichgewicht. Es war zu viel! Zu viele Völker, zu viele Welten, zu viel Magie. Einige Welten zerbrachen, obwohl sie noch in den Kinderschuhen steckten. Andere wurden durch einen Überschuss aus Magie einfach verschluckt, wodurch etwas anderes erwuchs, was nicht zu kontrollieren war. Die Völker metzelten sich mit ihren Fähigkeiten nieder und schienen teilweise keinen Frieden mehr zu kennen.“ „Das klingt furchtbar...“, gab Kelvin mit Bedauern zu. Sie hatten so viel erschaffen, doch die Kontrolle verloren. Nicht alles davon war gewiss schlecht gewesen. Ein paar der Dinge wären es wert gewesen, wenn sie die Zeit hätten überdauern können. „Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.“ „Wenn alles zusammenbrach, weshalb existieren wir dann alle noch?“ Lächelnd tippte sie sich auf die eigene Nasenspitze und deutete kurz auf ihn, als lobte sie ein kleines Kind, das seine erste Rechenaufgabe gelöst hatte. Zum wiederholten Male stellt er fest, dass sie sich darauf verstand, einem das Gefühl zu geben, man sei ein dummes Gör. „Die Götter waren wütend auf die Schöpfermutter, weil alles aus dem Ruder lief. Sie hatte hauptsächlich zu diesem Zerfall beigetragen, weil der Schöpfervater sich lieber auf die Unterwelt konzentrierte.“ „Weshalb?“ „Ich weiß nicht... Ich denke, dass er geahnt hat, dass sie zu weit gehen würden.“, sagte die Elfe schulterzuckend. „Die Schöpfermutter jedenfalls ersann einen Plan. Sie erschuf eine uralte Macht, die die überschüssige Magie vertilgen und Rassen auslöschen sollte, die nicht funktionierten. Entweder, weil sie zu instabil waren oder zu machtvoll. Das funktionierte ganz gut. Die Welten gerieten wieder ins Gleichgewicht und die Magie ging etwas zurück. Zwar war es immer noch ein recht kippliger Frieden, doch die Welten zerfielen nicht mehr.“ „Da ist schon wieder dieses bedeutungsschwere Aber zu hören...“ „Aber die Kreatur wurde gierig. Irgendwann sah es nicht mehr ein, weshalb es nur fressen sollte, was zu viel war. Es wollte wachsen und um zu wachsen, musste es mehr Macht vertilgen. Also fraß es...“ „Weshalb hat sie ihm diese Gier gegeben?“, wollte Kelvin wissen. „Wieso hat sie ihn nicht ohne Gefühle erschaffen und absolut gehorsam?“ „Das hat sie.“, warf die Blondine ein. „Doch irgendwie hatte sich diese Kreatur weiterentwickelt. Vermutlich durch alles, was er fraß...“ Langsam hob die Elfe ihre Hand und erschuf aus dem Nichts ein Bild einer schwarzen, unheimlichen Gestalt. Sie war klein, trotzdem konnte der Rebell deutlich Klauen und Reißzähne erkennen. Vor allem fiel ihm auf, dass dieses erschaffene Sinnbild dieser Kreatur keine richtige Haut zu haben schien, sondern triefte. Als hielte eine durchsichtige Membran eine schwarze Schlacke zusammen. Mit einer weiteren Bewegung ihrer Finger erschuf sie eine Kugel, die wohl eine Welt darstellen sollte. Die Kreatur tauchte sich darüber und diese Welt wurde schwarz, ehe sie dann verschwand. Vertilgt von dieser unbändigen Gier. Erneut bewegte sich ihre Hand und dieses Mal erschuf sie leuchtende Gestalten. Menschen, Elfen, Orks, Drachen... Sie alle liefen von dieser schwarzen Kreatur davon, wurden aber nach und nach verschluckt. Ein Anblick, der ihn mit Furcht erfüllte. Der Weltenlenker erschien für ihn und viele andere beinahe unbezwingbar, doch diese Kreatur... Sie fraß sich durch Welten und Leben, als bedeutete es nichts. „Die Schöpfermutter wollte ihre Kreation wieder einfangen und neugestalten, damit sie wieder tat, wofür sie diese Bestie ursprünglich erschaffen hatte, doch die Kreatur weigerte sich.“ Billiana erschuf ein Bildnis einer kleinen Frau mit langem, wallendem, rotem Haar. Sie stellte sich mit Schwert und Schild der schwarzen Kreatur entgegen. Als sich die Bestie auf sie stürzte, hob sie ihren Schild und verbarg sich dahinter, sodass sich diese schwarze Schlacke darauf zu spalten schien. Die Frau – die offenbar die Schöpfermutter darstellte – ergriff die Flucht. Diese seltsame Kreatur folgte ihr. Dabei erschuf die Elfe immer wieder Kugeln, die nach der Anwesenheit der beiden verpufften. „Die Schöpfermutter musste einsehen, dass ihr diese Kreatur nicht nur einfach misslungen war, sondern dass sie sie auch überflügelte.“, erklärte Billie ernst. „Sie schaffte es nicht, sie noch zu bändigen und bei ihrer Schlacht gegeneinander zerstörten sie zahlreiche Welten. Irgendwann musste sie einsehen, dass dieser Kampf sinnlos war. Zodiak – oder das Urböse, wie es in den meisten Schriften heißt – war zu einer unsterblichen Macht herangewachsen. Kein Sterblicher oder Unsterblicher vermochte ihn noch zu vernichten.“ „Aber irgendwie muss es doch gelungen sein, oder?“, hakte der Rebell nach. „Ich merke nochmals an, dass wir noch leben.“ Dieses Mal ging sie nicht direkt auf seine Frage ein, sondern formte nun Gestalten von Waffen. Verschiedene. Schwert, Bogen, Hammer, Axt, Speer... Sie leuchteten in einem mysteriösen Blauton, den er nur von dem magischen Erz Mithril kannte. Schließlich griffen Hände nach diesen Waffen. Jede Hand gehörte zu einer anderen Rasse. Manchmal erkannte er nicht, was es für ein Volk war, doch bei vielen war es eindeutig. „Shiva – die Schöpfermutter – beschloss, dass Zodiak durch etwas Göttliches erschaffen worden war und etwas Göttliches musste ihn dann auch auslöschen können. Also gab sie den Völkern das Rezept, Seelenklingen schmieden zu können.“, erklärte Billiana und erzeugte die Bilder von riesigen Brennöfen und mächtigen Zaubern, die auf Waffen gewirkt wurden. „Um zu verhindern, dass zu viele erschaffen wurden, konnte nur eine harmonische Zusammenarbeit der Völker eine perfekte Klinge erschaffen. Sie wusste, dass über kurz oder lang die Rassen diese Harmonie nicht beibehalten würden.“ Sie musste sich nicht konzentrieren, um ihre eigene Seelenklinge direkt vor seinen Augen zu beschwören. Es erschien stets aus einem schwarzen Nebel, das war ihm schon bei dem Kampf im Adelshaus aufgefallen. Erstaunlicherweise hielt Billiana es ihm hin. Ehrfürchtig nahm er es ihr aus den Händen und musterte es. Ihn überraschte im ersten Moment, wie leicht das Schwert war! Kaum schwerer als seine eigenen Dolche... Im zweiten Augenblick fielen ihm die Verzierungen und Runen auf der gesamten Klinge auf, die zur Spitze hin kleiner und filigraner wurden. Das Metall hatte dieses unverkennbare blaue Leuchten vom Mithril, doch es war nicht so intensiv wie es der Rebell davon kannte. Es war also vermutlich nicht komplett daraus gefertigt worden, doch definitiv mehr als eine Legierung. Kurz vor dem Griff hatte die Klinge spitze Zacken, die ihn ein bisschen an die Widerhaken der Inquisitoren erinnerten. Auch der Beginn des Griffs hatte diese Zacken, nur waren diese geschwungener und weniger scharfkantig. Rammte die Elfe die vollständige Klinge in den Körper eines Feindes, gab es für denjenigen kein Entrinnen mehr. Kelvin musste bei dieser Vorstellung schwer schlucken. Außerdem fiel ihm sogar als Laie auf, dass das Schwert ein Meisterwerk war. Einzigartige Schmiedekunst, die kein Mensch jemals derartig umsetzen könnte, selbst wenn er alle Zeit der Welt hätte, um es zu lernen. „Durch das Zusammenspiel von den richtigen Materialien, zu dem meisterhaften Schmiedekünsten der Zwerge wurden nahezu unzerstörbare Waffen erschaffen. Ihre besonderen Eigenschaften verliehen ihnen jedoch die magischen Waffenrunen der Elfen...“ „Du meinst, dass sie aus dem Nichts beschworen werden können?“, erkundigte er sich mit hochgezogener Augenbraue. „Unter anderem...“ „Dass sie explodieren, wenn du damit einen Fessler tötest?“ Sie rollte etwas mit den Augen, nickte dann aber: „Ja, das war der Grundgedanke. Nicht gerade die Schockwelle, aber dass sie die Lebensenergie und Magie aus seinen Opfern entziehen kann. Natürlich muss so viel Energie irgendwo hin, also überträgt sie sich auf den Führer der Waffe. So konnten Sterbliche und Langlebige ihre Lebensdauer erweitern. Jedoch birgt das natürlich gewisse Risiken...“ „Was für Risiken?“ „Sterbliche, die ihre Lebensdauer mithilfe einer Seelenklinge erweitern, werden früher oder später wahnsinnig. Ihr Organismus ist nicht dafür ausgelegt... Erhalten sie die Gabe der Langlebigkeit, verfliegt diese Nebenwirkung allerdings.“ „Man kann Langlebigkeit erhalten? Ich dachte, dass das angeboren wäre...“ „Ist sie meistens auch, doch irgendwo nimmt ja alles seinen Anfang. Wyrn-... Der Weltenlenker vergibt auch Langlebigkeit im Austausch für Loyalität.“ Also hat er in diesem Punkt nicht gelogen... Er macht seine Könige tatsächlich selbst zu Langlebigen., wurde es ihm bewusst. Das war bitter! Es verlieh dem Weltenlenker tatsächlich einen göttlichen Anschein, wenn er den Tod so austricksen konnte. „Der Grundgedanke hinter den Seelenklingen war, dass sie bei einem Treffer Zodiak seine Macht und Lebenskraft entziehen sollten. So wurde ihr Träger mit seiner Macht gestärkt, während Zodiak schwächer werden sollte.“, fuhr Billiana schließlich sachlich fort, während ihr Blick ins Kaminfeuer versank. „Die Träger hingegen mussten sich an ihre Waffe binden. Ihre Seele schloss einen Pakt mit ihr, sodass sie die Seelenklingen überall beschwören konnten, aber auch niemand sonst vermag sie zu führen.“ „Deshalb Seelenklinge...“ „Genau. Erst mit dem Ableben des Trägers oder wenn dieser sie freiwillig übergibt, kann sie einen neuen Meister erhalten.“ „Weshalb sollte jemand freiwillig solch ein mächtiges Werkzeug aufgeben?“, hakte der Rebell irritiert nach. Hätte er solch eine Klinge, würde er sie mit ins Grab nehmen! „Um sie beispielsweise an einen Nachfahren zu vererben oder weil man zu schwach, zu alt oder zu krank wird, um sie zu führen.“ „Ja... Ergibt Sinn.“ „Die meisten Träger sterben aber natürlich – in der Regel nicht an Altersschwäche.“ „Woher kommt das nur?“ Wieder bewegte die Blondine ihre Hand und das Bildnis der schwarzen Kreatur erschien dieses Mal größer in dem Zimmer. Die verschiedenen Rassen hatten ihre bläulichen Seelenklingen in den Händen und waren bereit zum Angriff. „Als Zodiak von den mächtigen Waffen hörte, die man gegen ihn führen sollte, brach er nach Midgard auf. Auch der Schöpfervater schloss sich nun diesem Kampf an und gesellte sich an Shivas Seite.“ Zwei Gestalten erschienen an vorderster Front. Die eine war die rothaarige Göttin mit Schild und Schwert, doch die andere war ein vermummter Mann mit einer gigantischen Sense. Sie befehligten die restlichen Seelenklingen-Träger. Alle stürzten sich auf die Bestie und ein Kampf entbrannte inmitten dieses Zimmers. Mit offenem Mund beobachtete Kelvin das Spektakel. Schwarzes Blut spritzte, wenn die Seelenklingen die Bestie trafen, während einige Krieger in diesem Kampf fielen und von Zodiak verschlungen wurden. Irgendwann verschwand die Kreatur und ließ ein Meer aus Leichen zurück. Es war selbst in diesen Silhouetten die Trauer über die Verluste erkennbar. „Zodiak erkannte, dass er gegen diese mächtigen Waffen keine Chance hatte und musste feststellen, dass er sie auch nicht stehlen konnte. Zodiak selbst besitzt keine Seele...“ „Deshalb die Bindung.“, erleuchtete sie Kelvin in diesem Augenblick. „Damit dieser... Zodiak sich nicht selbst die Klingen aneignen konnte.“ „Exakt.“, bestätigte Billie ihm. „Doch Zodiak war ebenso kreativ wie seine Mutter und fand einen anderen Weg, um sich gegen diese Waffen zu wehren.“ Wieder erschuf die Elfe ein Bild zwischen ihnen. Es waren zahlreiche Lebewesen unterschiedlicher Rassen, die von Zodiak hinterlistig überfallen wurden. Nur verschwanden sie dieses Mal nicht, sondern erhielten eine Berührung der Kreatur. Im Anschluss breitete sich in den Lichtgestalten ein schwarzer Fleck aus, der sie schließlich komplett einhüllte. Wie willenlose Puppen begannen dem Urbösen einfach zu folgen. Sie berührten andere Lebewesen und auch sie verloren ihr Licht, um stattdessen in dieser schwarzen Schlacke gehüllt zu sein. „Er veränderte sich nicht nur Dank der vertilgten Magie selbst, sondern tat es auch mit den anderen Völkern.“, erklärte Billiana verbittert. „Er drang in sie ein, ernährte sich von ihren Sehnsüchten, Ängsten und Begierden, um sie gegen sie einzusetzen. Irgendwann gibt jeder nach... In diesem Moment geben diese Infizierten ihren Körper auf und Zodiak kann ihn steuern. Chaos brach aus, weil sich plötzlich die eigenen Verbündeten oder sogar Verwandte gegen einen stellten. Kriege entfachten, weil niemand den Ursprung kannte. So konnte er einige der Anführer schließlich auch bekehren und über sie die Seelenklingen für sich nutzen. Gleichzeitig schwächte er die Schöpfer...“ Kelvin fand es beeindruckend, wie sie nun mit beiden Händen noch größere Bilder erschuf. Deutlich machte, wie die Armee von Zodiak an Sklaven wuchs und einige der bläulichen Waffen auf seiner Seite waren, während das Heer der vermeidlichen Gottheiten schrumpfte und sie immer weniger bläuliche Waffen besaßen. Um diese beiden Armeen herum, tobten Schlachten und sie machte deutlich, dass sie unter den verschiedenen Rassen ausgeführt wurden. Es forderte viele sinnlose Opfer. Minimierte die Anzahl jener, die den Schöpfern in dieser Schlacht beistehen konnten. „Shiva musste einsehen, dass sie nicht gewinnen konnte. Das Urböse war besessen davon zu überleben und war gewillt, sich dafür immer wieder neu zu definieren, also schmiedete sie einen Plan...“ „Weil ihre vorherigen Pläne so gut funktioniert haben?“, spottete er scherzlos. Billiana ignorierte seinen Einwand und ließ eine Art Strudel erscheinen, der leuchtendhell sich zu winden schien. Plötzlich entstieg den gefallenen Kämpfern stets eine helle Lichtkugel, die sich in diesen Strudel begab. Dann erschien ein Baby und eine dieser Lichtkugeln glitt in es hinein. „Die Schöpfermutter erschuf den Zyklus der Wiedergeburt, um die Auslöschung des Lebens entgegen zu wirken. Vorher waren die Seelen nach dem Tod verloren... Sie irrten als Irrwichte durch die Welten, doch nun sammelten sie sich in dem Seelenstrudel und wurden in andere Körper wiedergeboren.“, erklärte sie ihm. „Sie band auch die vermeidlichen Götter in diesen Zyklus mit ein – einschließlich sich selbst. Jedoch bedachte sie dabei nicht, dass die Wiedergeborene keine Erinnerungen an ihr vorheriges Leben hatten. Es bedeutete auch nicht, dass man auf die Fähigkeiten seiner Ahnen zugreifen konnte...“ „Wieso überrascht es mich nicht, dass es nicht so lief, wie sie wollte?“, warf der Rebell seufzend ein. „Es funktionierte nicht perfekt, da stimme ich dir zu, doch es gab ihr die Möglichkeit sich zu opfern.“ „Weshalb wollte sie sich opfern?“ „Um mit diesem Opfer Zodiak einzusperren... Ihr war klar, dass sie ihn nicht töten konnte, doch durch den Zyklus der Wiedergeburt musste sie das auch nicht. Es gab ihr Zeit, um in ihren neuen Leben nach einer Möglichkeit zu suchen, um ihn endgültig zu vernichten.“ „Warum musste sie dafür sterben?“ „Weil sie ihre ganze Lebenskraft und Magie darauf verwendet hatte, um ihn in sein Verließ zu sperren.“ Wieder stand die rothaarige Frau dieser schwarzen Kreatur alleine gegenüber und sie fiel. Im Anschluss entglitten ihrem toten Körper weiße Ketten, die sich um Zodiak schlangen. Er wehrte sich, konnte sich aber nicht befreien. „Um das Gleichgewicht wieder zu stabilisieren, erschuf der Schöpfervater die Zwischenwelt. Dort kerkerte er den größten Teil von Zodiak ein.“, flüsterte sie ehrerbietig als bewunderte sie diesen Mann dafür. „In der Zwischenwelt gibt es keine Magie, sondern nur die ruhelosen Seelen, die nicht im Seelenstrudel landeten. Und die Wächter, die keine Körper besaßen... Um das Überleben der Zwischenwelt zu sichern, erschuf er außerdem eine Königin. Sie sollte sicherstellen, dass die Energie der Seelen niemals als Brennstoff für Zodiak nutzbar wurden und die Zwischenwelt weiterhin die anderen Welten zusammenhielt.“ „Bitte sag‘ mir jetzt nicht, dass diese Königin auch ausflippte.“ „Nein, sie tut, was sie soll seit vielen Jahrtausenden.“ „Okay... Was hat das Ganze mit deiner Reise zu tun?“ „Das Urböse fand im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Wege, um aus seinem Gefängnis zu entkommen. Jedes Mal gierte er dabei darauf, erneut Chaos zu stiften und seine Mutter zu töten.“ „Reizend...“, seufzte Kelvin angewidert. „Nur unter großen Anstrengungen gelang es den Wiedergeburten der Schöpfermutter ihn immer wieder zu versiegeln. Natürlich gab es zuvor zahlreiche Opfer...“ „Natürlich.“ „Vor einigen Jahrhunderten kehrte Zodiak nach Midgard zurück. Er verbreitete sich als eine Seuche und begann die Welt Stück für Stück zu vertilgen.“, erzählte sie, während sie Midgard vor seinen Augen erschuf, die immer schwarzer wurde. „Ich fühlte mich dazu berufen, die Unterwelt zu verlassen und stellte mich Zodiak in den Weg. Dabei fand ich einige Freunde, die mich begleiteten... Andras, ein Unterweltler, der diesen Ort lange vor mit verlassen hatte. Er war ein Nekromant, Blutmagier und ein... wahrhaftiger Freund. Argrim, ein Zwerg, der von Wyrnné geschickt worden war, um mir zu helfen. Ein ausgezeichneter Krieger und Schmied. Und Cazie, die mich in meiner schlimmsten Not unterstützte, damit ich Zodiaks Einfluss widerstehen konnte.“ „Wyrnné? Ist das sein echter Name?“ „Ja... Nutze dieses Wissen weise.“ Kelvin nickte bleiern. Er wusste noch nicht, ob ihm das wirklich etwas brachte, doch zumindest druckste sie nicht mehr drumherum. „Cazie starb durch meine Hand, denn Zodiak befiel ihren Verstand und ich konnte ihr nicht helfen.“, erzählte sie mit großer Trauer im Blick. „Andras opferte sein Leben, um meines zu retten. Er warf sich zwischen Zodiak und mich und wurde von dessen Schwert durchbohrt.“ „Und Argrim? War er dein Verlobter?“ „Ja... Er überlebte mit mir diese Reise und starb durch unsere eigene Dummheit in einer Mine. Begraben unter Felsen...“ „Das tut mir leid...“ „Muss es nicht. Es ist nicht deine Schuld.“, winkte die Elfe ab. „Wir schafften es jedenfalls Zodiak wieder zu verbannen, doch ich brauchte dafür Hilfe.“ Jetzt wurde er wieder hellhörig. Irgendwas sagte dem Rebell, dass es der Weltenlenker war, der diese Hilfe angeboten hatte. Und dass es schiefgelaufen war... Ihr Blick wurde trüb, während sie sich zu erinnern schien. Obwohl Kelvin Mitgefühl für sie hatte, wollte er wissen, was genau geschehen war. Was nötig gewesen war, um Zodiak erneut in Ketten zu legen, damit er nicht alle Welten fraß. „Ich nahm Zodiak in mich auf...“, murmelte sie und erschuf ein Lichtbildnis ihrer Selbst. Es warf sich verletzt auf das Urböse und die schwarze Schlacke drang über die Wunden in sie ein. Die ursprüngliche helle Gestalt wurde immer dunkler. Quillte beinahe über! Es sah schrecklich aus, obwohl er keine Ahnung hatte, wie es sich wirklich angefühlt hatte. Mit letzter Kraft robbte diese schwarze Gestalt von Billiana davon. Begleitet wurde sie von einem schwarzen, nebeligen Wolf, den er auch im Kampf um das Adelshaus gesehen hatte. Kurz darauf tauchte eine männliche Gestalt auf. Erst hielt er ihn für den Weltenlenker, doch etwas in ihrem Blick verriet ihr, dass er sich irrte. „Mein Bruder nahm ein Teil von Zodiak in sich auf, damit ich genug Kraft bekam, um Wyrnné zu erreichen. Es fiel mir schwer, doch ich ließ es zu...“ Die Gestalt ihres Bruders verfärbte sich schwarz, brachte sie aber dennoch in ein Bett, um dann zu verschwinden. Im Anschluss tauchte ein anderer Mann auf. „Wyrnné bekam einen viel größeren Teil von Zodiak... Als Medium konnte er diese Macht in sich speichern, dennoch durfte ich ihm nicht zu viel geben.“, erklärte die Elfe verbittert. Nun verfärbte sich auch die Gestalt vom Weltenlenker, nur wurde sie viel dunkler als bei ihrem Bruder. Ihre eigene Erscheinung hingegen hellte sich wieder etwas auf und schien sich zu erholen. „Ich war mir sicher, dass ich ihm genau die richtige Menge zugemutet hatte und verließ nach Argrims Tod Midgard. Ich kehrte nach Hause zurück...“ „In die Unterwelt?“ „Ja.“ Die Bilder verpufften im Nichts, während sie mit leerem Blick in das Feuer starrte. Von ihrer sonstigen Lebensfreude konnte Kelvin nichts mehr entdecken. Es war fast so, als durchlebte sie alleine durch die Erzählung all die Ereignisse wieder. Als müsste sie all das nochmals empfinden. Er verstand das sehr gut und ließ ihr die Zeit, die sie brauchte. Der Rebellenanführer musste das Ganze selbst erstmal sacken lassen. Erst recht, weil der falsche Gott offenkundig wirklich mal ein guter Mensch gewesen und nicht als Tyrann zur Welt gekommen war. „Ich musste erkennen-...“, setzte sie nach einigen Minuten des Schweigens an. „... dass ich ihm zu viel zugemutet hatte. Zodiak fraß sich in sein Herz und in seinen Verstand und begann Wyrnné zu verändern...“ „Du konntest es nicht wissen. Du hast ihm vertraut...“, warf Kelvin sofort ein. Ihre Vorwürfe waren deutlich spürbar. Sie fühlte sich schuldig für das, was der Weltenlenker schließlich getan hatte. „Konnte ich, aber ich wollte es nicht... Ich wollte nicht wahrhaben, dass ich zu viel erwartet habe.“ Einen Augenblick lang schwieg sie wieder, dann erschuf sie einige Bilder. Er konnte es nicht deuten. Es sah aus, als wäre es ein Mensch, der zu einem breiten Hünen heranwuchs und dann noch zwei andere Gestalten, die sich ebenfalls zu verändern schienen. Eine davon war elfischer Herkunft. „Er begann die Gabe des Schöpfens zu nutzen, die ich ihm versehentlich stückweise übertragen hatte. Er transformierte einige Lebensformen um...“, erklärte Billie ihm mit trockenem Mund. „Loyale Menschen wurden zu Inquisitoren. Ergebene Elfen machte er zu Fesslern... Und Drachen wurden zu Drachenhetzern.“ „Sie gehörten ursprünglich alle einem der drei Völker an? Sie sind nicht einfach so entstanden?“ „Nein... Wyrnné bekam nur einen Bruchteil der Macht des Schöpfens. Er braucht eine... Basis, um Leben zu schaffen. Er wandelt es lediglich um... Transformiert es zu etwas Neuem.“ „Er leidet offenbar unter grenzenloser Selbstüberschätzung...“ „Offenbar.“ „Aber wie kommt es, dass sich Drachen und Elfen freiwillig umwandeln ließen? Oder müssen sie nicht alle loyal sein?“, hinterfragte der Rebell begierig. „Manche lassen sich von seinem Charme einlullen... Aber ja, sie müssen ihm gegenüber loyal sein, sonst kann er dieses enge Band nicht knüpfen.“, bestätigte sie ihm nickend. „Er baut all das auf dem auf, was schon da ist. Verstärkt ein paar Gefühle, die Magie und die Widerstandsfähigkeit, nimmt ihnen aber gleichzeitig viele Gefühle und den freien Willen. Ein Gewissen wäre für einen Inquisitor eher hinderlich.“ „In der Tat...“, stimmte Kelvin ihr nachdenklich zu. Wenn all seine Bestien zuvor mal Menschen, Elfen und Drachen gewesen waren, musste von ihnen noch etwas übrig sein. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Weltenlenker wirklich alles von ihnen auslöschen konnte. Vielleicht kommen daher die Nebenwirkungen im Alter... Vielleicht erinnern sie sich allmählich an ihr vorheriges Leben und drehen deshalb durch., überlegte der Rebellenanführer. Das wäre etwas, worauf er aufbauen konnte! Wenn er herausfinden könnte, wer sie vorher waren, konnte er sie vielleicht daran erinnern. Diese Kreaturen erschüttern... Dann wandten sie sich eventuell vom Weltenlenker ab. Hammond hatte recht gehabt: Sie war wertvoll. Ihr Wissen war fungiert und absolut beeindruckend. Mit etwas Glück hatte sie noch viel mehr Informationen, damit ihre Rebellion endlich erfolgreich war. Dennoch war es bedauerlich, was sie alles für dieses Wissen verloren hatte. Kelvin hätte ihr ein besseres Schicksal gewünscht. Mehr Glück... Mehr Liebe. Weniger Verluste! Doch das suchte man sich eben nicht aus. Er selbst hatte sicherlich auch Besseres verdient gehabt, als alles, was man ihm angetan hatte. „Wie schaffst du das nur?“, hörte er sich heiser fragen. „Was meinst du? Mit all dem zu leben?“ „Nein, trotz all deiner Erlebnisse und mit diesem Wissen so... heiter zu sein?" „Weshalb lächelst du ständig?“, hakte sie schließlich wissentlich nach. „Um nicht weinen zu müssen...“ Ihrem Blick konnte Kelvin entnehmen, dass es nicht die Antwort war, auf die sie gehofft hatte. Also räusperte sich Billiana und fuhr sich durch das goldblonde Haar. Dann sah sie ihn wieder an: „Wir lächeln, weil die Verstorbenen sich das von uns gewünscht hätten. Sie hätten sich gewünscht, dass wir weitermachen und glücklich werden. Deshalb lächeln wir... Deshalb lächelst du. Du tust es für Amelie.“ Er schwieg. Nicht, weil er ihre Worte dreist fand – was sie waren – sondern weil er die Wahrheit in ihnen entdeckte. Natürlich taten sie all das für jene, die sie einst verloren hatten. Sie lebten fortan halbe Leben, doch gleichzeitig lebten sie für die weiter, die gestorben waren. Doch konnten sie wirklich wieder glücklich werden? Loslassen und sich neu binden? Wieder dieselbe Freude empfinden, wie sie es mit ihren Verlobten getan hatten? Irgendwie bezweifelte der Rebell es, doch er hoffte für sie beide, dass es noch einen Weg für sie gab. Einen Weg in eine glückliche Zukunft... „Erlaubst du mir noch eine letzte Frage?“ „Würdest du sie für dich behalten, wenn ich verneinen würde?“, hinterfragte Billiana mit hochgezogener Augenbraue. „Vermutlich nicht...“ Sie seufzte, nickte dann aber: „Frag‘.“ „Wieso ist dein linkes Auge blind?“, hakte er nach und fand keine taktvollere Umschreibung, als es einfach direkt zu wagen. „Ich sehe keine Narben, also ist es wohl... angeboren?“ „Nein, ist es nicht.“ Irritiert sah er sie an, doch sie führte es nicht weiter aus. Stattdessen griff sie in eine Ausbeulung ihrer Bluse, um ein Stück Pergament herauszuholen. Es sah sehr alt, zerknittert und vergilbt aus. Offenbar hatte sie das Stück Papier nicht besonders gut gepflegt und es immer in ihren Taschen dabei. Langsam reichte sie es ihm herüber. Verwirrt betrachtete er das Bild auf dem alten Pergament. Eine blondhaarige Elfe war darauf abgebildet, die sehr jung auf ihn wirkte. Sie sah aus, wie eine Jugendliche von vielleicht sechszehn Wintern. Obwohl die Farben schon verblassten, konnte er das goldblonde Haar erkennen und eisblaue Augen. Keines schien blind zu sein, doch er erkannte eine gewisse Ähnlichkeit im Gesicht. „Bist du das etwa...?“ „Ja, als ich eine Jugendliche war.“ „Wahnsinn... Du siehst vollkommen anders aus.“, gab Kelvin zu. „Besser, keine Sorge, aber anders.“ „Ja, das bringt die Erweckung zu einem Drachen mit sich... Man verändert sich grundlegend.“ „Gut, auf diesem Portrait sehe ich, dass du früher nicht auf einem Auge blind warst. Wieso also heute?“ „Nur, weil du etwas nicht siehst, heißt es nicht, dass es nicht da ist.“, murmelte die Elfe mysteriös. Langsam hob sie die Hand vor ihr Gesicht und wischte sie dann herab, als würde sie eine Maske abnehmen. Darunter kam dasselbe Gesicht hervor, nur waren überall wulstige Narben. Eine besonders tiefe ragte über ihrem erblindeten Auge und war die Ursache dafür. Schockiert starrte der Rebellenanführer sie an und erhob sich etwas. Zittrig strichen seine Kuppen über die Narben, die keine Illusionen waren. Kelvin konnte ihre Struktur ganz genau spüren, während die Haut daneben zart war. Jemand hatte sie ganz übel zugerichtet und sie verbarg es offenbar unter einer magischen Maske. „Wie-...?“ „Mein Bruder lehrte mich das, damit ich die Narben verbergen kann... Inzwischen halte ich diese Illusion unbewusst aufrecht.“ „Das ist beeindruckend...“, gab er mit trockenem Mund zu. „Wer hat das getan? Ist es auf dieser Reise geschehen?“ „Als ich in die Unterwelt zurückkehrte, war mein Vater wahnsinnig wütend auf mich. Er schrie mich an und ich schrie einige unschöne Sachen zurück. Irgendwann sagte ich ihm, dass ich gar nichts mit ihm gemeinsam hätte...“, berichtete sie mit hohlem Blick und schien fern von dem Hier und Jetzt zu sein. „Er sagte, dass sich das leicht ändern ließe und riss mich zu Boden. Im Anschluss nahm er seine Seelenklinge und fügte mir die gleichen Narben zu, die auch er trägt.“ Ihm wurde übel, als er das hörte! Ihr eigener Vater hatte ihr Gesicht entstellt und ihr sogar einseitig das Augenlicht geraubt. Nur, weil er wütend auf sie gewesen war... Kelvin konnte sich nicht vorstellen, wie das für sie gewesen sein musste. Jemand, der sie hätte beschützen sollen, hatte ihr stattdessen geschadet. Der, der eigentlich alles tun müsste, um sie glücklich zu machen, hatte ihr so viel Leid zugefügt... Es musste sie verändert haben. Es musste alles verändert haben! „Als ihm klar wurde, was er getan hatte, brachte er mich zu Heilern, doch es war zu spät. Sie konnten nur noch die Blutungen stillen und die Knochenschäden beheben. Ich verlor mein Augenlicht auf dieser Seite und behielt diese Narben.“ „Das tut mir leid... Ich hätte nicht fragen sollen!“ „Schon gut.“, winkte sie ab und hob wieder ihre Hand. Die Narben verschwanden, als wären sie niemals da gewesen. „Ironischerweise sieht niemand diese Narben, aber wenn ich den Spiegel gucke, kann ich sie sehen. Selbst mit diesem Zauber...“ Gebrochen lachte die Elfe auf. Ihr Bruder hat es gut gemeint, doch diese Verletzungen sind nicht nur oberflächlich. Das geht tiefer..., dachte der Rebell bleiern. Ihr Vater hat sie gebrochen. Ihr ihre Identität genommen... Da sie mit vollständigem Augenlicht zur Welt gekommen war, musste die Umstellung schwierig gewesen sein. Jedoch konnte er sich auch das nicht vorstellen, solange er es nicht selbst durchlebte. Nur hoffte Kel, dass er niemals in die Misere kam, dass er einen seiner Sinne verlor. Billiana schien jedoch damit erstaunlich gut klarzukommen. Ihr Gehör war selbst für eine Elfe außergewöhnlich scharf und sie wusste oftmals Dinge, die er mit zwei gesunden Augen nicht mal wahrnahm. Geschweige denn mit seinen Ohren! Als sie gemeinsam geflüchtet waren, hatte sie stets gewusst, wann und wo sich die Wächter aufhielten. Sie hatte genau gewusst, wie viele es waren und wie lange sie warten mussten, ehe sie weiterkonnten. Es mochte stimmen, dass sie etwas verloren hatte, doch gleichzeitig hatte die Elfe etwas gewonnen. Sie verabschiedeten sich für diesen Abend und verschwanden in ihren Betten. Irgendwas sagte ihm jedoch, dass sie beide nicht viel Schlaf finden würden. Sie würden beide an dunkle, gierige Kreaturen denken und die Verluste, die sie einst erlitten hatten. In dieser Nacht träumte Kelvin das erste Mal von Amelie seit sie gestorben war, doch am nächsten Tag erinnerte er sich nicht mehr an diesen Traum. Trotzdem fühlte er sich leichter.   Meister Ragnar wusste, dass wenn eine Drachenkönigin einen rief, man ihr gehorchen musste. Selbst dann, wenn sie ihr Amt nicht antreten wollte... Doch er gehorchte ihr nicht nur deshalb. Für ihn war Billiana wie eine Enkeltochter, die er niemals gehabt hatte. So wie Tyr für ihn einen Sohn ersetzt hatte, der wiederum die Blondine als seine Tochter ansah. Das Verhältnis von Meister und Schüler war oftmals kompliziert. Es war nicht das erste Mal, dass sich tiefgründige Gefühle hineinschlichen und es würde nicht das letzte Mal sein, dass es soweit kam. Ragnar wusste das. Deshalb war er wirklich glücklich, dass er im Ruhestand war. Nur leider respektierte Billie das nicht... Sie bat ihn immer wieder um Hilfe, wenn es um die Ausbildung von Magiebegabten ging. Und er bot ihr stets die Hilfe, statt einfach zu verneinen. Ausnahmsweise war er jedoch gespannt auf den Mann, um dessen Ausbildung sie ihn gebeten hatte. Nicht nur, weil er längst erwachsen war und die Grundlagen schon beherrschte, sondern weil er im gesamten Reich des Weltenlenkers für Aufsehen sorgte. Vielleicht war er sogar in der Lage dessen Machenschaften endgültig zu beenden. Selbst wenn Kelvin Morgenstern dieser Herausforderung nicht gewachsen sein sollte, gaben sie ihm nun alle Mittel in die Hände, damit sich das änderte. Die Elfe hatte ihn gelehrt, wie er ohne Magie auskam und nun war es an ihm, dem Rebell beizubringen, wie er seine Magie besser kanalisieren konnte. Leicht gesagt, denn Billiana hatte bereits angedeutet, dass er süchtig nach Magie geworden war. Seinen Entzug hatte er gerade mal hinter sich gebracht, also musste er aufpassen, dass er nicht rückfällig wurde. „Es wird dich sehr freuen, dass du wieder zaubern darfst.“, sagte Billiana, während Kelvin ihn skeptisch musterte. Sie hatte wohl nichts von seiner Ankunft berichtet. „Ich darf wieder Magie einsetzen?“, wiederholte er ungläubig. „Zumindest dann, wenn ich es dir erlaube.“, widersprach Ragnar streng, während er ihn ernst ansah. „Bei mir lernst du, wie du ein Meister deiner Magie wirst. Du wirst niemals mehr als nötig einsetzen und lernen, wie du die richtige Menge erkennst.“ „Und wer seid Ihr bitte?“ „Du wirst mich Meister Ragnar nennen. Ich bin ein Drache des nördlichen Drachenhorts.“, schnaubte er temperamentvoll. „Billie sagte mit bereits, dass du widerspenstig sein wirst und ich sage dir, dass ich das nicht dulde.“ „Oh je...“ „Ich merke schon, dass ihr euch wunderbar verstehen werdet.  Dann überlasse ich euch mal das Feld und erledige einige Dinge.“, kicherte die Elfe amüsiert. „Versucht euch nicht gegenseitig umzubringen. Jedenfalls nicht solange ich nicht zusehen darf... Viel Erfolg.“ Tatsächlich ging die Blondine. Es überraschte ihn nicht. Von Anfang an hatten sie besprochen, dass sie sich aus der magischen Ausbildung heraushalten würde. Sie hatte die körperliche Stählerung des Rebellen ausgeführt, nun lag es an ihm, seinen Geist zu wappnen. Ragnar entsprach nicht dem eigentlichen Sinnbild eines Drachens. Er hatte stark gebräunte Haut und schokoladenbraunes, längeres Haar und ebenso dunkle Augen. Seltsamerweise waren die meisten Drachen in ihrer menschlichen Gestalt eher blass oder nur leicht gebräunt wie Billiana. Doch er war auch kein geborener Drache... Bei ihm war das Drachengen später ausgebrochen und er war dann erwacht. So wie auch Billie einst. Nur war er kein König. Trotzdem genoss Meister Ragnar den Respekt seiner Artgenossen. Viele fürchteten ihn sogar. Trotz seiner eigenartigen Herkunft gehörte er zu den mächtigsten ihrer Art. Sowohl in seiner menschlichen Form, als auch in seiner drakonischen. In einer anderen Zeit hatte er sogar an der Seite von Königin Dra’cor im Großen Krieg der Völker gestanden. Er hatte sie sogar sterben sehen... Es gab eigentlich keine Augenzeugen mehr aus dieser Zeit, wenn man von einem König absah, dessen Zerfall stetig zu beobachten war. Inzwischen war es ihm egal, weshalb er sich so sehr von seinen Artgenossen unterschied. Bisher war es stets ein Vorteil gewesen. Immerhin hatte er den Großen Krieg überlebt und war noch heute sehr fit. „Wie genau gestaltet sich denn meine magische Ausbildung bei Euch?“, erkundigte sich Kelvin interessiert. „Du hast es nicht so mit Titeln, was?“ „Nicht wirklich... Soll ich nun etwa ständig ein »Meister« hinten dranhängen?“ „Wäre zumindest angemessen.“ Der Rebellenanführer zuckte mit den Schultern, ehe er ihn schelmisch grinsend ansah: „Das wird nicht passieren.“ Okay, ich verstehe, was Billie meinte..., sinnierte Ragnar augenrollend. Im Augenblick war es nicht so wichtig, dass er die Gepflogenheiten zwischen Meister und Schüler einhielt. Wichtiger war, dass er seinen Unterricht beherzigte und sich entwickelte. Solange das geschah, war ihm der Rest egal. Nachdenklich ging Ragnar nach draußen und Kelvin folgte ihm. Das Übungsgelände war weitreichend und durch die großen Wälder wunderbar isoliert. Billiana hatte sich einen wunderbaren Ort für die Ausbildung ihrer Attentäter erwählt, das musste er zugeben. Die Übungspuppen sahen allesamt hochwertig aus, jedoch hatte sie ihm berichtet, dass der Rebell regelmäßig die Puppen abfackelte. Inzwischen musste er sie selbstständig und ohne Magie ersetzen. „Billie erwähnte, dass du vor allem ein Problem mit dem Feuer hast?“, erkundigte sich Meister Ragnar dennoch. Falsche Informationen konnten die Ausbildung maßgeblich beeinträchtigen und das wollte er nicht. „Das mit den Übungspuppen nimmt sie mir echt übel, was? Waren doch nur zwei oder drei Stück, die in Flammen aufgingen!“, wehrte sich der Rebell lachend. „Laut ihr hast du ihren Jahresvorrat in einer Rekordzeit verbraucht...“ „Sie ist etwas theatralisch, aber ja... Ich bin etwas leicht entflammbar.“ „Ich würde gerne sehen, wie gut du bereits mit deiner Magie umgehen kannst und wie sehr du auf dein Feuer zugreifst.“, sagte Ragnar deutlich. „Wir treten gegeneinander an.“ „Ist das Euer Ernst?“, hakte Kelvin überrascht nach. „Ihr seid schon etwas... alt... Meint Ihr, dass Ihr das übersteht? Ich will Eure morschen Knochen ja nicht beschädigen!“ Der Drache sah ihn vollkommen ernst an, während seine Augenbraue langsam in die Höhe zuckte. Wenn Billiana mit einer Sache recht hatte, dann, dass dieser Mann unglaublich unverschämt war. Und selbstverliebt... Und er hatte einen Gottkomplex! Sein Charakter war auf jeden Fall fragwürdig. Das werden ein paar sehr anstrengende Wochen werden., dachte er seufzend. Warum habe ich hierbei nur zugestimmt? Ich hätte doch wissen müssen, dass das schlimm wird. Langsam legte er seinen Umhang ab. Seine Robe mochte nicht für einen Kampf geeignet sein, doch bei der Überheblichkeit brauchte er noch keine andere Kleidung. Stattdessen stellte er sich auf die große, freie Fläche und sah den Rebellen herausfordernd an. Eine weitere Einladung brauchte Kelvin nicht. Er erschuf einen Wall aus Feuer und schleuderte ihn mit der Kraft des Windes auf ihn zu. In seinem Gesicht konnte er erkennen, dass er absolut siegessicher war. Gelangweilt hob der Drache seine Hand und formte Zeichen aus Licht in die Luft. Nur wenige Augenblicke später erschuf er eine Kuppe aus Energie, gegen die das Feuer prallte und nach kurzer Zeit erlosch. Mit offenem Mund starrte Kelvin ihn an, als habe er einen Geist gesehen. Er konnte nicht fassen, wie lässig er seinen Angriff abgewehrt hatte. „War das schon alles, Auserwählter? Dann muss ich dir sagen, dass du den Weltenlenker nicht stürzen kannst.“ „Na warte, alter Mann.“, knurrte Kelvin erbost und machte sich bereit. Von Billiana wusste er, dass er den Wind nutzen konnte, um sich schneller zu bewegen. Just tat der Rebellenanführer es auch schon und versuchte rasch hinter den Meister zu kommen. Er ließ ihn in dem Glauben. Tatsächlich schien sich der junge Mann sehr auf das Feuer zu fixieren, denn er erschuf mit Wind und Feuer einen Feuerwirbel, den er auf ihn zuschleuderte. Diese Säule bewegte sich zwar wesentlich schneller und war auch effektiver, doch nicht wirklich eindrucksvoll. Meister Ragnar murmelte einige Worte der Macht, dann schöpfte er das Wasser aus dem nahen Brunnen und einigen Eimern und ließ es sich über dem Feuerwirbel ergießen. Die Flammen erloschen sofort. „Ich bin nicht wirklich beeindruckt.“ Wütend riss Kelvin nun einige Felsen aus dem Boden und schleuderte sie auf den Drachen zu. Nun musste er den größeren Brocken ausweichen oder sie mit seiner Magie blockieren, während der Rebell durch seinen Steinhagel preschte und mehrere Feuerbälle auf Ragnar schleuderte. Für ihn war es die einfachste Übung, alle Angriffe abzuwehren. Mit seiner Lebensdauer und der Anzahl von temperamentvollen Schülern, sammelte man schnell Erfahrungen in solchen Bereichen. Gerade als der Blondschopf ihn erreichte, nutzte er seine überschüssige Magie und ließ sie in sich explodieren, sodass Ragnar eine magische Schockwelle ausstieß. Sie schleuderte Kelvin einfach weg, sodass er sich auf dem Waldboden mehrmals überschlug und schmerzhaft gegen einen Baum krachte. Eines konnte der Drache nicht über seinen neuen Schüler sagen: Dass er schnell aufgab. Obwohl er große Schmerzen haben musste, hievte er sich zurück auf seine Füße und machte sich bereit, erneut anzugreifen. Sie hat recht... Er hat Potenzial. Nun müsste er nur lernen, seine Magie wesentlich bewusster einzusetzen und sie besser zu dosieren., überlegte Meister Ragnar nachdenklich. Das würde das Training schwierig gestalten, doch er war sich sicher, dass es machbar war. Leider war er im Moment mehr wie ein ungestümes Kind. Wieder stürzte er sich auf ihn und versuchte ihn mit Feuer zu verbrennen und durch Felsen abzulenken. Immer mal wieder nahm er sich den Wind zur Hilfe, um die Flugbahnen zu ändern, doch es wirkte nicht. Also flog Kelvin gegen den nächsten Baum. Das wiederholte sich einige Male. Der Drache zählte die Misserfolge nicht mit, doch es mussten wirklich viele sein! Als Kelvin endlich nachgab, war es bereits tiefste Nacht. Die Sterne standen hoch am Himmel und sie waren beide wahnsinnig hungrig und durstig. Kelvin kochte für sie beide, doch Ragnar merkte ihm an, dass sein Ego angeschlagen war. Dennoch war er sich sicher, dass er genau das gebraucht hatte, um etwas elementarwichtiges für sich zu erkennen: Er war nicht unbesiegbar. Ein alter Mann konnte ihn besiegen. Billie hatte ihn besiegt. „Ich werde viel Kontrolle mit dir trainieren, Kelvin.“, sagte Ragnar, als sie gemeinsam speisten. „Du schleuderst deine Magie blindlings durch die Gegend und hoffst, dass du triffst. Bei durchschnittlichen Feinden mag das funktionieren, aber der Weltenlenker ist nicht durchschnittlich.“ „Wenn er nur halb so gut ist wie Ihr, haben wir ernsthafte Probleme...“, seufzte der Rebell, während er auf seinem Teller herumstocherte. „Er ist viel besser als ich. Viel erfahrener... Und er hat mehr Macht zur Verfügung.“ „Habe ich Euch überhaupt ein einziges Mal getroffen?“ „Ich glaube, ein Steinchen hatte mich am Oberarm gestreift.“, grinste Ragnar mit gebleckten Zähnen. „Ihr nehmt mich auf den Arm! Ihr habt doch Humor!“ „Selbstverständlich habe ich Humor.“ Skeptisch sah der Blondschopf ihn an: „Dann solltet Ihr ab und zu mal lachen. Oder lächeln... Oder witzig sein.“ „Tu‘ ich doch alles. Du musst nur lernen, es zu erkennen.“ Kelvin sagte nichts dazu, sondern begann endlich zu essen. Ragnar konnte ihm ansehen, dass er beschlossen hatte, dass er seinen neuen Lehrmeister schlagen würde. Irgendwie glaubte der Drache das auch. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber dieser Mann hatte das Potenzial dazu, jeden seiner Gegner zu besiegen! Nur wusste Meister Ragnar nicht, ob er sich auch selbst besiegen konnte... Kapitel 7: Raum der Spiegel --------------------------- In einem anderen Leben war Theodor ein Bauer gewesen. Zumindest fühlte es sich nach drei Jahren dauerhaften Überlebenskampf wie ein anderes Leben an. Drei Jahre... Seit drei Jahren befand er sich bereits in diesem schrecklichen Kolosseum. Drei Jahre, in denen er zum Krieger ausgebildet worden war, um vor schaulustigen Menschen um sein Leben zu kämpfen. Mit nichts weiter an seinem Leib, als einen Lendenschurz und einige Lederriemen! Drei Jahre, in denen er seine Familie nicht mehr gesehen hatte. Drei Jahre, in denen er seine Heimat misste. Verdammte drei Jahre des Grauens. Er erinnerte sich, als sei es gestern gewesen. Wenn er die Augen schloss – so wie er es jetzt tat – dann konnte er es sogar sehen. Des nachts drangen einige Soldaten in den Bauernhof ein, auf dem er mit seiner Familie einst gelebt hatte. Seine Eltern waren inzwischen alt geworden und seine Geschwister und er übernahmen bereits zahlreiche ihrer Pflichten, doch sie schafften es kaum über die Runden. Erst einige Tage zuvor war seine Schwester verhungert... Die Soldaten schlachteten niemanden nieder, sondern kamen zielstrebig in sein Zimmer. Man riss ihn in seinem einfachen Leinenhemd und der ebenso einfachen Leinenhose heraus. An den Uniformen erkannte Theodor, dass es die Soldaten des Königshauses waren. Rabenwachts Kämpfer. Auch wenn er es wollte, würde er wohl niemals den Ausdruck in den Gesichtern seiner Eltern vergessen. Das stumme Bedauern darüber, was sie getan hatten. Erst ein Jahr später hatte er erfahren, weshalb sie sich so schuldig gefühlt hatten. Ein Adliger hatte es ihm zugeflüstert, während er mit ihm das Bett hatte teilen müssen. Er hatte ihn quälen wollen... Trotzdem war Theodor klar gewesen, dass er die Wahrheit sagte. Seine Eltern hatten ihn verkauft. Mit den Münzen hatten sie Saatgut, neues Vieh und Essen für die Familie gekauft. Inzwischen lebten sie beide nicht mehr, aber seinen Geschwistern ging es sehr gut. Dank Konstantins neuem Regime fehlte es keinem Bauer an irgendwas. Die Sterberate war massiv gesunken. Der adlige Lord hatte böse gekichert und gesagt: „Hätten sie nur etwas gewartet, dann wären sie auch so wunderbar über die Runden gekommen. Sie haben dich umsonst geopfert.“ Bis heute wusste er nicht, weshalb das witzig war. Wenn der Adlige selbst in dieser Lage gewesen wäre, würde er gewiss niemals wieder über Menschen wie ihn lachen. Menschen, die zwischen die Fronten geraten waren und als Kollateralschaden litten. Natürlich hatte die gesamte Obrigkeit niemals solch ein hartes Leben fristen müssen wie Theodor. Sie kannten weder die Knochenarbeit als Bauer noch den Überlebenskampf als Kämpfer der Arenen. Schon gar nicht den fragwürdigen Ruhm als Champion des Kolosseums! Er erinnerte sich an noch etwas sehr genau. An einen jungen Soldaten, der vielleicht zwanzig Winter gesehen hatte. Anhand seiner Abzeichen hatte der damalige Bauer erkannt, dass er frisch aus seiner Rekrutenausbildung heraus war. Deshalb hatte sich dieser junge Mann aber nicht so bei ihm eingeprägt, sondern weil sein Gesicht so schmerzverzogen gewesen war. Er war stets neben seinem Käfig gewandert und hatte Theodor mitleidige Blicke zugeworfen, aber kein einziges Wort zu ihm gesagt. Damals hatte der Bauer geweint... Er hatte darum gebettelt, dass man ihn gehen lassen sollte. Theodor hatte versichert, dass sie den Falschen hatten. Aber es hatte weder die hochrangigen Soldaten gestört noch die niedrigen Soldaten erweicht. Immer wieder hatte er gefragt, was er verbrochen habe. Immer wieder hatte Theodor wissen wollen, wer den Befehl zu dieser Entführung gegeben hatte, doch sie blieben ihm eine Antwort schuldig. Dass sie ihn nach Götterherz gebracht hatten, erfuhr er erst einige Wochen später. Nachdem er als Gladiator verkauft worden war und seine Ausbildung bereits begonnen hatte... Lord Optimus war es gewesen, der ihm Antworten lieferte. Er erklärte ihm, dass Konstantin nun kein Prinz mehr sei, sondern ein König. Um die Freundschaft zu einem Bauern zu verschleiern, hatte er ihn an das Kolosseum verkauft. Zu weichherzig, um ihn zu töten, hatte Lord Optimus beinahe ausgespuckt, als sei das eine Schwäche. Für viele hätte diese Information dazu geführt, dass sie sich selbst umbringen würden, doch bei Theodor hatte es etwas anderes ausgelöst. Er konnte nicht sagen, weshalb... Irgendwie entdeckte er seinen Lebenswillen. Er wollte nicht sterben! Nicht damals und auch nicht heute. Er wollte stärker werden, entkommen und dann wollte er Konstantin fragen, mit welchem Recht er ihm all das angetan hatte. Der heutige Gladiator entdeckte ein Feuer in sich, das inzwischen fast erloschen war. Theodor vermochte nicht zu sagen, wie viele Gladiatoren unter seiner Klinge bereits gefallen waren... Er konnte nicht sagen, wie vielen adligen Lords und Ladys er sich schon hatte anbieten müssen. Nein, er hatte keine Ahnung, wie oft er schon seine Ideale hatte verraten müssen. Aber er war noch hier! Er hatte überlebt. Wie er es sich vorgenommen hatte, war Theodor stärker geworden. Als der Gladiator seine Augen öffnete, wusste er, dass die Dienstmädchen fertig waren. Von oben bis unten hatten sie ihn zuerst rasiert und im Anschluss gewaschen. Er trug nicht mehr den abgenutzten Lendenschurz, sondern einen aus feinsten Stoffen. So hergerichtet wurde er nur, wenn er einem hochgestellten Adligen zu Diensten sein musste. Meistens ging es um sexuelle Fantasien, die in der Gesellschaft nicht hochangesehen waren. Einige buchten die Gladiatoren aber auch als Leibwache oder für Showkämpfe auf ihren Festen. Wenn Lord Optimus auftrug, dass bestimmte Kämpfer gewaschen werden sollten, dann wussten sie, dass ein neuer Auftrag bevorstand. Was genau es war, erfuhren sie aber immer erst, wenn es soweit war. Theodor wurde von einigen bewaffneten Wachen aus den beengenden, schmutzigen Räumlichkeiten der Gladiatoren geführt, in denen sie trainiert wurden. Leben taten sie jedoch in Käfigen. Der ehemalige Bauer wusste, dass er die Soldaten töten könnte, die ihn zu dem Adligen brachten und er mit deren Waffen entkommen könnte. Nur war ihm ebenfalls bewusst, dass er nicht besonders weit kommen würde... Viele Gladiatoren vor ihm hatten die Gunst der Stunde nutzen wollen und hatten die Wächter überwältigt. Mit deren Waffen schlugen sie sich eine blutige Schneise hinaus auf die Straßen Götterherz‘, um dort entweder von den blutrünstigen Bestien des Weltenlenkers zerfleischt zu werden oder von dessen Soldaten zurückgebracht zu werden. Wenn er hier entkommen wollte, musste er also klug vorgehen. Inzwischen fühlte er sich nämlich bereit, Antworten einzufordern. Umso überraschter war er, als man ihn in eines der teuren Schlafzimmer brachte, aber niemand darin war. Trotzdem ließen die Wachen ihn alleine. Niemand zweifelte auch nur eine Sekunde daran, dass er aus dem Fenster springen würde. Verwirrt ging Theodor in dem Zimmer umher. Er war schon einige Male hier gewesen, um einer oder einem Adligen das Bett zu wärmen. Nur waren die normalerweise schon da, sobald man ihn brachte. Meistens hielten sie schon Fesseln, fragwürdige Sexspielzeuge oder sogar Kostüme bereit. Doch hier war niemand. Auch nicht im großen Doppelbett. Einige Minuten ließ man den Kämpfer warten, dann endlich wurde die Tür erneut geöffnet. Hereinkam ein sehr dreckiger Mann, dessen Haare wohl mal blond gewesen waren, aber nun vom Schmutz braun aussahen. Seine Kleidung bestand größtenteils aus abgenutztem Leder und der Schnitt entsprach nicht den modernen Vorstellungen. Auch sonst schrie alles an ihm nach Krieger oder sogar Gladiator! Er wirkte weder reich noch adlig. Der Mann betrat das Zimmer und begann überall prüfende Blicke reinzuwerfen. Jede Ecke wurde untersucht und jeder Schrank geöffnet. Er ging sogar auf den Balkon! Theodor beschloss, dass es besser war, nichts zu sagen. Wer auch immer seine Dienste wollte, war offenbar so wichtig, dass sein eigener Leibwächter hier alles absuchen musste, bevor sie loslegen durften. Wie man es ihn gelehrt hatte, verschränkte er die Hände hinter dem Rücken und hielt den Kopf dabei gehoben. Seine Schultern straffte er. Viele Adlige begehrten die Gladiatoren, weil sie stolze Krieger waren und wollten genau das geboten bekommen. Keine gebrochenen Männer... „Benehmt Euch.“, tadelte der schmutzige Mann ihn, was Theodor verwirrte. Dann öffnete er wieder die Tür und ein hochgewachsener, aber schlanker Mann kam herein. Der Gladiator erkannte ihn sofort! Diese braunen Locken, das erhabene Gesicht, das neuerdings einen Bart trug... Konstantin von Rabenwacht hatte sich keineswegs verändert. Zumindest war er nicht optisch gealtert... Natürlich hatte er nun diesen ungewohnten Bart, etwas längere Locken und seine Kleidung wirkte noch hochwertiger und moderner als früher, aber ansonsten war er immer noch der wilde Prinz. „Danke, Ben.“, hörte er ihn sagen. „Du kannst gehen.“ „Seid Ihr Euch sicher, Konstan?“ „Absolut, ja.“ Dem schmutzigen Mann namens Ben schien es nicht zu gefallen, aber er gehorchte. Mit einem bösen Blick verließ er das Gemach und zog hinter sich die teure Tür zu. Ein Klacken verriet, dass sie geschlossen war. Eigentlich hatte der ehemalige Bauer tausende Fragen, doch während er seinen früheren Freund mit offenem Mund anstarrte, fiel ihm keine einzige ein. Alle Worte, die er sich in den drei Jahren zurechtgelegt hatte... All die Beschimpfungen, die er Konstantin hatte an den Kopf werfen wollen... Weg! Gähnende Leere in seinem Kopf. Stattdessen sah er ihn mit unruhiger Atmung an und fragte sich, ob er gerade träumte. Ob es wirklich möglich war, dass der König Rabenwachts gerade in diesem Zimmer stand. Just im nächsten Herzschlag hatte er auch schon eine Kurzschlussreaktion. Wie von Sinnen stürzte er sich auf seinen ehemaligen besten Freund und schrie aus voller Kehle! Konstantin war so überrumpelt, dass er nicht rechtzeitig reagierte. So riss er ihn einfach von den Füßen und stützte sich im Anschluss über den Adligen. In blindem Zorn schlug er auf den König ein. Tränen flossen aus seinen Augen, die er das letzte Mal vor drei Jahren vergossen hatte. Obwohl er sich wohl besser fühlen sollte, fühlte es sich nicht gut an. Es fühlte sich nicht gut an, auf einen unbewaffneten Mann einzuschlagen, der verzweifelt versuchte, die Hiebe mit seinen großen Händen abzuwehren. Da war keine Genugtuung, als das königliche Blut den Boden besudelte. Soweit der Gladiator wusste, war Konstantin von Rabenwacht inzwischen ein Langlebiger, also konnte er ihn nicht umbringen. Aber dem verzerrten Gesicht war zu entnehmen, dass jeder Schlag ihn dennoch schmerzte. Aber auch das brachte keine Erleichterung. Theodor hatte immer noch drei Jahre seines Lebens verloren. Er war immer noch der Champion der Arena. Er war weiterhin drei Jahre lang durch die Hölle gegangen, um diesen Albtraum zu überleben. Drei Jahre lang hatte er diesen Mann versucht zu hassen und er war gescheitert. Vollkommen außer Atem hörte er auf. Er schlug nicht mehr auf den schnaubenden König ein, der diverse Platzwunden im Gesicht hatte. Da kamen bestimmt noch einige Hämatome hinzu, die auch am Körper prangen würden. Wenn Konstantin es wollte, konnte er ihn nun problemlos hinrichten lassen. Es war schon ein Vergehen, einen Adligen gegen seinen Willen zu schlagen, aber einen König? Seltsamerweise konnte er in den Augen seines ehemaligen Freundes keinen Zorn entdecken. Keine Rachsucht... Er fand etwas anderes vor: aufrichtige Trauer. Nur wusste Theodor nicht, weshalb er traurig war. „Hast... du dich beruhigt, Teddy...?“, fragte Konstantin atemlos. Es kam dem Gladiator so vor, als wäre dessen Stimme tiefer geworden. Verlockender... Doch vermutlich kam es ihm nur so vor, weil er ihn so lange nicht mehr gehört hatte. „Ja.“, antwortete er und stieg von ihm herunter. Etwas schwankend setzte sich Konstantin auf und zog ein Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche. Kurz darauf presste sich der Adlige das Tuch bereits an seine Nase, aus der das Blut nur so strömte. Außerdem wirkte sie gebrochen. Falls der Adlige inzwischen wütend war, verbarg er es gut.  Vollkommen gelassen stand er auf und stützte sich auf eine Kommode ab, die natürlich nur Bettlaken enthielt. In Räumen wie diesen gab es keine gefährlichen Gegenstände. Nichts, was ein Gladiator gegen einen Reichen oder Adligen als Waffe einsetzen konnte. „Das hatte ich vermutlich verdient...“, stöhnte Konstantin erschöpft von der Tracht Prügel. „Ja, hattest du.“ „Was machst du hier?“ „Wie bitte?“, fragte Theodor ihn verwirrt, während eine Spur Zorn in seiner Stimme mitschwang. Er merkte kaum, wie er mit strammen Schritten auf den König zuging, der sofort verteidigend seine Hände hob. „Verzeihung! Die Formulierung war unglücklich!“ Sofort blieb der Gladiator stehen. Irgendwas sagte ihm, dass Lord Optimus damals nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte. „Ich wollte wissen, wie du hierher geraten bist. Wieso du plötzlich ein Gladiator bist?“, versuchte es Konstantin erneut. „Ich verstehe das alles nicht...“ „Man hat mir erzählt,...“, begann der Gladiator skeptisch. „... dass du mich an das Kolosseum verkauft hast. Man sagte mir, dass du dich meiner schämst und mich auf diese Weise loswerden wolltest.“ „Was für ein Unsinn! Außerdem gibt es viel effektivere Mittel, um unliebsame Menschen loszuwerden.“, schnaubte der König kopfschüttelnd. „Nicht, dass ich das praktizieren würde!“ Obwohl rein gar nichts an dieser Situation lustig war, musste Theodor trotzdem heiser lachen. Es war nur ein kurzes, freudloses Lachen, aber das erste seit sehr langer Zeit. „Lord Optimus wollte mich eigentlich gar nicht zu dir lassen. Ben musste viele Münzen bieten und ihn... überzeugen, damit ich herkommen durfte. Ich frage lieber nicht, wie er ihn überzeugt hat.“ „Warum bist du hier, Konstan?“, hinterfragte der Gladiator heiser. Sein Mund fühlte sich plötzlich ganz trocken an. „Um mich zu entschuldigen...“ „Hast du nicht eben angedeutet, dass du mich nicht hierhergeschickt hast?“ „Hab‘ ich auch nicht! Ich schwöre dir, dass ich mit dieser Sache nichts zu tun hatte.“, sagte er sofort. „Ich... glaube dir. Ich habe dazu zwar keinen Grund, aber ich glaube dir trotzdem.“, gestand der ehemalige Bauer seufzend. „Gut... Aber dennoch habe ich die Suche nach dir zu schnell aufgegeben. Ich glaubte meinen Beratern, dass du vermutlich aus Rabenwacht geflohen seist. Ich dachte, dass du sauer auf mich seist...“ „Sauer? Auf dich? Weshalb?“ „Weil ich doch König geworden bin, obwohl ich es nicht wollte.“ Das stimmte allerdings. Theodor erinnerte sich zwar nur noch dunkel an die Zeit vor dem Kolosseum, doch daran erinnerte er sich tatsächlich sehr gut. Konstantin hatte alles dafür getan, damit er enterbt wurde und nie die Krone bekommen würde. Nun hatte er sie doch. Auch wenn er hier drin nicht viel mitbekam, hatte er dennoch genug gehört, um zu wissen, dass Konstantin ein hervorragender König war. Der beste, der seit vielen Jahrhunderten aufgetaucht war! Vielleicht sogar der beste König aller Zeiten. Er hatte das immer gewusst. Damals wie heute. Nie hatte er an dem Talent von Konstantin gezweifelt, obwohl er das umso mehr getan hatte. Doch der ehemalige Bauer war sich sicher gewesen, dass die Krone unverhoffte Stärken in ihn wecken würde. Und nun hatte sie es wirklich getan. „Ich habe nie daran gezweifelt, dass du mal deines Vaters Platz einnehmen würdest, Konstan.“, erwiderte Theodor aufrichtig. „Deshalb würde ich niemals abhauen.“ „Was ist damals geschehen?“ „Kurz gesagt: Ich wurde aus meinem Zuhause entführt, hierhergebracht und musste lernen, als Gladiator zu überleben. Lord Optimus sagte mir, dass du es so wolltest, also habe ich ihm geglaubt...“ „Von wem wurdest du entführt?“, wollte der Adelssohn wissen. „Ich kenne keine Namen, aber es waren königliche Soldaten. Sie trugen ihre Uniformen und Rüstungen...“ „Ich vermute, ich weiß wer es war...“ „Der Weltenlenker?“ „Auch, ja... Aber maßgeblich beteiligt war sicherlich mein ehemaliger Rat.“, seufzte Konstantin missmutig. „Ich habe sie kurz nach meiner Krönung alle entlassen. Teilweise sogar verbannt.“ „Dann haben sie ja bekommen, was sie verdienen. Sind eigentlich sogar glimpflich davongekommen...“ „In der Tat.“, stimmte er ihm zu. „Ich hätte dich länger suchen sollen, Teddy. Ich war mir so sicher, dass du nicht gefunden werden willst... In Götterherz hätte ich dich niemals vermutet!“ Angewidert verzog Theodor sein Gesicht, während er an die grausame Hauptstadt dachte: „Freiwillig wäre ich auch nie hierhergekommen.“ „Irgendwann war ich gezwungen aufzugeben. Ich konnte nicht so viele Münzen in die Suche stecken, während ich mein Regime umbaute und den Bauern mehr Unterstützung zusagte. Es war zu egoistisch von mir.