Die Drachensonate von Kylie (Band 2 - Drachen-Saga) ================================================================================ Kapitel 10: Freunde Rabenwachts ------------------------------- Ein bisschen hatte es Konstantin schon geärgert, dass Benedikt darauf bestanden hatte, ihre Gäste am Eingangstor abzuholen. Zu gerne wäre er selbst los, um Theodor mit als Erster zu seiner neuen Freiheit zu beglückwünschen. Doch sein Hauptmann hatte recht... Es konnte auch eine Falle sein und dann war es besser, wenn er hineintappte und nicht der König selbst. Endlich wurden die großen Flügeltüren zu seinem Thronsaal geöffnet und eine Gruppe kam in Begleitung von Ben herein. Theodor und Billiana erkannte er sofort, jedoch war der grinsende Blondschopf ihm bisher unbekannt. Sie erwähnte einen Partner, aber hatte sie nicht gemeint, er sei ein rothaariger Tollpatsch?, sinnierte er, während er sich von seinem Thron erhob. Theodor wirkte unsicher. Offenbar wusste er nicht, ob es die Etikette erlaubte, dass er zu ihm kam. Überall in der Halle standen Leibwächter, die sie sehr genau beobachteten. Durell verharrte mit gesenktem Haupt neben dem Thron und würde sich vorerst nicht einmischen. „Wie ich sehe, wart ihr erfolgreich.“, sagte Konstantin anerkennend, während er auf die Gruppe zukam. Benedikt verbeugte sich, zog sich dann aber zu Durell zurück. „In der Tat, Majestät.“, erwiderte Billie entspannt. „Euer Freund hat sogar den Hauptmann des Kolosseums ausgeknockt. Ich muss also darüber nachdenken, ihm einen Anteil zu geben...“ Der Adelssohn lachte, als er das hörte: „Klingt ganz nach ihm!“ „Danke, dass du das alles auf dich genommen hast, Konstan.“, sagte der frühere Bauer mit einem gebrochenen Lächeln. Die Freiheit musste sich nach all den Jahren eigenartig befremdlich anfühlen. „Ich habe es versprochen. Was wäre ich für ein König, wenn ich meinen Schwur bräche?“ „Einer, der zum Weltenlenker passt...“ „Auch wahr...“, gab er nachdenklich zu. „Nun, dein Zimmer ist noch nicht ganz fertig. Wir hatten frühstens heute Abend mit euch gerechnet!“ „Die Lady kennt... unkonventionelle Wege... So hattet Ihr es doch ausgedrückt?“, hauchte der frühere Champion der Arena verunsichert. „Exakt.“, bestätigte derweil die Attentäterin. Er winkte eine seiner Dienerinnen heran und bat sie, dass sie das Zimmer für Theodor schneller herrichten sollten. Außerdem sollte sie der Küche mitteilen, dass sie für die Gruppe Essen machen sollte. Die junge Frau verbeugte sich eifrig und huschte an der Gruppe vorbei. Jedoch warf sie dabei schmachtende Blicke zu dem ehemaligen Gladiator und dem unbekannten Blondschopf. Sie waren zweifelsohne beide sehr attraktive Männer, im richtigen Alter. So jung, dass sie keine Vater-Komplexe auslösten, aber so alt, dass sie den Charme eines älteren Mannes besaßen. „Ich lade euch alle zum Essen ein. Das ist das Mindeste! Außerdem muss vor allem Theodor hungrig sein.“ „Ich fürchte, ich werde deinen Speicher leer fressen.“, kicherte Theodor, während seine sonnengeküsste Haut etwas errötete. Innerlich wusste er wohl, dass das wirklich passieren könnte. „Wir haben mehr als genug zu essen, versprochen.“, lächelte der König warmherzog. „Darf ich denn auch Euren Namen erfahren, Mylord?“ „Ich bin kein Lord.“, erwiderte der Blondschopf, der sich zwar vor ihm verbeugte, aber nicht so tief, wie es eigentlich üblich war. „Mein Name lautet Kelvin, Majestät.“ „Kelvin? Ihr seid nicht der Partner von Billie, oder?“ „Nein, Euer Gnaden.“ „Aber er hat bei der Sache dennoch tatkräftig mitgeholfen.“, mischte sich die Attentäterin mit gerafften Schultern ein. „Er hat mit seinen Freunden für Ablenkung gesorgt und Theodor befreit.“ „Weshalb habt Ihr das getan, Kelvin?“ „Kel reicht.“, grinste der Blondhaarige heiter. „Ehrlich gesagt, hatte ich ziemlich dreckige Hintergedanken dabei.“ Bei seiner Wortwahl griffen fast alle Leibwächter zu ihren Waffen. Durell trat voran und zischte ein Mal laut, während er sie böse ansah. Humor verstanden die Soldaten Rabenwachts definitiv nicht, woran der König arbeiten wollte. Jedoch entging ihm nicht der Blick von Theodor. Er schien Durell aus jener verheißungsvollen Nacht wiederzuerkennen und war vollkommen erstarrt. Tröstend legte er seine Hand auf die Schulter des früheren Bauern, um ihm Ruhe zu schenken. Nicht, dass er ihn auch noch verprügelte! „Ich seh‘ schon... Ein schweres Publikum.“ „Ja, verzeiht, sie sind alle etwas angespannt.“, gestand Konstantin seufzend. „Na gut, ich versuche mich zu zügeln! Aber ich bezweifle, dass ich es erfolgreich schaffen werde, keine Witze zu machen.“, gluckste Kelvin und irgendwie fing er jetzt schon an, den Mann zu mögen. „Ich bin der Anführer der Rebellen, Majestät. Ich half bei diesem... Auftrag, weil ich mir erhoffte, dass Ihr dann vielleicht über die Möglichkeit nachdenkt, uns zu unterstützen.“ Erstaunt öffnete sich sein Mund, doch er schloss ihn wieder. Natürlich hatte er von der Rebellion in Götterherz gehört! Auch, dass sie neuerdings durchaus erfolgreich waren und die Stimmen lauter wurden, dass sie es vielleicht schaffen würden, den Weltenlenker zu stürzen. Plötzlich bemerkte er, dass Benedikt sich zu ihm gesellte.  Offenbar hatte er bis eben selbst nicht gewusst, wer Kelvin war. Oder was er für Absichten verfolgte... Doch der König erkannte Interesse im ernsten Blick des Hauptmannes und vielleicht sogar etwas Leidenschaft. „Aus welchem Grund sollte ich das tun, Kelvin? Natürlich bin ich Euch dankbar, aber es geht hier um einen Krieg.“ „Wir haben bereits Athena – oder Billie – hier auf unserer Seite.“, sagte der Rebell nicht ohne Stolz, während die Frau zustimmend nickte. „Außerdem will sich eine dieser angeblichen Gottheiten ebenfalls unserer Sache verschreiben. Lebenswelt, Majestät...“ „Der Gott, der bisher nicht offenbart wurde?“ „Der Gott ist eine Göttin.“ „Ich weiß...“, gestand der König. „Und ich weiß, dass Ihr sie getroffen habt, Euer Gnaden. Sie schlug selbst vor, dass wir Euch rekrutieren sollten.“ „Ist das so?“ Eine Dienerin kam herein und lächelte begeistert, als sie die Besprechung einfach so unterbrach: „Das Essen ist fertig, Eure Majestät.“ „So schnell?“ „Die Küche war eh an Eurem Frühstück dran, Mylord.“ „Stimmt... Ja...“, erinnerte sich Konstantin verlegen. „Wir haben noch gar nicht gefrühstückt.“ Jetzt erinnerte er sich auch erst wieder, dass er die Schulter von Theodor hielt. Behutsam ließ er ab, weil sich der ehemalige Gladiator offenbar auch etwas entspannt hatte. Dennoch behielt er den Hauptmann der Leibwache weiterhin im Blick. „Durell, hältst du die Stellung?“ „Ja, Majestät!“, schoss es aus dem Mund des jungen Mannes. Er errötete etwas. Die Antwort war so schnell gekommen, dass alle Anwesenden ihn irritiert anstarrten. Konstantin störte sich nicht daran, sondern nahm stattdessen seine Krone vom Haupt, um sie zu dem Samtkissen neben dem Thron zu bringen. Durell setzte sich derweil auf den riesigen Stuhl und versuchte erhaben zu wirken. Es scheiterte etwas daran, dass er immer noch ungemein verlegen aussah! Kichernd drehte sich der Adelssohn um, damit er zu der Gruppe gehen konnte. Benedikt wollte sie offenkundig begleiten, um ihn zu bewachen. Seit dieser einen Nacht war er noch vorsichtiger geworden, wenn es um seine Sicherheit ging. „Folgt mir, bitte. Wir reden beim Essen weiter.“ Der Adelssohn musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass man ihm tatsächlich folgte. Heute musste der glücklichste Tag seines Lebens sein! Immerhin hatte man ihm Theodor tatsächlich unbeschadet hierhergebracht. Er sah über die Schulter und stellte fest, dass Billie sich mit dem vermeidlichen Rebellenanführer angeregt unterhielt. Sie schienen sich nah zu stehen. Näher als einfache Verbündete, die zusammen einen Tyrannen zu Fall bringen wollten. Immer mal wieder lachte einer von beiden. Nach einer Weile mischte sich sogar Benedikt in die Unterhaltung ein! Immer mal wieder grinste er dreckig. Worum es auch immer ging, es lockte den sonst so steifen Hauptmann aus seinem Schneckenhaus heraus. Derweil schloss Theodor unsicher zu ihm auf: „Der Mann, der dich vertritt-...“ Begann er, doch Konstantin ließ ihn bewusst nicht weitersprechen. „Ich weiß, was er damals getan hat. Er hat es mir selbst erzählt... Und er scheint es ehrlich zu bedauern.“ „Weißt du, weshalb ich ihn nach drei Jahren erkenne? Obwohl ich im Kolosseum um mein Leben kämpfte... Obwohl ich bestimmt diverse Schläge an den Kopf bekam!“ „Weshalb?“ „Er ging in jener Nacht ständig neben meinem Käfig her. Ich habe versucht mit ihm zu sprechen, aber er sagte nichts.“, erzählte Theodor und verbiss sich kurzzeitig auf seiner Unterlippe. „Ich wollte nur wissen, was los ist, aber er hat partout nichts gesagt. Aber dieser Blick... Dieses Mitleid... Es brannte sich in meinen Kopf rein!“ „Er hatte seine Befehle, Teddy... Er durfte nicht mit dir sprechen.“ „Und ich war ein verängstigter Junge in diesem Augenblick!“ „Er auch.“, erinnerte Konstantin sanft. „Ruh‘ dich erstmal aus, Teddy, und wenn du dich bereit fühlst, dann bitte ich dich nur um eine einzige Sache – hör‘ ihm zu. Es ist viel verlangt, das weiß ich, aber gib‘ ihm wenigstens die Zeit, um sich zu erklären.“ „Das ändert doch überhaupt nichts, Konstan. Es ändert nicht, dass er mich mit meiner Angst und Verzweiflung alleine ließ.“, murrte der ehemalige Gladiator. „Ich gebe dir vollkommen Recht... Egal, was geschieht, nichts kann die Vergangenheit ungeschehen machen.“ „Warum dann das Gespräch?