Die Drachensonate von Kylie (Band 2 - Drachen-Saga) ================================================================================ Kapitel 6: Entstehung der Welten -------------------------------- Billiana musste zugeben, dass sie wirklich beeindruckt war. Natürlich hatte Kelvin anfangs nur herumgealbert und nicht so mitgearbeitet, wie sie es sich erhofft hatte, doch er hatte schnell gemerkt, dass er damit nicht punkte. Die Elfe ließ ihn dafür nur immer härter arbeiten. Irgendwann hatte er dann nachgegeben und tat einfach, was man ihm auftrug. Nicht immer ohne Fragen, doch letztendlich überzeugte er nach wenigen Wochen. Für einen Menschen war er nicht einfach nur lernwillig, sondern erstaunlich aufgeschlossen. Selbst gefährliche Praktiken testete er bis zum Limit aus und stellte sich jeder noch so großen Herausforderung. Und er meisterte sie! Keiner ihrer Schützlinge hatte jemals solch ein Talent für Kampfkunst oder Folterwiderstand bewiesen wie er. Je mehr Schmerzen sie ihm zugefügt hatte desto mehr hatte er sich verschlossen. Natürlich hatte die Attentäterin alles über ihn erfahren, doch bei ihm hatte sie psychologisch arbeiten müssen. Erst dann erfuhr sie alles über seine verstorbene Verlobte, die ihr ungeborenes, gemeinsames Kind in sich getragen hatte und sich dennoch opferte. Sie erfuhr, wie schrecklich es sich anfühlte. Wie er sich aus der Asche erhoben und einen Aufstand anzettelte, der noch nie da gewesen war! Billie war wirklich beeindruckt von der Anzahl seiner Männer. Von ihrer Loyalität. Doch vor allem war sie von seiner Loyalität seinen Männern gegenüber beeindruckt. Je mehr sie ihn zwang sich zu öffnen desto schneller lernte er, sich zu verschließen. Den Schmerz nicht in sein Herz zu lassen. Ihre Worte nicht in seinen Verstand eindringen zu lassen. Er ließ los. Zog sich in glückliche Momente seines Lebens zurück, wie sie es ihm geraten hatte. Anfangs bekam er nicht mehr mit, was sie ihn fragte. Er war so gefangen in seinem Gedankenpalast, dass die Folter fast spurlos vorbeiging. Schließlich konnte er beides tun. In seinen Erinnerungen schwelgen und ihr aufmerksam lauschen, um mehr über sie zu erfahren. Kelvin hatte sogar den Spieß teilweise umdrehen können! Durch ihre Fragen Dinge erahnt und sie gegen sie eingesetzt. Schmunzelnd erinnerte sie sich an diesen Augenblick seines Triumphes. Als sie das erste Mal innehielt und ihn einfach nur fassungslos anstarrte. Wie stolz er gewesen war... Sie hatte sich niemals so über ihre Fortschritte gefreut wie er. Doch er lernte all das für ein größeres Wohl als sich selbst. Er lernte es nicht, um seinem Vater zu gefallen oder weil es seine Pflicht war. Er tat es für seine Männer. Auf dem Hügel konnte sie ihn gut beobachten. Zuschauen, wie er mit den Dolchen einige Übungspuppen malträtierte. Sein Waffenumgang hatte sich enorm gesteigert, ebenso wie sein Widerstand gegen Folter. Zwar nutzte er seine Magie immer noch zu viel, doch inzwischen glaubte die Attentäterin, dass er im Notfall auch ohne sie gut auskommen konnte. Wie ein Phönix aus der Asche..., dachte sie säuselnd. Das Feuer brennt so heiß in dir. Wenn du es doch nur selbst sehen könntest! Wenn du doch sehen würdest, wie alle anderen dich sehen, Auserwählter... Das war der Name, dem man ihm seit langem gab. Heimlich. Nur ein Flüstern, doch so sah das hungernde, leidende und missverstandene Volk ihn. Als den Auserwählten, der alles überlebte und für sie kämpfte, damit sie frei sein konnten. Und inzwischen glaubte sie auch, dass das Schicksal ihn erwählt hatte. Zu welchem Zweck würde sich noch zeigen. „Du magst ihn sehr.“, säuselte eine ihr vertraute Männerstimme. Sie musste nicht aufsehen, damit sie wusste, dass es ihr Halbbruder Connar war. Er war immer da. Irgendwie stets präsent. Er erfüllte das, was man sonst über verstorbene geliebte Menschen sagte. Stets an der Seite, um einen durch alle Widrigkeiten zu begleiten und das Herz zu berühren. Nur war er nicht tot. Und gewiss nicht so schmalzig veranlagt, um es genauso zu sehen wie sie. Obwohl er stets ihr Beschützer blieb. Das war offenkundig sein Schicksal. „Du warst noch nie so stolz.“, sagte Connar und beobachtete den Menschen bei seinem Training. „Hast dir noch nie so viel Mühe mit jemanden gegeben...“ „Es zahlt sich aus.“ „Das sehe ich. Er könnte wunderbar einen Truthahn tranchieren.“ Amüsiert zuckte ihre Augenbraue in die Höhe, doch die Elfe blickte ihn noch nicht an: „Besser als du auf jeden Fall. Du weißt kaum, welches Ende vom Dolch wohin gehört.“ „He, Vorsicht! Lass‘ das keinen hören, sonst bin ich geliefert.“ Lächelnd strich sie sich das lange, goldblonde Haar über die rechte Schulter, sodass ihr linkes Elfenohr zu sehen war. Es tat gut, wenn sie sich nicht verstecken brauchte. Sie waren weit abseits von jeglicher Zivilisation. Das nächste Dorf war Meilen weit entfernt, weshalb sie sich alles selbst jagten oder sammelten. Sie reiste nur selten zu den Orten, wenn sie mal etwas brauchten und ließ Kelvin dann im Wald trainieren. Die ersten Male war er ihr „heimlich“ gefolgt. Jedoch hatte der Essenzbeherrscher wohl schnell gemerkt, dass sie auf seine Hilfe nicht angewiesen war. Außerdem hatte er keine Fortschritte bei ihrer Rückkehr vorweisen können. Trotzdem hatte die Elfe ihn gelassen. Ihm nicht gesagt, dass sie durchaus gewusst hatte, dass er ihr gefolgt war. Billiana war sich sicher, dass er es letztendlich nur gut gemeint hatte. „Er erinnert dich an ihn.“, meinte Connar mit hochgezogener Augenbraue. „Bevor er einen Gottkomplex bekam. Bevor er alles wegwarf, was du ihm gegeben hast... Er seine Liebe zu dir vergaß.“ „Er hat sie nicht vergessen... Er verbannte sie nur weit in die hinterste Ecke seines Herzens.“ „Oh ja, das macht es ungemein viel besser! Ich vergaß, dass er irgendwo ein guter Mensch ist.“ Tadelnd blickte sie den Älteren an und musste dann doch wissentlich lächeln. Connar hatte sein Herz einst an die gemeinsame Schwester verschenkt, doch sie hatte diese Gefühle niemals erwidert. Seither war er recht verbittert. Nicht, dass Billie diesen ganzen Inzest unterstützte, doch sie verurteilte ihn auch nicht. Sie lebte strikt nach der Devise: Das Herz will, was das Herz will. Und wenn es einen Verwandten wollte, dann sollte es eben so sein. Solange nichts erzwungen wurde... Immerhin hatte sie selbst einst für ihren ältesten Bruder geschwärmt. Jugendlicher Leichtsinn und doch war es eine intensive Beziehung gewesen. „Ja, du hast recht... Wie so oft.“, säuselte die Elfe schließlich honigsüß. „Natürlich habe ich recht! Ich habe immer recht. Das ist mein angeborenes Vorrecht.“, sagte er ausschweifend. Natürlich lag der Schalk ihm deutlich auf den Lippen. Connar war vieles, aber sicherlich nicht eitel. Vielleicht ein bisschen selbstverliebter als gut war, doch auch gutherzig, intelligent und weitsichtig. Anders, als die anderen Markrhons. „Er ist was Besonderes...“, flüsterte Billiana zart und wandte den Blick wieder zu Kelvins Übungen. „Das war Wyrnné auch. Er war etwas Besonderes... Doch bei ihm ist es anders.“ „Du glaubst, dass er seine einzigartigen Begabungen und Talente nicht wegwerfen wird. Du glaubst an ihn...“ „So ist es.“ „Niemand kann dir dein Herz nochmals so brechen wie Wyrnné es getan hat.“, sagte der Illusionist ehrlich. „Niemand wird dich jemals mehr so enttäuschen... Denn du wappnest dich jeden Tag dagegen. Trotzdem lässt du diesen Menschen in dein Herz. Lässt zu, dass er Hoffnung in dir weckt... Was ist, wenn er dich doch enttäuscht, Schwester? Wenn er dich ebenfalls fallen lässt...? Er zu schwach ist, um deiner Hoffnung gerecht zu werden?“ „Dann habe ich immer noch dich, Brüderchen.“, erwiderte sie keck grinsend. „Du würdest mich auffangen und retten. Selbst vor mir selbst...“ Connar versuchte es nicht zu zulassen, doch sie sah das Zucken seiner Mundwinkel. Das Andeuten eines ehrlichen Lächelns. Die Art von Lächeln, welches die Augen erreichte. So selten und so kostbar, dass sich die Elfe versuchte, es in ihren Geist zu speichern. Um es abrufen zu können, wenn sie es brauchte. „Was haben diese ganzen Menschen bloß an sich, dass du stets so an ihnen hängst, Schwesterherz?“ „Das kann ich dir nicht beantworten. Vielleicht ist es die Art, wie sie ihr Leben zu genießen versuchen... Ihre Zeit ist so begrenzt.“ „Ja, sie wissen, wie man es genießt...“, seufzte er theatralisch. „Indem sie sich untereinander abschlachten, sich gegenseitig wehtun und einander verachten. Ich verstehe durchaus, dass das wirklich eine enorme Freude ist.“ Obwohl das nicht zum Lachen war, tat die Attentäterin es dennoch. Ein kurzes, spöttisches Lachen, als wäre er ein kleines Kind, welches etwas sehr Dummes gesagt hatte. Er war sichtlich verwirrt. Immerhin hatte er nur die Wahrheit über das Leben der Menschen gesagt. Sie waren Tötungsmaschinen und hassten alles, was anders war. Ihre Geschichte zeigte das deutlich. Sie teilten nicht gerne... Wollten, dass ihnen die ganze Welt gehörte und wenn sie diese hatten, wollten sie noch mehr. Dabei verdarben sie alles, was einst gut war... Er hatte für diese Rasse nicht viel übrig. Obwohl sie ihm laufend neue Seelen anboten. „Du siehst immer nur das Schlechte, doch Menschen lieben stärker und leidenschaftlicher. Sie streiten viel heftiger...“, säuselte die Blondine träumerisch. „Sind einander viel näher. Sie sind so eifersüchtig und neidisch... Wollen alles erreichen, solange sie es können.“ „Und dafür gehen sie über Leichen...“ „Das tun wir auch. Dabei haben wir genug Zeit, um es ruhiger anzugehen.“ „Verwechsle ihre Leidenschaft für Zerstörung nicht mit Liebe, Billie.“, tadelte er sie sanft. „Das tue ich nicht. Ich sehe sehr deutlich, was sie damit anrichten... Und trotzdem beneide ich sie darum. Ich beneide ihn...“ Sachte deutete sie mit einem Nicken auf Kelvin. Er entflammte gerade eine der Trainingspuppen, die sie ersetzen musste. Sein Blick zeigte deutlich, dass er das nicht vorgehabt hatte und ihm klar war, dass das Ärger bedeuten würde. Sie musste darüber schmunzeln. Dieses Mal würde sie ihn die Puppe selbst bauen lassen, damit er eine Lehre aus seiner mangelnden Kontrolle zog. „Worum beneidest du ihn? Dafür, dass er leichter entflammbar ist als ein Drache?“ „Dafür, dass er so leidenschaftlich für seine Ziele kämpft. Bereit ist, sich dafür zu opfern... Ich beneide ihn um dieses innere Feuer. Seinen Lebenswillen.“ Connar lächelte etwas, während er ihr sanft die Haarsträhnen über die rechte Schulter strich, die sich einfach davonmogeln wollten. Er liebte seine kleine Halbschwester. Er liebte sie mehr als alles andere auf dieser Welt. Er wusste, dass das wahr war. Ihm war klar, dass er niemals wieder so lieben würde wie er Billiana liebte. Dass er niemals ein aufrichtigeres Gefühl aufbringen würde als das. Dass sie litt, wusste er. Er hatte sie beobachtet. Er beobachtete sie immer... Auch, als sie ihre Liebe in den Minen verlor. Er hatte Argrims Leiche gefunden, sie aber dort unten gelassen, damit sie diesen Anblick nicht sehen musste. Der Illusionist hatte gewollt, dass sie ihn als Lebenden in Erinnerung behielt. Sich an sein Lachen erinnerte. An sein Lächeln... Seine warmen Hände auf ihrem Körper. Nicht an die milchigen, entsetzten Augen, die dem sicheren Tod entgegenstarrten. Nicht an die kalte, steife Maske eines einst großen Kriegers. Doch wenn er sie so sah und ihr lauschte, war er sich nicht mehr so sicher, ob es richtig gewesen war. Etwas in ihr war zerbrochen, als sie einen leeren Sarg beerdigt hatte. Als hätte sie Argrim aufgegeben. Als hätte sie mehr tun müssen, um seine Leiche zu finden und ihn angemessen zu begraben. Auch wenn es kein besseres Grab gab, als zwischen Gestein und dem Wissen, an der Seite jener Frau gestorben zu sein, die er geliebt hatte. Er wusste nicht, ob er es ihr jemals sagen würde. Ob sie es verstehen würde... Jedoch sagte ihm etwas, dass sie es längst wusste. Dass sie schon seit langem wusste, was er alles für sie getan hatte und tun würde. Sie war die einzige aus ihrer Familie, die wirklich liebevoll zu ihm war. Die ihn liebte. Billiana war die einzige Schwester, die wirklich von Bedeutung war. „In dir steckt dieses Feuer auch, Billie.“, sagte er absolut aufrichtig. „Noch viel heißer als bei ihm! Du hast mehr Antriebskraft als alle Menschen zusammen. Mehr Leidenschaft als sie... Niemand lebt so, wie du es tust. Niemand kämpft so wie du... Weißt du, woher ich das weiß?“ Langsam schüttelte sie den Kopf. Wagte es aber nicht, ihn anzusehen. Doch er erkannte, dass ihre Augen feucht wurden. Er sah, dass sie an seinen Worten zweifelte. „Weil du immer noch hier bist. Du bist noch hier, obwohl dich Wyrnné so sehr verraten hat. Obwohl Argrim gestorben ist... Obwohl deine Tochter sich umbrachte.“, schilderte Connar leidenschaftlich. „Trotz all dieser Grausamkeiten, die man dir antat, bist du immer noch hier. Du bist hier, um Midgard vor sich selbst zu retten. Du bist hier, um Wyrnné zu bekehren, obwohl niemand mehr etwas Gutes in ihm sieht - nicht mal er selbst. Du hättest umkehren und einen anderen Weg nehmen können, Schwester, einen leichteren Weg. Das hast du nicht getan. Stattdessen hast du den Kopf in den Himmel gereckt und zu den Sternen gegriffen. Auch wenn dein Name niemals in die Geschichtsbücher eingehen wird, wirst du diejenige sein, die alle rettet. Das hast du immer getan...