“ „Das verstehe ich. Es ist zwar grausam, aber ich verstehe es.“ „Es tut mir leid...“ „Hör‘ auf dich zu entschuldigen, Konstan!“, schnaubte der Gladiator. Er konnte es selbst immer noch nicht glauben, dass drei Jahre anhaltenden Zornes verpufft waren. Einfach so, weil er in diese verdammten Hundeaugen blickte, die so unschuldig waren! Schon damals hatte er dem Adligen nie länger als fünf Minuten böse sein können. Unruhig ging Theodor in dem Zimmer auf und ab. Immer wieder warf er seinem früheren besten Freund Seitenblicke zu. Bewunderte seine Statur. Seine Ausstrahlung. Auch wenn er noch aussah wie früher, wirkte er dennoch wie ein anderer Mann. Als sei er erwachsen geworden. Das war nicht mehr der schlaksige Prinz, der jeden Streich mitgemacht hatte. Der keine Hure vögeln wollte. Er war nicht mehr der Junge, der den Dienstmädchen die Kleidung stahl, weil er ihn dazu angestiftet hatte. Konstantin Maximilian von Rabenwacht war zu einem König geworden. Zu einem Mann! Die letzten drei Jahre hatten sich unterschiedlich auf sie ausgewirkt. Sie hatten unterschiedliche Bürden gemeistert. Unterschiedliche Dinge getan, um zu überdauern. Doch eines hatten sie dennoch gemeinsam: Sie waren in diesen drei Jahren über sich hinausgewachsen. „Ich glaube-...“, begann der König plötzlich, während er sich die letzten Reste Bluts wegwischte. „Inzwischen könnte ich dich nicht mehr schlagen. Du hast eine verdammt harte Rechte bekommen!“ „Das stimmt.“, grinste Theodor nicht ohne Stolz. „Inzwischen kann ich dich sogar mit einer Mistgabel besiegen.“ „Daran zweifle ich keine Sekunde... Beeindruckende Karriere für einen Bauern.“ „Beeindruckende Karriere für einen aufmüpfigen Prinzen.“, erwiderte der Gladiator grinsend. „Touché.“ An den Anblick seines alten Freundes musste er sich erstmal gewöhnen. Ebenso an die raspelnde, verlockende Männerstimme, die er inzwischen bekommen hatte. Unweigerlich fragte sich Theodor: War er sich seiner Wirkung auf sein Umfeld bewusst? War ihm klar, dass er nicht nur erhaben, sondern auch verlockend war? Wenn noch etwas von dem früheren Prinzen in Konstantin steckte, dann hatte er keine Ahnung, wie er auf die Menschen in seiner Umgebung wirkte. Er hatte es damals auch nicht gewusst, obwohl seine Ausstrahlung da noch etwas geringer war. „Ich weiß noch nicht wie oder wann, aber ich hole dich hier raus, Teddy.“, schwor der König des Lebensbergs plötzlich. „Sofern du es willst.“ Seine Augen glitten sofort zu ihm, als wollte er direkt eine stumme Antwort haben. „Das würde dir Schwierigkeiten bereiten, Konstan.“ „Ja, würde es.“ „Du könntest nicht nur deine Krone verlieren, sondern auch deinen Kopf.“, ermahnte Theodor ihn streng. „Ja, das könnte passieren.“ „So etwas kann deinen ganzen Ruf ruinieren.“ „In der Tat.“ „Du wirst es trotzdem tun, oder? Selbst wenn ich verneinen würde...“ „So ist es.“, bestätigte Konstantin ihm kichernd. Er war nun ein König und er nahm sich, was er wollte. Anders als früher. Obwohl er sich da auch schon oftmals sein Recht eingefordert hatte, wenn es ihm wichtig war. Wie seine Soldatenausbildung. „Ich werde es zulassen, wenn du mir eine Sache versprichst, Konstan.“ „Und die wäre?“ „Stirb‘ nicht bei diesem Unterfangen. Ich will nicht frei sein, wenn du dann nicht mehr am Leben bist, damit wir es zusammen genießen können.“ „Ich schwöre, dass ich alles in meiner Machtstehende tun werde, damit du frei bist und ich am Leben bin.“, schwor der Adelssohn ernst. Theodor seufzte, nickte dann aber: „Ich glaube dir nicht, aber ich habe trotzdem keine Wahl.“ „Richtig.“ „Das dürfte ein wirklich spannendes Unterfangen werden.“ „Ja, das glaube ich auch.“ Nur fragte sich der ehemalige Bauer, was er mit seinem Leben anfangen sollte, wenn er frei war. Bisher hatte er weitergelebt, um sich irgendwann rächen zu können. Nun war klar, dass es dazu keinen Grund gab, weil Konstantin nichts Falsches gemacht hatte. Die Ratsmitglieder waren bereits gekündigt... Theodor wusste nur, dass er kein Bauer mehr war. Zu viel Blut klebte an seinen Händen. Zu viele Kämpfe hatte er ausgetragen... Zu oft als Lustknabe dienen müssen. Es gab keinen Weg mehr zurück. „Du willst aber jetzt nicht, dass ich dir zu Diensten bin, oder?“, kicherte der Gladiator stichelnd. „Bei allen Göttern! Nein!“, keuchte der Adlige vollkommen empört. „Warum denken das immer alle? Wirke ich wie irgendein Perversling?“ „Na ja... Du hast den Zofen ihre Kleidung gestohlen, während sie sich gewaschen haben.“ „Weil du mich dazu angestachelt hast!“ „Und du hast mal Frauenkleidung getragen...“, erinnerte Theodor ihn weiter. „Ebenfalls, weil du mich dazu angestiftet hast!“ „Na ja, wenn du es nicht wirklich gewollt hättest, hättest du es auch nicht gemacht.“ „Das-... Ich-! Also-... Argh!“, fluchte Konstantin mit glühenden Wangen. Das Gespräch war ihm äußerst unangenehm. Verständlich und es war auch seine Absicht gewesen. Zumindest ein bisschen Rache musste erlaubt sein, nachdem er die Suche nach ihm aufgegeben hatte. Trotzdem winkte er nun lieber ab: „Schon gut, schon gut... Du willst mich nicht ins Bett zerren, verstanden.“ „Nein, will ich nicht.“, sagte der König erleichtert. „Ich werde mich mit meinen engsten Vertrauten beraten und wir finden eine Lösung. Irgendwie bekomme ich dich frei, versprochen.“ „In Ordnung.“ „Du hältst das hier doch noch eine Weile aus, oder?“ „Ich habe das hier drei Jahre ausgehalten, Konstan.“, erinnerte Theodor ihn nüchtern. „Ich werde es auch noch einige Wochen oder Monate länger aushalten.“ „Gut... Ich hoffe nicht, dass es so lange dauern wird.“ „Danke für deinen Besuch.“ „Danke, dass du mir glaubst.“ Theodor zwang sich zu einem Lächeln, welches seine Augen allerdings nicht erreichte. Konstantin erwiderte diese Geste, doch sein Lächeln war aufrichtig. Es war bedauerlich, dass der König sich nun umdrehte und das Zimmer wieder verließ. Kurz darauf wurde der Gladiator schon von den Wachen des Kolosseums abgeholt und wieder in seinen Käfig gesperrt. Obwohl es ihm vermutlich nicht guttat, war er nun voller Hoffnung. Vielleicht würde der König ihn nicht befreien können, aber zumindest hatte er nun die Gewissheit, dass er ihn niemals verraten hatte. Es ließ ihn hoffen, dass die Menschheit doch nicht so abgrundschlecht war. Jedenfalls nicht alle...   Wyrnné saß noch vollkommen alleine an seiner riesigen Tafel, die reich gedeckt war mit Speisen. Viel zu viel für einen alleine. Eigentlich sogar zu viel für eine mehrköpfige Familie! Doch das interessierte seine Köche nicht. Jeden Tag servierte man ihm diverse Speisen. Von unterschiedlichen Saucen zu Suppen, Braten und diversen exotischen Gemüse- und Obstsorten war absolut alles dabei. Nur, um jede eventuelle Laune des Weltenlenkers abdecken zu können. Auch die Getränkeauswahl ließ keinen Raum für Unzufriedenheit. Es gab Alkohole, Säfte, Wasser und einige Flüssigkeiten, die er nicht kannte. Sie waren vermutlich aus fernen Ländern exportiert worden, um seinen Gaumen zu erfreuen. All das erfreute ihn nicht. Keine Geschmacksexplosion machte ihn mehr glücklich. Schokolade war vielleicht teuer und exquisit, brachte sein Herz aber nicht zum Rasen. Erdbeeren waren saftig und süß, doch sie ließen ihn nicht erquicken. Seine Laune verschlimmerte sich von Minute zu Minute. Konstantin war heute spät dran, was ihn wirklich ärgerte, weil er gerne mit dem König speiste. Er beobachtete ihn gerne mit seinem Gefolge. Hörte ihn gerne lachen. Er sah gerne, dass Konstantins Gaumen noch nicht so erschlafft war wie seiner. Er strahlte, wenn er neue Dinge probieren durfte. Zumindest dann, wenn sie schmeckten... Nach etlichen Minuten platzte der junge Mann endlich gehetzt in seinen Speisesaal. Begleitet wurde er wieder mal von seinen Hauptmännern, die unfassbar jung für ihren Titel waren. „Verzeih die Verspätung!“, keuchte Konstantin gehetzt. „Ich war im Kolosseum und die Rückreise war... langlebig.“ „Du warst im Kolosseum?“, hakte Wyrnné überrascht nach. So hatte er Konstantin gar nicht eingeschätzt! Viele aus seinem Volk genossen das blutige Spektakel der Mann-gegen-Mann-Kämpfe. Je brutaler desto besser. Sie liebten es, wenn Körperteile abgetrennt worden und Köpfe rollten! Ihnen gefiel es, wenn sie Leute beobachten konnten, denen es schlechter ging als ihnen. Konstantin aber erschien ihm zu gutherzig, um sich dieser Freude anzuschließen. Aber vielleicht war er ein Liebhaber guter Kämpfe. „Ja, ich wollte jemanden sprechen... hatte vor ein paar Tagen ein paar Kämpfe gesehen.“, erklärte er, während eine Zofe dem König Wein einschenkte. „Wie gefällt dir denn das Kolosseum?“ „Ich muss zugeben, dass ich beeindruckt bin. Die Kämpfer sind so gut!“, berichtete er eifrig. „Nun habe ich mir aber auch keine Kämpfe auf Leben und Tod angesehen... Eher so eine Art Show-Kampf. Gefällt mir eh besser.“ „Ja, die Gladiatoren sind durchaus beeindruckend.“, stimmte der Weltenlenker ihm zu. „Nur leider sind es größtenteils Verbrecher.“ „Leider?“ „Ich hatte mal mit den Gedanken gespielt, einige von ihnen zu begnadigen, damit sie in meinem Heer dienen, aber ihre Verbrechen sind zumeist einfach.... Nun ja... Sagen wir, dass eine Begnadigung bei den meisten nicht infrage kommt.“ Er konnte Konstantin ansehen, dass ihn diese Aussage verwunderte. Natürlich klang das unlogisch! Wyrnné selbst richtete regelmäßig Kinder hin. Ganz zu schweigen von den Verbrechen, die seine Schöpfungen begangen oder seine eigenen Soldaten. Seine Gottheiten waren sogar noch schlimmer! Trotzdem gab es Vergehen, die auch er nicht vergab. Unter anderem Verrat. Es musste nicht immer der Verrat an ihm sein. Es reichte ihm, wenn derjenige überhaupt mal seinen Herren hintergangen hatte. Einmal Verräter, immer Verräter. „Aber du hast dir doch keinen der Gladiatoren als Lustknaben genommen?“, fragte Wyrnné skeptisch nach. Der junge König wirkte so, als würde er gleich platzen! Sein Kopf lief mit einem Schlag hochrot an, während er seine Fäuste ballte. Offenkundig war er nicht der Erste, der diese Vermutung in seiner Gegenwart äußerte. „Nein!“, empörte sich Konstantin mit aufgeblähten Wangen. „Man weiß ja nie... Aber ich traue dir so etwas auch nicht zu.“ „Gut... Andere nämlich offenbar schon.“ Viele seiner Reichen, Adligen und sogar viele seiner Gottheiten buchten sich regelmäßig die sexuellen Dienste bestimmter Gladiatoren. Inzwischen wunderte sich Wyrnné darüber nicht mehr, aber es widerte ihn dennoch an. Gelangweilt stocherte er in seinem Essen herum. Früher hatte er wirklich gerne gegessen, doch inzwischen sah er es nur noch als lästig an. Eigentlich aß der Weltenlenker nur noch, um bei Kräften zu bleiben. „Kann man die Gladiatoren eigentlich... freikaufen oder so?“, erkundigte sich Konstantin plötzlich. Irritiert über dieses plötzliche Interesse sah Wyrnné ihn an. Dann erinnerte er sich an einen Namen. Theodor... Man hatte ihn vor drei Jahren aus Rabenwacht entführt und an das Kolosseum verkauft. Der damalige Rat hatte befürchtet, dass der Einfluss des Bauern zu groß auf Konstantin war. Sie waren sich sicher gewesen, dass er durch Theodor rebellieren würde. Ironischerweise hatte der König Rabenwachts sie alle kurz darauf selbstständig ihrer Ämter enthoben und trotzdem gegen die Gesetze des Weltenlenkers rebelliert. Ganz ohne die Meinung des Bauern, hatte er sein eigenes Regime aufgebaut. Und das sehr erfolgreich. „Es kommt vor, dass Lord Optimus einige seiner Gladiatoren verkauft. Ihr Preis variiert jedoch nach ihren Leistungen und ihrem Alter. Ihre Beliebtheit ist ebenfalls wichtig.“, antwortete er ihm dennoch aufrichtig. „Nicht viele kaufen Gladiatoren frei. Die meisten werden von deinem Freund Leonard gekauft. Sie werden dann als Hengste auf seinen eigenartigen Pferderennbahnen gehalten... Jedoch muss ich dich enttäuschen, Konstantin. Lord Optimus wird dir seinen Champion nicht überlassen.“ „Ihr wisst also von Theodor?“ „Ja, dein Rat setzte mich über ihre... drastischen Schritte in Kenntnis.“ „Es war nicht Eure Idee?“ „Nein.“, erwiderte Wyrnné wahrheitsgemäß. „Bis dahin kannte ich nicht mal seinen Namen oder wusste, dass er existiert.“ „Warum habt Ihr es zugelassen?“ Desinteressiert zuckte er mit seinen Schultern, während er sich zurücklehnte: „Ich bin davon ausgegangen, dass dein Rat schon wissen wird, was er tut.“ „Das waren nur verblendete, alte Säcke... Aristokraten, die um ihre Positionen bangten.“ „Zu Recht. Du hast sie kurz darauf entlassen.“ „Nicht aus Böswilligkeit, sondern weil sie schlechte Berater waren.“ „Natürlich.“, stimmte der Weltenlenker ihm mit einem kühlen Lächeln zu. „Genauso wie deine ehemaligen Hauptmänner?“ Aus den Augenwinkeln konnte er beobachten, wie Benedikt Graufell und Durell aufsahen. Selbstverständlich war ihnen bewusst, dass sie den Platz eines anderen eingenommen hatten, doch zumeist war den Nachfolgern nicht klar, weshalb dieser Posten frei geworden war. In der Regel, weil ihre Vorgänger tot waren. Mit etwas Glück starben Hauptmänner auf einem Schlachtfeld. In Ehre und in der Erfüllung ihrer Pflichten. Meistens aber starben sie durch Attentäter, Gift oder die Hand ihres eigenen Herren. Nur der Verdacht auf Illoyalität konnte das Todesurteil eines Hauptmannes unterzeichnen. Als Konstantin von Rabenwacht die Krone erbte, enthob er fast jeden Mann aus seiner Führungsposition. Hauptmänner, Ratsmitglieder, Berater, sogar seine rechte Hand! Er ließ keinen einzigen Stein auf dem anderen. All die freigewordenen Posten besetzte er rasend schnell mit jungen, eigentlich unerfahrenen Nachfolgern, die aber alle ihre Vorgänger in Rekordzeit überflügelten. Als sah er etwas in ihnen, was sonst keiner sehen konnte. Auch das hatte zu seinem Aufschwung beigetragen. „Ihr wollt wirklich wissen, weshalb ich die Hauptmänner degradiert habe?“ „Ich würde es schon gerne wissen und ich denke, dass deine Hauptmänner es auch wissen wollen.“, säuselte Wyrnné verlockend. „Ich weiß, dass sie noch leben. Zumindest größtenteils... Du hast keinen einzigen hingerichtet.“ „Das ist wahr.“ „Ein paar von ihnen sind inzwischen am Alter oder in einer Schlacht gefallen. Manche an Krankheiten...“ „Das ist ebenfalls korrekt.“ „Soweit ich weiß – und bitte korrigiere mich, falls ich mich irre – waren sie alle loyal gegenüber der Krone. Dein Rat war... korrumpiert, doch deine Hauptmänner nicht.“, führte er wissentlich aus. „Warum also der Wechsel?“ „Ihr wollt die Wahrheit wissen? Egal, wie sehr sie Euch auch erschüttern könnte?“ „Bitte... Erleuchte mich.“ Auch Durell und Benedikt wirkten gespannt auf die Antwort. Sie hatten nie gewagt zu fragen. Konstantin schien der einzige in diesem Raum zu sein, der vollkommen entspannt war und sich keine Sorgen um sein Wohlergehen machte. Es kam ihm immer mehr so vor, als würde er sich in Götterherz allmählich wohler fühlen als ihre eigenen Einwohner. „In der Tat waren die vorherigen Hauptmänner, Kommandeure und Führungskräfte meiner Armee und Leibgarde überaus fähig. Ich bezweifle auch nicht ihre Loyalität gegenüber der Krone. Sie waren auch sehr erfahren... Begabt.“, begann der junge König gelassen. „Doch ich erkannte, dass andere noch viel begabter, viel loyaler und viel klüger waren als sie. Ich gab jenen die Posten, die sie wirklich verdienten, weil ihre Fähigkeiten perfekt darauf zugeschnitten waren. Keiner erhielt seinen Posten aufgrund seiner Herkunft oder weil jemand mich dafür bezahlte. Sie sind größtenteils junge Männer mit wenig Erfahrung, aber viel Einblick. Mit etwas Glück, werden sie ihre Ränge noch lange bekleiden, weil sie noch keine Relikte grauer Vorzeiten sind... Kurz gesagt: Ich ersetzte meine gesamte Führung, weil sie nicht ansatzweise so gut waren wie ihre jetzigen Nachfolger.“ Beeindruckt hüllte sich Wyrnné Ralahur in Schweigen. Er musste zugeben, dass er mit solch einer ausführlichen Antwort nicht gerechnet hatte. Noch weniger hatte er damit gerechnet, dass er Konstantin jedes einzelne Wort seiner Ausführungen glauben würde. Doch er sprach mit so viel Inbrunst, dass der Weltenlenker nicht eine einzige Silbe anzweifelte. Konstantin hatte niemanden zu einem hohen Posten erkoren, der es nicht verdient hatte. Vielmehr war es so, dass man seinen hohen Ansprüchen nur so hatte entgegenkommen können. Du beeindruckst mich immer wieder... Deine ausgezeichneten Menschenkenntnisse werden nur noch von deinem guten Herzen überschattet., gestand sich Wyrnné etwas neidisch ein. „Vielleicht solltest du auch mal mein Heer umstrukturieren. Offenbar liegt es dir ja.“ „Gerne.“, erwiderte Konstantin salopp. Obwohl der Schwarzhaarige wohl eigentlich beleidigt sein sollte, war er es nicht. Stattdessen begann er schmunzelnd ein paar geschnittene Früchte zu essen. „Könntet Ihr nicht Lord Optimus überreden, dass er Theodor ziehen lässt?“ „Nein, Konstantin, bedaure.“ „Warum nicht? Ihr seid doch der Weltenlenker!“ „Weil wir einen Vertrag geschlossen haben.“, antwortete der falsche Gott seufzend. „Er nimmt jeden Verbrecher, den ich loswerden will und veranstaltet die Todesspiele. Außerdem zahlt er mir einen gewissen Sold von seinen Gewinnen... Dafür halte ich mich aus der Ausbildung der Gladiatoren und politischen Angelegenheiten heraus.“ „Verstehe...“, murmelte der König sichtlich enttäuscht. Jedoch respektierte er wohl die Macht eines rechtswirksamen Vertrags zwischen Männern. Das restliche Essen verlief weitgehend schweigend. Jedoch war Wyrnné nicht entgangen, dass die Hauptmänner nun noch stolzer waren als zuvor. Zu hören, dass sie aufgrund ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten in ihre Positionen erhoben worden waren, pushte ihr Ego. Und das war auch vollkommen in Ordnung. Nachdenklich verabschiedete sich Konstantin schließlich von ihm. Er würde sich wohl überlegen, wie er Lord Optimus davon überzeugen konnte, dass er Theodor ziehen ließ. Jedoch bezweifelte der Weltenlenker immer noch, dass er das schaffen konnte. Der Champion war ein wahrer Goldesel! „Hauptmann...“, sagte Wyrnné rasch und alle Männer erstarrten sofort. „Durell... Hast du noch einen Augenblick?“ Skeptisch sah der König ihn an, ehe der Hauptmann seiner Leibwache antworten konnte, erhob er seine Stimme: „Was wollt Ihr von ihm?“ „Nicht seinen Kopf. Nur ein kurzes Gespräch.“ „Durell, ist das für dich in Ordnung?“ „Ja, Majestät.“, antwortete der junge Mann nicht minder nervös. „Wir warten dann draußen.“ Es schmeckte weder Konstantin noch Benedikt ihn hier alleine zu lassen, aber sie verließen dennoch den Speisesaal. Kurz darauf fiel die mächtige Flügeltür ins Schloss und sie waren unter sich. Falls man in Heimdall jemals unter sich sein konnte... „Weiß er von deinem Zutun bei der damaligen Entführung von Theodor?“ Mit einem Schlag wurde der junge Hauptmann kreidebleich. Obwohl er etwas sagen wollte, bekam er seinen trockenen Mund nicht mehr auf. Sein geschockter Gesichtsausdruck war Antwort genug. „Habe ich mir fast gedacht... Sonst hätte er dich sicherlich längst deines Amtes enthoben.“, sagte Wyrnné gefühlskalt, während er sich wieder etwas in den Stuhl sinken ließ. „Werdet-... Werdet Ihr es ihm sagen, Mylord...?“, fragte Durell heiser. „Nein... Er wird es selbst herausfinden.“ Wenn Konstantin eine Sache bewiesen hatte, dann war es die, dass sein Intellekt ihm Antworten lieferte. Früher oder später lüftete er jedes Geheimnis. „Aus welchem Haus stammst du ursprünglich?“, hinterfragte der Weltenlenker interessiert. „Wie meint Ihr das?“ „Oh bitte, ich erkenne einen Aristokraten, wenn ich ihn vor mir sehe, Durell.“, winkte Wyrnné gelangweilt ab. „Du bist einfach zu gepflegt und zu... erhaben. Trotzdem spricht dich keiner mit einem Zunamen an. Selbst Benedikt hat einen und der sieht aus wie eine einzige Schlammgrube!“ „Ich habe keinen Titel und keinen Zunamen mehr, Mylord.“, antwortete der Hauptmann mit gestrafften Schultern. Nichts an ihm strahlte Scham für den Verlust seines Erbes aus. Was auch immer ihn um seinen Titel gebracht hatte, war aus Überzeugung geschehen. Oder aus Liebe... „Mich interessiert trotzdem welchem Adelsgeblüt du entstammst.“ „Wiesbeck...“ „Ernsthaft?“ „Ja...“, räusperte sich der Hauptmann verlegen. Sofern ihn seine Berater nicht falsch informiert hatten, war die Familie Wiesbeck eine der größten Häuser im Lebensberg. Sie waren nicht einfach nur groß, sondern vor allem mächtig und reich! Nur hatte der Weltenlenker gar nicht gewusst, dass sie einen ihrer Söhne ganz offiziell verbannt hatten. Ihnen musste diese Angelegenheit also sehr peinlich sein. Was immer er angestellt hatte, musste dem Ansehen des Hauses sehr geschadet haben, um solche Schritte einzuleiten. „Hast du noch Kontakt zu deiner Familie? Zu deinen Geschwistern?“, wollte er begierig wissen. „Nein.“ „Wissen sie, dass du nun der Hauptmann der königlichen Leibgarde bist?“ „Ich denke schon...“, brummte Durell nicht unbedingt höflich. „Die Ernennung war öffentlich zugänglich.“ „Und trotzdem hast du deinen Titel nicht zurückerhalten? Hauptmann der königlichen Leibwache... Das ist schon beeindruckend.“ „Mylord, wollt Ihr irgendwas Bestimmtes oder darf ich mich zurückziehen?“ „Verzeih‘...“, lenkte Wyrnné ein, nahm sich aber vor, dass er Nachforschungen über Durell anstellen würde. „Geh‘ und danke.“ „Zu Diensten, Euer Gnaden.“, sagte er steif und verbeugte sich vor dem Weltenlenker. Man musste kein Genie sein, um zu wissen, dass Durell sich nicht gerne mit ihm unterhalten hatte. Er hatte sich nicht mal wohlgefühlt! Trotzdem war es für ihn angenehm gewesen, mit dem jungen Mann zu sprechen. Allmählich hegte Wyrnné selbst den Wunsch, seine komplette Führung für junge Nachfolger zu ersetzen. Sie sorgten dafür, dass es nie langweilig wurde und Gefühle in ihm hochkamen. Echtes Interesse. Den Drang danach zu forschen! Mit einem kalten Lächeln wies er seine Zofen an, den Tisch leerzuräumen, während er sich in seine privaten Gemächer zurückzog. Egal wie, er würde mehr über die engsten Vertrauten von Konstantin in Erfahrung bringen. Dieses Wissen würde vielleicht noch nützlich sein.   Knapp duckte sie sich unter der mächtigen Streitaxt weg und machte eine Rolle über den Boden. Der Ork holte direkt wieder aus, während sein Artgenosse versuchte, hinter sie zu gelangen. In den Augen der beiden Orks brannte das Feuer des Kampfes und doch wünschte sich Billiana, sie hätten sich direkt am Anfang ergeben, wie sie es erbeten hatte. Leider waren diese Kreaturen nicht besonders diplomatisch veranlagt. Außerdem gab es nicht mehr viele freie Orks und selbst die, die unter dem Banner eines Königs dienen durften, waren nicht mehr besonders zahlreich. Die meisten von ihnen waren in Lohensturm und kämpften unter dem Banner von König Melchior von Lohensturm. Diese beiden Orks gehörten nicht zu ihnen. Sie waren freie Orks, die wohl in dieser Gegend gewildert hatten. Vielleicht waren sie dem König sogar entflohen, um ihr Glück als Deserteure zu wagen. Geschickt sprang die Elfe zur Seite, als wieder die mächtige Streitaxt auf sie zuraste. Just im nächsten Augenblick musste sie eine Pirouette in die andere Richtung wagen, weil sein Ork-Kamerad mit seinem Bogen auf sie schoss. Zu ihrer großen Freude war er kein guter Schütze! Immer wieder tänzelte sie beiseite, wenn der Ork den nächsten Pfeil abschoss. Er hielt ihn nicht lang genug und zielte zu ungenau, trotzdem beschloss die Attentäterin, dass sie ihn zuerst ausschalten musste. Geschickt machte sie eine Pirouette um den Axtschwinger herum und schlug ihm im Anschluss ihren Schild direkt gegen den Kopf. Der Aufprall war laut und klang sehr schmerzhaft. Benommen taumelte der Ork umher und schlug dabei um sich, damit er kein zu leichtes Ziel abgab. Das gab ihr Zeit, sich umzudrehen und auf den Bogenschützen zu zulaufen. Panisch legte er einen Pfeil auf die Sehne und ließ ihn ungeschickterweise direkt los. Sie schlug ihn einfach mit ihrer Seelenklinge beiseite. Gnadenlos richtete sie ihr Schwert nach vorne und nutzte den Schwung des Laufens, um es ihm direkt zwischen die Augen zu rammen. Der Schädel knackte, als die scharfe Klinge ihn durchbohrte, während sich die Augen des Orks weiteten. Im nächsten Moment war er schon tot, doch sein Gesicht blieb diese ängstliche Maske. Erst als Billiana ihr Schwert wieder aus dem Kopf ihres Feindes riss, schoss das Blut in einer kurzen Fontäne heraus. Es besudelte sie, doch es warf sie nicht aus der Bahn. Im letzten Moment machte sie eine Drehung und parierte den Angriff des Axtschwingers. Metall schabte an Metall, als seine Axt niedersauste, während sie ihr Schwert hochriss. Die Spitze ihrer Klinge schnitt dem Ork dabei einmal quer durch das hässliche Gesicht. Schmerzerfüllt taumelte die Bestie zurück und griff sich mit seiner freien Hand in das blutende Gesicht. Sein ganzer Körper verspannte sich, während er seine Streitaxt umklammerte. „Ein letztes Mal...“, zischte die Elfe. „Gib‘ auf und zieh’ dich zurück. Du hast keine Chance, aber du musst auch nicht sterben.“ „Ich bin längst tot.“, knurrte der Ork. Er schien nun noch wütender als zuvor. Also ein Deserteur..., stellte sie nicht unbedingt überrascht fest. Wenn man diese Orks schnappte, dann würde man sie für ihren Verrat hinrichten. Zumindest wenn sie Glück hatten... Zornig stürmte der Ork mit einem Kampfschrei auf den Lippen auf sie zu. Es fiel ihr leicht, diesem blinden Angriff auszuweichen und ihrem Feind mit dem Schwert über den Rücken zu schlagen. Er schrie auf, während das Blut in seine billige Lederkluft sickerte. Etwas bewunderte sie ihn dafür, dass er nicht aufgab. In diesem Augenblick war sie sein Todesengel. Statt in ihrem Angesicht zu bibbern, kämpfte er. Angeschlagen holte der Axtschwinger zum nächsten Angriff aus, den sie mit ihrem Schild parierte. Ohne mit der Wimper zu zucken ging sie direkt zum Gegenangriff über. Er war außerstande auszuweichen. Sie war inzwischen zu dicht an ihm dran, weshalb sie problemlos seine Kehle durchstoßen konnte. Erst wirkte sein Gesicht ebenso entsetzt wie das seines toten Kameraden. Kurz darauf entdeckte sie jedoch etwas anderes... Es sah aus, als fühlte er sich befreit. Als habe sie ihn von einer schweren Bürde erlöst. Wie bei dem anderen Ork riss sie auch bei ihm die Seelenklinge rasch heraus. Das Blut ihres Feindes benetzte sie erneut, als er kurz aus der Wunde schoss. Respektvoll senkte sie für einige Minuten schweigend ihren Kopf. Sie waren nicht wirklich Feinde gewesen und sie bedauerte sehr, dass sie ihnen ihre Leben hatte nehmen müssen. Zumindest wollte sie ihnen dann die letzte Ehre erweisen, weil es sonst keiner tun würde. Seufzend hockte sie sich zu dem toten Axtschwinger, um vorsichtig seine Augen zu schließen. Das wiederholte sie auch bei dem anderen Ork. „Wir sehen uns im nächsten Leben...“, hauchte Billiana respektvoll, ehe sie sich wieder erhob. Mit erhobenem Haupt ließ sie die Leichen zurück. Sie hatte keine Zeit sie zu begraben und es war auch viel zu gefährlich. Hier konnten Soldaten, Banditen oder andere Flüchtige auftauchen. Es war schon schlimm genug, dass sie durch Zufall auf die beiden Orks getroffen war. Billie bezweifelte, dass ihnen bewusst gewesen war, wie nah sie an einem sehr mächtigen Ort waren. Ihnen war sicherlich nicht klar gewesen, dass sie nur den Weg hinauf in den Berg hätten nehmen müssen, wie sie es jetzt tat. Sie hatten den Ruf nicht gehört... Den Eingang zu finden, war nicht allzu schwer, wenn man wusste, wonach man suchte. Wenn er einen rief... Für alle anderen war es ein unmögliches Unterfangen. Außerdem vermutete die Elfe, dass er durch Magie vor Außenstehende verborgen lag. Solche Schutzzauber waren wichtig, sonst konnten Menschen wie Wyrnné hier einfach reingehen. Trotzdem behielt Billiana Schild und Schwert in ihren Händen, während sie die Höhle langsam betrat. Aufmerksam sah sie sich um und lauschte mit ihrem feinen Gehör nach eventuell verdächtigen Geräuschen. Hier schien niemand zu sein. Ab und zu tropfte mal etwas Wasser von der Decke, doch sonst war es totenstill. Es gab nicht mal Tiere. Bald schon ging sie nicht mehr über Stein, sondern über Kristall. Diese Kristalle breiteten sich nicht nur über den Boden aus, sondern auch an den Wänden bis hinauf an die Decke. Durch diese Kristalle wurde das Licht zahlreich gebrochen, wodurch die Höhle beinahe taghell erleuchtet wurde. Wie sie es vermutet hatte, erreichte sie schließlich eine große Halle. Zahlreiche Kristalle waren hier verteilt, deren Oberflächen absolut glatt waren, als hätte man sie nicht nur geschliffen, sondern auch noch poliert. Sie spiegelte sich darin, konnte aber auch Blicke auf andere Welten erhaschen. Je nach dem, aus welchem Blickwinkel sie in die Spiegel sah, konnte sie auch andere Perspektiven jener Welten sehen, die ihr größtenteils fremd waren. Das letzte Mal, als Billie an diesem Ort gewesen war, war Andras gestorben und sie hatte Zodiak in sich aufgenommen. Außerdem war sie zum Drachen erwacht... Das war inzwischen einige Jahrhunderte her, doch für die Elfe fühlte es sich so an, als sei es gestern gewesen. Ihre eisblauen Augen sahen zu der Stelle, auf der Andras gelegen hatte, doch sie entdeckte keinerlei Spuren. Keine vertrocknete Blutlache, kein dunkles Mal, welches diesen sinnlosen Tod markierte. Absolut gar nichts... Sie hatten seine Leiche geborgen und sie seiner Familie übergeben. Argrim hatte sie auf die Beerdigung begleitet, obwohl es für ihn sehr beängstigend gewesen war, die Unterwelt zu besuchen. Sie hatten ihrem gemeinsamen Freund die Ehre erwiesen, die er sich verdient hatte. Doch diese Höhle hatte das Opfer längst vergessen. Mehrmals atmete die Blondine tief durch, dann schritt sie auf den größten aller Kristallspiegel zu. Der, durch den sie einst geschritten war, um zum Drachen erweckt zu werden und die Macht zu erhalten, die sie gebraucht hatte, um das Urböse zu bannen. An jenem Ort hatte sie sich entschieden, dass sie sich nicht opfern würde. Nicht wie alle Ahninnen vor ihr... Heutzutage bereute sie ihren Entschluss. Nicht, weil sie es für falsch hielt, dass sie eine neue Methode probierte, sondern weil sie Wyrnné Ralahur in die Sache mit hineingezogen hatte. Vorsichtig streckte sie ihre Handfläche aus und berührte die Oberfläche des Spiegels. Erst fühlte sie sich kalt und fest an, doch dann wurde sie plötzlich weich. Beinahe so, als würde der Kristall schmelzen. So mutig wie damals schritt Billiana auch dieses Mal mit erhobenem Haupt durch den Spiegel. Sie hatte damals wie heute keine Ahnung was sie erwartete, doch ihr war klar, dass es ihr im Kampf gegen Zodiak helfen würde. Egal, was es auch war, was sie rief. Nur einen Herzschlag später fand sie sich in einer ähnlichen Halle wieder, nur gab es hier keine Kristalle, sondern richtige Spiegel im Barrock-Stil. Generell wirkte dieser Raum wesentlich eleganter, obwohl es hier dunkler war. Als sie sich umdrehte, erschrak die Elfe. Sie hatte weder gesehen noch gehört, dass jemand hier war! Er stand plötzlich hinter ihr. Erstaunt stellte Billie fest, dass sie in das grinsende Gesicht von Andras blickte, an den sie eben noch gedacht hatte. Er sah genauso aus wie in den letzten Tagen seines Lebens, nur irgendwie... blasser. Als wären seine Farben ausgebleicht. „Herzlich Willkommen, liebste Billie.“, sagte er herzlich und breitete seine Arme aus, als begrüßte er sie in seinem Anwesen. „Andras...? Bist du es wirklich?“ „Leibhaftig! Obwohl... Nicht leibhaftig, weil ich ja tot bin, aber irgendwie bin ich es dennoch.“ „Wieso? Müsstest du nicht längst wiedergeboren sein?“ „Theoretisch müsste ich das wohl, aber es liegt wohl daran, dass ich an diesem Ort gestorben bin.“, erwiderte der Nekromant gelassen. „Hast du mich gerufen?“ „Nein, das war ich nicht. Das war unsere gemeinsame Freundin...“ „Shiva.“, schlussfolgerte sie bitter. „Ding, ding, ding, ding! Die Lady gewinnt den Jackpot!“ Sie seufzte. Ihre letzte Begegnung mit der Schöpfermutter war nicht unbedingt herzlich verlaufen. Sie hatte sie über die möglichen Konsequenzen einer falschen Entscheidung aufgeklärt und deutlich gezeigt, dass sie Billianas Beschluss nicht gut fand. Trotzdem hatte sie nicht eingegriffen. Was immer Shiva von ihr wollte, würde gewiss nichts Gutes heißen. Wenn sie ihr nicht sogar ihre Entscheidung vorwerfen wollte! „Was ist das hier eigentlich für ein Ort?“, fragte Billiana wissbegierig, um nicht mehr über Shiva nachzudenken. Nachdenklich sah sich Andras um, ehe er ihr wieder in die Augen sah: „Dieser Ort hat über die Jahrtausende sehr viele Namen bekommen, aber ich finde die Bezeichnung »Raum der Spiegel« in diesem Fall am zutreffendsten.“ „In diesem Fall?“ „Da sich die Optik des Raums an die Vorstellungen des Besuchers anpasst, sieht er jedes Mal anders aus. Du denkst an Spiegel, also sind sie hier... Andere stellen sich eher Fenster oder Türen vor, die als Schnittpunkt zu den anderen Welten dienen.“ „Verstehe... Raum der Spiegel.“, wiederholte die Elfe nachdenklich und ging zu einem der besagten Spiegel. Auch von hier aus konnte sie einen Blick auf fremde Welten erhaschen, nur wirkte das Bild getrübter. Ihr war klar, dass dieser Raum jenseits von Zeit und Raum existierte. Er gehörte keiner Welt an – auch nicht der Zwischenwelt. Das hier war die Schnittstelle aller Welten und vermutlich der Ursprung aller Schöpfungen. Von hier aus hatten die Schöpfer die Welten erschaffen. Um diesen Knotenpunkt zu schützen, wechselte er auf magische Weise ständig den Zugangsort. Außerdem hatte sie schon beim Betreten vermutet, dass noch weitere Schutzzauber Unerwünschten den Zutritt verweigern würden. Nur hatte das damals leider nicht bei Zodiak gewirkt... „Weil er keine Seele hat.“, mischte sich Andras plötzlich ein und sie drehte sich schockiert um. „Hier kann ich deine Gedanken hören.“ Diese Erklärung war so einleuchtend wie sie erschreckend war. „Wie?“ „Weil ich durch meinen Tod mit diesem Ort verbunden bin. Jeder, der hierherkommt, ist es aber auch.“ „Also bin ich auch mit dem Raum der Spiegel verbunden?“ „Ja, du am allermeisten.“ „Weil ich eine von Shivas Wiedergeburten bin.“, seufzte Billiana nicht unbedingt begeistert. Um diese Bürde hatte sie niemals gebeten, trotzdem trug sie sie mit so viel Würde, wie es ihr möglich war! Nur an Tagen wie diesen, wollte sie gerne aufgeben, davonlaufen und die Welten sich selbst überlassen. „Das ist nicht deine Art.“, kicherte der Nekromant erfreut. „Du bist die große Retterin.“ „Ja, ja, schon verstanden! Du bist in meinem Kopf.“ „Oh ja, Baby, das bin ich. Ich kann mir jeden Fick von dir nochmals genau angucken.“ „Das ist ja widerlich!“, empörte sich die Elfe schockiert. „Widerlich ist, dass du schon Sex mit Orks hattest.“ „Hör‘ auf damit! Das geht dich nichts an...“, zischte sie böse. „Sag‘ mir lieber, was ich hier soll. Ich habe nicht ewig Zeit.“ „Du weißt doch, dass dieser Raum jenseits von Raum und Zeit existiert. Also hast du alle Zeit der Welt, wenn man es genau nimmt.“ „Dann habe ich einfach keine Lust, hier zu sein.“, stöhnte die Blondine genervt. Allmählich erinnerte sie sich wieder, weshalb Argrim und Andras sich auf ihrer Reise ständig gestritten hatten. Und genau das fehlte ihr... „Shiva will dich testen. Sie hat einige Prüfungen für dich vorbereitet.“ „Prüfungen? Weshalb?“ „Offenbar sollst du dir das Anrecht verdienen, den Schild der Götter zu erhalten.“, antwortete er ihr seltsam ernst. „Aber den Schild habe ich doch auf Yallad erhalten!“ „Und ihn dort verloren...“, erinnerte er sie. „Weshalb muss ich ihn mir verdienen, wenn Pahas’ka ihn mir auf Yallad offiziell überreicht hat?“ „Weil du ihn im Kampf gegen Zodiak verloren hast, Billie, deshalb musst du dir das Anrecht erneut erkämpfen.“ „Und wie genau sieht das aus?“, hinterfragte die Elfe skeptisch. „Shiva wird dich die Prüfung der Götter absolvieren lassen. Diese Prüfungen sollen vor allem deinen Charakter testen, aber natürlich auch dein kämpferisches Geschick und deine Intelligenz.“ „Und wenn ich alle Prüfungen bestehe, erhalte ich den Schild zurück?“ „So ist es.“ Wenn Billiana eines wusste, dann, dass nichts im Leben umsonst war. Und nichts war so einfach, wie man stets glaubte! Der Schein trog einen häufiger, als man dachte und wenn man naiv genug war, dann fiel man darauf hinein. Sie war nicht so dumm, um das Ganze nicht mit gesunder Skepsis anzugehen. Also sah sie ihren verstorbenen Freund ernst an: „Wo ist der Haken?“ „Wenn du die Prüfungen nicht bestehst, stirbst du und deine Seele wird in einen anderen Körper wiedergeboren.“ „Also ist sie doch nicht mit meiner Entscheidung einverstanden und will ihren Fehler korrigieren!“ „Ich denke nicht, dass das so einfach ist, Billie...“, widersprach Andras ihr kopfschüttelnd. „Da du den Schild im Kampf verloren hast, akzeptiert er dich nicht mehr als seine Trägerin. Du musst das Band neu knüpfen. Darauf hat Shiva keinen Einfluss...“ „Und wieso die Todesstrafe, falls ich versagen sollte?“ „Das ist der normale Ablauf dieser Prüfungen.“ Wüst schimpfte die Blondine in verschiedenen Sprachen, die sie aus Langeweile gelernt hatte. Die früheren Götter verstanden sich darauf, ihr das Leben wirklich zur Hölle zu machen. Dabei waren die meisten von ihnen längst tot! Unruhig ging sie auf und ab. Einige Male blickte sie dabei in die Spiegel, um sich abzulenken. Hatte sie denn eine Wahl? Irgendwas sagte ihr, dass sie den Schild der Götter noch brauchen würde. Konnte sie also ihre Chance vertun, ihn erneut zu erhalten? Ihn nicht endgültig an sich zu binden? Billiana kannte die Antwort darauf. Andras auch. Er hob seine Hand und ein großer Spiegel erschien mitten in der Halle, dessen Oberfläche absolut glatt war. Dennoch wusste sie, dass wenn sie die Hand darauflegen würde, er sich verflüssigte wie zuvor der Kristall. „Wenn du bei den Prüfungen sterben solltest, können wir ja unsere Verlobung neuaufleben lassen und endlich heiraten.“, schlug Andras ihr heiter vor. „Deal.“ „Kannst du bitte noch etwas liebloser meinen absolut romantischen Antrag annehmen?“ Schief lächelte sie ihn an, dann trat sie durch die Oberfläche des Spiegels, um sich der Prüfung der Götter zu stellen. Bereit, alles zu riskieren.   Als sie ihre Augen aufschlug, befand sie sich in einer düsteren Halle. Sie erinnerte Billie an die Unterwelt. Karg, kalt und zu dunkel, um jeden Winkel klar zu erkennen. Vermutlich griff Shiva auf ihr Unterbewusstsein zu, um diese Umgebung zu erzeugen. Bei einem anderen Prüfling sähe hier alles anders aus. Langsam trat sie voraus und sah sich um. Nichts deutete darauf hin, woraus ihre erste Prüfung bestehen sollte. Hier war niemand. Absolut gähnende Leere. Verwirrt drehte sich die Elfe um ihre eigene Achse und musterte die Wände. Es gab keine Steintafeln oder andere Hinweise darauf, wie es weitergehen sollte. Keine versteckten Runen. Kein weiterer Toter, der ihr erschien wie zuvor noch Andras. Vielleicht hätte ich mich erstmal über den genauen Inhalt der Prüfungen informieren sollen, bevor ich hier für immer feststecke., dachte Billiana selbstironisch. Eine Weile irrte sie noch umher. Es gab keine Türen. Keine Fenster. Sie drückte ihre Hände immer mal gegen die Wände, doch sie fand auch keine versteckten Mechanismen, um einen Geheimgang zu offenbaren. Kein Luftzug, der davon sprach, dass es hinter diesen Mauern noch weitere Räume oder Freiheit gab. Zwar standen einige Steine hervor, doch es schien keine Bedeutung zu haben. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie alles abgesucht hatte, bis auf den Boden, über den sie schritt! Langsam senkte sie ihre eisblauen Augen und erkannte zwei gleichgroße Vierecke. Zahlreiche Steintafeln waren darin eingelesen. In dem einen Viereck konnte sie eine Art Wappenbild erkennen, während das andere konfus war und eine Tafel fehlte. Sie kannte dieses Spiel aus der Unterwelt. Es war eine Art Puzzle, durch das geprüft wurde, ob ein Kind oder Jugendlicher strategisches Geschick aufwies. Nur waren diese Spiele weniger groß und hatten auch weniger Einzelteile. Auch die Blondine hatte sich dieser Herausforderung in ihrer Jugend stellen müssen. Sie hatte schnell begriffen, dass es sie nicht weit brachte, wenn sie gedankenlos die Puzzleteile verschob. Natürlich konnte sie das irgendwann ans Ziel bringen, doch es würde ewig dauern! Vorsichtig griff sie nach den hervorstehenden Steinen an der Mauer und hievte sich daran so hoch, wie es ging, damit sie eine neue Perspektive auf das Rätsel werfen konnte. Nun erkannte sie auch das Gesamtbild dessen, was das Puzzle mal ergeben sollte. Shivas Wappen... Es ragte damals auf allen ihren Bannern., erkannte sie mit verzogenem Gesicht. Ein bisschen selbstverliebt ist das schon. Billie versuchte sich alle wichtigen Eckpunkte des Wappens einzuprägen. Sich besonders auffällige Muster zu merken, ehe sie auf das Puzzle starrte. Die Attentäterin versuchte sich jetzt schon möglichst viele Züge überlegen, doch weil das Rätsel so groß war, würde sie zwischendurch immer wieder neu ansetzen müssen. Ihr war bewusst, dass es auf einem Schlachtfeld nicht anders war. Anfangs konnte man noch gut planen, doch im Laufe jeder Schlacht änderten Feinde ihre Taktik oder sie überraschten einen mit unerwarteten Waffen. Spätestens dann musste man eine neue Strategie entwickeln, um zu gewinnen. Geschickt sprang sie von der Mauer herunter und ging zu der Lücke in dem Puzzle und begann es mit den Füßen zu verschieben. Links, links, rechts, unten, rechts, rechts, unten... Immer mal wieder musste sie die Wände hinaufklettern, um wieder eine neue Perspektive auf das Bild zu werfen und sich neue Züge zu überlegen. Wie lange Billiana wirklich brauchte, bis das Wappen endlich vollendet war, wusste sie nicht. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor! Trotzdem schaffte sie es, das riesige Bild richtig anzuordnen. Plötzlich erschien die fehlende Platte und beide Bilder sahen nun vollkommen identisch aus. Kurz darauf leuchtete ein Licht grell zwischen den Vierecken auf und ein großer Spiegel erschien. Also hatte sie die erste Prüfung bestanden. Erneut atmete sie tief durch, dann trat sie durch das neue Portal, um sich ihrer zweiten Prüfung zu stellen. Die begann direkt wesentlich hektischer! Nur ihren ausgeprägten Instinkten war es zu verdanken, dass sie sich unter einem Breitschwert ducken konnte. Kurz darauf machte sie einen Hechtsprung, damit eine Salve Pfeile sie nicht aufspießte. Als sich Billiana endlich umsehen konnte, stellte sie fest, dass sie sich inmitten eines Schlachtfelds befand! Zahlreiche Menschen und Nichtmenschen kämpften wütend miteinander. Diverse Banner waren in der Ferne zu erkennen. Einige der Krieger waren sehr gut ausgestattet. Sie trugen Rüstungen, hochwertige Waffen, hatten Helme und einige sogar Pferde, doch die meisten Soldaten wirkten eher wie Bauern. Ihre Kleidung war alt, bestand größtenteils aus Leinen oder abgenutzten Leder. Ihre Waffen waren Spitzhacken, Schaufeln, Hammer und andere Werkzeuge, die eigentlich nicht für solch eine Schlacht ausgelegt waren. Wieder duckte sich die Elfe unter einer Waffe hinfort und sah dem Angreifer dabei direkt in die Augen. Seine Augen waren komplett weiß und ohne jeglichen Willen. In diesem Moment wusste sie genau, wo sie war... Jene Schlacht hatte alles in Gang gesetzt. Es war der Anfang ihrer damaligen Reise gewesen. Shiva griff auf ihre Erinnerungen zu, um dieses Kampfgeschehen nachstellen zu können. Zodiaks Sklaven kämpften hier gegen das Heer der fünf Völker, das damals unter der Heerführung von Wyrnné Ralahur gestanden hatte. Hier war Billiana das erste Mal dem Urbösen persönlich begegnet und sie war gescheitert. Fast gestorben... Wyrnné hatte sie gesundpflegen lassen und sie hatte beschlossen, dass sie Zodiak aufhalten musste. Erneut wich sie nur knapp einem Angriff aus, rief aber just in diesem Moment auch ihre Seelenklinge herbei. Gnadenlos rammte sie das Schwert direkt durch den Brustkorb ihres Angreifers. Als sie die Klinge herausriss, ergoss sich die ihr vertraute schwarze Schlacke auf dem Boden. Die dämonisch weißen Augen wurden wieder menschlich und Angst war in ihnen zu erkennen. Auch wenn es der Attentäterin um den Mann leidtat, blieb keine Zeit zum Bedauern oder zum Hadern. Stattdessen machte sie eine Drehung, um einer Mistgabel auszuweichen und dem Mann die Kehle mit ihrer Waffe aufzuschlitzen. Wie auch schon damals, fällte sie einen Gegner nach dem anderen. Irgendwas sagte ihr, dass sie es wieder zu dem Felsen schaffen musste, auf dem sie sich einst Zodiak gestellt hatte. Also tat die Elfe alles, um ihr Ziel zu erreichen. Dieses Mal ohne die Hilfe von Ereinion, der ihr damals sehr geholfen hatte. Billiana hatte es teilweise sehr schwer. Einige von Wyrnnés Soldaten waren Magiebegabte, die diverse Zauber in die Reihen der Verseuchten jagten. Hier und da erwischten sie sie beinahe! Außerdem wurden es immer mehr Marionetten je näher sie dem Hügel kam. Bis hier waren die Soldaten des Heeres längst nicht vorgestoßen. Rasch warf sie sich auf den Boden, als ein mächtiger Streithammer nach ihr geschlagen wurde. Die Blondine fackelte nicht lange und zog sich wieder auf die Füße, um beim Aufstehen ihren Kopf in den Magen des Angreifers zu rammen. Schmerzhaft, aber durchaus effektiv, denn der Verseuchte taumelte zurück. Geschickt rammte sie ihm ihr Schwert vom Kinn aus direkt durch den Schädel und riss ihre Seelenklinge wieder heraus. Unzählige Tote später schaffte sie es endlich, den Weg hinauf zum Felsen zu nehmen. Blut und schwarze Schlacke klebten an ihr und verfärbten ihr Haar. Ebenso triefte inzwischen ihre Waffe davon. Es fühlte sich nicht gut an... Es hatte sich schon damals nicht gut angefühlt! Trotzdem schaffte sie es mit erhobenem Haupt oben anzukommen und musste schockiert feststellen, dass es nicht Zodiak war, der sie dort erwartete. Es war Hammond. Seine Augen waren dämonisch Weiß und Billie konnte nicht seine sonstige Wärme darin entdecken. Mit dem Langschwert in der Hand wartete der ausgebildete Soldat darauf, dass sie den ersten Schritt tat. Doch es fiel ihr schwer... Es erinnerte sie an Cazie, die sie nicht hatte retten können. Die ihr unter der Führung Zodiaks einen verseuchten Dolch in den Körper gerammt hatte... Instinktiv griff sie sich an ihre Seite. Dort befand sich eine deutliche Narbe des damaligen Einstiches. Anders als die Narben in ihrem Gesicht, verbarg sie diese nicht. Es sollte eine ständige Erinnerung daran sein, dass ein Mensch noch so aufrichtig sein konnte und noch so warmherzig, er konnte dennoch bekehrt werden. Und dann musste man tun, was man tun musste. Natürlich musste es sich nicht gut anfühlen, wozu man gezwungen wurde, doch Billiana hatte es damals getan. Es hatte sie verändert... Es hatte alles verändert! Der besessene Hammond wollte nicht mehr auf ihren Angriff warten und stürmte stattdessen auf sie zu. Nur unter großer Anstrengung konnte sie sein Langschwert mit ihrem Schild abwehren und instinktiv mit der Seelenklinge zum Gegenangriff ausholen. Es war nur eine kleine Lücke gewesen, die ihr versehentlich passiert war, doch Hamm erkannte sie sofort und stach zu. Sein Schwert bohrte sich durch ihre Seite ohne wichtige Organe zu treffen. Dennoch tat es höllisch weh! Angeschlagen taumelte die Elfe zurück. Obwohl das hier alles nicht real war, fühlte es sich durchaus anders an. Als stand sie ihm wahrhaftig gegenüber. Unter großer Anstrengung zwang sie sich dazu, ruhig zu atmen. Mit dieser Technik konnte sie die Schmerzimpulse zwar nicht auslöschen, sie aber unterdrücken. Dieses Mal war es die Attentäterin, die mit einem Kampfschrei auf den Lippen auf Hammond zustürmte. Sie holte aus, doch er parierte ihren Schlag und verpasste ihr einen Tritt, den sie mit ihrem Schild abblocken konnte. Trotzdem schaffte der Titan es, sie einfach zurückzustoßen und sie taumeln zu lassen. Gerade als Billiana sich wieder fing, begann die Erde zu beben. Hammond riss große Felsbrocken aus dem Boden, um sie direkt auf die Elfe zu schleudern. Mit geweiteten Augen sprang sie beiseite. Dabei verlor sie ihr Schild, wurde aber nicht von den Felsen erschlagen. Was sagte ich noch zu Kel? Übermächtigen Gegnern ist es egal, ob man vorbereitet oder erfahren ist. Sie werden einen zerschmettern, wenn sich eine Gelegenheit bietet., sinnierte Billie verbittert. Hammond würde sie zerschmettern und doch war sie gehemmt. Der Titan hob seine Hände und ließ erneut die Felsen auf sie regnen, doch sie glitt zwischen ihnen hindurch. Trotzdem schnitten einige Felsen ihr in die Haut. Geschickt schaffte es die Elfe durch den magischen Angriff hindurch und holte mit ihrem Schwert aus. Ihre Klinge schlug auf eine Rüstung aus Felsen, die er im letzten Moment gebildet hatte und durchstieß diese. Mit geweiteten Augen sah Hamm ihr entgegen, als sich ihre Seelenklinge durch seinen Körper bohrte. Eine Waffe wie diese, konnte durch so gut wie alles schneiden. Knochen, Felsen, Metalle... Es gab nur wenig, was dem Angriff einer Seelenklinge standhalten konnte, wie sie anhand ihres Gesichtes schmerzhaft lernen musste. Als sie ihre Waffe herausriss musste sie enttäuscht feststellen, dass sie sein Herz knapp verfehlt hatte. Die Felsrüstung musste ihre Schlagbahn leicht verändert haben, wodurch diese Wunde nicht mehr tödlich war. Ihren Fehler musste die Blondine teuer bezahlen. Hammond umschloss seine Faust mit Felsen und schlug zu! Billiana wurde über den Boden geschleudert und überschlug sich dabei mehrmals. Felsen schnitten ihr in die Haut oder bohrten sich regelrecht in ihr Fleisch, ehe sie endlich zum Erliegen kam. Ihr blieb die Luft aus! Dennoch musste sie sofort reagieren. Der Titan schleuderte bereits die nächsten Steine und Felsen auf sie, sodass sie ihre Hände erhob und ein mittelgroßes Portal erschuf. Sie hatte keine Ahnung, wohin es führte und es war ihr auch vollkommen egal. Gerade noch rechtzeitig konnte die Attentäterin den Zugang zu einer anderen Welt öffnen, sodass der Felsenregen einfach hineinglitt und verschwand. Damit nahm sie Hammond auch einen großen Teil seiner Geschosse für zukünftige Angriffe. Erschöpft musste sie das Portal schließen, ehe sie sich wieder auf die Füße hievte. Überall tropfte ihr eigenes Blut und das ihrer Feinde von ihr. Das Adrenalin pumpte inzwischen so stark, dass sie ihren schnellen Puls zu hören glaubte. Wütend rief sie wieder ihre Seelenklinge, die sie bei dem Sturz verloren hatte und preschte schließlich auf Hammond zu. Bereit, dieses Mal den tödlichen Schlag zu setzen. Der Titan bewies, dass er nicht seine Geschosse brauchte, um sie zu überrumpeln. Er hob seine Hände und direkt unter ihren Füßen tat sich ein Felsspalt auf. Ein tiefer Riss, dessen Absturz auf jeden Fall für Sterbliche tödlich war. Ob auch für Langlebige, wollte sie lieber nicht erfahren... Gerade noch rechtzeitig konnte sie nach einem Felsvorsprung greifen und damit den sicheren Absturz verhindern. Ihre behandschuhten Hände zitterten bereits unter der Anstrengung, während ihre Waffe wieder im schwarzen Nebel verschwand. Schwitzend versuchte sich Billie hochzuziehen, doch sie machte die Rechnung ohne Hamm. Gnadenlos trat er ihr auf die Finger. Die dämonischen, weißen Augen stierten sie dabei kalt an. Es machte ihr klar, dass sie alles Mögliche sagen oder tun könnte, er würde sie dennoch töten wollen. Das ist nicht Hammond!, rief sie sich ins Gedächtnis und sammelte die Reste ihrer Kräfte zusammen, um sich endlich hochzuziehen, obwohl er es zu verhindern versuchte. Als sie wieder vor ihm stand, zog er einen Dolch aus seinem Gürtel und wollte ihn direkt in ihre Leber rammen. Nur schaffte er es nicht mal bis zu ihrer Haut, weil ein Kristallmantel sie vor dem Angriff schützte. „Ich bin eine Drachenkönigin.“, zischte sie atemlos. „Kristallmagie, schon vergessen?“ Bevor der Titan irgendwas erwidern konnte, riss sie ihre Hand hoch und darin erschien ihre Seelenklinge, die sie ihm von unten durch den Schädel rammte. Als sie ihre Waffe herausriss, strömte wieder die schwarze Schlacke heraus, wie sie es schon zu genüge kannte. Während sie die Leiche von Hammond betrachtete, erfüllte sie tiefe Trauer. Der Verlust fühlte sich echt an. Sie bedauerte sehr, dass sie so weit hatte gehen müssen, verstand aber auch, dass manche Opfer unabdingbar waren. Dass es jene gab, die einen verrieten. Wieder wurde sie von einem hellen Licht geblendet und ein weiterer, großer Spiegel erschien. Sie hatte die zweite Prüfung bestanden. Mit einem letzten Blick über das Schlachtfeld, drehte sich die Elfe um und wanderte angeschlagen durch das Portal. Innerlich hoffte sie, dass sie nicht nochmals kämpfen musste, denn ihre Verletzungen waren zahlreich. Sie befand sich nun wieder in einem Raum, doch hier tobte weder eine Schlacht noch war er leer. Shiva stand dort und sah ihr kühl entgegen. Neben ihr kauerte ein alter Mann. Irritiert trat Billiana näher heran. Sie konnte keinen Blick auf das Gesicht des Mannes erhaschen, doch er schien krank zu sein. Immer wieder hustete er und krümmte sich. Seine Stimme klang heiser und seine Kleidung war nass vom Schweiß. „Du bist weit gekommen, Billie.“, sagte die Schöpfermutter anerkennend, während sie sich das rote Haar beiseite strich. „Doch ich denke, dass du hier scheitern wirst.“ „Du hast auch gedacht, dass es eine gute Idee sei, Zodiak zu erschaffen.“ „Dein Punkt...“ „Was also soll ich tun?“, hakte die Elfe nach und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie angeschlagen war. „Du sollst diesen Mann töten.“ „Wie bitte?“ „Wenn du diesen Mann tötest, stirbt auch Zodiak endgültig.“, erklärte die vermeidliche Gottheit nüchtern als plauderte sie über das Wetter. „Dieser Mann hat nie etwas verbrochen. Ganz im Gegenteil: Er ist gutherzig und weise. Inzwischen ist er alt und krank, also ist es auch kein Verlust, wenn du ihn opferst, Billie. Was ist schon ein Leben im Austausch gegen Millionen? Der Tod bekommt seinen Tribut – immer. Und dieser Mann ist sowieso tot. Sein Leben gegen das von Zodiak, um es endgültig zu beenden. Ein Leben für ein Leben, Billie.“ „Mit seinem Tod würde alles enden? Zodiak würde nie mehr zurückkehren?“ „Ja.“ „Kein Haken? Kein doppelter Boden?“ „Nichts dergleichen, Billie.“, bestätigte die Rothaarige ihr weiterhin kaltherzig. Kurz darauf erschien ein Dolch in ihren Händen. Sie reichte ihn an Billiana weiter, die ihn zittrig am Griff packte. Dann beugte sie sich über den Mann und dieser sah sie endlich an. Billie erkannte ihn sofort! Diesen Mann hatte sie in ihrer Jugend um seine Seele gebeten, um ihre Soldatenausbildung zu beenden. Er hatte sie ihr gegeben, weil sein Ende nah gewesen war und er eine letzte gute Tat vollbringen wollte. Zuvor war er ein großer Heiler gewesen, der sich selbst für die Verletzten und Kranken aufgeopfert hatte. Eine stärkere Seele hatte die Blondine nie mehr gesehen... Ein Leben für ein Leben..., wiederholte sie in ihren Gedanken wie ein Mantra. Zodiak nahm sich Millionen und es würden Milliarden werden, wenn er nicht aufgehalten wird. Bis nichts mehr übrig bleibt... Aber war es wirklich richtig, ein Leben für das Wohl aller zu opfern? Wurden sie nicht zu dem, was sie bekämpften, wenn sie bereit waren, soweit zu gehen? „Bitte...“, flehte der alte, gebrechliche Mann. „Ich opfere mich selbst... Bitte... Ich will eine letzte-... Eine letzte gute Tat vollbringen...“ Ein Leben für das Leben von Milliarden. Ein wirklich verlockendes Angebot, das musste sie zugeben. „Nicht heute.“, säuselte Billie und lächelte. Dann erhob sie sich zur vollen Größe, während Shiva sie irritiert beobachtete. Ohne mit der Wimper zu zucken hob sie den Dolch, drehte ihn in ihren Fingern um und rammte ihn sich selbst tief ins Herz. Der Schmerz peinigte ihren Verstand, während ihr Körper einfach zu Boden sank! Ein Leben für ein Leben... Sie hatte nie gesagt, dass es dieses eine Leben sein musste und wenn Zodiak für immer fort wäre, gab es für sie keinen Grund, weshalb sie sich nicht selbst opfern sollte. Alles wurde pechschwarz. Die Schmerzen waren noch da, aber eher wie ein Pochen im Hinterkopf. „Du hast alle Prüfungen bestanden, Billiana Fayh Cailean Markrhon.“, hörte sie die Stimme der Schöpfermutter sagen. „Trotzdem kann ich dir den Schild der Götter noch nicht überlassen. Du bist noch nicht bereit... Eine Lektion musst du dringend lernen. Oder dich eher dessen erinnern... Wenn du soweit bist, wirst du es wissen. Kehre an diesen Ort zurück und ich werde dir den Schild der Götter überlassen. Da du die Prüfungen bereits absolviert hast, musst du sie nicht wieder bestreiten.“ Stille kehrte in die Dunkelheit ein. Billiana war wütend! Sie hatte alle Prüfungen erfolgreich gemeistert und nun bekam sie nicht mal das, wofür sie alles auf sich genommen hatte. Es erschien ihr keineswegs fair. „Du hast recht damit und deshalb will ich dir ein Geschenk überreichen für deine Mühen.“, lenkte Shiva sachlich ein. „Dieses Geschenk wird dir dabei helfen, dich zu erinnern und es wird dich näher an den Schild der Götter bringen. Nun schlaf‘.“ Ohne dass sie es kontrollieren konnte, verlor die Blondine allmählich ihr Bewusstsein. Das letzte, was sie wahrnahm war, dass sie plötzlich auf einen Boden knallte und die Stimme ihres Halbbruders, der besorgt flüsterte: „Schwester...“ Danach war nichts mehr.   