“ „Damit du erkennen kannst, dass er nur ein dummer Junge war, der zu spät über seine Befehle nachdachte.“, erwiderte Konstantin mit einem brüchigen Lächeln. „Damit du in dir nach etwas Vergebung für einen dummen Jungen forschen kannst. Vielleicht könnt ihr dann beide die Ereignisse jener Nacht loslassen.“ „Du meinst, ich soll ihm vergeben, wie ich dir immer wieder vergeben habe?“ „Genau.“ „Du warst aber verdammt oft ein dummer Junge! Ich weiß nicht, ob du noch etwas Vergebung in mir übriggelassen hast.“, kicherte Theodor amüsiert. „Hey! So schlimm war ich dann auch wieder nicht!“ „Stimmt... Du warst viel schlimmer.“ Er verzog etwas das Gesicht, sagte aber nichts mehr dazu. Immerhin konnte Konstantin wirklich nicht abstreiten, dass er ein anstrengender Prinz gewesen war. Immer mit dem Kopf in den Sternen! Sie erreichten schließlich den großen Speisesaal, dessen Flügeltüren bereits für sie aufgehalten wurden. Als er hereinkam, fiel ihm ein, dass er ja immer noch verheiratet war! Wie jeden Morgen saß Elizabeth von Rabenwacht an ihrem angestammten Platz. Nicht nahe am Kopfende, wie es eigentlich üblich war, sondern irgendwo in der Mitte. Dorthin hatte Konstantin sie einst verbannt, weil er ihr Geschnatter einfach nicht ertrug. Je weiter sie von ihm weg war desto besser. Für sie beide! Aber vor allem für seine Nerven. Seufzend wandte er sich zu seinen Gästen. Er hatte keine andere Wahl, als ihnen seine Gattin vorzustellen, wie es die Sitten geboten. „Das ist... Elize, meine Frau.“, stellte er sie tonlos vor. Eigentlich wäre es üblich, sie zumindest als Lady vorzustellen, aber bisher hatte er sich nie überwinden können, ihr diesen Respekt zu erweisen. Deshalb stellte er sie stets mit dem Spitznamen vor, den er ihr selbst gegeben hatte. „Majestät.“, sagte Kelvin respektvoll und verbeugte sich. Wie zuvor auch bei ihm, nicht tief genug, doch Elizabeth schien dennoch verzückt. Er war vermutlich der erste, der sie mit ihrem eigentlichen Titel ansprach. „Hoheit.“, schloss sich Billie respektvoll an, neigte aber nur kurz den Kopf. Attentäter und Rebellen sind höflicher zu Elize als ihre eigenen Untertanen!, dachte er spöttisch. Vermutlich, weil sie sie nicht kennen... Wie er es inzwischen gewohnt war, nahm er am Ende des langen Tisches Platz. Früher hatte sein Vater auf diesem Stuhl gesessen, um alles überblicken zu können. Es fühlte sich für Konstantin immer noch eigenartig an, nun selbst hier zu sitzen. Benedikt setzte sich direkt an die Kante von ihm, damit er in seiner Nähe war. Kelvin ließ es sich nicht nehmen, sich gegenüber hinzusetzen, damit auch er dem König nah sein konnte. Billiana saß neben ihm. Theodor war etwas unentschlossen, setzte sich dann aber zwischen Ben und Elizabeth. „Hey, Elize.“, grüßte der ehemalige Bauer sie dann endlich. „Hast du doch mal einen wohlhabenden Adligen geheiratet? Hätte ich nicht gedacht.“ Elizabeth errötete schamvoll und senkte sofort ihren Blick. In Kindertagen hatten Theodor und er sie oft geärgert. Meistens hatten sie Stöcke, Steine oder alte Lebensmittel nach dem kreischenden Mädchen geworfen, aber natürlich gab es auch unschöne Unterhaltungen. Irgendwie war sie immer wieder auf sie hereingefallen! Sobald sie angedeutet hatten, sie würden sich nun doch gerne mit ihr anfreunden, hatte sie die Jungen sofort hoffnungsvoll in ihre Nähe gelassen. Sie vertraute ihnen Geheimnisse an, die selbstverständlich gegen sie genutzt wurden. Eines davon war ihr Wunsch mal einen hohen Aristokraten mit viel Vermögen zu ehelichen. Elize hatte den Wunsch gehegt, ihre eigene Macht und die ihrer Familie zu steigern. Für die meisten Frauen war das nur über politische Ehen möglich. Dafür mussten sie entweder bereits einem großen Haus angehören oder andere ausgeprägte Reize vorweisen. Manchmal gelang es auch Händlern ihre Töchter an reiche Herren zu vermählen, weil sie ganz besondere Waren liefern konnten. Nun war das Haus von Elizabeth nicht unangesehen im Lebensberg, aber auch nicht außergewöhnlich machtvoll. Sie hätte nur über Intelligenz, List oder Schönheit einen gehobenen Platz ergattern können. In ihrem Fall war es jedoch die Loyalität gegenüber dem Weltenlenker, welche ihr diese Stellung eingebracht hatte. Sie wusste das und halb Rabenwacht wusste es. Zumindest spionierte sie nicht mehr... „Wie schön... Der Bauerntölpe kehrt zurück.“, erwiderte sie und hob mit ihrem letzten Stolz den Kopf. Es wirkte nicht sehr überzeugend.  „Woah, Elize! Ich begrüße dich so freundlich und du wirst gleich derart verletzend? Ich muss schon sagen: Die Krone tut dir nicht gut.“ „Wie bitte?!“, fauchte Elizabeth mit hochrotem Kopf. „Ich soll verletzend sein? Du platzt doch gleich mit solchen Albernheiten heraus!“ „Ich war halt überrascht, dass du dein Ziel erreicht hast. Vor allem, dass Konstan dich geehelicht hat...“ „Warum?“ „Na ja... Korrigiere mich, wenn meine Erinnerungen mich täuschen, aber nannte er dich nicht immer ein dummes Entlein, das nicht lesen kann?“, sagte der ehemalige Gladiator frei heraus. „Und wie oft hat er dich als Mauerblume bezeichnet? Als langweilig? Ich weiß noch, dass er dich mal für deine Dummheit federn wollte!“ „Das ist doch alles ewig her!“, keuchte die Brünette schrill, während ihr Kopf drohte zu explodieren. So rot hatte er sie noch nie anlaufen sehen, dabei hatte er ihr regelmäßig Gemeinheiten an den Kopf geworfen. Ich habe eindeutig die falschen Worte gewählt... Bei Teddy geht sie richtig hoch!, stellte er überrascht fest. „Irgendwie hast du dich gar nicht verändert... Weder optisch noch charakterlich.“ „Ich bleibe also jung im Gegensatz zu dir.“ „Und flach! Und dumm...“ Elizabeth wusste eindeutig nicht, was sie dazu sagen sollte, plusterte sich aber trotzdem auf. Genervt wollte sich Konstantin gerade einmischen, da erhob jedoch Billiana das Wort: „Nun seid nicht so fies zu ihr. Ob es Euch passt oder nicht, sie ist Eure Königin.“ Fassungslos sah eben diese Königin die Elfe an. Es musste das erste Mal sein, dass jemand sie verteidigte! Und auch er war überrascht. Gerade von der Blondine hatte er erwartet, dass sie sich an einer schwachen Herrscherin stören würde. Jedoch war Athena dafür bekannt, dass sie für die Schwachen im Volk kämpfte, also tat sie wohl genau das. „Nun, sprechen wir lieber weiter über die Rebellion.“, winkte Konstantin ab, während die Diener den Tisch zu Ende deckten. „Und bedient euch bitte. Wenn etwas fehlt, sagt Bescheid.“ Die Anwesenden ließen sich nicht zwei Mal bitten. Vor allem Theodor und Billiana beluden ihre Teller wirklich großzügig. Bei seinem besten Freund überraschte es ihn nicht, aber die schlanke, aber durchaus trainierte Elfe sah ihm nicht gerade wie ein Vielfraß aus. Kelvin hielt sich eher zurück, so wie er selbst auch. Benedikt war der einzige, der eine normale Portion zu haben schien. „Was wollt Ihr denn gerne wissen?“, erkundigte sich der Rebellenanführer, nachdem er die frische Marmelade gekostet hatte. Er schien überrascht von dem Geschmack zu sein. Frisches Obst war selten und in dieser Form kannte auch der König es erst seit kurzem. „Abgesehen von den zwei genannten Personen, habt Ihr sonst noch nennenswerte Anhänger? Nennt aber besser gerade nicht die Namen...“, er ruckte so unauffällig wie möglich mit dem Kopf zu Elize, die dies nicht zu bemerken schien. Dennoch sah sie angespannt aus.  Dieses Thema dürfte ihr keineswegs schmecken. „Bisher keine nennenswerten Anhänger, Majestät, nur sehr unglückliche Nichtmenschen und Mischlinge. Einige Menschen...“, erklärte Kelvin charismatisch. „Viele von ihnen sind keine guten Kämpfer, aber wir versuchen diejenigen auszubilden, die im kampffähigen Alter sind und es tun wollen. Jedoch mangelt es uns auch an ausreichend Ausrüstung...“ „Ihr habt aber einige Magiebegabte in Euren Reihen, oder?“ „Ja, nicht zu knapp, aber sie sind nicht alle geschickt muss ich zugeben.“ „Es ist gut möglich, dass die Drachen helfen, weil ich es auch tue.“, mischte sich Billie ungehemmt ein. Sie hatte ihren Teller schon halb geleert. Eine gute Esserin! „Weshalb sollten sie das tun?“ „Ihr habt mich nicht besonders gut angeschaut, was? Ich bin ein bisschen beleidigt...“ Verwirrt sah er sie an. Anfangs wusste der König ehrlich nicht, was sie meinte, doch dann wurde es ihm plötzlich klar. Wenn man sich auf ihre Haut konzentrierte, konnte man das Schimmern von Drachenschuppen erkennen. Vor allem nah an ihren Augen... Unter ihrer schwarzen Kluft gab es sicherlich noch mehr, die vielleicht besser zu erkennen waren. Er musste zugeben, dass sie besser getarnt aussah als Sor’car. Bei Billie musste man wirklich wissen, was man suchte, um diese Makel finden zu können. Ihre Elfenohren ließen ihn aber eh vermuten, dass sie kein geborener Drache war, sondern ein erweckter. In einigen Büchern hatte er davon gelesen... Verbotene Bücher! „Oh, verstehe...“, murmelte Konstantin nachdenklich. „Dennoch scheint es der Rebellion an sehr viel zu fehlen.“ „Trotzdem ist es die erste Rebellion, die erfolgsversprechend ist.“, mischte sich plötzlich Benedikt ein. „Neuerdings haben sie einen enormen Zustrom... Kelvin ist nämlich plötzlich geschickter im Kampf, so sagt man.“ Verlegen grinste der Rebellenanführer und nickte dann: „Hatte eine gute Lehrerin...“ „Wie gedenkt Ihr das Ausrüstungsproblem zu lösen?“ „Wir hatten darauf gehofft, dass wir etwas finanzielle Unterstützung erhalten, wenn sich uns nun auch größere Mächte anschließen – wie Ihr.“, sagte der Blondschopf frei heraus. „Mit dem Geld können wir dann Schmiedemeister beauftragen, damit wir Rüstungen und Waffen erhalten.