“ „Ich konnte sie nicht retten...“, schluchzte die Elfe, die sich gegen die Tränen nicht mehr wehren konnte. Sie flossen über die sonnengeküssten Wangen und hinterließen eine Spur aus getrocknetem Salzwasser. Besudelten die hübschen Sommersprossen. „Weil es ihr Schicksal war zu sterben. Wie es Wyrnnés Schicksal war zu scheitern. Was nicht heißt, dass du sie nicht gerettet hast. Du hast ihren Leben einen Sinn gegeben. Reicht das denn nicht?“ „Mir hat es nie gereicht...“ „Und das ist in Ordnung. Das macht dich so stark.“ „Was ist, wenn ich nun wieder scheitere? Wenn sie alle sterben, wie damals meine Freunde?“, wollte sie heiser wissen. Sie würde die Tränen löschen, das wusste Connar. Würde es abschütteln, wie sie alles abschüttelte. Er kannte keine Kreatur im ganzen Universum, die auch nur ansatzweise so stark war. „Du wirst nicht scheitern. Es werden welche sterben, so ist es immer, aber du wirst nicht scheitern.“, prophezeite Connar überzeugt. „Dafür bildest du sie nun aus. Damit ihr gemeinsam siegen könnt. Alleine, kannst du das alles nicht beendet, doch zusammen seid ihr eine Armee.“ „Es sind so wenige... So wenige gegen Wyrnné und seine Bestien.“ „Ihr werdet wachsen, Billie. Damals hattest du viel weniger und Zodiak so viel mehr. Ihr seid gewachsen und habt gewonnen.“ Sie nickte. Er hoffte, weil sie verstand. Wenn nicht, dann würde die Einsicht zur gegebenen Zeit kommen. So war es stets und würde es auch immer sein. Das war das Eigenartige mit dem Schicksal: Oft erschien es einem unwirklich und man verstand nicht, was es von einem erwartete, bis es dann soweit war. Dann war plötzlich alles ganz klar. Ihre eisblauen Augen fixierten ihn. Keine neuen Tränen flossen. Irgendwie schaffte er es stets, diesen Tränenfluss bei ihr zu bremsen. Sonst bei keinem... Und es ließ sein Herz hüpfen und ihn innerlich herzlich darüber lächeln. Derweil umschlossen ihre Arme ihn sanft, um ihn einfach an ihren Körper zu drücken. Liebevoll und dankbar. Er erwiderte diese Umarmung, auch wenn sie beide anschließend bestreiten würden, dass es so weit gekommen war. Um ihn nicht in Peinlichkeiten zu stürzen, löste sie sich wieder von ihrem Halbbruder. Er stand wieder da, als habe er sich niemals von der Stelle bewegt und beobachtete, wie der Mensch mit den übrigen Puppen trainierte. Auch wenn er etwas anderes behauptet hatte, verstand er sehr wohl, was sie an Kelvin Morgenstern fand. Er war ein charismatischer, intelligenter und geschickter Mann von überdurchschnittlich gutem Aussehen. „Wirst du auch mit uns kämpfen?“, fragte die Elfe, als sie ihre Fassung wiedergefunden hatte. Von den Tränen gab es keine Spuren mehr. „Um Himmelswillen! Nein!“, kicherte der Illusionist. „Ich weiß doch gar nicht, wohin ich welches Ende des Dolches stecken muss! Schon vergessen?“ „Ich könnte es dich lehren...“, hauchte die Schönheit grinsend. „So wie ich ihn lehre, wie man richtig kämpft.“ „Hoffnungslos...“, sagte er und streckte theatralisch die Arme aus. „Es würde dich dein letztes bisschen Verstand kosten. Und den brauchst du noch. Immerhin hast du zugesagt, die Krone zu übernehmen.“ „Nur solange bis ein besserer König auftaucht...“ „Natürlich.“ „Glaubst du mir etwa nicht?“, hakte sie skeptisch nach. „Doch, ich glaube dir. Du hast die Krone niemals gewollt und dass du nun bereit bist, sie dennoch zu tragen, um seiner Sache zu dienen-... Es beweist, dass es dir sehr wichtig ist.“ „Mache ich etwa einen Fehler?“ „Auf keinen Fall. Du bist zum Herrschen geboren worden! Zumindest, wenn man Vater Glauben schenken will...“ Sie seufzte leise. Das Vertrauen ihres Vaters in die Markrhon-Gene hätte sie gerne. Die Elfe sah sie eher als Fluch an. Für viele Menschen war es auch so, denn die Markrhons hatten vermutlich mehr Blut an den Fingern als der Weltenlenker es jemals zu tun vermochte. Alleine in der letzten Woche... „Aber du wirst die Krone niemals abgeben.“, sagte er schließlich überzeugt. Irritiert blickte sie ihn an: „Was macht dich da so sicher? Wird sie mich korrumpieren?“ „Nein... Aber du wirst niemanden finden, der es schaffen könnte, in deine verdammt großen Fußstapfen zu treten.“ Glockenhell lachte die Elfe auf. Ihr ganzes Gesicht erstrahlte. So viel Zuversicht hatte sie nicht erwartet! Nicht mal bei Connar... Egal, wie oft er sie auch ermuntert und ihr den Rücken gestärkt hatte, so intensiv war er niemals dabei gewesen. Es ließ sie beinahe glauben, dass er einen Vorteil davon haben würde, wenn sie den Weltenlenker kippte. Wenn sie selbst dessen Krone trug, um dem Reich den nötigen Frieden und Stabilität zu geben. Nur wusste sie nicht, ob man sie jemals respektieren konnte. Nichtmenschen waren das Sinnbild des Bösen für die Menschen und selbst die Nichtmenschen begannen daran zu glauben. Selbst jene, die verfolgt wurden oder den Stand eines Sklaven tragen mussten, begannen daran zu glauben, dass das die natürliche Ordnung war. Ein Teil von ihr wusste, dass die Ära der Nichtmenschen vorbei war. Dass das Zeitalter der Menschen begonnen hatte, als sie sich erhoben hatten. Doch das bedeutete nicht, dass sie alle leidvoll abtreten mussten. Er schien sich absolut sicher zu sein, dass sie die Richtige für diesen Job war. Die Richtige für diesen düsteren, verdorbenen Thron, um die zerbrochene Krone zu reparieren. Auch Kelvin glaubte daran... Nun musste sie nur selbst glauben. „Schlaf‘ endlich mit ihm.“, plapperte Connar munter drauf los. „Ich wundere mich eh, dass du es nicht längst getan hast.“ „Wie bitte?“ „Wir sind Markrhons, Schwesterherz. Wenn wir keinen Sex haben, sterben wir langsam dahin...“ „Hast du einen Hirnschaden erlitten?“, hinterfragte sie skeptisch. „Zu direkt?“ „Ein bisschen.“ „Mit seiner rechten Hand hast du doch auch geschlafen. Eine verdammt lange Nacht lang...“, erinnerte er sie schmunzelnd. „Du dreckiges Luder.“ „Ich bin vielleicht ein dreckiges Luder, aber du bist pervers. Immerhin bestalkst du mein Sex-Leben.“, zischte Billie angewidert. „Unbeabsichtigt... Ich platzte so rein.“ „Wieder und immer wieder?“, hinterfragte sie mit hochgezogener Augenbraue. „Sonst wüsstest du kaum, dass wir die ganze Nacht gebraucht haben.“ Unschuldig zuckte er mit den Schultern und grinste sie keck an: „Ich bin eben ein kleiner Tollpatsch!“ Langsam schüttelte sie ihren Kopf, als wollte sie ihn alleine mit dieser Geste tadeln. Der Illusionist wusste wirklich nicht, was sie so an seiner Direktheit störte. Immerhin war es kein Geheimnis, dass sie genauso gerne Sex hatte wie alle Markrhons. Ihr erstes Treffen mit Wyrnné war damals auch nicht ohne die körperliche Vereinigung verlaufen. Doch da war sie auch noch instinktiver gewesen... Animalischer. Inzwischen war sie tatsächlich zu einer erwachsenen, schönen Frau geworden. Aus den Augenwinkeln musterte er sie. Die Elfe bemerkte es durchaus, sagte aber nichts dagegen. Sie war es gewohnt, dass keiner ihre Entwicklung wirklich begreifen konnte. Von einem wilden, pummeligen, animalischen Biest zu einer einzigartigen Schönheit mit Kontrolle. Gezeichnet von der Zeit und dem Tod, aber dennoch aufrecht und selbstbewusst. „Warum sollte ich mit ihm schlafen?“ „Weil du eine Nymphomanin bist, die sich vollkommen nach seinen Lenden verzehrt.“, erwiderte er gelassen. „Darüber denkst du nach, seit ihr hier alleine im Wald seid. Du willst wissen, ob er genauso gut im Bett ist wie Wyrnné.“ „Das klingt, als würde ich meine Männer nach ihren sexuellen Leistungen aussuchen. Und ihre Penisse vergleichen...“ „Ist es nicht so?“, gluckste Connar amüsiert. „Nein, so ist es nicht. Ich achte auch auf andere Werte. Innere Werte!“ „Selbstverständlich... Wenn ihre äußeren Werte zu deinem Inneren hinzugefügt werden.“ „Argh!“ Nicht wirklich wütend schlug sie nach seiner Brust. Er hätte sich auflösen und sie ins Nichts schlagen lassen können, doch er ließ es zu. Es tat nicht wirklich weh. Hätte sie es ernst gemeint, hätte es ihn von den Füßen gerissen, das wusste der Illusionist durchaus. Dann hätte er sich aufgelöst. So war es nur ein Tadel für seine eindeutige Zweideutigkeit. Ihn störte es keineswegs, dass ihr der Sex mit ihren Partnern stets so wichtig war. Nicht mal, dass sie sich nicht festlegen wollte. Nach all den Verlusten war ein gewisses Maß an Trennungsangst durchaus normal. Trotzdem hoffte Connar, dass sie diese Angst irgendwann überwinden konnte, um endlich glücklich zu werden. „Er will dich auch.“, sagte er einfach so daher, als wäre es das Normalste der Welt. „Natürlich will er mich! Die halbe Männerwelt will mich!“ „Nur die halbe? Heute sind wir aber bescheiden.“ Böse funkelte sie ihn an und spielte offenkundig mit dem Gedanken, ihm einen richtigen Schlag zu versetzen. Doch aus irgendeinem Grund tat sie es nicht. Es blieb bei einem bösen Blick: „Sie denken halt mit ihren Schwänzen.“ „Dagegen kann ich tatsächlich nichts einwenden. So sind wir Männer einfach... Und doch glaubst du, dass es nur die Hälfte der Männer sind?“ „Es gibt Homosexuelle, liebster Bruder, und jene, die wahrhaftig ihre Frau lieben. Eunuchen... Gläubige, die keinen Sex wünschen.“ „Ich wusste nicht, dass du inzwischen so viel von der Männerwelt hältst.“ „Ich auch nicht.“ „Also willst du neuerdings erobert werden?“, hinterfragte Connar skeptisch. „Soll er etwa versuchen, dein Herz zu erringen?“ Sie schwieg auf seine Fragen. Wenn Billiana ehrlich war, wusste sie darauf keine Antwort. Vielleicht wünschte sie sich wirklich, dass mal jemand um ihr Herz kämpfte, wie es ein Lord tun würde. Anständig und aufrichtig. Doch es klang so falsch! Unwirklich... Also schob sie es auf ihre Ängste. Dass sie sich vielleicht fürchtete, sie könnte sich in Kelvin verlieben, um ihn dann zu verlieren. Wer solange lebte, musste mit zahlreichen Verlusten klarkommen. Ihre Lebensdauer war nicht so begrenzt wie die der Menschen. Ihr Herz zwiegespalten. Wer zu viel Zeit besaß, verliebte sich häufiger. Doch ihr kam es dennoch so vor, als würde sie ihr Herz viel zu schnell verschenken. Vor allem an jene, die es nicht verdienten. Die darauf herumtrampelten, als sei es ein unwichtiges Accessoire eines Outfits. Oder sie starben... „Gib ihm die Chance sich zu beweisen, Schwesterherz.“, säuselte er schließlich und riss sie aus ihren Gedanken. „Vielleicht kann er dich ja überraschen.“ „Glaubst du neuerdings doch an die Menschen?“ „Auf gar keinen Fall. Aber ich glaube an dich.“ „Was hat das mit mir zu tun?“, hakte die Attentäterin skeptisch nach. „Sehr viel. Deine Männerwahl ist nicht immer fantastisch, aber meistens erkennst du einen guten Mann, wenn du ihn siehst. Und du machst ihn zu einem noch besseren Mann...“ „Igitt, du bist heute widerlich schmalzig!“ „Nicht wahr? Ich muss krank sein!“ „Definitiv. Ich möchte mich übergeben!“ „Lass uns das gemeinsam tun, Schwester.“, kicherte er und legte den Arm um ihre Schultern. „Da ich heute so sentimental bin, wäre das wirklich schön.“ „Ihh~, geh‘ weg!“, keuchte sie und schlug nach ihm. Er kicherte, während sich seine körperliche Hülle einfach auflöste. Sie schlug ins Nichts. Bevor er sie wieder alleine ließ mit ihrem Schützling, tauchte er einen kurzen Herzschlag wieder auf, um ihr einen Kuss auf die Wange zu schenken. Schelmisch grinsend verpuffte er schließlich. Als sich die Elfe umsah, war niemand mehr hier. Seufzend ließ sie den Hügel hinter sich und kletterte stattdessen nach unten. Die Bäume zu überwinden war nicht schwer. Diesen Ort kannte die Attentäterin inzwischen wie keinen zweiten, als wäre sie hier geboren. Oft kam sie her, um zu trainieren oder andere auszubilden, wie sie es bei Kelvin tat. Doch wenn der besagte Essenzbeherrscher sich nicht besser zu zügeln lernte, würde dieser Wald bald abgefackelt sein! Als sie ankam, versuchte er gerade eine zweite Puppe zu löschen. Dafür lenkte er das Trinkwasser aus einem Eimer einfach darauf zu. Kelvin wollte es wohl ertränken, bevor die Elfe ihn bei der ungewollten Nutzung seiner Macht erwischte. Er konnte nicht wissen, dass sie ihn schon die ganze Zeit beobachtet hatte. „Spielen wir wieder mal mit dem Feuer?“, warf die Blondine amüsiert ein. „Das Temperament eines Drakoniers...“ „Ich bin halt ein heißer Typ!“ „Offensichtlich.“ Eine Weile ließ sie Kelvin noch zappeln. Beobachtete ihn dabei, wie er verzweifelt den Brand löschen wollte, der den ganzen Wald verschlingen konnte. Er wäre nicht der erste Magier, dem die Natur zum Opfer fiel und gewiss auch nicht der letzte. Doch diese Erfahrung war wichtig. Er erkannte dann vielleicht, dass er etwas umsichtiger zaubern musste. „Ersticke die Flammen mit Gestein.“ „Was?“ „Reiß‘ Felsbrocken aus dem Boden und ersticke damit die Flammen.“, führte sie es genauer aus. „Ohne Sauerstoff erlischt das Feuer.“ Jetzt schien er es zu begreifen. Ohne weiter nachzuhaken, hob er seine Hände, um einige Felsen aus dem Erdreich zu reißen. Er konnte nicht so viele und große nutzen wie es ein Titan konnte, doch das war nicht weniger eindrucksvoll. Ohne Schwierigkeiten konnte er das Gestein über die Flammen lenken, um sie einfach zu ersticken. Erst drang noch Qualm aus den Ritzen hervor, der tiefschwarz war, doch er wurde immer blasser bis nicht mal mehr ein bisschen Rauch zu erkennen war. Sie konnte nicht mal mehr das Knistern des Feuers hören, war sich aber sicher, dass die Asche noch sehr heiß war. Es konnte neue Flammen ernähren, um das ganze Schauspiel von vorne beginnen zu lassen. Bis es erkaltet war, würde es noch einige Stunden dauern, das wusste sie genau. Als Attentäterin musste sie sich mit jeder Möglichkeit auskennen, die zum Töten benutzt werden konnte. Dazu gehörte auch Feuer. „Lass‘ die Felsen da erstmal liegen. Morgen räumst du sie wieder dahin, wo du sie hergenommen hast.