Benedikt Graufell wusste beim besten Willen nicht, weshalb er alles für seinen König tun würde, doch es war so. Selbst Dinge, die er eigentlich gar nicht mochte. Konstantin war es unfassbar wichtig, dass er Theodor aus seinen Pflichten dem Kolosseum gegenüber entband. Zumindest wäre es ihm lieber, er konnte ihn legal aus den Ketten befreien als mit Gewalt. Dennoch glaubte der Hauptmann, dass der König notfalls auch anders sein Versprechen einlösen würde. Noch wollten sie diplomatische Wege einschlagen, weshalb sich Ben heute mit dem Hauptmann des Kolosseums traf. Bartholomäus Adlerherz hatte eine eindrucksvolle Karriere hingelegt, die aber nicht seinem Stand entsprach. Natürlich hatte sich Benedikt vorher über ihn informiert, damit er bestens vorbereitet war. Der Mann war immerhin nicht nur der Hauptmann des Kolosseums und dadurch für alle Wachen zuständig und die Sicherheit aller Besucher, sondern ebenfalls der Finanzverwalter für die Gladiatoren. Das bedeutete, dass er dessen Löhne verwaltete, aber auch auf Wunsch Ausgaben für sie tätigte. Manchmal beriet er die Kämpfer sogar. Es gab nicht viele Männer, die lesen, schreiben und rechnen konnten. Natürlich war er ein Lord eines Adelshauses, doch auch das war keine Voraussetzung dafür, gelehrt zu sein. Eigentlich verstand Benedikt nicht, weshalb Bartholomäus eigentlich den Weg des Kriegers gewählt hatte, statt den des Gelehrten. Seine vielseitigen Talente wären in diversen Zitadellen sicherlich besser aufgehoben gewesen. Jedoch vermutete er, dass es an seinem Bruder lag. Elodrin Adlerherz hatte ein Problem mit Spielsucht und hatte sein ganzes Vermögen verspielt. Im Anschluss hatte er dann das Vermögen anderer Leute verspielt – gefährlicher Leute. Als er seine Schulden nicht mehr begleichen konnte, hatte man ihn in den Schlund geschmissen. Dort war er offenbar bis heute und schuftete, um Mithril für den Weltenlenker abzubauen. Bei seinen Forschungen hatte Benedikt erfahren, dass der Hauptmann des Kolosseums einen Vertrag mit dem Weltenlenker geschlossen hatte. Er zahlte dem falschen Gott regelmäßig einen großen Teil seines Lohnes, um die Schulden seines Bruders zu begleichen. Sobald die Schuld getilgt war, wollte der Weltenlenker ihn freilassen. Jedoch bezweifelte Ben, dass er Wort halten würde. Vermutlich war Elodrin längst tot! Niemand hatte nämlich seit Monaten ein Lebenszeichen von ihm erhalten. Trotzdem konnten diese Informationen allesamt hilfreich sein, damit er für Konstantin eine gute Basis aufbauen konnte. Die endgültige Entscheidung würde immerhin Lord Optimus treffen. Nun ging es vor allem darum, ein entsprechendes Treffen zwischen ihm und den König zu ermöglichen. Bartholomäus erwartete ihn bereits. Er sah aus, wie Benedikt es erwartet hatte! Kurze, brauen Haare im Soldatenschnitt und eine eindrucksvolle Rüstung mit einigen Abzeichen. Umschmeichelt wurde er von einem roten Umhang, der seinen Rang ebenfalls hervorhob. Selbstverständlich trug er ein Schwert am Gürtel. Außerdem entdeckte Benedikt einen Schild unter dem Umhang. „Benedikt Galvin Graufell, richtig?“, erkundigte sich der Hauptmann des Kolosseums hinter seinem Schreibtisch. Vor ihm lagen diverse Dokumente, die er offenbar noch sichten musste. Wohl doch mehr ein Bürokrat als ein Soldat, was?, überlegte Benedikt etwas herablassend. Doch es muss mehr in ihm stecken, sonst könnte er das Kolosseum nicht derartig sichern. Es kommt wirklich selten zu Ausbrüchen... Fest nahm er sich vor, dass er sich nicht von dem ersten Eindruck trügen lassen würde. Immerhin hatte Lord Adlerherz einst eine Soldatenausbildung genossen und hatte auch mal im Heer vom Weltenlenker gedient. Sehr erfolgreich sogar! Doch irgendwie war er dann hier gelandet. „Ben reicht.“, sagte er nüchtern. „Mich nennen alle Bartel.“ „Bartel? Tatsächlich?“ „Ja, irgendein Gladiator konnte meinen Namen nicht aussprechen und irgendwie kam da immer... Bartel heraus.“, erklärte der Adlige schulterzuckend. „Alle haben mitgemacht und inzwischen ist es dabeigeblieben.“ „Was ist aus dem Gladiator geworden?“ „Tot. Guckt nicht so! Er fiel in der Arena.“ „Verstehe...“, murmelte Benedikt mit hochgezogener Augenbraue. „Ich wollte über den Champion der Arena sprechen.“ „Theodor... Ja, er ist ein wirklich ausgezeichneter Gladiator. Sehr beliebt.“ „In der Tat.“ „Was genau wollt Ihr mit mir besprechen?“ „Theodor ist auch sehr beliebt bei meinem König – Konstantin Maximilian von Rabenwacht.“ An Bartholomäus Gesichtsausdruck konnte er erkennen, dass er die falschen Schlüsse zog. Verständlich! Seine Formulierung war wirklich unglücklich gewesen und stellte Konstantin als Perversen dar. Mal wieder! Das würde ihm gar nicht gefallen. „Nicht so! Was denkt Ihr nur von meinem König?“, fauchte er dennoch empört, obwohl er sich seines Fehlers durchaus bewusst war. „Verzeihung!“, presste Lord Adlerherz sofort heraus, während seine Wangen erröteten. Das war immerhin ein peinlicher Fauxpas. Zumal es um einen König ging. „König Konstantin wuchs mit Theodor auf. Sie sind befreundet.“, erklärte Benedikt knapp. „Jedoch wurde Theodor fälschlicherweise einiger Vergehen beschuldigt, gefangen genommen und dann an das Kolosseum übergeben. Mein König will diesen Fehler nun bereinigen.“ „Laut meiner Unterlagen-...“, begann Bartholomäus und fing an in seinen Dokumenten zu nesteln, ehe er fand, wonach er suchte. „Hat der König Rabenwachts selbst angeordnet, dass Theodor diese Strafe ereilt.“ „Des Lebensbergs.“ „Wie bitte?“ „Er ist der König des Lebensbergs. Rabenwacht ist nur sein Sitz und die Hauptstadt...“ „Oh, Vergebung, Ihr habt natürlich recht.“, gestand der Hauptmann des Kolosseums peinlich berührt. „Wie gesagt: Damals ist ein fataler Fehler passiert. König Konstantin hatte mit dieser Sache jedoch nichts zu tun.“ „Wer dann?“ „Sein ehemaliger Rat hat eigenmächtig gehandelt.“ „Nun, ich muss zugeben, dass ich auch überrascht bin, dass ein Bauer so lange in den Arenen überlebt hat.“ „Das geht dem ehemaligen Rat gewiss genauso.“ Er konnte Bartholomäus dennoch ansehen, dass die Lage nicht so einfach war. Selbst wenn sie ihre Anschuldigungen beweisen könnten – was sie ohne die Hilfe des Weltenlenkers nicht konnten – ging es hier immerhin um den Champion der Arena. Theodor war Gold wert! Umso wichtiger war es, dass Ben ihm immer wieder das Gefühl gab, sich entschuldigen zu müssen. Wenn der Adlige sich blamiert fühlte, machte er vielleicht Fehler. „Falls es stimmt, was Ihr sagt, ist es wirklich bedauerlich, was vorgefallen ist. Vor allem für Theodor...“, gab Bartel mitleidig zu. „Jedoch wird Lord Optimus auf sein Recht bestehen, dass er dem Kolosseum gehört. Er hat für ihn bezahlt und seine Ausbildung finanziert.“ „Natürlich, deshalb würde König Konstantin auch gerne persönlich mit ihm darüber sprechen. Sie würden gewiss eine Einigung finden, die beide Seiten glücklich macht.“ „So einfach ist das nicht...“ „Weshalb?“ „Lord Optimus kümmert sich selten persönlich um die Angelegenheiten des Kolosseums. Er delegiert eher.“ „Wie hoch sind die Schulden von Theodor an das Kolosseum?“, hinterfragte Benedikt ernst. „Was?“ „Soweit ich weiß – und bitte korrigiert mich, wenn ich mich irre – bekommen die Gladiatoren einen Lohn für jeden ihrer Kämpfe. Diesen Lohn dürfen sie für Dirnen, bessere Ausrüstung, besonderes Essen oder auch für ihre Freiheit verwenden.“ „Ja, das ist soweit korrekt.“ „Ich bin mir sicher, dass Theodor einen großen Teil seines Lohnes darauf verwendet hat, seine Freiheit zu erkaufen, indem er seine Schulden begleicht.“, fuhr der Hauptmann Rabenwachts streng fort. „Er wird sicherlich begonnen haben, den Kaufpreis und auch die darauffolgenden Kosten zu begleichen. Nun würde mich interessieren, wie viel er bereits bezahlt hat und welche Summe noch offen ist, Bartel.“ Der Hauptmann des Kolosseums begann sich sichtlich zu winden. Selbstverständlich hatte er recht! Fast jeder unfreiwillige Gladiator nutzte einen großen Teil seines Lohnes, um frei zu kommen. Natürlich kam es niemals soweit. Es war eine Finte, damit der Herr des Kolosseums nicht nur seine Kämpfer behielt, sondern auch seinen Reichtum mehren konnte. Je weniger er den Gladiatoren überließ desto mehr blieb für ihn übrig. Gleichzeitig hielt er die Sklaven bei Laune. Alle wussten das. Vermutlich selbst die Gladiatoren... Trotzdem wurde diese Hoffnung weiterhin geschürt. „Also? Wie viel müsste mein König begleichen?“ „Das... das ist nicht so einfach, Mylord...“ „Ich bin kein Lord.“, widersprach Benedikt sofort. Er war niemals enterbt worden, trotzdem sah sich Benedikt nicht als Lord an. Nicht mehr... Als er seine Heimat verlassen hatte, hatte er auch seinen Adelstitel dort zurückgelassen. Genauso wie seine Familie und die Laster, die sie ihm bereitet hatten. Zumindest redete er sich gerne ein, dass er die Bürde auch dort gelassen hätte... „Ben...“, korrigierte sich Bartholomäus schamvoll. „Ihr wisst so gut wie ich, dass das nur eine Farce ist, um die Gladiatoren bei Laune zu halten.“ „Ach? Weiß ich das? Mein König scheint daran zu glauben... Wollt Ihr ihm erklären, dass das alles nur Betrug ist?“ Wieder begann sich der Hauptmann in seinem Stuhl zu winden. Das war eine sehr unangenehme Unterhaltung, die auch freundlicher hätte laufen können. Benedikt wusste aber, dass er ihn nicht mit Samthandschuhen anpacken durfte, wenn er sein Ziel erreichen wollte. „Was geschieht denn mit all den Münzen, die die Gladiatoren für ihre Freiheit bezahlen?“, hakte er schließlich nach, um Bartholomäus immer weiter in die Ecke zu drängen. „Immerhin fällt der Lohn von ihnen nicht allzu gering aus, wenn sie erfolgreich sind. Theodor muss also ein halbes Vermögen in den letzten drei Jahren verdient haben! Was ist daraus geworden?“ „Ich-... Dazu-... Ich kann dazu... nichts sagen...“, stammelte der Hauptmann des Kolosseums verunsichert. Er hatte ihn genau da, wo er ihn haben wollte! „Und wer kann es?“ „Lord Optimus...“ „Dann bin ich mir sicher, dass Ihr Euch sehr bemühen werdet, damit Lord Optimus zeitnah für König Konstantin Maximilian von Rabenwacht Zeit findet. Nicht wahr?“ „Natürlich...“ „Wunderbar.“, sagte Benedikt durchaus zufrieden mit sich. „Dann erwarten wir Eure Einladung binnen der nächsten Tage.“ „Ja, Lor-... Ben.“ Mit einem Grinsen drehte sich der Hauptmann Rabenwachts um und verließ das kleine Büro und anschließend auch das Kolosseum. Er hatte die gesamte Verhandlung dominiert und am Ende sein Ziel erreicht. Auch wenn er es nicht gerne zugab, wäre er wohl auch ein guter Diplomat geworden. Falls ich irgendwann nicht mehr dienen kann, weiß ich zumindest, was ich stattdessen machen könnte., dachte er spöttisch und freute sich schon darauf, seinem König von diesem Erfolg zu berichten.   Allmählich machte sich Wyrnné ernsthaft Sorgen. So lange war Billiana noch nie untergetaucht ohne auch nur ein Lebenszeichen von sich zu geben. Es mussten jetzt schon mehrere Wochen sein. Wenn er richtig schätzte, dann war sie vor etwa zwei Monaten in das Zimmer von Konstantin eingedrungen. Seitdem war es still um sie. „Noch nichts?“, fragte er Altan, der den Kopf schüttelte. „Keinerlei Hinweise auf ihren Verbleib?“ „Nein, Meister.“ „Jemand wie Billie verschwindet doch nicht einfach.“ „Das stimmt, aber wir haben überall in und um Götterherz nach ihr gesucht, konnten sie aber nicht finden.“, erklärte der Anführer der Inquisitoren. „Außerdem haben wir nach allen auffälligen Berichten über kampfwütige Frauen Ausschau gehalten. Nichts.“ „Danke... Du darfst gehen.“ Der Inquisitor verbeugte sich und zog sich anschließend zurück. Zwar hatte er ihm keine befriedigenden Berichte geliefert, aber bei Altan verspürte er deshalb keinen Zorn. Gelangweilt erhob er sich aus seinem Thron. Hierher verirrte sich ohnehin niemand, solange er nicht dazu einlud, also konnte er auch durch Heimdall spazieren, um seinen Kopf klar zu bekommen. Es ärgerte den Weltenlenker etwas, dass er sich so sehr um Billie sorgte, doch auch wenn sie inzwischen eine Feindschaft zueinander hegten, waren da immer noch Gefühle für sie. Er konnte ihre gemeinsamen Nächte nicht vergessen. Er vertraute ihr... Sie bringt mir ständig die Köpfe meiner Anhänger und trotzdem vertraue ich ihr!, dachte Wyrnné spöttisch. Wir haben wirklich eine eigenartige Beziehung zueinander. Gedankenverloren versuchte er darauf zu kommen, wo sich die Elfe aufhalten könnte. Die Unterwelt vielleicht? Eher nicht... Sie war mit ihrem Vater im Schlechten auseinandergegangen. War sie vielleicht tot? Hatte sich Billie mit dem falschen angelegt? Nein... Nein, er würde es spüren! Es machte ihn beinahe wahnsinnig, dass er keine Ahnung hatte, wo sie war und wie er sie finden sollte! So sehr, dass er die Umgebung außer Acht ließ. Plötzlich hörte der Schwarzhaarige etwas zischen und sprang instinktiv zur Seite. Neben seinem Kopf schlug ein Bolzen in der Wand ein, der definitiv aus einer Armbrust stammte. Überrascht drehte sich der falsche Gott um und entdeckte eine vermummte Gestalt. Einen kurzen Moment lang glaubte er, es könnte die Blondine sein, doch dann fiel ihm ein, dass sie den Bogen bevorzugte. Außerdem war sie etwas größer und würde sich bei ihm nicht vermummen. Seit vielen Jahren hatte Wyrnné nicht mehr selbst gekämpft. Natürlich hatte es diverse Anschläge auf seine Person gegeben, doch in der Regel war irgendwer in der Nähe gewesen. Meistens Altan, der jeden Feind mit bloßen Händen zerquetschte! Nun war niemand hier und er war auch nicht bewaffnet, trotzdem preschte er voran. Nur knapp wich er einem weiteren Bolzen aus, der ihm einen Kratzer auf der Wange verpasste. Trotzdem kam er nah genug an den Attentäter heran, um ihm seine Armbrust zu entwenden und die Waffe brutal gegen die Wand zu schlagen. Das berstende Holz bohrte sich schmerzhaft in seine Hand, doch er spürte es kaum. Sofort wich der Angreifer etwas zurück. Zwei Dolche zog er aus seinem Gürtel, doch Wyrnné war überzeugt davon, dass er noch mehr Waffen an sich versteckte. Billiana lief auch immer mit einem halben Waffenarsenal herum! Geschickt tauchte er unter den Klingen durch und schlug dem Attentäter direkt in den Magen. Er begann zu taumeln, erholte sich aber schnell wieder von dem Angriff des Weltenlenkers. Ein zäher Gegner, das musste er zugeben. Der darauffolgende Kampfschrei ließ ihn jedoch skeptisch erstarren. War das eine Frau? Die Stimme war so hell und klar, wie sie kein Mann haben konnte! Ein Dolch bohrte sich tief in sein Fleisch. Wyrnné nahm zwar wahr, dass es höllisch wehtat, konnte den Schmerz aber auch dieses Mal gut schlucken. Stattdessen schlug er nun nach dem Gesicht seines Angreifers, um die Maske zu packen zu kriegen und einfach herunterzureißen. Darunter lag tatsächlich das entschlossene Gesicht einer Frau, doch es war nicht Billiana. Die Fremde verengte ihre Augen, riss den Dolch heraus und wollte nochmals zustechen, doch dieses Mal wich der Weltenlenker vorher aus. Nur, weil er den Schmerz nicht spürte, hieß das nicht, dass die Genesung nicht trotzdem unangenehm war. Ohne weiter darüber nachzudenken, griff Wyrnné nach einem Gegenstand zu seiner rechten und warf ihn direkt auf die Attentäterin. Die sicherlich teure Vase zersprang neben ihr an der Wand, weil sie ihr ausgewichen war, sodass er den Moment der Ablenkung nutzen konnte. Mit Anlauf verpasste er ihr einen Schlag in den Magen. Sofort krümmte sich die Frau und gab ein paar wehleidige Laute von sich, rappelte sich jedoch wieder auf. Wo kommen nur all diese starken Frauen her? Langsam kommt es mir wie Hohn vor!, dachte er verbissen. Seine Angreiferin begann nun eine schnelle Schlagabfolge gegen ihn zu richten. Nur mit Mühe und Not konnte er den blitzschnellen Dolchen ausweichen. Es erinnerte ihn an Billiana. Es konnte also sein, dass diese Frau einst von ihr ausgebildet worden war... „Wer hat dich beauftragt?“, fragte er zwischen den Schlägen und nahm durchaus wahr, dass er der Wand immer näherkam. Sie blieb ihm eine Antwort schuldig. Keine Überraschung, wenn der Weltenlenker ehrlich war. Wenn das wirklich eine von Billies Schützlingen war, dann würde sie nicht mal unter schwerster Folter reden. Schon gar nicht, wenn man nett fragte! Jedoch bezweifelte er, dass diese Frau wirklich den Auftrag hatte, ihn zu ermorden. Es war eher ein persönlicher Rachefeldzug. Kaum einer versuchte mehr Attentäter auf ihn anzusetzen, weil es zu teuer war und nichts brachte. „Nun hör‘ endlich auf!“, zischte der Schwarzhaarige, doch sie griff ihn wortlos weiterhin an. Auch wenn ihm klar war, dass Billiana ihm das vorhalten würde, beschwor er seine Seelenklinge. Dem entsetzten Blick seiner Angreiferin konnte er entnehmen, dass sie nichts von dessen Existenz gewusst hatte. Kaum einer wusste es... Nur Billie, wenn er sich nicht irrte. Und das war auch gut so! Den Moment des Schocks nutzte der falsche Gott, um die Einhandaxt einfach direkt zwischen die Augen der Attentäterin zu schlagen. Die Knochen knackten unter der scharfen Klinge, während sie die Lebenskraft der Frau absorbierte. Ein paar weitere Jahre für ihn. Bedauerlich, dass ich sie töten musste., sinnierte Wyrnné mit kaltem Blick. Wäre sie etwas weniger aggressiv gewesen, hätte Altan ein paar offene Fragen klären können. Jetzt musste er aber hinnehmen, dass sie irgendwie unbemerkt in Heimdall eingedrungen und ihn angegriffen hatte. Diese Frau hatte ihn sogar alleine erwischt! Das war unfassbar schwierig, was dafürsprach, dass sie sich schon länger auf diesen Angriff vorbereitet hatte. Mit etwas Pech würden zukünftig noch weitere Anschläge folgen... Seufzend hockte sich der Weltenlenker neben die Leiche und griff nach ihrem schlaffen Arm. Wie er vermutet hatte, befand sich dort das magische Brandmal des Attentäter-Ordens. Das Mal konnten nur Anhänger sehen und jene, denen sie es zeigen wollten. Das schützte die Mitglieder vor einer ungewollten Enttarnung durch Wyrnnés Anhänger. Jedoch tauchte das Brandmal auf, sobald dessen Träger starb. Wyrnné wusste nicht, ob das beabsichtigt war oder eine unschöne Nebenwirkung. Er wusste so jedenfalls, dass diese Frau eine waschechte Attentäterin gewesen war und mit hoher Wahrscheinlichkeit Billiana kannte. Wenn die Elfe irgendwann wiederauftauchte, würde er sie auf jeden Fall danach fragen. Nun aber trug er seinen Dienern auf, dass sie die Leiche entfernen und entsorgen sollten. Ebenso musste natürlich der Flur gesäubert werden. Um die Vase tat es ihm allerdings nicht leid, trotzdem würde irgendeine Zofe sie sicherlich ersetzen. Nachdenklich zog sich Wyrnné in seine Gemächer zurück, während der Rest von Heimdall nach weiteren Attentätern abgesucht wurde. Altan verharrte vor seiner Tür und würde ihm in den nächsten Tagen sicherlich nicht mehr von der Seite weichen. Wer sie wohl war?, fragte er sich ohne schlechtes Gewissen, während er sich das nächste Buch über Politik entgegennahm als wäre es ein Abend wie jeder andere. Kapitel 8: Todesspiele ---------------------- Seit etwa drei Monaten hatten sie weder etwas von Kelvin gehört noch von Billiana. Bereits vor einem Monat hatte Hammond sich auf den Rückweg von der Drachenfeste gemacht, um sich wieder den Angelegenheiten der Rebellion zu widmen. Es war ihm schwergefallen seine Kinder wieder zurückzulassen, doch eigentlich hatte er auch geglaubt, dass die beiden Anführer bald zurückkehren würden. Langsam mache ich mir Sorgen, dass die beiden sich gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben., gestand sich der Titan seufzend ein. Kel hat so eine Art an sich... Er weiß, wie man Leute auf die Palme bringt! Und auch wenn Billie kein geborener Drache war, würde sie dennoch ein ähnliches Temperament besitzen. Das konnte eine tödliche Kombination sein! Vor allem, wenn sie lange nur zu zweit trainierten. Schon seit Tagen suchte er nach Hinweisen in Götterherz. Getuschel, welches von der Rückkehr des Rebellen sprach oder Sichtungen einer absolut tödlichen Attentäterin. Bisher erfolglos. Jedoch hatte er erfahren, dass auch Wyrnné nach der Elfe suchen ließ. Das ließ Raum für Vermutungen. Entweder sorgte sich der Weltenlenker tatsächlich um sie oder sie war bei ihm aufgetaucht und hatte irgendwas angestellt. Leider hatte er nicht so viele Informanten in Heimdall und die standen dem falschen Gott nicht unbedingt nahe. Einer dieser Informanten hatte ihn nun um ein persönliches Treffen gebeten. Er hatte eine Unterhaltung belauscht, dessen Inhalt er so pikant fand, dass er es Hammond nicht in einem Brief hatte mitteilen wollen. Hoffentlich sind es wirklich wichtige und gute Informationen! Es ist echt gefährlich sich persönlich zu treffen., überlegte der Titan schnaubend. Immerhin suchte zurzeit die halbe Belegschaft des Weltenlenkers nach Billiana. Trotzdem hatten sie einen Treffpunkt vereinbart. Er befand sich außerhalb der Stadt, jedoch relativ nah an den Mauern, um nicht versehentlich auf Räuber zu treffen. Leider barg auch das wieder das Risiko, auf Wyrnnés Wachen zu treffen oder sogar belauscht zu werden. Er wartete nun schon seit gefühlt einer halben Stunde auf seinen Informanten. Nervös begann Hamm auf und ab zu gehen. Er konnte wirklich nicht nachvollziehen, weshalb er sich so massiv verspätete! Immerhin musste doch auch sein Informant wieder rechtzeitig zurück, damit seine Abwesenheit nicht auffiel. Als er ein Sausen in der Luft hörte, wich er instinktiv aus. Und das war gut so! Da, wo er eben noch gestanden hatte, steckten nun Wurfmesser in dem Baumstamm. Nur eine Sekunde später und er hätte mindestens eine Klinge in seinem Kopf stecken gehabt! Ob sie auch durch seine Rüstung gedrungen wäre, wollte er lieber nicht wissen. Atemlos blickte er auf und entdeckte drei Männer. Sie grinsten. Mindestens zwei von ihnen waren Drachenhetzer, während der andere ein Fessler sein musste. Zumindest verriet das seine Waffenwahl... Fessler lernten während ihrer Ausbildung den Umgang mit Wurfmessern, weil sie keine besonders guten Nahkämpfer abgaben. Dafür hatte man ihm aber offenbar die beiden Drachenhetzer gestellt, die ihre Sicheln bereits in den Händen hielten, die an Ketten befestigt waren. Die Widerhaken sahen unfassbar schmerzhaft aus und weckten in Hammond den Wunsch, nicht getroffen zu werden. „Mein Freund taucht also nicht auf.“, schlussfolgerte der Titan und versuchte sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen. Wenn er eines wusste, dann dass diese Bestien sich an seiner Furcht nährten. „Eher nicht.“, erwiderte einer der Drachenhetzer kühl. „Wollt ihr mich nun umbringen?“ „Es könnte darauf hinauslaufen, Essenzmagier.“, kicherte der Fessler. Er spürte seine Magie, auch wenn er sie noch gar nicht eingesetzt hatte. Alles schrie nach Falle und ich habe es nicht mal gemerkt!, verfluchte Hammond sich selbst. Falls er das überlebte, würde er sich zukünftig nicht mehr so von Sorgen ablenken lassen. Hätte er weniger über Kelvin und Billiana nachgedacht, wäre ihm die Sache direkt komisch vorgekommen. Einer der Drachenhetzer preschte voran und holte mit seiner Sichel aus. Hamm konnte sich gerade so darunter wegducken und konnte hören, wie die Waffe einen weiteren Baum malträtierte. Nur riss er diesen fast in Stücke! Zwar war seine Waffe eine halbe Fernkampfwaffe, doch Hammond wusste, dass Drachenhetzer sie auch gerne als vollständige Nahkampfwaffe benutzten. Sie waren wahre Kämpfer! Sie passten sich jeder erdenklichen Situation nahezu perfekt an. Und er hatte es direkt mit zwei von ihnen zu tun... Schnaubend griff Hammond nach seinem Langschwert und zog es aus der Scheide, die er über seinem Rücken befestigt hatte. Gerade noch rechtzeitig, um den Schlag mit der Sichel abzuwehren. Als der andere Drachenhetzer eingreifen wollte, nutzte Hammond dessen Fehler, die Deckung nicht vollständig aufrecht zu haben und riss zahlreiche Felsen aus dem Boden. Wie Geschosse schleuderte er sie auf den Angreifer, der kreischend versuchte, ihnen auszuweichen. Einige der Steine erwischten ihn jedoch und brachten ihn zu Boden. Seinen Kollegen schien das besonders wütend zu machen, denn nun schlug er in einer sehr schnellen Abfolge auf ihn ein. Dem Titan fiel es wirklich schwer, die Angriffe mit seinem Langschwert zu parieren. Er war zu langsam! Immer mal wieder traf die Sichel seine Rüstung und beulte diese ein. Ein paar weitere Treffer und das Metall würde gewiss nachgeben oder ihn einengen. Als der Drachenhetzer zu einem Angriff nach oben ausholte, erschuf Hammond um sich herum eine Rüstung aus Gestein. Laut prallte die Waffe dagegen und ließ den Angreifer angestrengt schnaufen. Seine Hände zitterten nach dem Schlag etwas. Gegen so eine harte Oberfläche zu schlagen, war durchaus unangenehm. Diese Gelegenheit nutzte der Titan und trat dem Drachenhetzer brutal in die Magengegend, sodass er von ihm weggeschleudert wurde. Im nächsten Augenblick musste er sich schon ducken, denn der Fessler hatte versucht, hinter ihn zu gelangen und ihn zu berühren. Wütend drehte er sich in der Hocke nach oben, um den Schwertknauf direkt in das Gesicht des Kleineren zu rammen. Der Fessler strauchelte zu Boden und griff nach seiner blutenden Nase. Just in diesem Moment packte einer der Drachenhetzer ihn von hinten. Hammond begann sich sofort zu wehren und es fiel der Kreatur auch sichtlich schwer, ihn zu halten, aber er schaffte es dennoch die Sichel an seine Kehle anzusetzen. Mit geschlossenen Augen schloss Hamm mit seinem Leben ab. Er sah das Lächeln seiner toten Frau vor Augen und hörte das Lachen seiner Kinder. Dann hörte er-... ein Röcheln! Irritiert blinzelte der Titan und stellte fest, dass der Drachenhetzer ihn nicht mehr festhielt. Ganz im Gegenteil! Die Bestie lag auf dem Boden, während Blut aus einer Schnittwunde direkt an seiner Kehle in den Boden sickerte. Sofort drehte er sich um und sah in das grinsende Gesicht von Kelvin Morgenstern! „Ich... war noch nie glücklicher, dich zu sehen!“, keuchte Hammond atemlos. Er schwitzte bereits durch die Anstrengungen und auch durch seine Nahtoderfahrung. „Ist mir immer wieder eine Freude.“, erwiderte der Rebellenanführer gelassen. Überrascht stellte Hamm fest, dass Kelvin nicht mehr seine üblichen Dolche führte. So oft hatte der Anführer darüber geklagt, dass sie seinen Ansprüchen nicht entsprachen und geschworen, dass er sich vernünftige Waffen schmieden lassen würde. Nur hatte er es nie getan. Nun aber schien der Essenzbeherrscher endlich die alten Teile abgestoßen zu haben. Deshalb konnte er so leicht durch die stabile Haut des Drachenhetzers schneiden... Diese Waffe ist eindeutig mit Mithril hergestellt worden!, dachte der Titan anerkennend. Ehrfürchtig musterte er die Dolche und wünschte sich, dass er auch so ein hochwertiges Schwert hätte. Der andere Drachenhetzer ließ ihnen aber keine weitere Zeit zum Bewundern und Freuen. Zornig wollte er sich auf Kelvin stürzen, der im letzten Moment einen Seitenschritt machte und seinen Umhang nutzte, damit die Waffe des Hetzers sich darin verhedderte. Diesen Schachzug kannte er sonst von Billie! Geschickt drehte sich der Rebellenanführer herum und riss den Drachenhetzer durch den Schwung mit sich. Während dieser fassungslos versuchte, seine Waffe aus dem Stoff zu befreien, trat Kelvin ihm direkt in die empfindliche Seite. Auch der Essenzbeherrscher machte den Fehler, dass er den Fessler zu lange aus den Augen ließ. Plötzlich berührte dieser den Anführer, der den überheblichen Fessler direkt in die Augen stierte. „Ohne Magie hältst du dich wohl nicht mehr für so toll?“, spottete die Bestie. „Hast du mich gerade Magie einsetzen sehen?“, hakte Kelvin nach und begann kalt zu grinsen. Bevor der Fessler überhaupt begriff, dass er einen Fehler gemacht hatte, rammte Kelvin ihm bereits seinen Dolch vom Kinn direkt in den Schädel. Gnadenlos riss er die Waffe zurück, was aus der Wunde Blut und Hirnmasse strömen ließ, während die Kreatur tot zu Boden sackte. Derweil hatte es der Drachenhetzer jedoch geschafft, sich aus dem Umhang zu befreien, der nun diverse Löcher und Risse von der Sichel aufwies. Der Rebellenanführer scherte sich nicht darum, der stattdessen den nächsten Angriff mit überkreuzten Dolchen parierte. Hammond wusste, dass er ihm eigentlich helfen sollte, doch er stand einfach nur da! Mit offenem Mund starrte er. Irgendwie konnte er nicht fassen, wie sehr der Rebell sich in den drei Monaten verändert hatte. Wie beeindruckend seine Fähigkeiten geworden waren! Ohne Magie... Kelvin schien sich nicht an der unterlassenen Hilfestellung zu stören. Grinsend trat er lieber immer wieder nach dem Drachenhetzer, der versuchte dem Fuß auszuweichen. Einige Male gelang ihm das auch, doch weil er weiterhin Druck mit seiner Sichel auf die Dolche ausübte, kam er nicht besonders weit weg von dem Essenzbeherrscher. Kurz darauf schaffte es der Blondschopf, den Hetzer immer wieder zu treffen. Jeder Tritt schien brutaler als der vorherige zu sein und zwang den Angreifer schließlich, doch zurückzuweichen. Der Rebellenanführer setzte der Kreatur direkt nach und begann eine schnelle Schlagabfolge mit seinen Dolchen, die der Hetzer nur mit Mühe und Not parieren konnte. Hammond meinte sogar, dass er zu schwitzen begann, was er noch nie bei diesen Bestien beobachtet hatte! Just im nächsten Herzschlag schien Kel seine Magie zurückzubekommen, denn plötzlich schossen Steine, die Hamm zuvor noch selbst eingesetzt hatte, hinter ihm hervor und prasselten auf den schreienden Drachenhetzer ein. Blut spritzte, während er sich taumelnd zu retten versuchte. Auch diesen Moment der Schwäche nutzte der Rebell gnadenlos aus, um nun mit seinen Dolchen mehrere Schnitte zu setzen, die sauber durch die Schuppen gingen. All das schwächte die Kreatur so sehr, dass sie tatsächlich sogar zu fliehen versuchte. Kelvin war kein Ehrenmann, wenn es um Kämpfe ging und eigentlich hatte Hammond damit gerechnet, dass er den Drachenhetzer von hinten erdolchen würde, doch stattdessen glitt er um ihn herum, indem er die Schnelligkeit der Winde nutzte. Von Angesicht zu Angesicht schnitt er die Kehle des Angreifers auf. Der Titan konnte den entsetzten Blick des Drachenhetzers erst sehen, nachdem er röchelnd auf seine Knie gesunken war. Sein Leben verließ ihn dabei zusehends. Es tat ihm nicht leid um ihn... Immerhin hatte er gerade mit seinen Freunden versucht, ihn umzubringen! Dennoch gefiel ihm der Anblick vom Tod nicht. „Bist du verletzt?“, erkundigte sich Kelvin lässig, während er die Leichen nach nützlichen Gegenständen absuchte. Alles, was irgendwie brauchbar schien, steckte er ein, einschließlich von ihren Waffen. „Du hast gerade problemlos drei von diesen Bestien erlegt und fragst mich ernsthaft, ob ich verletzt bin?!“, fragte der Titan mit trockenem Mund. „Bist du verletzt? Bist du überhaupt Kel?!“ „Na ja... Die waren nun nicht besonders hochrangig.“ Der Rebellenanführer riss die Kleidung der toten Angreifer auf und zeigte ihm die Brandmale auf den Brustkörben der Hetzer. Sie waren wirklich vom niederen Rang gewesen, was sie aber nicht weniger effektiv machte. Immerhin hätten sie Hammond gerade noch fast umgebracht! „Und nein... Ich bin nicht verletzt.“, lächelte der Blondschopf, nachdem er alles abgesucht hatte. „Ich bin immer noch Kel. Ich habe nur sehr viel gelernt... Die Ausbildung war hart.“ „Sie muss mehr als hart gewesen sein! Du hast so gut wie keine Essenzmagie benutzt... Du bist sonst nur am Zaubern!“ „Witzig... Dass hat Billie auch ständig gemeint.“ „Ist Billie auch wieder zurück?“ „Ehrlich gesagt: Ich habe Billie seit etwa einem Monat nicht mehr gesehen.“, gestand Kelvin nachdenklich. „Meister Ragnar hatte meine Ausbildung abgeschlossen und mir geraten, nach Hause zurückzukehren und nicht auf sie zu warten. Er meinte, sie verschwindet gerne mal... Nach einer Woche habe ich beschlossen, dass er wohl recht hat.“ „Sie ist einfach weg?“ „Sie meinte, dass sie irgendwas zu erledigen hätte und ließ mich mit diesem Drachen alleine.“ „Du hast-... Du meinst wirklich den Meister Ragnar? Vom Drachenhort?“ „Gibt es noch einen weiteren?“ „Nein, natürlich nicht.“, stöhnte der Schwarzhaarige empört. „Aber er ist im Ruhestand! Meister Ragnar bildet keine Magier und Drachen mehr aus... Doch er gehörte zu den besten Ausbildern des Drachenhorts.“ „Nun, für Billie hat er gerne eine Ausnahme gemacht.“, kicherte Kelvin amüsiert. „Aber er hat es ziemlich schnell bereut. Hat sich nicht gerne mit mir herumgeschlagen.“ „Kann ich verstehen.“ „Wir sollten nun lieber verschwinden.“ „Ja... Ja, das sollten wir.“, gab er zu. „Wo die sind, sind noch weitere.“ Hammond sah sich trotzdem nochmals misstrauisch um. Er wollte kein zweites Mal von den Bestien des Weltenlenkers überrascht werden, auch wenn Kelvin offenbar keine Probleme mehr mit ihnen hatte. Zu seiner großen Erleichterung schafften sie es ohne weitere Zwischenfälle zurück nach Götterherz. Die Leichen würden sicherlich schon bald von irgendwelchen Patrouillen gefunden werden. Es dürfte den Weltenlenker gar nicht gefallen, dass er drei auf einen Schlag verloren hatte! Durchaus zufrieden sperrte er die Tür zu seinem kleinen Haus auf und ließ Kelvin hinein. Wie immer hielt sich niemand in der Nähe auf, sodass der Titan ihm rasch folgte. Hinter sich verriegelte er die Tür, um anschließend ein Feuer im Kamin zu entfachen. „Was hast du alles gelernt?“ „Hauptsächlich ging es darum, dass ich lerne ohne Magie auszukommen.“, gab Kelvin zu. „Billie meinte, dass ich süchtig nach Magie bin und ich denke, dass sie recht damit hatte.“ „Und jetzt?“ „Jetzt bin ich wohl nicht mehr süchtig, aber Ragnar meinte, dass ich vorsichtig bleiben muss.“ „Was hat dir der Meister alles beigebracht?“, wollte Hamm wissen. Immerhin hatte er auch einst im Drachenhort gelernt, wie er seine Magie besser lenken konnte. Die Ausbildung war lang und hart gewesen. Definitiv länger als ein Monat! „Er hat mir beigebracht, wann und wie ich Magie einsetzen sollte. Die richtige Dosierung zum richtigen Moment.“, kicherte der Blondschopf. „Ich hatte die blöde Angewohnheit, meine Magie aus weiter Entfernung einsetzen zu wollen. Er hat mir klar gemacht, dass meine Gegner so viel leichter ausweichen können.“ „Mehr nicht?“ „Vielleicht hat er mir auch ein bisschen das Feuer ausgeprügelt...“ „Ausgeprügelt?“, hinterfragte er überrascht. Die Drachen Midgards neigten nicht gerade zur Gewalt, sondern waren eher friedlich. Sah man von ihrem Temperament ab... „Ja, wir haben uns fast täglich duelliert und er hat mich ziemlich fertiggemacht.“ „Du hast dich mit Meister Ragnar duelliert?!“ „Ja, habe ich...“, gab er nachdenklich zu. „Und ich habe ihn am Ende endlich besiegt. Davor waren das echt viele harte Niederlagen... War gar nicht gut für mein Ego!“ Unfassbar... Er hat einen der mächtigsten Drachen im Duell besiegt!, sinnierte Hamm mit offenem Mund. Kel hat keine Ahnung, wie besonders ihn das macht. Noch besonderer als sowieso schon! „Billie hat mir aber jede Menge Informationen über den Weltenlenker geliefert.“, berichtete Kelvin nicht ohne Stolz. „Wir sollten also ein Treffen ansetzen, damit ich einen ausführlichen Bericht abgeben kann. Was wir davon alles überhaupt für uns nutzen können, weiß ich jedoch nicht.“ „Ich werde mich darum kümmern.“ „Hast du etwas zu Essen da? Ich verhungere! Die Rückreise war echt lang...“ „Klar! Ich mache uns etwas. Dann kannst du mir ausführlicher berichten, was alles vorgefallen ist.“, lenkte Hammond direkt ein. Er wollte nicht so lange warten, bis sie ein Treffen des Herzens der Rebellion hatten. Rasch eilte er in seine kleine Küche, um direkt Essen zu schneiden und Kessel aufzusetzen. Normalerweise kochte er nicht gerne spontan, aber wenn es die Zunge des Rebellenanführers lockern könnte, wollte er mal nicht so sein. Offenbar war in den letzten drei Monaten eine Menge geschehen, was eine richtige Transformation bei Kelvin ausgelöst hatte! Vielleicht können wir den Weltenlenker wirklich besiegen und uns für alles rächen, was er uns genommen hat., überlegte Hamm hoffnungsvoll. Zum ersten Mal seit Jahren glaubte er endlich wieder an den möglichen Erfolg der Rebellion. Nicht, weil der Rebellenanführer es ihm einredete, sondern weil er heute etwas gesehen hatte, was er noch nie gesehen hatte. Er sah einen Menschen, der so mächtig wie der Weltenlenker selbst schien. Vielleicht sogar mächtiger, weil er etwas hatte, was er nicht besaß... Gefühle.   Billiana wusste sofort, dass entweder träumte oder sich in einer Art Vision befand. Als sie zu sich kam, war sie plötzlich im Kolosseum von Götterherz und die Menge jubelte um sie herum. Das war es jedoch nicht, was die Elfe davon überzeugte, dass das alles nicht real war, sondern die Tatsache, dass die Menschen einfach durch sie durchgingen. Es tat nicht weh, wenn die Zuschauer durch sie wanderten und auch sonst spürte sie rein gar nichts, aber es war irgendwie eigenartig. Bisher hatte Billie so etwas noch nie selbst erlebt, jedoch hatte sie durchaus Berichte von derartigen Visionen studiert. Neugierig sah sie sich um. Alle Sitzplätze und Logen waren belegt, ebenso wie die Stehplätze. Einige Adlige mussten sogar auf eine Loge verzichten und saßen auf den einfachen Plätzen! Natürlich mit angewiderten Gesichtern. Als sie sich genauer umsah, konnte sie Wyrnné in der Loge ausmachen, in der sich auch Lord Optimus befand. Der beleibte Leiter des Kolosseums wirkte jünger und gepflegter als heutzutage, was ihren Verdacht bestätigte, dass sie eine Vision hatte. Okay... Was willst du mir schenken, Shiva? Oder eher zeigen..., überlegte die Blondine ernst. Bei diesem Aufgebot an Zuschauern, konnte es sich nur um eine Veranstaltung handeln: Die Todesspiele. Hierfür kam wirklich jeder Reiche, Adlige und sogar einige Könige angereist, um sich an dem Schauspiel zu erfreuen. Billie war einmal selbst anwesend gewesen. Ihr hatte es den Magen umgedreht! Die Todesspiele verfolgten nur einen Zweck: Angst verbreiten. Angst davor, den Weltenlenker und seine Anhängerschaft zu verraten. Angst davor, durch die Hand des falschen Gottes gerichtet zu werden. Doch vor allem Angst um seine eigene Familie. Die Teilnehmer dieses Arena-Kampfes waren ausschließlich Kinder und Jugendliche von verurteilen Verrätern. In der Regel waren sie nicht älter als sechszehn Winter, aber auch nicht jünger als sieben Winter... Alle von ihnen durften keine Magiebegabung besitzen, wurden aber zur Sicherheit zuvor von einem hochrangigen Fessler berührt. Selbstverständlich waren die meisten Kinder unerfahren im Kampf! Sie hatten zuweilen höchstens mal eine Mistgabel oder Schaufel gehalten, aber gewiss kein Schwert. Trotzdem drückte man ihnen alle möglichen Waffen in die zittrigen Hände. Vor etwa zweihundert Jahren hatte Wyrnné dieses Blutgemetzel eingeführt. Er wollte den Rebellen und Verrätern damit klarmachen, dass ihr Handeln Konsequenzen für alle hatte. Vor allem aber für ihre Kinder... Anfangs hatte es wunderbar funktioniert. Die Aufstände gegen den Weltenlenker waren weniger geworden mit jedem weiteren Todesspiel, doch irgendwann kippte das natürlich. Die Menschen und Nichtmenschen, die gegen ihn waren, wurden unfassbar wütend darüber, dass Kinder für die Verbrechen ihrer Eltern bestraft wurden. Es gab ihnen weitere Argumente, um gegen den falschen Gott vorzugehen und weitere Anhänger für ihre Sache zu gewinnen. Letztendlich hatte er also das Gegenteil von dem bewirkt, was er erreicht haben wollte. Trotzdem setzte er die „Tradition“ fort, um die Blutgier seines Volkes zu befriedigen. Wenn man eines über Menschen sagen konnte, dann, dass sie sich am Leid anderer Wesen wunderbar ergötzen konnten. Egal, ob diese Lebewesen Menschen, Nichtmenschen oder Tiere waren. Ihnen ging es nur darum, den Schmerz in ihren Augen zu erblicken und zu beobachten, wie sie qualvoll starben. Tief holte sie Luft, während sie die Tribüne entlangwanderte und nach etwas suchte, was Shiva ihr zeigen wollte. Noch war nichts ungewöhnlich. Zumindest, wenn man die Abartigkeit des kommenden Spektakels außer Acht ließ... „Seid alle herzlich Willkommen zu weiteren Todesspielen, meine Damen und Herren!“, begann Lord Optimus schließlich den Anfang des Kampfes einzuleiten. „Wir haben wieder zahlreiche Verräter festnehmen können und deren Kinder werden uns heute mit viel Freude erfüllen!“ Das Publikum jubelte begeistert, als sprach er davon, dass er ihnen allen Goldbarren schenken wollte. Es war widerlich. Billie spürte, wie ihr die Galle hochkam. „Wir haben heute den Sohn einer besonders widerlichen Familie im Angebot.“, fuhr der Leiter des Kolosseums charismatisch fort. „Kelvin Morgenstern aus dem gefallenen Haus Morgenstern!“ Einige Wachen schubsten den Jungen in die Arena. Die Zuschauer buhten und warfen altes Gemüse herunter, verfehlten jedoch meistens ihr Ziel. Fassungslos beugte sich Billiana über das Geländer und starrte herunter. Kelvin musste gerade mal dreizehn Winter alt sein, vielleicht sogar etwas jünger. Sein Gesicht war vor Furcht verzogen, während sein ganzer Körper bebte. In seinen klammen Fingern hielt er zwei alte Dolche, dessen Umgang dieses Kind gewiss nicht gelernt hatte. Man hatte sie ihm vermutlich einfach vorher gegeben, damit er ein besseres Feindbild abgab. Nichts an Kelvin deutete darauf hin, dass er irgendeine magische Begabung hatte. Dass es nur einen Grund für ihn gab, zu glauben, dass er diesen Kampf überleben könnte. Soweit die Elfe wusste, entdeckte er seine Begabung erst während der Kämpfe, was sehr ungewöhnlich war. Magie entstand nicht über Nacht! In der Regel erkannte man einen Magiebegabten schon bei seiner Geburt, weil er Dinge geschehen ließ. Manche entdeckten ihr Potenzial im Kleinkindalter... Jedoch kam es nie vor, dass die Magie erst zum Vorschein kam, wenn dessen Träger fast erwachsen war. Sie konzentrierte sich und konnte kein magisches Pulsieren um oder in ihm entdecken. Verwirrt sah sich die Attentäterin um, konnte aber bei einigen Zuschauern und vor allem unter den Adligen genau dieses Pulsieren finden. Es lag also nicht daran, dass sie nicht wirklich hier war. Shiva erlaubte ihr diesen Blick. Wie ist das möglich?, fragte sich die Langhaarige fassungslos. Wenn ich mich nicht irre, dann ist er wirklich nicht als Magier zur Welt gekommen! „Wir konnten Kelvins Bruder bisher leider nicht auftreiben, damit er ebenfalls an den Todesspielen teilnehmen kann.“, gestand Caesar Optimus mit merklicher Enttäuschung. „Aber bis es soweit ist, wollen wir uns zumindest an Kelvin Morgensterns Anblick ergötzen!“ Einige buhten, weil der zweite Sohn der Morgensterns sich noch entzog, während die anderen darüber jubelten, dass sie zumindest Kelvin beim Sterben zusehen durften. Lord Optimus rief noch weitere Namen von Verrätern auf, dessen Kinder hier heute antreten mussten. Sie alle waren viel zu jung für derartige Widerlichkeiten und jeder hatte eine Waffe in den zittrigen Fingern. Äxte, Schwester, Dolche, Bögen... Die Wachen des Kolosseums schubsten die Kinder an bestimmte Punkte, die zuvor geplant worden waren. Niemand sollte zu dicht an dem anderen sein und gleichzeitig sollte jeder Zuschauer zumindest zwei oder drei der Kinder gut erkennen können. Das hier war vor allem eine Schau. „Mögen die Todesspiele beginnen!“, verkündete der Leiter des Kolosseums und die Menge jubelte und tobte. Obwohl die Kinder und Jugendlichen anfangs zögerten, stürzten sie dann doch los. Billiana wusste, dass man sie vor den Kämpfen mental gefoltert hatte, indem sie ihren Eltern beim Sterben durch die Inquisitoren zusehen mussten. Dabei wurde ihnen versichert, dass ihnen dasselbe Schicksal blühen würde, wenn sie nicht in der Arena kämpften. Wie bitter es auch sein mochte, erfuhren sie in den Todesspielen vermutlich wirklich einen gnädigeren Tod als durch die Inquisitoren. Natürlich verblutete das ein oder andere Kind, doch meistens versuchten die Kinder einander rasch zu erlösen. Die ersten Teilnehmer starben bereits röchelnd an den Klingen der anderen Kinder. Die Zuschauer bejubelten das und erfreute sich an den Blutlachen, die im Sand zu versickern begannen. Billie suchte nach dem jungen Kelvin. Er war klug! Statt die direkte Konfrontation zu suchen, rannte er durch die Arena und duckte sich immer mal unter Angriffen weg. Er lenkte die Aufmerksamkeit stets auf andere Teilnehmer. Es war vielleicht keine mutige Tat, doch zumindest half sie dem Blondschopf bis zum Schluss zu überleben, während die anderen Kinder starben. Am Ende waren nur noch fünf Kinder übrig, die sich teilweise die Waffen der Verstorbenen geschnappt hatten. Kelvin zitterte am ganzen Körper, während er die Dolche so fest umklammerte, dass seine Gelenke schon weiß wurden. Trotzdem versuchte er seine bisherige Taktik fortzusetzen. Es funktionierte auch bei zwei weiteren Kindern, sodass nur noch drei übrig waren – einschließlich ihm selbst. Nur wussten die beiden anderen nun, dass er bisher alle gegeneinander ausgespielt hatte. Es würde nicht mehr funktionieren. Der eine Junge kam mit der Axt in beiden Händen direkt auf Kelvin zu, während das Mädchen mit einem Schwert noch etwas auf Abstand blieb. Sie wollte es wohl die Jungs erstmal untereinander austragen lassen, damit sie den Sieg erringen konnte, wenn sie beide geschwächt waren. Vielleicht so verletzt, dass sie sich gar nicht mehr wehren konnten! Kelvin hatte es schwer. Immer mal wieder schaffte er es, der Axt zu entgehen, doch leider erwischte die Klinge ihn immer mal wieder. Es riss tiefe Wunden, was dem Jungen Tränen in die Augen trieb, dessen Gegenangriffe alle ins Leere liefen. Es war ein erbärmlicher Anblick, der durch das Buhen des Publikums nur noch schlimmer wurde. Alle gierten nach Blut. Alle wollten sehen, wie Kelvin Morgenstern in der Arena fiel! Selbst dieser Junge mit der Axt wollte es, damit er vielleicht selbst überlebte. Vorsichtig kletterte die Blondine über die Brüstung und sprang runter in die Arena. Sie wollte einen besseren Blick auf das Geschehen haben. Ihre eisblauen Augen wanderten über die zahlreichen leblosen Körper. Die Kinderaugen waren vor Entsetzen weit aufgerissen und starrten größtenteils hohl in den Himmel. Das andere Mädchen, das noch lebte, wirkte ebenso entsetzt über diese Ereignisse. Trotzdem ließ sie ihre Waffe nicht fallen. Jener, der mal unter Geflüster als der Auserwählte bekannt sein würde, schien bald mehr tot als lebendig zu sein. Kelvin konnte sich kaum noch auf den Füßen halten. Er blutete überall! Müsste er nicht langsam seine Magie entdecken?, fragte sie sich ernsthaft besorgt. Immer noch fand sie kein magisches Pulsieren an ihm. Nichts! Er war immer noch ein gewöhnlicher Junge, der keinerlei Kampferfahrungen aufwies. Ein Junge, der um sein Leben bangte. Um seine Eltern trauerte... Der Knabe mit der Axt trat Kelvin hart zu Boden. Er ächzte furchtbar und versuchte sich wieder hochzurappeln, schaffte es aber nicht. Er wurde überwältigt von Schmerzen! Wieso erwachst du nicht?, dachte Billiana entsetzt. Du müsstest doch längst erwachen und die Spiele für dich entscheiden! Nichts geschah... Der Junge mit der Axt stellte sich über den winselnden Kelvin und war bereit, ihm den Kopf von den Schultern zu trennen. Er hob die Waffe schon über seinen eigenen Kopf und war bereit es zu beenden. Impulsiv stürmte Billie heran. Ihr war klar, dass sie in dieser Vision rein gar nichts tun konnte, doch sie hatte auch keine Kontrolle über sich! Sie brauchte Kelvin... Wenn er hier starb, dann endete alles. Auch wenn ihr nicht klar war, weshalb sie das glaubte, doch irgendwie war sie sicher, dass es stimmte. Ihre Finger glitten auf die Brust des Jungen und die Zeit um sie herum schien stillzustehen. Unter Tränen glitten die blauen Linien aus ihren Fingerkuppen direkt in den Körper des halbtoten Kelvins. Zu ihrer großen Überraschung schlossen sich alle Wunden wie von selbst. Mehr noch! Sie spürte, dass sie etwas auf ihn übertrug. Etwas sehr, sehr Mächtiges, was sie in sich gespeichert gehabt hatte. „Du darfst nicht sterben...“, keuchte sie weinend und spürte diese Panik, die sie seit Argrims Tod nicht mehr gespürt hatte. Plötzlich begann die Zeit wieder ganz normal voranzuschreiten und sie hörte den Kriegsschrei des Knaben, der Kelvin enthaupten wollte. Doch statt ihn zu köpfen, schlug ihm ein Meer aus Flammen entgegen und ließen ihn aufschreien! Die Menge verstummte. Atemlos beobachteten sie, wie der Junge einfach verbrannte und der Erbe der Morgensterns sich unverletzt erhob. Keine einzige Wunde war mehr an ihm. Nun entdeckte Billiana das magische Pulsieren. Es war so deutlich, dass sie beinahe davon erdrückt wurde! Zu neuen Lebensgeistern erweckt, schritt Kelvin direkt auf das Mädchen zu, das panisch schrie. Obwohl sie Bedauern in seinen blauen Augen sehen konnte, riss er dennoch Steine aus den Mauern des Kolosseums, um das Kind einfach darunter zu begraben. Die Attentäterin konnte hören, wie das Mädchen langsam erstickte. Auf einmal war Kelvin Morgenstern der einzige Überlebende in der Arena, doch keiner jubelte. Mit offenen Mündern starrten sie auf ihn herab. Anschließend drehten sich alle zu Wyrnné, der sich von seinem Platz erhoben hatte und ebenso fassungslos herunterschaute. Es gab ein Versprechen... Man sagte den Kindern, dass wenn sie die Todesspiele als letzter überlebten, sie begnadigt wurden. Natürlich kam das nie vor! Entweder töteten sich die letzten Kinder gegenseitig oder der letzte Überlebende erlag seinen schweren Verletzungen. Niemand überlebte die Todesspiele. Schon gar nicht unverletzt! Doch da stand er. Der blondhaarige Junge war vollkommen unverletzt und hatte unerwarteter Weise Magie in sich gefunden. Jene, die ihm das Leben gerettet hatte. Das Feuer... Es hat ihn gerettet., erkannte Billie mit trockenem Mund. Keine der anderen Essenzen hätte bei so wenig Zeit so effektiv sein können. Deshalb greift er so gerne darauf zurück... Weil er sich an jenen Augenblick erinnert, als er eigentlich hätte tot sein müssen und das Feuer ihn rettete. „Schummler!“, begann die Meute schließlich zu schreien und sie warfen wieder mit Gemüse. „Betrüger!“ „Bastard!“ Wenn man eines über Menschen sagen konnte, dann, dass sie wahnsinnig schlechte Verlierer waren. Keiner von ihnen gönnte Kelvin seinen Sieg. „Ruhe!“, schrie Lord Optimus plötzlich. „Die Regeln besagen, dass der letzte Überlebende begnadigt wird! Jedoch sind auch keine Magiebegabten zugelassen. Großer Weltenlenker, wie fällt Euer Urteil? Soll er dennoch begnadigt werden?“ „Nein!“, schrien die Menschen. „Er muss sterben!“ „Keine Gnade!“ Wyrnné wirkte inzwischen wieder gefasster, während er sich über das Geländer beugte und in die Augen von Kelvin starrte. Er schien etwas darin zu suchen. Vielleicht die Möglichkeit, ob dieser Junge sich brechen und unterwerfen ließ. Essenzbeherrscher waren sehr selten und konnten unglaublich machtvoll werden. Sie mussten ihre Fähigkeiten nur richtig einzusetzen lernen, dann konnte man sie wunderbar als Ein-Mann-Streitmacht ins Feld schicken. Der Weltenlenker wusste das. Doch es brauchte auch nur einen aufmüpfigen, rebellischen Essenzbeherrscher, um wahres Chaos über sein Reich zu bringen. Ein Kelvin Morgenstern genügte, um die gesamte Weltordnung auf den Kopf zu stellen. „Er ist ein Betrüger...“, begann er schließlich trocken zu verkünden. „Was sagt ihr? Soll er dennoch begnadigt werden?“ „Nein!!!“ „Auf keinen Fall!“ Das Publikum tobte, doch vor allem gierte es nach Blut. Selbst wenn Kelvin ohne Magie gewonnen hätte, wäre er zum Tode verurteilt worden. Nur, um diese Barbaren zu belustigen. Bedauerlich, wie Billiana fand. Die Menschen hatten einst wirklich Potenzial gehabt, doch sie wurden schnell schlimmer als die Unterweltler. Was als nächstes geschah, hatten diese Leute keineswegs besser verdient. Kelvin erkannte, dass er die erhoffte Begnadigung niemals erhalten würde. Nicht mal, wenn er bettelte. Nicht mal, wenn er vor dem Weltenlenker das Knie beugte und seine Treue schwor! Dieses Kind wusste, dass er für den Rest seines Lebens ein Geächteter sein würde. Statt darüber zu trauern, entfachte er das Feuer erneut, als die Wächter des Kolosseums mit gezückten Waffen auf ihn zukamen. Voller Wut entbrannte er ihre schreienden Leiber zu lebenden Fackeln, ehe er erneut einige Felsen aus den Mauern des Kolosseums riss, um sie gnadenlos in die Zuschauermengen zu schleudern. Panik brach aus! Kelvin steckte das halbe Kolosseum in Brand und schleuderte auf jeden, der es wagte, ihm zu nah zu kommen, Felsen. Das Chaos verhinderte, dass Wyrnné oder seine Leibwächter richtig eingreifen konnten. Sie mussten vielmehr dafür sorgen, dass er selbst in Sicherheit gebracht wurde, weil die Arena drohte einzustürzen. Es war ein fesselnder Anblick, der die Attentäterin nicht losließ, die immer noch unten in der Arena stand. Sie konnte das Chaos aus der Perspektive von Kelvin beobachten. Es dauerte nicht lange, dann hatte er ein Loch in das Kolosseum gerissen, durch das er entkommen konnte. Um keine Verfolger zu zulassen, ließ er den Tunnel im Anschluss zusammenbrechen, während die Menschen weiterhin panisch umher eilten. Die Soldaten des Kolosseums versuchten derweil, die ganzen Zuschauer in Sicherheit zu bringen und die zahlreichen Brände zu löschen. Eines war sicher: Die Reparatur der Arena musste unfassbar kostspielig und langlebig gewesen sein. Kelvin Morgenstern hatte kaum einen Stein auf dem anderen belassen. Mit einem Lächeln auf den Lippen verschwammen die zahlreichen Bilder des damaligen Grauens. Plötzlich stand die Lichtgestalt von Shiva vor ihr, mit ihrem üblichen kühlen Gesicht. „Dachtest du ernsthaft, dass nur Wyrnné Gaben vergeben kann?“, fragte sie kalt. „Du hast Zeit und Raum überwunden, um Kelvin nicht einfach nur zu retten, sondern um ungeahnte Fähigkeiten in ihm zu wecken.“ „Aber wie? Ich konnte mich nicht daran erinnern!“ „Weil du es bis eben nicht getan hast. Noch nicht wirklich... Du hast die Zeit überwunden, um das zu tun.“ „Ich wusste nicht mal, dass ich das kann...“, gab Billie heiser zu. „Wie konnte ich etwas tun, ohne zu wissen, wie es geht?“ „Du bist nicht nur ein Splitter von uns Göttlichen, Billie, sondern zusätzlich noch meine Wiedergeburt. In dir steckt viel mehr als du selbst wahrhaben möchtest.“ „Das beantwortet meine Frage nicht.“ „Du wirst dich daran erinnern, wenn du in dich gehst.“, sagte die Schöpfermutter geheimnisvoll. „Wenn du bereit bist, kehre zum Raum der Spiegel zurück und hole dir den Schild der Götter ab. Bis dahin vergiss nicht, was ich dir gezeigt habe. Kelvin Morgenstern mag die ausführende Kraft gewesen sein, doch er hat sich nicht alleine gerettet. Ohne dich, wäre er gestorben. Vergiss‘ das niemals.“ Plötzlich wurde alles um sie herum dunkel und die Stimme von Shiva ging in einem Hallen unter. Doch die Bilder dessen, was sie heute getan hatte, begleiteten sie bis tief in die Finsternis. Oftmals mochte sie sich mit Shiva nicht einig sein, doch sie hatte recht mit der Tatsache, dass die Elfe das Leben von Kelvin gerettet hatte. Vielleicht wusste sie noch nicht, wie genau sie die Essenzmagie in ihm geweckt hatte und wie sie Zeit und Raum überwunden hatte, um dies zu tun, doch die Tatsache war nicht von der Hand zu weisen. Wenn die Schöpfermutter nicht log, dann würde ihr dieses Wissen helfen, damit ihr etwas anderes klar wurde. Etwas, was dann dafür sorgte, dass sie den Schild der Götter zurückerhielt. Bis es soweit war – das schwor sich Billiana feierlich – würde sie Kelvin Morgenstern beschützen. Was immer sie in ihm sah, musste behütet werden. Er schien der Schlüssel zu allen unbeantworteten Fragen zu sein!   Die Welt bot plötzlich ganz viele neue Möglichkeiten, wenn man nur bereit war, die Augen dafür zu öffnen. Kelvin musste zugeben, dass er all die Jahre ein Blinder gewesen war! Sein andauernder Zorn und sein Wunsch nach Rache hatten ihn nicht erkennen lassen, dass seine Fähigkeiten schon lange hätten gesteigert werden können. Ragnar hatte ihm gezeigt, dass Magie mehr war, als bloße Geschosse, die man auf Feinde schleudern konnte. Er hatte ihm gezeigt, dass er Angreifer nicht zwingend verbrennen musste, sondern es mehr Wege gab, um sich mit Hilfe seiner Kräfte durchzuschlagen. Oder sie gar nicht erst zu brauchen... Billiana hatte ihm gezeigt, dass seine kämpferischen Fähigkeiten gut waren, aber bei weitem nicht so gut, wie sie es hätten sein können. Sie hatte ihm die Feinschliffe des Attentäter-Daseins gelehrt. Ihm gezeigt, dass seine Dolche nicht nur Waffen waren, sondern auch zur Verlängerung seiner Arme werden konnten. Ihr verdankte er seine neuen Klingen, denn sie hatte darauf bestanden, dass er angemessene Waffen führte. Perfekt ausbalanciert! Doch nicht nur das hatte sie ihm gezeigt, sondern auch, wie man unentdeckt schlich. Wie er seine Sinne einsetzen konnte, um sich ungesehen durch Gänge zu bewegen. Oder wie er in einer Masse an Menschen untertauchte ohne wahrgenommen zu werden. Selbstverständlich probierte er nun laufend seine neu erworbenen Kenntnisse aus. Kelvin wollte wissen, wie weit er gehen konnte und wie sehr das Training ihn verändert hatte. Aber nicht nur deshalb schlich er gerade durch Lebenswelts Palast. Natürlich war es reizvoll zu erproben, ob er ohne Verkleidung und ohne Hilfe unbemerkt zu ihr gelangen konnte, doch er wollte ihr auch die neusten Entwicklungen offenbaren. Sie davon überzeugen, dass es an der Zeit war, sich ihrer Sache anzuschließen. Geschickt huschte er von Gang zu Gang und verschwand manchmal in ungenutzten Räumen oder Nischen. Billie hatte ihm klar gemacht, dass seine Sinne niemals so scharf sein würden wie ihre, weshalb er immer mehr als einen nutzen musste. Selbst wenn er einen Sinn verlieren würde, würde er sich niemals mit einer Elfe messen können. Das verstand der Rebellenanführer, der deshalb nicht nur nach Rüstungen, Waffen oder Schritten lauschte, sondern immer mal vorsichtig um Ecken spähte. Manchmal reichte es auch, wenn er auf die Bewegungen des Windes achtete. Dieser konnte einem auch mal Gerüche zuspielen. Nicht viele Wächter wuschen sich, weshalb sie oft von einer Gestank-Wolke umgeben waren. Trotz seiner bisherigen Erfolge war er überrascht, als er tatsächlich die Gemächer von Lebenswelt erreichte ohne den Alarm auszulösen. Er hatte nicht mal jemanden ausknocken müssen! Kelvin kam sich wie ein neuer Mensch vor. Grinsend beobachtete er die Tür, hinter der er die angebliche Göttin vermutete. Wenn er eines über diese Götter wusste, dann war es die Tatsache, dass ihre Priester ständig um sie herum waren. Vor allem ihr oberster Priester, der für das Wohlergehen ihrer Gottheit zuständig war. Eigentlich sind die Priester auch nur Diener... Narren, die irgendwelche falschen Götter bespaßen müssen, damit sie nicht auf die Idee kommen, die Welt zu vernichten., sinnierte der Blondschopf mit Abneigung. Sich mit einem dieser Bestien zu verbünden, gefiel ihm gar nicht, aber er wusste auch, dass sie Lebenswelt brauchen würden. Endlich kam Melvyn aus dem Zimmer heraus. Ein paar Gegenstände wurden ihm unter Geschrei nachgeworfen und er entschuldigte sich mehrmals. Ihm folgten ein paar wimmernde Zofen. Offenkundig wollte die Göttin alleine sein. Kelvin schloss seine Augen und lauschte. Erst als er sich sicher war, dass die Gruppe sich weit genug entfernt hatte, linste er vorsichtig um die Ecke. Es war niemand mehr zu sehen, also eilte er zu der Tür, um sie leise aufzuziehen und in den Raum zu schlüpfen. „Was denn noch, Mel?!“, keifte die Weißhaarige und drehte sich um. Sie war überrascht darüber, dass es nicht Melvyn war, der ihr Zimmer betrat. „Tada!“, sagte Kelvin und breitete grinsend die Arme aus. „Damit habt Ihr wohl nicht gerechnet?“ „In der Tat.“ „Und dieses Mal habe ich auch keinen Eurer Diener niedergeschlagen.“ „Bedauerlich...“, murrte Fiona von Lebenswelt, die offenbar sehr böse auf ihr Personal war. „Und offenbar brauchtest du auch keine Kostümierung.“ „Stimmt auffallend.“ „Hast du einen Weg gefunden, um mich zu überzeugen?“ „Das hoffe ich doch sehr, Mylady.“, säuselte er charmant und hörte nicht auf zu grinsen. „Zufälligerweise stolperte einer meiner Kameraden über Athena. Kennt Ihr Athena?“ „Sie ist eine Attentäterin, die in Götterherz agiert. Hat schon zahlreiche Aristokraten getötet, wurde aber niemals erwischt.“ „Sehr schön, Ihr habt also wirklich von ihr gehört!“ „Ich mag eingesperrt sein, aber nicht taub.