“ „Womit bildet Ihr zurzeit Eure Soldaten aus?“, fragte Konstantin weiter. „Mit den wenigen Waffen, die uns zur Verfügung stehen. Teilweise auch mit Holzwaffen, um Verletzungen zu vermeiden.“ „Wer ist euer Ausbilder?“ „Hauptsächlich meine rechte Hand, aber der hat auch einige Vertraute, die ihm dabei helfen. Er ist ein gelernter Soldat.“ „Keine Attentäter-Ausbildung?“ „Das war bei Kel eine Ausnahme.“, warf Billiana mit verzogenem Gesicht ein. „Dieses Können stellen wir nur Auserwählten zur Verfügung.“ „Auserwählten?“ „Menschen, die die Begabung dazu besitzen und genug Charakter, um dieses tödliche Talent nicht falsch einzusetzen.“ „Ich dürfte es also nicht lernen?“, scherzte der König lachend. „Ihr seid flink wie ein Hase, habe ich gehört, Majestät...“, sagte sie mit einem schmeichelnden Lächeln. „Ich sah Euch bisher nicht kämpfen, doch Eure Statur spricht dafür. Sollte Euer Interesse echt sein, würde ich Euch gerne mal in Aktion sehen und dann schauen wir weiter.“ „Ehrlich?“ „Ja, ehrlich. Euer Charakter ist ohne Tadel.“ „Danke...“, flüsterte er verlegen und spürte, dass seine Wangen etwas glühten. „Was sagt Ihr? Würdet Ihr darüber nachdenken, unsere Sache zu unterstützen?“, mischte sich Kelvin etwas unruhiger ein. Er wurde nicht gerne ausgeschlossen. „Ich werde darüber nachdenken, ja. Wann wollt Ihr meine Entscheidung erfahren?“ „Nehmt Euch die Zeit, die Ihr braucht. Ihr sollt es nicht bereuen...“ „Gute Antwort.“, lächelte Konstantin warmherzig. „Ich werde mich mit meinen Hauptmännern beraten und Euch spätestens morgen Abend Bescheid geben. Genießt bis dahin gerne meine Gastfreundschaft. Erkundet Rabenwacht und die umliegenden Lande oder genießt einfach mal die Wärme eines geschützten Bettes. Ihr seid durch eure Taten alle Freunde Rabenwachts geworden. Es wird euch an nichts fehlen.“ Er konnte den Stolz in den Gesichtern der Gäste erkennen. Selbst Theodor sah ihn anerkennend für seine Worte an. Für ihn war all das selbstverständlich! Sie hatten seinen besten Freund gerettet und ihn auch noch hierhergebracht. Mit etwas Glück, würde niemals herauskommen, dass er wirklich den Auftrag dazu erteilt hatte. Ausgelassen plauderte die Runde und zum ersten Mal leerte sich der Tisch tatsächlich mal. Kaum Essensreste, die der König ohnehin nicht einfach wegwarf. Er schenkte alles dem Volk – vor allem natürlich den Armen – aber auch seinem Personal, wenn sie etwas davon brauchten. So wurde nichts verschwendet. Konstantin war sich absolut sicher, dass er schon ewig nicht mehr so viel gelacht hatte! Theodor musste seit mindestens drei Jahren gar nichts mehr zu lachen gehabt haben, aber auch Benedikt wirkte erstaunlich ausgelassen. Nur Elizabeth zog sich recht früh zurück und schien sich gar nicht wohl in dieser Gesellschaft zu fühlen. Erst recht, weil Theodor sie so vorgeführt hatte. Dann ging es noch um Rebellion... Vielleicht würde sie sogar alles an den Weltenlenker weitergeben. Ihm war es egal, wenn er diese lachenden Gesichter musterte. Wobei ihm ein Knistern zwischen Rebellenanführer und Attentäterin nicht entging. Irgendwas lief da, was aber offenbar noch genauso frisch war, wie die Entwicklungen zwischen ihm und seinem Hauptmann. Beinahe war er traurig, als sich die Runde auflöste. Sie wollten alle mal richtig heiß baden, sich frische Klamotten anziehen und einfach mal schlafen. Ihren Wunsch respektierte er. Immerhin regierte sich sein Königreich ja auch nicht von selbst!   „König Konstantin von Rabenwacht muss etwas damit zu tun haben!“, schrie Lord Optimus zum gefühlten hundertsten Mal. Wyrnné wusste beim besten Willen nicht, weshalb er diese Audienz überhaupt zugelassen hatte... „Könnt Ihr es beweisen?“ „Natürlich nicht!“ „Woher wollt Ihr es dann wissen? Nur weil Eure Verhandlungen gescheitert sind?“ „Ist doch offensichtlich, dass er sich nun das genommen hat, was er eh wollte!“ „Für mich ist offensichtlich, dass Ihr unfassbar nervtötend seid.“, schnaubte der Weltenlenker genervt, weshalb Altan einen drohenden Schritt auf den verschreckten Leiter des Kolosseums zumachte. „Verzeiht... Ich wollte nicht-... Es tut mir leid.“, stammelte er kleinlaut. „Ich sehe es wie Ihr, dass der Zeitpunkt äußerst fragwürdig ist, jedoch befindet sich Konstantin bereits seit drei Tagen nicht mal mehr in der Nähe von Götterherz.“ „Er könnte jemanden beauftragt haben, Herr.“ „Könnte er, aber soweit ich es verstanden habe, deutet alles auf einen Aufstand hin. Alle Hinweise legen nahe, dass die Gladiatoren ausbrachen und sich den Weg nach draußen erkämpften.“, erinnerte er ihn gelangweilt. „Und wo ist dann Bartholomäus?“ „Vielleicht hat er geholfen? Wer weiß das schon... Er hilft ja auch seinem spielsüchtigen Bruder.“ „Ich schwöre Euch, dass an der Sache etwas faul ist! Und ich werde dem nachgehen.“ „Bitte, tut das...“, seufzte Wyrnné und sah zu seinem Inquisitor. „Altan, bring‘ ihn doch bitte nach draußen. Das war genug für einen Tag.“ „Sehr gerne, Meister.“ Ängstlich ließ sich der Leiter des Kolosseums nach draußen führen. Altan behielt ihn dabei mit seinen hellen Augen eiskalt fixiert, um diese Unsicherheit zu verschärfen. So etwas genoss der Folterknecht immerhin. Am liebsten hätte er ihn sicherlich direkt auf seine Folterbank geschnallt, um ihn richtig bluten zu lassen. Erstaunlich... Diese Aktion war geschickt und ungeschickt zugleich, Konstantin., dachte er schmunzelnd. Der Zeitpunkt ist so eindeutig, aber die Beweise sind es auch. Du hast dir sicherlich von Billie helfen lassen... Ist eindeutig ihre Handschrift. Doch das würde er Caesar gewiss nicht auf die Nase binden. Er sollte schön seine Anschuldigungen selbst beweisen, wenn er sie schon erhob. Immerhin mussten die Aristokraten endlich mal lernen, wie Erwachsene miteinander umzugehen. Zurzeit erinnerten sie ihn eher an kleine Kinder, die das Spielzeug des anderen wollten. Als Altan wieder in den Thronsaal zurückkehrte, wirkte er äußerst zufrieden. Sicherlich hatte er Lord Optimus beinahe einen Herzinfarkt mit seiner bloßen Anwesenheit eingejagt. Diese Wirkung hatten seine Inquisitoren bisweilen auf die Außenwelt. Zu Recht! Sie waren absolut gnadenlos. „Was habt Ihr nun vor?“, fragte der Anführer der Inquisition. „Nichts.“ „Ihr wollt das Konstantin einfach so durchgehen lassen?“ „Ich bin doch nicht dafür da, um für Caesar seine Probleme zu regeln. Solange er keine Beweise vorlegen kann, sind die Gladiatoren von selbst ausgebrochen.“ „Und was ist mit diesem Lord Adlerherz? Hattet Ihr nicht mit ihm einen Vertrag?“ „Das stimmt...“, murmelte Wyrnné nachdenklich. „Falls er denen geholfen hat, wäre der Vertrag natürlich hinfällig.“ Altan begann dreckig zu grinsen, als er das hörte: „Also darf ich mir diesen Elodrin endlich zur Brust nehmen?“ „Ruhig, Altan... Erst, wenn wir sicher sind, inwieweit er etwas damit zu tun hat.“ Er war enttäuscht, dass konnte der Weltenlenker ihm ansehen, doch letztendlich spielte es keine Rolle. Dieser Vertrag nützte auch ihm sehr viel und er wollte ihn nicht aufs Spiel setzen, damit sein Inquisitor sich amüsieren konnte. Immerhin gab es noch genug Verbrecher und Verräter, die auf Folterung warteten. „Wurde Billie bei dieser ganzen Aktion gesichtet? Hinweise auf sie?“, wollte er lieber wissen. „Nein, nichts, aber es deutet alles auf sie hin.“, sagte der Hüne schmollend. „Wäre nicht ungewöhnlich, dass sie nicht gesichtet wird. Sie ist gut in so etwas...“ „Das zu zugeben, muss dir schwergefallen sein, Altan.“ „Ja, Herr...“ „Dann stellt die Suche nach ihr ein. Wir wissen jetzt, dass sie noch lebt.“ „Seid Ihr sicher?“ „Absolut.“, winkte Wyrnné ab und erhob sich von seinem Thron. „Solltest du sie antreffen, dann hätte ich aber nichts dagegen, wenn man sie herbringt. Lebend! Ich habe ein paar ungeklärte Fragen an sie.“ „Jawohl, Meister.“ Mit einer Spur Erleichterung verließ er seinen Thronsaal. Billiana lebte! Sie war aus einem anderen Grund nicht mehr in Götterherz aufgetaucht... Natürlich würde er seine Sorge für sie niemals zugeben und gewiss nie wieder über die Suche nach ihr sprechen, aber er wusste dennoch, dass sie da war. Irgendwas sagte ihm, dass auch die Elfe über diese Gefühle durchaus Bescheid wusste. Sie war sein Schwachpunkt...   Vielleicht war Benedikt sonst nicht der herzliche Typ, aber Billie und Kelvin brachten ihn wirklich zum Lachen! Ständig erzählten sie irgendwelche witzigen Storys über ihre Überfälle auf Adelshäuser und was wie dabei schiefgelaufen war. Außerdem führten sie dabei auch aus, wie die Kämpfe gegen ihre Feinde verliefen. Nicht immer alles ganz rund... Vor allem der Rebellenanführer verstand sich darauf, das Ganze wirklich auszuschmücken und mit Mimik und Geste zu arbeiten. Da brachte der gemeinsame Met wirklich viel Spaß! Ihm war hierbei egal, dass alle ihm verwirrte Blicke zuwarfen, weil er sich mal ehrlich amüsierte. Trotzdem musste er sich irgendwann von den beiden trennen und sich zu dem Hauptmann des Kolosseums aufmachen. Schon vor einiger Zeit hatte man ihm mitgeteilt, dass er längst erwacht war. Die Kopfwunde hatten die Heiler vollständig heilen können und bisher schien es keine dauerhaften Schäden zu geben. Jedoch würde er Lord Adlerherz erst ein Gespräch mit Konstantin gestatten, wenn er sich sicher war, dass er ihn nicht anfallen würde. Wie er seinen König kannte, würde der nämlich sicherlich gerne alleine mit ihm sprechen... Doch noch war Bartholomäus kein Freund Rabenwachts, sondern musste als Feind eingestuft werden. Vor der Tür des Zimmers, in dem man den Hauptmann untergebracht hatte, standen selbstverständlich ein paar Wachposten. Einige Soldaten waren aber auch über den Flur verteilt, damit sie Alarm schlagen konnten, falls Bartholomäus es doch schaffen sollte, die Wachen zu überlisten. Einen gelernten Soldaten und erfahrenen Wärter unterschätzte er keineswegs. „Hauptmann.