“ „Das sind doch keine Spielzeuge!“, warf der Essenzbeherrscher empört ein. „Die kann man nicht einfach zurücklegen, als wäre nichts gewesen.“ „Ernsthaft? Widerspruch? Nachdem du den Wald fast abgefackelt hast?“ Augenrollend machte er eine wegwerfende Geste und kam ihr schließlich entgegen: „Ist doch alles gut gegangen. Wo warst du so lange?“ „Ja, weil ich dir sagte, was du tun musst...“ „So wie immer.“, sagte er breit grinsend. „Und wo warst du nun die ganze Zeit?“ „Nicht hier.“ „Ach? Sind wir jetzt geheimnisvoll?“ „Immer.“, grinste sie herausfordernd. „Ich frage dich ja auch nicht, wo du dich so rumtreibst.“ „Warum auch? Du weißt ja, dass ich hier bin.“ „Du könntest dich aber zwischendurch auch einfach woanders hinbegeben, während ich unterwegs bin.“ „Könnte ich, mache ich aber nicht.“ Interessiert musterte Billiana den Essenzbeherrscher. Sie wusste, dass er nicht log. Oft genug beobachtete sie ihn aus der Ferne. Seit er ihr nicht mehr folgte, wenn sie sich mal für Besorgungen entfernte, blieb er artig an diesem Trainingsort und arbeitete an den Lektionen. Wahrscheinlich entwickelte er sich deshalb auch so wahnsinnig schnell! Echte Bemühungen machten sich einfach schnell bezahlt, was allen zugutekam. „Ich habe ein paar Sachen aus den umliegenden Dörfern besorgt.“, beantwortete die Elfe schließlich doch seine Frage. „Ein paar neue Decken und Seile. Die Seile darfst du dann heute auch benutzen, um die Trainingspuppen zu ersetzen.“ „Was? Ich soll neue Puppen basteln?“ „Du hast sie schließlich auch kaputt gemacht, dann kannst du sie auch wieder richten.“ „Touché...“ Zufrieden deutete sie auf einige der Bäume, die besonders breite Stämme besaßen. Um die Körper, Arme, Beine und Köpfe formen zu können, musste er viel stabiles Holz haben. Es durfte dabei nicht zu schmal ausfallen, weil die Puppen dann nicht die richtige Größe bekamen. Sie sollten immerhin weitgehend an einen erwachsenen Menschen heranreichen. Seufzend folgte Kelvin der Deutung und wirkte nicht besonders zufrieden. Er war ein Kämpfer und ein Frechdachs, aber gewiss niemand, der gerne Bäume fällte und daraus Puppen bastelte. Letztendlich war ihr das egal. Er sollte endlich lernen, dass sie diese Puppen nicht herbeizauberte, sondern es harte Arbeit war, sie anzufertigen. „Und du wirst mir wirklich nicht helfen?“, hakte er etwas hoffnungsvoll nach. „Ganz bestimmt nicht.“, erwiderte Billie grinsend. „Ich habe die letzten hundert Trainingspuppen hergestellt. Jetzt schuldest du mir die gleiche Anzahl.“ „Du bist eine wirklich harte Ausbilderin, was?“ „Die härteste.“ „Ich wüsste auch etwas, was hart werden kann. Und du lässt doch sicherlich kein Hartholz verkommen?“ Amüsiert zuckten ihre Augenbrauen hoch. Es war beinahe so, als wusste er von der Unterhaltung mit Connar, doch das war unmöglich. Außer ihr Bruder hatte ihm die entscheidenden Hinweise hinterlassen, was nicht verwunderlich wäre. Nicht, dass er so etwas nicht gerne mal machte, doch in diesem Fall war es eher unwahrscheinlich, dass er sich einmischen würde. „Pass‘ lieber auf, dass ich nicht dein Hartholz fälle und daraus lebensechtere Puppen herstelle.“, warnte die Elfe ihn provokant. „Oh... Das ist keine so nette Vorstellung.“ „Sollte es ja auch nicht sein.“ „Aber wenn du auf so ein Zeug stehst?“, säuselte Kelvin dann spielerisch. „Dann mach‘ mit mir, was immer dir beliebt!“ „Weißt du, was mir belieben würde?“, hauchte die Blondine und kam langsam auf ihn zu. Anmutig und verlockend. Ihre Finger strichen dabei zärtlich über seine ruhig atmende Brust. Kelvins Blick war selbstbewusst und aufrecht. Es brannte Feuer darin, doch keine notgeile Leidenschaft, die ihn unbedacht handeln ließ. Anders, als sie es von Männern kannte. Er schien sich wirklich im Griff zu haben! Obwohl sie ihn berührte, honigsüß säuselte und keinen Hehl daraus machte, dass sie keine Jungfrau war. „Mir würde es belieben, wenn du nun endlich Bäume fällst und die Puppen ersetzt, die du mal wieder kaputt gemacht hast.“ „Ich hatte befürchtet, dass du das sagst...“, flüsterte der Essenzbeherrscher mit gespielter Enttäuschung. „Dabei könnten wir so viel Spaß haben. Während uns Eichhörnchen dabei zugucken und Rehe uns belauschen...“ Ein kalter Schauer lief ihr bei dieser Vorstellung über den Rücken und sorgte dafür, dass die Attentäterin sich etwas angewidert schüttelte. Sex in der Öffentlichkeit war für sie kein Thema, doch die Vorstellung, dass die Öffentlichkeit Tiere waren, war eine andere Geschichte. Wie verdorben sie auch war, hatte sie dennoch ein paar Grundsätze, die Tiere und Kinder einschlossen. „Okay, bevor du mich schlägst, sollte ich vielleicht lieber den Baum besteigen.“ „Ich bitte darum.“, sagte sie angewidert. Ihre Füße brachten sie kurz darauf etwas abseits von dem Übungsplatz, um die Axt zu holen, die sie dort schon abgelegt hatte. Es waren ja nicht die ersten Puppen, die er zerstört hatte und ihr Gefühl sagte ihr, dass es nicht die letzten sein würden. Als sie zurückkehrte, wurde sie beinahe von einem fallenden Baum erschlagen. Vollkommen entsetzt sah Billiana auf und erkannte, dass er gerade die Bäume mit seiner Magie fällte, indem er scharfkantige Felsen nahm und sie gegen den unteren Teil des Stammes schleuderte. Wieder und wieder! Ihre guten Ohren klingelten unter den immer lauter werdenden Aufprällen und sie schwor sich, dass sie ihm die Axt zwischen die Schultern rammen würde, wenn er sich nicht endlich zusammenriss! In diesem Augenblick fiel ein weiterer Baum. Dieses Mal erschlug dieser fast den Essenzmagier, statt sie. Es besänftigte jedoch nicht die wütende Unruhe in ihr, als sie sein selbstgefälliges Gesicht erblickte. Er kam sich schlau vor. „So habe ich das ganz bestimmt nicht gemeint.“, knurrte die Attentäterin animalisch. „Du solltest sie mit einer verdammten Axt fällen!“ „Das hast du aber nicht gesagt.“, warf Kelvin zufrieden grinsend ein. „So geht es außerdem schneller.“ „Es soll nicht schnell gehen. Es soll eine Strafe sein!“ „Oh, glaube mir, ich fühle mich schrecklich bestraft.“ Schnaubend kam sie auf ihn zu: „Du hast die Puppen mit Magie zerstört und nun denkst du, du kannst mit Hilfe der Magie abkürzen, ja? So läuft das nicht.“ Und ich dachte, dass er sich gut entwickelt? Ich denke, da habe ich mich geirrt., überlegte die Blondine zornig. Gerade sein Grinsen machte sie wahnsinnig! Wie er glaubte, dass er gewonnen hatte. Wenn sie seine zufriedene Grimasse so anstierte, wollte sie tatsächlich gerne reinschlagen. So etwas hatte lange keiner mehr in ihr ausgelöst. Nicht mal Wyrnné! Und der schlachtete laufend irgendwelche Unschuldigen wie Vieh hin. Doch zumindest war er dabei nicht so wahnsinnig unverschämt, dass einem schlecht wurde. „Wieso nicht abkürzen?“ Knurrend verengten sich ihre Augen, während sie Kelvin fixierte: „Kannst du dir das echt nicht selbst beantworten?“ „Du scheinst mir den gleichen Hass gegen die Magie zu haben wie der Weltenlenker gegen Nichtmenschen.“ „Ich hasse Magie nicht.“ „Was ist es dann? Du würdest alles tun, damit ich sie nicht einsetze.“, hakte der Rebellenanführer verwirrt nach. Sie konnte verstehen, dass es für ihn unbegreiflich war, wieso sie stets davon abriet, eine geschenkte Gabe zu nutzen, die einem so viel Macht verlieh. „Weil Magie kein Spielzeug ist. Sie ist gefährlich... Kann gute Menschen korrumpieren. Sie kann süchtig machen.“ „Man kann von Magie süchtig werden?“ „Ja.“ „Wie von Alkohol? Oder Opium?“ „Ja.“, antwortete die Elfe wahrheitsgemäß. „Was meinst du, warum es dir so schwerfällt, auf den Einsatz von Magie zu verzichten?“ „Weil ich ein Rebell bin?“ Billie rollte mit den Augen und drehte sich von dem Menschen weg. Mehrmals atmete sie dabei tief durch und zwang sich zur Ruhe, damit sie nicht doch noch ausflippte. Das würde definitiv nicht gut für ihn oder diesen Wald enden, wenn er sie zu sehr reizte. Ihr drakonisches Blut kochte beinahe über! Da sie nicht mehr mit ihm sprach, widmete er sich wieder dem Holz. Er wollte sie aber offenbar nicht noch weiter ärgern, weshalb er nun die Axt zur Hand nahm, um die beiden Stämme zu bearbeiten. Er musste immerhin daraus die Puppenteile anfertigen, nur merkte man sofort, dass er keine Ahnung von Holzarbeiten hatte. Er versuchte es nur mit Kraft. Das ließ es teilweise bersten und er bekam es auch nicht in die Größe, die er für seine Arbeit brauchen würde. Innerlich zählte die Blondine bis Zehn, ehe sie sich wieder zu ihm drehte. Er bemerkte es erst, als ihre Front sich an seinen Rücken drückte und ihre Hände über seine kräftigen Arme zu den Händen glitten. Kelvin blickte kurzzeitig über die eigene Schulter, wodurch sich ihre Gesichter ungemein nah waren. So nah, dass sie den Atem des anderen spürten. Billiana gab sich davon unbeeindruckt. Ignorierte die Nähe, die sie zueinander aufbauten und die Gefühle, die das in ihr auslöste. Versuchte zu vergessen, was Connar zuvor noch alles gesagt hatte, um sie anzustiften ihren Schatten zu überwinden. Es war weder die Zeit noch der Ort. Er war vielleicht nicht mal der richtige Mann... „Mit Gefühl...“, hauchte sie ihm schließlich ins Ohr. „Sieh genauer hin, bevor du zuschlägst. Du musst auf die Maserung des Holzes achten und wie sie an der Stelle beschaffen ist. Teste es, wenn du unsicher bist...“ „Testen...?“, fragte Kelvin kleinlaut. Sie war dankbar, dass er seine Frechheiten offenbar gerade nicht mehr herausbekam. Sie würde sich diese Methode merken. „Ja, du haust einmal drauf und schaust, wie sich das Holz verhält. Berstet es, suchst du eine andere Stelle.“ „Wo hast du so etwas gelernt?“ Billie schwieg einen Augenblick, ehe ihre eisblauen Augen sich in seine senkten: „Wenn man alleine auf der Welt ist, muss man alles lernen, um zu überleben.“ „Du hast dir das alles selbst beigebracht?“ „Größtenteils ja. Aber den letzten Feinschliff brachten mir andere dann bei.“ „Die Drachen?“, schlussfolgerte Kelvin richtig. „Und die Leute aus deinem Attentäter-Verbund?“ „Unter anderem, ja. Wobei es da eher um Kampf und Magie ging. Das Überleben der Wildnis lernte ich lange davor von sehr guten... »Menschen«.“ „Und wo sind die jetzt?“ „Tot.“ Nun war er es, der einige Herzschläge lang schwieg. Sie wusste von Amelie und was er alles verloren hatte und wie schlecht es ihm damit ging. Noch heute. Ein paar Dinge hatte er während des Foltertrainings auch über sie erfahren können, doch nichts Tiefgründiges. Nichts, was ihr Verhalten und ihren Beruf irgendwie erklärt hätten. Eine hübsche Frau wurde nicht einfach mal Attentäterin. Auch dann nicht, wenn sie einer Minderheit angehörte, die von Verfolgung und Ausrottung geplagt wurde. Bei ihrem Kennenlernen hatte sie die traurigen Geschichten der Rebellen nicht hören wollen. Sie hatte verdeutlicht, dass es tausende solcher Geschichten gab, die teilweise niemals erzählt wurden. Dass es nicht für sie reichte, um sich einer solchen Sache anzuschließen, wenn nur die Verluste der Grund seien. Billiana hatte sehr deutlich klar gemacht, dass ihr bewusst war, dass jeder Verluste erlitt, es aber nicht unbedingt die Motivation war, um eine Rebellion wirklich ans Ziel zu kriegen. Damals hatte er nicht gewusst, dass sie von sich selbst gesprochen hatte. Von ihren eigenen, unausgesprochenen Geschichten. Ihren eigenen Verlusten... Und ihren Mangel an Motivation für all diese Seelen selbstständig Rache zu nehmen. Sie hatte sich niemals auf die anwesenden Rebellen bezogen oder ihre Beweggründe infrage gestellt. Sie hatte sich selbst angezweifelt... „War es der Weltenlenker?“, hinterfragte er endlich. Sein Mund wurde ihm trocken. Er hasste es, diesen Titel zu benutzen, doch er hatte kaum eine Wahl. Zumal er damit aufwuchs... „Nein, er hatte mit ihrem Ableben nichts zu tun.“, antwortete die Attentäterin wahrheitsgemäß. „Ich war es.“ „Was? Du hast sie umgebracht?“ „Indirekt...“ „Wie meinst du das? Wie tötet man einen Menschen indirekt?“ „Sie begleiteten mich auf eine Reise, die große Gefahren mit sich brachte. Ich habe sie niemals aufgehalten, sondern ihre Hilfe bereitwillig angenommen.“, erklärte sie mit trübem Blick, als erinnerte sie sich an jene Zeiten zurück. „Letztendlich kam es, wie es kommen musste: Sie starben. Und ich war vollkommen machtlos.“ „Es war ihre Entscheidung und sie waren sich gewiss der Gefahren bewusst. Dafür kannst du also nichts.“ Sie seufzte leise, während sie sich von dem Rebellenanführer löste: „Hilft dir das, um nachts ruhig zu schlafen? Wenn einige deiner Rebellen sterben? Du sagst dir, dass sie die Risiken kannten?“ „Ja.“, antwortete er etwas zu schnell. „Ich glaube dir nicht.“ „Dadurch schlafe ich nicht ruhig, aber besser. Wenn ich mich für jeden Tod verantwortlich mache, dann könnte ich das alles nicht bewerkstelligen.“ „Und wenn es einer deiner Freunde wäre?“, wollte sie wissen. „Wenn Hamm sterben würde? Oder Dorian? Was würdest du dir dann einreden?