“, murrte Fiona und begann unruhig im Raum auf und ab zu gehen. Kelvin hatte das Gefühl, dass sie inzwischen noch schlechter mit ihrem goldenen Käfig klarkam. Alles an ihr schrie danach, dass sie sich in diesem Zimmer beengt fühlte. Viele in Götterherz würden vermutlich alles geben, um mit ihr den Platz zu tauschen. Sie würden durch diesen Käfig einem Leben in Verfolgung, Sklaverei oder Hunger entgehen. So etwas kannte Lebenswelt gar nicht. Hunger, Sklaverei, Folter, Verfolgung... Alles unbekannte Faktoren, die sie vielleicht kennenlernen würde, falls sie Wyrnné stürzen konnten. „Athena hat sich unserer Sache angeschlossen und konnte uns schon mit zahlreichen Informationen weiterhelfen.“, erklärte Kelvin schließlich gelassen, während er seinen Zorn herunterschluckte. „Sie kennt den Weltenlenker persönlich und weiß vieles über ihn.“ „Sie kennen einander? Tötet sie nicht regelmäßig seine treuen Anhänger?“ „Scheint eine Art... Hassliebe zu sein.“, kicherte er amüsiert. „Man sollte auf keinen Fall dazwischengeraten.“ „Wenn sie euch hilft, weshalb ist sie nicht hier?“, hakte Lebenswelt skeptisch nach. „Du könntest immerhin auch lügen.“ „Athena kümmert sich derzeit um persönliche Angelegenheiten. Ich wollte Euch nur vorschlagen, das ebenfalls zu tun, denn bald wird Euer ruhiges Leben vorbei sein.“ „Du hast dich verändert...“, stellte sie nüchtern fest. „Du hast noch mehr Selbstbewusstsein und tatsächlich scheinst du inzwischen selbst von dieser Rebellion überzeugt zu sein.“ Durchaus stolz reckte der Blondschopf seinen Kopf in die Höhe, während er ihr entgegenblickte: „Ich habe eine gute Ausbildung genossen und Athenas Fähigkeiten gesehen. Ich bin in der Tat überzeugt, dass wir es schaffen können.“ „Gut, dann werde ich meine persönlichen Angelegenheiten klären und auf weitere Instruktionen von dir warten.“ Obwohl sie vielleicht bald frei sein konnte, wirkte sie keineswegs glücklich. Eher wanderte sie sogar noch unruhiger in dem Raum auf und ab, als würde ihr Leben von der Schrittzahl abhängen. Da die angebliche Göttin noch nicht gesagt hatte, dass er gehen sollte, blieb er vorerst, um sie zu beobachten. Meister Ragnar hatte ihm beigebracht, wie er das magische Pulsieren erkennen konnte, was magische Geschöpfe und Magiebegabte umgab. Immer wieder versuchte Kelvin nun, eben das zu suchen. Er wollte üben. Jedoch fiel ihm auf, dass das Pulsieren bei ihr anders aussah. Unruhiger... Als würde es nicht nur pulsieren, sondern regelrecht tanzen! Beinahe so, als wollte ihre magische Kraft die fleischliche Hülle verlassen. Der Rebellenanführer wusste nicht, ob das Aussehen dieser Aura tatsächlich auch aussagen konnte, wie mächtig jemand war. Wenn es so war, dann war Lebenswelt ein wahrhaftig mächtiges Wesen! „Was bedrückt Euch?“ „Ich war draußen...“, gestand Lebenswelt unruhig. „Ihr seid ausgebüxt? Mit so viel rebellischen Tatendrang hatte ich gar nicht gerechnet!“ Sie verzog das Gesicht, ehe sie ihn tadelnd ansah: „Ich will mich dir anschließen oder etwa nicht?“ „Touché...“ „Ich traf einen jungen König, der mich mit in das Kolosseum genommen hat.“ Bei dem Wort Kolosseum versteifte sich Kelvin Morgenstern augenblicklich. Erinnerungen an die damaligen Todesspiele krochen in ihm hoch und schlossen sich würgend um seine Kehle. Eine Frauenstimme in seinem Hinterkopf schluchzte: „Du darfst nicht sterben...“ Nur wenige Herzschläge später war er nicht nur geheilt gewesen, sondern auch ein Essenzbeherrscher. Der Blondschopf konnte sich bis heute nicht erklären, wie das möglich gewesen war, doch ein Teil in ihm hoffte, dass es der Geist seiner Mutter gewesen war. Dass sie gekommen war, um ihn zu retten und dem Weltenlenker zumindest ihr Kind zu entwenden. Vielleicht würde er niemals erfahren, was damals in der Arena wirklich geschehen war, doch es hatte sein Leben verändert. Und er hatte seine ersten Leben genommen... „Ist alles in Ordnung?“, hörte er Fiona unter einem Rauschen besorgt fragen. Er musste vollkommen bleich geworden sein, damit ihr sein Zustand aufgefallen war. „Ja... Ja, alles in Ordnung.“ „Oh, stimmt... Ich war taktlos, verzeih‘.“ „Wie bitte?“ „Ich habe auch davon gehört... Dass du in diesen Todesspielen mitgemacht hast und überlebt hast.“, erklärte sie gefasst. „Deshalb sehen dich doch so viele als Auserwählten an... Keiner hat es überlebt. Erst recht ist danach keiner entkommen!“ „Ich habe durch eine glückliche Fügung überlebt...“ „Und doch hast du überlebt. Spielt es denn wirklich eine Rolle, ob du durch Glück, Talent oder Intelligenz überlebt hast?“ „Vermutlich nicht...“, gestand Kelvin seufzend. „Jedenfalls habe ich mir die Arena und ein paar Schaukämpfe angesehen und war schockiert.“, fuhr sie schließlich fort. „Natürlich sind die Gladiatoren mit ihren Fähigkeiten sehr beeindruckend, doch mich hat es nicht losgelassen, wie die Menschen sich über ihr Elend erfreuten. So etwas habe ich noch nie gesehen.“ „Ja, wir Menschen sind schon abartige Kreaturen...“ „Ist das immer so?“ „Ob sich das Publikum immer so an dem Leid der Kämpfenden ergötzt? Ja, auf jeden Fall.“, bestätigte der Rebell schulterzuckend. „Es spielt keine Rolle, wer in der Arena landet, solange sie sich nur gegenseitig die Köpfe einschlagen.“ „Und du willst sie dennoch retten?“ „Nicht alle sind so... Außerdem retten wir wohl eher die Nichtmenschen und Mischlinge.“, gab Kelvin nüchtern zu. „Den meisten Menschen geht es noch recht gut. Einige erlitten Verluste, aber solange sie nicht als Verräter geächtet werden-...“ Ihm wurde gerade erst bewusst, wie ernst die Lage eigentlich war. Nichtmenschen und Mischlinge standen kurz vor ihrer Ausrottung und mit etwas Pech schafften sie es nicht schnell genug den Weltenlenker aufzuhalten. Doch eines verwirrte ihn noch viel mehr: Weshalb das Ganze? Warum verfolgte er die Nichtmenschen, wenn er doch offenkundig solch eine enge Verbindung mit Billie hatte? Und diese angeblichen Gottheiten erschienen ihm auch nicht gerade menschlich... Nachdenklich sah er Lebenswelt an, die ihn beobachtete. Offenbar wartete sie darauf, dass er seine Gedankengänge beendete und sie erleuchtete. „Nun... Jedenfalls retten wir die, die unter diesem Regime zu leiden haben. Mit etwas Glück können wir ein besseres Reich erschaffen.“ „Hast du dir denn schon überlegt, wer dieses Reich erschaffen soll?“ „Wir hoffen, dass Athena diesen Platz einnehmen wird.“, offenbarte er unverblümt. „Sie ist intelligent, weitsichtig und hat Erfahrung in diesem Bereich. Ihre politischen Ambitionen sind ohne Tadel.“ „Ist sie nicht ein Nichtmensch?“ „Das ist korrekt.“ Skeptisch verzog die angebliche Göttin das Gesicht, während sie ihn mit ihren violetten Augen fixierte: „Hältst du das für klug? Sind die Menschen für einen nichtmenschlichen Herrscher bereit? Können sie ihre Vorurteile so schnell vergessen?“ „Das waren auch Athenas Bedenken, doch ich bin überzeugt davon, dass nicht entscheidend ist, was auf dem Thron sitzt, sondern wer.“ Nur einen Augenblick lang – doch er konnte es deutlich erkennen – war sie sprachlos. Absolut ohne Worte! Sie hatte nur für einige Herzschläge mit offenem Mund dagestanden und ihn angestarrt. Absolut fassungslos. Das steht ihr... Macht sie beinahe menschlich!, dachte er überheblich grinsend. Kurz darauf begann sie zu lachen. Glockenhell und eindeutig ehrlich. Lebenswelt wirkte richtig heiter, als habe jemand sie ausgetauscht. Wenn Kelvin ehrlich war, sah sie nun so aus, wie er sie eigentlich vermutete. Irgendwie glaubte er, dass sie eine humorvolle und fröhliche Person war. Nur nicht hier. Nicht in diesem Gefängnis... „Gut, du hast mich mit meinen eigenen Waffen geschlagen! So viel Weisheit hatte ich dir gar nicht zugetraut.“, kicherte die Weißhaarige heiter. „Ich hatte dich eigentlich für einen ziemlichen Narren gehalten!“ „Der Narrenkönig zu Euren Diensten.“, erwiderte der Rebellenanführer ohne sich beleidigt zu fühlen. Stattdessen verbeugte er sich vor ihr und machte mehrere umständliche Handbewegungen, um die Aristokraten und ihre Sitten ins Lächerliche zu ziehen. Lebenswelt wirkte nicht beleidigt. Sie grinste eher amüsiert über diese Geste. Ihre göttlichen Brüder hätten ihn vermutlich für diese Darbietung foltern und anschließend köpfen lassen. Allmählich begann er Fiona von Lebenswelt wirklich zu mögen! „Welchen König habt Ihr eigentlich in dem Kolosseum getroffen?“, erkundigte er sich dann neugierig. „Konstantin von Rabenwacht.“ „Ah... Ich habe ihn auch kurz gesehen. Er haust zurzeit beim Weltenlenker.“ „Ist das so?“ „Ja, offenbar wurde er von ihm eingeladen und ist nun seit ein paar Wochen hier. Reist immer mal in sein Reich zurück, kommt dann aber wieder hierher.“, erklärte Kelvin. Natürlich interessierten ihn ebenfalls die Beweggründe des Königs. Vor allem durch Billiana, die ihn besucht hatte. „Könnte er unserer Sache dienlich sein? Er schien mir sehr... nett zu sein.“ Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen! Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht! Ich bin wirklich der Narrenkönig... König Konstantin von Rabenwacht gilt als der wohl gütigste König., wurde es Kelvin bewusst. Es gibt zahlreiche Gerüchte darüber, dass er den Weltenlenker hasst. Und er hat eine riesige Armee! Er bildet Flüchtlinge aus... Auch Nichtmenschen. Natürlich war der Lebensberg nicht für ihre Kriegsführung bekannt, sondern für ihre Lebensmittel, doch das bedeutete nicht, dass sie keine ausgezeichneten Soldaten hervorbrachten. Vor allem, weil er sich nicht auf Rassen beschränkte. Er nahm jeden auf, der um Asyl bat und diejenigen bekamen im Lebensberg auch eine Arbeit. Soweit er es wusste, bestand das Heer dennoch hauptsächlich aus Menschen. Trotzdem waren auch Elfen, Orks, einige Riesen und andere magische Geschöpfe unter ihnen. Sie waren König Konstantin loyal ergeben, der ihnen nicht nur das Leben rettete, sondern ihnen ein Neues gab! „Ihr habt recht...“, gab er mit trockenem Mund zu. Zu mehr kam er jedoch nicht, weil plötzlich die Holztür aufsprang. Melvyn hatte den Kopf noch gesenkt und murmelte ein paar Worte, während er auf das Pergament in seinen Händen starrte. Vermutlich eine neue Bitte an die Göttin. Als der Hohepriester aufsah, wirkte er vollkommen schockiert. Er starrte erst Lebenswelt an, dann den Rebellen, der nicht hier sein sollte. „Du!“, schrie er schließlich. Offenbar erkannte er Kelvin wieder, der sich das letzte Mal als Diener ausgegeben hatte. „Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass ich gehen sollte.“, kicherte der Rebell dennoch amüsiert. „Mylady, es war mir wie immer eine Freude.“ „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Melvyn schien nicht zu begreifen, dass keine akute Gefahr bestand. Stattdessen zog er sein mächtiges Breitschwert und stürmte schreiend auf ihn zu. Der Brief sank derweil unbeachtet herunter. Es fiel dem Rebellenanführer nicht schwer, dem präzisen, aber langsamen Angriff auszuweichen. Der Priester holte erneut aus, doch er tauchte einfach unter der Klinge hindurch. Mit einem letzten Blick zu Fiona, glitt er an Melvyn vorbei und stürmte in den Flur. Die Fenster in Fionas Palast hatten alle Glasscheiben, was für ihn wirklich ärgerlich war. Sie waren zu stabil, um einfach hindurchzuspringen. Dabei konnte er sich ernsthaft verletzen und das würde seine Flucht erschweren! Wenn, dann brauchte er einen großen, harten und schweren Gegenstand, den er zuvor hindurchschleudern konnte. Glocken läuteten. Der Alarm war ausgelöst worden. Sofort brach helle Aufregung aus und alle Wachen zogen ihre Waffen, um in die Gemächer der Göttin zu eilen. Kelvin nutzte sein neues Wissen, um sich immer mal unter flüchtende Diener zu mischen oder sogar so zu tun, als wäre er ein Wächter, der gerade erst seine Schicht beginnen wollte. Die Menschen waren so in Aufruhr, dass sie ihm kein zweites Mal ins Gesicht sahen, sonst hätten sie gewusst, dass er nicht zum Personal gehörte. Auch wenn die wenigsten sich hier vielleicht nicht in Zivil kannten, kannten sie doch ihre Gesichter. Grinsend konnte er sich von dem Ort der Aufregung entfernen. In den anderen Fluren befanden sich kaum noch Wachen und die waren nicht so vorsichtig. Der Alarm schlug in den privaten Räumen der angeblichen Gottheit, also fühlten sie sich hier sicher. „Was ist denn da los?“, erkundigte sich sogar ein Soldat bei ihm. „Angeblich ist jemand in die Gemächer der Gottheit eingedrungen.“, erwiderte er ausweichend. Immerhin wusste er nicht, wie viele im Palast um ihr Geschlecht wussten! „Tatsächlich? Keine Übung?“ „Kann natürlich auch nur eine Übung sein... Der Hohepriester wirkte ziemlich verärgert.“ „Wann wirkt er nicht verärgert?“, spottete der Wächter. „Auch wieder wahr!“ „Ich bin mal gespannt, ob es falsche Alarm war.“ „Ich auch.“, lenkte Kelvin lächelnd ein. Sie verabschiedeten sich, dann ging er unbehelligt weiter. In seinem Hinterkopf hörte er Billie sagen: „Werde eins mit deiner Umgebung. Passe dich an. Wenn du so tust, als würdest du dahingehören, dann glaubt man dir das.“ Er hatte es für eine absolute Übertreibung gehalten, doch sie hatte vollkommen recht gehabt! Wer so tat, als würde er dazugehören, fiel nicht so auf. Konnte man sich gut anpassen, war selbst eine ungewollte Flucht keine Herausforderung mehr. Seit Jahren verließ er das erste Mal ein Anwesen, in dem Alarmglocken läuteten, ohne eine Spur aus Leichen zu hinterlassen. Grinsend ging er durch das Haupttor und verschwand in der Sicherheit der dunklen Nacht...   Allmählich verzweifelte Konstantin. Er reiste nun seit Wochen ständig zwischen Rabenwacht und Götterherz hin und her! Immer wenn Lord Optimus Zeit für Verhandlungen fand oder sie andere Möglichkeiten austesten wollten, kehrten sie hierher zurück. Jedes Mal gestattete der Weltenlenker es ihnen, sich in Heimdall einzunisten. Trotzdem kamen sie nicht weiter... Zumindest hatte er Durell davon überzeugen können, dass er vorerst in Rabenwacht blieb, damit er den Thron verwalten konnte. Elizabeth war eine wandelnde Katastrophe! Sie bekam nichts hin und als er das erste Mal zurückkehrte, hatte sie tatsächlich auf dem Thron gehockt und geheult. Vollkommen verzweifelt, weil sie so überfordert war. Auch wenn es ihm nicht gefiel, musste er wohl langsam eine offizielle, rechte Hand berufen. Jemanden, der keine anderen Pflichten hatte, außer ihn zu vertreten. Wie gut Durell auch sein mochte, waren ihm seine Pflichten als Hauptmann der Leibwache dennoch wichtiger. Das respektierte der König. Nur ungern hatte der junge Mann ihn nur mit einigen seiner besten Leibwächter und Benedikt ziehen lassen, doch er hatte sich überzeugen lassen. Konstantin hatte ihm klargemacht, dass er nur über ein Königreich herrschen konnte, das auch noch stand, wenn er die Sache mit Theodor geklärt hatte. Elize wirtschaftete es jedoch zu Grunde... Zumindest weiß ich nun mein Land in Sicherheit, aber das bringt mich in Götterherz nicht weiter!, fluchte er verzweifelt. Bisher hatte Lord Optimus alle Angebote abgelehnt. Selbst Drohungen verpufften bei ihm! Dabei war sich Konstantin nicht mal sicher, ob der Leiter des Kolosseums wirklich unbedingt Theodor behalten wollte oder es ihm eher darum ging, einen König zu verprellen. Macht auszuüben. Letzteres wäre wirklich dumm und konnte ihn immerhin seinen Kopf kosten. Generell war es nicht unbedingt weise, dass er ihn so sehr reizte. Wäre er ein anderer König, dann wäre das längst anders für ihn ausgegangen! Wütend starrte der König in das Kaminfeuer, während er sich eine andere Strategie überlegen wollte. Nur fiel ihm nichts ein! Es kam ihm langsam so vor, als habe er schon alle Möglichkeiten abgewogen und ausprobiert. Kurz darauf klopfte es schon an seine Tür. Konstantin wusste, dass es sein Hauptmann sein würde und hob den Blick: „Herein.“ Benedikt zog die Tür leise auf und schlüpfte in das Zimmer. Es war bereits spät und in Heimdall schienen die Wände Ohren zu haben. Wenn er sich bei solch einem nächtlichen Besuch erwischen ließ, konnte es unschön werden. Vor allem das zu erklären, wäre schwierig. Wie es der Adelssohn von seinem Hauptmann kannte, ging er erstmal alles in dem Zimmer ab. Er suchte nach eventuellen Gefahren oder versteckten Attentätern. Vielleicht sogar nach neugierigen Ohren. Erst als er auch den Balkon untersucht hatte, kehrte Ben zurück und setzte sich etwas abseits auf einen Hocker. Sein Blick glitt ebenfalls in das prasselnde Feuer, als wollte er sehen, was auch sein Herrscher sah. „Irgendwie bezweifle ich, dass Caesar uns Theodor jemals überlassen wird.“, gestand Konstantin schließlich seufzend. „Ich habe ihm immerhin eine Menge Gold geboten! Sogar, dass ich die Ausbildung eines neuen Champions bezahle und bis dahin die Einnahmen von Theodor zahle, doch er will all das nicht.“ „Ja, er scheint die Macht zu genießen, die er über Euch hat, Konstan.“, gestand der Krieger schulterzuckend. „Ich denke, dass er das Spiel so lange treibt bis Ihr aufgebt.“ „Aufgeben liegt nicht in meiner Natur.“ „Ich denke, dass ist ihm auch schon aufgefallen.“ Seufzend lehnte sich Konstantin in seinem Sessel zurück. Leider brachte ihn sein Wille alleine hier nicht weiter. So würde er Theodor nicht mal in hundert Jahren aus dem Kolosseum befreit haben! Und er bezweifelte, dass sein Freund so lange zu leben hatte... Teddy war ein normaler Mensch. Ein Sterblicher. Und dazu lebte er das gefährliche Leben eines Gladiators... Er konnte morgen tot sein! Und er schlug sich hier mit Diplomatie und Bürokratie herum. Allmählich schämte er sich richtig dafür, dass er selbst ein Aristokrat war. Er merkte immer mehr, dass die meisten von ihnen nicht wie er waren. Ihnen bedeutete ein Menschenleben nichts. Sie waren eher Abfall. Auch Theodor war für Lord Optimus nur eine Ware. Eine Möglichkeit, um seine Kassen großzügig zu füllen. Etwas, was das Feuer des Kolosseums nicht erlöschen ließ, denn das Publikum wollte ihn sehen. Sie wollten sehen, wie er kämpfte! „Was ist mit dieser Elfe, die Euch in jener Nacht besuchte und Euch auf Theodor aufmerksam machte?“, warf Benedikt plötzlich ein. „Was soll mit ihr sein?“ „Habt Ihr schon darüber nachgedacht, sie um Hilfe zu bitten? Sie scheint mir sehr mächtig und hat mich nur nicht besiegt, weil sie mich nicht verletzen wollte.“ „Du meinst, sie soll Theodor mit Gewalt befreien?“ „Genau.“ „Wäre das nicht etwas auffällig?“, hinterfragte der König skeptisch. „Nachdem ich seit Wochen mit ihm verhandle, wird plötzlich Theodor befreit...“ „Ja, wäre es, aber er müsste es erstmal beweisen. Außerdem muss man ja nicht nur Theodor befreien...“ „Wie meinst du das?“ „Sagen wir, diese Frau ist die, für die ich sie halte, dann ist sie in der Lage, fast alle Gladiatoren zu befreien. Wenn sie Athena ist – und davon gehe ich schwer aus – könnte sie es wie einen Aufstand aussehen lassen.“, erklärte Benedikt ihm mit einem hinterlistigen Funkeln in den Augen. „Das dadurch entstehende Chaos könnten einige Gladiatoren genutzt haben, um ebenfalls zu fliehen, obwohl sie den Aufstand selbst nicht anzettelten. Wenn darunter der besagte Champion wäre und er hätte gehört, dass er in Rabenwacht um Asyl bitten könnte und er würde dort auftauchen und eben das tun... Was könntet Ihr schon dafür? Ihr habt geschworen, jedem Flüchtling Unterschlupf zu bieten.“ Konstantin schwieg vorerst und dachte über diesen Vorschlag nach. Würde das wirklich funktionieren? Konnte er selbst glaubhaft genug lügen, damit er diese Geschichte verkaufen konnte? Für Theodor konnte er das vermutlich wirklich. Außerdem hatte sein Hauptmann recht: Er war dafür bekannt, dass er alle begnadigte, die zu ihm kamen. Er gab ihnen ein neues Leben. Eine neue Aufgabe! Tatsächlich konnte dieser Plan funktionieren, wenn Athena bereit wäre, ihn dabei zu unterstützen. „Ich hatte keine Ahnung...“, murmelte Konstantin, während er sich von dem Sessel erhob, um etwas durch den Raum zu schlendern. „Was meint Ihr?“ „Dass du so hinterhältig sein kannst.“ Benedikt begann zu grinsen und erhob sich nun selbst. Offenbar wollte er nicht sitzen, während sein König es nicht tat. „Ich lebe, um Euch zu dienen, Konstan.“ „Und das tust du wirklich hervorragend.“, lobte er ihn aufrichtig. „Du hast überhaupt erst diese Verhandlungen möglich gemacht! Und deine Arbeit als Hauptmann ist sowieso ohne Tadel.“ „Danke, Konstan, es ehrt mich sehr, dass Ihr das sagt.“ So viele hatten ihn verspottet, weil er sich für so junge Führungskräfte entschieden hatte, doch der König konnte sich keineswegs über seinen Entschluss beklagen. Sie alle machten ihn stolz. Ihre Loyalität war ohnegleichen und er musste zugeben, dass sie sich noch mehr Mühe bei ihren Pflichten gaben, weil sie sich beweisen wollten. Bisher hatten sie alle ihre Vorgänger in den Schatten gestellt. Erfahrenere Soldaten und Diener sahen alt gegen seine jungen Nachfolger aus. Was ihnen an Erfahrung fehlte, machten sie mit Ehrgeiz wieder weg. „Hast du jemand in deinem Leben, Ben?“, erkundigte sich der König ganz unverwandt. Er wusste selbst nicht, weshalb er das nun einfach machte! Also schüttelte er schnell den Kopf: „Verzeih‘... darauf musst du natürlich nicht antworten.“ „Meint Ihr, ob ich eine Partnerin oder einen Partner habe?“ „Ja...“ „Nein, habe ich nicht, Konstan.“ „Weshalb?“, hörte er sich erstaunt fragen und verbiss sich sofort auf seiner Unterlippe. Diese verfluchte Neugier! „Frauen kommen nicht gut mit mir klar. Ich neige dazu, das Falsche zu sagen.“, gab der Hauptmann zu, was Konstantin an sich selbst erinnerte. „Außerdem bin ich mit meinen Pflichten verheiratet. Das stört beide Geschlechter...“ „Hmmm, ja, ergibt Sinn. Erklärt zumindest, weshalb du problemlos mit mir hin und her reisen kannst.“ „Ich liebe halt meinen König.“, spottete Benedikt und gluckste etwas. Es war das erste Mal, dass er ihn richtig heiter sah, weil er sich über sich selbst amüsierte. Sonst war der Hauptmann eher ernst. „Ist das so?“, schmunzelte Konstantin. „Oh ja, und wie.“ Er schwieg vorerst, während er Benedikt aus dem Augenwinkel musterte. Als Prinz hatte er ihn oft beobachtet. Zu dieser Zeit war er kein Hauptmann gewesen, sondern ein einfacher Soldat. Doch irgendwie war Konstantin von ihm in den Bann geschlagen worden. Wie oft hatte er heimlich in den Büschen gehockt? Wie oft hatte er ihn beim Training beobachtet? Der König konnte es beim besten Willen nicht sagen. Doch seine Spannerei hatte ihn immerhin erkennen lassen, welches Potenzial in Benedikt Graufell steckte. Trotz seiner Trinkerei, die nicht unbedingt förderlich für seine Karriere war. Ohne sich wirklich in Griff zu haben, steuerte der Adelssohn seinen Hauptmann an. Der wirkte sehr verwirrt. Vor allem, als er plötzlich nach seinen Wangen griff und ihn ganz unverfroren küsste! Obwohl man etwas anderes glauben konnte, war es Konstantins erster Kuss mit einem Mann. Gezwungenermaßen hatte er sich bisher nur mit Elizabeth abgegeben und mit einigen Huren, doch es hatte ihn niemals erfüllt. Ihn nicht wirklich erregt... Die Lippen von Benedikt zu schmecken fühlte sich anders an. Besser! Erst recht, als der Hauptmann den Kuss zu erwidern begann, wenn auch erstmal nur zögerlich. Es musste eigenartig sein, wenn der eigene König einen ohne Vorwarnung küsste. Trotzdem griffen die starken Hände Bens an seine Hüfte, um ihn dicht an sich zu drücken, während Konstantin seine Arme um den Nacken seines Gegenübers schlang. Seit Jahren tänzelten sie umeinander herum, damit sie diesen einen Augenblick endlich erleben konnten. Damit sie endlich ihre Zweisamkeit auskosteten! Bestimmend führte Benedikt ihn Richtung des Bettes. Was immer auch gerade geschah, es ging wahnsinnig schnell und war entfacht vom Feuer der Leidenschaft. Wenn man sie erwischte, würde sie das beide ihre Köpfe kosten, doch das war ihnen beiden vollkommen egal. Lieber landeten sie gemeinsam in Fellen, Kissen und Decken, damit sie einander die Kleidung vom Leib reißen konnten. Dass es ein Gästezimmer in Heimdall war, schien die Sache noch aufregender zu machen. Konstantin ließ die feuchtwarme Zunge seines Hauptmannes in seinen Mund, während er diesem einfach das Hemd aufriss. Er schwor sich, dass er nie wieder so lange gegen seine Bedürfnisse ankämpfen würde! Er hatte sich niemals lebendiger gefühlt als jetzt... Diese Nacht würde unvergessen bleiben. Für Benedikt, aber auch für ihn selbst.   Als Billiana ihre Augen öffnete war ihr klar, dass sie nicht mehr im Raum der Spiegel war. Eigentlich wusste sie nicht mal, wo sie genau war. Allzu klar war ihr Blick nicht und ihr war auch ein bisschen schwindlig. „Aufgewacht, Dornröschen?“, erkundigte sich eine allzu vertraute Männerstimme. „Offensichtlich, Connar...“ „Was hast du dir nur dabei gedacht?“ „Was meinst du genau?“, keuchte sie angestrengt, während sie sich allmählich aufsetzte. Alles tat ihr weh! „Einfach irgendwo zu verschwinden, wo ich dich nicht finden kann! Und dann tauchst du wie aus dem Nichts schwerverletzt wieder auf... Hattest einen verdammten Dolch im Herzen!“ „Ich habe die Prüfung der Götter abgelegt...“ „Oh, natürlich! Das erklärt selbstverständlich alles! Ich wollte die Prüfung der Götter auch morgen ablegen, nur damit du es weißt.“ Obwohl nichts an ihrem Zustand witzig war, musste sie doch über den Sarkasmus ihres Halbbruders lachen. Aus ihm sprach nur die Sorge um sie. Natürlich würde er das selbst niemals zugeben, doch er wollte sie keinesfalls verlieren. Weder an irgendwelche Götter noch an vermeidliche Prüfungen. „Ich wollte den Schild der Götter zurückhaben, okay?“ „Ja, ich auch, deshalb mache ich die Prüfung ja auch noch.“, sagte Connar durchaus theatralisch. „Du kannst mich mal!“ „Wieso hast du niemanden in dein Vorhaben eingeweiht? Warum hast du niemanden mitgenommen? Du könntest tot sein!“ „Ich weiß...“ „Hättest du sieben Tage mit diesem Dolch in deiner Brust da gelegen...“ „Ich weiß.“ „Ist es denn so schwer, mal um Hilfe zu bitten, Billiana Fayh Cailean Markrhon?“, hinterfragte er streng. „Offensichtlich ist es das...“ Der Schwarzhaarige schnaubte, ehe er sich erhob. Offenbar hatte er die ganze Zeit an ihrem Bett gesessen und auf ihr Erwachen gewartet. So viel Herzlichkeit konnte sie sonst von keinem Markrhon erwarten. Billie konnte ihm ansehen, dass er wirklich wütend auf sie war. Nicht nur, weil er richtig unruhig auf und ab ging, was so gar nicht zu ihm passte. Eigentlich war Connar stets ruhig, entspannt und bewegte sich recht wenig. Außer er war sehr aufgewühlt... Schuld schlich sich bei ihr ein, was sie den Kopf senken ließ: „Es tut mir leid...“ „Das sollte es auch! Immerhin habe ich dich nur durch Glück gefunden!“ „Ich denke, dass Shiva wollte, dass du mich findest.“ „Was du denkst und was so ist, sind zwei verschiedene Dinge, Billiana.“ „Nenn‘ mich nicht so.“, zischte sie böse. „Das ist deine Strafe, weil du schon wieder so einen Blödsinn angestellt hast.“ Einen Augenblick lang wirkte es so, als wollte der Blutmagier eine Vase herunterschlagen, doch er beherrschte diesen Impuls. Sie sah teuer aus. Das hier war kein Unterschlupf ihres Halbbruders, der es eher schlicht mochte. Außerdem wechselte er regelmäßig seine Verstecke. „Wo sind wir hier?“ „In Lohensturm.“ „Wie bitte?“ „Wir sind im Schloss von König Melchior von Lohensturm.“, wiederholte er seufzend, als sprach er mit einem begriffsstutzigen Idioten. „Das habe ich schon verstanden!“, stöhnte Billie genervt. „Aber weder du noch ich sind in Ketten.“ „Ja, hat mich auch viel Überzeugungskraft gekostet, dass er dich nicht einsperrt.“ „Mich? Und was ist mit dir?“ „Sagen wir, dass wir so etwas wie... Freunde sind.“ „Du hast einen Pakt mit ihm geschlossen.“, schlussfolgerte die Blondine mit hochgezogener Augenbraue. „Pakt, Freundschaft... Ist doch alles dasselbe!“ Sie rollte mit den Augen, ehe sie sich langsam aus dem Bett zu hieven versuchte. Es fühlte sich so an, als habe sie immer noch den verdammten Dolch in ihrem Brustkorb stecken! Solche Verletzungen heilten auch bei Langlebigen wahnsinnig langsam. Außerdem hatte die Prüfung sicherlich auch etwas damit zu tun, dass es länger dauerte. Langsam blickte sie sich um. Alles schrie nach einem reichen Königshaus! Überall standen teure Vasen, es hingen aufwändige Wandteppiche und Gemälde an den Gemäuern und auch der Boden hatte einige Felle und Teppiche zu bieten. Selbst ihr Bett sah teuer und hochwertig aus, ebenso wie Decken, Felle und Kissen, die man ihr gestellt hatte. Was immer Connar ihm erzählt hatte, musste sehr gut gewirkt haben, wenn der König einen Nichtmenschen so gut unterbrachte. Vor allem, weil er einer der wenigen Herrscher war, der noch voll und ganz hinter Wyrnné stand. Solch eine Loyalität war selten, bedeutete aber auch, dass er die Abneigung gegen Nichtmenschen teilte. Trotzdem besaß Melchior ein Heer aus Orks, die er angeblich gut versorgte. Sie hatten Sklavinnen, die ihnen als Dirnen dienten, bekamen relativ gutes Essen, ausgezeichnete Ausrüstung und wurden ausgebildet. Dafür eroberten die Orks für ihn Städte oder sorgten für Ruhe in seinem Königreich. Nur ein Idiot würde gegen König Melchior von Lohensturm Krieg führen. Außerdem gab es hier wahnsinnig viele Essenzmagier. Sie wurden innerhalb der Mauern von Lohensturm ausgebildet. War ihre Ausbildung abgeschlossen und die Loyalität der Magier sichergestellt, wurden sie erstmal dem Weltenlenker angeboten. Alle Essenzmagier, die Wyrnné nicht brauchte, wurden anschließend an die anderen Königreiche verkauft, dienten König Melchior selbst oder arbeiteten als Söldner. Es hing von Talent und Abstammung ab. Billie hatte sich eine Weile als Dienerin Zugang zu diesem Reich verschafft, um diese Informationen sicherzustellen. Es war schwierig gewesen, doch sie hatte jedes Gerücht bestätigen können. Auch, dass Melchior selbst ein temperamentvoller und unkontrollierbarer Drakonier war. Obwohl er so viel besaß und sein Heer durchaus beeindruckend war, hatte die Elfe ihn nie als ernsthafte Bedrohung eingestuft. Weder für sich noch für Wyrnné. Solange er dem Weltenlenker blinden Gehorsam schwor, würden seine Soldaten auch nur in dessen Namen kämpfen. Das bedeutete, dass er weder Wyrnné angreifen würde noch sie. Immerhin hatte er sie bisher nicht zur Tötung freigegeben, was mit etwas Glück nie geschah. „Du machst dir Sorgen.“, warf Connar plötzlich ein. „Das musst du nicht. Er wird dir kein Haar krümmen.“ „Warum bist du dir da so sicher?“ „Weil Wyrnné dich seit Wochen suchen lässt. Er hat die halbe Welt auf den Kopf gestellt, um dich zu finden! Melchior bringt dich doch nicht um, wenn er weiß, dass sein angeblicher Gott nach dir sucht.“ „Also hast du ihm gesteckt, dass ich die Gesuchte bin?“ „Ich habe es zumindest angedeutet.“ „Ich kenne deine Andeutungen, Connar...“, kicherte die Blondine amüsiert. „Du haust es den Leuten immer direkt um die Ohren.“ „Hey! Das hat dir das Leben gerettet!“, spottete er ohne Gram. „Du warst so angeschlagen, dass ich dich nicht mal über die Zwischenwelt schnell genug irgendwo hinbringen konnte, wo du sicher bist. Da du schon in Melchiors Reich warst, bot es sich an, hierher zu gehen.“ „Vollkommen in Ordnung.“ „Sag‘ ihm aber lieber nicht, dass du irgendeine göttliche Prüfung absolviert hast. Sonst hält er dich noch für einen Messias Wyrnnés.“ „Es wird mir wahnsinnig schwerfallen, aber ich versuch’s.“, spottete sie sarkastisch. Als Attentäterin war sie es gewohnt, Geheimnisse zu bewahren. Sei es ihre eigene Identität, die ihrer Auftragsgeber oder andere Informationen. Doch auch die Ausbildung seitens ihrer Familie hatte ihren Beitrag zu ihrer Verschwiegenheit geleistet. Selbst unter Folter schwiegen Markrhons. Einige aus ihrer Familie schafften es sogar, dass die Folter sich umgekehrte und die Folterknechte es eher als Folter an sich empfanden. Durch Spott und falsche Informationen brachen sie irgendwann deren Geist. Es war eine amüsante, aber schwierige Kunst, weil man die zugefügten Schmerzen nahezu komplett unterdrücken musste. Je nach Folter konnte Billie das. Bisher hatte sie es aber nicht sehr häufig unter Beweis stellen müssen, wofür sie sehr dankbar war. Plötzlich klopfte es an der Tür. Sie sah Connar an, der kurz die Augenbrauen in die Höhe zog, was seine Stirn in Falten legte. Es musste der König sein. „Herein.“, sagte sie also höflich. Der Mann, der die Tür öffnete, war wirklich ein majestätischer Anblick! König Melchior von Lohensturm hatte nicht nur eine imposante Größe von über 1,90 m, sondern vor allem trug er seine Krone mit Würde als wog sie nichts. Seine Schultern waren straff, sein Kopf aufrecht. Hinzu kam seine überaus edle Bekleidung. Billie wusste, dass sie aus wirklich feinen Stoffen gefertigt worden war, jedoch auch inzwischen feuerfest war. Der Herrscher verbrannte nämlich gerne seine Klamotten... Ob die Pelze, die über seinen Schultern lagen ebenfalls feuerfest waren, wagte sie jedoch zu bezweifeln. Sein braunes Haar war kurz, was an einen Soldatenhaarschnitt erinnerte. Wenn ihre Informationen nicht falsch waren, betrieb er auch regelmäßig Kampftraining, um gewappnet zu sein. Hierbei bildete er mit König Konstantin von Rabenwacht eine deutliche Ausnahme. Ebenso wie der Herrscher des Lebenbergs, war auch Melchior ein geborener Aristokrat. Nur wusste sie nicht, ob seine Eltern auch einst König und Königin gewesen waren oder sie nur aus einem gehobenen Haus gestammt hatten. Sie waren beide verbrannt worden... Es wurde darüber geschwiegen, ob der König in einem Wutausbruch selbst dafür verantwortlich gewesen war. Im Moment interessierte die Elfe auch nur, dass er sie nicht umbrachte. Von ihr aus konnte er so viele Eltern getötet haben, wie er wollte, solange er sie weiterhin leben ließ! „Wie ich sehe, seid Ihr aufgewacht. Und es überrascht mich nicht, dass Connar mir nicht Bescheid gesagt hat, wie er es versprochen hatte.“, sagte der König mit seiner tiefen, raspelnden Stimme, die durchaus verlockend war. Er musste unfassbar beliebt beim weiblichen Geschlecht sein! Zumindest bis er dann in Flammen aufging... Connar sah unschuldig durch den Raum, als wüsste er nicht, wovon der König da sprach. Sie überraschte es aber auch nicht, dass er sich nicht an Verabredungen hielt. Das war seine Art. „Ich bin eben erst aufgewacht, Haran, er wollte Euch sicherlich gleich benachrichtigen.“ „Haran...?“, wiederholte König Melchior sichtlich irritiert. „Elbisch... Bedeutet so viel wie König.“ „Ich weiß, aber seid Ihr nicht eine Elfe?“ Mysteriös lächelte die Attentäterin und sah ihn durchaus interessiert an: „Das ist korrekt. Woher wisst Ihr das?“ „Eure Ohren...“ „Ich weiß das, aber woher wisst Ihr so etwas?“ Nun fühlte sich der Herrscher sichtlich unwohl, behielt aber die Schultern straff und den Blick eisern. Nur geschulte Augen konnten die Verunsicherung erkennen. „Ich weiß es eben.“, winkte er schließlich ab. „Darf ich fragen, weshalb Ihr mich am Leben lasst, Haran?“ „Wenn Euer Bruder-...“ „Halbbruder.“, korrigierte sie ihn amüsiert. Sofort warf der König ihr einen tadelnden Blick zu, als duldete er derartige Unterbrechungen nicht. Der Drakonier war das sicherlich auch nicht mehr gewohnt, seit jeder um seine entflammbare Impulsivität wusste. „Halbbruder...“, berichtigte er sich dennoch seufzend. „Wenn Euer Halbbruder die Wahrheit sagt, dann seid Ihr so eine Art – korrigiert mich, wenn ich es falsch ausdrücke – Gespielin des Weltenlenkers?“ „Gespielin, ja?“, wiederholte die Blondine und warf Connar einen tadelnden Blick zu. Er wich ihren eisblauen Augen geschickt aus, während er unschuldig pfiff. Dann sah sie den König wieder an: „Ja, man kann es wohl so ausdrücken...“ „Er sucht jedenfalls nach einer blondhaarigen, einäugigen Elfendame.“ „Ihr versteht es wirklich, Euch taktvoll auszudrücken, Haran.“, spottete sie amüsiert. „Eine sehr schmeichelhafte Beschreibung.“ „So hat der Weltenlenker Euch beschrieben.“ „Kein wunderschön?“ „Bedaure...“ „Nicht mal irgendwas Schmeichelhaftes, wie zum Beispiel wie hinreißend mein Haar ist?“ „Nichts derartiges...“, seufzte Melchior. „Ich sollte dringend mit ihm darüber sprechen. Ich finde, ich hätte nach all der Zeit mehr verdient, als diese plumpe Umschreibung.“, schnaubte die Blondine nicht wirklich eingeschnappt. „Ich meine... Wie viele einäugige, blonde Elfen mag es heutzutage geben?“ „Tausende.“, kicherte Connar amüsiert. „Mindestens!“ „Zumindest hätte er ja deine bezaubernden Sommersprossen erwähnen können.“, spottete ihr Halbbruder weiter. „Deinen tiefgründigen Blick... Oder deine üppige Oberweite!“ „Das finde ich aber auch! Ich habe so viele eindeutige Merkmale. Oder zweideutige...“, gluckste die Elfe heiter. Melchior rollte hingegen mit den Augen, während er die Arme vor der Brust verschränkte: „Habt ihr es langsam?“ „Natürlich, Haran.“, kicherte Connar. „Was gedenkt Ihr denn nun mit uns zu machen?“ „Ich werde den Weltenlenker informieren, dass ich Euch gefunden habe, Elfe.“, erwiderte der Herrscher nüchtern. „Er soll dann entscheiden, wie das weitere Vorgehen ist.“ „Ihr habt ihn noch nicht informiert?“ „Ich wollte sicher sein, dass ich die Richtige habe, bevor ich ihn kontaktiere. Er wird schnell wütend...“ „Sprach der Drakonier, der regelmäßig sein Schlafzimmer abfackelt, wenn das Wetter ihm nicht passt.“, spottete Billie neckend. „Ich fackel‘ auch nervige Elfen ab, wenn sie mich reizen.“ „Der Weltenlenker will mich gewiss lebend, nicht wahr?“ „Ja...“, knurrte Melchior unzufrieden. „Habe ich mir gedacht.“, erwiderte sie gelassen. „Und sicherlich verlangt er mich auch unversehrt?“ „Ja.“ „Auch das überrascht mich nicht.“ „Dann fragt mich etwas, worauf Ihr die Antwort noch nicht kennt, Elfe.“ „Wieso droht Ihr mir, wenn klar ist, dass Ihr nichts davon wahrmachen könnt?“ „Wieso sollte ich das nicht können?“ „Weil er mich unversehrt will, Haran.“ „Das mag sein...“, grinste der König plötzlich dreckig. „Aber wozu gibt es Heiler? Ich kann meine Spuren beseitigen, wenn Ihr es zu weit treibt, Elfe.“ Obwohl sich die Attentäterin vermutlich bedroht fühlten sollte, begann sie stattdessen heiter zu lachen. Sie hätte nicht gedacht, dass dieser Mann zu solchen Worten fähig war! Er wirkte so... steif. Als würde er eher alles schlucken, als sich wirklich hinterlistige Foltermethoden zu überlegen. Dafür gab es immerhin Diener. Folterknechte... Jedoch war er auch nicht besonders gut darin. Durch seine sonst erhabene, ernste Erscheinung, waren derartige Drohungen kaum wahr. Außerdem stand er unter dem Pantoffel von Wyrnné. „Ihr könnt mich eh nicht verbrennen.“ „Wieso sollte ich das nicht können? Weil der Weltenlenker das nicht möchte?“ „Nein, weil ich immun dagegen bin.“ Schweigend starrte Melchior sie an. Billie konnte erkennen, wie er leicht die Augen zusammenkniff und das Licht versuchte durch verschiedene Blickwinkel anders auf sie fallen zu lassen. So konnte er das Schimmern der Drachenschuppen in ihrem Gesicht ausmachen. Sofort wich er zurück. Als treuer Anhänger vom Weltenlenker glaubte er natürlich, dass die Drachen nichts Gutes im Sinn hatten. Selbst jetzt noch, wo die engste Leibwächterin von Wyrnné selbst ein Drache war! Sor’car, die Verräterin... Bei ihrem Volk nicht unbedingt hoch im Kurs, aber sehr effektiv, wenn es um das Wohlergehen des Weltenlenkers ging. „Das... darf doch nicht wahr sein...“, keuchte der Herrscher fassungslos. „Und wie wahr das ist.“, gluckste Connar amüsiert, während er sich auf das Bett setzte. „Ihr solltet sie mal in ihrer drakonischen Gestalt sehen! Sie ist sehr eindrucksvoll.“ „Ich werde den Weltenlenker über Euch in Kenntnis setzen, damit Ihr schnell aus meinem Reich verschwindet.“ Melchior von Lohensturm drehte sich auf seinem Absatz um und stolzierte auf seinen teuren Lederstiefeln hinaus. Die Elfe sah ihm amüsiert nach, während sie sich wieder hinzulegen begann. Es tat immer noch alles weh, auch wenn sie sich eben nichts hatte anmerken lassen. Vor Aristokraten eine Schwäche offenzulegen, war immer ein fataler Fehler. Sie nutzten es gnadenlos aus. „Da hat aber jemand mächtig Angst vor Drachen.“, kicherte der Blutmagier immer noch heiter. „Er hätte sich fast in seine königliche Robe gemacht, als ihm klar wurde, was du wirklich bist.“ „Vielleicht hat er sich sogar nass gemacht.“, grinste Billie ebenso amüsiert. „Er sah schon sein Königreich niederbrennen! Und alle hätten gedacht, dass er es selbst war.“ „Ist ja bei seinem Temperament auch nicht weit hergeholt.“ „Das ist allerdings wahr.“ „Du hast immer noch nicht mit ihm geschlafen.“, warf der Schwarzhaarige dann mit hochgezogener Augenbraue ein. „Wie bitte?“ „Kelvin... Ihr habt es immer noch nicht miteinander getrieben. Dabei habe ich dich doch extra auf die sexuelle Spannung aufmerksam gemacht!“ „Und ich habe dich darauf aufmerksam gemacht, dass das Unsinn ist.“ „Ihr würdet wunderschöne blondhaarige, blauäugige Kinder bekommen!“, fuhr Connar ungehemmt fort. „Sie alle hätten eine Tendenz zum Töten, aber sie würden dennoch prächtig sein. Ich kann sie beinahe vor mir sehen.“ „Ich glaube, ich muss mich übergeben...“ „Und eure Liebe würde ewig währen! Ihr würdet einander vergöttern!“ „Ich korrigiere mich... Nun bin ich mir absolut sicher, dass ich kotzen muss!“, schnaubte sie mit verzogenem Gesicht, konnte sich aber ein Grinsen doch nicht verkneifen. „Irgendwas hat sich aber geändert...“ „Wie meinen?“ „Deine Stimme klingt anders, wenn du von ihm sprichst.“ „Vielleicht, weil ich bisher gar nicht von ihm gesprochen habe, sondern nur du, werter Bruder.“ „Nein... Nein, daran liegt es nicht.“ „Natürlich nicht.“, erwiderte Billiana augenrollend, während sie sich auf die andere Seite drehte. Obwohl sie ihn nicht ansah, konnte die Elfe seinen Blick in ihrem Nacken spüren. Er suchte nach einer Wahrheit, die nur sie kannte. Auch wenn er gerne alles ins Lächerliche zog, war sie sich sicher, dass er es in diesem Fall nicht tun würde. Dem Blutmagier war durchaus bewusst, wann er ernst sein musste. Nur wollte sie manchmal einfach nur gefragt werden. Ganz normal. Ganz direkt... Eine einzige Frage, um an gewisse Informationen heranzukommen, die für sie eine Erleichterung darstellen konnten. „Was ist geschehen?“, fragte er endlich nach endlosen Minuten. Zumindest fühlten sie sich ewig für die Blondine an. „Shiva hat mir etwas gezeigt, was einst gewesen ist und dennoch Gegenwart wurde.“ „Hä?“ „Sie zeigte mir die Todesspiele, an denen er teilnehmen musste...“ „Ja, und?“, hakte er wissbegierig nach. Natürlich wusste er noch nicht, worauf sie hinauswollte. „Vor diesem Tag war Kelvin Morgenstern kein Magiebegabter.“ „Er entdeckte seine Fähigkeiten, während er um sein Leben fürchtete.“ „So ist es nicht gewesen. Jedenfalls nicht wirklich...“ „Wie ist es dann gewesen?“ „Während ich zusah, wie er kurz davor war zu sterben, erfasste mich Panik. Ich beobachtete ihn und wartete, dass er erwacht, doch es geschah nichts... Da war kein magisches Pulsieren.“ Verwirrt zog Connar die Stirn kraus, während sie sich zu ihm drehte, um ihn endlich anzusehen. Falls er an ihrem Verstand zweifelte, zeigte er es zumindest nicht. „Als dieser Junge über ihm stand und in Begriff war, ihn zu töten, hielt ich es nicht mehr aus. Ich berührte Kelvin und heilte ihn.“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Und während ich ihn heilte, übertrug ich etwas auf ihn... Etwas sehr, sehr Mächtiges. Und das erweckte die Magie in ihm, die zuvor nie da gewesen war.“ „Aber wie...?“ „Ich weiß es nicht.“, gestand sie aufrichtig. „Shiva meinte, dass ich Zeit und Raum aus einem guten Grund überwand, um ihn zu retten. Ich würde es noch erkennen...“ „Das ist absolut... faszinierend!“, keuchte er begeistert. „Darf ich dich aufschneiden und Experimente an dir durchführen? Ich würde gerne herausfinden, wie du solche Dinge vollbringen kannst.“ „Dein Ernst? Ich schütte dir mein Herz aus und das ist deine Reaktion darauf?“ „Was denn? Es ist total interessant! Wie deine Liebe der Zeit trotzt... Wirklich beneidenswert.“ „Ich kann dich nicht leiden.“, schnaubte die Elfe beleidigt und drehte sich wieder weg von ihm. Innerlich wusste sie, dass er es nicht böse meinte, doch all das verwirrte sie nur noch. „Wirst du es ihm sagen?“ „Weiß ich noch nicht...“ „Er sollte es wissen. Er sollte wissen, dass er nicht unbesiegbar ist und er nicht aus eigener Kraft die Todesspiele überleben konnte.“, sagte Connar seltsam ernst. „Ihm sollte klar werden, wie wertvoll du für ihn bist.“ „Mal sehen... Nun ist wichtiger, dass ich aus Lohensturm herauskomme, sobald ich fit bin.“ „Was denn? Du willst dich nicht von Wyrni retten lassen?“, kicherte Connar nun wieder amüsiert. „Eher nicht...“ „Der Haran wird aber nicht sehr erfreut sein, wenn du dich davonmachst.“ „Und ich bin nicht besonders erfreut, wenn man mich die ganze Zeit »Elfe« nennt.“, seufzte Billie augenrollend. „Er wird es überleben.“ „Na gut, ich werde sehen, wie ich dir bei deiner Flucht helfen kann. Erhole dich bis dahin.“ „Danke sehr.“ Billiana musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Connar verschwunden war. Er wandelte durch die Schatten und die Zwischenwelt. So konnte er überall sein... Dann kamen noch seine diversen Doppelgänger hinzu, die alle wichtigen Leute beobachteten. Trotzdem dachte sie nicht über ihre Flucht nach, sondern über das, was die Prüfung der Götter in ihr wachgerufen hatte. Sie dachte an Kelvin... Dachte daran, dass sie Zeit und Raum überwunden hatte, um ihm die Magie zu schenken, die ihn schlussendlich gerettet hatte. Langsam schloss sie ihre Augen, während sie einschlief und von all den Möglichkeiten träumte, wie das hatte geschehen können... Kapitel 9: Chaos in Götterherz ------------------------------ Kelvin überlegte seit Tagen, wie er an König Konstantin von Rabenwacht herankommen konnte. Doch vor allem, wie er ihn dann auch noch überzeugt bekam, sich ihrer Sache anzuschließen! Immerhin war er kein kriegerischer Mann. Sicherlich rebellisch, aber das setzte nicht voraus, dass er auch bereit war, sein Heer gegen den Weltenlenker einzusetzen. Seufzend schloss er die Haustür seiner Hütte auf und sah sich nochmals nach neugierigen Augen oder Ohren um. Auch hier hatten sie die Häuser im näheren Umkreis gekauft, damit er sicher leben konnte. Es hatte sie ein Vermögen gekostet! Doch Hammond und er waren stets in Sicherheit gewesen, seit sie das getan hatten. Als er sein winziges Haus betrat, fiel ihm sofort auf, dass etwas nicht stimmte. Jemand war hier! Zwar konnte er niemanden im Wohnbereich entdecken, aber er roch etwas. Etwas, was nicht von ihm war. Mit gezückten Dolchen schlich er durch sein eigenes Zuhause. Vorsichtig schnupperte er. Es roch nach... Blumen, der Süße von Früchten und irgendwie nach Sandelholz. Eigentlich konnte er es nicht wirklich einordnen! Es war zu exotisch... Angespannt stieß er die Türen auf, die er nur angelehnt hatte. Nirgendwo war jemand. Nur die Tür zu seinem Schlafzimmer war stets komplett zugezogen und hier schien der Duft auch am stärksten zu werden. Mit geschlossenen Augen atmete der Blondschopf einmal tief durch, ehe er die Tür rasch aufriss und sofort die Klingen vor sich hielt, nur... um sie wieder sinken zu lassen. „Billie!“, stöhnte er schockiert. „Du hast mir fast einen Herzinfarkt beschert!“ Mit hochgezogener Augenbraue saß die Elfe auf seinem Bett, als wartete sie schon seit Stunden auf seine Rückkehr. Was durchaus sein konnte... Er war seit gestern Morgen nicht mehr hier gewesen. „Du hast viel gelernt...“, gab sie dann grinsend zu. „Immerhin hast du gemerkt, dass ich hier bin.“ „Ja, schon, aber ich wusste nicht, dass du es bist.“ „Solltest du ja auch nicht.“ „Wo warst du?“ „Hier und dort...“, erwiderte die Hübsche ausweichend, während sie auf seinem Bett sitzen blieb. Kelvin steckte derweil seine neuen Dolche zurück in die dazugehörigen Futterale. Es bestand immerhin keine Gefahr. „Du warst über einen Monat verschwunden!“ „Ich war auch etwas angeschlagen...“ „Angeschlagen?“, hakte er skeptisch nach. „Hatte eine Weile einen Dolch in meinem Herz stecken und davon musste ich mich ziemlich lange erholen.“ „Jemand hat dich erstochen?!“ „Ich habe es selbst getan. Lange Geschichte...“ „Stolperst du nun auch schon wie dein Partner?“ Erstaunt blickte Billiana ihn an, als suchte sie in seinen Augen etwas, ehe sie nickte: „Du hast es also herausgefunden? Oder hat Hamm dir von Nero erzählt?“ „Hamm hat mir von ihm erzählt.“ „Weißt du... Dafür hat Hamm mir erzählt, dass du mit einem der angeblichen Götter verhandelst?“ „Er ist schon irgendwie eine kleine Tratschtante unser kleiner Hammond...“, seufzte Kelvin theatralisch, ehe er sich zu ihr setzte. In dem kleinen Schlafzimmer gab es weder einen Hocker noch einen Stuhl, den er sich hätte heranziehen können. Sie schien sich an der Nähe jedoch nicht zu stören. „Du kannst den Berührten nicht trauen, Kel.“, warnte sie ihn ernst. „Berührte?“ „Göttliche... Berührte... Aufgestiegene... Es gibt recht viele Namen für sie.“ „Du weißt, was sie sind?“ „In alten Zeiten nannte man sie göttliche Splitter. Also ja... Ja, ich weiß, was sie sind.“ „Kann man sie töten?“, wollte er wissbegierig wissen. „Ja.“ „Wie?“ „Du kannst es nicht, Kel, vergiss‘ es. Nur einer kann es...“ Angestrengt seufzte der Rebellenanführer und ließ sich zurück auf sein Bett sinken: „Der Weltenlenker?“ „Jein...“, erwiderte sie nachdenklich. „Zodiak. Zodiak kann sie töten... Und ich vermute, dass sie auch Zodiak töten können. Irgendwie...“ „Was genau sind diese angeblichen Götter?“ Sie blieb ihm eine Antwort schuldig. Stattdessen stieg sie plötzlich über ihn und setzte sich auf seinen Unterleib, während ihre eisblauen Augen auf ihn herabsahen. Es fühlte sich eigenartig für Kelvin an, dass eine Frau über ihm thronte, doch bei Billiana störte es ihn irgendwie nicht. Stattdessen erwiderte er forsch den Blick der Elfe und verschränkte die Arme unter seinem Kopf. Er lag bequem da, als wäre es vollkommen normal, dass Frauen sich auf seinem Schritt niederließen. War es ja auch! Er hatte schon manche Dame ins Bett bekommen, doch bisher war sie ihm recht immun gegen seinen Charme vorgekommen. „Sie wurden einst von den ursprünglichen Göttlichen berührt. Es muss keine Berührung im eigentlichen Sinne gewesen sein, sondern kann auch nur der Kontakt mit ihren Erinnerungen sein oder mit ihrer Magie...“, erklärte sie ihm, während sie den Blick nicht aus seinem Gesicht hob. „Wenn diese Berührten durch einen heroischen Tod sterben – das kann auch einfach nur die Tatsache sein, dass sie mit ihrem Ableben ein unschuldiges Leben retten – dann erwacht die göttliche Macht in ihnen. Sie beginnen sich zu verändern... Nehmen die Gestalt des Göttlichen an, von dem sie einst berührt worden waren. Außerdem erhalten sie einen Bruchteil von deren Macht. Ihre Fähigkeiten...“ „Also ist Fiona von Lebenswelt eine Wiedergeburt eines Gottes? Sie ist von so einer berührt worden wie der Schöpfermutter?“ „Lebenswelt ist eine Frau?“ Überheblich begann der Blondschopf zu grinsen, ehe er nickte: „Oh ja... Wusstest du das etwa nicht?“ „Soweit es mir möglich ist, halte ich mich von ihnen fern...“, gab die Elfe missmutig zu. „Aber ja... Du hast vollkommen recht: Solche wie Lebenswelt wurden zu Lebzeiten durch die Rückbleibsel dieser Göttlichen berührt und starben dann heldenhaft.“ „Warum scharen sie dich dann um Wyrnné? Sie scheinen doch letztendlich mächtiger zu sein als er.“ Auch dieses Mal antwortete die Attentäterin ihm nicht sofort. Ihre Kuppen berührten stattdessen neugierig seinen Hals und glitten bis zu dem Kragen seines Hemdes herunter und wieder hinauf. Sie entlockte ihm dadurch eine Gänsehaut! Trotzdem versuchte Kelvin gelassen zu bleiben, was bei ihrem Anblick wirklich schwierig war. Ihre Augen wanderten dabei mit ihren Fingern mit. Manches Mal schien sie an seinem Herzen hängen zu bleiben, als suchte sie nach etwas Bestimmten. Jedoch war er überzeugt davon, dass sie ihn nicht töten wollte. Dann wäre er längst tot! „Er findet sie, wenn sie noch leben... Er unterwirft sie seinem Willen und dann lässt er sie heldenhaft sterben. Er fingiert ihre Tode nach und nach...“, erklärte sie ihm bleiern. „Dann nimmt er ihre Leichen und wartet auf die Vollendung ihres Aufstiegs. Er zeigt ihnen, was sie sehen sollen und redet ihnen ein, dass sie nur durch ihn leben.“ „Warum tut er das? Es ist doch gefährlich, wenn er so viele mächtige Kreaturen häuft.“, hinterfragte der Rebell verwirrt. „Sie könnten ihn stürzen!“ „Ich denke, dass Zodiak will, dass er es tut...“ „Aber sagtest du nicht, dass sie das Urböse vielleicht vernichten können?“ „Und ich sagte auch, dass er sie ebenfalls töten kann.“, erinnerte die Blondine ihn. „Wenn sie alle an einem Ort versammelt sind, wenn er zurückkehrt, kann er sie auf einen Schlag vernichten. Die Gefahr wäre gebannt...“ „Clever.“ „Ja, so ist er...“ Kelvin lächelte, dann nahm er die Hände hinter seinem Kopf hervor, um stattdessen ihre Schultern zu packen. Ohne Vorwarnung riss er die Elfe herum, damit er nun stattdessen über ihr thronen konnte. Seine blauen Augen sanken derweil in ihren, während sie überraschenderweise unter ihm liegen blieb. Eigentlich hatte er mit mehr Widerstand gerechnet. Eine Weile betrachtete er sie einfach nur. Sie war eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte und er wusste, dass er das nicht zum ersten Mal dachte. Ihre Makel machten sie unfassbar verlockend. Er fand es beinahe schade, dass sie die Narben in ihrem Gesicht unter einem Zauber verbarg. Langsam beugte er sich zu ihr herunter, während er kurz vor ihrem Mund innehielt. Obwohl sich der Rebell sonst gerne nahm, was er wollte, zügelte er sich bei ihr. Schon seit sie einander kennengelernt hatten! Irgendwie wollte er alles bei ihr richtig machen. Keine Gegenwehr, also senkte er seine Lippen auf ihre, während er seine Augen schloss. Er konnte in den letzten Augenblicken jedoch erkennen, dass auch Billie ihre Augen schloss. Sie erwiderte den Kuss. Seine Kuppen wanderten während der Vereinigung ihrer Münder wie von selbst über ihren bekleideten Körper. Sie fühlte sich so verdammt gut an! Er legte den Kopf schief, während er an ihrer Unterlippe saugte, um anschließend daran zu knabbern. Selbst ihr Geschmack war verlockend und hinreißend zugleich, während ihr Duft seine Nase umwarb. Jenen Geruch, der ihn eben noch alarmiert hatte... Als sie ihren Mund dann jedoch zurückzog, haderte er und sah sie verwirrt an: „Zu viel? Wegen Hamm?“ „Nein... Hammond weiß, dass mein Herz eine Festung ist. Ich binde mich seit Argrim nicht mehr...“, gestand sie leise. „Ich muss dir noch etwas anderes sagen.“ „Was denn?“ Die Elfe schwieg, während sie ihm unsicher in die Augen sah. Sie schien zu hadern, ob sie wirklich aussprechen sollte, was sie sagen wollte. Ihre Hände glitten derweil streichend an seine schnell atmende Brust. „König Konstantin von Rabenwacht hat mir eine Mission aufgetragen, als ich nach Götterherz zurückkehrte...“ „König Konstantin? Ehrlich?!“, fragte er vollkommen empört. „Ja.“, antwortete Billiana sichtlich irritiert. „Er möchte, dass ich ihm bei einer Sache helfe und ich sagte ihm zu. Ich würde das wirklich gerne machen... Ist das in Ordnung? Ich weiß, dass ihr mich braucht, aber das ist... wichtig.“ „Klar, mach‘ nur. Mach‘ nur...“, grinste er breit und senkte seine Lippen auf ihre, um sie dankbar zu küssen. „Und wir werden dir helfen.“ „Hä?“ „Ehrlich gesagt versuche ich seit Tagen an ihn heranzukommen! Lebenswelt brachte mich auf die Idee, dass er sich vielleicht der Rebellion anschließen könnte. Wenn wir ihm helfen, wird er uns zugetan sein.“ „Das ist eine wirklich gefährliche Mission, Kel...“, ermahnte die Attentäterin ihn streng. „Es wird viele Tote geben und massives Chaos.“ „Umso besser!“ „Du darfst keinen Alarm schlagen, ehe es nicht angemessen ist.“ „Kriege ich hin. Ich kam auch unbemerkt in Lebenswelts Palast!“, sagte er stolz. „Na gut... Ich kam nicht ungesehen heraus, aber nur, weil wir so lange geredet haben.“ „Deine Crew muss damit einverstanden sein. Und ihr müsst alles tun, was ich euch sage.“ „Kriegen wir hin.“ „Ach ja? Kriegt ihr das hin?“, hinterfragte sie mit hochgezogener Augenbraue. „Ihr seid Rebellen. Befehle zu befolgen, liegt nicht in eurer Natur...“ „Touché, aber in diesem Fall werden wir es tun.“ „Unschuldige werden sterben.“ „Unschuldige sterben jeden Tag.“, erinnerte Kelvin sie nüchtern. „Sie werden durch euch sterben.“ Nun brachte sie ihn tatsächlich zum Schweigen. Man konnte viel über ihn und seine Anhänger sagen, aber gewiss nicht, dass sie Unschuldige töteten oder folterten. Ihnen ging es darum, sie aus ihrer Knechtschaft zu befreien – auch, damit sie sich ihnen vielleicht anschlossen. Selbstverständlich führte Billiana als Attentäterin ein komplett anderes Leben. Sie tötete die, für die sie bezahlt wurde. Ob sie nun unschuldig waren oder Monster, spielte keine Rolle. Es ging um Geld. Nur glaubte er nicht, dass alles so war, wie es schien. Sie wollte diese Mission erledigen, weil ihr etwas daran lag. Weil ihr etwas an Konstantin lag... Sie tötete für ihn diese Unschuldigen. „Worum geht es?“, fragte er ernst. „Es ist eine getarnte Rettungsmission.“, erklärte sie ihm, während ihre Hände geschickt sein Hemd aufknöpften, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. „Konstantin möchte, dass wir seinen Sandkastenfreund aus dem Kolosseum befreien, doch es muss so aussehen, als sei es ein Aufstand. Als wäre er nur durch das Chaos entkommen...“ „Ist es dir deshalb so wichtig? Weil du diesen unschuldigen Freund retten möchtest?“ „Unter anderem...“ „Was ist der andere Grund?“ Leise seufzte sie. Ihre Finger glitten über seinen vernarbten Brustkorb. Befühlten jede seiner Narben, die er durch Kämpfe erlitten hatte. Manche, weil er sich den Bestien des Weltenlenkers hatte stellen müssen, andere waren durch die Wachen von Aristokraten entstanden, weil er erwischt worden war. Ihre eisblauen Augen glitten von seinen Augen über seinen Mund hinab zu seinem Hals. Beobachteten eine Weile, wie sein Adamsapfel tanzte. Ihre Finger hingegen glitten unter seinem Hemd zu seinem Rücken. Auch dort konnte sie viele alte Verletzungen ertasten. Was immer sie so zueinander hinzog, es beruhte auf Gegenseitigkeit. Er konnte kaum den Blick von ihr abwenden, trotzdem wollte er die Elfe besser verstehen. Begreifen, weshalb sie tat, was sie tat. „Ich bewundere Konstantin...“, gestand Billie schließlich kleinlaut. „Er hat sich aus einem Haufen Scheiße erhoben und hat ein Land zu neuem Glanz verholfen, welches unter schlechten Entscheidungen zu fallen drohte. Aus dem Nichts erschuf er eine... Dynastie. Die Dynastie Rabenwachts.“ „Da ist noch mehr... Verrate es mir.“, hauchte er und küsste ihren Schopf. An ihren Mund kam er gerade nicht heran, außerdem sollte sie ihm ja Antworten liefern können. „Er ist... ein Splitter... Ein Berührter. Aber er weiß es nicht.