“, grüßten ihn die ausgebildeten Soldaten respektvoll und senkten ihre Häupter. Sie alle hatten schon mal mit ihm gesoffen und ihn an schlechten Tagen erlebt, doch es schmälerte nicht den Respekt, den sie für ihn empfanden. Wie es die Höflichkeit gebot, klopfte er an und wartete darauf, dass man ihn hereinbat. Benedikt atmete ein Mal tief durch, straffte seine Schultern und öffnete die Tür, um endlich das große Zimmer zu betreten. Es war eines der besseren Gästezimmer, welches man für Notfälle stets frisch hielt. Viele Aristokraten kamen unangekündigt zu Besuch, weil sie es als ihr Vorrecht empfanden. Selbst bei einem König... Diese Vorsorge war nun aber ein Vorteil gewesen, weil sie den unerwarteten Gefangen beherbergen mussten. „Bartel.“, grüßte er ihn ernst. „Ben...“, erwiderte Bartholomäus zurückhaltender. „So war das Ganze natürlich nicht geplant.“ „Wie hattet Ihr Euch das denn vorgestellt?“ „Eigentlich sollte niemand sie sehen... Schon gar nicht ihr Gesicht.“ „Wird man mich nun still und heimlich umbringen?“, fragte der Hauptmann des Kolosseums seltsam gewappnet. Es kam ihm so vor, als würde er sich schon seit Jahren auf diesen Augenblick vorbereiten. Nur mit anderen Henkern im Hinterkopf... „Das entscheide nicht ich.“ „Wer dann? Diese Elfe?“ „Nein...“, lehnte er entschieden ab und schüttelte den Kopf. „Mein König wird entscheiden, was genau mit Euch geschehen wird. Wenn man es genau nimmt, werdet Ihr es selbst entscheiden.“ „Wie meint Ihr das?“ „So wie ich meinen König kenne, wird er Euch Gnade anbieten gegen Euer Schweigen. Ein neues Leben...“ „Einfach so? Obwohl ich ihn betrügen könnte?“, hakte Bartholomäus verwirrt nach. „Wieso sollte er das machen? Das ist doch Wahnsinn!“ „Er ist ein gnädiger Herr, Bartel. Er ist nicht der Weltenlenker oder diese irren, angeblichen Götter.“ Der Hauptmann des Kolosseums hüllte sich in Schweigen und senkte dabei seinen Kopf. Nun konnte Ben einen genaueren Blick auf ihn werfen und musste gestehen, dass die Heiler wirklich gute Arbeit geleistet hatten. Es war nur eine kleine Narbe auszumachen, an der er wohl kahl bleiben würde. Andere Männer wären an solch einer Verletzung gestorben. Ob mit oder ohne Heiler... Ihm bewies es, dass dieser Mann nicht nur ein einfacher Diener des Weltenlenkers war, sondern vor allem ein Kämpfer. „Ich kann Euch nur zu Konstan lassen, wenn ich mir sicher bin, dass Ihr ihm nichts tun werdet.“, ermahnte Benedikt ihn streng. „Nichts liegt mir ferner...“ „Solltet Ihr ihn doch angreifen, muss ich Euch wohl nicht sagen, was ich dann mit Euch machen werde?“ „Nein...“ „Es ist spät.“, seufzte er schließlich abwinkend. „Versucht Euch zu erholen. Man wird Euch gleich etwas zu Essen bringen. Morgen wird er mit Euch sprechen.“ „Ben... Eine Frage noch.“ „Was denn?“ „Wie lange war ich bewusstlos?“, erkundigte sich Bartholomäus und rieb sich seinen Hinterkopf. Es tat sicherlich nicht mehr weh, doch die neue Narbe musste dennoch befremdlich sein. „Fast einen Tag lang.“ „Das ist lange...“ „Ihr hattet eine ziemlich schlimme Kopfverletzung, Bartel. Unsere Heiler haben ihr Bestes gegeben und wie es aussieht, kommt Ihr mit dieser Narbe davon.“ „Diese Elfe-...“ „Billie.“, sagte Ben sachte. Egal, wie das ausging, am Ende würde der Hauptmann nicht reden. Entweder, weil er zu Tode verurteilt wurde oder, weil Konstantin ihn für sich einnahm und er gar sprechen wollte. „Billie...“, wiederholte er irritiert. „Ist das nicht ein Männername?“ „Sie besteht darauf, dass man sie so nennt. Ist offenbar eine Abkürzung... Kenne ihren wahren Namen nicht.“ „Egal, es spielt keine Rolle! Ich sah noch nie in meinem Leben eine so begabte Kämpferin. Seit Jahren diene ich im Kolosseum, doch kein Gladiator hat mich jemals so beeindruckt.“ „Ja, sie ist etwas Besonderes. Eine seltene Blume...“ „In der Tat...“, gestand der Hauptmann verlegen und Benedikt vermutete eine leichte Verknalltheit. „Weshalb hat sie mich verschont? Ich war ihr doch ausgeliefert!“ „Billie hat ein gutes Herz und empfindet Euch offenbar auch als guten Kämpfer. Euer Talent wollte sie nicht verschwenden, wenn es nicht unbedingt sein muss.“ „Sie hätte mich besiegen können, aber sie nahm sich zurück, das habe ich gespürt...“ „Das ist so ihr Ding.“, kicherte Benedikt und erinnerte sich an seinen ersten und letzten Kampf gegen die Elfe. Er hätte gerne eine Revanche, um mehr dazu zu lernen. „Wird sie bei dem Gespräch dabei sein?“ „Das ist gut möglich, Bartel. Mein König hat gerne mehrere Meinungen, wenn er etwas entscheidet.“ „Gut... Ich würde ihr gerne meine Aufwartung machen.“ „Das dürfte ihr gefallen. Ruht Euch also besser gut aus, damit Ihr die angemessenen Worte findet.“ „Danke.“, seufzte Bartholomäus und schritt zum großen Bett. Seinem Erstarren konnte er entnehmen, dass er wohl lange nicht mehr solch ein großes, bequemes Bett genutzt hatte. Er wurde sicherlich von seiner Familie verurteilt, weil er den Posten des Kolosseums annahm, um seinem Bruder zu helfen., überlegte Benedikt mit Bedauern. Um nicht länger zu stören, wandte er sich um und ging. Er musste noch Konstantin berichten, was er erfahren hatte und ihm sagen, dasser nichts gegen die Unterredung hatte. Im Anschluss würde er die Tavernen unsicher machen! Die riefen immerhin ganz deutlich nach dem Hauptmann der Armee. Nachdenklich schlenderte er durch das Schloss und nickte den Soldaten zu, die ihn respektvoll grüßten. Einige von ihnen waren zum Nachtdienst eingeteilt, andere waren gerade auf dem Weg in die Stadt, um sich diversen Vergnügungen hinzugeben und ihre Münzen auszugeben. Zumeist für hübsche Dirnen und gefüllte Krüge. Von den Gästen fehlte seit heute Morgen jegliche Spur. Auch Theodor hatte sich in sein neues Zimmer zurückgezogen, um endlich mal richtig zu schlafen. Sie mussten es alle wahnsinnig schwer haben, wenn die Möglichkeit auf ein Bett sie mehr fesselte, als die Chance eine neue Stadt zu erkunden. Oder die Annehmlichkeiten eines Königs zu beanspruchen... Immerhin hatte er sie zu Freunden seines Landes erklärt, was ihnen alle Türen öffnete! Endlich erreichte er die Gemächer Konstantins. Selbstverständlich gab es auf den Fluren und direkt an der Tür zahlreiche Leibwächter, die nicht nur von Durell ausgewählt worden waren, sondern auch seine Ausbildung genossen hatten. Der Hauptmann der Leibwache würde längst im Bett sein, um sich zu erholen. Er arbeitete sowieso zu viel. „Der König erwartet mich.“, erklärte Benedikt den Leibwachen an der Schlafzimmertür. „Soll ihm von dem Gefangenen berichten.“ „Ja, das hat er erwähnt. Tretet ein.“ Ihm wurde die Tür geöffnet, während die Leibwächter einen skeptischen Blick in das Zimmer warfen. Sie sondierten kurz nach eventuellen Gefahren, doch der König lag ganz entspannt in seinem gigantischen Himmelbett und las mit Hilfe einer Kerze einen dicken Wälzer. Konstantin sah auf, als ihm klar wurde, dass jemand die Tür geöffnet hatte. Das Licht des Flures flutete immerhin kurzzeitig sein Zimmer, ehe der Wächter hinter Benedikt die Tür wieder schloss. „Konstan.“, grüßte er ihn amüsiert. „Ben. Was ist so lustig?“ „Habt Ihr die Wärme Eurer Frau gegen die eines Buches eingetauscht?“, erkundigte er sich kichernd. Es war das erste Mal, dass er ihn in seinem Zimmer besuchte. Bisher war er davon ausgegangen, dass das Ehepaar sich ein Bett teilte, doch das war offensichtlich nicht so. Prüfend sah sich der Hauptmann der Armee um. Nichts deutete auch nur darauf hin, dass dieses Zimmer jemals von einer Frau genutzt worden war. Höchstens betraten die Zofen es, um es zu putzen, das Bett neu zu beziehen oder dem Adelssohn Speisen zu bringen. Es gab nämlich ein paar leere Teller. „Oh, beim Weltenlenker!“, keuchte Konstantin entsetzt, während er das Buch zur Seite legte. „Ich ertrage sie kaum beim Essen, da will ich sie nicht auch noch nachts um mich haben.“ „Kann ich gut nachvollziehen.“ Vorsichtig setzte sich Konstantin auf. Er trug nur ein weißes Nachthemd, was Benedikt den Mund in Rekordzeit austrocknete. Erst seit jener Nacht war ihm bewusst, wie sehr er eigentlich für seinen König schwärmte. Bisher hatte er sich nur für loyal gehalten, doch es war wohl immer mehr gewesen als das... „Hast du mit Lord Adlerherz sprechen können?“ „In der Tat konnte ich das.“, bestätigte er und kam bleiern näher an das Bett heran. „Er würde gerne mit Euch sprechen und hat geschworen, dass er Euch nicht verletzen will. Außerdem hätte er auch gerne Billie gesprochen.“ „Ist das so?“ „Ja, er hat sehr über ihre Kampfkunst geschwärmt und will ihr offenbar mitteilen, wie beeindruckt er ist. Er wirkt ein bisschen verknallt.“ „Wundert mich nicht. Sie ist eine schöne Frau...“, gestand Konstantin und Benedikt spürte einen Stich der Eifersucht in seiner Brust. Dieses Gefühl trieb ihn wie von selbst näher an seinen Herrscher heran, auf dessen Bettkante er sich ungefragt setzte. „Ihr findet Sie schön?“ „Ja, du nicht?“ „Schon...