“ Darauf wusste Kelvin keine Antwort. Sie sah es an seinem hilflosen Ausdruck. Der Blondine war klar, dass es auf solch eine Frage keine richtige Antwort gab. Solange man selbst nicht in diese Situation kam, konnte man nicht wissen, wie man darauf reagieren würde. „Die Frage war nicht fair von mir...“, gestand die Elfe also. „Es ist ein hartes Schicksal und ich wünsche es keinem. Nicht mal meinem ärgsten Feind.“ „Hatte der Weltenlenker denn irgendwas mit all dem zu tun?“ „Nein, hatte er nicht. Ich weiß, du willst ihn zu deinem idealen Feindbild erheben, doch mit meinem damaligen Schicksal hatte er herzlich wenig zu tun.“ „Aber du hast ihn in dieser Zeit kennengelernt?“, schlussfolgerte Kelvin aus ihren Worten. „Ja, das ist korrekt.“ „Und er war zu dieser Zeit ein anderer Mann als heute?“ Langsam nickte die Attentäterin, während ihr Blick wieder in die Ferne rückte: „Ja, war er.“ „Wie war er damals? Wenn du mir die Frage erlaubst...“ „Er war wie du.“ „Wie bitte?“ „Mir war bewusst, dass du das nicht gerne hören würdest.“, sagte Billie mit einem müden Lächeln. „Aber es stimmt. Ich erkenne viel von ihm in dir wieder.“ „Willst du mir damit sagen, dass ich mal ein grausames Monster werde, welches sinnlos Menschen tötet?“ „Tust du das nicht schon?“ Kurz schwieg Kelvin, während seine Augenbrauen in die Höhe zuckten. Das konnte er nicht abstreiten. Nur waren seine Opfer Anhänger von Wyrnné und oftmals sehr wohlhabend, während die Opfer vom Weltenlenker meist arme, hilflose und schutzlose Personen waren. Für die Attentäterin machte das keinen Unterschied. Wer ein Leben nahm, musste mit den Konsequenzen seines Handelns leben. Ob dieser Mensch wohlhabend oder ein Bauer war, spielte überhaupt keine Rolle. Dieses Lebewesen hatte Familie, Freunde und jene, die um den Verlust trauern würden. Natürlich auch Feinde und die, die sich über den Tod des Opfers freuten. Manche so sehr, dass sie für den Tod einer Person sehr viele Münzen zahlten. So kam sie immerhin gut über die Runden. Bei ihm war es jedoch anders. Er tötete nicht, um ein Kopfgeld zu erhalten, sondern aus Rache und teilweise, um seine Rebellion voranzubekommen. Er entschied, dass bestimmte Menschen den Tod verdienten, weil sie nach Außen einem Mann folgten, den er als die Ausgeburt der Hölle ansah. Dieser Krieg hatte schon zahlreiche Leben gekostet und nicht alle davon waren sinnvoll gewesen. „Er war sehr ambitioniert. Hohe Ziele... Faszinierende Träume. Einen Sinn für Gerechtigkeit und sehr viel Talent. Etwas hochmütig vielleicht... Zu idealistisch. Nicht bereit, Abstriche zu machen.“, erzählte Billie dann doch aufrichtig. „Irgendwann verlor er den Bezug zu sich selbst. Zwischen Ratsmitglied und Herrschaft... Er erkannte, dass er seine Ziele nicht erreichen konnte, die er sich so akribisch gesetzt hatte. Doch er war zu idealistisch, um sich mit den Ergebnissen zufrieden zu geben, die er hätte erzielen können.“ „Also entschied er, dass er jeden töten musste, der gegen ihn war...“ Bedächtig nickte sie: „Ja... Er dachte, dass wenn er alle tötet, die gegen seine Reformen sind, dann würde es einfacher werden. Er könnte dann alle Ziele genauso verwirklichen, wie er sie sich ausmalte.“ „Wieso dieser beständige Hass gegen die Nichtmenschen? Wozu erschuf er seine Bestien?“ „Wyrnné erkannte bald, dass die Nichtmenschen nicht einverstanden mit seinem Handeln waren. Sie suchten nach Magie... Mächtiger Magie, die seine Macht unterbinden sollte. Oder nach einem Gefängnis, welches ihn halten könnte...“, berichtete die Attentäterin nachdenklich. „Er sah sie als Verräter an. Glaubte, dass sie gegen seine Ideale und somit gegen ihn seien. Vor allem die Drachen. Er war der festen Überzeugung, dass sie die treibenden Kräfte waren und die anderen Nichtmenschen anstifteten.“ „War es denn so?“, hinterfragte Kelvin interessiert. „Vermutlich...“ Kurzzeitig kehrte wieder Stille ein. Die Übungspuppen waren vollkommen vergessen. Ebenso wie der vorherige Streit. Der Essenzbeherrscher konnte der Elfe ansehen, dass sie sich an die damaligen Zeiten zu erinnern versuchte. Alles, was sie ihm sagen konnte, würde ihm im Kampf gegen den Weltenlenker helfen. Ihm eventuelle Schwachpunkte aufzeigen. Oder Orte, an denen er danach suchen konnte... „Er erschuf seine Inquisitoren, damit sie jeden foltern konnten, der gefangen genommen wurde. Vor allem Nichtmenschen... Er wollte von ihnen wissen, wo er die Verstecke der Drachen finden konnte.“, fuhr sie langsam fort. „Er wollte wissen, wie weit ihre Pläne waren... Ob sie Armeen besaßen. Wyrnné interessierte, ob die Drachen alte Magie wiedererweckten, um sich ihm zu stellen.“ „Welche alte Magie?“ „Drachenreiter... Sie waren im ersten Krieg der Völker entscheidend. Jedoch distanzierten sich die Drachen anschließend von ihnen.“ „Weshalb?“ „Weil das Band zwischen Reiter und Drache so stark war, dass die Drachen selbst sie zu fürchten begannen. Starb der Drache, brachten sich die meisten Reiter um und umgekehrt war es genauso. Jene, die es nicht taten, führten von da an ein halbes Leben...“ „Ihnen fehlte ihre zweite Hälfte...“, schlussfolgerte Kelvin mitfühlend. „Sie wollten nicht mehr ohne ihren Reiter oder ohne ihren Drachen leben. Missten seine Anwesenheit...“ „Ja... Was anfangs als Bürde empfunden wurde, war plötzlich nicht mehr wegzudenken. Nicht mehr die Gedanken seines Drachens zu hören oder für einen Drachen den Herzschlag seines Reiters im Ohr zu haben... Nicht mehr gemeinsam den Himmel zu erobern. Die Wolken zu küssen...“ Ihr Blick rutschte weiter weg von diesem Ort. In so ferne Zeiten, die sich Kelvin selbst nicht ausmalen konnte. Obwohl er sich oft fragte, wie Midgard zu früheren Zeiten ausgesehen hatte. Wie die Menschen in jener Welt gewesen waren und wie sich Nichtmenschen in Freiheit fortbewegt hatten. Wie ihr Charakter und ihre Kultur ausgesehen hatten. Was es mit den Wäldern getan hatte... Es gab kaum noch Aufzeichnungen zu der früheren Weltordnung. Selbst in No’gobor waren solche Schriften entweder zerstört oder weggesperrt worden. Doch es gab Gemälde, die an jene Zeit zu erinnern schienen. Von saftigen Wäldern, ergiebigen Feldern, fröhlichen Gesichtern und einer anderen Art von Reichtum. Pure Idylle... Zumindest, wenn er es mit den Zuständen der heutigen Zeit zu vergleichen versuchte. Heute schien alles verdorben zu sein. „Hattest du mal einen Reiter?“, hörte er sich plötzlich fragen. Im nächsten Moment verfluchte er sich dafür. Solch eine Frage war furchtbar taktlos und konnte ihren offenen Redefluss unterbinden! So viele Fragen, die er dann immer noch nicht beantwortet bekommen würde. „Nein. Nein, ich hatte niemals einen Reiter... Ich bin noch nicht lange als Drache erwacht.“ „Du bist kein geborener Drache?“ Schon wieder eine Frage, für die er sich selbst auf die Unterlippe biss. Billiana faszinierte ihn so sehr, dass er seinen eigenen Charme einfach vergaß und offenkundig auch sein Gehirn. Hammond würde ihn nun hart tadeln! Und er musste zugeben, dass er damit ganz recht hätte. „Nein, ich wurde nicht als Drache geboren.“, antwortete die Attentäterin aufrichtig. Es nützte ihr ohnehin nichts, es zu leugnen. Über so etwas führten die Drachen Buch und wenn er es wirklich wollte, konnte er diese Aufzeichnungen finden. Leise seufzte er und beschloss, dass er die Richtung des Gesprächs ändern musste: „Betrieben die Drachen wieder die alte Magie?“ „Nein, das taten sie nicht. Doch Wyrnné wollte es nicht glauben... Also erschuf er die Drachenhetzer. Sie sollten jeden Drachen finden und umbringen. Dafür stattete er sie mit speziellen Fähigkeiten aus, die dafür sorgen sollten, dass sie lange in der Wildnis überleben konnten und einen Drachen in jeder Gestalt erkannten.“ „Und wozu erschuf er die Fessler? Um die Magie der Drachen zu binden?“ „Auch, ja...“, bestätigte sie nüchtern. „Aber vor allem wegen der Nichtmenschen. Viele von ihnen haben magische Begabungen, die sie seit ihrer Geburt tragen. Er wollte sich ihnen gewappnet sehen, indem er alle Kräfte binden konnte, wenn es nötig war. Doch bald kam auch die Essenzmagie zu den Menschen. Er fürchtete einen Komplott der Nichtmenschen, weshalb er die Fessler verstärkte und ihre Reihen ausbaute. Die Essenzmagie verkaufte er dann aber als Geschenk von ihm an treue Menschen.“ „Blöd nur, dass auch untreue Bürger die Essenzmagie in sich tragen konnten...“ „In der Tat.“ „Also hat er letztendlich alle diese Bestien nur erschaffen, um den Nichtmenschen möglichst stark zu schaden?“ „So ist es. Und um seine Position zu stärken.“ „Ihre Loyalität ihm gegenüber ist unerschütterlich...“, merkte Kelvin nachdenklich an. „Ja, weil sie sozusagen seine Kinder sind.“, erwiderte Billiana ehrlich. „Nur mit dem Unterschied, dass sie nie ganz erwachsen werden. Sie bleiben in dem Zustand eines Kindes, welches seinen Eltern blindes Vertrauen schenkt.“ „Also kontrolliert er gar nicht ihren Verstand? Sie lieben einfach nur ihren Vater?“ „Ja und nein... Er hat die Macht ihren Geist zu kontrollieren, wenn er es für notwendig hält. So kann er auch prüfen, ob sie loyal bleiben.“ Das war der Punkt, an dem der Rebellenanführer sofort hellhörig wurde: „Es gab Situationen, in denen sie es nicht waren?“ Billie erstarrte. Fast so, als erkannte sie, dass sie wohl zu viel gesagt hatte. Der Essenzbeherrscher sagte nichts dazu. Drängte sie nicht, mehr zu erzählen. Es hatte sich deutlich gezeigt, dass die Attentäterin offener sprach, wenn niemand auf sie Druck ausübte. Selbst wenn sie in diesem Augenblick nicht fortfuhr, würde sie es dann vielleicht in einigen Tagen oder Wochen machen, wenn er ihr nur genug Zeit gab. Das musste er zumindest hoffen. Gerade die Bestien des Weltenlenkers waren ein ernstes Problem. Für Normalsterbliche schienen sie unbesiegbar zu sein und in ihrer Treue waren sie unvergleichbar. Ein Inquisitor konnte eine halbe Armee ersetzen, wenn er nur ein machtvoller seiner Art war. Ganz zu schweigen von den Drachenhetzern, die immerhin nur zu dem Zweck geboren wurden, um ihrem Namen gerecht zu werden und Drachen zu töten. Wenn es eine Möglichkeit gab, ihren Willen zu erschüttern, dann würden sie diesen Schwachpunkt ausnutzen müssen. Anders war die Schlacht verloren, bevor sie begann. Egal, wie viele sich ihnen anschlossen, sie hätten keine Chance gegen diese Kreaturen. „Einige von ihnen weisen irgendwann... Symptome auf. Unterschiedliche...“, erklärte die Elfe bedächtig. „Sie gleichen sich nur in dem Punkt, dass sie sich wankelmütig zeigen. Manche klagen über Schmerzen, andere über Albträume oder Erschöpfung. Ganz plötzlich. Und wenn es beginnt, sinkt der Zustand der betreffenden Kreatur rasch.“ „Was macht er mit denen, die diese... Krankheit haben?“ „Er vernichtet sie. Endgültig.“ „Ist es vielleicht ansteckend?“, fragte Kelvin hoffnungsvoll. Schwerfällig schüttelte sie ihren Kopf und blickte ihn wieder an: „Nein. Es scheint keine wirkliche Krankheit zu sein, sondern eher eine Art... Alterserscheinung. Es befällt nur sehr alte Schöpfungen, aber auch da nicht alle.“ „Wie Rückenschäden bei alten Menschen?“ „Genau, das ist vergleichbar. Viele, aber nicht alle bekommen es. Manche früher, andere später...“ Das half im Kampf leider nicht. Sie konnten nicht darauf hoffen, dass alle Kreaturen plötzlich zu alt wurden und ihre Loyalität vergaßen. Solange sie diesen Zustand nicht künstlich auslösen konnte, würde es ihnen nur soweit helfen, dass sie sich zumindest etwas von selbst dezimierten. Je weniger Schöpfungen dem Weltenlenker zur Verfügung standen desto größer wurde die Chance auf einen Sieg. „Genug jetzt davon!“, stöhnte die Blondine schließlich genervt und sah ihn tadelnd an. „Bau‘ endlich die Übungspuppen! Und sie sollten so gut wie meine sein. Sonst lasse ich dich solange basteln bis du es hinbekommst.“ „Ja, Mylady!“, erwiderte er grinsend und salutierte vor ihr. Dafür bekam er einen bitterbösen Blick. Er wusste, dass sie nicht wirklich sauer war. „Und Kel... Keine Abkürzungen.“, ermahnte sie ihn streng. „Natürlich nicht.“ Ihm war bewusst, dass sie seine Arbeit von nun an beaufsichtigen würde. Also nahm er sich wieder die Axt entgegen und widmete sich erneut dem Holz. Ihre Tipps halfen tatsächlich. Es fiel ihm viel leichter mit dem Holz zu arbeiten, auch wenn er noch nicht so recht wusste, ob er die Oberflächen im Anschluss auch so gut hinbekam. Doch irgendwas sagte ihm, dass sie ihm auch dort Nachhilfe erteilen würde, wenn sie es als nötig ansah.    Wenn sich Kelvin eine Sache eingestehen musste, dann dass Billie ein harter Gegner war. Obwohl sie nur einen Übungskampf machten, zog sie alle Register, um ihn richtig ins Schwitzen zu kriegen! Und sie schaffte es... Ihr Duell war an gewisse Regeln gebunden. Natürlich war die oberste Regel, dass sie keine Magie einsetzen durften. Er sollte alleine mit seinen körperlichen Fähigkeiten überzeugen und ihr beweisen, dass er auch ohne magische Gabe gegen übermächtige Feinde bestand. Selbstverständlich wollte Billiana nicht hören, dass sie um einige Jahrhunderte älter war als er und sie deshalb sowieso im Vorteil war. Sie hatte deutlich gesagt, dass das seine Gegner auch nicht interessieren würde, wenn seine Fähigkeiten mal wieder von einem Fessler gebunden wurden. Und damit hatte sie vollkommen recht! Trotzdem machte es ihn beinahe wahnsinnig, immer wieder ihrem Holzschwert auszuweichen oder es direkt in seine Seite gerammt zu bekommen. In all den Wochen hatte er kein einziges Duell gegen sie gewonnen, obwohl er es wirklich versuchte. Wieder sauste das Holzschwert knapp über seinen Kopf hinfort, während er sich tänzelnd in die Hocke drehte. Wie er es bei Billie gelernt hatte, wollte er den Schwung für sich nutzen und schlug mit seinem Holzdolch zu, doch sie wehrte den Angriff mit ihrem Übungsschild ab. Seufzend machte Kelvin einen Sprung nach hinten, damit er sich wieder aufrichten konnte. Schweiß rann ihm über die Stirn. Dieser Kampf fühlte sich echt an. Provokant ließ die Elfe ihr Übungsschwert in ihrer Hand rotieren. Vollkommen gelassen, als wären sie nicht schon seit Stunden auf den Beinen. Als kämpften sie nicht schon seit mehreren Minuten gegeneinander! Eigentlich wusste der Rebell nicht mal genau, wie lange sie schon gegeneinander antraten, aber es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Eine Ewigkeit, die ihm bisher nicht mal einen einzigen Treffer eingebracht hatte. „Was ist los, Kel?