“ „Wenn er stirbt, dann wird er zu einem dieser falschen Götter?“, fragte er überrascht. „Wenn er heldenhaft stirbt, ja...“ „Woher-...?“ „Ich kann sie spüren... Ich kann es sehen. Ich kann sie hören.“, säuselte Billiana und sah ihm endlich wieder in die Augen. „Ich bin einer von ihnen, Kel.“ Fassungslos starrte er sie an. Ihm fehlten die Worte! Sollte sie heroisch sterben – worauf alles hindeutete – dann kehrte sie als einer von ihnen zurück. Dann würde sie wie Lebenswelt werden. Wäre eine Gefangene, in dieser Hülle und Wyrnné würde sie soweit manipulieren, dass sie ihm folgte. Zum ersten Mal schärfte er seinen Blick, um ihr magisches Pulsieren zu betrachten. Es war wirklich anders! Ähnlich wie bei Fiona, tänzelte ihre Aura. War heller, stärker und beeindruckender als alles, was er bisher gesehen hatte. Doch vor allem war sie... wärmer. Mütterlicher... Als diente diese Macht nicht der Vernichtung. „Seit wann weißt du es?“ „Seit meiner damaligen Reise. Die Drachen sagten es mir, vor meinem letzten Kampf gegen Zodiak.“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Es erklärt, wie du sie erkennen kannst, aber weshalb erkennt Wyrnné sie?“ „Weil er der Sohn des Schöpfervaters ist.“ Kelvin fiel beinahe von ihr herunter vor Schreck! Er hatte ja mit vielem gerechnet, aber damit nicht. Der Sohn des Schöpfervaters... Jener, der damals mit der Schöpfermutter die Welten erschuf und mit ihr Zodiak besiegen wollte. Wenn man es also genau nahm, war der Weltenlenker wirklich eine Art Gott. Ein halber Gott, sofern-... „Ist die Schöpfermutter etwa seine Mutter?“, fragte der Blondschopf atemlos. „Nein...“, antwortete sie kopfschüttelnd. „Sie waren zwar verliebt ineinander, doch meistens zerstritten. Außerdem wurde Wyrnné lange nach Shivas Tod gezeugt.“ „Wer ist seine Mutter?“ „Die Königin der Zwischenwelt. Er ist eigentlich ein Zwischenweltler und wird nach seinem Ableben dort seelenlos ruhen.“ „Er ist kein Mensch... Und doch verfolgt er Nichtmenschen?“ „Ich denke, er wäre gerne ein Mensch. Die Nichtmenschen faszinieren ihn zwar und alle, die er liebt, waren oder sind Nichtmenschen, aber er will das nicht.“ „Paradox...“ „In der Tat.“, stimmte sie ihm trocken zu. „Sind da noch mehr Geheimnisse, die du mir unbedingt beichten musst?“ „Glaube nicht...“ Obwohl die Stimmung eigentlich dahin sein sollte, fühlte er sich immer noch unbeschreiblich zu ihr hingezogen. Deshalb senkte er erneut seine Lippen auf ihre und begann nun endlich ihre Bluse zu öffnen. Ein bisschen tat es ihm um Hamm leid, doch er wollte sich auch nicht seinem Herz verweigern. Mit geschlossenen Lidern ließ er sich fallen. Nur einen Augenblick lang, dann spürte er ihren Widerstand. Der Drache in ihr kam zum Vorschein! Grinsend biss er ihr in die Unterlippe, während er sie mit Kraft auf den Rücken behielt. Bot er ihr eine Gelegenheit, würde sie ihn umwerfen und das Ruder wieder an sich bringen. Ihre Vereinigung würde weder romantisch noch zärtlich sein, aber es war genau nach seinem Geschmack. Sie war nach seinem Geschmack! Mit dem Feuer der Leidenschaft entblätterte er sie, um sich endlich das einzufordern, was er seit dem ersten Tag begehrte.   „Wir müssen mit sehr viel Widerstand rechnen.“, erklärte Billiana vor dem Herzen der Rebellion. Nur diese fünf würden bei dem Ausbruch helfen, um nicht zu viel Aufsehen zu erregen. Und natürlich Nero! Der war aber schon dort. „Lord Optimus hat schon vor Wochen die Zahl der Wachen erhöhen lassen, weil er mit einem Angriff auf sein Kolosseum rechnet. Nur rechnet er nicht damit, dass Konstantin sich an Auftragsmörder wenden würde.“ „Was ist denn daran bitte anders?“, warf Dorian skeptisch ein. „Wir sind leiser. Wir sind tödlicher als Soldaten.“, erwiderte Billie honigsüß. „Wir beherrschen die Täuschung und Tarnung wie kein zweiter. Bei uns ist ein Mord nicht einfach nur ein Mord: Es ist Kunst.“ Schweigen legte sich über die Gruppe. Bisher hatten nur Hammond und Kelvin viel Kontakt zu ihr gehabt, sonst keiner. Dennoch schienen sie keineswegs an ihren Talenten zu zweifeln, wenn vielleicht aber an ihrem Charakter. Oder ihrem Verstand... Doch sie folgten auch Kelvin, also würden sie es auch bei ihr machen. „Soldaten metzeln sich den Weg frei, aber unser Ziel ist es, unbemerkt in das Kolosseum einzudringen und von Innen heraus für Chaos zu sorgen. Es muss so aussehen, als hätten einige Gladiatoren einen Aufstand angezettelt, den die anderen bloß für sich ausgenutzt haben.“, fuhr sie gelassen fort. „Jeder Gladiator, der befreit werden möchte, wird aus seinem Käfig herausgelassen und erhält die Waffe eines Wächters. Sie sind für sich selbst verantwortlich. Uns geht es nur um den Champion der Arena. Er ist derjenige, der das Ganze überleben muss.“ „Werden die anderen sterben?“, mischte sich Kyle nicht unbedingt glücklich ein. „Vermutlich...“ „Und das ist Euch egal?“ „Nicht egal... Es sind unvermeidliche Kollateralschäden.“ „Wusstest du, dass es so laufen würde, Kel?“, hakte Dorian nun skeptisch nach. „Jupp, wusste ich.“, sagte der Anführer leicht dahin. „Uns geht es darum, König Konstantin von Rabenwacht einen Gefallen zu tun, damit er uns wohlgesonnen ist. Wir brauchen seine Unterstützung bei unserer Rebellion.“ „Konstantin ist das Leben von Theodor so wichtig, dass er dafür sogar dem Weltenlenker in den Tod folgen würde.“, ergänzte die Blondine nüchtern. „Also rechtfertigen wir damit die Tode dieser armen Säue?“, hinterfragte nun der Titan der Gruppe. „Sind wir dann überhaupt besser als der Weltenlenker?“ „Keineswegs, Hamm, aber bei dieser Sache geht es auch nicht darum, besser zu sein als er.“, erklärte Billiana ernst. „Ich sage es ganz deutlich: Hierbei handelt es sich um einen Attentäter-Auftrag nicht um den Auftakt einer Rebellion. Das tun wir... Attentäter töten Menschen. Einige davon sind unschuldig, andere sind es nicht.“ „Das erscheint mir nicht richtig, Kel.“, murrte Dorian. „Niemand muss bei dieser Sache mitmachen, der sich nicht wohl dabei fühlt.“, sagte Kelvin charismatisch. Sie verstand schon, weshalb man ihm so gerne folgte. „Du wirst ihr auf jeden Fall helfen?“ „Ja.“ „Aber leise irgendwo reinzukommen, ist nicht gerade eine deiner Stärken.“, erinnerte Elena ihn skeptisch. „Inzwischen bin ich doch ganz gut darin geworden.“, kicherte der Rebellenanführer amüsiert. „Ich werde nicht das Problem sein, sondern die Gladiatoren, die vorgeben, dass sie rauswollen und uns dann angreifen.“ „So ist es... Und die Wachen, von denen wir eventuell nichts wissen.“, fuhr die Elfe vorerst fort, damit die Crew alle Fakten kannte, ehe sie ihre Entscheidung trafen. „In dieser Mission ist nur eine Sache sicher und zwar die, dass nichts sicher sein wird. Nicht die Anzahl unserer Widersacher und auch nicht, wer wirklich auf unserer Seite sein wird.“ „Außerdem müssen wir vielleicht auch Diener oder Gladiatoren töten, die nach Hilfe schreien wollen, bevor es uns recht ist, dass der Alarm ausgelöst wird.“, hing Kelvin noch mit heran. Auch das war ein Fakt, der ihnen bewusst sein musste. Das Leben eines Unschuldigen zu nehmen, war anders. Tötete man jemanden, der einen selbst umbringen wollte oder von dem man wusste, dass er viele Verbrechen begangen hatte, dann konnte man sich einreden, dass der Mord gerechtfertigt war. Doch das ging nicht, wenn das einzige Verbrechen des Opfers die Tatsache war, dass er geboren worden war. Billiana wusste um diese Bürde. Im Kampf gegen das Urböse hatte sie zahlreiche Menschen und Nichtmenschen töten müssen, die eigentlich nie etwas verbrochen hatten. Sie waren nur Verseuchte gewesen, die den Befehlen ihres Marionettenspielers folgten. Langsam schloss sie ihre Augen, während sie sich an ihre Gesichter erinnerte, bevor sie starben. An die Angst, als Zodiak ihre Körper verließ, um sie zum Sterben zurückzulassen. Sie hörte, wie sie flehten, ihnen zu helfen, doch es war längst zu spät. Vor allem Gaius war in ihrem Gedächtnis geblieben, der kurz vor seinem Ende sie als seine Mutter angesehen hatte. Er hatte sie um Vergebung gebeten... Und obwohl Billiana zu dieser Zeit noch ein halbes Kind gewesen war, hatte sie die Rolle übernommen, damit er mit reinem Gewissen sterben konnte. Der Unterschied zwischen heute und damals war, dass sie heute eine Wahl hatten. Sie mussten diese Mission nicht mitmachen. Die Unschuldigen, die vielleicht sterben würden, waren nicht besessen und griffen sie nicht zwingend an. Es ging nicht um die Verteidigung ihres Lebens. Überzeugt öffnete sie ihre Augen und sah mit Feuer in die Gesichter der Rebellen: „Euch mag es vielleicht nicht so erscheinen, doch es ist eine Rettungsmission. Es geht um die Rettung eines einst unschuldigen Bauern, der an das Kolosseum verkauft wurde, um Konstantin zu brechen. König Konstantin von Rabenwacht hat sich wie ein Phönix aus der Asche erhoben und rettete tausende von Leben. Er verschonte Nichtmenschen und Mischlinge. Befreite sie aus ihrer Verfolgung. Wenn ihr mich fragt, dann sind die vier oder zehn Leben, die in dieser Nacht unschuldig gehen müssen, nichts im Vergleich zu dem, was Konstantin getan hat. Nichts gegen all die Leben, die er noch retten wird. Nichts im Vergleich zu dem, was Theodors Rettung vielleicht in ihm wecken kann.“ „Du klingst etwas fanatisch...“, warf Dorian irritiert ein. „Als ich Midgard nach vielen Jahren besuchte, fand ich einen Ort des Grauens vor. Ich sah Millionen Nichtmenschen fallen. Ich erfuhr, dass Wyrnné sie schlachten ließ wie Vieh! Ich sah nur diese Dunkelheit.“, erklärte sie aufrichtig. „Und in dieser Dunkelheit erschien dieses winzig kleine Licht. Ein Mensch, der bereit war, all das zu vergessen. Der innerhalb von drei Jahren tausende Leben rettete. Für was? Für Dank alleine... Er hat mir Glauben geschenkt. Hoffnung, dass die Menschen nicht so verloren sind, wie es scheint. Jedes Leben ist kostbar und niemand wird die unschuldigen Tode so sehr bedauern wie ich, doch Konstantin wird jeden Toten tausendfach wiedergutleisten. Und viele der Gladiatoren werden frei sein oder frei sterben. Das ist mehr wert, als der blutige Tod in der ehrlosen Arena Götterherz‘.“ Schweigen legte sich über die Gruppe. Billie ließ es zu, damit ihre Worte sacken konnten. Sie verstand jeden Zweifel, doch sie verstand auch etwas anderes: Manchmal musste man etwas opfern, um etwas Größeres zu ermöglichen. All die Königreiche von früher und heute waren auf Leichen errichtet worden. Jeder König hatte seine Macht erworben, weil er andere zurückließ, manche verriet und Unschuldige tötete. Hinter jeder großen, außergewöhnlichen und guten Sache, steckte ein dunkler Schatten. Verluste, die dieses Gute ermöglicht hatten. Die Welt war nicht nur Schwarz und Weiß... Entscheidungen waren nicht immer nur gut oder böse. Es gab stets zwei Seiten. Durch diese zwei Seiten vermischte sich alles und im Endeffekt ergab das Grau. „Ich mach‘ mit.“, sagte Hammond seltsam überzeugt. „Sie hat recht... Konstantin tut viel für die Völker und verdient es, dass wir ihm helfen.“ „Ich bin auch dabei.“, schloss sich Dorian grinsend an. „Ich muss ja auf unseren Großen aufpassen.“ Hamm grinste und sie stießen einander kumpelhaft mit den Schultern an. Sie waren ein wirklich eigenartiges Duo, doch Billiana war davon überzeugt, dass sie einander niemals in Stich lassen würden. „Ich... bleibe hier.“, brummte Elena. „Ich bin eh keine Hilfe, aber wenn jemand verletzt ist, werde ich da sein und die Wunden versorgen.“ „Ich werde ebenfalls hierbleiben, aber bei der Planung dieser Rettung tatkräftig helfen, damit es so wenig unschuldige Opfer gibt wie möglich.“, sagte Kyle ernst. „Ich kämpfe nicht gut genug, um mich mit Gladiatoren anzulegen...“ „Das glaube ich allerdings auch, alter Mann.“, gluckste Kelvin amüsiert. Es hatten sich genau die freiwillig für den Außeneinsatz gemeldet, die der Anführer ihr zuvor noch genannt hatte. Er kannte seine Crew. „Ich bin kaum älter als du!“ „Man ist immer so alt, wie man sich fühlt, mein Freund. Oder sich gibt...“ „Fick‘ dich, Kel!“ „Nach dir.“, kicherte der Blondschopf. „König Konstantin verlässt heute noch Götterherz und kehrt nach Rabenwacht zurück.“, mischte sich Billiana in das Gegacker ein. „In drei Tagen werden wir in das Kolosseum eindringen. Bis dahin solltet ihr also vorbereitet und breit sein. Das wird nicht einfach...“ „Aye, aye!“, sagten Hammond und Dorian wie aus einem Munde und salutierten salopp. „Wegtreten.“, grinste die Elfe amüsiert. Wie auch immer das ausgehen würde, es würde für sehr viel Aufsehen sorgen. Nur hoffte sie, dass sie dabei auch Theodor lebend aus dem Kolosseum herausbekamen!   Es machte Konstantin nervös, dass heute Nacht der Ausbruch von Theodor losging. Schlimm war vor allem für ihn, dass er nicht dabei sein durfte. Billiana hatte ihm klar gemacht, dass er möglichst weit weg von den Ereignissen sein musste. Nichts durfte auf ihn hindeuten. Wie unschön er das auch fand, musste er der Attentäterin dabei recht geben. Außerdem wollte er auch Benedikt nicht länger zumuten, dass er in Götterherz sein musste. Ihre Beziehung hatte sich seit jener gemeinsamen Nacht selbstverständlich verändert, nur wusste er noch nicht, inwieweit. Es konnte sein, dass es eine einmalige Nacht blieb, aber auch, dass mehr daraus erwuchs. Es würde den Adelssohn freuen, wenn da mehr zwischen ihnen wäre. Während er darüber nachdachte, klopfte es an der mächtigen Flügeltür zu seinem Thronsaal. Kurz darauf kam Durell herein und wirkte verunsichert. Immer mal wieder drehte er sich um. Offenbar überlegte der Hauptmann der Leibwache, ob er nicht doch lieber umkehren wollte. „Was kann ich für dich tun, Durell?“, fragte der König und richtete sich seine goldene Krone, die er so ungern trug. Im Moment war er aber im Dienst und versuchte alle Fehler seiner Frau zu korrigieren. „Ich muss Euch etwas beichten, Majestät...“ „Was denn?“ „Es geht um Theodor. Um seine damalige Entführung...“, gab Durell kleinlaut zu, während er seine Hände krampfhaft knetete. „Ich... war damals beteiligt...“ Erstaunt sah er ihn an, während Konstantin sich aufrecht hinsetzte, um den Hauptmann genauer zu mustern. Alles an dem jungen Mann verriet ihm, dass er nicht log. Jedoch musste er zugeben, dass er so etwas bereits vermutet hatte, weil Durell seit der Sichtung von Theodor sich eigenartig verhielt. Trotzdem wollte er ihn selbst reden lassen. Beichten waren eine schwierige Angelegenheit und es war nicht fair, wenn man sich einmischte. „Damals hatte ich... meine Rekrutenausbildung gerade erst abgeschlossen. Es war eine meiner ersten Aufträge im Dienste Rabenwachts...“, gestand Durell weiterhin verunsichert. „Mir wurde gesagt, dass ich auf keinen Fall mit ihm sprechen darf. Ich sollte nur dafür sorgen, dass er sicher nach Götterherz gebracht wird... Ich hielt mich an meine Befehle. Ich sprach nicht mit ihm und hatte deshalb keine Ahnung, wen ich da überführte. Aber er tat mir leid... Ich konnte sein Gesicht niemals vergessen. Er verfolgt mich in meine Albträume!“ Konstantin sah ihm an, dass er die Wahrheit sagte. Er hatte sich schlecht wegen der Entführung gefühlt und keine Ahnung gehabt, was er da getan hatte. Er war ein einfacher Soldat gewesen... Jemand, der Befehlen folgen musste. „Ich hätte es Euch schon eher sagen müssen, doch ich wusste nicht, wie... Es tut mir leid!“ „Würdest du es wieder tun?“ „Wie bitte?“ „Gäbe ich dir denselben Auftrag heutzutage mit dem Wissen, welches du heute hast, würdest du diese Mission erneut ausführen?“ „Nein, Majestät...“, gab Durell zu und senkte seinen Blick. „Ich könnte es nicht.“ „Gut, dann bin ich froh, dass du so viel daraus gelernt hast.“ Irritiert sah der Hauptmann der Leibwache ihn an, als würde er über Hexenverbrennungen sprechen: „Was...? Das ist alles?“ „Was denn? Soll ich dich foltern lassen? Dich köpfen? Federn? Nicht mein Stil.“ „Seid Ihr denn nicht sauer auf mich?“ „Nicht sauer, aber enttäuscht, Durell.“, gestand der König mit gestrafften Schultern. „Ich hatte mehr von dir erwartet, doch es war eine andere Zeit. Du dientest einem anderen...“ „Ich werde alles tun, um meinen Fehler wiedergutzumachen und diese zweite Chance zu nutzen, Euer Gnaden.“ „Ich weiß, Durell.“ „Bei allen Göttern, die mal waren, sind und sein werden, hoffe ich sehr, dass es dieser Frau gelingen wird, Theodor zu retten.“, sagte der Hauptmann mit gestrafften Schultern und aufrechtem Haupt. „Alles, was ich für ihn tun kann, werde ich tun. Das schwöre ich.“ „Ich hoffe, dass du diese Gelegenheit erhalten wirst.“ „Danke für Eure... Gnade, Majestät.“ „Danke für deine Ehrlichkeit, Durell.“ Ganz nach Soldatenmanier verbeugte sich Durell vor ihm, ehe er sich umdrehte, damit er den Thronsaal wieder verlassen konnte. Seine Schritte wirkten nun entschlossen. Du wirst deine Wiedergutmachung leisten, Durell... Damals hast du vielleicht einen Fehler begangen, doch du bist daran gewachsen., dachte der Adelssohn mit einem Schmunzeln. Um weder weiter über den Ausbruch nachzudenken noch über Theodor, erhob er sich von seinem Thron. Es gab noch vieles, was er richten musste, ehe die Nacht einbrach.   Wie vorher besprochen, hatten sie sich in Teams aufgeteilt. Kelvin und Billiana bildeten ein Team und das andere bestand aus Hammond und Dorian. Kyle und Elena waren zurückgeblieben, würden aber eventuelle Verletzte sofort versorgen. Hamm gefiel das Ganze nicht. Nicht nur, weil sie vielleicht einige Unschuldige töten mussten, sondern weil sie sich auch noch verteilten. Selbstverständlich hatte Nero ihnen fungiertes Wissen geliefert, weil er sich wieder mal perfekt eingeschlichen hatte, doch eine falsche Information reichte und sie mussten zu viele töten. Oder ein falscher Schritt... Doch er war von Billies Rede beeindruckt gewesen. Von ihrer Überzeugung! Und er konnte nicht abstreiten, dass alles stimmte, was sie über Konstantin gesagt hatte. Es gab womöglich keinen besseren Menschen auf Midgard. Nun ging es erstmal darum, so viele Wachen wie möglich auszuschalten ohne dafür zu sorgen, dass die Glocken geläutet wurden. Leichter gesagt als getan! Sie patrouillierten fast alle in Gruppen. Außerdem mussten sie jeden ausgeknockten oder toten Soldaten im Anschluss verstecken ohne entdeckt zu werden. Bisher hatten sie erst zwei Gruppen und einen einzelnen Wächter erwischt. Ihm kam das zu wenig vor. Zumal sie nur langsam ins Innerste vordrangen. Rasch hob er seine Faust, um Dorian Einhalt zu gebieten. Zwei Soldaten gingen gerade redend einen Gang entlang. Noch hatten sie sie nicht bemerkt, was ihnen eine neue Gelegenheit bot. Hamm wartete auf den richtigen Moment, dann preschte er voran und schnitt dem einen Kerl die Kehle mit dem Schwert auf. Bevor der andere überhaupt reagieren konnte, trat er ihm brutal in den Magen. Rasch schlug er ihm den Kopf von den Schultern, nachdem er gestürzt war. Als der Titan sich umdrehen und Dorian Anweisungen geben wollte, blickte er plötzlich in blutunterlaufende Augen eines panischen Wächters. Er war vollkommen erstarrt und als er etwas sagen wollte, sprudelte Blut aus seinem Mund. Kurz darauf weinte er blutige Tränen und sackte in sich zusammen. Dorian stand hochkonzentriert da, ehe er seine Hände wieder sinken ließ. Der beleibte Rebell mochte kein Krieger sein, das machte seine Magie aber nicht weniger eindrucksvoll! „Ehrlich, Dorian, weshalb sagst du noch gleich, seist du kein Kämpfer?“ „Weil ich nicht weiß, welches Ende einer Waffe wohin gehört.“, erinnerte der Quellgeist ihn schief grinsend. „Außerdem töte ich echt ungern.“ „Aber effektiv.“ „Das kann ich nicht abstreiten...“ „Manchmal würde ich auch gerne die Kontrolle über das Blut anderer Leute haben.“, gab Hamm schmunzelnd zu. „Sieht einfacher aus, als es ist... Außerdem ist es wenig ruhmreich.“ „Macht nichts, ist trotzdem beeindruckend.“ Dorian lächelte, bis sie dann zusammen die Leichen beiseiteschieben mussten. Ausgewachsene Männer in voller Montur waren natürlich schwer, weshalb das richtige Knochenarbeit war. Hamm sah, dass sein bester Freund schon massiv schwitzte von all der Zerrerei. Als sie die drei Männer versteckt hatten, gingen sie weiter. Bisher läuteten noch keine Glocken, also waren weder die Leichen aufgetaucht noch hatte Kelvin bisher etwas Dummes angestellt. Soweit, so gut..., dachte der Titan zufrieden. Wir müssten eigentlich gleich die ersten Käfige erreichen. Das war der Punkt, an dem es schwer wurde. Die Käfige der Gladiatoren waren viel besser gesichert und wenn sie nur einen einzigen Fehler machten, konnte einer der Wachen entkommen, um Alarm zu schlagen. Sie wollten aber vorher ein paar Gladiatoren befreit haben, bevor sie die Glocken läuten ließen. Sie räumten noch zwei Patrouillen aus dem Weg, dann erreichten sie die ersten Käfige. In jedem war mindestens ein Gladiator. Die eher unbeliebten Kämpfer mussten sich einen Käfig teilen. Überall wanderten Wachen durch den Raum, die schwer bewaffnet waren, als erwarteten sie einen Krieg. Trotzdem plauderten einige von ihnen munter. Andere spielten sogar Karten! Die Mentalität unterschied sich, obwohl ihre Ausrüstung sehr eindrucksvoll schien. „Lass‘ mich den Anfang machen.“, flüsterte Dorian und hob konzentriert seine Hände. Er wählte bewusst die Soldaten aus, die etwas abseits von den anderen standen. Ihre plötzliche Starrte fiel deshalb nicht auf. Dorian hatte ihm mal erklärt, dass er das Blut umlenken konnte, wenn er es wollte. Es war aber auch möglich, es zum „Kochen“ zu bringen oder zum Stillstand. Alles sehr langsame und schmerzhafte Methoden, die jedoch wenig Lärm verursachten. Die Betroffenen waren meistens zu schockiert, um zu schreien. Erst als die Wachen zu Boden sackten, horchten ihre Kollegen auf. Verwirrt eilten sie zu ihnen und sprachen sie an, doch natürlich konnte keiner von ihnen mehr antworten. Der Quellgeist konzentrierte sich auf drei weitere der Wachen, die sofort erstarrten. Die Gelegenheit für Hammond, endlich in den Raum zu stürmen und mit seinem Langschwert zwei weitere Männer zu fällen. Als ein anderer nach ihm schlagen wollte, riss er Steine aus dem Boden, um sie zwischen sich und dem Wächter als Schutzwall zu nutzen. Anschließend donnerte er ihm einen der größeren Steine direkt gegen die Schläfe. In der Zwischenzeit hatte Dorian die drei anderen Soldaten erledigt, geriet nun aber in Bedrängnis. Bisher kam keiner der Wächter auf die Idee, Alarm zu schlagen, obwohl sie nur noch zu viert waren. Ohne Gnade erschlug Hamm einen der Männer von hinten, während Dorian das Wasser aus nahen Eimern zog, um es mit aller Wucht gegen seine Angreifer zu schleudern. Das riss zwei zu Boden, wodurch Hamm mit einem Steinhagel den dritten einfach erschlug. Einer der am Bodenliegenden ertränkte der Beleibte einfach, während der Titan dem anderen den Kopf von den Schultern trennte. Sie hatten nun alle Wachen in diesem Raum besiegt. Hammond musste nicht lange suchen, um die Schlüssel für Käfige und Türen zu finden und brachte sie sofort an sich. Dann drehte er sich zu den sichtlich verwirrten Gladiatoren, die das Ganze mit offenen Mündern beobachtet hatten. „Wer von euch sein Glück in Freiheit wagen will, möge sich melden.“, sagte der Titan ernst. „Jeder, dem das zu gefährlich ist, lassen wir unbehelligt in seinem Käfig. Euch wird man nichts anhängen können. Ich will euch nicht anlügen: Jeder von euch, der sein Glück wagt, wird es schwer haben. Man wird alles versuchen, um euch wieder hier einzusperren und wie arme Hunde gegeneinander antreten zu lassen.“ Stille nahm den Raum ein, dann traten ein paar der Gefangenen vor und sahen sie ernst an: „Wir riskieren es. Alles ist besser, als für diese Schweine im Sand zu verbluten!“ Es erinnerte ihn an die Rede von Billiana. Lieber in Freiheit sterben als in Gefangenschaft zur Schau gestellt werden... Hammond ging zu den entsprechenden Käfigen und öffnete einen nach dem anderen. Nur einige wollten bleiben. Das waren sicherlich die Gladiatoren, die sich einst freiwillig gemeldet hatten. Sie wollten über den Lohn in der Arena ihre Familie versorgen und würden für sie elendig verrecken. „Nehmt euch die Waffen der Soldaten. Dieser Weg müsste weitgehend frei sein, seid trotzdem vorsichtig.“ Entschlossen nickten die Männer, griffen zu den Waffen und eilten davon. Sie alle trugen zahlreiche Narben. Nicht nur außen, sondern auch innen... Das Kolosseum hatte ihnen unaussprechliche Dinge angetan und ihnen vieles genommen. Nun hatten sie die Chance, diesen Gefallen zu erwidern. Gemeinsam mit Dorian schob er einige der Leichen näher an die offenen Käfige. So sah es so aus, als hätten die Gladiatoren sie selbstständig gepackt, die Schlüssel ergaunert und waren dann in einem blutigen Gemetzel geflohen. „Weiter.“, sagte der Titan schließlich ernst. Dorian nickte, dann eilten sie zum nächsten Raum. Die Flure dazwischen waren nicht ganz so gut bewacht, aber zwei Gruppen mussten sie dennoch ausschalten. Bei den Käfigen sah es wieder anders aus. Hier gab es zahlreiche Wächter, die vorerst einzeln von dem Quellgeist attackiert wurden. Der Angriff verlief ebenso reibungslos wie zuvor, bis sie dann plötzlich die Glocken hörten. Anfangs geriet Hammond in Panik und wäre beinahe von einem Schwert erwischt worden! Dann wurde ihm bewusst, dass der Alarm in dem hinteren Teil des Kolosseums ausgelöst worden war. Das muss der gewollte Alarm sein..., wurde es ihm klar und er schnitt dem Angreifer mit seinem Langschwert die Kehle durch. Der Beleibte wäre auch beinahe in ernsthafte Gefahr geraten, weil er sich offenbar ebenfalls erschrocken hatte, schaffte es aber, das Blut seiner Angreifer gefrieren zu lassen. So konnte der Titan sie von hinten erschlagen. „Will einer von euch es wagen, zu fliehen?“, richtete Hammond dann eilig an die Gladiatoren. „Einige eurer Brüder sind schon auf den Weg nach draußen und haben sich mit den Waffen ihrer Peiniger gewappnet. Es wird hart und viele werden euch töten wollen, aber es ist vermutlich eure einzige Chance jemals von hier wegzukommen. Als Gruppe seid ihr stärker.“ Kurz zögerten die Gladiatoren, doch dann traten wieder einige voran, die sie aus ihren Käfigen hinausließen. Sie nahmen sich die Waffen und verschwanden. Bisher hatte keiner von ihnen versucht, sie zu attackieren. Wie auch zuvor, zogen sie einige der toten Wächter zu den offenen Käfigen, um die Finte zu perfektionieren. Er fand es bedauerlich, dass sie in der Zeit nicht mehr der Kämpfer hatten befreien können. „Lass‘ uns nach Nero suchen und abtauchen.“, sagte Dorian ernst. „Wir haben nicht viel Zeit.“ „Ja, ich weiß.“ Sie drehten um, damit sie den Weg zurücknehmen konnten, den sie gekommen waren. Ein paar neue tote Soldaten lagen auf den Fluren und sie mussten noch die versteckten Leichen hinausziehen. Immerhin sollte es nach einem Aufstand aussehen! Kein Gladiator würde die Leichen dieser Männer verstecken, sondern sie einfach liegen lassen. Bald schon trafen sie auf Nero. Der Rotschopf stolperte gerade mit einem Dolch in einen anderen Soldaten. Überraschenderweise stach er die Klinge direkt durch die Kehle des Mannes. Billie hat recht... Er ist ein totaler Tollpatsch, aber sehr effektiv!, dachte der Titan spottend. So etwas hatte er wirklich noch nie erlebt. „Nero! Wir sollten verschwinden!“ „Ja, alles klar.“, erwiderte der schusselige Söldner und eilte zu ihnen. „Steck‘ aber besser die Dinger weg... Nicht, dass du einen von uns verletzt.“, schlug Hammond kichernd vor. „Du hast eindeutig zu viel Zeit mit Billie verbracht.“ „Und du bist eindeutig ein Tollpatsch.“ „Schön und gut, aber könntet ihr später weiter flirten?“, drängelte Dorian sie zu Recht. „Hier werden bald richtig viele Wachen auftauchen und wir müssen noch ein paar Leichen drapieren.“ „Wir tragen das später aus. Los jetzt!“ Zu dritt eilten sie durch die Gänge und schoben die versteckten Leichen hinein. Es ging nun viel schneller, weil sie mehr Hände zur Verfügung hatten. Die befreiten Gladiatoren hatten bereits ein massives Blutbad angerichtet. Der Titan hoffte sehr, dass der Plan auch bei Kelvin und Billiana so gut verlief und sie es auch rechtzeitig herausschafften. Sie selbst mussten zeitnah untertauchen, damit man sie nicht mit den Ereignissen in dem Kolosseum in Verbindung brachte. Ohne weitere Schwierigkeiten schafften sie es heraus. Es lebte kaum noch ein Wächter und die von ihnen, die noch lebten, waren in heller Aufregung. Sie sahen ihren Tod kaum kommen. Mit einem letzten Blick über die Schulter verschwanden sie in die sichere Dunkelheit. Hammond konnte hören, dass einige der Bestien des Weltenlenkers auf dem Weg hierher waren. Sie durften nicht in die Arena, um dort aufzuräumen, aber sie würden versuchen die Straßen Götterherz‘ von jedem Gladiator oder Rebellen zu befreien. Deshalb verließen sie auch die Straßen. Viel Glück... Ich hoffe, dass ihr es schafft., dachte Hamm aufrichtig, während er nach Dorian in die Kanalisation kletterte.   Theodor hatte keine Ahnung, was hier eigentlich los war. Vor einigen Minuten waren in seiner Nähe die Alarmglocken los gegangen und seitdem herrschte hier reges Chaos. Immer mal wieder hörte er Schreie, etwas knallte und dann war es wieder ruhig. Ab und zu rannten hier sogar Gladiatoren durch, die offenbar entkommen waren und nun gemeinsam versuchten zu fliehen. Alles sah nach einem Aufstand aus. Seit seiner drei Jahre hier, hatte er nicht einen einzigen Aufstand erlebt. Einzelne Gladiatoren hatten mal zu fliehen versucht, es aber niemals geschafft. Er hatte auch noch nie etwas von einem derartigen Aufruhr gehört, der offenbar in mehreren Teilen des Kolosseums stattfand! Der größte Teil seiner Wachen hatte sich inzwischen entfernt, um dem Lärm nachzugehen. Keiner von ihnen war bisher zurückgekehrt. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass sie auch nicht zurückkommen würden. Plötzlich sackte einer der Soldaten zu Boden. Ein Pfeil steckte zwischen seinen Augen. Die restlichen Wachen gerieten in Panik und scherten aus, während sie ihre Waffen zogen. Blitzschnell schoss eine schwarzgekleidete Gestalt mit einer Kapuze über den Kopf in den Raum. Sie wich den Bolzen einer Armbrust federleicht aus und preschte anschließend auf den Schützen zu. Zielgerichtet spießte die Gestalt ihm einfach mit einem Dolch die Kehle auf. Kurz darauf kam eine weitere vermummte Gestalt herein. Bei ihm war aber das Geschlecht deutlich zu erkennen, weil er keine solche schwarze Lederrüstung mit Umhang trug, sondern lediglich ein Hemd, eine Hose und einen Umhang mit Kapuze, der wild flatterte. Geschickt schnitt der Mann zwei Soldaten die Kehle auf, die röchelnd auf ihre Knie sackten. Einem dritten schoss er einige Feuerbälle ins Gesicht, der sich zu nah herangewagt hatte. Die schwarze Gestalt blieb nicht untätig und fällte in der Zwischenzeit drei Männer und schlug einem vierten direkt auf die Nase. Während dieser benommen taumelte, schnitt der Mann ihm die Kehle auf. Instinktiv wich Theodor von den Gittern zurück, als die beiden Vermummten auf ihn zukamen. In ihren Fingern glitzerten nicht nur ihre Waffen, sondern noch etwas anderes... Es waren Schlüssel! Was geht hier eigentlich vor?, fragte sich der Champion der Arena fassungslos. Sollen die mich nun etwa töten? Will Optimus mich loswerden? „Ein König schickt uns.“, sagte die schwarzvermummte Gestalt und überrascht stellte er fest, dass es eine Frauenstimme war. „Er hätte Euch gerne zurück, Theodor. Wollt Ihr nach Hause?“ „Konstan... Konstan schickt euch?“, fragte er hoffnungsvoll und kam mit großen Augen an das Gitter. Seine Finger legten sich ungläubig darum. „Ja... Die Verhandlungen mit Lord Optimus sind gescheitert, aber es gibt auch andere Wege.“ „Ich-... Ich will zu ihm. Bringt mich bitte zu Konstan.“ Die Frau ließ sich nicht zwei Mal bitten und nutzte die Schlüssel, um seinen Käfig zu öffnen. Es war das erste Mal in drei Jahren, dass er sein Gefängnis nicht verließ, um zu trainieren, in die Arena zu gehen oder um einen Aristokraten zu dienen, sondern weil er vielleicht frei sein konnte. Es fühlte sich anders an... Besser. „Nehmt Euch am besten ein oder zwei Waffen.“, schlug der Mann ihm schließlich vor. „Es wird eine holprige Flucht werden.“ „Ja, natürlich.“, erwiderte Theodor sofort und nahm sich ein Schwert und eine Axt von den Toten. Gerade als sie gehen wollten, stellte sich ein Mann ihnen in den Weg, der drei Soldaten hinter sich hatte. Der Gladiator wusste, dass das Bartholomäus Adlerherz war, der genau so etwas eigentlich verhindern sollte. Der Hauptmann des Kolosseums zog Schwert und Schild, während er die Vermummten anstierte: „Ich werde euch nicht noch mehr Chaos stiften lassen!“ „Och, warum denn nicht?“, kicherte der Mann amüsiert. „Es ist doch schön, wie Götterherz durch ein paar entflohene Gladiatoren in Flammen steht!“ „Ganz zu schweigen von dem Kolosseum.“, mischte sich die Frau ein. „So schnell ist der Ruf ruiniert und schon wieder wird man einiges richten müssen.“ „Das ist wahr! Lord Optimus wird Euch das sicherlich von Eurem Lohn abziehen.“ „Das muss er nicht, wenn ich Euch jetzt festnehme.“, knurrte Bartel zum Kampf bereit. Auch seine Soldaten zogen nun ihre Waffen. Dieses Mal war es der vermummte Mann, der voranpreschte. Er wehrte geschickt mit einem Dolch einen Angriff ab und schlug dann nach dem Hauptmann. Bartholomäus schaffte es jedoch, rechtzeitig seinen Schild zu heben und Schlimmeres zu verhindern. Obwohl sich der Mann offenbar gerne weiterhin um den Hauptmann kümmern wollte, musste er nun unter diversen Angriffen der Soldaten tauchen und zu Gegenangriffen übergehen. Deshalb kam Bartel nun auf sie beide zu. Die Frau verbreiterte ihren Stand, während sie ihn kommen ließ: „Haltet Euch lieber zurück, Theodor. Ihr werdet Eure Kraftreserven noch brauchen.“ „Seid Ihr Euch sicher? Bartel ist sehr stark...“ „Das bin ich auch.“ Es war der Hauptmann des Kolosseums, der als Erster ausholte und sie wich geschickt mit einem Seitenschritt aus. Mit einem Dolch schlug sie nach ihm, traf aber den stabilen Brustpanzer. Es klirrte laut, was die Frau kurz zusammenzucken ließ. Ein Moment, den Bartel ausnutzte, um erneut anzugreifen. Im letzten Moment tauchte sie unter dem Schwert unter und warf sich auf den Boden. Sie nutzte den Schwung und wollte ihm mit ihren Beinen die Füße wegreißen, doch Bartholomäus machte einen erstaunlich geschickten Sprung. So etwas traute man einem solchen Mann in voller Montur definitiv nicht zu! Theodor wollte nicht tatenlos bleiben, doch er wusste auch, dass er ihr vermutlich im Weg sein würde. Auch der Mann schien gut ohne Hilfe auszukommen, denn einer der Wächter war bereits tot. Er musste sich nur noch zweien stellen. Bartholomäus schlug mit seinem Schwert nach unten, doch die vermummte Frau glitt einfach zwischen seinen Beinen durch und schlug mit ihren Dolchen gegen seinen Rücken. Die Rüstung verhinderte schlimmere Verletzungen, trotzdem taumelte der Hauptmann etwas voran. Der Krach schien die Frau immer wieder aus der Balance zu bringen, doch sie erholte sich schnell. Mit einem Sprung wollte sie ihm den Schädel spalten, doch er hob rechtzeitig seinen Schild. Im Anschluss schlug Bartel direkt mit seinem Einhandschwert zu und traf sie im Gesicht. Metall traf auf Metall, was den Gladiator irritierte. Dann fiel etwas herunter. Theodor stellte überrascht fest, dass es eine Metallmaske war, die sie zuvor noch vor Mund und Nase getragen hatte und keine aus Stoff. Eine Kerbe von dem Schwerthieb war darauf zu erkennen. Sofort riss er sich davon los und betrachtete das Gesicht, das er nun besser erkennen konnte. Es war eine wirklich schöne Frau unter der Maske, die nun ihre Kapuze herunterriss. Darunter lag langes, wallendes, goldblondes Haar, wie Theodor es noch nie zuvor gesehen hatte. Während er sie so musterte, fielen ihm die Elfenohren auf. Deshalb reagiert sie so heftig auf den Lärm! Für sie muss er zehn Mal lauter sein... Wenn das mal hinkommt., wurde es ihm bewusst. Obwohl sie zuvor noch miteinander gesprochen hatten, schien auch Bartholomäus erstaunt darüber zu sein, dass er nicht nur eine Frau als Gegner hatte, sondern auch noch eine verdammt hübsche. Der Weltenlenker hatte dafür gesorgt, dass niemand viel vom weiblichen Geschlecht hielt, obwohl sie so viel stärker sein konnten. Die Blondine nutzte die Überraschung aus und griff nun als Erste den Hauptmann an. Er konnte gerade so sein Schild hochreißen, doch dieses Mal duckte sie sich rechtzeitig, als er mit dem Schwert nach ihr schlug. Ihr Dolch schnitt ihm ins Fleisch. Sie hatte eine ungeschützte Stelle am Bein gefunden und ausgenutzt. Bartel keuchte schmerzhaft auf und wich zurück. Ein Blick zu dem anderen Mann zeigte ihm, dass er sich bald in den Kampf einmischen würde. Nur noch einer der Wächter lebte. Die beiden anderen hatte er bereits erfolgreich niedergerungen und musste nur noch den einen töten. Es sah also nicht gut für den Hauptmann des Kolosseums aus... Eben dieser schrie wütend und stürzte sich auf die erschrockene Elfe. Mit dem Schild voran warf er sich einfach auf sie und riss sie auf diese Weise zu Boden. Im Anschluss hob er sein Schwert und-... wurde ausgeknockt. Theodor hatte gar nicht gemerkt, wie er zu ihnen geeilt war, um Bartholomäus den Knauf seines Schwertes direkt an den Hinterkopf zu schlagen. Dennoch hatte er es getan. „Danke...“, schnaubte die schöne Elfe und schob den bewusstlosen Hauptmann von sich herunter. „Gerne...“ Sofort bot er ihr seine Hand an, die sie ergriff und sich auf die Füße ziehen ließ. Just in diesem Augenblick schnitt der vermummte Mann seinem Gegner die Kehle auf. Die Frau bückte sich, um ihre Maske aufzulesen und wieder zu befestigen, anschließend schob sie sich die Kapuze wieder über den Kopf. Solange sie nicht raus waren, musste sie ihre Identität geheim halten. „Was machen wir mit dem?“, fragte der vermummte Mann und trat etwas gegen den ohnmächtigen Bartholomäus, als sei er ein totes Tier. „Liegen lassen...“, erwiderte die Frau unbekümmert. „Was soll er schon machen?“ „Verraten, dass es kein Aufstand war. Dass es um den Champion ging...“ „Auch wieder wahr... Ich würde ihn ungern töten.“ „Warum nehmen wir ihn nicht mit?“, hörte sich Theodor sagen und fragte sich allmählich, was mit ihm los war. „Wie bitte?“ „Wir könnten ihn als Geisel benutzen, um schneller herauszukommen und dann kann man immer noch gucken, was man mit ihm macht.“ „Er hat recht, Kel.“, gestand die Elfe ehrlich. „Notfalls kann man ihn immer noch töten.“ „Na gut, okay... Wir machen es erstmal so, wie ihr wollt. Funktioniert das nicht, dann machen wir es auf meine Weise.“, seufzte der vermummte Mann namens Kel. „Trag‘ du ihn. Wir werden unsere Hände noch brauchen. Außerdem war es deine Idee.“, amüsierte sich die Frau. „In Ordnung.“ Obwohl Bartholomäus ein schlanker Mann war, war er in seiner Rüstung unfassbar schwer! Theodor hatte wirklich Schwierigkeiten ihn hochzuhieven und dann hinter den Vermummten herzuschleppen. Immer mal wieder musste er den Körper an eine Wand lehnen, um zu verschnaufen. In dieser Zeit fällten seine Retter Soldaten, die sie aufhalten wollten. Konstan hat sich aber sehr geschickte Retter ausgesucht., gestand sich der Gladiator lächelnd ein. Wir könnten es echt heil hier herausschaffen. Seltsamerweise gingen sie mit ihm aber nicht auf die Straßen, sondern nahmen die Treppen herunter in die Keller. Dort gab es ein paar Kerker, wo aufmüpfige Gladiatoren ausgehungert oder gefoltert wurden. Außerdem wuschen einige Sklavinnen hier die wenigen Kleidungsstücke der Kämpfer und auch die Kleidung der Soldaten und Angestellten. Zielsicher führte der Mann namens Kel sie zu einem Zugang, der offenbar in die Kanalisation führte. Die Gitter konnte er mit etwas Muskelkraft raushieven. Offenbar hatte man sie schon vorher sabotiert, damit sie schnell hier herauskamen. Die Frau winkte ihn herbei, damit er Kel in die Abwasserschächte folgte. Sie zog das Gitter hinter ihnen wieder zu und schloss schließlich wieder mit ihnen auf. Obwohl Theodor einiges gewohnt war, war der Gestank hier bestialisch! Manchmal konnte er nicht mal zuordnen, was ihm gerade den Geruchssinn wegzuätzen schien. Er war sich aber absolut sicher, dass er nie mehr freiwillig hier heruntergehen würde. Da starb er lieber in der Arena... „Kel, du solltest jetzt zu den anderen in den Unterschlupf aufbrechen und dich mit ihnen versteckt halten.“, sagte plötzlich die Frau, nachdem sie einige Male abgebogen waren. „Ganz bestimmt nicht.“ „Dir wird nicht gefallen, auf welche Weise ich ihn nach Rabenwacht bringen möchte.“ „Das letzte Mal, als ich dich alleine gehen ließ, warst du Wochen lang verschwunden und hattest offenbar einen Dolch in der Brust.“, ermahnte Kel sie streng. „Da kennt dich aber einer gut, Schwesterherz.“, sagte plötzlich eine Männerstimme wie aus dem Nichts. Panisch sahen sich Theodor und Kel nach dem Ursprung um, konnten ihn aber vorerst nicht finden. Stattdessen hörten sie ein amüsiertes Kichern. „Ja, genau deshalb solltest du gehen... Connar! Sei nicht albern!“ Ein Mann materialisierte sich einfach neben der vermummten Elfe und sah sie grinsend an. Sein Haar war schwarz und etwas länger als üblich, aber nicht so lang wie von Adligen. Irgendwas war unheimlich an ihm, obwohl er solch einen heiteren Gesichtsausdruck an den Tag legte. Vielleicht, weil er recht bleich ist... Und diese Kleidung... Sie ähnelt nichts, was ich kenne. Ist zwar Leder, aber die Schnitte sind eigenartig., sinnierte der Gladiator irritiert. „Wer ist das?“, hörte er Kel fragen. „Mein Halbbruder Connar. Er wird uns über die Zwischenwelt nach Rabenwacht bringen.“, erklärte die Frau schließlich. „Geht schneller und theoretisch ist es sicherer.“ „Aber nur theoretisch.“, kicherte Connar. „Du solltest wirklich lieber zu den anderen zurück.“ „Nein, danke. Ich bleibe bei dir.“ Der Schwarzhaarige zwinkerte seiner Schwester zu, als wollte er ihr damit etwas signalisieren. Sie verstand offenbar, denn sie rollte mit den Augen, die er kaum unter der Kapuze erkennen konnte. „Sind alle bereit?“ Da begann sich schon alles zu drehen! Theodor wurde richtig schlecht, als die Decke plötzlich zum Boden wurde und die Wände sich ausdehnten. Alles wirkte vollkommen irreal! Auf einmal waren sie nicht mehr in der Kanalisation, sondern an einem seltsam nebligen Ort, in dem tausende von Lichtkugeln umherschwirrten. Hier und da hörte er ein gruseliges Flüstern ohne den Ursprung ausmachen zu können. Er wusste beim besten Willen nicht, worauf er sich hier gerade eingelassen hatte...   „Willkommen in der Zwischenwelt.“, verkündete Connar heiter, während er seine Begleiter mit ausgestreckten Armen Willkommen hieß. Kelvin war etwas schlecht von dieser seltsamen Art der Reise. Wie sich alles gedreht hatte... So etwas hatte er noch nie erlebt! Und irgendwas sagte ihm, dass sich das Ganze wiederholen würde, sobald sie Rabenwacht erreicht hatten. Erstaunt stellte der Blondschopf jedoch fest, dass die Zwischenwelt in etwa so aussah, wie er sie sich vorgestellt hatte. Nur tanzten in der Dunkelheit zahlreiche helle Lichter umher, die er nicht zu deuten wusste. Außerdem hörte er ständig irgendwelche Stimmen, die teilweise unverständliche Sachen flüsterten. Im Gesicht von Theodor konnte er lesen, dass es ihm genauso ging wie ihm. Nur Connar und Billiana wirkten weitgehend unberührt von dieser eigenartigen Atmosphäre. Sie waren das Ganze aber natürlich auch gewohnt. „Die Zwischenwelt sieht für jeden etwas anders aus.“, erklärte die Elfe, während sie die Maske abnahm und die Kapuze herunterschob. „Sie formt sich ganz nach den Vorstellungen des Besuchers. Jemand, der keine Vorstellung besitzt, sieht sie eher in einer Art Nebel... Doch alle sehen die Seelen herumtanzen wie Irrwichte.“ „Die Lichter sind Seelen?“, keuchte Theodor schockiert. „Oh ja, kleiner Champion.“, kicherte Connar. „Und ihr werdet auch eines dieser Lichter, wenn ihr nicht alle tut, was ich euch sage.“ „Connar wird uns führen. Er ist eine Art... Ja... Wie nennt man das?“ „Pfadfinder! Das klingt doch nett, oder?“ „Von mir aus...“, seufzte Billie schulterzuckend. „Er ist ein Pfadfinder. In seiner Nähe können die Zwischenweltler uns nichts anhaben, aber wenn wir uns zu weit entfernen... Sagen wir einfach, es würde euch nicht bekommen.“ „Wie lange müssen wir hierbleiben?“, hakte Kelvin unbehaglich nach. Irgendwas sagte ihm, dass normale Sterbliche nicht allzu lange in der Zwischenwelt bleiben durften. „Nicht lange.“, antwortete der Schwarzhaarige nüchtern. „Es wird euch wie eine Ewigkeit vorkommen. Vermutlich macht ihr beiden euch sogar nass!“ „Connar!“ „Billiana!“ „Nenn‘ mich nicht so...“ „Billie!“ Die Elfe rollte mit den Augen und haute ihrem Halbbruder schließlich kräftig gegen den Oberarm. Der schrie auf und rieb sich diesen. Das brachte den Rebellenanführer zum Schmunzeln. Sie erinnerten ihn an seinen eigenen Bruder, den er vor Jahren in Sicherheit gebracht hatte. „Sie denkt immer noch, sie wäre ein Kerl.“, stöhnte Connar und hob sofort die Hände, als Billie einen weiteren Schlag androhte. „Gnade! Gnade! Ich nehme es zurück!“ „Führ‘ uns lieber, du nerviger Pfadfinder.“, motzte die Attentäterin. Connar musste nicht zwei Mal gebeten werden und sie folgten ihm sofort. Keiner von ihnen wagte es, sich auch nur einige Zentimeter weiter zurückfallen zu lassen. Manchmal wurden die Stimmen lauter. Dann konnte er verstehen, was sie sagten. Sie lockten mit insgeheimen Wünschen von ihm und wollten, dass er Connars sicheren Radius verließ. Da Theodor sich unsicher umschaute, flüsterte man ihm wohl auch heiße Versuchungen zu, die in den sicheren Tod führen würden. Nicht nur das: Durch Billiana wusste der Rebell, dass sie dann auch niemals wiedergeboren werden würden. Sie wären Zündstoff für die Zwischenwelt. Billie flüsterte irgendwas mit ihrem Bruder, doch er konnte die beiden nicht wirklich verstehen. Die Umgebungsgeräusche waren viel zu zahlreich und die Zwischenwelt zu einnehmend, um gewisse Stimmen auszublenden. „Könnten wir nicht von woanders aus nach Rabenwacht reisen?“, schlug der Gladiator plötzlich vor, der um einige Nuancen blasser aussah. „Theoretisch schon, aber wir haben ja nirgendwo eine Kutsche oder Pferde, die auf uns warten.“, antwortete die Blondine ihm sachlich. „Unsere Reise würde lange dauern und zwischenzeitlich würden wir vielleicht von Wyrnnés Soldaten aufgegabelt werden.“ „Aber du kannst ja auch mit der Hilfe von Billies Freund hier durchreisen. Das geht auf jeden Fall schneller.“, gluckste der Schwarzhaarige, was ihm einen bösen Blick einbrachte. „Was für ein Freund?“, fragte Theodor irritiert. „Nicht so wichtig...“, winkte Billiana ab. „Sie hat einen Pakt geschlossen. Einer dieser süßen Zwischenweltler hier, gehört zu ihr.“, erklärte ihr Halbbruder unerlaubt. „Er flüstert euch bestimmt auch einige Lügen zu. Ist ein ganz reizender Wolf, der gerne Kehlen zerfleischt.“ „Halt den Mund, Connar...“ „Weshalb sollte man mit so einer Bestie einen Pakt schließen wollen?“ „Billie reist gerne schnell und mag die Tödlichkeit dieser Kreatur. Du solltest sie mal mit ihm kämpfen sehen!“, berichtete Connar eifrig. „Apropos... Er könnte auch diesen ohnmächtigen Kerl für dich schleppen.“ „Ereinion ist doch kein Packesel!“ „Mag sein, aber wir kämen schneller voran. Außer, ihr wollt den Typen gerne den Zwischenweltlern überlassen. Dagegen würde ich auch nichts sagen.“ Eine Weile dachte Kelvin ernsthaft darüber nach, ob er Theodor Bartholomäus abnehmen und ihn einfach wegwerfen sollte. Er hatte Billies Gesicht gesehen und kannte die Wahrheit hinter dem Ausbruch der Gladiatoren. Alle ihre Probleme wären mit einem Schlag gelöst und er würde niemals wiederauftauchen. „Das machen wir nicht!“, wehrte sich die Elfe böse. „Konstantin kann entscheiden, was er mit ihm machen will, aber wir lassen ihn bestimmt nicht hier.“ „Warum denn nicht, Schwester? Ereinion hätte dann ein bisschen Futter...“ „Du weißt genau, wer er ist.“, zischte sie und einen Augenblick lang glaubte Kelvin, sie meinte den Hauptmann, doch er irrte sich. „Hör‘ also auf, diese Sachen über Ereinion zu sagen.“ „Wir sind aber empfindlich.“ Zornig wandte sie den Blick von ihrem Bruder ab und ließ sich etwas nach hinten fallen, um stattdessen neben ihm zu gehen. Theodor hingegen schloss zu Connar auf und stellte ihm ein paar Fragen. Offenbar war Bartel nicht mehr so schwer wie zuvor, was wohl an der Schwerkraft der Zwischenwelt lag. „Wer ist er?“, fragte der Rebell sie dann leise. „Wie bitte?“ „Dieser Schattenwolf, mit dem du den Pakt geschlossen hast... Wer ist er, dass du so ungern von ihm sprichst?“ „Die korrekte Frage würde lauten: Wer war er?“ „Na gut... Wer war er?“ Billie senkte betrübt den Blick und antwortete ihm nicht. Etwas sagte ihm, dass es besser gewesen wäre, er hätte nicht weiter nachgehakt. Was immer dieser Wolf auch mal gewesen war, er war für sie wichtig gewesen. „Er war einst unser Bruder...“ „Was?“ „Mein Vater wollte einen angemessenen Erben haben. Alle seine Kinder zuvor waren... Sie entsprachen nicht seiner Vorstellung.“, erklärte sie ihm, während sie die tanzenden Seelen beobachtete. „Er schloss mit der Königin der Zwischenwelt einen Pakt und sie gebar ihn. Als ich dann geboren wurde-...“ Sie brach ab. Tränen füllten ihre Augen. „Du musst es mir nicht erzählen.“, winkte er ab und ergriff instinktiv ihre Hand. Ihre Finger falteten sich zwischen seinen. Es fühlte sich seltsam gut an. „Mein Vater verliebte sich in mich und war sich sehr früh sicher, dass er mich als seine Nachfolgerin wollte. Also brauchte er Ereinion nicht mehr...“ „Und er wurde ein Teil dieser Welt, weil der Pakt sich erledigt hatte.“ Sie nickte bleiern. „Das ist nicht deine Schuld, sondern die deines Vaters. Er hätte diesen Pakt gar nicht erst knüpfen dürfen.“ „Ja, das stimmt, aber es fühlt sich dennoch schrecklich an.“ Eine Weile gingen sie Hand-in-Hand hinter Connar und Theodor her. Der Schwarzhaarige schien dem Gladiator eifrig jede Frage zu beantworten. Manchmal lachte er glockenhell auf und er gestikulierte einige Male wild. Connar schien sich auf jeden Fall gerne selbst reden zu hören. In diesem Augenblick war Kelvin froh über diese Charaktereigenschaft. So konnte er die Hand der Elfe halten und ihr Trost spenden. Für sie da sein. „Ich weiß nicht, wie wir einander fanden...“, sagte sie unerwartet, was sofort seine Aufmerksamkeit auf sie lenkte. „Zwischenweltler haben keine Erinnerung mehr an ihr früheres Leben. Sie sind nur noch... gierige Kreaturen, die Seelen für ihre Königin holen wollen. Und ich wusste nichts von ihm...“ „Vielleicht sind diese Wesen doch mehr, als sie vermuten lassen.“, meinte der Blondschopf mit einem tröstenden Lächeln auf den Lippen. „Es zog euch vielleicht zueinander, weil eure Blutsbanden stärker sind als diese fragwürdige Welt.“ „Vielleicht...“ „Würdest du mit deinem heutigen Wissen dennoch wieder den Pakt mit ihm schließen?“ „Ich weiß es nicht...“, gab Billie zu und sah ihm endlich wieder in die Augen. „Ich rufe ihn kaum noch, weil es mir falsch vorkommt, meinen eigenen Bruder als Tötungsmaschine zu benutzen.“ „Und wenn er einfach nur bei dir sein will? Wenn es für ihn keine Rolle spielt, dass er dafür töten muss?“ Sie wollte irgendwas erwidern, doch ihr Mund schloss sich sofort wieder. Hinter ihren Augen tanzten die Gedanken. Sie wog die Möglichkeiten ab, ob er vielleicht recht haben konnte und Ereinion sich lediglich nach der Nähe seiner Schwester sehnte. Wenn es die einzige Möglichkeit war, damit sie zusammen sein konnten, konnte es nicht falsch sein! Sie verband ein eigenartiges Schicksal, doch nur so hatten sie einander kennenlernen können. Lächelnd küsste er ihre Stirn, während er sie dicht an seine Seite zog. Connar zeigte gerade auf irgendwas und erklärte es Theodor, der ganz fasziniert wirkte. Die Elfe hingegen lehnte sich schweigend an ihn. „Wir sind da.“, sagte der Magier nach einigen Minuten endlich. Viel länger wollte Kelvin auch nicht hier sein. Wieder begann sich alles um sie herum zu drehen! Dieses Mal befanden sie sich erst stehend im Himmel, ehe sie mit den Füßen im saftigen Gras standen. Es war überaus verwirrend, wenn die Welt für einen Augenblick im wahrsten Sinne des Wortes Kopf stand. Dieses Mal war Kelvin wenigstens nicht mehr so übel. „Willkommen vor den mächtigen Toren Rabenwachts.“, verkündete Connar nun und deutete voran. Tatsächlich erhoben sich gigantische Mauern vor ihnen, in denen sich ein ebenso riesiges Tor befand. Selbstverständlich standen dort bewaffnete Wachen in voller Montur. Allerdings schienen sie ihre Pflichten viel ernster zu nehmen, als die Wachen im Kolosseum. Sie plauderten nicht miteinander, sondern sondierten hochkonzentriert die Umgebung. „Ich verabschiede mich dann erstmal.“, sagte der Schwarzhaarige gelassen. „Empfehlt mich weiter.“ Just im nächsten Herzschlag war er verschwunden. Was das auch immer für eine Magie war, sie war beängstigend und beeindruckend zugleich! Kelvin würde sie auch gerne beherrschen. „Wir sollten weiter.“, schlug Billie vor. Nickend folgten sie der Elfe, die direkt auf die Tore zusteuerte. Nun schien Bartholomäus auch wieder eine wahre Last für den Gladiator zu sein, denn er sackte einige Male durch ihn zu Boden. Deshalb half Kelvin ihm schließlich auch beim Schleppen. „Halt!“, sagte eine der Wachen und sie zogen alle ihre Waffen. „Wer seid Ihr und was ist Euer Anliegen?“ „Ich bin Billie Markrhon und das sind Kelvin und Theodor. Wir sind auf Geheiß des Königs hier.“, sagte die Blondine mit gerecktem Kinn. „Wir bringen ihm seinen besten Freund zurück und einen überraschenden Gefangenen.“ Unsicher sahen die Wachen einander an. Es dämmerte gerade mal, also konnten sie auch irgendwelche Banditen sein. Dafür sprach auch das Blut, in dem sie getränkt waren, was man zumindest an Theodor und ihm deutlich sah. Durch Billies schwarze Kluft erkannte man nicht, dass auch sie vollgespritzt war. „Wir... müssen uns erst im Schloss vergewissern...“, gab einer der Soldaten unsicher zu verstehen. „In Ordnung, wir warten hier.“ „Danke, Mylady.“ „Ich bin keine Lady.“, widersprach die Elfe mit hochgezogener Augenbraue. „Verzeiht!“ Verlegen drehte der Wächter sich um, damit er rasch Rabenwacht betreten konnte. Er eilte hinauf zum dem Schloss, das sie durch das Tor deutlich sehen konnten. Wie es üblich war, befand sich das Herz der Stadt auf einer Anhöhe, um im Falle einer Belagerung Nachteile für die Angreifer zu bieten. Kelvin war das erste Mal im Lebensberg. Interessiert drehte er sich um und betrachtete die weite Landschaft, die in einem satten Rot getaucht wurde. Die Sonne ging gerade erst auf, was die ganze Idylle wie ein richtiges Kunstwerk erscheinen ließ. Überall gab es Felder, Wälder und saftiges Gras. Solch einen Anblick war er gar nicht mehr gewohnt! Im Weltenbaum war alles kahl geworden... Mit dem Zerfall des Weltenlenkers schien auch sein Reich zu sterben. Theodor legte Bartholomäus auf dem Boden ab, der immer noch nicht bei Bewusstsein war. Jedoch konnte der Blondschopf auch eine klaffende Kopfwunde entdecken, die gefährlich aussah. Es konnte also gut sein, dass der Hauptmann des Kolosseums gar nicht mehr aufwachen würde. Oder nur mit sehr massiven Einschränkungen... Vielleicht hatte er die Vorfälle dann sogar komplett vergessen! „Es ist schön hier, nicht wahr?“, flüsterte der ehemalige Gladiator und ließ seinen Blick ebenso schweifen. „Ja, in der Tat. Könnte ich mich dran gewöhnen.“, gestand der Rebell sich ein. „Es ist sogar noch prachtvoller als früher! Konstan scheint seine Sache wirklich gut zu machen.“ „Das tut er, Theodor. Es gibt keinen zweiten König, der so gut ist wie er.“ „Irgendwie bin ich stolz auf ihn... Ich habe ihn immer als meinen Bruder angesehen.“ „Das muss auf Gegenseitigkeit beruhen.“, sagte Kel lächelnd und blickte den früheren Bauer an. „Er hätte all das nicht auf sich genommen, wenn Ihr nicht mindestens ein Bruder für ihn währt. Er hat alles riskiert.“ Theodor begann warmherzig zu lächeln. Es musste ungemein guttun, nicht nur ein Objekt zur Belustigung irgendwelcher Leute zu sein. Keine Ware, über die man seine Kassen füllen konnte... Hier war er ein Mensch. Für Konstantin war er ein Mensch! „Ich hätte dasselbe für ihn getan.“ „Das glaube ich Euch sofort.“ „Würdet Ihr das auch für sie tun? Für die Elfe?“, hinterfragte der frühere Bauer neugierig. „Wie kommt Ihr darauf?“ „Ihr scheint sehr auf sie zu achten und in dieser gruseligen Zwischenwelt wart ihr euch nah.“ „Hmm, ich weiß nicht, wie weit ich für sie gehen würde. Ich denke schon, dass ich Einiges riskieren würde, wenn sie in Gefahr wäre.“ „Das ist gut.“, lächelte Theodor durchaus erleichtert. „Ich hatte schon Angst, dass mich zwei Tötungswaffen retten.“ „Oh, das sind wir auch! Hübsche, charismatische und geschickte Tötungswaffen.“ Just in diesem Moment wurde ihm klar, dass er immer noch seine Kapuze im Gesicht trug. Langsam strich er diese herunter, damit man sein lächelndes Gesicht besser sehen konnte. Anhand von Theodors Mimik konnte er sehen, dass er nicht das war, was er erwartet hatte. Er war von einer Schönheit und einem Schönling gerettet worden, die normalerweise als Lustsklaven für Aristokraten dienen würden. Das musste irritierend sein. Bevor er jedoch etwas dazu sagen konnte, kam ein Mann auf sie zu, der von dem Soldaten begleitet wurde, der zuvor noch zum Schloss hochgeeilt war. Er wirkte von oben bis unten dreckig und war sicherlich eigentlich blond, doch sein Haar sah braun aus. Wo habe ich ihn schon mal gesehen?, fragte sich Kelvin, der sich wieder an die Seite von Billie begab. „Ihr könnt sie passieren lassen.“, sagte der Mann streng und die Soldaten entspannten sich sofort. „Ist das nicht Bartel?“ „Ja.“, bestätigte Theodor und trat etwas gegen den Bewusstlosen. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn nicht umgebracht habe...“ Der Mann hockte sich herunter und begutachtete die Kopfwunde. Falls er Bartholomäus nah stand oder er dessen Zustand bedauerte, wusste er es sehr gut zu verstecken. Sein Gesicht blieb eine eiserne Maske. „Er sah mein Gesicht und bekam mit, dass es kein Aufstand war, sondern es um Theodor ging.“, erklärte nun die Elfe. „Wir haben ihn hierhergenommen, damit Euer König entscheiden kann, wie wir damit umgehen, Benedikt.“ „Bitte, Ben reicht.“ „Theodor hat ihm ein Schwertknauf an den Hinterkopf gedonnert, Ben. Seither ist er nicht mehr aufgewacht... Soll ich ihn heilen?“ „Nicht nötig... Wir haben eigene Heiler hier.“, erwiderte Benedikt gelassen. „Hey, lasst ihn ins Schloss bringen. Die Heiler sollen sich kümmern und falls er aufwacht, sperrt ihn erstmal ein. Nicht in eine Zelle... In irgendein Gästezimmer.“ „Jawohl, Hauptmann!