“, brummte der Hauptmann unzufrieden. Während er den Blick senkte, spürte er plötzlich, dass Konstantin seine Hand berührte. Im flachen Schein der Kerze wirkte es beinahe noch verbotener, als es sowieso schon war. Homosexualität war beim Weltenlenker nicht besonders hoch im Kurs, weil sie keine Nachfolger zeugen konnten. Dennoch hob er seine Finger, um die weiche Haut zu berühren, die dennoch Schwielen vom Schwert aufwies. Nicht so viele wie seine eigenen, großen und rauen Hände, die so zerstörerisch neben seinen wirkten. Sie konnten kaum unterschiedlicher sein, aber er fühlte sich dennoch wahnsinnig zu ihm hingezogen. „Sie entfacht jedoch nicht meine Lenden, Ben.“, flüsterte der König anrüchig. „Frauen mögen schön sein, aber ich... Nun ja...“ „Ihr steht nicht auf sie.“ „So ist es...“ „Ich mag sie schon, aber ich mag Euch viel mehr.“, gab der Hauptmann mutig zu. „Es macht mich wahnsinnig, dass Ihr sie schön findet... Und Euch mit Bartel alleine zu lassen! Oder mit Theodor...“ „Teddy ist wie ein Bruder für mich. Ich hege keine derartigen Gefühle für ihn...“, schwor der lockige König liebevoll und kroch dichter an ihn heran. „Was Lord Adlerherz anbelangt, erscheint er mir sehr hetero zu sein. Außerdem ist er nicht mein Typ.“ „Was ist denn Euer Typ?“ Just bei dieser Frage presste Konstantin seine heißen Lippen in seinen Nacken, während seine Hände um den Bauch des Hauptmanns glitten. Manchmal verkeilten sich seine Finger in dem schmutzigen Leder, doch meistens streichelte er ihn anregend. Brummend schloss er genussvoll seine Lider. Er hatte schon viele Frauen gehabt, doch keine hatte jemals so viel in ihm ausgelöst! „Ich mag schmutzige Männer...“, schnurrte der Adelssohn verspielt. „Loyale Männer, die sehr hart lieben. Männer, die mich in den Bann schlagen mit ihrer schroffen Art. Schöne Männer, die nicht wissen, wie schön sie sind.“ „Ihr steht also auf Bauern?“, kicherte Benedikt nicht wirklich beleidigt. Er wusste, dass er ein dreckiger Kerl war, der so gar nicht nach einem Aristokraten aussah. Das genaue Gegenteil zu Bartholomäus! „Genau.“ „Na wartet!“ Lachend warf er sich auf ihn und sie begannen sich in dem gigantischen Bett wie kleine Jungs zu raufen. Natürlich achtete Ben darauf, dass er seinen König dabei nicht wirklich verletzte, doch es machte irgendwie Spaß so Zeit miteinander zu verbringen. Immerhin lachte auch Konstantin glockenhell und versuchte sich zumindest gegen seine Hände zu wehren, die ihn kurzerhand zu kitzeln begangen. Vielleicht würde die Gesellschaft sie niemals respektieren und vielleicht würde er selbst niemals begreifen, wie er so für sein eigenes Geschlecht empfinden konnte, doch es war so. Und Benedikt wusste, dass seine Gefühle aufrichtig waren. Echt. Greifbar... Und irgendwas in ihm wusste auch genau, dass die Gefühle des Königs ebenfalls aufrichtiger Natur waren. Dass sie glücklich werden könnten. Leider war ihm auch bewusst, dass er immer ein heimlicher Geliebter sein würde. Der Herrscher hatte nicht nur eine Frau, sondern musste auch gewisse Etiketten einhalten. In diesem Augenblick konnte er das gut vergessen. Er wollte ihm einfach nur nah sein und nochmals das Bett mit diesem herrlichen Mann teilen.   Die Dunkelheit umschloss ihr Herz kalt. Der Geruch von Schwefel und Tod lag ihr in der feinen Nase. Alles um sie herum war trist geworden. Billiana erinnerte sich gut an diese Zeit, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war. Da hatte die Soldaten-Ausbildung noch nicht begonnen und sie war gewissermaßen noch frei gewesen. Eines Tages hatte sie eine Gruppe von Unterweltlern beobachtet, die einige Erwachsene überfielen. Die Angreifer schienen in ihrem Alter zu sein und nutzten die Waffen, die sie finden konnten. Deshalb waren sie lediglich mit rostigen Schwertern, ein paar Holzstangen und einigen Hämmern ausgestattet. Sie zählte ungefähr zehn Knaben. Fasziniert hatten ihre blauen Augen das Geschehen beobachtet. Wie einige Jungs immer mal die Männer ablenkten, damit die anderen sie von hinten schlagen konnten. Sie schafften es wirklich, die Kreaturen der Unterwelt unschädlich zu machen und dann wieder lachend abzuhauen. Sie stahlen nichts... Mit diesem Angriff verfolgten sie nicht den Wunsch, sich selbst zu bereichern. Jedoch war der Elfe auch nicht wirklich klar, weshalb sie es dann machten. Sie konnten immerhin dabei sterben! Unterweltlern war es egal, dass sie Kinder waren. Wenn sie sie zu fassen bekamen, würden sie jedes der Kinder qualvoll töten. Mit diesem Wissen hatte sie die Gruppe jeden Tag gesucht und weitere Streifzüge beobachtet. Manchmal folgte sie einzelnen Mitgliedern der Rabauken und fand heraus, dass sie fast alle aus angesehenen Familien stammten. Loyales Gefolge von ihrem Vater. Es war also kein Überlebenskampf. Irgendwann merkte der Anführer der Gruppe jedoch, dass sie sie ständig beobachtete und verfolgte. Er fing sie ab, als sie selbst auf dem Heimweg war. Seine braunen Locken sahen so widersprüchlich zu seinem ernsten, strengen Kindergesicht aus. Er war ein hübscher Bursche... Vor allem für die Unterwelt. In seinen braunen Augen hatte sie erkannt, dass sein schönes Äußeres ihm nicht viel Gutes beschert hatte. Wie oft seine Grenze überschritten worden war... Etwas, was auch sie schon früh erfahren hatte. „Warum folgst du uns ständig?“, zischte er wütend. In seinem Gesicht fand sie ein paar Narben, die inzwischen fast vollständig verheilt waren. „Nur so...“, hörte sie sich sagen und merkte selbst, dass das wenig überzeugend klang. „Nur so?“, wiederholte er skeptisch. „Bist du blöd oder so? Dir ist schon klar, dass du dich damit in Schwierigkeiten bringen kannst?“ „Wieso? Wollt ihr mir wehtun?“ Bei ihren Fragen begann er zu lachen. Es war ein kaltes Lachen, das so gar nicht zu einem Kind passen wollte. Billie war klar, dass er vermutlich in Menschenjahren zehn oder elf Winter alt war. In seinen Augen erkannte sie, dass er schon mehr Lebensjahre auf dem Buckel hatte und auch viel zu viel erlebt hatte. „Du denkst ernsthaft, dass wir dir was tun würden?“, hakte er nach. „Es sind die Erwachsenen, die uns laufend wehtun. Oft genug grundlos... Aber wenn du uns nachläufst, dann denken sie, dass du zu uns gehörst.“ „Ist mir egal.“ „Bist du blöd?“ „Nein, du?“, konterte das Mädchen und plusterte sich etwas vor ihm auf. Wieder lachte er. Dieses Mal klang es ehrlicher. Nicht warmherzig oder wirklich angenehm, aber zumindest war es ein bisschen aufrichtiger. „Willst du dich uns etwa anschließen?“ „Wenn du mir erklärst, was das alles genau soll?“ „Wir wollen uns wehren. Wir wehren uns gegen diese verdammte Unterwelt, die uns so viel Leid zufügt!“, erklärte der Junge mit gestrafften Schultern. „Ich glaube, dass du weißt, was ich meine. Wie oft wurdest du schon geschlagen? Gefoltert? Wie oft haben sie dich zum Sex gezwungen oder es zumindest versucht?“ Darauf wusste sie keine Antwort. Die Unterwelt war ein harter Ort, an dem keine Kinder aufwachsen sollten. Aber man suchte sich eben nicht aus, wo genau man geboren wurde und als was. Auch damals hatte Billiana gewusst, dass sie nicht in diese Welt gehörte. Sie gehörte nicht unter den orangegrauen Himmel, der die Welt in Dunkelheit, statt in Licht hüllte. Es war ihr nicht bestimmt, die schwefelhaltige Luft einzuatmen und oftmals fast an der Asche zu ersticken. Die Unterwelt war vielleicht der Ort, an dem sie geboren wurde, doch es war nie ihr Zuhause. Jedenfalls nicht wirklich. Der Rabauke erkannte das und begann überheblich zu grinsen: „Du verstehst es... Ich bin Thanatos. Wie heißt du?“ „Billiana.“ „Ah? Die Tochter des Herrschers, ja?“ „Mhm, ja...“ „Ist uns egal. Wir sind alle aus Häusern seiner Anhängerschaft.“, winkte Thanatos schulterzuckend ab. „Wir werden dich die Tage mal austesten und schauen, ob du für uns nützlich sein kannst.“ „Ich habe doch gar nicht zugestimmt!“ „Doch, hast du. Wir sehen uns morgen.“ Von diesem Tag an war sie mit ihnen befreundet gewesen. Ihre ersten, gleichaltrigen Freunde, die mit ihr Pferde stehlen gingen. In dieser Gruppierung hatte die Elfe ihre ersten Kampferfahrungen gesammelt. Natürlich liefen die nicht immer reibungslos ab, doch all die Verletzungen nahm sie in Kauf, um nicht mehr alleine zu sein. Um sich für die Pein zu rächen, die man ihr stets zugefügt hatte. Thanatos hatte recht gehabt: Ihr war zu oft Leid zugefügt worden und es waren immer die Erwachsenen gewesen. Wie gefährlich ihre Unternehmung auch sein mochte, machten sie sie frei. Das war es, was jedes Kind von ihnen wollte. Frei sein...  Die Unterwelt hinter sich lassen. Es war keine wirkliche Rebellion gegen den Thron, sondern vielmehr gegen das Leben, was man ihnen aufzwang. Jedoch endete ihre Rebellion... Ihre Freiheit. Sie waren größtenteils im jugendlichen Alter angelangt und machten die Ausbildungen, die ihre Familien ihnen aufzwangen. Soldaten, Magier, Gelehrte... Was auch immer ihre Eltern für richtig hielten. Thanatos hatte zusammen mit ihr die Soldaten-Ausbildung begonnen und sie hatten oft zusammen trainiert. Dabei rekrutierten sie immer mal neue Kinder und Jugendliche für ihre Gruppe. Es blieb ein aufregendes Spiel. Dann kamen die Soldaten... Fast alle aus ihrer kleinen Rebellion wurden gefangengenommen und schließlich Hades vorgeführt. Sie selbst zwang er, neben ihm zu stehen und in ihre ängstlichen Gesichter zu blicken. Ihr Vater wollte, dass sie erkannte, dass dieser Aufstand rein gar nichts bewirkt oder verändert hatte. Und er wollte, dass sie sich schuldig fühlte... Dass es ihr so vorkam, als hätte sie all das verhindern können, wenn sie ihren Freunden bloß geraten hätte, diese Angriffe sein zulassen. Nicht mehr Propaganda gegen ihn zu führen... „Leugnet ihr, dass ihr Verräter seid?“, fragte ihr Vater mit eiskalter Stimme. Seine grauen Augen fixierten die Kinder und Jugendlichen, die sich beinahe nass machten. Die meisten von ihnen standen zum ersten Mal vor dem Herrscher höchstselbst. „Nein.