“, fragte Billie grinsend. „Gibst du etwa schon auf?“ „Bestimmt nicht.“ Aber ich muss wohl meine Taktik ändern... Ich werde sie so niemals besiegen., gestand er sich selbst ein. Er entschied sich, dass er mal passiver an die Sache herangehen musste. Bisher hatte der Rebellenanführer immer versucht, sie als erster zu attackieren. Sie hatte dann pariert und ihn mit einem mächtigen Gegenschlag verdammt alt aussehen lassen. Was sprach also dagegen, dass er das nun auch machte? Entschlossen nahm er eine defensive Haltung ein. War bereit, wenn sie zum Angriff überging. Seine blauen Augen fixierten die wunderschöne Elfe, die seine veränderte Haltung wahrzunehmen schien. Mit einem Grinsen wechselte auch sie ihre Stellung und wurde nun aggressiver. Auf leisen Sohlen raste die Blondine auf ihn zu und schlug schnell und gnadenlos auf ihn ein. Kelvin war gezwungen, sich immer wieder zu ducken und das Holzschwert mit seinen Übungsdolchen abzuwehren. Ihre Schlagabfolge wirkte lückenlos. Innerlich fluchend zwang Billiana ihn, immer weiter nach hinten zu weichen. Er verlor Land und wusste beim besten Willen nicht, wie er das ohne Magie ausgleichen sollte. Dann endlich geschah es! Der Berserker-Modus der Langhaarigen ließ sie ihre Deckung für einige Herzschläge vergessen. Wahrscheinlich zu sehr mit dem Glauben beschäftigt, dass er ihr sowieso nichts anhaben konnte. Beflügelt von dieser einzigartigen Gelegenheit trat er ihr direkt in den Magen! Erschrocken strauchelte sie zurück und er preschte voran, um nun mit seinen Dolchen auf sie einzuschlagen. Nun war es die Elfe, die nur unter Anstrengung die Schläge abwehren konnte. Holz schlug auf Holz. Mit verzogenem Gesicht musste nun sie zurückweichen, behielt ihn aber gut im Auge. Sie suchte nach derselben Schwäche, die Kelvin eben noch bei ihr gefunden hatte. Vorerst wollte er ihr die Führung nicht mehr überlassen. Lieber zwang er sie dazu, dass nun Billiana sich immer wieder ducken musste. Allmählich bekam sie Schwierigkeiten, seinen Hieben noch rechtzeitig zu entgehen, also änderte auch sie ihre Technik. Überaus geschickt warf sich die Elfe hinter ihrem Schild mit einem Kriegsschrei auf ihn. Vollkommen überrascht ließ sich Kelvin zu Boden reißen und blickte kurz darauf auf die Spitze ihres Holzschwertes. Okay... Kreativ ist sie..., gab er spöttisch zu. „Das ist aber kein kluger Schachzug...“, murrte er unzufrieden. „Weshalb? Hat doch funktioniert.“ „Ja, jetzt, weil wir nicht auf einem Schlachtfeld sind. Wäre das hier ein richtiger Kampf, wärst du von einem anderen Gegner aufgespießt worden.“ „Wäre das hier ein richtiger Kampf, Kel, dann wären wir schon mehrfach aufgespießt worden.“, erinnerte sie ihn. „Ja, ja... Du musst immer das letzte Wort haben.“ „Tja, so bin ich.“ Endlich erhob sich die Blondine wieder von ihm und bot ihm ihre Hand an. Er wollte kein schlechter Verlierer sein, weshalb der Rebell ihre Hand packte und sich mit ihrer Hilfe wieder auf die Füße ziehen ließ. Natürlich hätte er es auch alleine geschafft. „Willst du es nochmals versuchen?“ „Das ist meine dritte Niederlage heute...“, seufzte Kelvin abwinkend. „Belassen wir es vorerst dabei. Mein Ego schafft nicht noch mehr.“ Billie kicherte böse darüber: „Du Memme.“ „Du kannst mich mal.“ Er war nicht wirklich böse oder geknickt. Es stimmte, dass sie viel mehr Erfahrung hatte als er, doch irgendwie glaubte er, dass er es irgendwann schaffen konnte. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber irgendwann würde er Billiana besiegen. Für heute war ihr Training vorerst abgeschlossen, weshalb sie gemeinsam in die Hütte gingen. Er half ihr beim Zubereiten des Essens. Kelvin hatte schon mehrmals schockiert festgestellt, dass ihre Kochkünste tödlich waren! So lange es nur darum ging, etwas Fleisch über einem prasselnden Feuer zu rösten, war alles in Ordnung. Sobald es aber mehr als das wurde... Er konnte es sich nicht erklären, aber bei der Elfe kamen dann nur noch breiige Massen heraus, die widerlich aussahen, rochen und so gar nicht schmeckten. Als kochte sie mit Gift. Als er sie darauf angesprochen hatte, hatte Billie ihm geschworen, dass sie das nicht absichtlich machte. Aus irgendeinem Grund lag es ihr einfach nicht, vernünftig zu kochen. Nicht mal dann, wenn es um eine ganz einfache Suppe ging oder um Reis. Dafür war sie umso besser als Jägerin! Sie brachte jeden Tag frisches Fleisch, zerlegte die Tiere ausgezeichnet und verarbeitete wirklich alles von ihnen. So konnte sie ihnen regelmäßig neue Kleidung schneidern oder sie reparieren. Aus den Knochen machte sie Waffen zum Üben oder verstärkte die Übungspuppen. Davon war er sehr beeindruckt. Außerdem fand sie in den Wäldern stets alle möglichen essbaren Kräuter, Beeren und Pilze. Hammond hatte Kelvin mal versucht zu erklären, wie er die ungiftigen Lebensmittel in der Wildnis erkannte, doch irgendwie war nichts davon hängen geblieben. Er wüsste nicht mal, wo er sie suchen musste. So ergänzten sie sich allerdings wunderbar. Ihre Ausflüge zu den Dörfern hatten sich reduziert, weil sie eigentlich alles hier hatten, was sie brauchten. „Darf ich dich etwas fragen?“, erkundigte sich der Rebell beiläufig, während er die Suppe abschmeckte, an der er werkelte. Billiana schnitt derweil das Fleisch, die Pilze und die Kräuter für ihn klein. „Du darfst, aber ich verspreche nicht, dass ich dir antworte.“ „Warum Billie?“ „Wie bitte?“ „Warum lässt du dich Billie nennen?“, wiederholte er neugierig. „Dein Name bietet viele Möglichkeiten, die nicht den Irrglauben wecken, dass du ein Kerl sein könntest.“ „Weshalb lässt du dich Kel nennen?“ Leise seufzte er. Eigentlich hätte er mit dieser Gegenfrage rechnen müssen! Hatte er aber nicht, also dachte er kurz nach, ehe er über die Schulter zu ihr sah: „Es gefällt mir und ist schön kurz. Lässt sich leicht merken.“ „Und mir gefällt Billie.“, sagte sie leichthin. „Das ist alles?“ „Das ist alles.“ „Also kein geheimer Wunsch danach, ein Kerl zu sein?“ Wieder wurde es still zwischen ihnen. Das schaffte der Rebellenanführer häufiger, wenn er sie nicht gerade zur Weißglut trieb. Er hatte inzwischen so viele Trainingspuppen zerstört, dass er es aufgegeben hatte, sie zu zählen. Dafür konnte er sie nun aber im Schlaf herstellen! Abwesend schnitt sie gerade einige Pilze klein, nachdem sie ihm das frisch geschnittene Fleisch gebracht hatte. Heute gab es Wildschwein. Ein richtig großes Wildschwein, dem es im Wald gut gegangen war! Schön fett und faul. Genau nach seinem Geschmack. Begeistert ließ Kelvin das Fleisch in den Kessel fallen, in dem die angesetzte Suppe bereits kochte. Pilze und Kräuter würde er erst kurz vor Vollendung hinzufügen, damit sie nicht zerkochten. „Mein Vater wünschte sich eher einen Jungen...“, sagte die Elfe dann seufzend. „Ich war das, was er immer wollte, nur hatte ich das falsche Geschlecht.“ „Deshalb der eher maskuline Spitzname?“ „Ich denke schon, dass mich das in meiner Wahl beeinflusst hat. Trotzdem gefällt mir Billie.“ „Mir auch.“, offenbarte er lächelnd. „War nur aus Interesse.“ Bei der restlichen Zubereitung schwiegen sie. So dauerte es nicht lange, bis sie gemeinsam an einem warmen Feuer hockten und ihre Suppe in sich hineinlöffelten. Kelvin war gewiss kein Meisterkoch, doch er fand, dass ihm diese besonders gut gelungen war. Das verdankte er auch ihren hochwertigen Zutaten, die sie ihm stets brachte. Eigentlich ließen sie es sich sogar ziemlich gut gehen, wenn er so darüber nachdachte. Sie hatten stets frisches Essen, eine Hütte mit Betten und viele Möglichkeiten sich zu waschen. Für ein hartes Training ziemlich viel Luxus. Jedoch ging Kelvin auch davon aus, dass Billiana selbst nicht zu hinterwäldlerisch leben wollte, wenn sie schon ständig Grünschnäbel ausbildete. Bei einer Sache musste er ihr inzwischen sogar beipflichten: Er war süchtig nach Magie! Seit sie ihn auf den kalten Entzug gestellt hatte, fiel ihm immer häufiger auf, dass er zitterte oder schwitzte. Außerdem schlief er nun noch schlechter. Noch schlechter! Er hatte gar nicht gewusst, dass das tatsächlich möglich war! Etwas in ihm wollte, dass er Magie einsetzte. Es redete ihm ein, dass es ihm besser gehen würde, doch die Elfe verhinderte es und langsam glaubte der Rebell, dass es besser so war. „Was war das für eine Reise?“, hörte er sich fragen, während Billiana gerade ein frisches Brot aufteilte. Es diente ihnen als Beilage und um es in die Suppe zu tunken. „Wie bitte?“ „Die Reise, auf der deine Freunde starben... Worum ging es dabei? Hat es etwas mit dieser bösen Macht zu tun, die der Weltenlenker immer mal erwähnt hat? Vor der er die Welten angeblich schützt?“ „Ja...“, antwortete die Blondine ausweichend. Statt es weiter auszuführen, tunkte sie lieber ihr Brot in die Suppe und aß es. Ihre eisblauen Augen blickten dabei zur gegenüberliegenden Wand, als sei es das erste Mal, dass sie diese sah. „Wenn du nie darüber sprichst, kannst du es auch nicht verarbeiten, Billie.“ „Wer sagt, dass ich das will?“ „Wollen wir das nicht alle? Alle, die wir in der Rebellion sind?“, warf Kelvin skeptisch ein. „Geht es nicht letztendlich darum, endlich Frieden zu finden?“ „Vermutlich... Ja.“ Es überraschte ihn nicht, dass sie trotzdem nicht zu reden begann. Wenn es stimmte, was sie sagte, waren all ihre Freunde auf dieser Reise gestorben. Außerdem erwähnte sie einen Verlobten, der mit ihr die Seelenklinge hergestellt hatte. Nur gab es keinen Ring... Nichts, was auf eine Ehe schließen ließ. Er war vermutlich dabei... Hat sie auf diese Reise begleitet und es nicht geschafft., sinnierte der Rebellenanführer mit ehrlichem Bedauern. Er wusste, wie es sich anfühlte, wenn man seine Liebe verlor. Ein Teil von ihm war damals gestorben. Dieser wichtige, große Teil, der Kelvin einst zu einem guten Menschen gemacht hatte. Durch den er nicht so auf Rache aus gewesen war, obwohl er allen Grund dazu gehabt hatte. Ohne Amelie war er verloren. Auch wenn es keiner sah, wusste er, dass es der Wahrheit entsprach. „Am Anfang waren die Götter...“, begann Billiana plötzlich und erlangte sofort seine Aufmerksamkeit. „Sie verspürten Langeweile und begannen ein... Spiel. Zuerst nur jene beiden, die heutzutage viele Namen besitzen. Gängig ist Schöpfervater und Schöpfermutter. Die Schöpfermutter erschuf Midgard mit der Vielfalt ihrer Rassen, der außergewöhnlichen Natur und zahlreichen Kulturen. Der Schöpfervater hingegen erschuf die Unterwelt oder Haljô. Sie war dunkel und kalt, aber auch voll mit verschiedenen Kreaturen, deren Erscheinung weniger ansehnlich war. Das Leben dort war hart wie er selbst es war.“ „Also entstanden diese beiden Welten wirklich durch göttliche Hände? Die Religionen haben recht?“ „Ja und nein...“ „Das ist keine wirkliche Antwort.“, seufzte der Rebell zweifelnd. „Es kommt drauf an, wie du einen Gott definierst, Kel. Ich denke, dass ein Gott keine sterbliche Hülle besitzt und sich nicht irrt.“, erwiderte sie mit ernster Miene. „Ich bezweifle, dass ein wahrer Gott aus purer Langeweile mit dem Leben spielen würde. Ich denke, dass diese angeblichen Götter nur sehr machtvolle Wesen mit außergewöhnlichen Gaben waren.“ „Hmm, ja... Ja, das ergibt Sinn.“ „Jedenfalls beobachteten diese angeblichen Götter ihre Werke, doch bald wurden sie wieder langweilig. Es herrschte Harmonie und das gefiel ihnen nicht, also gaben sie den Lebewesen neue Charakterzüge. Böswilligkeit, Sünden... Misstrauen.“ „Oh ja!“, keuchte Kelvin sarkastisch. „Wer will schon ein friedliches, harmonisches Leben führen? Ich vergaß, dass der Tag erst gut ist, wenn er mit einem Blutbad beginnt!“ Billie grinste schief, obwohl daran an sich nichts Lustiges war. Sie aß einige Bissen, dann rückte ihr Blick wieder in die Ferne: „Die Völker begannen sich untereinander zu bekriegen, doch auch das reichte ihnen nicht, also gaben sie ihnen Gaben. Fähigkeiten, die unterschiedlicher nicht sein konnten... Magie.“ „So wie die Essenzmagie?“ „Unter anderem, ja. Wobei die eine Weile lang fast ausgestorben war und dann mit Wyrn-... Dem Weltenlenker zurückkehrte.“ „Wieso war die Essenzmagie fast verloren?“, fragte er irritiert. Es kam ihn unvorstellbar vor, weil es inzwischen wieder recht viele Essenzmagier gab. Nicht alle waren machtvoll, doch sie waren recht zahlreich geworden. „Ich weiß es nicht...“, gestand die Elfe seufzend. „Ich denke, dass sie mit diesen göttlichen Wesen im Einklang ist. Ist ihre Macht schwach, ist die Essenzmagie fort und wenn sie stark sind, dann ist sie wieder da.