“, erwiderte einer der Wachen und salutierte respektvoll. Dann eilte er los. Er würde gewiss eine Trage holen und weitere Männer, die ihm halfen. Er ist der Hauptmann?! Er sieht aus, als habe er sich in einer Schlammgrube gesuhlt!, dachte der Rebell empört. Aber nun weiß ich auch, woher ich ihn kenne... Er war in Götterherz mit dem König im Zimmer, als ich Billie da rausholte. Damals hatte er ihn für einen einfachen Diener gehalten. Jemand, der zum Personal von Heimdall gehörte und nur zur falschen Zeit am falschen Ort war. Nur hatten Diener natürlich keine Waffen... „Wir hatten nicht so früh mit Euch gerechnet.“, gestand Ben und winkte die Gruppe mit sich. „Wir kennen sehr... unkonventionelle Wege.“ Billiana war die erste, die ihm folgte, dann taten die Männer es ihr gleich. Theodor sah sich dabei in Rabenwacht um. Ungefähr drei Jahre hatte er es nicht mehr gesehen, soweit Kelvin wusste. Er wusste, dass das eigenartig sein musste. Der Rebellenanführer schloss lieber etwas zu der Attentäterin und dem Hauptmann auf, die ein seltsames Gespann abgaben. Noch unterschiedlicher konnten zwei Lebewesen kaum sein, die ähnliche Berufe wählten, die dennoch vollkommen anders waren. Eine faszinierte Tatsache. „Lief denn alles nach Plan?“, erkundigte sich Benedikt Graufell gelassen. „Soweit ja. Eigentlich fast besser... Nur konnten wir nicht ganz so viele Gladiatoren rausholen, wie wir es gehofft hatten.“ „Also uns hat bereits die Kunde erreicht, dass in Götterherz Chaos ausgebrochen ist.“ „Tatsächlich?“ „Ja, nachdem der Alarm losging, kamen die Kreaturen des Weltenlenkers herbei und zahlreiche Wachen. Sie lauerten vor dem Kolosseum und versuchten alle Flüchtigen aufzuhalten.“, berichtete er ihr sachlich. „Offenbar haben sie auch ein paar Bewohner angegriffen, die nur aus Neugier aus ihren Häusern gekommen waren.“ „Oh, nein...“ „Laut unserer Berichte, kamen ein paar Kinder mit Holzschwertern heraus, die helfen wollten. Diese Bestien haben sie umgebracht... Die Bevölkerung ist stinksauer. Sie sagen, dass der Weltenlenker seine Kreaturen nicht im Griff hat.“ „Die armen Kinder...“, seufzte Billie mit ehrlichem Bedauern. „So hatte das natürlich nicht laufen sollen.“ „Ist nicht Eure Schuld. Niemand konnte ahnen, dass die Leute dumm genug sein würden, ihre Häuser zu verlassen, wenn es draußen laut wird.“ „Wisst Ihr schon, ob einige der Gladiatoren entkommen konnten?“ „Bisher sind die Informationen in diesem Bereich eher schwammig... Viele wurden auf jeden Fall getötet oder wieder zurückgebracht.“ „Bedauerlich.“, gab die Elfe zu. Bedauerlich ist es wirklich..., überlegte Kelvin für sich. Aber auch eine unverhoffte Chance! Wenn die Leute so wütend sind, finden wir neue Anhänger, die hier und da vielleicht auch etwas mächtiger sind. Trotzdem tat es ihm natürlich um die Kinder leid, die durch die Bestien gestorben waren. Und auch die anderen Bewohner, die dumm genug gewesen waren, um nachzuschauen, was vor ihrer Haustür vor sich ging. Es bot dennoch Möglichkeiten. Neugierig sah sich der Blondschopf etwas in der Stadt um. Die meisten Einwohner schienen noch zu schlafen, aber einige waren auch schon dabei, ihrer Arbeit nachzugehen. Vor allem die Bäcker waren eifrig. Überall konnte er den Duft von frischgebackenem Brot riechen. Einige Damen stellten frische Blumen auf ihre Fensterbänke und winkten lächelnd dem Hauptmann zu. Wenn er es mitbekam, erwiderte er die Geste mit seinem ernsten Gesicht. Keiner schien deshalb beleidigt zu sein. Es gab sogar Bewohner, die eilten herbei, um Benedikt zu begrüßen und ihm etwas von ihren Waren anzubieten. Er ist mindestens genauso beliebt wie Konstantin selbst... Das ist beeindruckend. Und wie freundlich hier alle sind..., sinnierte er über diese Idylle. Tatsächlich nahm Ben eines der Brote dankend an und reichte es Billiana. Sie riss sich ein Stück ab und reichte es dann an Theodor weiter, der es teilte, damit er ihm etwas anbieten konnte. In diesem Moment wurde ihm erst bewusst, wie hungrig er eigentlich war! „Danke.“, sagte Kelvin mit knurrenden Magen und nahm sich das Stück entgegen. Es war noch warm! Als er hineinbiss, war er sich absolut sicher, dass es das beste Brot aller Zeiten war. Vielleicht kam es ihm auch nur so vor, weil er seit fast einem Tag nichts mehr gegessen hatte und sie eine sehr aufregende Nacht hinter sich gebracht hatten... Kurz nachdem sie das frische Brot alle vertilgt hatten, erreichten sie auch schon das Schloss. Die Soldaten am Eingang salutierten sofort vor ihrem Hauptmann und ließen sie passieren. Das wiederholte sich bei jedem Soldaten, den sie auf dem Weg dorthin trafen. Hier war es anders als in Heimdall. Alles wirkte heller, wärmer und herzlicher. Jeder Diener lächelte oder lachte. Sie plauderten sogar ungehemmt miteinander! Niemand dachte auch nur eine Sekunde daran, dass Benedikt sie für ihr Trödeln oder ihre Fröhlichkeit köpfen könnte. All die Wachen, die hier waren, wirkten zwar steif und ernst, schienen aber nicht unglücklich mit ihrer Stellung zu sein. Sie waren einfach nur an der Erfüllung ihrer Pflichten interessiert. Das war echte Leidenschaft! Natürlich gab es auch hier unnötige Kunst. Vasen, Teppiche, Gemälde, teure Fensterrahmen, dessen Glas wirklich hochwertig aussah. Schwere Vorhänge, die größtenteils sicherlich nie zugezogen wurden. Wenn er mal durch offene Türen spähen konnte, konnte er teure Möbel ausmachen. Alles sicherlich nahezu einzigartige Stücke, die per Hand nur für den König gefertigt worden waren. Wirklich irritierend fand er jedoch, dass niemand all diese teuren Kunstwerke bewunderte oder beneidete. Es war beinahe so, als seien sie unsichtbar. Unwichtig... Kelvin fragte sich, ob es überhaupt auffallen würde, wenn die Diener sich einige Dinge hier einstecken würden. Ob sie dazu überhaupt einen Grund sahen! Soweit er wusste, wurde hier jeder bezahlt und die Sklaverei war vor einigen Wochen offiziell im Lebensberg verboten worden. Schließlich erreichten sie einen längeren Gang, der sie wohl zum Thronsaal führen würde. Hier hingen zahlreiche Gemälde mit ernstdreinblickenden Männern, die allesamt eine Krone auf den Kopf trugen und auf einem Thron saßen. Die Krone war immer die Gleiche. Es mussten die Vorgänger von König Konstantin sein. Welcher wohl sein Vater ist?, fragte sich Kelvin neugierig, während er die Gesichter musterte. Viele sahen sich nicht ähnlich. Durch den Weltenlenker war es oft genug vorgekommen, dass die Blutlinie unterbrochen wurde, weil er die gesamte Familie auslöschte. Dann übernahm eine andere Adelsfamilie den Thron und führte ihre eigene Ahnenreihe fort. Bis sie dann auch getötet wurden... Deshalb waren viele der Könige nicht miteinander verwandt. Kurz bevor sie die große Flügeltür zum Thronsaal erreichten, wurde ihm plötzlich bewusst, dass er zum ersten Mal eine solche Halle betrat. Der Rebellenanführer war schon in diverse Adelshäuser eingedrungen und auch ein paar Mal in Heimdall, dennoch hatte er niemals einen Thronsaal von innen gesehen. Nicht mal in der Zeit, als er noch offiziell ein Adliger gewesen war. Die Morgensterns waren zu vielen Festen eingeladen worden, auf denen getanzt und getrunken wurde, doch er war noch ein Kind gewesen. Bis heute glaubte er, dass er ein miserabler Tänzer war, auch wenn er nicht wusste, ob das überhaupt noch stimmte. Seine Familie war jedoch nie mächtig genug gewesen, um auch in Königshäuser eingeladen zu werden. Es waren nur andere Aristokraten, die gerne ihr Vermögen für Bälle ausgaben oder aufwändige Bankette. Etwas angespannt wappnete er sich dafür, zum ersten Mal richtig vor einen König zu treten, als die Wachen die Türen aufschoben. Kapitel 10: Freunde Rabenwachts ------------------------------- Ein bisschen hatte es Konstantin schon geärgert, dass Benedikt darauf bestanden hatte, ihre Gäste am Eingangstor abzuholen. Zu gerne wäre er selbst los, um Theodor mit als Erster zu seiner neuen Freiheit zu beglückwünschen. Doch sein Hauptmann hatte recht... Es konnte auch eine Falle sein und dann war es besser, wenn er hineintappte und nicht der König selbst. Endlich wurden die großen Flügeltüren zu seinem Thronsaal geöffnet und eine Gruppe kam in Begleitung von Ben herein. Theodor und Billiana erkannte er sofort, jedoch war der grinsende Blondschopf ihm bisher unbekannt. Sie erwähnte einen Partner, aber hatte sie nicht gemeint, er sei ein rothaariger Tollpatsch?, sinnierte er, während er sich von seinem Thron erhob. Theodor wirkte unsicher. Offenbar wusste er nicht, ob es die Etikette erlaubte, dass er zu ihm kam. Überall in der Halle standen Leibwächter, die sie sehr genau beobachteten. Durell verharrte mit gesenktem Haupt neben dem Thron und würde sich vorerst nicht einmischen. „Wie ich sehe, wart ihr erfolgreich.“, sagte Konstantin anerkennend, während er auf die Gruppe zukam. Benedikt verbeugte sich, zog sich dann aber zu Durell zurück. „In der Tat, Majestät.“, erwiderte Billie entspannt. „Euer Freund hat sogar den Hauptmann des Kolosseums ausgeknockt. Ich muss also darüber nachdenken, ihm einen Anteil zu geben...“ Der Adelssohn lachte, als er das hörte: „Klingt ganz nach ihm!“ „Danke, dass du das alles auf dich genommen hast, Konstan.“, sagte der frühere Bauer mit einem gebrochenen Lächeln. Die Freiheit musste sich nach all den Jahren eigenartig befremdlich anfühlen. „Ich habe es versprochen. Was wäre ich für ein König, wenn ich meinen Schwur bräche?“ „Einer, der zum Weltenlenker passt...“ „Auch wahr...“, gab er nachdenklich zu. „Nun, dein Zimmer ist noch nicht ganz fertig. Wir hatten frühstens heute Abend mit euch gerechnet!“ „Die Lady kennt... unkonventionelle Wege... So hattet Ihr es doch ausgedrückt?“, hauchte der frühere Champion der Arena verunsichert. „Exakt.“, bestätigte derweil die Attentäterin. Er winkte eine seiner Dienerinnen heran und bat sie, dass sie das Zimmer für Theodor schneller herrichten sollten. Außerdem sollte sie der Küche mitteilen, dass sie für die Gruppe Essen machen sollte. Die junge Frau verbeugte sich eifrig und huschte an der Gruppe vorbei. Jedoch warf sie dabei schmachtende Blicke zu dem ehemaligen Gladiator und dem unbekannten Blondschopf. Sie waren zweifelsohne beide sehr attraktive Männer, im richtigen Alter. So jung, dass sie keine Vater-Komplexe auslösten, aber so alt, dass sie den Charme eines älteren Mannes besaßen. „Ich lade euch alle zum Essen ein. Das ist das Mindeste! Außerdem muss vor allem Theodor hungrig sein.“ „Ich fürchte, ich werde deinen Speicher leer fressen.“, kicherte Theodor, während seine sonnengeküsste Haut etwas errötete. Innerlich wusste er wohl, dass das wirklich passieren könnte. „Wir haben mehr als genug zu essen, versprochen.“, lächelte der König warmherzog. „Darf ich denn auch Euren Namen erfahren, Mylord?“ „Ich bin kein Lord.“, erwiderte der Blondschopf, der sich zwar vor ihm verbeugte, aber nicht so tief, wie es eigentlich üblich war. „Mein Name lautet Kelvin, Majestät.“ „Kelvin? Ihr seid nicht der Partner von Billie, oder?“ „Nein, Euer Gnaden.“ „Aber er hat bei der Sache dennoch tatkräftig mitgeholfen.“, mischte sich die Attentäterin mit gerafften Schultern ein. „Er hat mit seinen Freunden für Ablenkung gesorgt und Theodor befreit.“ „Weshalb habt Ihr das getan, Kelvin?“ „Kel reicht.“, grinste der Blondhaarige heiter. „Ehrlich gesagt, hatte ich ziemlich dreckige Hintergedanken dabei.“ Bei seiner Wortwahl griffen fast alle Leibwächter zu ihren Waffen. Durell trat voran und zischte ein Mal laut, während er sie böse ansah. Humor verstanden die Soldaten Rabenwachts definitiv nicht, woran der König arbeiten wollte. Jedoch entging ihm nicht der Blick von Theodor. Er schien Durell aus jener verheißungsvollen Nacht wiederzuerkennen und war vollkommen erstarrt. Tröstend legte er seine Hand auf die Schulter des früheren Bauern, um ihm Ruhe zu schenken. Nicht, dass er ihn auch noch verprügelte! „Ich seh‘ schon... Ein schweres Publikum.“ „Ja, verzeiht, sie sind alle etwas angespannt.“, gestand Konstantin seufzend. „Na gut, ich versuche mich zu zügeln! Aber ich bezweifle, dass ich es erfolgreich schaffen werde, keine Witze zu machen.“, gluckste Kelvin und irgendwie fing er jetzt schon an, den Mann zu mögen. „Ich bin der Anführer der Rebellen, Majestät. Ich half bei diesem... Auftrag, weil ich mir erhoffte, dass Ihr dann vielleicht über die Möglichkeit nachdenkt, uns zu unterstützen.“ Erstaunt öffnete sich sein Mund, doch er schloss ihn wieder. Natürlich hatte er von der Rebellion in Götterherz gehört! Auch, dass sie neuerdings durchaus erfolgreich waren und die Stimmen lauter wurden, dass sie es vielleicht schaffen würden, den Weltenlenker zu stürzen. Plötzlich bemerkte er, dass Benedikt sich zu ihm gesellte.  Offenbar hatte er bis eben selbst nicht gewusst, wer Kelvin war. Oder was er für Absichten verfolgte... Doch der König erkannte Interesse im ernsten Blick des Hauptmannes und vielleicht sogar etwas Leidenschaft. „Aus welchem Grund sollte ich das tun, Kelvin? Natürlich bin ich Euch dankbar, aber es geht hier um einen Krieg.“ „Wir haben bereits Athena – oder Billie – hier auf unserer Seite.“, sagte der Rebell nicht ohne Stolz, während die Frau zustimmend nickte. „Außerdem will sich eine dieser angeblichen Gottheiten ebenfalls unserer Sache verschreiben. Lebenswelt, Majestät...“ „Der Gott, der bisher nicht offenbart wurde?“ „Der Gott ist eine Göttin.“ „Ich weiß...“, gestand der König. „Und ich weiß, dass Ihr sie getroffen habt, Euer Gnaden. Sie schlug selbst vor, dass wir Euch rekrutieren sollten.“ „Ist das so?“ Eine Dienerin kam herein und lächelte begeistert, als sie die Besprechung einfach so unterbrach: „Das Essen ist fertig, Eure Majestät.“ „So schnell?“ „Die Küche war eh an Eurem Frühstück dran, Mylord.“ „Stimmt... Ja...“, erinnerte sich Konstantin verlegen. „Wir haben noch gar nicht gefrühstückt.“ Jetzt erinnerte er sich auch erst wieder, dass er die Schulter von Theodor hielt. Behutsam ließ er ab, weil sich der ehemalige Gladiator offenbar auch etwas entspannt hatte. Dennoch behielt er den Hauptmann der Leibwache weiterhin im Blick. „Durell, hältst du die Stellung?“ „Ja, Majestät!“, schoss es aus dem Mund des jungen Mannes. Er errötete etwas. Die Antwort war so schnell gekommen, dass alle Anwesenden ihn irritiert anstarrten. Konstantin störte sich nicht daran, sondern nahm stattdessen seine Krone vom Haupt, um sie zu dem Samtkissen neben dem Thron zu bringen. Durell setzte sich derweil auf den riesigen Stuhl und versuchte erhaben zu wirken. Es scheiterte etwas daran, dass er immer noch ungemein verlegen aussah! Kichernd drehte sich der Adelssohn um, damit er zu der Gruppe gehen konnte. Benedikt wollte sie offenkundig begleiten, um ihn zu bewachen. Seit dieser einen Nacht war er noch vorsichtiger geworden, wenn es um seine Sicherheit ging. „Folgt mir, bitte. Wir reden beim Essen weiter.“ Der Adelssohn musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass man ihm tatsächlich folgte. Heute musste der glücklichste Tag seines Lebens sein! Immerhin hatte man ihm Theodor tatsächlich unbeschadet hierhergebracht. Er sah über die Schulter und stellte fest, dass Billie sich mit dem vermeidlichen Rebellenanführer angeregt unterhielt. Sie schienen sich nah zu stehen. Näher als einfache Verbündete, die zusammen einen Tyrannen zu Fall bringen wollten. Immer mal wieder lachte einer von beiden. Nach einer Weile mischte sich sogar Benedikt in die Unterhaltung ein! Immer mal wieder grinste er dreckig. Worum es auch immer ging, es lockte den sonst so steifen Hauptmann aus seinem Schneckenhaus heraus. Derweil schloss Theodor unsicher zu ihm auf: „Der Mann, der dich vertritt-...“ Begann er, doch Konstantin ließ ihn bewusst nicht weitersprechen. „Ich weiß, was er damals getan hat. Er hat es mir selbst erzählt... Und er scheint es ehrlich zu bedauern.“ „Weißt du, weshalb ich ihn nach drei Jahren erkenne? Obwohl ich im Kolosseum um mein Leben kämpfte... Obwohl ich bestimmt diverse Schläge an den Kopf bekam!“ „Weshalb?“ „Er ging in jener Nacht ständig neben meinem Käfig her. Ich habe versucht mit ihm zu sprechen, aber er sagte nichts.“, erzählte Theodor und verbiss sich kurzzeitig auf seiner Unterlippe. „Ich wollte nur wissen, was los ist, aber er hat partout nichts gesagt. Aber dieser Blick... Dieses Mitleid... Es brannte sich in meinen Kopf rein!“ „Er hatte seine Befehle, Teddy... Er durfte nicht mit dir sprechen.“ „Und ich war ein verängstigter Junge in diesem Augenblick!“ „Er auch.“, erinnerte Konstantin sanft. „Ruh‘ dich erstmal aus, Teddy, und wenn du dich bereit fühlst, dann bitte ich dich nur um eine einzige Sache – hör‘ ihm zu. Es ist viel verlangt, das weiß ich, aber gib‘ ihm wenigstens die Zeit, um sich zu erklären.“ „Das ändert doch überhaupt nichts, Konstan. Es ändert nicht, dass er mich mit meiner Angst und Verzweiflung alleine ließ.“, murrte der ehemalige Gladiator. „Ich gebe dir vollkommen Recht... Egal, was geschieht, nichts kann die Vergangenheit ungeschehen machen.“ „Warum dann das Gespräch?“ „Damit du erkennen kannst, dass er nur ein dummer Junge war, der zu spät über seine Befehle nachdachte.“, erwiderte Konstantin mit einem brüchigen Lächeln. „Damit du in dir nach etwas Vergebung für einen dummen Jungen forschen kannst. Vielleicht könnt ihr dann beide die Ereignisse jener Nacht loslassen.“ „Du meinst, ich soll ihm vergeben, wie ich dir immer wieder vergeben habe?“ „Genau.“ „Du warst aber verdammt oft ein dummer Junge! Ich weiß nicht, ob du noch etwas Vergebung in mir übriggelassen hast.“, kicherte Theodor amüsiert. „Hey! So schlimm war ich dann auch wieder nicht!“ „Stimmt... Du warst viel schlimmer.“ Er verzog etwas das Gesicht, sagte aber nichts mehr dazu. Immerhin konnte Konstantin wirklich nicht abstreiten, dass er ein anstrengender Prinz gewesen war. Immer mit dem Kopf in den Sternen! Sie erreichten schließlich den großen Speisesaal, dessen Flügeltüren bereits für sie aufgehalten wurden. Als er hereinkam, fiel ihm ein, dass er ja immer noch verheiratet war! Wie jeden Morgen saß Elizabeth von Rabenwacht an ihrem angestammten Platz. Nicht nahe am Kopfende, wie es eigentlich üblich war, sondern irgendwo in der Mitte. Dorthin hatte Konstantin sie einst verbannt, weil er ihr Geschnatter einfach nicht ertrug. Je weiter sie von ihm weg war desto besser. Für sie beide! Aber vor allem für seine Nerven. Seufzend wandte er sich zu seinen Gästen. Er hatte keine andere Wahl, als ihnen seine Gattin vorzustellen, wie es die Sitten geboten. „Das ist... Elize, meine Frau.“, stellte er sie tonlos vor. Eigentlich wäre es üblich, sie zumindest als Lady vorzustellen, aber bisher hatte er sich nie überwinden können, ihr diesen Respekt zu erweisen. Deshalb stellte er sie stets mit dem Spitznamen vor, den er ihr selbst gegeben hatte. „Majestät.“, sagte Kelvin respektvoll und verbeugte sich. Wie zuvor auch bei ihm, nicht tief genug, doch Elizabeth schien dennoch verzückt. Er war vermutlich der erste, der sie mit ihrem eigentlichen Titel ansprach. „Hoheit.“, schloss sich Billie respektvoll an, neigte aber nur kurz den Kopf. Attentäter und Rebellen sind höflicher zu Elize als ihre eigenen Untertanen!, dachte er spöttisch. Vermutlich, weil sie sie nicht kennen... Wie er es inzwischen gewohnt war, nahm er am Ende des langen Tisches Platz. Früher hatte sein Vater auf diesem Stuhl gesessen, um alles überblicken zu können. Es fühlte sich für Konstantin immer noch eigenartig an, nun selbst hier zu sitzen. Benedikt setzte sich direkt an die Kante von ihm, damit er in seiner Nähe war. Kelvin ließ es sich nicht nehmen, sich gegenüber hinzusetzen, damit auch er dem König nah sein konnte. Billiana saß neben ihm. Theodor war etwas unentschlossen, setzte sich dann aber zwischen Ben und Elizabeth. „Hey, Elize.“, grüßte der ehemalige Bauer sie dann endlich. „Hast du doch mal einen wohlhabenden Adligen geheiratet? Hätte ich nicht gedacht.“ Elizabeth errötete schamvoll und senkte sofort ihren Blick. In Kindertagen hatten Theodor und er sie oft geärgert. Meistens hatten sie Stöcke, Steine oder alte Lebensmittel nach dem kreischenden Mädchen geworfen, aber natürlich gab es auch unschöne Unterhaltungen. Irgendwie war sie immer wieder auf sie hereingefallen! Sobald sie angedeutet hatten, sie würden sich nun doch gerne mit ihr anfreunden, hatte sie die Jungen sofort hoffnungsvoll in ihre Nähe gelassen. Sie vertraute ihnen Geheimnisse an, die selbstverständlich gegen sie genutzt wurden. Eines davon war ihr Wunsch mal einen hohen Aristokraten mit viel Vermögen zu ehelichen. Elize hatte den Wunsch gehegt, ihre eigene Macht und die ihrer Familie zu steigern. Für die meisten Frauen war das nur über politische Ehen möglich. Dafür mussten sie entweder bereits einem großen Haus angehören oder andere ausgeprägte Reize vorweisen. Manchmal gelang es auch Händlern ihre Töchter an reiche Herren zu vermählen, weil sie ganz besondere Waren liefern konnten. Nun war das Haus von Elizabeth nicht unangesehen im Lebensberg, aber auch nicht außergewöhnlich machtvoll. Sie hätte nur über Intelligenz, List oder Schönheit einen gehobenen Platz ergattern können. In ihrem Fall war es jedoch die Loyalität gegenüber dem Weltenlenker, welche ihr diese Stellung eingebracht hatte. Sie wusste das und halb Rabenwacht wusste es. Zumindest spionierte sie nicht mehr... „Wie schön... Der Bauerntölpe kehrt zurück.“, erwiderte sie und hob mit ihrem letzten Stolz den Kopf. Es wirkte nicht sehr überzeugend.  „Woah, Elize! Ich begrüße dich so freundlich und du wirst gleich derart verletzend? Ich muss schon sagen: Die Krone tut dir nicht gut.“ „Wie bitte?!“, fauchte Elizabeth mit hochrotem Kopf. „Ich soll verletzend sein? Du platzt doch gleich mit solchen Albernheiten heraus!“ „Ich war halt überrascht, dass du dein Ziel erreicht hast. Vor allem, dass Konstan dich geehelicht hat...“ „Warum?“ „Na ja... Korrigiere mich, wenn meine Erinnerungen mich täuschen, aber nannte er dich nicht immer ein dummes Entlein, das nicht lesen kann?“, sagte der ehemalige Gladiator frei heraus. „Und wie oft hat er dich als Mauerblume bezeichnet? Als langweilig? Ich weiß noch, dass er dich mal für deine Dummheit federn wollte!“ „Das ist doch alles ewig her!“, keuchte die Brünette schrill, während ihr Kopf drohte zu explodieren. So rot hatte er sie noch nie anlaufen sehen, dabei hatte er ihr regelmäßig Gemeinheiten an den Kopf geworfen. Ich habe eindeutig die falschen Worte gewählt... Bei Teddy geht sie richtig hoch!, stellte er überrascht fest. „Irgendwie hast du dich gar nicht verändert... Weder optisch noch charakterlich.“ „Ich bleibe also jung im Gegensatz zu dir.“ „Und flach! Und dumm...“ Elizabeth wusste eindeutig nicht, was sie dazu sagen sollte, plusterte sich aber trotzdem auf. Genervt wollte sich Konstantin gerade einmischen, da erhob jedoch Billiana das Wort: „Nun seid nicht so fies zu ihr. Ob es Euch passt oder nicht, sie ist Eure Königin.“ Fassungslos sah eben diese Königin die Elfe an. Es musste das erste Mal sein, dass jemand sie verteidigte! Und auch er war überrascht. Gerade von der Blondine hatte er erwartet, dass sie sich an einer schwachen Herrscherin stören würde. Jedoch war Athena dafür bekannt, dass sie für die Schwachen im Volk kämpfte, also tat sie wohl genau das. „Nun, sprechen wir lieber weiter über die Rebellion.“, winkte Konstantin ab, während die Diener den Tisch zu Ende deckten. „Und bedient euch bitte. Wenn etwas fehlt, sagt Bescheid.“ Die Anwesenden ließen sich nicht zwei Mal bitten. Vor allem Theodor und Billiana beluden ihre Teller wirklich großzügig. Bei seinem besten Freund überraschte es ihn nicht, aber die schlanke, aber durchaus trainierte Elfe sah ihm nicht gerade wie ein Vielfraß aus. Kelvin hielt sich eher zurück, so wie er selbst auch. Benedikt war der einzige, der eine normale Portion zu haben schien. „Was wollt Ihr denn gerne wissen?“, erkundigte sich der Rebellenanführer, nachdem er die frische Marmelade gekostet hatte. Er schien überrascht von dem Geschmack zu sein. Frisches Obst war selten und in dieser Form kannte auch der König es erst seit kurzem. „Abgesehen von den zwei genannten Personen, habt Ihr sonst noch nennenswerte Anhänger? Nennt aber besser gerade nicht die Namen...“, er ruckte so unauffällig wie möglich mit dem Kopf zu Elize, die dies nicht zu bemerken schien. Dennoch sah sie angespannt aus.  Dieses Thema dürfte ihr keineswegs schmecken. „Bisher keine nennenswerten Anhänger, Majestät, nur sehr unglückliche Nichtmenschen und Mischlinge. Einige Menschen...“, erklärte Kelvin charismatisch. „Viele von ihnen sind keine guten Kämpfer, aber wir versuchen diejenigen auszubilden, die im kampffähigen Alter sind und es tun wollen. Jedoch mangelt es uns auch an ausreichend Ausrüstung...“ „Ihr habt aber einige Magiebegabte in Euren Reihen, oder?“ „Ja, nicht zu knapp, aber sie sind nicht alle geschickt muss ich zugeben.“ „Es ist gut möglich, dass die Drachen helfen, weil ich es auch tue.“, mischte sich Billie ungehemmt ein. Sie hatte ihren Teller schon halb geleert. Eine gute Esserin! „Weshalb sollten sie das tun?“ „Ihr habt mich nicht besonders gut angeschaut, was? Ich bin ein bisschen beleidigt...“ Verwirrt sah er sie an. Anfangs wusste der König ehrlich nicht, was sie meinte, doch dann wurde es ihm plötzlich klar. Wenn man sich auf ihre Haut konzentrierte, konnte man das Schimmern von Drachenschuppen erkennen. Vor allem nah an ihren Augen... Unter ihrer schwarzen Kluft gab es sicherlich noch mehr, die vielleicht besser zu erkennen waren. Er musste zugeben, dass sie besser getarnt aussah als Sor’car. Bei Billie musste man wirklich wissen, was man suchte, um diese Makel finden zu können. Ihre Elfenohren ließen ihn aber eh vermuten, dass sie kein geborener Drache war, sondern ein erweckter. In einigen Büchern hatte er davon gelesen... Verbotene Bücher! „Oh, verstehe...“, murmelte Konstantin nachdenklich. „Dennoch scheint es der Rebellion an sehr viel zu fehlen.“ „Trotzdem ist es die erste Rebellion, die erfolgsversprechend ist.“, mischte sich plötzlich Benedikt ein. „Neuerdings haben sie einen enormen Zustrom... Kelvin ist nämlich plötzlich geschickter im Kampf, so sagt man.“ Verlegen grinste der Rebellenanführer und nickte dann: „Hatte eine gute Lehrerin...“ „Wie gedenkt Ihr das Ausrüstungsproblem zu lösen?“ „Wir hatten darauf gehofft, dass wir etwas finanzielle Unterstützung erhalten, wenn sich uns nun auch größere Mächte anschließen – wie Ihr.“, sagte der Blondschopf frei heraus. „Mit dem Geld können wir dann Schmiedemeister beauftragen, damit wir Rüstungen und Waffen erhalten.“ „Womit bildet Ihr zurzeit Eure Soldaten aus?“, fragte Konstantin weiter. „Mit den wenigen Waffen, die uns zur Verfügung stehen. Teilweise auch mit Holzwaffen, um Verletzungen zu vermeiden.“ „Wer ist euer Ausbilder?“ „Hauptsächlich meine rechte Hand, aber der hat auch einige Vertraute, die ihm dabei helfen. Er ist ein gelernter Soldat.“ „Keine Attentäter-Ausbildung?“ „Das war bei Kel eine Ausnahme.“, warf Billiana mit verzogenem Gesicht ein. „Dieses Können stellen wir nur Auserwählten zur Verfügung.“ „Auserwählten?“ „Menschen, die die Begabung dazu besitzen und genug Charakter, um dieses tödliche Talent nicht falsch einzusetzen.“ „Ich dürfte es also nicht lernen?“, scherzte der König lachend. „Ihr seid flink wie ein Hase, habe ich gehört, Majestät...“, sagte sie mit einem schmeichelnden Lächeln. „Ich sah Euch bisher nicht kämpfen, doch Eure Statur spricht dafür. Sollte Euer Interesse echt sein, würde ich Euch gerne mal in Aktion sehen und dann schauen wir weiter.“ „Ehrlich?“ „Ja, ehrlich. Euer Charakter ist ohne Tadel.“ „Danke...“, flüsterte er verlegen und spürte, dass seine Wangen etwas glühten. „Was sagt Ihr? Würdet Ihr darüber nachdenken, unsere Sache zu unterstützen?“, mischte sich Kelvin etwas unruhiger ein. Er wurde nicht gerne ausgeschlossen. „Ich werde darüber nachdenken, ja. Wann wollt Ihr meine Entscheidung erfahren?“ „Nehmt Euch die Zeit, die Ihr braucht. Ihr sollt es nicht bereuen...“ „Gute Antwort.“, lächelte Konstantin warmherzig. „Ich werde mich mit meinen Hauptmännern beraten und Euch spätestens morgen Abend Bescheid geben. Genießt bis dahin gerne meine Gastfreundschaft. Erkundet Rabenwacht und die umliegenden Lande oder genießt einfach mal die Wärme eines geschützten Bettes. Ihr seid durch eure Taten alle Freunde Rabenwachts geworden. Es wird euch an nichts fehlen.“ Er konnte den Stolz in den Gesichtern der Gäste erkennen. Selbst Theodor sah ihn anerkennend für seine Worte an. Für ihn war all das selbstverständlich! Sie hatten seinen besten Freund gerettet und ihn auch noch hierhergebracht. Mit etwas Glück, würde niemals herauskommen, dass er wirklich den Auftrag dazu erteilt hatte. Ausgelassen plauderte die Runde und zum ersten Mal leerte sich der Tisch tatsächlich mal. Kaum Essensreste, die der König ohnehin nicht einfach wegwarf. Er schenkte alles dem Volk – vor allem natürlich den Armen – aber auch seinem Personal, wenn sie etwas davon brauchten. So wurde nichts verschwendet. Konstantin war sich absolut sicher, dass er schon ewig nicht mehr so viel gelacht hatte! Theodor musste seit mindestens drei Jahren gar nichts mehr zu lachen gehabt haben, aber auch Benedikt wirkte erstaunlich ausgelassen. Nur Elizabeth zog sich recht früh zurück und schien sich gar nicht wohl in dieser Gesellschaft zu fühlen. Erst recht, weil Theodor sie so vorgeführt hatte. Dann ging es noch um Rebellion... Vielleicht würde sie sogar alles an den Weltenlenker weitergeben. Ihm war es egal, wenn er diese lachenden Gesichter musterte. Wobei ihm ein Knistern zwischen Rebellenanführer und Attentäterin nicht entging. Irgendwas lief da, was aber offenbar noch genauso frisch war, wie die Entwicklungen zwischen ihm und seinem Hauptmann. Beinahe war er traurig, als sich die Runde auflöste. Sie wollten alle mal richtig heiß baden, sich frische Klamotten anziehen und einfach mal schlafen. Ihren Wunsch respektierte er. Immerhin regierte sich sein Königreich ja auch nicht von selbst!   „König Konstantin von Rabenwacht muss etwas damit zu tun haben!“, schrie Lord Optimus zum gefühlten hundertsten Mal. Wyrnné wusste beim besten Willen nicht, weshalb er diese Audienz überhaupt zugelassen hatte... „Könnt Ihr es beweisen?“ „Natürlich nicht!“ „Woher wollt Ihr es dann wissen? Nur weil Eure Verhandlungen gescheitert sind?“ „Ist doch offensichtlich, dass er sich nun das genommen hat, was er eh wollte!“ „Für mich ist offensichtlich, dass Ihr unfassbar nervtötend seid.“, schnaubte der Weltenlenker genervt, weshalb Altan einen drohenden Schritt auf den verschreckten Leiter des Kolosseums zumachte. „Verzeiht... Ich wollte nicht-... Es tut mir leid.“, stammelte er kleinlaut. „Ich sehe es wie Ihr, dass der Zeitpunkt äußerst fragwürdig ist, jedoch befindet sich Konstantin bereits seit drei Tagen nicht mal mehr in der Nähe von Götterherz.“ „Er könnte jemanden beauftragt haben, Herr.“ „Könnte er, aber soweit ich es verstanden habe, deutet alles auf einen Aufstand hin. Alle Hinweise legen nahe, dass die Gladiatoren ausbrachen und sich den Weg nach draußen erkämpften.“, erinnerte er ihn gelangweilt. „Und wo ist dann Bartholomäus?“ „Vielleicht hat er geholfen? Wer weiß das schon... Er hilft ja auch seinem spielsüchtigen Bruder.“ „Ich schwöre Euch, dass an der Sache etwas faul ist! Und ich werde dem nachgehen.“ „Bitte, tut das...“, seufzte Wyrnné und sah zu seinem Inquisitor. „Altan, bring‘ ihn doch bitte nach draußen. Das war genug für einen Tag.“ „Sehr gerne, Meister.“ Ängstlich ließ sich der Leiter des Kolosseums nach draußen führen. Altan behielt ihn dabei mit seinen hellen Augen eiskalt fixiert, um diese Unsicherheit zu verschärfen. So etwas genoss der Folterknecht immerhin. Am liebsten hätte er ihn sicherlich direkt auf seine Folterbank geschnallt, um ihn richtig bluten zu lassen. Erstaunlich... Diese Aktion war geschickt und ungeschickt zugleich, Konstantin., dachte er schmunzelnd. Der Zeitpunkt ist so eindeutig, aber die Beweise sind es auch. Du hast dir sicherlich von Billie helfen lassen... Ist eindeutig ihre Handschrift. Doch das würde er Caesar gewiss nicht auf die Nase binden. Er sollte schön seine Anschuldigungen selbst beweisen, wenn er sie schon erhob. Immerhin mussten die Aristokraten endlich mal lernen, wie Erwachsene miteinander umzugehen. Zurzeit erinnerten sie ihn eher an kleine Kinder, die das Spielzeug des anderen wollten. Als Altan wieder in den Thronsaal zurückkehrte, wirkte er äußerst zufrieden. Sicherlich hatte er Lord Optimus beinahe einen Herzinfarkt mit seiner bloßen Anwesenheit eingejagt. Diese Wirkung hatten seine Inquisitoren bisweilen auf die Außenwelt. Zu Recht! Sie waren absolut gnadenlos. „Was habt Ihr nun vor?“, fragte der Anführer der Inquisition. „Nichts.“ „Ihr wollt das Konstantin einfach so durchgehen lassen?“ „Ich bin doch nicht dafür da, um für Caesar seine Probleme zu regeln. Solange er keine Beweise vorlegen kann, sind die Gladiatoren von selbst ausgebrochen.“ „Und was ist mit diesem Lord Adlerherz? Hattet Ihr nicht mit ihm einen Vertrag?“ „Das stimmt...“, murmelte Wyrnné nachdenklich. „Falls er denen geholfen hat, wäre der Vertrag natürlich hinfällig.“ Altan begann dreckig zu grinsen, als er das hörte: „Also darf ich mir diesen Elodrin endlich zur Brust nehmen?“ „Ruhig, Altan... Erst, wenn wir sicher sind, inwieweit er etwas damit zu tun hat.“ Er war enttäuscht, dass konnte der Weltenlenker ihm ansehen, doch letztendlich spielte es keine Rolle. Dieser Vertrag nützte auch ihm sehr viel und er wollte ihn nicht aufs Spiel setzen, damit sein Inquisitor sich amüsieren konnte. Immerhin gab es noch genug Verbrecher und Verräter, die auf Folterung warteten. „Wurde Billie bei dieser ganzen Aktion gesichtet? Hinweise auf sie?“, wollte er lieber wissen. „Nein, nichts, aber es deutet alles auf sie hin.“, sagte der Hüne schmollend. „Wäre nicht ungewöhnlich, dass sie nicht gesichtet wird. Sie ist gut in so etwas...“ „Das zu zugeben, muss dir schwergefallen sein, Altan.“ „Ja, Herr...“ „Dann stellt die Suche nach ihr ein. Wir wissen jetzt, dass sie noch lebt.“ „Seid Ihr sicher?“ „Absolut.“, winkte Wyrnné ab und erhob sich von seinem Thron. „Solltest du sie antreffen, dann hätte ich aber nichts dagegen, wenn man sie herbringt. Lebend! Ich habe ein paar ungeklärte Fragen an sie.“ „Jawohl, Meister.“ Mit einer Spur Erleichterung verließ er seinen Thronsaal. Billiana lebte! Sie war aus einem anderen Grund nicht mehr in Götterherz aufgetaucht... Natürlich würde er seine Sorge für sie niemals zugeben und gewiss nie wieder über die Suche nach ihr sprechen, aber er wusste dennoch, dass sie da war. Irgendwas sagte ihm, dass auch die Elfe über diese Gefühle durchaus Bescheid wusste. Sie war sein Schwachpunkt...   Vielleicht war Benedikt sonst nicht der herzliche Typ, aber Billie und Kelvin brachten ihn wirklich zum Lachen! Ständig erzählten sie irgendwelche witzigen Storys über ihre Überfälle auf Adelshäuser und was wie dabei schiefgelaufen war. Außerdem führten sie dabei auch aus, wie die Kämpfe gegen ihre Feinde verliefen. Nicht immer alles ganz rund... Vor allem der Rebellenanführer verstand sich darauf, das Ganze wirklich auszuschmücken und mit Mimik und Geste zu arbeiten. Da brachte der gemeinsame Met wirklich viel Spaß! Ihm war hierbei egal, dass alle ihm verwirrte Blicke zuwarfen, weil er sich mal ehrlich amüsierte. Trotzdem musste er sich irgendwann von den beiden trennen und sich zu dem Hauptmann des Kolosseums aufmachen. Schon vor einiger Zeit hatte man ihm mitgeteilt, dass er längst erwacht war. Die Kopfwunde hatten die Heiler vollständig heilen können und bisher schien es keine dauerhaften Schäden zu geben. Jedoch würde er Lord Adlerherz erst ein Gespräch mit Konstantin gestatten, wenn er sich sicher war, dass er ihn nicht anfallen würde. Wie er seinen König kannte, würde der nämlich sicherlich gerne alleine mit ihm sprechen... Doch noch war Bartholomäus kein Freund Rabenwachts, sondern musste als Feind eingestuft werden. Vor der Tür des Zimmers, in dem man den Hauptmann untergebracht hatte, standen selbstverständlich ein paar Wachposten. Einige Soldaten waren aber auch über den Flur verteilt, damit sie Alarm schlagen konnten, falls Bartholomäus es doch schaffen sollte, die Wachen zu überlisten. Einen gelernten Soldaten und erfahrenen Wärter unterschätzte er keineswegs. „Hauptmann.“, grüßten ihn die ausgebildeten Soldaten respektvoll und senkten ihre Häupter. Sie alle hatten schon mal mit ihm gesoffen und ihn an schlechten Tagen erlebt, doch es schmälerte nicht den Respekt, den sie für ihn empfanden. Wie es die Höflichkeit gebot, klopfte er an und wartete darauf, dass man ihn hereinbat. Benedikt atmete ein Mal tief durch, straffte seine Schultern und öffnete die Tür, um endlich das große Zimmer zu betreten. Es war eines der besseren Gästezimmer, welches man für Notfälle stets frisch hielt. Viele Aristokraten kamen unangekündigt zu Besuch, weil sie es als ihr Vorrecht empfanden. Selbst bei einem König... Diese Vorsorge war nun aber ein Vorteil gewesen, weil sie den unerwarteten Gefangen beherbergen mussten. „Bartel.“, grüßte er ihn ernst. „Ben...“, erwiderte Bartholomäus zurückhaltender. „So war das Ganze natürlich nicht geplant.“ „Wie hattet Ihr Euch das denn vorgestellt?“ „Eigentlich sollte niemand sie sehen... Schon gar nicht ihr Gesicht.“ „Wird man mich nun still und heimlich umbringen?“, fragte der Hauptmann des Kolosseums seltsam gewappnet. Es kam ihm so vor, als würde er sich schon seit Jahren auf diesen Augenblick vorbereiten. Nur mit anderen Henkern im Hinterkopf... „Das entscheide nicht ich.“ „Wer dann? Diese Elfe?“ „Nein...“, lehnte er entschieden ab und schüttelte den Kopf. „Mein König wird entscheiden, was genau mit Euch geschehen wird. Wenn man es genau nimmt, werdet Ihr es selbst entscheiden.“ „Wie meint Ihr das?“ „So wie ich meinen König kenne, wird er Euch Gnade anbieten gegen Euer Schweigen. Ein neues Leben...“ „Einfach so? Obwohl ich ihn betrügen könnte?“, hakte Bartholomäus verwirrt nach. „Wieso sollte er das machen? Das ist doch Wahnsinn!“ „Er ist ein gnädiger Herr, Bartel. Er ist nicht der Weltenlenker oder diese irren, angeblichen Götter.“ Der Hauptmann des Kolosseums hüllte sich in Schweigen und senkte dabei seinen Kopf. Nun konnte Ben einen genaueren Blick auf ihn werfen und musste gestehen, dass die Heiler wirklich gute Arbeit geleistet hatten. Es war nur eine kleine Narbe auszumachen, an der er wohl kahl bleiben würde. Andere Männer wären an solch einer Verletzung gestorben. Ob mit oder ohne Heiler... Ihm bewies es, dass dieser Mann nicht nur ein einfacher Diener des Weltenlenkers war, sondern vor allem ein Kämpfer. „Ich kann Euch nur zu Konstan lassen, wenn ich mir sicher bin, dass Ihr ihm nichts tun werdet.“, ermahnte Benedikt ihn streng. „Nichts liegt mir ferner...“ „Solltet Ihr ihn doch angreifen, muss ich Euch wohl nicht sagen, was ich dann mit Euch machen werde?“ „Nein...“ „Es ist spät.“, seufzte er schließlich abwinkend. „Versucht Euch zu erholen. Man wird Euch gleich etwas zu Essen bringen. Morgen wird er mit Euch sprechen.“ „Ben... Eine Frage noch.“ „Was denn?“ „Wie lange war ich bewusstlos?“, erkundigte sich Bartholomäus und rieb sich seinen Hinterkopf. Es tat sicherlich nicht mehr weh, doch die neue Narbe musste dennoch befremdlich sein. „Fast einen Tag lang.“ „Das ist lange...“ „Ihr hattet eine ziemlich schlimme Kopfverletzung, Bartel. Unsere Heiler haben ihr Bestes gegeben und wie es aussieht, kommt Ihr mit dieser Narbe davon.“ „Diese Elfe-...“ „Billie.“, sagte Ben sachte. Egal, wie das ausging, am Ende würde der Hauptmann nicht reden. Entweder, weil er zu Tode verurteilt wurde oder, weil Konstantin ihn für sich einnahm und er gar sprechen wollte. „Billie...“, wiederholte er irritiert. „Ist das nicht ein Männername?“ „Sie besteht darauf, dass man sie so nennt. Ist offenbar eine Abkürzung... Kenne ihren wahren Namen nicht.“ „Egal, es spielt keine Rolle! Ich sah noch nie in meinem Leben eine so begabte Kämpferin. Seit Jahren diene ich im Kolosseum, doch kein Gladiator hat mich jemals so beeindruckt.“ „Ja, sie ist etwas Besonderes. Eine seltene Blume...“ „In der Tat...“, gestand der Hauptmann verlegen und Benedikt vermutete eine leichte Verknalltheit. „Weshalb hat sie mich verschont? Ich war ihr doch ausgeliefert!“ „Billie hat ein gutes Herz und empfindet Euch offenbar auch als guten Kämpfer. Euer Talent wollte sie nicht verschwenden, wenn es nicht unbedingt sein muss.“ „Sie hätte mich besiegen können, aber sie nahm sich zurück, das habe ich gespürt...“ „Das ist so ihr Ding.“, kicherte Benedikt und erinnerte sich an seinen ersten und letzten Kampf gegen die Elfe. Er hätte gerne eine Revanche, um mehr dazu zu lernen. „Wird sie bei dem Gespräch dabei sein?“ „Das ist gut möglich, Bartel. Mein König hat gerne mehrere Meinungen, wenn er etwas entscheidet.“ „Gut... Ich würde ihr gerne meine Aufwartung machen.“ „Das dürfte ihr gefallen. Ruht Euch also besser gut aus, damit Ihr die angemessenen Worte findet.“ „Danke.“, seufzte Bartholomäus und schritt zum großen Bett. Seinem Erstarren konnte er entnehmen, dass er wohl lange nicht mehr solch ein großes, bequemes Bett genutzt hatte. Er wurde sicherlich von seiner Familie verurteilt, weil er den Posten des Kolosseums annahm, um seinem Bruder zu helfen., überlegte Benedikt mit Bedauern. Um nicht länger zu stören, wandte er sich um und ging. Er musste noch Konstantin berichten, was er erfahren hatte und ihm sagen, dasser nichts gegen die Unterredung hatte. Im Anschluss würde er die Tavernen unsicher machen! Die riefen immerhin ganz deutlich nach dem Hauptmann der Armee. Nachdenklich schlenderte er durch das Schloss und nickte den Soldaten zu, die ihn respektvoll grüßten. Einige von ihnen waren zum Nachtdienst eingeteilt, andere waren gerade auf dem Weg in die Stadt, um sich diversen Vergnügungen hinzugeben und ihre Münzen auszugeben. Zumeist für hübsche Dirnen und gefüllte Krüge. Von den Gästen fehlte seit heute Morgen jegliche Spur. Auch Theodor hatte sich in sein neues Zimmer zurückgezogen, um endlich mal richtig zu schlafen. Sie mussten es alle wahnsinnig schwer haben, wenn die Möglichkeit auf ein Bett sie mehr fesselte, als die Chance eine neue Stadt zu erkunden. Oder die Annehmlichkeiten eines Königs zu beanspruchen... Immerhin hatte er sie zu Freunden seines Landes erklärt, was ihnen alle Türen öffnete! Endlich erreichte er die Gemächer Konstantins. Selbstverständlich gab es auf den Fluren und direkt an der Tür zahlreiche Leibwächter, die nicht nur von Durell ausgewählt worden waren, sondern auch seine Ausbildung genossen hatten. Der Hauptmann der Leibwache würde längst im Bett sein, um sich zu erholen. Er arbeitete sowieso zu viel. „Der König erwartet mich.“, erklärte Benedikt den Leibwachen an der Schlafzimmertür. „Soll ihm von dem Gefangenen berichten.“ „Ja, das hat er erwähnt. Tretet ein.“ Ihm wurde die Tür geöffnet, während die Leibwächter einen skeptischen Blick in das Zimmer warfen. Sie sondierten kurz nach eventuellen Gefahren, doch der König lag ganz entspannt in seinem gigantischen Himmelbett und las mit Hilfe einer Kerze einen dicken Wälzer. Konstantin sah auf, als ihm klar wurde, dass jemand die Tür geöffnet hatte. Das Licht des Flures flutete immerhin kurzzeitig sein Zimmer, ehe der Wächter hinter Benedikt die Tür wieder schloss. „Konstan.“, grüßte er ihn amüsiert. „Ben. Was ist so lustig?“ „Habt Ihr die Wärme Eurer Frau gegen die eines Buches eingetauscht?“, erkundigte er sich kichernd. Es war das erste Mal, dass er ihn in seinem Zimmer besuchte. Bisher war er davon ausgegangen, dass das Ehepaar sich ein Bett teilte, doch das war offensichtlich nicht so. Prüfend sah sich der Hauptmann der Armee um. Nichts deutete auch nur darauf hin, dass dieses Zimmer jemals von einer Frau genutzt worden war. Höchstens betraten die Zofen es, um es zu putzen, das Bett neu zu beziehen oder dem Adelssohn Speisen zu bringen. Es gab nämlich ein paar leere Teller. „Oh, beim Weltenlenker!“, keuchte Konstantin entsetzt, während er das Buch zur Seite legte. „Ich ertrage sie kaum beim Essen, da will ich sie nicht auch noch nachts um mich haben.“ „Kann ich gut nachvollziehen.“ Vorsichtig setzte sich Konstantin auf. Er trug nur ein weißes Nachthemd, was Benedikt den Mund in Rekordzeit austrocknete. Erst seit jener Nacht war ihm bewusst, wie sehr er eigentlich für seinen König schwärmte. Bisher hatte er sich nur für loyal gehalten, doch es war wohl immer mehr gewesen als das... „Hast du mit Lord Adlerherz sprechen können?“ „In der Tat konnte ich das.“, bestätigte er und kam bleiern näher an das Bett heran. „Er würde gerne mit Euch sprechen und hat geschworen, dass er Euch nicht verletzen will. Außerdem hätte er auch gerne Billie gesprochen.“ „Ist das so?“ „Ja, er hat sehr über ihre Kampfkunst geschwärmt und will ihr offenbar mitteilen, wie beeindruckt er ist. Er wirkt ein bisschen verknallt.“ „Wundert mich nicht. Sie ist eine schöne Frau...“, gestand Konstantin und Benedikt spürte einen Stich der Eifersucht in seiner Brust. Dieses Gefühl trieb ihn wie von selbst näher an seinen Herrscher heran, auf dessen Bettkante er sich ungefragt setzte. „Ihr findet Sie schön?“ „Ja, du nicht?“ „Schon...“, brummte der Hauptmann unzufrieden. Während er den Blick senkte, spürte er plötzlich, dass Konstantin seine Hand berührte. Im flachen Schein der Kerze wirkte es beinahe noch verbotener, als es sowieso schon war. Homosexualität war beim Weltenlenker nicht besonders hoch im Kurs, weil sie keine Nachfolger zeugen konnten. Dennoch hob er seine Finger, um die weiche Haut zu berühren, die dennoch Schwielen vom Schwert aufwies. Nicht so viele wie seine eigenen, großen und rauen Hände, die so zerstörerisch neben seinen wirkten. Sie konnten kaum unterschiedlicher sein, aber er fühlte sich dennoch wahnsinnig zu ihm hingezogen. „Sie entfacht jedoch nicht meine Lenden, Ben.“, flüsterte der König anrüchig. „Frauen mögen schön sein, aber ich... Nun ja...“ „Ihr steht nicht auf sie.“ „So ist es...“ „Ich mag sie schon, aber ich mag Euch viel mehr.“, gab der Hauptmann mutig zu. „Es macht mich wahnsinnig, dass Ihr sie schön findet... Und Euch mit Bartel alleine zu lassen! Oder mit Theodor...“ „Teddy ist wie ein Bruder für mich. Ich hege keine derartigen Gefühle für ihn...“, schwor der lockige König liebevoll und kroch dichter an ihn heran. „Was Lord Adlerherz anbelangt, erscheint er mir sehr hetero zu sein. Außerdem ist er nicht mein Typ.“ „Was ist denn Euer Typ?“ Just bei dieser Frage presste Konstantin seine heißen Lippen in seinen Nacken, während seine Hände um den Bauch des Hauptmanns glitten. Manchmal verkeilten sich seine Finger in dem schmutzigen Leder, doch meistens streichelte er ihn anregend. Brummend schloss er genussvoll seine Lider. Er hatte schon viele Frauen gehabt, doch keine hatte jemals so viel in ihm ausgelöst! „Ich mag schmutzige Männer...“, schnurrte der Adelssohn verspielt. „Loyale Männer, die sehr hart lieben. Männer, die mich in den Bann schlagen mit ihrer schroffen Art. Schöne Männer, die nicht wissen, wie schön sie sind.“ „Ihr steht also auf Bauern?“, kicherte Benedikt nicht wirklich beleidigt. Er wusste, dass er ein dreckiger Kerl war, der so gar nicht nach einem Aristokraten aussah. Das genaue Gegenteil zu Bartholomäus! „Genau.“ „Na wartet!“ Lachend warf er sich auf ihn und sie begannen sich in dem gigantischen Bett wie kleine Jungs zu raufen. Natürlich achtete Ben darauf, dass er seinen König dabei nicht wirklich verletzte, doch es machte irgendwie Spaß so Zeit miteinander zu verbringen. Immerhin lachte auch Konstantin glockenhell und versuchte sich zumindest gegen seine Hände zu wehren, die ihn kurzerhand zu kitzeln begangen. Vielleicht würde die Gesellschaft sie niemals respektieren und vielleicht würde er selbst niemals begreifen, wie er so für sein eigenes Geschlecht empfinden konnte, doch es war so. Und Benedikt wusste, dass seine Gefühle aufrichtig waren. Echt. Greifbar... Und irgendwas in ihm wusste auch genau, dass die Gefühle des Königs ebenfalls aufrichtiger Natur waren. Dass sie glücklich werden könnten. Leider war ihm auch bewusst, dass er immer ein heimlicher Geliebter sein würde. Der Herrscher hatte nicht nur eine Frau, sondern musste auch gewisse Etiketten einhalten. In diesem Augenblick konnte er das gut vergessen. Er wollte ihm einfach nur nah sein und nochmals das Bett mit diesem herrlichen Mann teilen.   Die Dunkelheit umschloss ihr Herz kalt. Der Geruch von Schwefel und Tod lag ihr in der feinen Nase. Alles um sie herum war trist geworden. Billiana erinnerte sich gut an diese Zeit, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war. Da hatte die Soldaten-Ausbildung noch nicht begonnen und sie war gewissermaßen noch frei gewesen. Eines Tages hatte sie eine Gruppe von Unterweltlern beobachtet, die einige Erwachsene überfielen. Die Angreifer schienen in ihrem Alter zu sein und nutzten die Waffen, die sie finden konnten. Deshalb waren sie lediglich mit rostigen Schwertern, ein paar Holzstangen und einigen Hämmern ausgestattet. Sie zählte ungefähr zehn Knaben. Fasziniert hatten ihre blauen Augen das Geschehen beobachtet. Wie einige Jungs immer mal die Männer ablenkten, damit die anderen sie von hinten schlagen konnten. Sie schafften es wirklich, die Kreaturen der Unterwelt unschädlich zu machen und dann wieder lachend abzuhauen. Sie stahlen nichts... Mit diesem Angriff verfolgten sie nicht den Wunsch, sich selbst zu bereichern. Jedoch war der Elfe auch nicht wirklich klar, weshalb sie es dann machten. Sie konnten immerhin dabei sterben! Unterweltlern war es egal, dass sie Kinder waren. Wenn sie sie zu fassen bekamen, würden sie jedes der Kinder qualvoll töten. Mit diesem Wissen hatte sie die Gruppe jeden Tag gesucht und weitere Streifzüge beobachtet. Manchmal folgte sie einzelnen Mitgliedern der Rabauken und fand heraus, dass sie fast alle aus angesehenen Familien stammten. Loyales Gefolge von ihrem Vater. Es war also kein Überlebenskampf. Irgendwann merkte der Anführer der Gruppe jedoch, dass sie sie ständig beobachtete und verfolgte. Er fing sie ab, als sie selbst auf dem Heimweg war. Seine braunen Locken sahen so widersprüchlich zu seinem ernsten, strengen Kindergesicht aus. Er war ein hübscher Bursche... Vor allem für die Unterwelt. In seinen braunen Augen hatte sie erkannt, dass sein schönes Äußeres ihm nicht viel Gutes beschert hatte. Wie oft seine Grenze überschritten worden war... Etwas, was auch sie schon früh erfahren hatte. „Warum folgst du uns ständig?“, zischte er wütend. In seinem Gesicht fand sie ein paar Narben, die inzwischen fast vollständig verheilt waren. „Nur so...“, hörte sie sich sagen und merkte selbst, dass das wenig überzeugend klang. „Nur so?“, wiederholte er skeptisch. „Bist du blöd oder so? Dir ist schon klar, dass du dich damit in Schwierigkeiten bringen kannst?“ „Wieso? Wollt ihr mir wehtun?“ Bei ihren Fragen begann er zu lachen. Es war ein kaltes Lachen, das so gar nicht zu einem Kind passen wollte. Billie war klar, dass er vermutlich in Menschenjahren zehn oder elf Winter alt war. In seinen Augen erkannte sie, dass er schon mehr Lebensjahre auf dem Buckel hatte und auch viel zu viel erlebt hatte. „Du denkst ernsthaft, dass wir dir was tun würden?“, hakte er nach. „Es sind die Erwachsenen, die uns laufend wehtun. Oft genug grundlos... Aber wenn du uns nachläufst, dann denken sie, dass du zu uns gehörst.“ „Ist mir egal.“ „Bist du blöd?“ „Nein, du?“, konterte das Mädchen und plusterte sich etwas vor ihm auf. Wieder lachte er. Dieses Mal klang es ehrlicher. Nicht warmherzig oder wirklich angenehm, aber zumindest war es ein bisschen aufrichtiger. „Willst du dich uns etwa anschließen?“ „Wenn du mir erklärst, was das alles genau soll?“ „Wir wollen uns wehren. Wir wehren uns gegen diese verdammte Unterwelt, die uns so viel Leid zufügt!“, erklärte der Junge mit gestrafften Schultern. „Ich glaube, dass du weißt, was ich meine. Wie oft wurdest du schon geschlagen? Gefoltert? Wie oft haben sie dich zum Sex gezwungen oder es zumindest versucht?“ Darauf wusste sie keine Antwort. Die Unterwelt war ein harter Ort, an dem keine Kinder aufwachsen sollten. Aber man suchte sich eben nicht aus, wo genau man geboren wurde und als was. Auch damals hatte Billiana gewusst, dass sie nicht in diese Welt gehörte. Sie gehörte nicht unter den orangegrauen Himmel, der die Welt in Dunkelheit, statt in Licht hüllte. Es war ihr nicht bestimmt, die schwefelhaltige Luft einzuatmen und oftmals fast an der Asche zu ersticken. Die Unterwelt war vielleicht der Ort, an dem sie geboren wurde, doch es war nie ihr Zuhause. Jedenfalls nicht wirklich. Der Rabauke erkannte das und begann überheblich zu grinsen: „Du verstehst es... Ich bin Thanatos. Wie heißt du?“ „Billiana.“ „Ah? Die Tochter des Herrschers, ja?“ „Mhm, ja...“ „Ist uns egal. Wir sind alle aus Häusern seiner Anhängerschaft.“, winkte Thanatos schulterzuckend ab. „Wir werden dich die Tage mal austesten und schauen, ob du für uns nützlich sein kannst.“ „Ich habe doch gar nicht zugestimmt!“ „Doch, hast du. Wir sehen uns morgen.“ Von diesem Tag an war sie mit ihnen befreundet gewesen. Ihre ersten, gleichaltrigen Freunde, die mit ihr Pferde stehlen gingen. In dieser Gruppierung hatte die Elfe ihre ersten Kampferfahrungen gesammelt. Natürlich liefen die nicht immer reibungslos ab, doch all die Verletzungen nahm sie in Kauf, um nicht mehr alleine zu sein. Um sich für die Pein zu rächen, die man ihr stets zugefügt hatte. Thanatos hatte recht gehabt: Ihr war zu oft Leid zugefügt worden und es waren immer die Erwachsenen gewesen. Wie gefährlich ihre Unternehmung auch sein mochte, machten sie sie frei. Das war es, was jedes Kind von ihnen wollte. Frei sein...  Die Unterwelt hinter sich lassen. Es war keine wirkliche Rebellion gegen den Thron, sondern vielmehr gegen das Leben, was man ihnen aufzwang. Jedoch endete ihre Rebellion... Ihre Freiheit. Sie waren größtenteils im jugendlichen Alter angelangt und machten die Ausbildungen, die ihre Familien ihnen aufzwangen. Soldaten, Magier, Gelehrte... Was auch immer ihre Eltern für richtig hielten. Thanatos hatte zusammen mit ihr die Soldaten-Ausbildung begonnen und sie hatten oft zusammen trainiert. Dabei rekrutierten sie immer mal neue Kinder und Jugendliche für ihre Gruppe. Es blieb ein aufregendes Spiel. Dann kamen die Soldaten... Fast alle aus ihrer kleinen Rebellion wurden gefangengenommen und schließlich Hades vorgeführt. Sie selbst zwang er, neben ihm zu stehen und in ihre ängstlichen Gesichter zu blicken. Ihr Vater wollte, dass sie erkannte, dass dieser Aufstand rein gar nichts bewirkt oder verändert hatte. Und er wollte, dass sie sich schuldig fühlte... Dass es ihr so vorkam, als hätte sie all das verhindern können, wenn sie ihren Freunden bloß geraten hätte, diese Angriffe sein zulassen. Nicht mehr Propaganda gegen ihn zu führen... „Leugnet ihr, dass ihr Verräter seid?“, fragte ihr Vater mit eiskalter Stimme. Seine grauen Augen fixierten die Kinder und Jugendlichen, die sich beinahe nass machten. Die meisten von ihnen standen zum ersten Mal vor dem Herrscher höchstselbst. „Nein.“, antwortete Thanatos und sorgte dafür, dass alle den Atem anhielten. „Leugnet Ihr, dass Ihr ein beschissener Herrscher seid?“ Just in diesem Augenblick war Billie bewusst geworden, dass sie nichts hätte sagen oder tun können, was Thanatos von dieser Rebellion abgehalten hätte. Er war überzeugt... „Du bist also der kleine Anführer, ja? Thanatos, richtig? Deine Eltern müssen unfassbar stolz auf dich sein.“, zischte ihr Vater kühl, während er ihn fixierte. „Glaubst du wirklich, dass diese frechen Sprüche mich beeindrucken?“ „Nein, aber das ist mir ziemlich egal. Ich werde nicht darüber schweigen, was hier schiefläuft.“ „Du meinst, weil wir unsere Kinder schlagen, foltern und vergewaltigen? Dass wir euch hungern lassen, wenn ihr etwas falsch macht? Man euch zu Soldaten ausbildet, damit ihr auf dem Schlachtfeld sterbt?“ „Genau das meine ich.“ Mit offenem Mund starrte sie ihren Freund an und fragte sich, woher er diesen Mut nahm. Wieso er nicht einfach schwieg... Oder seine Rebellion abstritt! Sie selbst wäre viel zu feige, sich so offen mit Hades anzulegen, der keine Gnade kannte. „Wer hier zu schwach ist, um sich gegen diese Übergriffe zu wehren, muss damit leben, dass er leiden muss.“, sagte ihr Vater hart. „Wenn du damit nicht klarkommst, dann bist auch du zu schwach für die Unterwelt.“ „Und doch lebe ich noch. Habe so lange überlebt...“ „Das endet jetzt. Ich verurteile euch alle offiziell zu Hochverrat. Ihr werdet in die tödlichen Ebenen gebracht und dort ausgesetzt. So wie eure Eltern.“ Empörung brach im großen, düsteren Thronsaal aus. Vor allem die eigentlich unschuldigen Eltern waren fassungslos über diese Entscheidung. Dennoch wagte es keiner, offen gegen das Urteil zu protestieren. Nicht mal sie... Die tödliche Ebene war ein Teil der Unterwelt, auf der das Überleben unmöglich war. Magie brach an jenem Ort aus Boden und Himmel aus und töteten jeden, der sich dorthin verirrte. Ob Unterweltler oder Tier... Es gab keine Pflanzen mehr, sondern nur noch wüstenartigen Sandboden. Selbst Felsen waren unter den Ausschüttungen der Magie einfach pulverisiert worden. Billiana hatte jenen Ort mal aus der Ferne gesehen. Sataniel hatte ihn ihr gezeigt... Und er hatte ihr berichtet, dass Hades alle vermeidlichen Verräter und Rebellen dorthin hinbrachte, damit sie möglichst qualvoll durch die überschüssige Magie starben. Es zerfetzte ihre Leiber. Es gab in der Unterwelt kaum eine Bestrafung, die schlimmer war, als in der tödlichen Ebene ausgesetzt zu werden! Selbst für die Soldaten, die die Gefangenen dorthin bringen mussten, barg es stets ein Risiko. „Was ist mit ihr?!“, keuchte plötzlich einer der Jungen, den man am Oberarm gepackt hatte, um ihn wegzuschleifen. Er deutete auf Billiana, die sofort erstarrte. „Halt‘ den Mund!“, zischte Thanatos wütend. Unter ihnen hatten sie sich geschworen, sich niemals zu verraten. Nicht für Essen. Nicht für Freiheit. Für gar nichts... „Sie hat doch mitgemacht! Warum werden dann nur wir bestraft?!“ „Hattest du ernsthaft geglaubt, dass ich meine eigene Tochter mit euch verurteile?“, fragte Hades mit einem kalten Lachen. „Ihr seid nur Abschaum. Sie wird leben, aber sie wird ebenfalls ihre gerechte Strafe erhalten. Seid unbesorgt.“ „Was soll das für eine Strafe sein?“, hinterfragte Thanatos verunsichert. Er hatte bis dahin wohl gehofft, dass ihr Vater nichts von der Zusammenarbeit wusste. „Sie wird eine Überlebende. Sie wird ihre einzigen Freunde überleben, junger Thanatos. Sie wird sich an diesen Tag erinnern, an eure Gesichter und die Angst und sich schuldig fühlen.