“, antwortete Thanatos und sorgte dafür, dass alle den Atem anhielten. „Leugnet Ihr, dass Ihr ein beschissener Herrscher seid?“ Just in diesem Augenblick war Billie bewusst geworden, dass sie nichts hätte sagen oder tun können, was Thanatos von dieser Rebellion abgehalten hätte. Er war überzeugt... „Du bist also der kleine Anführer, ja? Thanatos, richtig? Deine Eltern müssen unfassbar stolz auf dich sein.“, zischte ihr Vater kühl, während er ihn fixierte. „Glaubst du wirklich, dass diese frechen Sprüche mich beeindrucken?“ „Nein, aber das ist mir ziemlich egal. Ich werde nicht darüber schweigen, was hier schiefläuft.“ „Du meinst, weil wir unsere Kinder schlagen, foltern und vergewaltigen? Dass wir euch hungern lassen, wenn ihr etwas falsch macht? Man euch zu Soldaten ausbildet, damit ihr auf dem Schlachtfeld sterbt?“ „Genau das meine ich.“ Mit offenem Mund starrte sie ihren Freund an und fragte sich, woher er diesen Mut nahm. Wieso er nicht einfach schwieg... Oder seine Rebellion abstritt! Sie selbst wäre viel zu feige, sich so offen mit Hades anzulegen, der keine Gnade kannte. „Wer hier zu schwach ist, um sich gegen diese Übergriffe zu wehren, muss damit leben, dass er leiden muss.“, sagte ihr Vater hart. „Wenn du damit nicht klarkommst, dann bist auch du zu schwach für die Unterwelt.“ „Und doch lebe ich noch. Habe so lange überlebt...“ „Das endet jetzt. Ich verurteile euch alle offiziell zu Hochverrat. Ihr werdet in die tödlichen Ebenen gebracht und dort ausgesetzt. So wie eure Eltern.“ Empörung brach im großen, düsteren Thronsaal aus. Vor allem die eigentlich unschuldigen Eltern waren fassungslos über diese Entscheidung. Dennoch wagte es keiner, offen gegen das Urteil zu protestieren. Nicht mal sie... Die tödliche Ebene war ein Teil der Unterwelt, auf der das Überleben unmöglich war. Magie brach an jenem Ort aus Boden und Himmel aus und töteten jeden, der sich dorthin verirrte. Ob Unterweltler oder Tier... Es gab keine Pflanzen mehr, sondern nur noch wüstenartigen Sandboden. Selbst Felsen waren unter den Ausschüttungen der Magie einfach pulverisiert worden. Billiana hatte jenen Ort mal aus der Ferne gesehen. Sataniel hatte ihn ihr gezeigt... Und er hatte ihr berichtet, dass Hades alle vermeidlichen Verräter und Rebellen dorthin hinbrachte, damit sie möglichst qualvoll durch die überschüssige Magie starben. Es zerfetzte ihre Leiber. Es gab in der Unterwelt kaum eine Bestrafung, die schlimmer war, als in der tödlichen Ebene ausgesetzt zu werden! Selbst für die Soldaten, die die Gefangenen dorthin bringen mussten, barg es stets ein Risiko. „Was ist mit ihr?!“, keuchte plötzlich einer der Jungen, den man am Oberarm gepackt hatte, um ihn wegzuschleifen. Er deutete auf Billiana, die sofort erstarrte. „Halt‘ den Mund!“, zischte Thanatos wütend. Unter ihnen hatten sie sich geschworen, sich niemals zu verraten. Nicht für Essen. Nicht für Freiheit. Für gar nichts... „Sie hat doch mitgemacht! Warum werden dann nur wir bestraft?!“ „Hattest du ernsthaft geglaubt, dass ich meine eigene Tochter mit euch verurteile?“, fragte Hades mit einem kalten Lachen. „Ihr seid nur Abschaum. Sie wird leben, aber sie wird ebenfalls ihre gerechte Strafe erhalten. Seid unbesorgt.“ „Was soll das für eine Strafe sein?“, hinterfragte Thanatos verunsichert. Er hatte bis dahin wohl gehofft, dass ihr Vater nichts von der Zusammenarbeit wusste. „Sie wird eine Überlebende. Sie wird ihre einzigen Freunde überleben, junger Thanatos. Sie wird sich an diesen Tag erinnern, an eure Gesichter und die Angst und sich schuldig fühlen.“, führte er die bestialische Strafe aus. „Und sie wird sich immer fragen, ob sie das hätte verhindern können. Ob sie nicht eure Strafe hätte teilen sollen. Es wird sie zerstören.“ „Billie!“, schrie Thanatos, als man ihn packte und rauszerren wollte. Noch nie hatte jemand sie so genannt. Seine Augen brannten wie Feuer, während er nur sie ansah: „Du bist nicht schuld! Vergiss das niemals!“ „Thanatos!“, keuchte sie und löste sich endlich aus ihrer Starre, doch Sataniel packte sie bereits, damit sie nicht eingreifen konnte. Dabei flüsterte er ihr zu, dass sie ruhig bleiben müsste. „Du warst nie schuld, bist es nicht und wirst es nie sein! Vergiss‘ das nicht, versprich‘ es mir!“, schrie er im Feuereifer. „Werde stark und ehre unser Andenken, Billie! Du weißt, dass unsere Sache richtig war! Du weißt es!“ Tränen füllten ihre Augen, während ihre einzigen Freunde aus der Halle gezerrt wurden. Ihre Schreie waren für die Elfe noch lange zu hören, die gebrochen ihre nassen Augen schloss. Innerlich versuchte sie sich von der Schuld freizusprechen, die Hades ihr auflasten wollte. Noch ging es nicht... Noch sah sie die Kinder und Jugendlichen vor sich, die zu Unrecht verurteilt worden waren. Es war das erste Mal, dass Sataniel sie tröstend in die Arme nahm und an sich drückte. Das erste Mal, dass sie den sonst so distanzierten Ausbilder und Leibwächter als Mann wahrnahm. Und doch war sie zu erstarrt, um diese Umarmung zu erwidern, die ihr so viel Trost spendete. Er zischte irgendwas zu ihrem Vater, was in einem Rauschen unterging. Was es auch war, hielt ihn davon ab, sie zu trennen und ihre Strafe auf Prügel zu erweitern. Immerhin ließ er sie als Überlebende zurück... Ein Schicksal, das sich in ihrer Zukunft immer wieder wiederholte, als sei sie in einer Endlosschleife gefangen.   Schweißgebadet saß Billiana kerzengerade in dem Gästebett, das so schön weich und warm war. Spuren von getrockneten Tränen lagen auf ihren Wangen, während ihre Augen sich noch feucht anfühlten. Sie hatte lange nicht mehr an jene Zeit gedacht. Schon gar nicht davon geträumt! Es war so seltsam präsent gewesen, als wäre es erst gestern gewesen. Während sich ihre eisblauen Augen umsahen, erinnerte sie sich, dass sie sich in Rabenwacht befand. Im Schloss des Königs... In Sicherheit. Ein Gefühl, das sie seit Jahrzehnten gar nicht mehr kannte. Nachdenklich blickte sie an sich herab. Sie war vollkommen nackt, weshalb sie das Glänzen der Schweißperlen auf sich entdecken konnte. Der Traum hatte sie psychisch und körperlich offenbar sehr gefordert. Vorsichtig sah sie neben sich. Kelvin lag ebenso nackt in dem Bett und war in den Decken und Fellen eingerollt. Er wirkte so unfassbar friedlich. Thanatos... Du warst schon als Kind unfassbar wütend und mutig. Leider hat dich das zu früh den Kopf gekostet..., dachte sie mit ehrlichem Bedauern. Jedoch hatte er sie auch dazu gebracht, offen gegen ihren Vater zu rebellieren. Ihn nicht mehr alles zu erlauben. An jenem Tag, als ihr Vater sie gezwungen hatte als Überlebende zurückzubleiben, war die schwache, wehrlose Billiana gestorben. Sie war mit ihren Freunden in die tödliche Ebene gebracht und dort ausgesetzt worden. Dafür war Billie geboren worden, die sich nicht mehr schlagen, foltern oder vergewaltigen ließ. Die nicht nur nickte. Wie Thanatos es sich gewünscht hatte, war sie stark geworden. Sie hatte weiter rebelliert, weil ihre Sache richtig war. Hatte Kinder aus der Unterwelt gerettet und sie in andere Welten geschickt, in denen sie ein besseres Leben hatten. Zittrig wollte sie aus dem Bett steigen, doch der Rebellenanführer umfing ihren Bauch plötzlich mit seinen starken, warmen Armen. Überrascht sah Billie zu ihm herunter und sah in erstaunlich besorgte blaue Augen. Offenbar hatte er nur so getan, als würde er noch schlafen. „Wo willst du hin?“, fragte er leise. „Auf den Balkon.“ „War dein Albtraum so schlimm?“ „Wie lange bist du schon wach?“, fragte die Attentäterin irritiert. „Eine Weile... Habe dich ein bisschen beobachtet und gestreichelt, aber irgendwie hast du dich nicht entspannen können. Wollte dich aber auch nicht wecken...“ „Ist vermutlich auch besser, wenn du mich nicht plötzlich weckst.“ „Würdest du mich wirklich versehentlich töten? Oder sogar absichtlich, weil ich dir deinen Schönheitsschlaf raube?“, kicherte Kelvin und wollte sie offenkundig aufheitern. „Höchstens versehentlich... Vor Schreck.“ „Darf ich fragen, was du geträumt hast?“ „Nur etwas aus meiner Kindheit...“, gestand sie seufzend. „Ist nicht so wichtig.“ „Nicht so wichtig? Du hast dich gewälzt, geschwitzt und immer wieder »Thanatos« geschrien. Erscheint mir schon wichtig zu sein.“ „Fühlst du dich schuldig? Wegen Amelie?“ „Natürlich.“ „Und ich fühle mich wegen Thanatos schuldig...“ „Hat er sich für dich geopfert?“, fragte er so taktvoll wie er eben konnte. Doch die Neugier war dem Rebellen ebenfalls anzusehen. Oder der Wunsch, sie zu verstehen... Sie wusste es nicht so genau. „Sozusagen... Es ist schwer zu erklären.“ „Amelie lebt in mir weiter, wenn ich sie nicht vergesse, weißt du? Sie ist nicht wirklich tot...“, sagte er und setzte sich neben ihr auf, damit er ihr direkt in die Augen sehen konnte. „Ich bewahre ihr Lachen, ihr Lächeln, ihre Stärke, aber auch ihre Schwäche. Ihr Weinen... Ihren Kummer. Ich bewahre unsere gemeinsamen Erinnerungen. Unsere Gespräche. Solange ich sie nicht vergesse, stirbt Amelie nicht. Sie ist längst ein Teil von mir. Und so ist es auch mit diesem Thanatos. Er lebt durch dich weiter.