“ „Eigenartig...“ „Die Gottheiten entschieden schließlich, dass sie das Spiel weiter ausbauen sollten und erschufen weitere Welten nach den Vorstellungen ihrer Kollegen.“, fuhr sie einfach fort. „Nur der Schöpfervater und die Schöpfermutter konnten Welten und Leben erschaffen, aber sie konnten es auch nach den Vorstellungen der anderen tun. So erschuf der Gott der Kunst mit ihrer Hilfe Yallad. Eine Welt, die wie ein einziges Gemälde aussieht und von Magie pulsiert! Die Drachen erkoren sich diesen Ort als ihre Heimat aus, ehe sie sich über die anderen Welten verbreiteten, um ihr Überleben zu sichern.“ „Gab es auf Midgard vorher keine Drachen? Kamen sie alle von... Yallad?“ „Doch, es gab dort Drachen, aber sie waren ganz anders. Nicht unbedingt von ihren äußeren Merkmalen, aber vom Wesen her.“ „Inwieweit unterscheiden sie sich voneinander?“, wollte Kelvin neugierig wissen. Er kannte bisher nur sie und sonst keinen einzigen Drachen. „Die Drachen Midgards sind eher Gelehrte. Friedenskämpfer, wenn du so willst. Die Drachen Yallads sind Krieger und Händler. Gutmütig, ja, aber man will sie nicht zum Feind haben.“ Natürlich wusste der Rebell von Hammond, dass die Drachen Midgards ein sehr friedliches Volk waren. Wenn es ging, vermieden sie Kämpfe. Nun bestätigte sie ihm diese Annahme und er fragte sich ernsthaft, ob sie den Krieg gegen den Weltenlenker überhaupt überstehen konnten. Wer nicht willig war, eine Waffe zu führen, konnte in Zeiten wie diesen nicht mehr überleben. Es war bedauerlich, doch leider nicht von der Hand zu weisen. Es gab so viele Opfer, die das belegten... Unschuldige Mütter, Kinder und auch Alte, die nicht die Kraft zum Kampf besessen hatten. Oder nicht mehr... Sollten die Drachen also ihre Ambitionen bezüglich des Kämpfens nicht ändern, dann würde der falsche Gott bald seine Drohungen wahrmachen können. Sie würden auf Midgard aussterben... Und dieses Mal würde es endgültig sein. „Immer mehr Welten und Kreaturen wurden erschaffen. Magische Fähigkeiten erdacht. Das ganze Netzwerk der Welten wuchs beständig unter der Kreativität der angeblichen Götter.“ „Ich höre ein großes Aber...“ „Aber-...“, setzte Billie schmunzelnd an. „Es geriet aus dem Gleichgewicht. Es war zu viel! Zu viele Völker, zu viele Welten, zu viel Magie. Einige Welten zerbrachen, obwohl sie noch in den Kinderschuhen steckten. Andere wurden durch einen Überschuss aus Magie einfach verschluckt, wodurch etwas anderes erwuchs, was nicht zu kontrollieren war. Die Völker metzelten sich mit ihren Fähigkeiten nieder und schienen teilweise keinen Frieden mehr zu kennen.“ „Das klingt furchtbar...“, gab Kelvin mit Bedauern zu. Sie hatten so viel erschaffen, doch die Kontrolle verloren. Nicht alles davon war gewiss schlecht gewesen. Ein paar der Dinge wären es wert gewesen, wenn sie die Zeit hätten überdauern können. „Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.“ „Wenn alles zusammenbrach, weshalb existieren wir dann alle noch?“ Lächelnd tippte sie sich auf die eigene Nasenspitze und deutete kurz auf ihn, als lobte sie ein kleines Kind, das seine erste Rechenaufgabe gelöst hatte. Zum wiederholten Male stellt er fest, dass sie sich darauf verstand, einem das Gefühl zu geben, man sei ein dummes Gör. „Die Götter waren wütend auf die Schöpfermutter, weil alles aus dem Ruder lief. Sie hatte hauptsächlich zu diesem Zerfall beigetragen, weil der Schöpfervater sich lieber auf die Unterwelt konzentrierte.“ „Weshalb?“ „Ich weiß nicht... Ich denke, dass er geahnt hat, dass sie zu weit gehen würden.“, sagte die Elfe schulterzuckend. „Die Schöpfermutter jedenfalls ersann einen Plan. Sie erschuf eine uralte Macht, die die überschüssige Magie vertilgen und Rassen auslöschen sollte, die nicht funktionierten. Entweder, weil sie zu instabil waren oder zu machtvoll. Das funktionierte ganz gut. Die Welten gerieten wieder ins Gleichgewicht und die Magie ging etwas zurück. Zwar war es immer noch ein recht kippliger Frieden, doch die Welten zerfielen nicht mehr.“ „Da ist schon wieder dieses bedeutungsschwere Aber zu hören...“ „Aber die Kreatur wurde gierig. Irgendwann sah es nicht mehr ein, weshalb es nur fressen sollte, was zu viel war. Es wollte wachsen und um zu wachsen, musste es mehr Macht vertilgen. Also fraß es...“ „Weshalb hat sie ihm diese Gier gegeben?“, wollte Kelvin wissen. „Wieso hat sie ihn nicht ohne Gefühle erschaffen und absolut gehorsam?“ „Das hat sie.“, warf die Blondine ein. „Doch irgendwie hatte sich diese Kreatur weiterentwickelt. Vermutlich durch alles, was er fraß...“ Langsam hob die Elfe ihre Hand und erschuf aus dem Nichts ein Bild einer schwarzen, unheimlichen Gestalt. Sie war klein, trotzdem konnte der Rebell deutlich Klauen und Reißzähne erkennen. Vor allem fiel ihm auf, dass dieses erschaffene Sinnbild dieser Kreatur keine richtige Haut zu haben schien, sondern triefte. Als hielte eine durchsichtige Membran eine schwarze Schlacke zusammen. Mit einer weiteren Bewegung ihrer Finger erschuf sie eine Kugel, die wohl eine Welt darstellen sollte. Die Kreatur tauchte sich darüber und diese Welt wurde schwarz, ehe sie dann verschwand. Vertilgt von dieser unbändigen Gier. Erneut bewegte sich ihre Hand und dieses Mal erschuf sie leuchtende Gestalten. Menschen, Elfen, Orks, Drachen... Sie alle liefen von dieser schwarzen Kreatur davon, wurden aber nach und nach verschluckt. Ein Anblick, der ihn mit Furcht erfüllte. Der Weltenlenker erschien für ihn und viele andere beinahe unbezwingbar, doch diese Kreatur... Sie fraß sich durch Welten und Leben, als bedeutete es nichts. „Die Schöpfermutter wollte ihre Kreation wieder einfangen und neugestalten, damit sie wieder tat, wofür sie diese Bestie ursprünglich erschaffen hatte, doch die Kreatur weigerte sich.“ Billiana erschuf ein Bildnis einer kleinen Frau mit langem, wallendem, rotem Haar. Sie stellte sich mit Schwert und Schild der schwarzen Kreatur entgegen. Als sich die Bestie auf sie stürzte, hob sie ihren Schild und verbarg sich dahinter, sodass sich diese schwarze Schlacke darauf zu spalten schien. Die Frau – die offenbar die Schöpfermutter darstellte – ergriff die Flucht. Diese seltsame Kreatur folgte ihr. Dabei erschuf die Elfe immer wieder Kugeln, die nach der Anwesenheit der beiden verpufften. „Die Schöpfermutter musste einsehen, dass ihr diese Kreatur nicht nur einfach misslungen war, sondern dass sie sie auch überflügelte.“, erklärte Billie ernst. „Sie schaffte es nicht, sie noch zu bändigen und bei ihrer Schlacht gegeneinander zerstörten sie zahlreiche Welten. Irgendwann musste sie einsehen, dass dieser Kampf sinnlos war. Zodiak – oder das Urböse, wie es in den meisten Schriften heißt – war zu einer unsterblichen Macht herangewachsen. Kein Sterblicher oder Unsterblicher vermochte ihn noch zu vernichten.“ „Aber irgendwie muss es doch gelungen sein, oder?“, hakte der Rebell nach. „Ich merke nochmals an, dass wir noch leben.“ Dieses Mal ging sie nicht direkt auf seine Frage ein, sondern formte nun Gestalten von Waffen. Verschiedene. Schwert, Bogen, Hammer, Axt, Speer... Sie leuchteten in einem mysteriösen Blauton, den er nur von dem magischen Erz Mithril kannte. Schließlich griffen Hände nach diesen Waffen. Jede Hand gehörte zu einer anderen Rasse. Manchmal erkannte er nicht, was es für ein Volk war, doch bei vielen war es eindeutig. „Shiva – die Schöpfermutter – beschloss, dass Zodiak durch etwas Göttliches erschaffen worden war und etwas Göttliches musste ihn dann auch auslöschen können. Also gab sie den Völkern das Rezept, Seelenklingen schmieden zu können.“, erklärte Billiana und erzeugte die Bilder von riesigen Brennöfen und mächtigen Zaubern, die auf Waffen gewirkt wurden. „Um zu verhindern, dass zu viele erschaffen wurden, konnte nur eine harmonische Zusammenarbeit der Völker eine perfekte Klinge erschaffen. Sie wusste, dass über kurz oder lang die Rassen diese Harmonie nicht beibehalten würden.“ Sie musste sich nicht konzentrieren, um ihre eigene Seelenklinge direkt vor seinen Augen zu beschwören. Es erschien stets aus einem schwarzen Nebel, das war ihm schon bei dem Kampf im Adelshaus aufgefallen. Erstaunlicherweise hielt Billiana es ihm hin. Ehrfürchtig nahm er es ihr aus den Händen und musterte es. Ihn überraschte im ersten Moment, wie leicht das Schwert war! Kaum schwerer als seine eigenen Dolche... Im zweiten Augenblick fielen ihm die Verzierungen und Runen auf der gesamten Klinge auf, die zur Spitze hin kleiner und filigraner wurden. Das Metall hatte dieses unverkennbare blaue Leuchten vom Mithril, doch es war nicht so intensiv wie es der Rebell davon kannte. Es war also vermutlich nicht komplett daraus gefertigt worden, doch definitiv mehr als eine Legierung. Kurz vor dem Griff hatte die Klinge spitze Zacken, die ihn ein bisschen an die Widerhaken der Inquisitoren erinnerten. Auch der Beginn des Griffs hatte diese Zacken, nur waren diese geschwungener und weniger scharfkantig. Rammte die Elfe die vollständige Klinge in den Körper eines Feindes, gab es für denjenigen kein Entrinnen mehr. Kelvin musste bei dieser Vorstellung schwer schlucken. Außerdem fiel ihm sogar als Laie auf, dass das Schwert ein Meisterwerk war. Einzigartige Schmiedekunst, die kein Mensch jemals derartig umsetzen könnte, selbst wenn er alle Zeit der Welt hätte, um es zu lernen. „Durch das Zusammenspiel von den richtigen Materialien, zu dem meisterhaften Schmiedekünsten der Zwerge wurden nahezu unzerstörbare Waffen erschaffen. Ihre besonderen Eigenschaften verliehen ihnen jedoch die magischen Waffenrunen der Elfen...“ „Du meinst, dass sie aus dem Nichts beschworen werden können?“, erkundigte er sich mit hochgezogener Augenbraue. „Unter anderem...“ „Dass sie explodieren, wenn du damit einen Fessler tötest?“ Sie rollte etwas mit den Augen, nickte dann aber: „Ja, das war der Grundgedanke. Nicht gerade die Schockwelle, aber dass sie die Lebensenergie und Magie aus seinen Opfern entziehen kann. Natürlich muss so viel Energie irgendwo hin, also überträgt sie sich auf den Führer der Waffe. So konnten Sterbliche und Langlebige ihre Lebensdauer erweitern. Jedoch birgt das natürlich gewisse Risiken...“ „Was für Risiken?“ „Sterbliche, die ihre Lebensdauer mithilfe einer Seelenklinge erweitern, werden früher oder später wahnsinnig. Ihr Organismus ist nicht dafür ausgelegt... Erhalten sie die Gabe der Langlebigkeit, verfliegt diese Nebenwirkung allerdings.“ „Man kann Langlebigkeit erhalten? Ich dachte, dass das angeboren wäre...“ „Ist sie meistens auch, doch irgendwo nimmt ja alles seinen Anfang. Wyrn-... Der Weltenlenker vergibt auch Langlebigkeit im Austausch für Loyalität.“ Also hat er in diesem Punkt nicht gelogen... Er macht seine Könige tatsächlich selbst zu Langlebigen., wurde es ihm bewusst. Das war bitter! Es verlieh dem Weltenlenker tatsächlich einen göttlichen Anschein, wenn er den Tod so austricksen konnte. „Der Grundgedanke hinter den Seelenklingen war, dass sie bei einem Treffer Zodiak seine Macht und Lebenskraft entziehen sollten. So wurde ihr Träger mit seiner Macht gestärkt, während Zodiak schwächer werden sollte.“, fuhr Billiana schließlich sachlich fort, während ihr Blick ins Kaminfeuer versank. „Die Träger hingegen mussten sich an ihre Waffe binden. Ihre Seele schloss einen Pakt mit ihr, sodass sie die Seelenklingen überall beschwören konnten, aber auch niemand sonst vermag sie zu führen.“ „Deshalb Seelenklinge...“ „Genau. Erst mit dem Ableben des Trägers oder wenn dieser sie freiwillig übergibt, kann sie einen neuen Meister erhalten.“ „Weshalb sollte jemand freiwillig solch ein mächtiges Werkzeug aufgeben?“, hakte der Rebell irritiert nach. Hätte er solch eine Klinge, würde er sie mit ins Grab nehmen! „Um sie beispielsweise an einen Nachfahren zu vererben oder weil man zu schwach, zu alt oder zu krank wird, um sie zu führen.“ „Ja... Ergibt Sinn.“ „Die meisten Träger sterben aber natürlich – in der Regel nicht an Altersschwäche.“ „Woher kommt das nur?“ Wieder bewegte die Blondine ihre Hand und das Bildnis der schwarzen Kreatur erschien dieses Mal größer in dem Zimmer. Die verschiedenen Rassen hatten ihre bläulichen Seelenklingen in den Händen und waren bereit zum Angriff. „Als Zodiak von den mächtigen Waffen hörte, die man gegen ihn führen sollte, brach er nach Midgard auf. Auch der Schöpfervater schloss sich nun diesem Kampf an und gesellte sich an Shivas Seite.“ Zwei Gestalten erschienen an vorderster Front. Die eine war die rothaarige Göttin mit Schild und Schwert, doch die andere war ein vermummter Mann mit einer gigantischen Sense. Sie befehligten die restlichen Seelenklingen-Träger. Alle stürzten sich auf die Bestie und ein Kampf entbrannte inmitten dieses Zimmers. Mit offenem Mund beobachtete Kelvin das Spektakel. Schwarzes Blut spritzte, wenn die Seelenklingen die Bestie trafen, während einige Krieger in diesem Kampf fielen und von Zodiak verschlungen wurden. Irgendwann verschwand die Kreatur und ließ ein Meer aus Leichen zurück. Es war selbst in diesen Silhouetten die Trauer über die Verluste erkennbar. „Zodiak erkannte, dass er gegen diese mächtigen Waffen keine Chance hatte und musste feststellen, dass er sie auch nicht stehlen konnte. Zodiak selbst besitzt keine Seele...“ „Deshalb die Bindung.