“, führte er die bestialische Strafe aus. „Und sie wird sich immer fragen, ob sie das hätte verhindern können. Ob sie nicht eure Strafe hätte teilen sollen. Es wird sie zerstören.“ „Billie!“, schrie Thanatos, als man ihn packte und rauszerren wollte. Noch nie hatte jemand sie so genannt. Seine Augen brannten wie Feuer, während er nur sie ansah: „Du bist nicht schuld! Vergiss das niemals!“ „Thanatos!“, keuchte sie und löste sich endlich aus ihrer Starre, doch Sataniel packte sie bereits, damit sie nicht eingreifen konnte. Dabei flüsterte er ihr zu, dass sie ruhig bleiben müsste. „Du warst nie schuld, bist es nicht und wirst es nie sein! Vergiss‘ das nicht, versprich‘ es mir!“, schrie er im Feuereifer. „Werde stark und ehre unser Andenken, Billie! Du weißt, dass unsere Sache richtig war! Du weißt es!“ Tränen füllten ihre Augen, während ihre einzigen Freunde aus der Halle gezerrt wurden. Ihre Schreie waren für die Elfe noch lange zu hören, die gebrochen ihre nassen Augen schloss. Innerlich versuchte sie sich von der Schuld freizusprechen, die Hades ihr auflasten wollte. Noch ging es nicht... Noch sah sie die Kinder und Jugendlichen vor sich, die zu Unrecht verurteilt worden waren. Es war das erste Mal, dass Sataniel sie tröstend in die Arme nahm und an sich drückte. Das erste Mal, dass sie den sonst so distanzierten Ausbilder und Leibwächter als Mann wahrnahm. Und doch war sie zu erstarrt, um diese Umarmung zu erwidern, die ihr so viel Trost spendete. Er zischte irgendwas zu ihrem Vater, was in einem Rauschen unterging. Was es auch war, hielt ihn davon ab, sie zu trennen und ihre Strafe auf Prügel zu erweitern. Immerhin ließ er sie als Überlebende zurück... Ein Schicksal, das sich in ihrer Zukunft immer wieder wiederholte, als sei sie in einer Endlosschleife gefangen.   Schweißgebadet saß Billiana kerzengerade in dem Gästebett, das so schön weich und warm war. Spuren von getrockneten Tränen lagen auf ihren Wangen, während ihre Augen sich noch feucht anfühlten. Sie hatte lange nicht mehr an jene Zeit gedacht. Schon gar nicht davon geträumt! Es war so seltsam präsent gewesen, als wäre es erst gestern gewesen. Während sich ihre eisblauen Augen umsahen, erinnerte sie sich, dass sie sich in Rabenwacht befand. Im Schloss des Königs... In Sicherheit. Ein Gefühl, das sie seit Jahrzehnten gar nicht mehr kannte. Nachdenklich blickte sie an sich herab. Sie war vollkommen nackt, weshalb sie das Glänzen der Schweißperlen auf sich entdecken konnte. Der Traum hatte sie psychisch und körperlich offenbar sehr gefordert. Vorsichtig sah sie neben sich. Kelvin lag ebenso nackt in dem Bett und war in den Decken und Fellen eingerollt. Er wirkte so unfassbar friedlich. Thanatos... Du warst schon als Kind unfassbar wütend und mutig. Leider hat dich das zu früh den Kopf gekostet..., dachte sie mit ehrlichem Bedauern. Jedoch hatte er sie auch dazu gebracht, offen gegen ihren Vater zu rebellieren. Ihn nicht mehr alles zu erlauben. An jenem Tag, als ihr Vater sie gezwungen hatte als Überlebende zurückzubleiben, war die schwache, wehrlose Billiana gestorben. Sie war mit ihren Freunden in die tödliche Ebene gebracht und dort ausgesetzt worden. Dafür war Billie geboren worden, die sich nicht mehr schlagen, foltern oder vergewaltigen ließ. Die nicht nur nickte. Wie Thanatos es sich gewünscht hatte, war sie stark geworden. Sie hatte weiter rebelliert, weil ihre Sache richtig war. Hatte Kinder aus der Unterwelt gerettet und sie in andere Welten geschickt, in denen sie ein besseres Leben hatten. Zittrig wollte sie aus dem Bett steigen, doch der Rebellenanführer umfing ihren Bauch plötzlich mit seinen starken, warmen Armen. Überrascht sah Billie zu ihm herunter und sah in erstaunlich besorgte blaue Augen. Offenbar hatte er nur so getan, als würde er noch schlafen. „Wo willst du hin?“, fragte er leise. „Auf den Balkon.“ „War dein Albtraum so schlimm?“ „Wie lange bist du schon wach?“, fragte die Attentäterin irritiert. „Eine Weile... Habe dich ein bisschen beobachtet und gestreichelt, aber irgendwie hast du dich nicht entspannen können. Wollte dich aber auch nicht wecken...“ „Ist vermutlich auch besser, wenn du mich nicht plötzlich weckst.“ „Würdest du mich wirklich versehentlich töten? Oder sogar absichtlich, weil ich dir deinen Schönheitsschlaf raube?“, kicherte Kelvin und wollte sie offenkundig aufheitern. „Höchstens versehentlich... Vor Schreck.“ „Darf ich fragen, was du geträumt hast?“ „Nur etwas aus meiner Kindheit...“, gestand sie seufzend. „Ist nicht so wichtig.“ „Nicht so wichtig? Du hast dich gewälzt, geschwitzt und immer wieder »Thanatos« geschrien. Erscheint mir schon wichtig zu sein.“ „Fühlst du dich schuldig? Wegen Amelie?“ „Natürlich.“ „Und ich fühle mich wegen Thanatos schuldig...“ „Hat er sich für dich geopfert?“, fragte er so taktvoll wie er eben konnte. Doch die Neugier war dem Rebellen ebenfalls anzusehen. Oder der Wunsch, sie zu verstehen... Sie wusste es nicht so genau. „Sozusagen... Es ist schwer zu erklären.“ „Amelie lebt in mir weiter, wenn ich sie nicht vergesse, weißt du? Sie ist nicht wirklich tot...“, sagte er und setzte sich neben ihr auf, damit er ihr direkt in die Augen sehen konnte. „Ich bewahre ihr Lachen, ihr Lächeln, ihre Stärke, aber auch ihre Schwäche. Ihr Weinen... Ihren Kummer. Ich bewahre unsere gemeinsamen Erinnerungen. Unsere Gespräche. Solange ich sie nicht vergesse, stirbt Amelie nicht. Sie ist längst ein Teil von mir. Und so ist es auch mit diesem Thanatos. Er lebt durch dich weiter.“ Obwohl sie es nicht wollte, flossen die Tränen doch unaufhaltsam, während sie ihm lauschte. Trauer überkam sie, aber auch ein anderes Gefühl. Sie konnte es nicht wirklich deuten... Erleichterung? Sie wusste nur, dass er sie zu verstehen schien. Schamvoll presste sie sich an Kelvin und drückte ihr Gesicht direkt in seine Halsbeuge. Es würde seine Haut mit den salzigen Tränen besetzen, doch es schien ihn nicht wirklich zu stören. Stattdessen umfingen seine starken Arme sie erneut, damit er sie dicht bei sich behalten konnte. Er zwang sie nicht, ihn anzusehen. Schien es zu respektieren, dass sie ihre Tränen nicht offen zeigen wollte, auch wenn sie wusste, dass sie keine Schwäche waren. Er war einfach nur da. Spendete ihr Ruhe und Frieden. Gab ihr Verständnis. Er ahnte nicht mal, wie viel er ihr gab...   Auf seine Bitte hin war Billiana am Morgen in dem Thronsaal erschienen. Es war direkt nach dem Frühstück. Natürlich hatte Konstantin sein Personal deutlich darum gebeten, auch Bartholomäus Adlerherz so gut wie möglich zu versorgen. Er war an sich eine Art Gefangener, doch ihm war es wichtig, dass er sich eher als Gast fühlte. Benedikt brachte den besagten Adelssohn in Begleitung einiger Soldaten in die riesige Halle. Bartholomäus sah sich interessiert um. Er war zum ersten Mal ein Gast in diesem Thronsaal. Je nachdem, wie er sich entschied, würde es auch sein letzter Aufenthalt hier sein. Er kam nicht drumherum, seinem heimlichen Geliebten einen kurzen Blick zu schenken. Ben erwiderte den Blickkontakt mit einem schelmischen Grinsen, fand aber schnell seine übliche Fassung wieder. Durell schien nur mit der Sicherung des Thronsaals beschäftigt zu sein, aber bei Billie sah er etwas in ihren Augen funkeln. Sie musste bemerkt haben, wie sie einander ansahen. Es erinnerte ihn daran, dass er zukünftig vorsichtiger sein musste, wie er Benedikt ansah. „Lord Adlerherz, es ist mir eine Ehre Euch persönlich kennenzulernen, wenn die Umstände auch bedauerlich sind.“, sagte Konstantin, nachdem der Mann mit etwas Abstand vor seinem Thron verharrte. „Ich habe wirklich sehr viel von Euch und Euren Leistungen gehört. Eure Karriere ist wahrlich beeindruckend.“ „Danke, Majestät.“ „Es ist schade, dass Ihr in diese Sache hereingezogen worden seid. So war das nicht geplant.“ „Ich weiß...“ „Trotzdem würde ich Euch gerne davon überzeugen, dass Ihr die Sache ruhen lasst und Euch stattdessen meiner Armee anschließt.“, verkündete Konstantin und nahm den überraschten Blick von Bartholomäus durchaus wahr. „Ich bin mir sicher, ich finde auch einen höheren Posten, der Euren Fähigkeiten entspricht. Oder eine andere Anstellung, wenn Ihr vielleicht einen anderen Beruf anstreben solltet.“ „Im Austausch für mein Schweigen?“, erwiderte der Hauptmann des Kolosseums mit gestrafften Schultern. „Ich soll nicht verraten, dass Ihr in Wahrheit hinter dem Ausbruch steckt?“ „Das ist korrekt.“ „Man würde mich als Verräter ächten, wenn ich plötzlich in Euren Diensten bin, nachdem Theodor hier aufgetaucht ist.“ „So ist es, aber selbstverständlich würden wir Euch nicht ausliefern. Ihr wärt sicher.“ Plötzlich setzte sich Billiana in Bewegung und stellte sich direkt neben ihm. Sie wirkte so erhaben, als sollte sie eigentlich seine Krone tragen. Doch ihre gestraffte Haltung passte auch zu einer wirklich gut ausgebildeten Leibwächterin, die für ihn sterben würde. Irgendwas sagte ihm, dass sie das tun würde... „Ihr habt wahnsinnig gut gekämpft, Hauptmann.“, sagte sie mit charismatischem Eifer. „Ich ließ Euch am Leben, damit Eure Begabungen der Nachwelt erhalten bleiben. Ich denke – nein – ich bin davon überzeugt, dass Ihr Rabenwacht gute Dienste leisten könnte. Bessere Dienste, als Ihr sie dem Kolosseum leistet. Wertvollere...“ „Ich möchte das Kompliment gerne zurückgeben, Billie. Eure Fähigkeiten sind beeindruckend.“, erwiderte Bartholomäus erstaunlich gefasst. „Und ich gebe zu, dass ich Euch glaube. Ich denke auch, dass ich nützlich sein könnte und ich mich in Rabenwacht sogar zuhause fühlen könnte...“ „Etwas hindert Euch an der Zustimmung.“, schloss Konstantin an seiner Ausführung. Bartholomäus nickte. Nun war es Benedikt, der etwas vortrat, aber nicht auf das Podest stieg, um sich ebenfalls zu dem König zu gesellen. Es kam ihm eher so vor, als wollte er sich für den Hauptmann des Kolosseums stark machen. „Bitte verzeiht, Majestät, ich sollte mich nicht einmischen...“ „Bitte, sprich‘.“ „Als ich für Euch ein Treffen mit Lord Optimus sichern sollte, habe ich mich auch über Lord Adlerherz informiert. Er hat einen jüngeren Bruder, der im Schlund ist.“, erklärte sein Hauptmann ihm sachlich. „Ich bin mir sicher, dass er in Sorge um ihn ist. Bisher hat er seine Schulden mit seinem Lohn im Kolosseum versucht zu begleichen... Er hat einen Vertrag mit dem Weltenlenker.“ „Ist das so?“, hinterfragte Konstantin ehrlich überrascht und sah wieder zu Bartholomäus. „Ja, Eure Majestät... Die Nachforschungen von Ben sind absolut zutreffend. Und seine Vermutung ebenso.“ „Was kann ich für Euch tun, um Euch diese Sorge zu nehmen?“ „Ich muss mir sicher sein, dass er in Sicherheit ist oder er-... Na ja... Dass er-...“, Lord Adlerherz brach ab. Sein Herz schien schwer von Sorgen zu sein, weshalb sein Anliegen ihm aufrichtig erschien. „Ihr wollt sicher sein, dass er nicht mehr leiden muss. Man ihn nicht gegen Euch einsetzen kann.“, beendete Billie nüchtern die Ausführung. „Er soll lebend in Sicherheit sein oder die Sicherheit im Tod finden.“ Bleiern nickte er. „Ihr seid Euch ohnehin nicht sicher, ob er noch lebt. Ist doch so?“ „Ihr habt recht, Lady Billie.“ „Nennt mich bitte nicht Lady... Diesen Titel mag ich gar nicht.“ „Verzeihung...“, sagte der Hauptmann des Kolosseums und senkte reuevoll den Blick. Da war auch etwas Scham. „Weshalb seid Ihr unsicher, ob Euer Bruder noch lebt?“ „Seit vielen Monaten schreibe ich ihm Briefe, doch er antwortet nie. Auch sonst gibt es keine Lebenszeichen. Ich befürchte, dass er im Schlund gestorben sein könnte und der Weltenlenker es mir verheimlichen will.“ Konstantin musste zugeben, dass das ein bedauerlicher Umstand war. Sie hatten keine Ahnung, ob der Bruder dieses Mannes noch lebte und falls ja, in welchem Zustand er sich befand. Zumal keiner wusste, wo genau der Standort des Schlunds war, an dem nach Mithril geschürft wurde. Es gab also nicht gerade viele Optionen, um Bartholomäus tatsächlich Gewissheit zu verschaffen. „Mal angenommen, ich könnte Euch diese Gewissheit verschaffen, würdet Ihr Euer Knie dann vor König Konstantin beugen?“, fragte die Elfe plötzlich. Erstaunt sah er auf und starrte sie eine Weile atemlos an. Während er unsicher war, ob es überhaupt möglich war, diese Antworten zu liefern, schien sie absolut überzeugt davon zu sein. „Ja, wenn Ihr mir beweist, dass er in Sicherheit ist – egal, auf welche Weise – dann werde ich einen Treueeid leisten und ihn niemals brechen.“ „Gut, dann werde ich mich dieser Sache annehmen.“ „Ähm, Billie...“, flüsterte er ihr leise zu. „Haltet Ihr das für eine kluge Idee? Wir haben keine Ahnung, wo die Minen des Weltenlenkers sind.“ „Wir vielleicht nicht, aber ich kenne jemanden, der es weiß.“ „Selbst, wenn, dürfte der Schlund unfassbar gut bewacht sein! Falls Ihr ihn findet, bekommt Ihr ihn wohl kaum dort heraus...“ Tadelnd blickte die Elfe ihm nun direkt ins Gesicht: „Ich sage Euch doch auch nicht, wie Ihr Eure Arbeit zu machen habt, oder?“ „Nein... Verzeiht, ich wollte nicht anmaßend klingen.“ „Lasst mich nur machen.“ Diese Frau schafft mich..., dachte er verzweifelt, nickte dann aber trotzdem zustimmend. „Gut, Billie wird herausfinden, wie es um Euren Bruder steht. Bis dahin werden meine Soldaten Euch beaufsichtigen und Ihr dürft das Schloss nicht verlassen.“ „Selbstverständlich, Eure Majestät.“ „Ihr werdet gut versorgt werden, als wärt Ihr ein gewöhnlicher Gast. Ihr habt mein Wort, dass man Euch gut behandeln wird.“ „Danke.“, sagte Bartholomäus aufrichtig und sah dann zu Billiana. „Und auch an Euch.“ „Ich tue das nicht für Euch. Ich tue es für König Konstantin und für Euren Bruder.“ „Das respektiere ich und dennoch ist mein Dank aufrichtig.“ Kurz zuckten ihre Mundwinkel zu einem Lächeln, doch sie wirkte nach wenigen Herzschlägen schon wieder ernst. Derweil führte Benedikt den Hauptmann des Kolosseums wieder aus dem Thronsaal. Er warf ihm zwar einen Blick über die Schulter zu, mischte sich in diese Entscheidung jedoch nicht ein. Seufzend setzte sich Konstantin auf seinen Thron, in dessen Nähe sich auch Durell aufhielt. Er hatte bisher nichts zu dem Ganzen beigetragen und beobachtete Billiana. Sie musste eine dauerhafte Gefahr für ihn darstellen, weil sie ihn sicherlich spielend leicht töten könnte. Wenn sie denn wollte... „Warum tut Ihr das?“, hinterfragte der König und sah sie wieder an. „Weshalb wollt Ihr mir unbedingt helfen?“ „Ich hoffe, dass das Eure Entscheidung beeinflusst, ob Ihr der Rebellion helft.“ „Ah... Natürlich.“ „Wisst Ihr, selbst wenn wir scheitern sollten, hätten wir es wenigstens versucht. Es ist eine gute Sache... Es ist richtig so.“ „Ja, ich stimme Euch zu und kann Euch beruhigen: Nachdem ich mich beraten habe, habe ich beschlossen, dass ich der Rebellion helfen werde.“, schwor Konstantin aufrichtig. „Meine beiden Hauptmänner sind überzeugt davon und ich bin es auch.“ Zufrieden begann die Blondine zu lächeln und hob den Kopf etwas mehr an: „Ist das wahr?“ „Ja. Ihr müsst das alles also nicht machen...“ „Ich gab mein Wort, also werde ich auch nach seinem Bruder suchen. Auch Lord Adlerherz könnte noch nützlich sein... Wenn nicht für die Rebellion, dann für Euch.“, erklärte sie gefasst. „Danke...“, murmelte er etwas verlegen und kratzte sich am Hinterkopf, ehe er zu lächeln begann. „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch wieder zurückziehen, Billie.“ „Majestät.“, sagte sie respektvoll und verbeugte sich, ehe sie sich umdrehte und ging. Er musste zugeben, dass sie eine beeindruckende Frau mit eisernen Prinzipien war. Was immer sie auch in ihm sah, es sorgte für Loyalität. Die Form der Treue, die der Weltenlenker niemals erfahren würde, weil er mit Angst regierte. Zufrieden lehnte er sich in seinem Thron zurück und starrte etwas an die prunkvolle Decke. Sein Vater hatte sie irgendwann restaurieren und ein aufwändiges Gemälde malen lassen. Was genau es darstellen sollte, wusste Konstantin bis heute nicht, aber er betrachtete es dennoch gerne. „Meint Ihr, sie kann das wirklich schaffen?“, fragte Durell kleinlaut. „Wenn es jemand schafft, dann wohl sie.“ Trotzdem musste er sich einen alternativen Plan überlegen, um Bartholomäus notfalls dennoch überzeugen zu können. Er wollte es lieber nicht riskieren, dass er sich gegen sie wandte. Die Elfe hatte schon recht damit, dass seine Fähigkeiten sehr wertvoll für ihn werden könnten. Aber wie sichert man sich die Loyalität eines solchen Mannes, falls man ihm seinen einzigen Wunsch nicht erfüllen kann? Er scheint mir sehr entschlossen zu sein..., sinnierte der König verunsichert. Diese Frage zu klären, würde einige Gespräche mit seinen Hauptmännern erfordern. Sie waren diesem Mann viel ähnlicher und konnten seine Beweggründe besser nachvollziehen. Nur wollte er jedem erstmal etwas Zeit geben, um die neusten Ereignisse zu verarbeiten.   Es war eigenartig nach drei Jahren plötzlich wieder frei zu sein. Wieder richtiges Essen zu bekommen... Es fühlte sich falsch an, dass niemand ihn in Ketten legen wollte, wenn er durch die Straßen von Rabenwacht wanderte. Niemand kannte ihn. Weder als Gladiator noch als Bauer. Theodor war aufgefallen, dass einige Damen ihm kichernd nachsahen und miteinander tuschelten. Sie deuteten auf ihn, als sei er eine Attraktion. Vermutlich lag es daran, weil er bloß eine enge Lederhose trug und ein offenes, weißes Hemd. So konnten sie einen herrlichen Blick auf seinen trainierten Körper werfen. Sein Six-Pack war sicherlich ein seltener Anblick inmitten der Mauern und erst recht außerhalb. Generell wirkten die meisten Männer neben ihm wie schwächliche Knaben. Ab und zu lächelte er einer Dame zu oder grüßte sie, wenn er vorbeischlenderte. Dabei empfand er nichts. Keine Erregung, kein Begehren. Er wollte nur höflich sein und ihnen dieses bezaubernde Kichern entlocken. Rabenwacht hatte sich in den drei Jahren wahnsinnig verändert und gleichzeitig auch nicht. Der Baustil war identisch, doch die Größe der Hauptstadt war kaum vergleichbar. Offenbar hatte man sogar die Mauern mehrmals versetzen müssen, denn er erkannte hier und da mal, dass eine Mauer eingerissen worden war. Einige hatte man einfach so stehenlassen, sodass es mehrere Befestigungsringe gab. Neugierig war er auf eine der höheren Mauern gestiegen, um einen besseren Blick über die belebte Stadt und ihre Entwicklung zu haben. Es war eher Glück, dass er sich einen Aussichtspunkt auswählte, durch den er feststellte, dass derzeit eine Kombination aus Brücke und Mauer in Bau war. Es gab diverse Geräte, die offenbar zum Heben und Bewegen von Lasten dienten. So etwas hatte er noch nie gesehen. Es gab einen gigantischen Krater, der durch das Landesinnere verlief. Niemand wusste, wie er ursprünglich entstanden war, jedoch wurden einst zahlreiche Brücken darüber errichtet, damit der Lebensberg komplett genutzt werden konnte. Eben diesen Krater versuchte man auch hier zu überwinden. Auf der anderen Seite entdeckte er einige Häuserreihen, die früher nicht da waren. Unter anderem für diese Grundstücke wurde gewiss dieses gigantische Bauwerk errichtet. Es würde sicherlich bald zu einer weltweiten Attraktion werden, wenn Konstantin sie weiterhin so ausbaute. „Beeindruckend, nicht wahr?“, fragte ihn plötzlich ein Mann, mit dem er nicht gerechnet hatte. Schockiert sah er zur Seite und stellte fest, dass es Durell war. Bisher hatten sie noch nicht miteinander gesprochen. Der ehemalige Gladiator hatte lieber das Schloss und die umliegende Stadt erkunden wollen. Wollte die Freiheit schmecken, die plötzlich so befremdlich zu sein schien. „Ja... Ja, ist es.“, stimmte er zu und rang um Ruhe. Es wäre nicht so gut, wenn er ihn einfach über die Mauer warf, wenn ein Teil von ihm auch glaubte, dass er es verdient hätte. „Die Brücke ist nun seit fast zwei Jahren in Arbeit und inzwischen ist der Bau fast abgeschlossen. Viele ziehen nun schon auf die andere Seite.“ Darauf sagte er nichts. Wenn er ehrlich war, wusste er nicht mal, ob er diese Fakten wissen wollte. Oder eher: Ob er diese Fakten von ihm wissen wollte! „Was damals geschehen ist... Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie unfassbar leid es mir tut.“, begann der Hauptmann der Leibwache dann reuevoll. „Ich habe meine Befehle zu spät infrage gestellt und Euch mit Euren Ängsten alleine gelassen. Das ist unverzeihlich... Und dennoch möchte ich mir Eure Vergebung verdienen.“ „Warum?“ „Wie bitte?“ „Aus welchem Grund wollt Ihr Euch meine Vergebung verdienen?“, hakte Theodor ernst nach. „Es ist doch eh alles zu spät und könnte Euch egal sein.“ „Ich weiß es nicht... Es ist mir einfach ein Bedürfnis und fühlt sich richtig an.“ „Also wollt Ihr Euer schlechtes Gewissen beruhigen?“ Durell seufzte, während er sich über die Brüstung der Mauer lehnte: „Auch, ja, aber ich würde Euch auch gerne Frieden bringen. Nur ein bisschen...“ Obwohl er ihn hassen wollte, konnte er es nicht. Der frühere Bauer entdeckte etwas in seinen Augen. Seine Worte wirkten aufrichtig... Da war ein schlechtes Gewissen, aber auch der Wunsch, ihm zu helfen. Wiedergutmachung zu leisten. Nur wusste Theodor nicht, ob man das alles irgendwie wiedergutmachen konnte. Ob er fähig war, ihm zu vergeben. Natürlich verstand er, dass der junge Mann damals nur Befehle befolgt hatte und vermutlich genauso verängstigt gewesen war wie er selbst. Er verstand sogar, dass er auch im Nachhinein nicht mit Konstantin über jene Ereignisse gesprochen hatte. Nur fiel es ihm verdammt schwer, sein Wissen auch mit seinem Herzen zu vereinbaren. Sein Verstand hätte jedoch nichts gegen Vergebung. Ein Knurren riss den ehemaligen Gladiator aus seinen Gedanken. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ein grauer, großer Wolf hinter ihnen saß und sie beobachtete. Er wusste sich nicht zu helfen, doch irgendwie wirkte das Tier wahnsinnig intelligent. Seltsamerweise griff er sie weder an noch versuchte er die Flucht zu ergreifen. „Er ist zahm. Na ja... Soweit man das von einem Wolf behaupten kann.“, erklärte Durell, als er seine Verwirrung bemerkte. „Ich bilde sie für Kampfgeschehen aus und auch für Patrouillen. Im Moment patrouilliert er mit mir.“ „Ist das so?“ „Ja... Er ist noch recht jung und manchmal etwas ungestüm, doch es bessert sich.“ Theodor sah sich um. Keiner der anderen Soldaten schien sich an dem Wolf zu stören. Einige wenige tätschelten ihn sogar kurz oder gaben ihm ein Stückchen Fleisch! So etwas hat es hier früher definitiv nicht gegeben., dachte er ehrlich erstaunt. Wölfe, die wie Soldaten behandelt werden. Die patrouillieren und einen beobachten... Doch es war dennoch beeindruckend. Immerhin waren das gefährliche Raubtiere, die sich gar nicht gerne zähmen ließen. Aber gewiss waren sie auch sehr effektive Partner im Kampf, die ihre Gegner wahre Furcht lehrten. Allmählich verstand er, was sein bester Freund an diesem halben Kind fand. Er hatte beeindruckende Fähigkeiten und schien das Herz am rechten Fleck zu haben. Vielleicht arbeitete er etwas zu viel, denn er hatte dicke Augenringe, aber das ging ihn kaum etwas an. Zumindest bereute er den Vorfall von vor drei Jahren. „Schwamm drüber...“ „Was?“ „Vergessen wir die Sache von damals.“, seufzte Theodor abwinkend. „Ich kann dir vielleicht noch nicht vergeben, aber versuchen wir es erstmal mit vergessen. Neuanfang, wenn man so will...“ „Wirklich?“, hinterfragte Durell hoffnungsvoll. Langsam sah er zu ihm herüber, während seine Augenbraue amüsiert in die Höhe zuckte: „Sofern du versprichst, dass du mich zukünftig nicht mehr nachts entführst, kann ich damit leben.“ „Versprochen!“ Der junge Mann strahlte über beide Ohren und schien mit dem Gedanken zu spielen, ihn zu umarmen. Glücklicherweise entschied er sich dagegen. Das wäre wirklich zu früh und zu viel gewesen! Seufzend lehnte er sich wieder über die Mauer und sah über Rabenwacht, die Felder und fernen Berge hinweg. Ein Anblick, den er zu lange gemisst hatte. Der beinahe schon in einem Nebel verschwunden war... In manchen Nächten hatte er sich seine Heimat nicht mehr vor Augen führen können, um seinen Verstand zu beruhigen. An diesen Tagen war er oftmals kurz davor gewesen, sein Leben zu beenden... Überrascht entdeckte er tatsächlich Billiana und Kelvin, die offenbar auf den Weg zum Haupttor waren. Sie verließen also Rabenwacht wieder. Hat Konstantin ihre Bitte etwa abgelehnt? Gehen sie unvollrichteter Dinge nach Hause?, fragte er sich überrascht. Eigentlich war es ihm so vorgekommen, als hätte sein bester Freund ein echtes Interesse an der Rebellion, doch vielleicht hatte er aus anderen Gründen ablehnen müssen. Jedoch stand es ihm nicht zu, sich nach dieser Sache zu erkundigen. Er beließ es also dabei und drehte sich um, damit er endlich zum Schloss zurückkehren konnte. Durell begleitete ihn, ebenso wie der intelligente, graue Wolf, der stets die Umgebung sondierte. Es war ein eigenartiges Gefühl. Kapitel 11: Der Schlund ----------------------- Kelvin hatte keine Ahnung, weshalb Billiana unbedingt mit Elena sprechen wollte. Ihm kam es nur nicht allzu klug vor... Er hatte mit der früheren Adligen geschlafen und nun schlief er neuerdings mit der Elfe. Das konnte zu bösem Blut führen, wenn die Unterhaltung in eine falsche Richtung lief. Weil die Attentäterin jedoch darauf bestanden hatte, dass es wichtig war, dass sie mit Elena sprach, hatte er letztendlich nachgegeben. Er hatte die Schwarzhaarige in sein kleines Häuschen eingeladen, das immer noch wahnsinnig chaotisch war. Es dauerte nicht lange, da klopfte es auch schon. Mit einem Blick zu Billie ging er öffnen. Sehr zu seinem Leidwesen sprang ihm Elena beinahe um den Hals und warf ihren Körper an ihn! Sie musste davon ausgehen, dass er einen romantischen, heißen Abend mit ihr verbringen wollte. So zart und taktvoll wie es ihm möglich war, schob er die junge Frau von sich und sah sie entschuldigend an: „Deshalb habe ich dich nicht hergebeten...“ „Hä?“ „Er bat dich her, weil ich mit dir sprechen möchte.“, mischte sich die Elfe direkt ein, um auf sich aufmerksam zu machen. Sofort peitschte Elena die Röte ins Gesicht. Sie hatte offenbar wirklich nicht bemerkt gehabt, dass die Attentäterin anwesend war und alles mitbekommen hatte. Am schlimmsten musste für sie sein, dass Kelvin sie unter Zeugen zurückgewiesen hatte. Es tat ihm ja auch leid, doch sie hatte ihn letztendlich auch vollkommen überrumpelt. Schamerfüllt senkte sie den Blick: „Was möchtet Ihr denn von mir?“ „Ihr seid doch nun die Leiterin des Schlunds, oder? Eure Mutter ist ja... von uns gegangen.“ „Ermordet worden.“ „Ja, genau das.“, bestätigte Billie nicht gerade taktvoll. Sie ging anders mit dem Tod um als die meisten. „Ja, ich verwalte derzeit den Schlund, weshalb fragt Ihr?“ „Ich muss wissen, wo er sich genau befindet und wie viele Wachposten es dort gibt.“ „Wie bitte? Warum wollt Ihr das wissen?“, hinterfragte Elena entsetzt. Kelvin verstand das und sah nun auch skeptisch zu der Blondine, die gefährliche Fragen stellte. „Ich muss dort etwas nachprüfen. Jemanden suchen, um genau zu sein...“ „Ihr wollt in den Schlund eindringen, um einen der Arbeiter mitzunehmen?“ „Kurz gesagt: Ja.“ „Das ist verrückt! Habt Ihr eine Ahnung, worauf Ihr Euch da einlasst?“ „Nein, deshalb frage ich ja Euch.“ Elena de Windsor wurde richtig bleich, als sie das hörte. Ihm ging es ähnlich... Er war nie in diesen eigenartigen Minen gewesen, doch er hatte die Geschichten gehört. Er wusste, dass dort die ärgsten Feinde vom Weltenlenker landeten und dass sie nie mehr zurückkehrten. Laut dieser ganzen Geschichten wurde dort Mithril abgebaut und wenn sein Wissen nicht falsch war, gab es keine andere Mine auf der Welt, die dieses Erz bot. Deshalb hatte er die Leitung dieses Orts auch an die de Windsors übertragen, die einst ein hochangesehenes Haus gewesen waren. Eine kostspielige Ehre, denn den größten Teil des gewonnenen wertvollen Erzes behielt Wyrnné für sich selbst. Jedoch war ihr Haus dem Erdboden gleichgemacht. Sie besaß ihre Titel nicht mehr und wurde nur noch aus Anstand zu den Festen und Bällen eingeladen. Natürlich wollten die anderen Aristokraten dennoch nicht mit ihr sprechen. Vor etwa einem Jahr hatte der Weltenlenker ihre Mutter hinrichten lassen, weil sie darauf bestanden hatte, dass Elena dessen Tochter sei. Seitdem gebührte ihr die zweifelhafte Ehre diese Mine zu verwalten, zu beschützen und die Waren sicher nach Heimdall zu liefern. Ohne Titel, ohne ein Vermögen... Keiner, der jemals im Schlund gelandet war, war wiederaufgetaucht. Elena hatte ihm das bestätigt... Sie hatte ihm berichtet, dass die Arbeiter laufend an allen möglichen unnatürlichen Dingen verstarben. Meistens qualvoll... In ihren grünen Augen hatte er Angst erkannt. Wenn Wyrnné irgendwann jemanden fand, der die Verwalter dieser Mine übernahm, dann war die Gefahr groß, dass er sie als Arbeiterin dort hineinwerfen würde. Je weniger den geheimen Standort kannten desto besser. Und Tote bewahrten Geheimnisse besser als Lebende... „Auf keinen Fall sage ich dir, wo du den Schlund findest!“, kreischte Elena mit hochrotem Kopf. „Das ist glatter Selbstmord! Nicht nur für dich, sondern auch für mich.“ „Ich würde selbstverständlich nicht sagen, woher ich den Standort kenne. Ich kann auch jemanden gefolgt sein.“ „Nein!“ „Es geht um ein Leben, Lady de Windsor.“, sagte die Elfe streng und kam auf sie zu. „Ein Leben, das vermutlich schon seit Monaten dort ist. Das zerschmettert wurde...“ „Dann ist es vielleicht besser, wenn diese Person dort bleibt. Die Außenwelt wird ihm fremd sein.“ „Also soll er in Gefangenschaft sterben? Oder durch Folter?“ Die Schwarzhaarige presste ihre Lippen zusammen und schwieg. Natürlich meinte sie es nicht so. Da war die Furcht, was mit ihr geschah, wenn man sie als Verräterin abstempelte. Seufzend mischte sich Kelvin ein: „Warum genau willst du das machen, Billie?“ „Für Konstantin.“ „Hast du nicht schon genug für ihn getan? Er hat doch schon zugestimmt, dass er uns helfen wird.“ „Ja, aber es wäre dennoch gut, wenn er Bartholomäus von sich überzeugen könnte. Er wäre dadurch auch auf unserer Seite.“, erinnerte die Blondine ihn ernst. „Außerdem verdient jeder Freiheit...“ „Wenn du das unbedingt machen willst, dann werde ich dich begleiten.“ „Auf gar keinen Fall!“ „Keine Diskussion.“, sagte er streng und verengte die Augen. „Die Sache mit dem Dolch habe ich nicht vergessen.“ Billiana schwieg. Er konnte in ihren eisblauen Augen sehen, dass sie bereute, es ihm erzählt zu haben. Kelvin war es nur recht, dass er das immer wieder als Hebel gegen sie verwenden konnte. „Ihr seid beide wahnsinnig... Ich werde euch dennoch nicht sagen, wohin ihr müsst.“, schnaubte die Dunkelhaarige erbost. „Musst du auch nicht.“ „Wie bitte?“ „Ich bin dir mal dorthin gefolgt. Nur bis zu den Toren, aber ich weiß, wohin wir müssen.“ Nur weiß ich nicht, wie es da drin aussieht. Ich wollte mir den Schlund nicht vom Nahen ansehen... Außerdem standen schon am Tor zwei Drachenhetzer!, erinnerte sich der Blondschopf nicht unbedingt begeistert. „Das... Das ist blanker Wahnsinn, was ihr da vorhabt!“ „Es ist weniger wahnsinnig, wenn du uns sagst, was uns dort erwarten wird.“, erinnerte Billiana sie gelassen. „Selbst, wenn ich euch sagen würde, was euch erwartet, wäre es immer noch eine Todesfalle.“ „Elena...“, schnurrte Kelvin verlockend und kam etwas dichter auf sie zu. „Täubchen... Was ist los? Warum zierst du dich bloß so?“ Sofort wurde die junge Frau ganz steif, während Billie ihn mit skeptisch hochgezogener Augenbraue beobachtete. Er war sich nicht sicher, ob da vielleicht sogar eine Spur Eifersucht in ihren Augen loderte. „Was soll das, Kel?“, fragte die ehemalige Adlige verunsichert. „Eben hast du mich noch weggeschubst...“ „Na ja, da wollte ich auch nur reden, aber jetzt...“ „Du kannst mich mal.“ „Jetzt? Gerne.“ Ganz unverblümt griff er ihr an den Hintern und entlockte ihr ein erstauntes Quieken, während er sie dicht an sich zog. Er wusste, was ihr gefiel. Elena war eine der Frauen, die unfassbar unschuldig aussah und es ursprünglich auch war, sich aber allzu gerne verderben ließ. Und Kelvin hatte sie wahnsinnig gerne verdorben! Die Elfe schien dem Ganzen nicht länger beiwohnen zu wollen, denn sie drehte sich um und verließ den Raum. Aus den Augenwinkeln konnte der Rebell sehen, dass sie in seine Küche ging. Dort würde sie nichts zum Plündern finden. „Elena... Nun sag‘ schon, was uns im Schlund erwartet.“, säuselte er ihr honigsüß entgegen. „Nein...“ „Ernsthaft? Du wiedersprichst mir? Du weißt, was dann geschieht...“ Quälend kniff er ihr in den schönen Hintern und löste sich dann einfach von ihr. Sie konnte er am besten zum Betteln bekommen, indem er sie am langen Arm hungern ließ. Irgendwann knickte sie immer ein! Heute wollte sich die Schwarzhaarige nicht so leicht verführen lassen. Er kam ganz schön weit von ihr weg! Einen Moment war sich Kelvin nicht sicher, ob sein Charme vielleicht seine Wirkung bei ihr verloren hatte, doch dann eilte sie doch zu ihm. Ihre zarten Finger griffen nach seinem Hemd und hielten ihn auf. „Du bist ein Arsch!“ „Ist mein zweiter Vorname.“, gestand er überheblich grinsend. „Also?“ „Es... Es sind immer Inquisitoren dort... Ihre Anzahl variiert zwischen drei bis sechs...“, berichtete sie, während sie an seiner Kleidung zu nesteln begann. „Außerdem sind meistens etwa zehn Drachenhetzer dort. Zwei bewachen das Tor... Zusätzlich bewachen etwa vierzig Soldaten den Schlund.“ „Braves Mädchen...“, schnurrte er durchaus erniedrigend, während er sich in ihre grünen Augen bohrte. „Was noch?“ „Es gibt noch etwa... fünfzehn Aufseher, die nur für die Arbeiter zuständig sind... Sie haben Peitschen und oft auch Messer. Sie werden angreifen, wenn sie müssen.“ „Noch was?“ „Nein... Das ist alles... Wenn man von den zahlreichen Waffen absieht.“ „So gefällt mir mein braves Mädchen. Also bekommst du deine Belohnung.“, kicherte der Rebellenanführer und griff nach ihren Oberschenkeln, um sie in die Höhe zu hieven. Elena war nicht wirklich schwer und auch nicht besonders groß. So konnte er sie problemlos in sein Schlafzimmer tragen, während er hoffte, dass die Elfe ihm das nicht allzu übelnahm. Immerhin hatten sie nun die Informationen, die sie für solch ein Unterfangen brauchten!   Augenrollend hatte sie sich den Akt von Kelvin und Elena mitangehört. Gezwungenermaßen, weil sie ohne ihn den Schlund nicht finden konnte und ihr Elfengehör zu fein war, um das auszublenden. Zumindest wusste sie nun, mit welcher Streitmacht sie in den Minen rechnen mussten. Etwas wunderte sie jedoch, dass es offenbar keine Fessler am Schlund gab. Vermutlich, weil dort keine Magiebegabten abgeladen wurden, um die Unversehrtheit der Minen zu gewährleisten... Dennoch hatte sie mit einem oder zwei gerechnet, die zur Sicherheit dortblieben. Die Reise zum Schlund war nicht so lang, wie sie es erwartet hätte, doch durchaus beschwerlich. Elena hatte sie gewarnt, dass unterwegs viele Soldaten sein würden, die in der Gegend patrouillierten, ohne zu wissen, weshalb sie dort so vermehrt Acht geben sollten. Genau so war es auch! Um keine verfrühte Aufmerksamkeit zu erlangen, versuchten sie die Truppen zu umgehen, statt sie auszuschalten. Dafür kletterten sie auch mal auf Bäume und sprangen von Ast zu Ast. Der Rebellenanführer stellte sich dabei überraschend geschickt an. Es war wohl eher Glück, dass sie es unbemerkt bis zu den Toren des Schlunds schafften. Die meisten Wachposten schienen eher gelangweilt von ihrer Aufgabe zu sein und keinen wirklichen Ärger zu erwarten. Es gab sicherlich einige Banditen in der Gegend, aber vermutlich nur kleinere Grüppchen, weil die Präsenz des Weltenlenkers zu stark war. Sie waren also leicht zu erledigen für die Soldaten. Nachdenklich spähte sie zu dem Tor. Wie Elena de Windsor gesagt hatte, befanden sich davor zwei Drachenhetzer, die steif Wache hielten. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Sie wirkten etwas wie Zinnsoldaten von kleinen Kindern, nur wesentlich gefährlicher. „Bist du sauer?“, fragte Kelvin plötzlich. Irritiert sah sie ihn kurz an, ehe sie wieder die Gegend ausspähte: „Wieso sollte ich sauer sein?“ „Du hast kein Wort mehr mit mir gewechselt.“ „Weil wir durch die Wälder schleichen mussten. Das setzt voraus, dass wir leise sind.“ „Stört dich die Sache mit Elena?“ „Nein.“, antwortete sie wahrheitsgemäß und seufzte leise. „Ich stand nun nicht darauf zu zuhören, aber es ist dein Körper. Du kannst damit machen, was du willst.“ „Höre ich da eine Spur Eifersucht?“, kicherte er amüsiert. „Eher nicht... Ich bin nicht besonders monogam und wir sind kein Paar. Nur so als Erinnerung.“ „Autsch.“ „Nun geh‘ da hin und sprich‘ sie an. Wollen doch mal sehen, ob sich noch ein paar Wächter in Hörweite befinden.“ „Du willst mich als Lockvogel?“ „Gibt es einen Besseren als dich? Du bringst die Leute zur Weißglut.“, erinnerte sie ihn mit hochgezogener Augenbraue. „Nun husch, husch!“ Der Rebellenanführer hob gespielt theatralisch seine Arme, als verstand er nicht, was sie meinte. Dann sprang er grinsend von dem Baum herunter, um bequem auf die beiden Drachenhetzer zu zuschlendern. Billiana nahm ihren Bogen vom Rücken und legte einen Pfeil an, während sie konzentriert in die Richtung guckte. Dabei schärfte sie ihre Sinne, um eventuelle Gefahren frühzeitig zu erkennen und zumindest Fetzen der Unterhaltung mitzubekommen, die er mit den Bestien führte. „Halt!“, schrie einer der Drachenhetzer laut und zog direkt angriffslustig seine Sichel. „Jo, Kumpel, entschuldige!“, erwiderte Kelvin lässig. „Ich glaub‘, ich hab‘ mich total verlaufen. Weißte, wo wir sind?“ Fragend sahen sich die Drachenhetzer gegenseitig an. Sie schienen über die Möglichkeit nachzudenken, wie wahrscheinlich ein verirrter Besoffener hier war. Vor allem, weil der gesamte Wald mit Soldaten bespickt war. „Verpiss‘ dich einfach!“, zischte die andere Kreatur dann wütend. Bisher tauchten keine anderen Soldaten oder Bestien auf. „So etwas zu sagen, ist aber nicht besonders nett.“ Gut so... Reiz‘ sie ein bisschen. Wenn da noch jemand ist, kommt er spätestens heraus, wenn die beiden ausflippen., dachte sie konzentriert. Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass der Eingang zum Schlund nur von zwei Drachenhetzern bewacht wurde. Während der Rebell alles dafür tat, um die Wachen aus der Reserve zu locken, musterte sie die Mauer genauer. Sie war wahnsinnig hoch und unmöglich zu erklimmen! Schon in Götterherz hatte sie anfangs ihre Schwierigkeiten gehabt, über die Mauer zu kommen, doch die war höchstens halb so hoch wie diese. Außerdem sah die Oberfläche irgendwie sehr glatt und rutschig aus, als sei sie mit einer Eisschicht überdeckt. Sie versuchte einen genaueren Blick zu erhaschen, konnte aber beim besten Willen nicht sagen, woraus dieser Schutzwall gefertigt worden war. Sie konnte nicht mal dessen Ende erspähen! Also musste der Schlund ein wesentlich größeres Gebiet umfassen, als sie bisher angenommen hatte. Endlich begannen die Drachenhetzer regelrecht zu toben. Der zweite hatte inzwischen auch seine Waffe gezogen und tatsächlich zeigte sich ein Soldat. Sie konnte nur sehen, dass er recht viele Abzeichen an seiner Uniform trug, aber nicht welche. Er schien keineswegs amüsiert. Die Elfe wartete noch einen Augenblick, doch es schienen keine weiteren Wächter zu kommen. Gerade wollte der Soldat Kelvin angreifen, da schoss sie. Der hochgestellte Mann wusste nicht mal, wie ihm geschah, als sein Körper einfach auf die Knie sackte. Der Pfeil steckte zwischen seinen Augen. Gerade als der eine Drachenhetzer nach Hilfe schreien wollte, schnitt der Rebellenanführer ihm grinsend die Kehle durch. Dem anderen Hetzer bespickte sie mit einem Pfeilhagel. Viele der Spitzen drangen nicht durch sein Schuppenkleid, doch es lenkte ihn genug ab, damit Kelvin auch ihm die Kehle aufschlitzen konnte. Bevor sie den Baum heruntersprang, zog sie sich ihre Kapuze über den Kopf und eilte dann zu ihm. Auch er zog sich seine Kapuze über, um sein Gesicht darunter zu verbergen. „Ladys First.“, sagte er, während er das Tor langsam aufdrückte. „Dann geh‘ mal vor.“ Unter dem Stoff konnte die Blondine dennoch sehen, dass er schief über ihre Beleidigung grinste. Er ging voran, ohne sich zu verteidigen, doch sie folgte ihm direkt geschwind, um hinter sich das Tor zu zuziehen. Sofort stellte sie fest, dass der Schlund seinen Namen verdiente! Es war kein Berg, wie ursprünglich angenommen, sondern vielmehr eine Art Krater. Er war nicht auf natürliche Art und Weise entstanden, sondern sah eher so aus, als wäre einst etwas Großes hier eingeschlagen und das Loch war dann erweitert worden. Neugierig glitten ihre Finger dennoch erstmal über die seltsame Mauer. Sie war wirklich spiegelglatt! Und fühlte sich eiskalt an... Das Material konnte die Elfe nicht mal anhand der Beschaffenheit erkennen, doch es kam ihr so vor, als würde die Mauer ihr ihre Magie entziehen. Rasch löste sie sich, um stattdessen mit Kelvin näher an den Abgrund zu treten. Obwohl sich Billie wirklich anstrengte, schaffte sie es nicht, den Boden am Ende des Schlunds zu entdecken, also musste es verdammt tief heruntergehen! Die Wände waren nicht sauber bearbeitet, sodass überall spitze Felsen herausragten wie Reißzähne. Es war so, als würde man in den Schlund eines gigantischen Monsters starren, welches einen verschlingen wollte. Überall befanden sich Gerüste, die größtenteils aus Holz waren und nicht sehr stabil oder sicher aussahen. Darauf befanden sich zahlreiche Arbeiter mit Spitzhacken, die auf bläulich schimmernde Erzknoten einschlugen. Hinter ihnen standen Loren, über die all das Mithril nach oben geschafft wurde. Es gab ein paar Stellen, da waren die Gerüste mit Metall beschlagen wurden. Darauf befanden sich die Wachposten, wovon einige wirklich Inquisitoren waren. Hier und da konnte sie auch die wesentlich kleineren Drachenhetzer ausmachen, die auch hier sehr steif wirkten. Die Aufseher allerdings mussten über die wackligen Gerüste wandern, um die Arbeiter auszupeitschen, die in ihren Augen nicht schnell genug arbeiteten. Nur durch Zufall entdeckte die Attentäterin eine Lore, die fast bis zum Rand voll mit Mithril war. Durch pure Manneskraft mussten die Männer sie über die Schienen nach oben ziehen. Es brauchte fast zehn ausgewachsene Männer und selbst die schienen jeden Moment zusammenzubrechen! Dennoch ließen es sich die Aufseher nicht nehmen, sie ständig auszupeitschen und anzutreiben. „Sieh‘ mal.“, flüsterte Kelvin und stieß ihr sanft in die Seite, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. „Was denn?“ Er deutete auf einige Häuser, die sich recht nah am Rand des Schlunds befanden. Eines davon war sehr gut gesichert und in ausgezeichneter Verfassung. Dort wurde sicherlich das gesammelte Mithril untergebracht, bis es abgeholt wurde. Zahlreiche Wachen stand drumherum, wovon zwei alleine schon Inquisitoren waren und ein Drachenhetzer. Zu ihrem Glück sahen sie nicht zum Eingang, sondern behielten eher den Schlund selbst im Blick. Vor allem, weil ja gerade eine Gruppe versuchte, eine volle Lore zu ihnen zu ziehen. Das Haus daneben war wesentlich größer, schien aber eine ähnlich gute Verfassung zu haben. Hier schliefen sicherlich die Wachen oder verbrachten dort ihre Pausen. Dort waren auch Wachposten, aber nicht allzu viele. Sie sollten wohl eher verhindern, dass die Arbeiter dort hineingingen. Die anderen Gebäude waren klein und heruntergekommen. Eher wie Baracken... Viele der Dächer sahen löchrig aus und ließen vermuten, dass sie bald einstürzen würden. Selbst die Wände hatten Lecks, was sicherlich für einen heftigen Durchzug sorgte. In genau solchen Unterkünften erfroren sicherlich viele der Arbeiter über Nacht oder im Winter. Plötzlich krachte etwas. Sie schrak hoch und klammerte sich tatsächlich kurz an Kelvin, während sie verwirrt den Ursprung suchte. Innerlich verfluchte sie ihr viel zu scharfes Gehör, als sie den Rebellen sachte kichern hörte. „Dort...“, sagte er dann und deutete in den Schlund. „Das Gerüst ist gerade eingestürzt.“ „Waren etwa Arbeiter darauf?“ „Ja, in der Tat. Zehn Stück und ein Aufseher...“ „Wundert mich irgendwie nicht, dass nie jemand zurückkehrt.“, gestand Billiana leise. „In den Baracken erfrieren sie, da stürzen sie in den Tod und sie sehen alle echt ausgehungert und ausgetrocknet aus.“ „Abgesehen von den Wächtern. Die sehen alle fettgefressen aus!“ „Was denn sonst? Denen darf es ja an nichts fehlen.“ „Und wie ist dein Plan?“, hinterfragte der Blondschopf ernst. „Wir können schlecht rumfragen, wo dein Bekannter sich aufhält oder ob er noch lebt. Weder die Wachen noch die Arbeiter werden mit uns sprechen.“ „Weshalb glaubst du, dass auch die Arbeiter nicht mit uns sprechen werden?“ „Die sind gebrochen, Billie. Sklaven... Sie haben längst aufgegeben.“ Bedauerlicherweise hatte er vermutlich recht. Das würde die Suche nach Elodrin Adlerherz erheblich erschweren. Zumal sie nicht mal genau wusste, wie der aussah! „Ich würde sagen, wir schleichen etwas herum und versuchen einige Informationen aufzuschnappen und wenn wir nicht weiterkommen, regeln wir das mit Gewalt.“, schlug sie ganz unverblümt vor. „Du willst bei so einer Übermacht mit Gewalt vorgehen?“ „Sie sind im Nachteil. Wir können einfach die Gerüste zum Einsturz bringen, wenn sie uns angreifen.“ „Na gut... Und wen genau suchen wir?“, hinterfragte er seufzend, während er seine Dolche zog. „Elodrin Adlerherz.“ „Ernsthaft?“ „Ja.“ „Du hast echt ein Herz für Schwächlinge... Na gut, dann sehen wir doch mal, ob wir den Kerl auftreiben können.“ Während er sich auf den Weg machte, um die Gerüste langsam herabzusteigen ohne in die Nähe von irgendwelchen Wächtern zu kommen, schlich sie zu den Gebäuden. Da dort so viele Wachen waren, würde sie vielleicht das ein oder andere aufschnappen können. Sie wählte den längeren Weg durch die Baracken und hinter dem Schlaf- und Essenssaal der Soldaten entlang. Da die Inquisitoren sehr feine Sinne hatten, wollte sie nicht riskieren, direkt aufgedeckt zu werden. An die Rückwand des großen Gebäudes presste sie ihren Rücken und schärfte erneut ihre Sinne, um sich vor allem auf die Wachposten zu konzentrieren. Selbstverständlich sprachen die Schöpfungen des Weltenlenkers nicht großartig, aber dafür die Menschen. Leider ging es um Banalitäten... Sie sprachen über ihre Weiber Daheim, die schlechte Bezahlung und das miserable Essen. Selbst wenn es mal um den Schlund ging, dann bezeichneten sie die armen Verurteilten nur als »Arbeiter«, »Sklaven« oder »Widerlinge«. Es fielen keine Namen. Angewidert hörte sie genauer hin. Die Lore musste gerade ihr Ziel erreichen, denn das Quietschen auf den Eisenschienen hörte auf, während sie heftig atmenden Männern lauschen konnte. Einige davon schienen krank zu sein, denn da war ein rasselndes Geräusch in ihren Lungen. „Nun macht schneller!“, schimpfte einer der Soldaten. „Ihr seid nicht zum Faulenzen hier, sondern zum Arbeiten!“ Leicht gesagt, wenn man selbst nur herumstehen und Leute beobachten muss, während die anderen richtig schuften müssen., dachte Billie zähneknirschend. Einer der Männer brach zusammen. Sie hörte den dumpfen Aufprall auf den Boden. Die anderen Arbeiter waren offenbar zu ängstlich, um ihm zu helfen, denn sie trugen die Erze einfach weiter in das gesicherte Gebäude. „Steh‘ auf, du faule Ratte!“ Sie hörte, dass der Arbeiter es versuchte, doch er rutschte immer wieder zu Boden. Er hechelte, versuchte es wieder und sackte erneut in sich zusammen. Kurz darauf begannen die Soldaten auf ihn einzuschlagen und ihn zu treten. Jeden Hieb konnte sie genau hören, ebenso wie das Röcheln von Blut, das die Lungen des Mannes flutete. Wut kochte in ihr hoch, doch sie zwang sich dazu, nicht in das Geschehen einzugreifen. Es tat ihr leid, dass sie ihm beim Sterben zuhören musste, obwohl sein einziges Verbrechen gewesen war, geboren zu werden. Einer der Inquisitoren setzte sich in Bewegung und packte die Leiche. Kaltherzlich schleifte er den Toten zum Rand des Schlunds und warf ihn einfach herunter. Eine Weile konnte sie dem Fall noch lauschen, doch irgendwann wurde es so leise, dass da einfach nichts mehr war. Nicht mal ein Aufprall! Gar nichts... Als hätte er den Mann wirklich einem Monster zum Fraß vorgeworfen. „Genug getrödelt und gespielt.“, zischte der Inquisitor kalt. „Die Lore wird unten gebraucht, also räumt endlich das Mithril rein und verschwindet!“ Gehetzt beeilten sich die Arbeiter nun noch mehr. Die menschlichen Wachen mochten schon grausame Widerlinge sein, doch diese Bestien waren wesentlich schlimmer. Das wussten sie genau. Lieber wurden sie von den anderen Soldaten totgeprügelt, als sich von einem Inquisitor bestrafen zu lassen, die daran noch mehr Freude hatten. Schnaubend glitt sie etwas fort von dem Geschehen und schlich sich fort. Nur durch Zufall hörte sie ein paar patrouillierende Wachen, die gerade darüber sprachen, dass einige Sklaven in den Baracken bleiben durften, obwohl sie es nicht verdienten. Offenbar Kinder von Aristokraten, die noch einen recht guten Ruf genossen. Einige von ihnen waren wohl so krank, dass sie nicht mehr arbeiten konnten. Jedoch waren sie lebend mehr wert als tot, weil es irgendwelche Verträge gab, durch die sie die Kassen des Weltenlenkers füllten. Also durften sie sich ausruhen, wenn Krankheit oder Erschöpfung so massiv wurden, dass sie daran sterben könnten. Jedoch mussten sie sofort wieder schuften, wenn es ihnen etwas besser ging. Das klang vielversprechend. Mit etwas Glück war auch Elodrin unter diesen Leuten und erholte sich von den Strapazen der letzten Monate. Vielleicht war die Bezahlung von Bartholomäus hoch genug, damit er lebend wertvoller war. Auf leisen Sohlen schlich sich die Elfe zu den Unterkünften der Arbeiter. Es war nicht schwer in sie hineinzuschlüpfen, weil sie weder gesichert noch die Türen verschlossen waren. Wie sie zuvor schon vermutet hatte, war es unfassbar kalt in den Baracken und es herrschte ein unangenehmer Durchzug, der selbst sie frösteln ließ. Drinnen befanden sich tatsächlich ein paar Arbeiter, die sehr krank aussahen. Einige wirkten so, als hätte der Tod ihre Seele längst eingefordert, doch sie konnte die flache Atmung noch ganz leise hören. Wie ein leises Flüstern im Wind... Sie hatten nicht mehr viel Zeit. Vorsichtig hockte sie sich zu ihnen. Einige wiesen massive Verletzungen auf, die wohl von den spitzen Felsen herrührten. Sie hatten sich hier und da tief durch das Fleisch geschnitten und im Anschluss waren die Wunden nicht behandelt worden, weshalb sie sich entzündeten. Nun starben sie gerade an einer Blutvergiftung, die hohes Fieber mit sich brachte. Andere schienen eine einfache Erkältung zu haben, die aber auch durch mangelnde medizinische Behandlung vollkommen ausgeartet war. Auch sie litten bereits unter Fieber, teilweise auch schon unter Atemnot und Wahnvorstellungen. Die restlichen Arbeiter sahen unverletzt aus. Sie mussten so erschöpft von der harten Arbeit sein, dass sie kaum noch ansprechbar waren. Ihre Körper schienen unter den Lasten einfach zu versagen und ihnen nicht mehr zu gehorchen. Das musste sich schrecklich anfühlen... „Elodrin Adlerherz...?“, fragte sie leise. „Ist einer von euch Elodrin?“ Keiner reagierte. Irgendwie bezweifelte Billie, dass es daran lag, dass keiner von ihnen der Adelssohn war oder sie ihn nicht kannten, sondern weil ihre Worte einfach untergingen. Für diese armen Seelen musste ihre Stimme wie ein Rauschen sein, das nur in ihrem Kopf stattfand. Seufzend begann sie die Fetzen an ihren Leibern zu verschieben, die die Soldaten sicherlich als Kleidung verkaufen würden. Als Gnadenakt... Doch sie hielt weder warm noch verdeckte sie alle intimen Bereiche. Überrascht stellte die Elfe bei ihrer Untersuchung fest, dass nicht alles Männer waren. Einige schienen Frauen zu sein, was sie nur anhand der breiteren Becken erkannte. Sie waren so ausgemergelt, dass ihre fraulichen Merkmale vollkommen verschwunden schienen. Jedoch fand sie, was sie suchte. Brandmale! Es waren die Wappen einiger Adelshäuser, die unter dem Weltenlenker diente. Da die Sklaven für die Wachen allesamt gleich waren und sie sicherlich keinen Unterschied bei ihnen erkannten, mussten sie die wertvollen Arbeiter unter ihnen irgendwie markieren. Am einfachsten war es, ihnen etwas einzubrennen. Da sie sich für die Wappen des jeweiligen Hauses entschieden hatten, konnten sie so auch stets erkennen, wen sie genau vor sich hatten. Falls sie doch mal freigekauft wurden oder ihr Leben auf tragische Weise endete. Für sie war es nun aber ideal, dass sie nur die Brustkörbe der Anwesenden absuchen musste. Irgendwie fand sie es erschreckend, dass so viele Adelskinder hier gelandet waren. Sie mussten irgendwelche Verbrechen begangen haben, die nicht schwer genug waren, um das ganze Haus dafür verantwortlich zu machen, aber zu massiv ausfielen, um es unter den Teppich zu kehren. Plötzlich brach draußen Panik aus. Glocken wurden geläutet! Waffen gezogen... Die Soldaten setzten sich in Bewegung, doch sie hörte auch, dass die Inquisitoren und Soldaten bei dem Lager des Mithrils ausharrten. Die Bestien befahlen auch klar, dass niemand das Erz ungeschützt lassen durfte. Kelvin... Was hast du schon wieder angestellt?, überlegte sie gehetzt. Jeden Moment konnten die Soldaten hier hereinkommen, um sicherzustellen, dass niemand hier war. Deshalb musste sie sich nun richtig beeilen, die Sterbenden abzugehen und nach dem Brandmal Ausschau zu halten. Einige waren bereits kaum zu erkennen, weil die Haut so unter den Umständen litt, weshalb sie diese zurechtziehen musste. Dann endlich fand sie es! Einen Adlerkopf, der stolz dreinblickte. Der Mann, der es trug, wirkte jedoch gar nicht mehr stolz und ihr fiel auf, dass seine Ohren etwas zu spitz für einen Manschen waren. Elodrin... Ja, klingt Elbisch oder Elfisch..., gestand sie sich dennoch überrascht ein. Deshalb ist er wegen den Schulden hier gelandet. Es kam heraus, dass er ein Mischling ist und auch noch das Geld anderer verspielt. Trotzdem wäre sie dankbar gewesen, wenn Bartholomäus ihr vorher gesagt hätte, dass sie nach einem Mischling suchen musste. Es hätte ihr die Suche ein bisschen vereinfacht. Vor allem bei spitzeren Ohren. Unter Anstrengung hievte sie den Mann hoch, der kaum ansprechbar schien, aber keine Verletzungen aufwies. Er war nur vollkommen erschöpft und befand sich dadurch schon halb im Wahn. Und sicherlich auch durch Durst und Hunger... Ihn aus der Baracke herauszuschaffen, war wirklich schwierig. Immer wieder sackte Elodrin zusammen, wodurch sie ihn auffangen musste, damit er keinen Lärm veranstaltete. Außerdem mussten sie ständig anhalten, damit die aufgescheuchten Wächter sie nicht entdeckten. Die Attentäterin hielt nach Kelvin Ausschau, konnte ihn aber bisher nicht finden. Er war also wahrscheinlich noch unten...   Dass er selbst schuld an seinem Schlamassel war, wusste Kelvin Morgenstern sehr genau. Einer der Aufseher hatte einen Arbeiter so massiv mit seiner Peitsche malträtiert, dass dieser das Bewusstsein unter den Schlägen verloren hatte. Das hatte er nicht mitansehen können... Im Feuereifer war er herausgesprungen, hatte ein „Hey!“ geschrien, um die Aufmerksamkeit des Mannes zu erregen und schon war der Ärger losgegangen. Noch während die Glocken schlugen, hatte er den grausamen Aufseher in die Tiefe des Schlunds geworfen und seinen Schreien gelauscht, die immer leiser wurden. Irgendwann war nichts mehr zu hören gewesen. Nicht mal ein Aufprall, was ihm klar machte, dass er auf gar keinen Fall von den Gerüsten fallen durfte. Und natürlich durfte er auch keines davon versehentlich zum Einbruch bringen, während er noch draufstand. Leichter gesagt als getan. Manche der Gerüste waren so morsch und instabil, dass sie schon von bloßem Blickkontakt einzustürzen drohten. Es war nahezu lächerlich, dass solch ein seltenes, wertvolles Erz unter so widrigen Umständen abgebaut wurde! Immerhin würde nicht selten auch abgebautes Mithril gemeinsam mit den Arbeitern in die Tiefe stürzen... Er hatte keine Zeit über diesen Unsinn nachzudenken. Die Wachen waren so schnell auf ihn zugestürmt, dass es ihm so vorkam, als würde der Schlund nur aus ihnen bestehen. Selbst die Aufseher griffen zu ihren Peitschen und Messern, um ihm den Weg zu verstellen! Schmerzhaft spürte er, wie die Lederpeitsche eines Mannes über seinen Rücken fegte. Die blutigen Striemen brannten fürchterlich, weshalb er sich wütend zu dem Mann herumdrehte, um auf ihn zu zuspringen. Gnadenlos rammte er ihm seine Dolche direkt in die Augen. Noch während der Körper zu Boden ging, riss er seine Waffen wieder heraus und wehrte den Angriff eines Soldaten ab. Mit einer Pirouette glitt er an ihm vorbei und schleuderte dabei einem anderen Angreifer einen Feuerball direkt ins Gesicht. Der Soldat griff schreiend in sein verbranntes Gesicht und stolperte dabei vom Gerüst herunter in die Tiefe. Einem anderen Kerl trat er direkt in die Kniekehle, damit er ebenfalls herunterfallen konnte. Ist schon praktisch... Gefährlich und absolut beängstigend! Aber auch praktisch., sinnierte er heiterer als er sein sollte. Als ein Trupp Wächter auf ihn zukam, hob er seine Hand und wartete einen kleinen Augenblick. Als sie nah genug waren, riss er einige Felsen aus der Wand, die sie allesamt von der Brüstung fegten. Kreischend fielen sie in die tödliche Tiefe des Schlunds, was er sehr genoss. Überrascht stellte er fest, dass er dabei einige Mithril-Adern freigelegt hatte. Das Erz leuchtete in diesem bläulichen Schimmer und sah wirklich sehr verlockend aus. Spottend überlegte er, dass der Weltenlenker ihn danken musste, weil er neue Vorkommnisse freilegte. Rasch stieg er über die Brüstungen weiter nach oben und riss immer mal wieder eine ein, damit ihm keiner in den Rücken fallen konnte. Es tat ihm zwar um die Arbeiter weiter unten leid, doch er musste jetzt erstmal an sich denken. Ein ziemlich wütender Inquisitor kam mit drei Soldaten direkt auf ihn zu. Tänzelnd glitt er unter dessen Schwert durch, an dem sich zahlreiche Widerhaken befanden. Geschickt sorgte er dafür, dass eben diese Klinge sich nun in den Körper eines Soldaten bohrte, der mit aufgerissenen Augen hinab auf die Stichwunde starrte. Grinsend trat Kelvin einem weiteren Angreifer direkt in die Seite und nutzte dann die Kraft des Windes, um ihn endgültig aus dem Gleichgewicht zu bekommen. Schreiend stürzte er herab, während die Bestie des Weltenlenkers sein Schwert aus dem toten Soldaten riss. Dessen Leichnam warf er lieblos in die Schlucht. „Ich weiß, wer du bist.“, knurrte der Inquisitor kalt. „Du musst der Junge sein, der damals überlebt hat. Der, den sie den »Auserwählten« nennen.“ „Kelvin, zu Euren Diensten.