“ Obwohl sie es nicht wollte, flossen die Tränen doch unaufhaltsam, während sie ihm lauschte. Trauer überkam sie, aber auch ein anderes Gefühl. Sie konnte es nicht wirklich deuten... Erleichterung? Sie wusste nur, dass er sie zu verstehen schien. Schamvoll presste sie sich an Kelvin und drückte ihr Gesicht direkt in seine Halsbeuge. Es würde seine Haut mit den salzigen Tränen besetzen, doch es schien ihn nicht wirklich zu stören. Stattdessen umfingen seine starken Arme sie erneut, damit er sie dicht bei sich behalten konnte. Er zwang sie nicht, ihn anzusehen. Schien es zu respektieren, dass sie ihre Tränen nicht offen zeigen wollte, auch wenn sie wusste, dass sie keine Schwäche waren. Er war einfach nur da. Spendete ihr Ruhe und Frieden. Gab ihr Verständnis. Er ahnte nicht mal, wie viel er ihr gab...   Auf seine Bitte hin war Billiana am Morgen in dem Thronsaal erschienen. Es war direkt nach dem Frühstück. Natürlich hatte Konstantin sein Personal deutlich darum gebeten, auch Bartholomäus Adlerherz so gut wie möglich zu versorgen. Er war an sich eine Art Gefangener, doch ihm war es wichtig, dass er sich eher als Gast fühlte. Benedikt brachte den besagten Adelssohn in Begleitung einiger Soldaten in die riesige Halle. Bartholomäus sah sich interessiert um. Er war zum ersten Mal ein Gast in diesem Thronsaal. Je nachdem, wie er sich entschied, würde es auch sein letzter Aufenthalt hier sein. Er kam nicht drumherum, seinem heimlichen Geliebten einen kurzen Blick zu schenken. Ben erwiderte den Blickkontakt mit einem schelmischen Grinsen, fand aber schnell seine übliche Fassung wieder. Durell schien nur mit der Sicherung des Thronsaals beschäftigt zu sein, aber bei Billie sah er etwas in ihren Augen funkeln. Sie musste bemerkt haben, wie sie einander ansahen. Es erinnerte ihn daran, dass er zukünftig vorsichtiger sein musste, wie er Benedikt ansah. „Lord Adlerherz, es ist mir eine Ehre Euch persönlich kennenzulernen, wenn die Umstände auch bedauerlich sind.“, sagte Konstantin, nachdem der Mann mit etwas Abstand vor seinem Thron verharrte. „Ich habe wirklich sehr viel von Euch und Euren Leistungen gehört. Eure Karriere ist wahrlich beeindruckend.“ „Danke, Majestät.“ „Es ist schade, dass Ihr in diese Sache hereingezogen worden seid. So war das nicht geplant.“ „Ich weiß...“ „Trotzdem würde ich Euch gerne davon überzeugen, dass Ihr die Sache ruhen lasst und Euch stattdessen meiner Armee anschließt.“, verkündete Konstantin und nahm den überraschten Blick von Bartholomäus durchaus wahr. „Ich bin mir sicher, ich finde auch einen höheren Posten, der Euren Fähigkeiten entspricht. Oder eine andere Anstellung, wenn Ihr vielleicht einen anderen Beruf anstreben solltet.“ „Im Austausch für mein Schweigen?“, erwiderte der Hauptmann des Kolosseums mit gestrafften Schultern. „Ich soll nicht verraten, dass Ihr in Wahrheit hinter dem Ausbruch steckt?“ „Das ist korrekt.“ „Man würde mich als Verräter ächten, wenn ich plötzlich in Euren Diensten bin, nachdem Theodor hier aufgetaucht ist.“ „So ist es, aber selbstverständlich würden wir Euch nicht ausliefern. Ihr wärt sicher.“ Plötzlich setzte sich Billiana in Bewegung und stellte sich direkt neben ihm. Sie wirkte so erhaben, als sollte sie eigentlich seine Krone tragen. Doch ihre gestraffte Haltung passte auch zu einer wirklich gut ausgebildeten Leibwächterin, die für ihn sterben würde. Irgendwas sagte ihm, dass sie das tun würde... „Ihr habt wahnsinnig gut gekämpft, Hauptmann.“, sagte sie mit charismatischem Eifer. „Ich ließ Euch am Leben, damit Eure Begabungen der Nachwelt erhalten bleiben. Ich denke – nein – ich bin davon überzeugt, dass Ihr Rabenwacht gute Dienste leisten könnte. Bessere Dienste, als Ihr sie dem Kolosseum leistet. Wertvollere...“ „Ich möchte das Kompliment gerne zurückgeben, Billie. Eure Fähigkeiten sind beeindruckend.“, erwiderte Bartholomäus erstaunlich gefasst. „Und ich gebe zu, dass ich Euch glaube. Ich denke auch, dass ich nützlich sein könnte und ich mich in Rabenwacht sogar zuhause fühlen könnte...“ „Etwas hindert Euch an der Zustimmung.“, schloss Konstantin an seiner Ausführung. Bartholomäus nickte. Nun war es Benedikt, der etwas vortrat, aber nicht auf das Podest stieg, um sich ebenfalls zu dem König zu gesellen. Es kam ihm eher so vor, als wollte er sich für den Hauptmann des Kolosseums stark machen. „Bitte verzeiht, Majestät, ich sollte mich nicht einmischen...“ „Bitte, sprich‘.“ „Als ich für Euch ein Treffen mit Lord Optimus sichern sollte, habe ich mich auch über Lord Adlerherz informiert. Er hat einen jüngeren Bruder, der im Schlund ist.“, erklärte sein Hauptmann ihm sachlich. „Ich bin mir sicher, dass er in Sorge um ihn ist. Bisher hat er seine Schulden mit seinem Lohn im Kolosseum versucht zu begleichen... Er hat einen Vertrag mit dem Weltenlenker.“ „Ist das so?“, hinterfragte Konstantin ehrlich überrascht und sah wieder zu Bartholomäus. „Ja, Eure Majestät... Die Nachforschungen von Ben sind absolut zutreffend. Und seine Vermutung ebenso.“ „Was kann ich für Euch tun, um Euch diese Sorge zu nehmen?“ „Ich muss mir sicher sein, dass er in Sicherheit ist oder er-... Na ja... Dass er-...“, Lord Adlerherz brach ab. Sein Herz schien schwer von Sorgen zu sein, weshalb sein Anliegen ihm aufrichtig erschien. „Ihr wollt sicher sein, dass er nicht mehr leiden muss. Man ihn nicht gegen Euch einsetzen kann.“, beendete Billie nüchtern die Ausführung. „Er soll lebend in Sicherheit sein oder die Sicherheit im Tod finden.“ Bleiern nickte er. „Ihr seid Euch ohnehin nicht sicher, ob er noch lebt. Ist doch so?“ „Ihr habt recht, Lady Billie.“ „Nennt mich bitte nicht Lady... Diesen Titel mag ich gar nicht.“ „Verzeihung...“, sagte der Hauptmann des Kolosseums und senkte reuevoll den Blick. Da war auch etwas Scham. „Weshalb seid Ihr unsicher, ob Euer Bruder noch lebt?“ „Seit vielen Monaten schreibe ich ihm Briefe, doch er antwortet nie. Auch sonst gibt es keine Lebenszeichen. Ich befürchte, dass er im Schlund gestorben sein könnte und der Weltenlenker es mir verheimlichen will.“ Konstantin musste zugeben, dass das ein bedauerlicher Umstand war. Sie hatten keine Ahnung, ob der Bruder dieses Mannes noch lebte und falls ja, in welchem Zustand er sich befand. Zumal keiner wusste, wo genau der Standort des Schlunds war, an dem nach Mithril geschürft wurde. Es gab also nicht gerade viele Optionen, um Bartholomäus tatsächlich Gewissheit zu verschaffen. „Mal angenommen, ich könnte Euch diese Gewissheit verschaffen, würdet Ihr Euer Knie dann vor König Konstantin beugen?“, fragte die Elfe plötzlich. Erstaunt sah er auf und starrte sie eine Weile atemlos an. Während er unsicher war, ob es überhaupt möglich war, diese Antworten zu liefern, schien sie absolut überzeugt davon zu sein. „Ja, wenn Ihr mir beweist, dass er in Sicherheit ist – egal, auf welche Weise – dann werde ich einen Treueeid leisten und ihn niemals brechen.“ „Gut, dann werde ich mich dieser Sache annehmen.“ „Ähm, Billie...“, flüsterte er ihr leise zu. „Haltet Ihr das für eine kluge Idee? Wir haben keine Ahnung, wo die Minen des Weltenlenkers sind.“ „Wir vielleicht nicht, aber ich kenne jemanden, der es weiß.“ „Selbst, wenn, dürfte der Schlund unfassbar gut bewacht sein! Falls Ihr ihn findet, bekommt Ihr ihn wohl kaum dort heraus...“ Tadelnd blickte die Elfe ihm nun direkt ins Gesicht: „Ich sage Euch doch auch nicht, wie Ihr Eure Arbeit zu machen habt, oder?“ „Nein... Verzeiht, ich wollte nicht anmaßend klingen.“ „Lasst mich nur machen.“ Diese Frau schafft mich..., dachte er verzweifelt, nickte dann aber trotzdem zustimmend. „Gut, Billie wird herausfinden, wie es um Euren Bruder steht. Bis dahin werden meine Soldaten Euch beaufsichtigen und Ihr dürft das Schloss nicht verlassen.“ „Selbstverständlich, Eure Majestät.“ „Ihr werdet gut versorgt werden, als wärt Ihr ein gewöhnlicher Gast. Ihr habt mein Wort, dass man Euch gut behandeln wird.“ „Danke.“, sagte Bartholomäus aufrichtig und sah dann zu Billiana. „Und auch an Euch.“ „Ich tue das nicht für Euch. Ich tue es für König Konstantin und für Euren Bruder.“ „Das respektiere ich und dennoch ist mein Dank aufrichtig.“ Kurz zuckten ihre Mundwinkel zu einem Lächeln, doch sie wirkte nach wenigen Herzschlägen schon wieder ernst. Derweil führte Benedikt den Hauptmann des Kolosseums wieder aus dem Thronsaal. Er warf ihm zwar einen Blick über die Schulter zu, mischte sich in diese Entscheidung jedoch nicht ein. Seufzend setzte sich Konstantin auf seinen Thron, in dessen Nähe sich auch Durell aufhielt. Er hatte bisher nichts zu dem Ganzen beigetragen und beobachtete Billiana. Sie musste eine dauerhafte Gefahr für ihn darstellen, weil sie ihn sicherlich spielend leicht töten könnte. Wenn sie denn wollte... „Warum tut Ihr das?“, hinterfragte der König und sah sie wieder an. „Weshalb wollt Ihr mir unbedingt helfen?“ „Ich hoffe, dass das Eure Entscheidung beeinflusst, ob Ihr der Rebellion helft.“ „Ah... Natürlich.“ „Wisst Ihr, selbst wenn wir scheitern sollten, hätten wir es wenigstens versucht. Es ist eine gute Sache... Es ist richtig so.“ „Ja, ich stimme Euch zu und kann Euch beruhigen: Nachdem ich mich beraten habe, habe ich beschlossen, dass ich der Rebellion helfen werde.“, schwor Konstantin aufrichtig. „Meine beiden Hauptmänner sind überzeugt davon und ich bin es auch.“ Zufrieden begann die Blondine zu lächeln und hob den Kopf etwas mehr an: „Ist das wahr?“ „Ja. Ihr müsst das alles also nicht machen...“ „Ich gab mein Wort, also werde ich auch nach seinem Bruder suchen. Auch Lord Adlerherz könnte noch nützlich sein... Wenn nicht für die Rebellion, dann für Euch.“, erklärte sie gefasst. „Danke...“, murmelte er etwas verlegen und kratzte sich am Hinterkopf, ehe er zu lächeln begann. „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch wieder zurückziehen, Billie.“ „Majestät.