“, erleuchtete sie Kelvin in diesem Augenblick. „Damit dieser... Zodiak sich nicht selbst die Klingen aneignen konnte.“ „Exakt.“, bestätigte Billie ihm. „Doch Zodiak war ebenso kreativ wie seine Mutter und fand einen anderen Weg, um sich gegen diese Waffen zu wehren.“ Wieder erschuf die Elfe ein Bild zwischen ihnen. Es waren zahlreiche Lebewesen unterschiedlicher Rassen, die von Zodiak hinterlistig überfallen wurden. Nur verschwanden sie dieses Mal nicht, sondern erhielten eine Berührung der Kreatur. Im Anschluss breitete sich in den Lichtgestalten ein schwarzer Fleck aus, der sie schließlich komplett einhüllte. Wie willenlose Puppen begannen dem Urbösen einfach zu folgen. Sie berührten andere Lebewesen und auch sie verloren ihr Licht, um stattdessen in dieser schwarzen Schlacke gehüllt zu sein. „Er veränderte sich nicht nur Dank der vertilgten Magie selbst, sondern tat es auch mit den anderen Völkern.“, erklärte Billiana verbittert. „Er drang in sie ein, ernährte sich von ihren Sehnsüchten, Ängsten und Begierden, um sie gegen sie einzusetzen. Irgendwann gibt jeder nach... In diesem Moment geben diese Infizierten ihren Körper auf und Zodiak kann ihn steuern. Chaos brach aus, weil sich plötzlich die eigenen Verbündeten oder sogar Verwandte gegen einen stellten. Kriege entfachten, weil niemand den Ursprung kannte. So konnte er einige der Anführer schließlich auch bekehren und über sie die Seelenklingen für sich nutzen. Gleichzeitig schwächte er die Schöpfer...“ Kelvin fand es beeindruckend, wie sie nun mit beiden Händen noch größere Bilder erschuf. Deutlich machte, wie die Armee von Zodiak an Sklaven wuchs und einige der bläulichen Waffen auf seiner Seite waren, während das Heer der vermeidlichen Gottheiten schrumpfte und sie immer weniger bläuliche Waffen besaßen. Um diese beiden Armeen herum, tobten Schlachten und sie machte deutlich, dass sie unter den verschiedenen Rassen ausgeführt wurden. Es forderte viele sinnlose Opfer. Minimierte die Anzahl jener, die den Schöpfern in dieser Schlacht beistehen konnten. „Shiva musste einsehen, dass sie nicht gewinnen konnte. Das Urböse war besessen davon zu überleben und war gewillt, sich dafür immer wieder neu zu definieren, also schmiedete sie einen Plan...“ „Weil ihre vorherigen Pläne so gut funktioniert haben?“, spottete er scherzlos. Billiana ignorierte seinen Einwand und ließ eine Art Strudel erscheinen, der leuchtendhell sich zu winden schien. Plötzlich entstieg den gefallenen Kämpfern stets eine helle Lichtkugel, die sich in diesen Strudel begab. Dann erschien ein Baby und eine dieser Lichtkugeln glitt in es hinein. „Die Schöpfermutter erschuf den Zyklus der Wiedergeburt, um die Auslöschung des Lebens entgegen zu wirken. Vorher waren die Seelen nach dem Tod verloren... Sie irrten als Irrwichte durch die Welten, doch nun sammelten sie sich in dem Seelenstrudel und wurden in andere Körper wiedergeboren.“, erklärte sie ihm. „Sie band auch die vermeidlichen Götter in diesen Zyklus mit ein – einschließlich sich selbst. Jedoch bedachte sie dabei nicht, dass die Wiedergeborene keine Erinnerungen an ihr vorheriges Leben hatten. Es bedeutete auch nicht, dass man auf die Fähigkeiten seiner Ahnen zugreifen konnte...“ „Wieso überrascht es mich nicht, dass es nicht so lief, wie sie wollte?“, warf der Rebell seufzend ein. „Es funktionierte nicht perfekt, da stimme ich dir zu, doch es gab ihr die Möglichkeit sich zu opfern.“ „Weshalb wollte sie sich opfern?“ „Um mit diesem Opfer Zodiak einzusperren... Ihr war klar, dass sie ihn nicht töten konnte, doch durch den Zyklus der Wiedergeburt musste sie das auch nicht. Es gab ihr Zeit, um in ihren neuen Leben nach einer Möglichkeit zu suchen, um ihn endgültig zu vernichten.“ „Warum musste sie dafür sterben?“ „Weil sie ihre ganze Lebenskraft und Magie darauf verwendet hatte, um ihn in sein Verließ zu sperren.“ Wieder stand die rothaarige Frau dieser schwarzen Kreatur alleine gegenüber und sie fiel. Im Anschluss entglitten ihrem toten Körper weiße Ketten, die sich um Zodiak schlangen. Er wehrte sich, konnte sich aber nicht befreien. „Um das Gleichgewicht wieder zu stabilisieren, erschuf der Schöpfervater die Zwischenwelt. Dort kerkerte er den größten Teil von Zodiak ein.“, flüsterte sie ehrerbietig als bewunderte sie diesen Mann dafür. „In der Zwischenwelt gibt es keine Magie, sondern nur die ruhelosen Seelen, die nicht im Seelenstrudel landeten. Und die Wächter, die keine Körper besaßen... Um das Überleben der Zwischenwelt zu sichern, erschuf er außerdem eine Königin. Sie sollte sicherstellen, dass die Energie der Seelen niemals als Brennstoff für Zodiak nutzbar wurden und die Zwischenwelt weiterhin die anderen Welten zusammenhielt.“ „Bitte sag‘ mir jetzt nicht, dass diese Königin auch ausflippte.“ „Nein, sie tut, was sie soll seit vielen Jahrtausenden.“ „Okay... Was hat das Ganze mit deiner Reise zu tun?“ „Das Urböse fand im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Wege, um aus seinem Gefängnis zu entkommen. Jedes Mal gierte er dabei darauf, erneut Chaos zu stiften und seine Mutter zu töten.“ „Reizend...“, seufzte Kelvin angewidert. „Nur unter großen Anstrengungen gelang es den Wiedergeburten der Schöpfermutter ihn immer wieder zu versiegeln. Natürlich gab es zuvor zahlreiche Opfer...“ „Natürlich.“ „Vor einigen Jahrhunderten kehrte Zodiak nach Midgard zurück. Er verbreitete sich als eine Seuche und begann die Welt Stück für Stück zu vertilgen.“, erzählte sie, während sie Midgard vor seinen Augen erschuf, die immer schwarzer wurde. „Ich fühlte mich dazu berufen, die Unterwelt zu verlassen und stellte mich Zodiak in den Weg. Dabei fand ich einige Freunde, die mich begleiteten... Andras, ein Unterweltler, der diesen Ort lange vor mit verlassen hatte. Er war ein Nekromant, Blutmagier und ein... wahrhaftiger Freund. Argrim, ein Zwerg, der von Wyrnné geschickt worden war, um mir zu helfen. Ein ausgezeichneter Krieger und Schmied. Und Cazie, die mich in meiner schlimmsten Not unterstützte, damit ich Zodiaks Einfluss widerstehen konnte.“ „Wyrnné? Ist das sein echter Name?“ „Ja... Nutze dieses Wissen weise.“ Kelvin nickte bleiern. Er wusste noch nicht, ob ihm das wirklich etwas brachte, doch zumindest druckste sie nicht mehr drumherum. „Cazie starb durch meine Hand, denn Zodiak befiel ihren Verstand und ich konnte ihr nicht helfen.“, erzählte sie mit großer Trauer im Blick. „Andras opferte sein Leben, um meines zu retten. Er warf sich zwischen Zodiak und mich und wurde von dessen Schwert durchbohrt.“ „Und Argrim? War er dein Verlobter?“ „Ja... Er überlebte mit mir diese Reise und starb durch unsere eigene Dummheit in einer Mine. Begraben unter Felsen...“ „Das tut mir leid...“ „Muss es nicht. Es ist nicht deine Schuld.“, winkte die Elfe ab. „Wir schafften es jedenfalls Zodiak wieder zu verbannen, doch ich brauchte dafür Hilfe.“ Jetzt wurde er wieder hellhörig. Irgendwas sagte dem Rebell, dass es der Weltenlenker war, der diese Hilfe angeboten hatte. Und dass es schiefgelaufen war... Ihr Blick wurde trüb, während sie sich zu erinnern schien. Obwohl Kelvin Mitgefühl für sie hatte, wollte er wissen, was genau geschehen war. Was nötig gewesen war, um Zodiak erneut in Ketten zu legen, damit er nicht alle Welten fraß. „Ich nahm Zodiak in mich auf...“, murmelte sie und erschuf ein Lichtbildnis ihrer Selbst. Es warf sich verletzt auf das Urböse und die schwarze Schlacke drang über die Wunden in sie ein. Die ursprüngliche helle Gestalt wurde immer dunkler. Quillte beinahe über! Es sah schrecklich aus, obwohl er keine Ahnung hatte, wie es sich wirklich angefühlt hatte. Mit letzter Kraft robbte diese schwarze Gestalt von Billiana davon. Begleitet wurde sie von einem schwarzen, nebeligen Wolf, den er auch im Kampf um das Adelshaus gesehen hatte. Kurz darauf tauchte eine männliche Gestalt auf. Erst hielt er ihn für den Weltenlenker, doch etwas in ihrem Blick verriet ihr, dass er sich irrte. „Mein Bruder nahm ein Teil von Zodiak in sich auf, damit ich genug Kraft bekam, um Wyrnné zu erreichen. Es fiel mir schwer, doch ich ließ es zu...“ Die Gestalt ihres Bruders verfärbte sich schwarz, brachte sie aber dennoch in ein Bett, um dann zu verschwinden. Im Anschluss tauchte ein anderer Mann auf. „Wyrnné bekam einen viel größeren Teil von Zodiak... Als Medium konnte er diese Macht in sich speichern, dennoch durfte ich ihm nicht zu viel geben.“, erklärte die Elfe verbittert. Nun verfärbte sich auch die Gestalt vom Weltenlenker, nur wurde sie viel dunkler als bei ihrem Bruder. Ihre eigene Erscheinung hingegen hellte sich wieder etwas auf und schien sich zu erholen. „Ich war mir sicher, dass ich ihm genau die richtige Menge zugemutet hatte und verließ nach Argrims Tod Midgard. Ich kehrte nach Hause zurück...“ „In die Unterwelt?“ „Ja.“ Die Bilder verpufften im Nichts, während sie mit leerem Blick in das Feuer starrte. Von ihrer sonstigen Lebensfreude konnte Kelvin nichts mehr entdecken. Es war fast so, als durchlebte sie alleine durch die Erzählung all die Ereignisse wieder. Als müsste sie all das nochmals empfinden. Er verstand das sehr gut und ließ ihr die Zeit, die sie brauchte. Der Rebellenanführer musste das Ganze selbst erstmal sacken lassen. Erst recht, weil der falsche Gott offenkundig wirklich mal ein guter Mensch gewesen und nicht als Tyrann zur Welt gekommen war. „Ich musste erkennen-...“, setzte sie nach einigen Minuten des Schweigens an. „... dass ich ihm zu viel zugemutet hatte. Zodiak fraß sich in sein Herz und in seinen Verstand und begann Wyrnné zu verändern...“ „Du konntest es nicht wissen. Du hast ihm vertraut...“, warf Kelvin sofort ein. Ihre Vorwürfe waren deutlich spürbar. Sie fühlte sich schuldig für das, was der Weltenlenker schließlich getan hatte. „Konnte ich, aber ich wollte es nicht... Ich wollte nicht wahrhaben, dass ich zu viel erwartet habe.“ Einen Augenblick lang schwieg sie wieder, dann erschuf sie einige Bilder. Er konnte es nicht deuten. Es sah aus, als wäre es ein Mensch, der zu einem breiten Hünen heranwuchs und dann noch zwei andere Gestalten, die sich ebenfalls zu verändern schienen. Eine davon war elfischer Herkunft. „Er begann die Gabe des Schöpfens zu nutzen, die ich ihm versehentlich stückweise übertragen hatte. Er transformierte einige Lebensformen um...“, erklärte Billie ihm mit trockenem Mund. „Loyale Menschen wurden zu Inquisitoren. Ergebene Elfen machte er zu Fesslern... Und Drachen wurden zu Drachenhetzern.“ „Sie gehörten ursprünglich alle einem der drei Völker an? Sie sind nicht einfach so entstanden?“ „Nein... Wyrnné bekam nur einen Bruchteil der Macht des Schöpfens. Er braucht eine... Basis, um Leben zu schaffen. Er wandelt es lediglich um... Transformiert es zu etwas Neuem.“ „Er leidet offenbar unter grenzenloser Selbstüberschätzung...“ „Offenbar.“ „Aber wie kommt es, dass sich Drachen und Elfen freiwillig umwandeln ließen? Oder müssen sie nicht alle loyal sein?“, hinterfragte der Rebell begierig. „Manche lassen sich von seinem Charme einlullen... Aber ja, sie müssen ihm gegenüber loyal sein, sonst kann er dieses enge Band nicht knüpfen.“, bestätigte sie ihm nickend. „Er baut all das auf dem auf, was schon da ist. Verstärkt ein paar Gefühle, die Magie und die Widerstandsfähigkeit, nimmt ihnen aber gleichzeitig viele Gefühle und den freien Willen. Ein Gewissen wäre für einen Inquisitor eher hinderlich.“ „In der Tat...“, stimmte Kelvin ihr nachdenklich zu. Wenn all seine Bestien zuvor mal Menschen, Elfen und Drachen gewesen waren, musste von ihnen noch etwas übrig sein. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Weltenlenker wirklich alles von ihnen auslöschen konnte. Vielleicht kommen daher die Nebenwirkungen im Alter... Vielleicht erinnern sie sich allmählich an ihr vorheriges Leben und drehen deshalb durch., überlegte der Rebellenanführer. Das wäre etwas, worauf er aufbauen konnte! Wenn er herausfinden könnte, wer sie vorher waren, konnte er sie vielleicht daran erinnern. Diese Kreaturen erschüttern... Dann wandten sie sich eventuell vom Weltenlenker ab. Hammond hatte recht gehabt: Sie war wertvoll. Ihr Wissen war fungiert und absolut beeindruckend. Mit etwas Glück hatte sie noch viel mehr Informationen, damit ihre Rebellion endlich erfolgreich war. Dennoch war es bedauerlich, was sie alles für dieses Wissen verloren hatte. Kelvin hätte ihr ein besseres Schicksal gewünscht. Mehr Glück... Mehr Liebe. Weniger Verluste! Doch das suchte man sich eben nicht aus. Er selbst hatte sicherlich auch Besseres verdient gehabt, als alles, was man ihm angetan hatte. „Wie schaffst du das nur?“, hörte er sich heiser fragen. „Was meinst du? Mit all dem zu leben?“ „Nein, trotz all deiner Erlebnisse und mit diesem Wissen so... heiter zu sein?" „Weshalb lächelst du ständig?“, hakte sie schließlich wissentlich nach. „Um nicht weinen zu müssen...“ Ihrem Blick konnte Kelvin entnehmen, dass es nicht die Antwort war, auf die sie gehofft hatte. Also räusperte sich Billiana und fuhr sich durch das goldblonde Haar. Dann sah sie ihn wieder an: „Wir lächeln, weil die Verstorbenen sich das von uns gewünscht hätten. Sie hätten sich gewünscht, dass wir weitermachen und glücklich werden. Deshalb lächeln wir... Deshalb lächelst du. Du tust es für Amelie.