“, sagte er spöttisch und verbeugte sich mit fuchtelnden Armen vor ihm. Als er sich wieder erhob, rammte er einen Dolch direkt durch das Kinn in den Schädel eines Mannes, der ihn von hinten angreifen wollte. Als der Rebell seine Waffe wieder herausriss, sackte der Soldat in sich zusammen. Er sprang einfach über die Leiche herüber, um dem Angriff der Kreatur auszuweichen, die wohl genug geplaudert hatte. Auf so engem Raum wurde es schwierig, gegen einen Inquisitor zu kämpfen. Wenn Kelvin ehrlich war, hatte er noch nie gegen diese Folterknechte gewonnen! Bisher hatte er fliehen müssen, wenn er die Aufmerksamkeit dieser Wesen auf sich gezogen hatte und sie blühten in beengten Räumen richtig auf. Wohl, weil ihre Folterkammern auch winzig waren... Also musste er zusehen, dass er sich nicht weiter auf diesen Inquisitor einließ, damit er lebend nach oben gelangen konnte. Er hatte da auch schon eine Idee. Geschickt duckte er sich unter dem Schwert des Hünen und rutschte dann zwischen dessen Beinen hindurch. Er ließ es sich nicht nehmen, mit seinen scharfen Dolchen die Waden des Inquisitors aufzuschlitzen, der Pein erfüllt aufschrie. Nur machte ihn das bloß noch wütender! Eilig raste Kelvin nach oben und riss immer wieder Felsen aus der unebenen Wand, damit er seine Verfolger teilweise in den Abgrund werfen konnte, aber auch, damit die Bestie des Weltenlenkers ihm nicht mehr so gut folgen konnte. Als genug Abstand zwischen ihnen war, brachte er wieder einige Brüstungen zum Absturz. Dieses Mal mehrere hintereinander, denn irgendwas sagte ihm, dass solche Kreaturen sehr weit springen konnten. Erst als er auf einem der gesicherten Positionen war, riss er keine der Holzbalken mehr ein, die er teilweise sogar abgefackelt hatte, wenn sie überraschend stabil ausfielen. Vorsichtig sah er sich um. Bis nach oben war es nicht mehr so weit, doch zwischen ihm und der Freiheit waren zahlreiche Soldaten und mindestens noch zwei Inquisitoren. Einen Drachenhetzer hatte er zusammen mit dem Inquisitor von eben hinter sich gelassen. Jedoch mussten da noch mehr sein, die er bisher nicht ausmachen konnte. Einige Pfeile schlugen neben ihm ein oder flogen hoffnungslos in den Schlund. Weiter oben entdeckte er Bogenschützen, die nicht unbedingt gut waren. Ihre Treffsicherheit würde gewiss aber besser werden, wenn er erstmal weiter nach oben kam. Schnaubend setzte sich Kelvin in Bewegung und riss immer mal wieder Felsen aus den Wänden, um sich vor den Pfeilen zu schützen oder auch vor angreifenden Soldaten. Hierbei riss er auch immer mal Mithril-Knoten heraus, wodurch er überrascht feststellen, dass sich noch während des Flugs die bläuliche Farbe verlor. Jegliche Magie entwich einfach... Das bestätigte die Gerüchte, dass Mithril speziell abgebaut werden musste. Ohne Magie... Mit dem richtigen Werkzeug und der korrekten Technik, damit sich dessen positiven Eigenschaften erhielten. Vermutlich stimmte es dann auch, dass die falsche Verarbeitung ebenso für Verluste sorgte. Mehr irritierte ihn jedoch, dass die zerbrochenen Erzknoten eine Art Flüssigkeit abzusondern schienen. Beinahe so, als würden sie bluten, weil er sie zerbrochen hatte. Geschickt tauchte er unter einer Axt durch und schlitzte einem anderen Soldaten den Bauch auf, sodass seine Gedärme durch den Schnitt einfach herausquollen. Der Mann schrie bestialisch, doch er nutzte die Ablenkung lieber, um einige Wachen mit geschickten Windstößen in den Schlund zu befördern. Elena... Da sind viel mehr Soldaten, als du angekündigt hast! Nun frage ich mich, ob du es nicht wusstest oder du mir eins auswischen wolltest., dachte er bitter. In einem ruhigen Moment beugte er sich zu der Flüssigkeit und strich mit seinen Kuppen darüber. Es prickelte auf seiner Haut, schmerzte jedoch nicht. Was immer das auch war, der Blondschopf spürte darin eine magische Wirkung, die anders war. Plötzlich riss ein Inquisitor ihn aus seinen Gedanken, als dieser sich mit einer mächtigen Streitaxt auf ihn warf. Natürlich war auch die besetzt mit Widerhaken, was Kelvin dazu verleitete, sich schnell zu ducken. Unbeabsichtigt packte er dabei das Bein der Kreatur, die nach wenigen Augenblicken qualvoll aufschrie. Verwirrt sah der Rebellenanführer nach oben. Tatsächlich war das Gesicht der Kreatur auf unerklärliche Weise schmerzverzerrt. Da steckten keine Pfeile in ihm und auch sonst war er nicht verletzt worden. Als er seine blauen Augen wieder senkte, stellte er fest, dass die Haut am Bein des Inquisitors dampfte. Es sah so aus, als würde es von irgendeiner unsichtbaren Macht zerfressen werden! Wie Säure, die-... Moment mal..., schoss es ihm durch den Kopf, während er seine Finger irritiert ansah, an denen noch Reste der Flüssigkeit klebte. Sofort griff er erneut zu dem Mithril-Knoten, um mehr der Flüssigkeit aufzulesen und seine Dolche damit zu beschmieren. Elegant kam er hoch und schlitzte mit seiner Waffe über den Körper der kreischenden Kreatur. Alle Wunden begannen sich genauso zu zerfetzen, wie es auch sein Bein tat, was die Theorie des Blondschopfes bestärkte. Mit einem überheblichen Grinsen rammte er seine Waffen direkt in den Brustkorb der Bestie des Weltenlenkers und stieß ihn dann in den Abgrund. Was immer diese Flüssigkeit auch war, sie wirkte auf Inquisitoren wie pures Gift. Überaus glücklich eilte er weiter nach oben und verfolgte dabei seine bisherige Taktik weiter. Ein vertrautes Gefühl kehrte in ihn zurück: Unbesiegbarkeit. Natürlich hatte Billiana ihm deutlich bewusst gemacht, dass er keineswegs unbesiegbar war, doch nachdem er ein effektives Mittel gegen die Inquisitoren gefunden hatte, hatte er ein absolutes Hochgefühl. Geschickt tänzelte er beiseite, als ein Drachenhetzer seine Sichel nach ihm warf. Mit einigen Felsen konnte er zumindest die Soldaten hinabschleudern, die der Bestie eigentlich helfen wollten, doch diese selbst konnte sich rechtzeitig retten. Ob das Zeug wohl auch bei denen wirkt?, überlegte Kelvin und beschloss just im selben Augenblick, dass er es ausprobieren musste. Geschickt preschte er voran und sie lieferten sich einen Schlagabtausch, der durch fliegende Pfeile nicht unbedingt angenehm war. Zumal der Hetzer bisher alle seine Schläge parieren konnte, sodass er keinen Treffer setzte. Jedoch kam es ihm so vor, als würden es immer weniger Pfeile werden, die auf ihn abgeschossen wurden. Enttäuschung machte sich breit, als er endlich dem Drachenhetzer einen Schnitt verpassen konnte, der aber nicht auf die Flüssigkeit reagierte. Das Blut des Mithrils war also nur für Inquisitoren tödlich, nicht für alle Kreaturen des Weltenlenkers. Doch es war ein Anfang. Eine weitere Waffe, um den Tyrannen endlich zu stürzen. Eine der Sicheln bohrte sich tief in seine Seite und riss eine unschöne Wunde hinein. Der Rebell keuchte schmerzhaft auf, nutzte aber die Überheblichkeit des Drachenhetzers aus, um mit dem Wind zu verschmelzen. Blitzschnell schoss er um ihn herum und rammte seinen Dolch direkt durch die Seite seines Halses. Keuchend stieß er ihn hinab und rannte dann weiter. Er zog eine Blutspur hinter sich her, doch vorerst konnte er sich nicht verarzten. Er musste endlich hier hoch und Billie finden!   Um dem Rebellenanführer bei seinem Aufstieg behilflich zu sein, schlich sich Billiana immer wieder hinter ihre Feinde und stach sie ab oder schnitt ihnen von hinten die Kehle auf. Im Anschluss ließ sie die leblosen Körper einfach in den Schlund fallen. Bisher waren die meisten Soldaten zu sehr mit Kelvin beschäftigt, als dass sie auf ihren Rücken achteten. Bevorzugt tötete sie die Bogen- und Armbrustschützen, damit sie ihn nicht aus der Ferne erledigen konnten. Aber auch Soldaten, die sich einsam verirrt hatten. Elodrin hatte sie zuvor an einem sicheren Ort versteckt, der für sie gut erreichbar war. Sobald sie fliehen konnten, mussten sie ihn nur noch auflesen und sich dann davonmachen. Nur zweifelte sie allmählich daran, dass sie es wirklich hier wegschafften... Mit geschlossenen Lidern erinnerte sie sich an seine Worte. Wie eindringlich Kelvin ihr zugeflüstert hatte, dass Ereinion vielleicht nur Zeit mit ihr verbringen wollte, auch wenn er dafür Leben nehmen musste. Dass es vielleicht ihre Art und Weise von geschwisterlicher Liebe war, dass sie einander gefunden und diesen Pakt geschlossen hatten. Geschickt rammte sie einem Mann ihren Dolch mitten ins Herz und riss ihn dann wieder heraus. Im Anschluss erschuf sie in einem Schatten ein kleines Portal, das sich rasch öffnete. Der Schattenwolf sprang problemlos hindurch und schüttelte etwas seine Glieder. „Schatti... Du musst hier etwas Chaos stiften, damit er es hier rauf schaffen kann.“, sagte Billie mit klarer Stimme. „Verschon‘ aber die unbewaffneten Arbeiter. Sie versuchen sich bloß in Sicherheit zu bringen.“ „Nenn‘ mich nicht so.“, knurrte der Zwischenweltler und zog die Lefzen in die Höhe. „Du schuldest mir noch so viele Seelen... Mal sehen, ob du es heute begleichen kannst.“ „Ich denke, das werde ich.“ Zufrieden preschte der gigantische Wolf los und riss direkt einige kreischende Soldaten nieder. Immer, wenn er ihnen die Kehlen zerfleischte, stahl er ihnen beim Sterben ihre Seele. Ihr kam es so vor, als würde Ereinion mit jedem weiteren Opfer wachsen. Mehrmals atmete sie durch, damit sie sich wieder den Fernkämpfern widmen konnte. Kelvin war inzwischen fast oben, doch er schien verletzt zu sein. Seine Bewegungen wurden allmählich bleiern. Billie wusste nicht, wie viele Wachen sie gemeinsam mit dem Schattenwolf getötet hatte, doch es fühlte sich wie hunderte an. Bisher waren keine von Wyrnnés Kreaturen dazugestoßen, als wäre der Rebellenanführer das viel wichtigere Ziel. Der hatte inzwischen die Oberfläche wieder erreicht, wurde jedoch von so vielen Soldaten umzingelt, dass es keine Möglichkeit gab, eine Schneise durch die Feinde zu reißen. Hinter ihm war die hohe, glatte Mauer, die er ebenfalls nicht erklimmen konnte. In der Meute befanden sich mindestens drei Inquisitoren und sie meinte auch einen Drachenhetzer entdeckt zu haben. Da kommt er nicht mehr raus... Und auch Schatti kann niemals genug töten, damit er entkommen kann., dachte die Blondine bitter und drehte sich um die eigene Achse, um zwei Wachen die Kehle aufzuschlitzen. Ich habe keine Wahl... Ich muss ihn retten! Ihr gefiel es nicht, aber sie zog sich aus dem Kampfgeschehen zurück. Inzwischen herrschte hier nur noch Chaos! Kelvin hatte einiges in Flammen aufgehen lassen. Der Qualm brannte nicht nur in den Augen, sondern raubte einem auch zu schnell die Sicht. „Schatti... Sorg‘ dafür, dass ich kurz meine Ruhe habe.“ „Wenn du aufhörst, mich so zu nennen.“ „Kann ich nicht versprechen.“, seufzte Billiana. Selbstverständlich griff der Schattenwolfe die gemeinsamen Feinde weiterhin an. Es kam ihr langsam so vor, als wären sie in eine Falle gelaufen! Als hätte Wyrnné gewusst, dass sie hierherkommen würde, um Elodrin zu finden. Vielleicht hatte er das wirklich... Als sie genug Platz um sich herum war, schloss die Elfe ihre Augen und versuchte den Lärm der Schlacht auszublenden. Sie versuchte das Knacken des brennenden Holzes nicht mehr zu hören, das Blut nicht mehr zu riechen und das Leid nicht mehr zu sehen. Stattdessen suchte sie etwas in sich selbst, was sie allzu lange verschlossen hielt. Erst als sie es gefunden hatte, griff sie danach und ihre Augen öffneten sich. Ihr Körper wuchs und war umgeben von einem magischen Dunst, der bald die Gestalt eines Drachens annahm. Ihre Finger wurden länger und klauenartig, während ihre Nase wuchs und breiter wurde. Ihr Mund ebenfalls... Ihre Wirbelsäule wurde länger, was unfassbar schmerzhaft war! Es fühlte sich an, als würde einem jemand alle Knochen im Körper einzeln brechen, um dann Teile hinzuzufügen, die nicht dorthin gehörten. Ihre Haut brannte, während sie sich nicht nur vergrößerte, sondern auch fest wurde. Sie verlor ihre Bräune und gewann an Glanz und Gold. Für Billie fühlte es sich an, als würde die Verwandlung Stunden dauern, doch sie wusste, dass es nur einige Minuten waren. Minuten, die aus einer zierlichen Elfe, einen gigantischen Drachen machten. Einen erhabenen, goldenen Drachen mit einem eindrucksvollen Kamm entlang der Wirbelsäule. Ihre Flügelspannweite überbot die ihrer beheimateten Artgenossen bei Weitem, das wusste sie. Nicht nur ihr goldenes Schuppenkleid war ein einzigartiger Anblick, der nur einem Drachenkönig oder einer Drachenkönigin zustand, sondern auch die Farbe ihrer Membran. Sie wirkte wie ein Regenbogen, aber nur von innen. Markerschütternd öffnete sie ihr Maul und stieß einen Schrei aus, der die Erde beben ließ. Jetzt erst schienen die Soldaten zu begreifen, dass sie es mit einem ausgewachsenen Drachen zu tun hatten. Eine Weile verebbten die Kämpfe und die Männer starrten sie mit offenen Mündern voller Unglauben an. Dann brach endgültig Panik aus! Einige Wachen ergriffen kreischend die Flucht und schworen, dass sie für so etwas partout nicht gut genug bezahlt wurden. Andere nahmen ihre Bögen oder Speere, um sie direkt nach ihr zu schleudern oder sie zu beschießen. Wieder andere verschanzten sich. Geschickt sog sie Luft in ihre Nüstern ein, sammelte ein entflammbares Fett in ihrem Maul und stieß dieses aus, um es im Anschluss zu entfachen. Eine Kugel aus Drachenfeuer schlug direkt in die Meute ein, die Kelvin bedrängt hatte. Die dadurch entstandene Schneise nutzte er sofort aus, um zu entkommen. Menschen kreischten, die durch das Drachenfeuer entfacht worden waren. Sie rannten umher oder warfen sich wälzend auf den Boden, doch sie konnten sich nicht löschen. Zurück blieb nur etwas Asche... Erstaunt stellte Billiana fest, dass die Inquisitoren offenbar tot waren. Nicht durch sie! Irgendwie musste der Rebellenanführer es geschafft haben, sie einfach zu erledigen. Darüber nachzudenken war nun nicht möglich. Stattdessen drehte sie sich etwas, um mit ihren Hinterschwanz einige Soldaten einfach weg zu peitschen. Dann sog sie erneut Luft ein, um das Fett erneut zu entzünden und die verbliebenen Soldaten zu verbrennen. „Geh‘ raus hier und such‘ den doppelten Baum nahe der Mauer! Dort habe ich Elodrin abgelegt. Ich hole euch gleich.“, übertrug sie per Telepathie in den Kopf von Kelvin. Darin war sie nicht besonders geübt. Anhand seiner Reaktion konnte sie erkennen, dass sie ihm damit wehgetan hatte. Er hatte sich die Ohren zugehalten und war kurz zusammengefahren, ehe er sie entsetzt anstarrte. Billie schwor sich, dass sie das üben würde, damit sie niemanden mehr wehtat. Kelvin nickte schließlich und drehte sich dann um, damit er aus dem Schlund flüchten konnte. Er wurde jedoch ständig in Kämpfe verwickelt. So würde er nicht allzu schnell herauskommen und sie durfte nicht in seine Richtung speien. Sie könnte ihn umbringen... Stattdessen peitschte sie wieder mit ihrem Hinterschwanz um sich, damit sie weitere Bogenschützen den Abhang herunterstoßen konnte. Schließlich spie sie Feuer auf zwei Inquisitoren, die gerade auf sie zustürmten. Zu spät bemerkte sie einen Drachenhetzer, der mit einem speziellen Speer auf sie zu rannte. Ihr war bewusst, dass diese Kreaturen sie auch in der drakonischen Gestalt töten konnten. Vor allem in dieser! Das war ihr Sinn und Zweck... Er war zu nah, um ihn noch mit Schwanz oder Feuer zu erwischen, also hob sie eine ihrer Klauen. Sie wollte ihn gerade versuchen zu schlagen, da sackte er einfach zusammen. Irritiert musterte die Drachendame ihn und stellte fest, dass er einen Speer in sich stecken hatte. Mitten durch sein Herz. Ihre eisblauen, echsenartigen Augen hoben sich und sie entdeckte einen schiefgrinsenden Kelvin, der ihr hochachtungsvoll zunickte. Dann verschwand er hinter dem Tor, um den Schlund hinter sich zu lassen. Dann sorgen wir mal dafür, dass sie uns nicht zu folgen versuchen., beschloss sie ehrgeizig. Auch wenn Wyrnné gerne seine Feinde tot sah, war ihm sein Mithril gewiss noch etwas wichtiger. Also sammelte sie Luft und Fett, um es direkt auf das Lager zu speien, in dem das abgebaute Erz sich befand. Kurz darauf entfachte sie es. Die Wachen, die bisher wacker dort geblieben waren, gingen größtenteils in Flammen auf. Der Rest von ihnen schrien sich gegenseitig Befehle zu und versuchten das Feuer zu löschen. Billie wusste, dass man Drachenfeuer nicht löschen konnte, also würden die Soldaten nun erstmal beschäftigt sein. Zufrieden entfaltete sie ihre großen Flügel und begann zu schlagen. Nach und nach erhob sie sich in die Lüfte und spie von dort aus noch einige Feuerbälle auf den Schlund. Ereinion war längst verschwunden. Sie musste nur noch darauf achten, dass sie nicht die Baracken erwischte oder fliehende Arbeiter. Die Mauer war so hoch, dass sie wirklich viel Kraft brauchte, um diese Höhe ebenso zu erreichen. Schließlich konnte sie aber darüber hinwegfliegen, um nach dem Treffpunkt zu suchen, den sie eben noch selbst ausgemacht hatte.   Es war wirklich bedauerlich, in welch einem armseligen Zustand sich Elodrin befand. Als adliger Mischling musste er es im Schlund noch schwerer gehabt haben als der Rest. Vermutlich hatte Bartholomäus ihm nicht mal einen Gefallen damit getan, dass er diesen Vertrag abgeschlossen hatte. Es hatte lediglich seine Qualen verlängert... Kelvin bewachte ihn dennoch und würde ihn verteidigen. Billie war die Sache wichtig und er legte sich nach heute definitiv nie wieder mit ihr an! Zuvor hatte er noch nie einen leibhaftigen Drachen gesehen und sie war wirklich eindrucksvoll und geschickt gewesen. Wozu noch Verbündete suchen? Sie verwandelt sich und fackelt das Reich des Weltenlenkers einfach nieder!, dachte er spöttisch, wusste aber dennoch, dass es der Wahrheit entsprach. Sie könnte das. Plötzlich erhob sich die mächtige, goldene Gestalt über den Bäumen und flog über die Mauern empor. Mit offenem Mund beobachtete er sie dabei. Just in diesem Moment erinnerte er sich an ihre Stimme in seinem Kopf. Sie war anders gewesen... Nicht, wie er sie eigentlich von der Elfe kannte, sondern eher... animalisch. Wild! Nicht so feminin. Außerdem wahnsinnig dröhnend, was bei ihm Kopfschmerzen verursachte. Anders konnte er sie aber womöglich gar nicht verstehen. Es dauerte nicht lange, da landete sie abseits von ihnen. Geschickt schulterte er Elodrin, der irgendein wirres Zeug brabbelte und eilte in ihre Richtung. Trotz der Bäume war sie keineswegs schwer zu finden, weil die goldenen Schuppen durch jede Lücke schimmerten. Fast wie ein Leuchtfeuer! „Du musst mit ihm aufsteigen.“, dröhnte ihre Stimme wieder in seinem Kopf und ließ ihn erneut kurz schwanken. „Tut mir leid... Ich bin nicht geübt in Telepathie.“ „Schon in Ordnung.“, rief er zu ihr hinauf, während Kelvin den unangenehmen Kopfschmerz abzuschütteln versuchte. Obwohl er womöglich mehr Angst vor ihr haben sollte, hatte er es nicht. Stattdessen tätschelte er ihr liebevoll über das schöne Schuppenkleid und bewunderte ihre Pracht. Erst danach versuchte er sich samt dem Mischling an ihren Schuppen hoch zu hangeln. Das wäre schon ohne Elodrin eine Herausforderung, aber mit ihm war es wirklich anstrengend und gefährlich! Wie der Rebellenanführer es letztendlich auf ihren Rücken geschafft hatte, wusste er nicht. Irgendwann war er mit blutigen Kuppen trotz seiner Verletzungen oben angekommen und verfrachtete Elodrin Adlerherz direkt vor sich. So konnte er ihn halten, denn er würde es vermutlich nicht selbst tun. „Du musst deine Beine so dicht wie möglich an meinen Körper pressen, Kel. Halt‘ dich dabei an einer meiner Schuppen fest und bleib‘ mit Elodrin geduckt.“, erklärte sie ihm in seinen Gedanken. „Es ist für mich unglaublich schwer, euch auf meinem Rücken zu dulden, aber ich versuche euch nicht abzuwerfen. Versprochen.“ Während er ihren Anweisungen folgte, erstarrte er einen Augenblick lang. Was hatte sie gerade gesagt? Sie hatte Probleme damit, sie auf ihrem Rücken zu dulden? Da hatte sie ihre Flügel schon ausgebreitet und nahm Anlauf, um sich wieder in die Lüfte zu begeben. Ein Gefühl von Schwerelosigkeit breitete sich in ihm aus und anfangs auch Unbehagen. Doch je höher sie flogen und desto sicherer ihr Flug wurde umso schöner fühlte es sich an. Staunend bewunderte er den Himmel. Die Aussicht. Absolut alles! Als gehörte die Welt gerade nur ihnen... Er hatte sich noch nie in seinem Leben so frei gefühlt wie jetzt. Natürlich hatte er auch Angst davor, dass sie abstürzen könnte oder ihn tatsächlich vom Rücken warf, aber es schmälerte seine Begeisterung kaum. „Daran könnte ich mich gewöhnen!“, lachte Kelvin, wusste aber nicht, ob sie ihn überhaupt hören konnte. Der Wind toste ganz schön um die Ohren, weshalb er sich selbst kaum verstand. Außerdem war ihr Kopf recht weit von ihm entfernt. Von hier oben sah die Welt anders aus. Als gäbe es keine Verfolgung. Es kam ihm beinahe so vor, als gäbe es hier oben im Himmel auch keinen Weltenlenker. Alle Sorgen waren fort und vergessen... Der Rebellenanführer drehte sich um, konnte aber die Mauer des Schlunds kaum noch in der Ferne erkennen. Sie bewegten sich unfassbar schnell! Billie konnte in ihrer drakonischen Gestalt sicherlich den gesamten Kontinent in wenigen Stunden überfliegen. Nur würde man sie sicherlich zeitnah vom Himmel schießen, damit sie damit aufhörte. „Wir werden nicht weit fliegen. Haltet noch etwas aus, bitte.“, dröhnte sie in seinen Kopf und ließ ihn die Lippen zusammenpressen. Das musste sie wirklich dringend üben! Jedoch schien sie ihn wirklich nicht verstehen zu können, immerhin hatte er vorher bereits seine Begeisterung kundgetan. Deshalb antwortete er auch nicht, sondern tätschelte ihr nur kurz über die goldenen Schuppen. Kelvin hatte keine Ahnung, wo sie genau waren und wohin sie flog. Theoretisch könnte er sich an der Sonne orientieren, doch er konnte sich kaum darauf konzentrieren. Dafür genoss er den Ritt zu sehr! Aber er merkte zumindest, dass sie dauernd die Richtung wechselte, als wollte sie Verfolger loswerden. Nur bezweifelte er, dass ihnen jemand hier oben oder in dieser Geschwindigkeit folgen könnte. Sein Zeitgefühl war vollends verloren gegangen, doch irgendwann steuerten sie eine gigantische Festung an, die eine Art Landefläche hatte, statt eines Daches. Vorsichtig lehnte er sich etwas herüber, damit er nach unten blicken konnte. Die Festung war auf einem Berghang und direkt darunter gab es ein Dorf. Rauch kam aus diversen Schornsteinen, also war es offenkundig bewohnt, obwohl die Schutzwälle wirklich kläglich aussahen. Wie die Einwohner hier überlebten, wusste er beim besten Willen nicht! Überall lag Schnee, also mussten sie sich irgendwo hoch im Norden befinden. Weit weg von Götterherz. Noch weiter weg vom Schlund. Es muss der Hort sein... Die Festung der letzten Drachen. Ein wohlgehütetes Geheimnis..., überlegte der Rebellenanführer. Heute hatte er also nicht nur zum ersten Mal Inquisitoren getötet, einen Drachen leibhaftig gesehen, sich auf dessen Rücken zu einem aufregenden Flug aufgemacht, sondern würde ebenfalls zum ersten Mal dessen geheime Basis betreten. Ein wirklich ereignisreicher Tag, der ihn breit grinsen ließ. Ihre Landung auf der großen Fläche verlief etwas holprig und erinnerte ihn daran, dass sie nicht oft in ihrer drakonischen Gestalt war. Trotzdem war er beeindruckt von ihren Fähigkeiten und ihrer Beherrschung. Ein älterer Mann kam ihnen direkt entgegen. Kelvin kannte ihn nicht und es war ihm auch egal, denn er war eher damit beschäftigt, vom Rücken herunterzuklettern. Dabei durfte er Elodrin nicht loslassen! Der brabbelte immer noch wirres Zeug und hatte offenbar gar nicht mitbekommen, dass er eben auf einem Drachen geflogen war. Auch wenn er den Flug genossen hatte, war er froh, wieder einen festen Boden unter seinen Füßen zu haben. Erst jetzt fiel ihm auf, dass seine Oberschenkel bluteten und seine Lederhose vollkommen zerrissen war. Er musste zu stark an den goldenen Schuppen geschabt haben, doch seine Euphorie hatte ihn das gar nicht merken lassen. Klagen wollte der Rebell darüber jedoch nicht. Sie hatte sie auf diese Weise gerettet! Was waren da ein paar Schnittwunden? Die Gestalt des mächtigen goldenen Drachens begann zu schrumpfen. Erstaunt beobachtete er das Phänomen. Es dauerte nicht lange, dann stand da die gewohnte Elfe mit ihrem goldblonden Locken und der sonnengeküssten, sommersprossigen Gestalt. Nur trug sie nicht mehr ihrer schwarze Lederkluft, sondern war vollkommen nackt! Der Mann, der zu ihnen heraufgekommen war, hielt ihr allerdings schon einen dicken Pelzumhang hin, den Billie dankend annahm, um sich darin einzuhüllen. Schämen musste sie sich zumindest vor ihm nicht. Er hatte sie immerhin schon mehrmals nackt gesehen! Sein perverses Grinsen entging offenbar auch nicht dem Mann, der ihm plötzlich tadelnd eine Kopfnuss verpasste: „Vergiss‘ deine unreinen Gedanken, Junge! Meister Ragnar hat mir schon von dir erzählt.“ „Oh... Ihr müsst Tyr sein?“ „Meister Tyr.“ „Freut mich sehr, Euch kennenzulernen, Tyr!“, sagte er herzlich und grinste breit. Tyr sah ihn grimmig an, als überlegte er gerade, ob er sich verwandeln und ihn fressen sollte. „Denkt Euch nichts dabei, Meister...“, sagte Billie beschwichtigend. „Er springt mit jedem so um.“ „Meister Ragnar erwähnte das bereits... Doch er nannte ihn ebenfalls begabt.“ „Ja, das ist er wirklich.“ „Dann sollte er dringend an seinen Manieren arbeiten, wenn er alles andere schon kann.“, schnaubte der Mann und winkte sie dann mit sich. Die Elfe warf ihm einen vielsagenden Blick zu, dann seufzte er und hievte Elodrin wieder hoch. Nicht ganz so schnell folgte er ihnen. Mit dem ehemaligen Adligen kam er auch kaum die Treppenstufen herunter ohne fast zu stolpern! Er musste sich so sehr konzentrieren, dass der Rebellenanführer nicht mal verstand, worüber Tyr mit Billie sprach. Sie unterhielten sich aber recht angeregt... Unten am Treppenabsatz stand bereits Meister Ragnar und wartete auf sie. Seine Hände hatte er in seine Ärmel gesteckt, als musste er sie vor der Kälte schützen. Dabei war es in dieser Festung erstaunlich warm. Kelvin hatte keine Ahnung, wie groß dieser Hort genau war, doch von oben hatte er gigantisch ausgesehen. Das alles zu beheizen musste schwierig sein. Ganz zu schweigen von dem enormen Holzverbrauch, der hierfür gebraucht wurde! Oder sie nutzten dafür Magie... Er würde es schon noch herausfinden. „Billie, schön dich wohlauf zu sehen.“, sagte Ragnar herzlich. Sie umarmten einander. „Ihr seht keinen Tag älter als zwanzig aus.“, schmeichelte die Elfe ihm lächelnd. „Du Lügnerin! Hör‘ nicht auf damit...“ „Niemals.“ „Und Kelvin hast du auch mitgebracht. Wie geht es dir, mein Junge?“, erkundigte er sich mit einem Lächeln. Er wirkte irgendwie... Stolz. Fast wie ein Vater, der seinen Sohn wiedersah. „Gut, danke...“, erwiderte er grinsend. „Nur eine schwere Last zu schleppen. Und Euch?“ „Sehr gut. Komm‘, gib‘ mir deine Last.“ Der Blondschopf zögerte etwas, doch weil Billiana nickte, überließ er dem Drachenmeister Elodrin. Es erstaunte ihn, dass er ihn tatsächlich tragen konnte. Einige Minuten verschwand Ragnar, kehrte dann aber wieder zu ihnen zurück. Den Mischling hatte er offenbar in einem freien Zimmer untergebracht, damit er sich ausruhen konnte. Besorgt trat er schließlich auf Kelvin zu und berührte die immer noch blutende Seite. Das hatte er völlig vergessen! So wie die Striemen an seinem Rücken und die Abschabungen an seinen Oberschenkeln. Er musste schrecklich aussehen. „Das sollten wir dringend heilen.“, murmelte Ragnar sehr unzufrieden. „Einiges davon könnte trotzdem Narben geben.“, mischte sich Meister Tyr mit ernster Miene ein. „Ja, da stimme ich dir zu, aber dennoch ist es besser, wenn wir es versuchen. Sonst bekommt er eine Sepsis...“ „Billie...“, sagte Tyr und drehte sich zu der Attentäterin. „Erweist du uns die Ehre? Ich würde gerne sehen, ob du auch weiterhin an deinen Fähigkeiten arbeitest.“ „Natürlich, Meister.“, erwiderte sie honigsüß. Lächelnd legte sie ihre Hände auf seinen Brustkorb. Er erwiderte ihren Blick und schaute dabei tief in ihre eisblauen Augen. Darin konnte man sich sehr gut verlieren. Kurz darauf spürte er eine wohlige Wärme, die von ihren Kuppen ausging und sich in seinen ganzen Körper ausbreitete. Als er herabblickte, konnte er erkennen, dass ein schummriges, bläuliches Licht aus ihren Fingern kam. Es schien durch seine Poren in seinen Körper zu kriechen. Derartige Magie würde anderen Angst machen, doch er konnte die heilende Wirkung richtig spüren. Überall, wo diese angenehme Wärme ankam, ließen die Schmerzen immer mehr nach, bis sie vollständig aufhörten. An ihrem Gesicht erkannte er, dass sie seine Schmerzen spüren konnte, doch Billie war beherrscht und es gewohnt. Als sie ihre Finger von seiner Brust löste, sah der Rebell an sich herab und war keineswegs darüber überrascht, dass er nirgendwo mehr blutete. Natürlich war aber seine Kleidung noch davon vollgesogen. Er musste zugeben, dass sie sehr begabt war! Neugierig riskierte er einen Blick durch das Loch seiner Kleidung an der Seite. Eine Narbe war zurückgeblieben, die aber nicht mal halb so groß war, wie er erwartet hätte. Prüfend verrenkte sich Kelvin schließlich, um durch die Schlitze auch seinen Rücken zu betrachten, ehe er sogar das Hemd hochraffte. Die Striemen waren deutlicher. Er musste wie ein Sklave aussehen, der regelmäßig von seinem Meister mit der Peitsche gezüchtigt wurde! Lediglich die Wunden an den Schenkeln und Händen waren ohne Rückbleibsel verheilt. Sie waren jedoch auch noch frisch gewesen. „Tut mir leid...“, murmelte Billie aufrichtig. „Ich hätte dich vorher heilen sollen, dann hättest du vermutlich gar keine Narben. Mit dem Flug dazwischen ist zu viel Zeit vergangen.“ „Schon in Ordnung.“, sagte er leichthin und grinste breit. „Das sind Kampfverletzungen, die mich richtig männlich aussehen lassen! Sieht doch richtig schmuck aus, findest du nicht?“ Sie lachte herzlich auf, während er sich ihr präsentierte, als habe er eine neue Uniform erhalten. Tatsächlich störten ihn die Narben keineswegs. Sie waren wie eine Markierung. Ein deutliches Zeichen dafür, dass er nicht nur darüber sprach zu kämpfen, sondern es auch tat. „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“ „Was meinst du?“, hakte der Rebell verwirrt nach. „Ich habe deren Lager niedergefackelt und gesehen, wie viele Kisten mit Mithril darin gewesen sind... Es waren Unmengen!“, berichtete die Elfe sichtlich besorgt. „Wenn Wyrnné regelmäßig so viel abschürfen lässt, dann muss er inzwischen nicht nur viel gehortet haben, sondern auch seine Armee damit ausstatten können.“ „Ja, und?“ „Weißt du eigentlich, was es bedeutet, wenn wir gegen ein Heer antreten, das Rüstungen aus Mithril trägt?“ Er überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf: „Nicht wirklich.“ „Mithril ist nicht nur viel widerstandsfähiger gegen Waffen, sondern vor allem gegen Magie. Viele Zauber verpuffen, wenn es richtig verarbeitet wurde! Der Rest wird massiv geschwächt.“ „Was? Ist das wahr?“ Meister Tyr nickte bleiern: „Ja, sie hat vollkommen recht. Nur durch dieses furchtbare Metall konnte der Weltenlenker uns so dezimieren. Unsere Magie war fast wirkungslos...“ „Jedoch verlor er auch viele seiner Vorräte dabei.“, warf Ragnar ein. „Und viele seiner Soldaten... Wir haben versucht, so viele seiner Rüstungen und Waffen an uns zu bringen, ehe wir hierher flohen.“ „Das hat ihn zwar wütend auf uns gemacht, ihn aber auch in seinen Ressourcen so sehr geschwächt, dass er uns nicht erneut angreifen konnte. Wir haben viel mehr Magier zur Verfügung als er.“ „Außerdem hat er keine Ahnung, wo sich der Hort befindet.“, erinnerte Ragnar mit hochgezogener Augenbraue. „Ja, das auch...“ „Wenn er noch mehr Zeit bekommt, dann wird er so viel Mithril haben, dass wir seine Armee vielleicht nicht mal mit einer Übermacht besiegen können.“, mischte sich Billiana ernst ein. „Viele unserer Anhänger sind Magiebegabte. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Nichtmenschen oder Mischlinge Magier sind... Nur sind sie leider größtenteils davon abhängig.“ „Aber wir haben nun auch noch die Armee von Konstantin hinter uns und viele von Lebenswelts Soldaten.“, erinnerte Kelvin sie nachdenklich. „Das stimmt natürlich, aber sie sind zahlenmäßig dem Heer von Wyrnné unterlegen.“ „Was schlägst du also vor?“ „Es wird Zeit, dass wir unsere Verbündete zum Kampf aufrufen, sie mit Waffen, Rüstungen und allem versorgen, was sie brauchen und in den Krieg ziehen.“, sagte die Blondine, als würde sie jeden Tag einer unschlagbaren Streitmacht den Krieg erklären. Gerade wollte er ihr berichten, dass er ein Mittel gegen Inquisitoren im Schlund entdeckt hatte, da sprang plötzlich ein Jugendlicher um den Hals der Attentäterin. Sein schwarzes, wildes Haar erinnerte Kelvin sofort an Hamm. Genauso wie das herzliche Lachen... Das muss Alec sein... Ich habe ihn zuletzt gesehen, als ich ihn aus dem brennenden Haus holte., erinnerte er sich und lächelte schmerzlich. Zu gerne hätte er auch die Mutter von ihnen gerettet. „Billiana!“, keuchte Alec euphorisch. „Du bist endlich wieder da!“ „Alec... Du sollst mich nicht so nennen.“ „Entschuldige, bitte... Billie.“ Die Elfe umarmte ihn, als wäre er ihr eigener Sohn. Sie schienen ein erstaunlich enges Verhältnis zu haben, wovon Hammond ihm gar nichts berichtet hatte. Aber vielleicht wusste er es auch selber nicht... „Bist du hier, um meine Ausbildung fortzusetzen? Die Meister sind alle so öde!“, keuchte der Junge theatralisch. „Eigentlich nicht... Aber ich werde mich wohl ein paar Tage ausruhen müssen. Wir können also sicherlich ein paar Stunden Zeit finden.“ „Wunderbar! Dann lerne ich endlich etwas. Nicht so, wie bei diesen alten, dummen Meistern.“ „Du weißt schon, dass ich strenggenommen auch ein Meister bin?“, erinnerte sie ihn mit amüsiert hochzuckender Augenbraue, während Tyr und Ragnar die Beleidigungen von Alec übergingen. „Unfug! Du bist die Königin!“, widersprach der Schwarzhaarige und warf dann einen argwöhnischen Blick zum Rebellenanführer. „Und wer ist das da überhaupt? Er guckt dich komisch an... Soll ich ihn schlagen und rauswerfen?“ „Das da heißt Kelvin.“, stellte er sich selbst vor und verbeugte sich grinsend. „Ich bin ein Freund deines Vaters. Du bist doch Alec?“ „Ja, bin ich... Moment... Kelvin... Er sagte, dass so der Mann heißt, der uns damals gerettet hat.“ „Hmm, ja, das stimmt. Seitdem arbeitet dein Papa mit mir zusammen, um den Tyrannen zu stürzen.“ „Und warum bist du nun mit Billie hier?“, fragte er misstrauisch. Oh, junge Liebe! Nochmals jung sein und so für eine ältere Frau schwärmen..., kicherte er innerlich. Nach außen zeigte er diesen Spott nicht, um den Jungen keineswegs in Verlegenheit zu bringen. „Nun, Billie und ich hatten eine Mission und sind dann hierhergekommen, um uns etwas auszuruhen.“ „Und weshalb guckst du sie so komisch an?“ „Wie gucke ich sie denn an?“ „Na-... So-... So halt!“, stotterte Alec verunsichert, während seine sommersprossigen Wangen erröteten. Offenbar nahm er die sexuelle Spannung wahr, die zwischen der Elfe und ihm herrschte, konnte sie jedoch nicht deuten. Spätestens in einem Jahr würde Alec aber wohl genau wissen, was ihn störte. „Wir sind eben ziemlich eng befreundet. Ich muss auf sie achten.“, säuselte der Rebell ausweichend ohne sein Lächeln zu verlieren. „Außerdem möchte Kelvin dir gerne etwas bei deiner Ausbildung behilflich sein, solange wir hier sind.“, mischte sich die Blondine zuckersüß ein. „Achso? Will er das?“, hinterfragte Kelvin überrascht. „Oh ja, willst du! Er ist ein Drakonier, du bist ein Essenzbeherrscher... Ihr könnt viel voneinander lernen.“ „Du bist ehrlich ein Essenzbeherrscher?!“, fragte Alec und löste sich von Billiana. Nun galt seine Aufmerksamkeit dem Rebellenanführer. „Ja... Hab‘ ich auch gehört...“ „Das ist so krass! Du musst mir das alles unbedingt zeigen!“ „Gut, abgemacht.“, lachte er amüsiert. Bei so viel Begeisterung konnte er nicht ablehnen. Außerdem schienen sie wohl zumindest einige Tage hier festzuhängen, da konnte er auch Hammonds Sohn bei dessen Magie helfen. Immerhin hatte ihm seine rechte Hand berichtet, dass Alec so impulsiv war, dass er regelmäßig Dinge oder Räume in Brand setzte. Etwas, worin auch Kelvin ganz gut war. Ein Gleichgesinnter konnte also helfen. Innerlich freute er sich irgendwie darauf. Ebenso wie auf den herannahenden Krieg gegen Wyrnné, der alles entscheiden würde.   Es gab so viele Dinge, über die sich Wyrnné ärgern konnte. Da war die Tatsache, dass Billie sich immer noch von ihm fernhielt, aber auch die Rebellion, die immer lauter wurde und an Anhängern gewann. Langsam musste er wohl irgendwas unternehmen, damit die Stimmen leiser wurden und er sein Regime fortsetzen konnte. Inzwischen war er sich absolut sicher, dass Billie mit den Rebellen kooperierte. Ein Drachenhetzer hatte herausgefunden, dass einige Leute, die aus dem Kolosseum herausgekommen waren, in der Kanalisation verschwunden waren. Darüber mussten sie unentdeckt geflohen sein, während die Gladiatoren die Straßen unsicher gemacht hatten. Sie waren eine Ablenkung gewesen, damit die Rebellen fliehen konnten, die ihr geholfen hatten. Der Weltenlenker wusste genau, dass es Verräter gewesen sein mussten, denn an einigen Ausgängen hatten seine Schöpfungen Wachposten angetroffen, die Mitglieder der Rebellion waren. Sie hatten sie foltern müssen, damit sie zumindest das preisgaben. Ansonsten wussten sie entweder wirklich nichts oder wussten ihre Geheimnisse zu bewahren. Zwar war sein Verhältnis zu der Elfe angeschlagen, doch er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich mit seinen ärgsten Feinden verbünden würde. Mit diesem Verrat hatte er einfach nicht gerechnet... Diese Tatsache ließ ihn auch daran zweifeln, dass die getötete Attentäterin nicht vielleicht doch versuchen sollte, ihn zu ermorden. Dass Billie sie selbst geschickt hatte, weil sie ihn nun doch loswerden wollte. Seine düsteren Gedanken wurden unterbrochen, als die großen Flügeltüren zu seinem Thronsaal geöffnet wurden. Altan trat herein und sah gar nicht glücklich aus. Wäre seine Haut nicht bereits in einem dunklen Rotton, dann würde spätestens jetzt sein Kopf vor Zorn rot anlaufen, davon war Wyrnné überzeugt. „Was ist passiert?“, hakte der Weltenlenker direkt nach. Er ahnte nichts Gutes. „Jemand ist in den Schlund eingedrungen, wie Ihr es vermutet hattet, Herr.“, berichtete Altan zähneknirschend. „War die Verstärkung bereits eingetroffen und auf ihren Posten?“ „Ja, war sie, jedoch hatten wir noch nicht die abgeschürften Mithril-Vorräte abholen können.“ „Wurden sie zerstört?“ „Ja, Meister...“ Wutentbrannt schlug Wyrnné auf seine Armlehne, die bedrohlich knackte. Das Holz musste teilweise geborsten sein, was ihm in diesem Augenblick egal war. Mithril war auf Midgard nicht einfach nur wertvoll, sondern das seltenste Metall überhaupt! Alle Quellen wären längst erloschen, doch irgendwie gebot der Schlund immer neue Knoten. Trotzdem war jedes Gramm wertvoll und er wollte ihn gewiss nicht verlieren. Geschehen war geschehen... Zumindest versuchte er sich das nun einzureden, damit er sich etwas beruhigen konnte. „Wurde sie wenigstens geschnappt?“, knurrte er unzufrieden. „Nein, Mylord...“, gab Altan mit gesenktem Haupt zu. „Und sie war auch offenbar nicht alleine. Die überlebenden Wächter meinten, dass ein vermummter Mann bei ihr war.“ „Haben sie bekommen, weshalb sie dort waren?“ „Ja.“ Zähneknirschend spielte er mit dem Gedanken, nochmals auf seine Armlehne zu schlagen. Er entschied sich nur dagegen, weil sie es vermutlich nicht nochmals überstehen würde. „Ihr Begleiter hat zahlreiche Brüstungen zerstört und irgendwie hat er es geschafft, fast alle abgestellten Inquisitoren zu töten.“, fuhr Alten verunsichert fort. „Sie haben zusätzlich fast zweihundert Soldaten getötet und mindestens drei Drachenhetzer. Wir sind noch mit den Aufräumarbeiten beschäftigt...“ „Wie konnte das nur geschehen? Sie waren doch nur zu zweit!“ „Herr, sie verwandelte sich vor Ort in ihre drakonische Gestalt und sie hat fast den gesamten Schlund zerstört...“, berichtete er mit trockenem Mund. „Sie hat was getan?!“ „Sie verwandelte sich in einen Drachen und setzte ihr Odem ein, um anschließend samt ihrer Begleitung zu fliehen.“ „Habt ihr sie verfolgen können?!“, schrie er wütend und wollte um sich schlagen. „Nein, Mylord, sie hat alle Verfolger in Windeseile abgehangen und ist seither untergetaucht.“ „Dieses verdammte Miststück...“ Wyrnné schälte sich aus seinem Thron heraus und begann unruhig im Saal auf und ab zu wandern. Er wusste, er würde endgültig ausflippen, wenn er sich nun nicht in Bewegung hielt. Diese Entwicklungen waren gar nicht nach seinem Geschmack und die Verluste zu hoch. Nun war er ihr mal einen Schritt voraus gewesen und sie hatte ihn dennoch wie einen kleinen, dummen Jungen dastehen lassen! Geschweige denn davon, dass ihr Angriff auf den Schlund viel früher stattgefunden hatte als erwartet. Immerhin hatte er sich darauf verlassen, dass Billiana dessen Standort nicht kannte. Sie hatte also nicht nur viele seiner Männer und Schöpfungen – die wie Kinder für ihn waren - getötet, sondern so auch noch einen großen Vorrat an Mithril vernichtet. Nicht, dass er nicht längst genug davon hatte, doch er lagerte es auch gerne ein. „Woher wusste sie, wo sie suchen muss?“, hörte er sich schließlich nachdenklich fragen. „Mylord?“ „Wie konnte sie so schnell herausfinden, wo sich der Schlund genau befindet? Bisher war sie nie da! Soweit wir wissen...“ „Ich weiß es nicht, Herr.“, gestand Altan. „Vermutlich hat ein Wissender geplaudert.“ „Selbst, wenn sie jemanden gefunden hätte, der den Standort kennt, dauert es doch recht lange, um so etwas heraus zu foltern. Sie mag gut in so etwas sein, aber so gut?“ „Ihr meint, jemand der den Schlund kennt, ist ein Mitglied der Rebellen?“ „Ich habe eine Vermutung...“ Um ihn herum breitete sich Verrat wie eine Krankheit aus. Er musste das Übel an der Wurzel herausreißen, sonst würde er wohl niemals Ruhe davor haben. Wenn er diese Sache nun nicht klärte, dann würde es endgültig aus dem Ruder geraten und das konnte er nicht riskieren. Inzwischen hatte er sein Heer mit Mithril-Rüstungen und Mithril-Waffen ausgestattet. Auch seine Schöpfungen besaßen die beste Ausrüstung, die er ihnen ermöglichen konnte. Geschweige denn von der Anzahl seiner Männer! Und dennoch schien alles bedrohlich nah dem Untergang entgegenzusteuern. Also musste er handeln... „Bring‘ Elena de Windsor zu mir.“, sagte Wyrnné mit kalter Bestimmtheit. „Ich habe einiges mit ihr zu besprechen.“ Altan begann dreckig zu grinsen, ehe er sich vor ihm verbeugte: „Ja, Herr.“ Eine weitere Aufforderung brauchte der Inquisitor nicht, der mit sicheren Schritten den Thronsaal wieder verließ. Wenn Elena ihn nicht freiwillig begleitete, dann würde er sie mit Gewalt her schleifen. Das wusste der Weltenlenker, doch es war ihm egal. Wenn sie ihn tatsächlich verraten hatte, dann würde sie dafür bezahlen müssen wie ihre Mutter einst. Mit einer viel zu kalten Ruhe in sich, setzte sich Wyrnné wieder auf seinen Thron und wartete. Innerlich schwor er sich, dass sie alle brennen würden. Auch Billie... Epilog: Mithril-Blut -------------------- Wieder und wieder las Hammond den Brief, den er eben erst erhalten hatte. Es war eindeutig Kelvins Handschrift, also war eine Fälschung ausgesprochen unwahrscheinlich. An sich klang auch der Inhalt ganz nach dem Rebellenanführer, aber er konnte es dennoch nicht fassen. Erneut las der Titan, was Kelvin ihm mitteilen wollte:   „Grüß dich Hamm,   Billie und mir geht es gut. Wir waren im Schlund und haben dem Weltenlenker Ärger bereitet, sind nun aber sicher im Hort.   Der Krieg beginnt nun, mein Freund. Bereite bitte deine Soldaten darauf vor, dass es bald losgehen wird. Waffen, Rüstungen und alles was wir noch brauchen, werden wir in den nächsten Wochen organisieren. Der König schließt sich unserer Sache an. Wir haben nun also noch mehr Soldaten und auch mehr Gold und Nahrung zur Verfügung.   Teile den anderen bitte mit, dass es nun richtig losgeht und verbrenne den Brief.   Grüße Kel“   Es war klug, dass er höchstens Abkürzungen, statt Namen benutzt hatte. Auch, dass Kelvin nicht den König nannte, um den es ging. Man wusste nicht, wer den Brief vielleicht abfangen könnte, um an Informationen zu kommen. Sie wussten ja immerhin, um wen es genau ging. Dennoch fasste er es nicht. Es war soweit! Der Krieg würde nun endgültig beginnen. Das, worauf sie von Anfang an zugearbeitet hatten, würde nun eintreffen. Eine Zeit lang hatte niemand mehr geglaubt, dass dieser Tag mal kommen würde. Sie waren sich sicher gewesen, dass sie alle vorher sterben würden, ehe sie auch nur an Handlungen gegen den Weltenlenker denken konnten. Doch nun war es soweit... Sie würden ihre Truppen nehmen und vor der Haustür des Mannes kämpfen, der ihnen alles genommen hatte. Zitternd nahm er den Brief samt Umschlag und warf sie in den Kamin, in dem das Feuer ohnehin geprasselt hatte. Atemlos sah er dem Pergament dabei zu, wie es sich einrollte, knisterte und schwarz wurde. Am Ende blieb nur ein Häufchen Asche von dieser Nachricht übrig. Und so die alten Götter wollen, wird auch das Königreich des Weltenlenkers bald nur noch Asche sein., sinnierte der Titan mit einer seltsamen Vorfreude. Wenn alles gut geht, wird niemand mehr seinen Namen kennen... Keine Geschichtsbücher sich mit seiner Ära füllen. Und ich wäre endlich frei! Frei, um mit seinen Kindern ein schönes Haus zu kaufen oder es sogar selbst zu bauen. Mit ihnen an einen idyllischen See zu ziehen und einfach nur glücklich zu werden. Nie wieder kämpfen... Nur noch eine Familie sein. Ein Lächeln zierte seine Lippen, während er das Kaminfeuer löschte, damit er sich auf den Weg machen konnte. Er musste dem Herz der Rebellion mitteilen, was Kelvin ihm geschrieben hatte und dann musste er zu ihren Anhängern gehen, um auch sie darauf vorzubereiten. Um ihnen endlich zu sagen, dass die Jahre der Vorbereitungen ein Ende hatten. Dass sie es ein letztes Mal taten, um entweder zu obsiegen oder endgültig zu fallen. Egal, wie es auch ausgehen mochte, es war ein Fortschritt. Vielleicht der letzte, den sie machten...   Elena de Windsor hatte geahnt, dass die Sache mit dem Schlund massive Konsequenzen haben würde. Dazu brauchte es keinen zornigen Inquisitor, der in ihre Tee-Gesellschaft mit ihrem Onkel hereinplatzte und sie mitzerrte. Onkel Aronn hatte ihn zwar angeschrien, aber nichts dagegen unternehmen können. Obwohl er mit Konsequenzen drohte... Natürlich hatte sie ihm nicht erzählt, was sie getan hatte. Er wusste nicht, dass sie ein Herzstück der Rebellion war und deren Finanzen verwaltete. Um Aronn de Windsor zu schützen, hatte sie vorgespielt, sie sei über den Tod ihrer Mutter – seiner Schwester – hinweg. Sie hatte so getan, als akzeptierte sie die Entwicklung und gehorchte nun dem Willen des Weltenlenkers. Es war besser so. Je mehr er wusste desto mehr wäre er in Gefahr. Nun konnten sie beide glaubhaft bestreiten, dass er ein Mitwisser sei. Doch all das spielte keine Rolle mehr, als Altan sie brutal in den Thronsaal schubste. Immer wieder fiel sie beinahe zu Boden oder trat auf den Saum ihres Rockes. Schnaubend fing sich die Schwarzhaarige immer wieder im letzten Augenblick, um zumindest ihr letztes bisschen Stolz zusammenzuraffen. Es war das erste Mal, dass sie Wyrnné gegenübertreten würde. Sie hatte ihn bisher nur aus der Ferne gesehen, wenn er Verräter hinrichten ließ oder die Todesspiele veranstalten wurden. Selbst als er ihre Mutter zu Tode verurteilt und hingerichtet hatte, hatte er nicht den Mumm gehabt, sich ihr persönlich entgegenzustellen. Ihr persönlich zu sagen, dass ihre Mutter wahnsinnig geworden sei und ihre Lügengeschichten zu ihrem Tod geführt hatten, nicht er. Heute würde sie dem Mörder ihrer Mutter zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten. Auch wenn Elena wusste, dass sie innerlich emotional fast durchdrehte, blieb sie nach außen kühl. Das gönnte sie ihm nicht! Heute würde er nicht gewinnen. Nicht heute... Nicht gegen sie. Das schwor sie sich. Altan packte sie grob an ihrer Schulter und zwang sie zum Harren. Sie hob ihre grünen Augen und sah hinauf zu dem gelangweilten Weltenlenker, der ihren Blick ebenso kühl erwiderte. Er sah unmenschlich aus. Seine Gestalt mochte die eines Mannes sein, doch in seinen Augen fehlte die Menschlichkeit, als wäre er schon lange tot. Seine Schönheit schien nur eine Fassade für die dunkelste Nacht zu sein, die in ihm vorherrschte. Was auch immer ihre Mutter einst in diesem Monster gesehen hatte, konnte sie nicht sehen. Weshalb sie so geschwärmt hatte, konnte Elena de Windsor nicht nachvollziehen. „Elena...“, sagte er mit kalter Stimme, die bei ihr eine unangenehme Gänsehaut auslöste. „Ich war so gnädig mit dir, obwohl deine Mutter absolut wahnsinnig wurde. Und so dankst du es mir?“ „Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.“, antwortete sie ihm und reckte den Kopf in die Höhe. „Euer Gorilla sagte nicht, worum es ging, als er mich aus meinem Zuhause zerrte.“ „Zeig‘ etwas Respekt, Schlampe!“, zischte der Inquisitor und trat ihr direkt in die Kniekehlen. Der Tritt zwang sie, das Knie vor dem Weltenlenker zu beugen. Es tat weh, als sie auf dem Boden aufschlug, doch sie behielt den Kopf aufrecht. Vielleicht war sie keine gelernte Soldatin wie Hammond oder ein begabter Essenzbeherrscher wie Kelvin. Sie mochte keine Attentäterin sein. Kein Quellgeist... Kein Drache. Doch sie war jemand. Sie war wertvoll! Auch wenn der Weltenlenker die Bedeutung des Lebens herunterspielte, war sie jemand, die das Leben verdiente. Genau das wollte sie Wyrnné zeigen, indem sie den Blick nicht abwandte und im Angesicht ihres sicheren Todes nicht aufgab. „Du hast verraten, wo sich der Schlund befindet.“, warf er ihr schließlich vor. „Durch dich wurden die Minen fast vollständig zerlegt. Die Reparaturen werden Wochen, wenn nicht sogar Monate dauern!“ „Dann seid Ihr aber noch gut weggekommen.“ „Wie bitte?“ „Ihr habt meine Mutter aus einer Laune heraus ermordet! Denkt Ihr, dass die Reparatur eines solchen Verlustes nur einige Wochen oder Monate dauert?“, wetterte Elena temperamentvoll. „Ihr habt Eltern ihre Kinder genommen, Kinder ihre Eltern! Denkt Ihr ernsthaft, dass diese Verluste so leicht wieder auszugleichen sind, wie die Schäden im Schlund?“ „Du gehst zu weit, Elena.“ „Ihr geht zu weit!“, schrie sie und sprang auf, doch Altan riss sie sofort wieder auf ihre Knie. Sie spürte, dass sie aufplatzten, doch es war ihr egal. „Bettel‘ besser um Gnade, Kind.“, knurrte der Inquisitor ihr zu. „Du bist eine Verräterin und denen ergeht es nicht gut.“ „Es spielt doch gar keine Rolle! Selbst wenn ich um Gnade flehen würde, ich würde sie nicht erhalten!“ Seltsamerweise entdeckte sie in den grünen Augen des Weltenlenkers keinerlei Zorn. Keinen Hass. Er sah sie einfach nur an, wie sie sich gegen ihn aufbäumte und schrie, als wäre sie eine Schauspielerin. Als sei er im Theater, um sich ein wunderbares Stück anzusehen, welches er schon fast auswendig kannte. Wenn sie ganz ehrlich war, hatte Elena keine Ahnung, was in diesem Mann vor sich ging. Ob er nicht doch über ihre Worte nachdachte. „Wie viele krochen hier schon auf dem Boden herum und bettelten um Vergebung?“, fragte sie und zwang sich zu etwas mehr Ruhe. „Unzählige.“, antwortete Wyrnné kaltherzig. „Und wie viele davon haben diese Vergebung erhalten? Wie viele haben überlebt?“ Er antwortete nicht. Das musste er auch gar nicht. Sie kannten beide die Antwort auf diese Frage! Keiner... Keiner überlebte den Zorn des Weltenlenkers. „Bringt es einfach hinter Euch.“, zischte die Schwarzhaarige mit brodelnder Wut in sich. „Ich habe nichts weiter zu sagen, als dass ich es wieder tun würde. Immer und immer wieder.“ „Ist das so?“ „Ja, so ist es!“ „Und woher kommt deine Überzeugung, Elena?“, fragte er sie mit seiner tiefen, verlockenden Stimme. „Woher hast du dieses Feuer, um gegen etwas anzukämpfen, was du nicht besiegen kannst?“ „Ich weiß nicht, woher mein Feuer kommt, aber ich weiß, dass es richtig ist. Mehr spielt keine Rolle!“ Er musterte sie und schien nach etwas zu suchen. Als wollte er begreifen, was eigentlich in der ehemaligen Adligen vor sich ging. Fast wie ein Kind, das gerade sprechen von seinen Eltern lernte, aber mit einigen Buchstaben überfordert war. Alten zog hinter ihr eine Waffe. Sie konnte das Geräusch genau hören, als sie aus dem Futteral glitt. Das kalte Metall presste sich an die Haut ihres Nackens, während sie weiterhin in die Augen des Weltenlenkers starrte. In ihren letzten Augenblicken wollte sie weder weinen noch den Blick abwenden. Er sollte ruhig sehen, wie das Feuer in ihren Augen erlosch, aber nicht wirklich starb! Er sollte ruhig sehen, dass er nicht aufhalten konnte, was ihn erwartete. Sein Königreich würde fallen. Genau das sollte er in ihren Augen erkennen!   Billiana hätte nicht geglaubt, dass sie sich mal einer richtigen Rebellion anschließen würde. Sie hatte jedoch auch nicht geglaubt, dass sie mal eine Attentäter-Ausbildung absolvieren würde... Oder, dass Wyrnné alles verraten würde, wofür er einst gestanden hatte. Und dennoch war es so. Nackt stand sie vor einem gigantischen Spiegel, der viel größer und breiter war als sie. Ein wahres Kunstwerk, welches einer der Drachen des Horts hergestellt hatte. Sie betrachtete sich darin und erkannte, dass sie sich wirklich wahnsinnig verändert hatte. Ihren Kampf gegen Zodiak hatte sie als halbes Kind begonnen. Nun war sie eine Frau... Ihre Haut war so schön braun geworden und zahlreiche Sommersprossen waren einfach überall! Mal deutlicher, dann weniger stark zu erkennen. Langsam strich sie sich über ihre eigenen Seiten und den Bauch. Immer mal wieder spürte sie die Drachenschuppen, die man je nach Lichteinfall kaum erkennen konnte. Sie spürte die Maserungen. Ihre Verwandlung hatte vieles verändert und doch wusste Billie, dass sie immer noch die Gleiche war. Anders, ja, aber doch unverändert. Sie war so in ihr eigenen Gedanken über ihre Entwicklung vertieft, dass sie gar nicht merkte, dass Kelvin sich aus dem Bett geschält hatte, um sich hinter sie zu stellen. Sanft küsste er ihre Schulter, den Nacken und auch ihre Schulterblätter, während er die Arme um sie legte. Liebevoll wanderten ihre Hände nun gemeinsam über ihren reifen Körper, der keinen Gramm überschüssigen Fetts mehr aufwies. Für einen Frauenheld war er erstaunlich liebevoll. Beinahe etwas anhänglich, wenn es um sie ging! Doch der Attentäterin gefiel es irgendwie, dass sie dem Rebellen so den Kopf verdreht hatte. Die Nähe tat ihr gut. Zu lange hatte sie sich in ihrer Einsamkeit gesuhlt, um sich für die Toten selbst zu bestrafen. Sie hatten ihr Schicksal selbst gewählt. Natürlich waren all die Opfer bedauerlich, doch sie hatten eine schöne Zeit zusammen gehabt, die sie niemals vergessen würde. Sie sollten in ihr weiterleben. So, wie es Kelvin gesagt hatte... Sein Mund fühlte sich wie Balsam an, der einfach nicht aufhören wollte, ihre Schulterpartien zu verwöhnen. Schnurrend schloss sie ihre Augen und faltete ihre Finger zwischen seinen. „Wusstest du, dass das Mithril Flüssigkeit absondert, wenn man es abbaut?“, erkundigte er sich hauchend, während er jede Kontur ihres Nackens nachzumalen schien. „Ja... Mithril-Blut nennt es sich im Volksmund.“, flüsterte sie leise zurück. „Offenbar... »lebt« Mithril. Es kann bluten und sich vermehren.“ „Ist das so?“ „Mhm...“, brummte Billie zustimmend. „Es stammte ursprünglich aus Yallad – der Welt der Drachen – und muss irgendwie seinen Weg nach Midgard gefunden haben. Offenbar schlug ein Erzknoten hier ein und vermehrte sich in diesem Krater. Deshalb verebbt die Quelle auch nicht. Aber das wolltest du alles vermutlich gar nicht wissen? Entschuldige...“ „Ich höre dir gerne zu. Du kannst gerne so viel reden, wie du möchtest.“, schnurrte der Rebellenanführer und ging etwas mehr in die Knie, damit er ihre Wirbelsäule entlang küssen konnte. „Weshalb erkundigst du dich nach dem Blut?“ „Weil es tödlich für Inquisitoren ist. Leider wirkt es aber nicht auf Drachenhetzer.“ Schockiert riss die Blondine ihre Augen auf, als sie diese Neuigkeiten hörte. Natürlich hatte sie von der leicht magischen Wirkung des Mithril-Blutes gewusst, doch bisher war sie davon ausgegangen, dass darüber die „Fortpflanzung“ des Erzes ablief. Außerdem war es eine Zutat für sehr mächtige Medizin, die fast alles heilen konnte. Bisher war sie gar nicht auf die Idee gekommen, dass diese Flüssigkeit auch noch zu anderen Dingen gut sein könnte. Dass es vielleicht ein gutes Gift wäre. Oder vielleicht sogar für andere Bereiche tauglich. „Bist du dir absolut sicher?“, hinterfragte die Blondine hoffnungsvoll. „Ja, absolut.“, erwiderte er ohne Umschweifen, während er nun ihre Pobacken küsste. „Ich hatte einen versehentlich damit berührt, der dann schrecklich schrie. Das Zeug schien ihn zu verätzen. Um sicher zu sein, schmierte ich meine Dolche damit ein und schnitt ihn und jede der Wunden ätzte sich auf. Als ich ihn damit erstach, starb er.“ „Das habe ich nicht gewusst...“, gestand sie sich ein. Sie konnte an ihrer Haut spüren, dass er zu grinsen begann. Sicherlich sein überhebliches Grinsen, das er gerne zeigte, wenn er Recht hatte. Oder eben etwas wusste, was andere noch nicht gewusst hatten! „Er hat wesentlich mehr Inquisitoren als die anderen Bestien, richtig? Weil er mehr loyale Menschen hinter sich hat als Drachen oder Elfen.“ „Das stimmt.“ „Wir brauchen also das Zeug in diesem Krieg.“, schlussfolgerte Kelvin daraus. „Wir können sie damit besiegen und vielleicht wirkt es auch gegen Fessler oder andere Überraschungen.“ „Du hast vollkommen recht. Wir wissen nicht, wozu es noch gut sein könnte und müssen es auf jeden Fall gegen die Inquisitoren einsetzen.“ „Aber verliert es seine Wirkung, wenn wir es in Phiolen abfüllen?“ „Nein, soweit ich weiß, kann man es problemlos abschöpfen und auch eine Weile einlagern.“, erklärte die Elfe, während er sich mit einem Klaps auf ihren Hintern wieder erhob. Sie grinste ihn an und biss ihm als Rache liebevoll in sein Ohrläppchen, als er sich neben sie stellte. „Tja, dann sollten wir dem Schlund nochmals einen Besuch abstatten, damit wir uns etwas Blut sichern können. Mit etwas, meine ich eine Menge und mit wir, meine ich eine halbe Armee.“, kicherte Kelvin zuversichtlich. „Also müssen wir eure Soldaten auf eine Schlacht vorbereiten, die nötige Ausrüstung finanzieren und organisieren, weitere Verbündete finden, die Armee positionieren und den Schlund überfallen.“, fasste sie es nüchtern zusammen, ehe sie zu grinsen begann. „Wunderbar! Wann fangen wir an?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)