“, sagte sie respektvoll und verbeugte sich, ehe sie sich umdrehte und ging. Er musste zugeben, dass sie eine beeindruckende Frau mit eisernen Prinzipien war. Was immer sie auch in ihm sah, es sorgte für Loyalität. Die Form der Treue, die der Weltenlenker niemals erfahren würde, weil er mit Angst regierte. Zufrieden lehnte er sich in seinem Thron zurück und starrte etwas an die prunkvolle Decke. Sein Vater hatte sie irgendwann restaurieren und ein aufwändiges Gemälde malen lassen. Was genau es darstellen sollte, wusste Konstantin bis heute nicht, aber er betrachtete es dennoch gerne. „Meint Ihr, sie kann das wirklich schaffen?“, fragte Durell kleinlaut. „Wenn es jemand schafft, dann wohl sie.“ Trotzdem musste er sich einen alternativen Plan überlegen, um Bartholomäus notfalls dennoch überzeugen zu können. Er wollte es lieber nicht riskieren, dass er sich gegen sie wandte. Die Elfe hatte schon recht damit, dass seine Fähigkeiten sehr wertvoll für ihn werden könnten. Aber wie sichert man sich die Loyalität eines solchen Mannes, falls man ihm seinen einzigen Wunsch nicht erfüllen kann? Er scheint mir sehr entschlossen zu sein..., sinnierte der König verunsichert. Diese Frage zu klären, würde einige Gespräche mit seinen Hauptmännern erfordern. Sie waren diesem Mann viel ähnlicher und konnten seine Beweggründe besser nachvollziehen. Nur wollte er jedem erstmal etwas Zeit geben, um die neusten Ereignisse zu verarbeiten.   Es war eigenartig nach drei Jahren plötzlich wieder frei zu sein. Wieder richtiges Essen zu bekommen... Es fühlte sich falsch an, dass niemand ihn in Ketten legen wollte, wenn er durch die Straßen von Rabenwacht wanderte. Niemand kannte ihn. Weder als Gladiator noch als Bauer. Theodor war aufgefallen, dass einige Damen ihm kichernd nachsahen und miteinander tuschelten. Sie deuteten auf ihn, als sei er eine Attraktion. Vermutlich lag es daran, weil er bloß eine enge Lederhose trug und ein offenes, weißes Hemd. So konnten sie einen herrlichen Blick auf seinen trainierten Körper werfen. Sein Six-Pack war sicherlich ein seltener Anblick inmitten der Mauern und erst recht außerhalb. Generell wirkten die meisten Männer neben ihm wie schwächliche Knaben. Ab und zu lächelte er einer Dame zu oder grüßte sie, wenn er vorbeischlenderte. Dabei empfand er nichts. Keine Erregung, kein Begehren. Er wollte nur höflich sein und ihnen dieses bezaubernde Kichern entlocken. Rabenwacht hatte sich in den drei Jahren wahnsinnig verändert und gleichzeitig auch nicht. Der Baustil war identisch, doch die Größe der Hauptstadt war kaum vergleichbar. Offenbar hatte man sogar die Mauern mehrmals versetzen müssen, denn er erkannte hier und da mal, dass eine Mauer eingerissen worden war. Einige hatte man einfach so stehenlassen, sodass es mehrere Befestigungsringe gab. Neugierig war er auf eine der höheren Mauern gestiegen, um einen besseren Blick über die belebte Stadt und ihre Entwicklung zu haben. Es war eher Glück, dass er sich einen Aussichtspunkt auswählte, durch den er feststellte, dass derzeit eine Kombination aus Brücke und Mauer in Bau war. Es gab diverse Geräte, die offenbar zum Heben und Bewegen von Lasten dienten. So etwas hatte er noch nie gesehen. Es gab einen gigantischen Krater, der durch das Landesinnere verlief. Niemand wusste, wie er ursprünglich entstanden war, jedoch wurden einst zahlreiche Brücken darüber errichtet, damit der Lebensberg komplett genutzt werden konnte. Eben diesen Krater versuchte man auch hier zu überwinden. Auf der anderen Seite entdeckte er einige Häuserreihen, die früher nicht da waren. Unter anderem für diese Grundstücke wurde gewiss dieses gigantische Bauwerk errichtet. Es würde sicherlich bald zu einer weltweiten Attraktion werden, wenn Konstantin sie weiterhin so ausbaute. „Beeindruckend, nicht wahr?“, fragte ihn plötzlich ein Mann, mit dem er nicht gerechnet hatte. Schockiert sah er zur Seite und stellte fest, dass es Durell war. Bisher hatten sie noch nicht miteinander gesprochen. Der ehemalige Gladiator hatte lieber das Schloss und die umliegende Stadt erkunden wollen. Wollte die Freiheit schmecken, die plötzlich so befremdlich zu sein schien. „Ja... Ja, ist es.“, stimmte er zu und rang um Ruhe. Es wäre nicht so gut, wenn er ihn einfach über die Mauer warf, wenn ein Teil von ihm auch glaubte, dass er es verdient hätte. „Die Brücke ist nun seit fast zwei Jahren in Arbeit und inzwischen ist der Bau fast abgeschlossen. Viele ziehen nun schon auf die andere Seite.“ Darauf sagte er nichts. Wenn er ehrlich war, wusste er nicht mal, ob er diese Fakten wissen wollte. Oder eher: Ob er diese Fakten von ihm wissen wollte! „Was damals geschehen ist... Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie unfassbar leid es mir tut.“, begann der Hauptmann der Leibwache dann reuevoll. „Ich habe meine Befehle zu spät infrage gestellt und Euch mit Euren Ängsten alleine gelassen. Das ist unverzeihlich... Und dennoch möchte ich mir Eure Vergebung verdienen.“ „Warum?“ „Wie bitte?“ „Aus welchem Grund wollt Ihr Euch meine Vergebung verdienen?“, hakte Theodor ernst nach. „Es ist doch eh alles zu spät und könnte Euch egal sein.“ „Ich weiß es nicht... Es ist mir einfach ein Bedürfnis und fühlt sich richtig an.“ „Also wollt Ihr Euer schlechtes Gewissen beruhigen?“ Durell seufzte, während er sich über die Brüstung der Mauer lehnte: „Auch, ja, aber ich würde Euch auch gerne Frieden bringen. Nur ein bisschen...“ Obwohl er ihn hassen wollte, konnte er es nicht. Der frühere Bauer entdeckte etwas in seinen Augen. Seine Worte wirkten aufrichtig... Da war ein schlechtes Gewissen, aber auch der Wunsch, ihm zu helfen. Wiedergutmachung zu leisten. Nur wusste Theodor nicht, ob man das alles irgendwie wiedergutmachen konnte. Ob er fähig war, ihm zu vergeben. Natürlich verstand er, dass der junge Mann damals nur Befehle befolgt hatte und vermutlich genauso verängstigt gewesen war wie er selbst. Er verstand sogar, dass er auch im Nachhinein nicht mit Konstantin über jene Ereignisse gesprochen hatte. Nur fiel es ihm verdammt schwer, sein Wissen auch mit seinem Herzen zu vereinbaren. Sein Verstand hätte jedoch nichts gegen Vergebung. Ein Knurren riss den ehemaligen Gladiator aus seinen Gedanken. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ein grauer, großer Wolf hinter ihnen saß und sie beobachtete. Er wusste sich nicht zu helfen, doch irgendwie wirkte das Tier wahnsinnig intelligent. Seltsamerweise griff er sie weder an noch versuchte er die Flucht zu ergreifen. „Er ist zahm. Na ja... Soweit man das von einem Wolf behaupten kann.“, erklärte Durell, als er seine Verwirrung bemerkte. „Ich bilde sie für Kampfgeschehen aus und auch für Patrouillen. Im Moment patrouilliert er mit mir.“ „Ist das so?“ „Ja... Er ist noch recht jung und manchmal etwas ungestüm, doch es bessert sich.“ Theodor sah sich um. Keiner der anderen Soldaten schien sich an dem Wolf zu stören. Einige wenige tätschelten ihn sogar kurz oder gaben ihm ein Stückchen Fleisch! So etwas hat es hier früher definitiv nicht gegeben., dachte er ehrlich erstaunt. Wölfe, die wie Soldaten behandelt werden. Die patrouillieren und einen beobachten... Doch es war dennoch beeindruckend. Immerhin waren das gefährliche Raubtiere, die sich gar nicht gerne zähmen ließen. Aber gewiss waren sie auch sehr effektive Partner im Kampf, die ihre Gegner wahre Furcht lehrten. Allmählich verstand er, was sein bester Freund an diesem halben Kind fand. Er hatte beeindruckende Fähigkeiten und schien das Herz am rechten Fleck zu haben. Vielleicht arbeitete er etwas zu viel, denn er hatte dicke Augenringe, aber das ging ihn kaum etwas an. Zumindest bereute er den Vorfall von vor drei Jahren. „Schwamm drüber...“ „Was?“ „Vergessen wir die Sache von damals.“, seufzte Theodor abwinkend. „Ich kann dir vielleicht noch nicht vergeben, aber versuchen wir es erstmal mit vergessen. Neuanfang, wenn man so will...“ „Wirklich?“, hinterfragte Durell hoffnungsvoll. Langsam sah er zu ihm herüber, während seine Augenbraue amüsiert in die Höhe zuckte: „Sofern du versprichst, dass du mich zukünftig nicht mehr nachts entführst, kann ich damit leben.“ „Versprochen!“ Der junge Mann strahlte über beide Ohren und schien mit dem Gedanken zu spielen, ihn zu umarmen. Glücklicherweise entschied er sich dagegen. Das wäre wirklich zu früh und zu viel gewesen! Seufzend lehnte er sich wieder über die Mauer und sah über Rabenwacht, die Felder und fernen Berge hinweg. Ein Anblick, den er zu lange gemisst hatte. Der beinahe schon in einem Nebel verschwunden war... In manchen Nächten hatte er sich seine Heimat nicht mehr vor Augen führen können, um seinen Verstand zu beruhigen. An diesen Tagen war er oftmals kurz davor gewesen, sein Leben zu beenden... Überrascht entdeckte er tatsächlich Billiana und Kelvin, die offenbar auf den Weg zum Haupttor waren. Sie verließen also Rabenwacht wieder. Hat Konstantin ihre Bitte etwa abgelehnt? Gehen sie unvollrichteter Dinge nach Hause?, fragte er sich überrascht. Eigentlich war es ihm so vorgekommen, als hätte sein bester Freund ein echtes Interesse an der Rebellion, doch vielleicht hatte er aus anderen Gründen ablehnen müssen. Jedoch stand es ihm nicht zu, sich nach dieser Sache zu erkundigen. Er beließ es also dabei und drehte sich um, damit er endlich zum Schloss zurückkehren konnte. Durell begleitete ihn, ebenso wie der intelligente, graue Wolf, der stets die Umgebung sondierte. Es war ein eigenartiges Gefühl. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)