“ Er schwieg. Nicht, weil er ihre Worte dreist fand – was sie waren – sondern weil er die Wahrheit in ihnen entdeckte. Natürlich taten sie all das für jene, die sie einst verloren hatten. Sie lebten fortan halbe Leben, doch gleichzeitig lebten sie für die weiter, die gestorben waren. Doch konnten sie wirklich wieder glücklich werden? Loslassen und sich neu binden? Wieder dieselbe Freude empfinden, wie sie es mit ihren Verlobten getan hatten? Irgendwie bezweifelte der Rebell es, doch er hoffte für sie beide, dass es noch einen Weg für sie gab. Einen Weg in eine glückliche Zukunft... „Erlaubst du mir noch eine letzte Frage?“ „Würdest du sie für dich behalten, wenn ich verneinen würde?“, hinterfragte Billiana mit hochgezogener Augenbraue. „Vermutlich nicht...“ Sie seufzte, nickte dann aber: „Frag‘.“ „Wieso ist dein linkes Auge blind?“, hakte er nach und fand keine taktvollere Umschreibung, als es einfach direkt zu wagen. „Ich sehe keine Narben, also ist es wohl... angeboren?“ „Nein, ist es nicht.“ Irritiert sah er sie an, doch sie führte es nicht weiter aus. Stattdessen griff sie in eine Ausbeulung ihrer Bluse, um ein Stück Pergament herauszuholen. Es sah sehr alt, zerknittert und vergilbt aus. Offenbar hatte sie das Stück Papier nicht besonders gut gepflegt und es immer in ihren Taschen dabei. Langsam reichte sie es ihm herüber. Verwirrt betrachtete er das Bild auf dem alten Pergament. Eine blondhaarige Elfe war darauf abgebildet, die sehr jung auf ihn wirkte. Sie sah aus, wie eine Jugendliche von vielleicht sechszehn Wintern. Obwohl die Farben schon verblassten, konnte er das goldblonde Haar erkennen und eisblaue Augen. Keines schien blind zu sein, doch er erkannte eine gewisse Ähnlichkeit im Gesicht. „Bist du das etwa...?“ „Ja, als ich eine Jugendliche war.“ „Wahnsinn... Du siehst vollkommen anders aus.“, gab Kelvin zu. „Besser, keine Sorge, aber anders.“ „Ja, das bringt die Erweckung zu einem Drachen mit sich... Man verändert sich grundlegend.“ „Gut, auf diesem Portrait sehe ich, dass du früher nicht auf einem Auge blind warst. Wieso also heute?“ „Nur, weil du etwas nicht siehst, heißt es nicht, dass es nicht da ist.“, murmelte die Elfe mysteriös. Langsam hob sie die Hand vor ihr Gesicht und wischte sie dann herab, als würde sie eine Maske abnehmen. Darunter kam dasselbe Gesicht hervor, nur waren überall wulstige Narben. Eine besonders tiefe ragte über ihrem erblindeten Auge und war die Ursache dafür. Schockiert starrte der Rebellenanführer sie an und erhob sich etwas. Zittrig strichen seine Kuppen über die Narben, die keine Illusionen waren. Kelvin konnte ihre Struktur ganz genau spüren, während die Haut daneben zart war. Jemand hatte sie ganz übel zugerichtet und sie verbarg es offenbar unter einer magischen Maske. „Wie-...?“ „Mein Bruder lehrte mich das, damit ich die Narben verbergen kann... Inzwischen halte ich diese Illusion unbewusst aufrecht.“ „Das ist beeindruckend...“, gab er mit trockenem Mund zu. „Wer hat das getan? Ist es auf dieser Reise geschehen?“ „Als ich in die Unterwelt zurückkehrte, war mein Vater wahnsinnig wütend auf mich. Er schrie mich an und ich schrie einige unschöne Sachen zurück. Irgendwann sagte ich ihm, dass ich gar nichts mit ihm gemeinsam hätte...“, berichtete sie mit hohlem Blick und schien fern von dem Hier und Jetzt zu sein. „Er sagte, dass sich das leicht ändern ließe und riss mich zu Boden. Im Anschluss nahm er seine Seelenklinge und fügte mir die gleichen Narben zu, die auch er trägt.“ Ihm wurde übel, als er das hörte! Ihr eigener Vater hatte ihr Gesicht entstellt und ihr sogar einseitig das Augenlicht geraubt. Nur, weil er wütend auf sie gewesen war... Kelvin konnte sich nicht vorstellen, wie das für sie gewesen sein musste. Jemand, der sie hätte beschützen sollen, hatte ihr stattdessen geschadet. Der, der eigentlich alles tun müsste, um sie glücklich zu machen, hatte ihr so viel Leid zugefügt... Es musste sie verändert haben. Es musste alles verändert haben! „Als ihm klar wurde, was er getan hatte, brachte er mich zu Heilern, doch es war zu spät. Sie konnten nur noch die Blutungen stillen und die Knochenschäden beheben. Ich verlor mein Augenlicht auf dieser Seite und behielt diese Narben.“ „Das tut mir leid... Ich hätte nicht fragen sollen!“ „Schon gut.“, winkte sie ab und hob wieder ihre Hand. Die Narben verschwanden, als wären sie niemals da gewesen. „Ironischerweise sieht niemand diese Narben, aber wenn ich den Spiegel gucke, kann ich sie sehen. Selbst mit diesem Zauber...“ Gebrochen lachte die Elfe auf. Ihr Bruder hat es gut gemeint, doch diese Verletzungen sind nicht nur oberflächlich. Das geht tiefer..., dachte der Rebell bleiern. Ihr Vater hat sie gebrochen. Ihr ihre Identität genommen... Da sie mit vollständigem Augenlicht zur Welt gekommen war, musste die Umstellung schwierig gewesen sein. Jedoch konnte er sich auch das nicht vorstellen, solange er es nicht selbst durchlebte. Nur hoffte Kel, dass er niemals in die Misere kam, dass er einen seiner Sinne verlor. Billiana schien jedoch damit erstaunlich gut klarzukommen. Ihr Gehör war selbst für eine Elfe außergewöhnlich scharf und sie wusste oftmals Dinge, die er mit zwei gesunden Augen nicht mal wahrnahm. Geschweige denn mit seinen Ohren! Als sie gemeinsam geflüchtet waren, hatte sie stets gewusst, wann und wo sich die Wächter aufhielten. Sie hatte genau gewusst, wie viele es waren und wie lange sie warten mussten, ehe sie weiterkonnten. Es mochte stimmen, dass sie etwas verloren hatte, doch gleichzeitig hatte die Elfe etwas gewonnen. Sie verabschiedeten sich für diesen Abend und verschwanden in ihren Betten. Irgendwas sagte ihm jedoch, dass sie beide nicht viel Schlaf finden würden. Sie würden beide an dunkle, gierige Kreaturen denken und die Verluste, die sie einst erlitten hatten. In dieser Nacht träumte Kelvin das erste Mal von Amelie seit sie gestorben war, doch am nächsten Tag erinnerte er sich nicht mehr an diesen Traum. Trotzdem fühlte er sich leichter.   Meister Ragnar wusste, dass wenn eine Drachenkönigin einen rief, man ihr gehorchen musste. Selbst dann, wenn sie ihr Amt nicht antreten wollte... Doch er gehorchte ihr nicht nur deshalb. Für ihn war Billiana wie eine Enkeltochter, die er niemals gehabt hatte. So wie Tyr für ihn einen Sohn ersetzt hatte, der wiederum die Blondine als seine Tochter ansah. Das Verhältnis von Meister und Schüler war oftmals kompliziert. Es war nicht das erste Mal, dass sich tiefgründige Gefühle hineinschlichen und es würde nicht das letzte Mal sein, dass es soweit kam. Ragnar wusste das. Deshalb war er wirklich glücklich, dass er im Ruhestand war. Nur leider respektierte Billie das nicht... Sie bat ihn immer wieder um Hilfe, wenn es um die Ausbildung von Magiebegabten ging. Und er bot ihr stets die Hilfe, statt einfach zu verneinen. Ausnahmsweise war er jedoch gespannt auf den Mann, um dessen Ausbildung sie ihn gebeten hatte. Nicht nur, weil er längst erwachsen war und die Grundlagen schon beherrschte, sondern weil er im gesamten Reich des Weltenlenkers für Aufsehen sorgte. Vielleicht war er sogar in der Lage dessen Machenschaften endgültig zu beenden. Selbst wenn Kelvin Morgenstern dieser Herausforderung nicht gewachsen sein sollte, gaben sie ihm nun alle Mittel in die Hände, damit sich das änderte. Die Elfe hatte ihn gelehrt, wie er ohne Magie auskam und nun war es an ihm, dem Rebell beizubringen, wie er seine Magie besser kanalisieren konnte. Leicht gesagt, denn Billiana hatte bereits angedeutet, dass er süchtig nach Magie geworden war. Seinen Entzug hatte er gerade mal hinter sich gebracht, also musste er aufpassen, dass er nicht rückfällig wurde. „Es wird dich sehr freuen, dass du wieder zaubern darfst.“, sagte Billiana, während Kelvin ihn skeptisch musterte. Sie hatte wohl nichts von seiner Ankunft berichtet. „Ich darf wieder Magie einsetzen?“, wiederholte er ungläubig. „Zumindest dann, wenn ich es dir erlaube.“, widersprach Ragnar streng, während er ihn ernst ansah. „Bei mir lernst du, wie du ein Meister deiner Magie wirst. Du wirst niemals mehr als nötig einsetzen und lernen, wie du die richtige Menge erkennst.“ „Und wer seid Ihr bitte?“ „Du wirst mich Meister Ragnar nennen. Ich bin ein Drache des nördlichen Drachenhorts.“, schnaubte er temperamentvoll. „Billie sagte mit bereits, dass du widerspenstig sein wirst und ich sage dir, dass ich das nicht dulde.“ „Oh je...“ „Ich merke schon, dass ihr euch wunderbar verstehen werdet.  Dann überlasse ich euch mal das Feld und erledige einige Dinge.“, kicherte die Elfe amüsiert. „Versucht euch nicht gegenseitig umzubringen. Jedenfalls nicht solange ich nicht zusehen darf... Viel Erfolg.“ Tatsächlich ging die Blondine. Es überraschte ihn nicht. Von Anfang an hatten sie besprochen, dass sie sich aus der magischen Ausbildung heraushalten würde. Sie hatte die körperliche Stählerung des Rebellen ausgeführt, nun lag es an ihm, seinen Geist zu wappnen. Ragnar entsprach nicht dem eigentlichen Sinnbild eines Drachens. Er hatte stark gebräunte Haut und schokoladenbraunes, längeres Haar und ebenso dunkle Augen. Seltsamerweise waren die meisten Drachen in ihrer menschlichen Gestalt eher blass oder nur leicht gebräunt wie Billiana. Doch er war auch kein geborener Drache... Bei ihm war das Drachengen später ausgebrochen und er war dann erwacht. So wie auch Billie einst. Nur war er kein König. Trotzdem genoss Meister Ragnar den Respekt seiner Artgenossen. Viele fürchteten ihn sogar. Trotz seiner eigenartigen Herkunft gehörte er zu den mächtigsten ihrer Art. Sowohl in seiner menschlichen Form, als auch in seiner drakonischen. In einer anderen Zeit hatte er sogar an der Seite von Königin Dra’cor im Großen Krieg der Völker gestanden. Er hatte sie sogar sterben sehen... Es gab eigentlich keine Augenzeugen mehr aus dieser Zeit, wenn man von einem König absah, dessen Zerfall stetig zu beobachten war. Inzwischen war es ihm egal, weshalb er sich so sehr von seinen Artgenossen unterschied. Bisher war es stets ein Vorteil gewesen. Immerhin hatte er den Großen Krieg überlebt und war noch heute sehr fit. „Wie genau gestaltet sich denn meine magische Ausbildung bei Euch?“, erkundigte sich Kelvin interessiert. „Du hast es nicht so mit Titeln, was?“ „Nicht wirklich... Soll ich nun etwa ständig ein »Meister« hinten dranhängen?“ „Wäre zumindest angemessen.“ Der Rebellenanführer zuckte mit den Schultern, ehe er ihn schelmisch grinsend ansah: „Das wird nicht passieren.“ Okay, ich verstehe, was Billie meinte..., sinnierte Ragnar augenrollend. Im Augenblick war es nicht so wichtig, dass er die Gepflogenheiten zwischen Meister und Schüler einhielt. Wichtiger war, dass er seinen Unterricht beherzigte und sich entwickelte. Solange das geschah, war ihm der Rest egal. Nachdenklich ging Ragnar nach draußen und Kelvin folgte ihm. Das Übungsgelände war weitreichend und durch die großen Wälder wunderbar isoliert. Billiana hatte sich einen wunderbaren Ort für die Ausbildung ihrer Attentäter erwählt, das musste er zugeben. Die Übungspuppen sahen allesamt hochwertig aus, jedoch hatte sie ihm berichtet, dass der Rebell regelmäßig die Puppen abfackelte. Inzwischen musste er sie selbstständig und ohne Magie ersetzen. „Billie erwähnte, dass du vor allem ein Problem mit dem Feuer hast?“, erkundigte sich Meister Ragnar dennoch. Falsche Informationen konnten die Ausbildung maßgeblich beeinträchtigen und das wollte er nicht. „Das mit den Übungspuppen nimmt sie mir echt übel, was? Waren doch nur zwei oder drei Stück, die in Flammen aufgingen!“, wehrte sich der Rebell lachend. „Laut ihr hast du ihren Jahresvorrat in einer Rekordzeit verbraucht...“ „Sie ist etwas theatralisch, aber ja... Ich bin etwas leicht entflammbar.“ „Ich würde gerne sehen, wie gut du bereits mit deiner Magie umgehen kannst und wie sehr du auf dein Feuer zugreifst.“, sagte Ragnar deutlich. „Wir treten gegeneinander an.“ „Ist das Euer Ernst?“, hakte Kelvin überrascht nach. „Ihr seid schon etwas... alt... Meint Ihr, dass Ihr das übersteht? Ich will Eure morschen Knochen ja nicht beschädigen!“ Der Drache sah ihn vollkommen ernst an, während seine Augenbraue langsam in die Höhe zuckte. Wenn Billiana mit einer Sache recht hatte, dann, dass dieser Mann unglaublich unverschämt war. Und selbstverliebt... Und er hatte einen Gottkomplex! Sein Charakter war auf jeden Fall fragwürdig. Das werden ein paar sehr anstrengende Wochen werden., dachte er seufzend. Warum habe ich hierbei nur zugestimmt? Ich hätte doch wissen müssen, dass das schlimm wird. Langsam legte er seinen Umhang ab. Seine Robe mochte nicht für einen Kampf geeignet sein, doch bei der Überheblichkeit brauchte er noch keine andere Kleidung. Stattdessen stellte er sich auf die große, freie Fläche und sah den Rebellen herausfordernd an. Eine weitere Einladung brauchte Kelvin nicht. Er erschuf einen Wall aus Feuer und schleuderte ihn mit der Kraft des Windes auf ihn zu. In seinem Gesicht konnte er erkennen, dass er absolut siegessicher war. Gelangweilt hob der Drache seine Hand und formte Zeichen aus Licht in die Luft. Nur wenige Augenblicke später erschuf er eine Kuppe aus Energie, gegen die das Feuer prallte und nach kurzer Zeit erlosch. Mit offenem Mund starrte Kelvin ihn an, als habe er einen Geist gesehen. Er konnte nicht fassen, wie lässig er seinen Angriff abgewehrt hatte. „War das schon alles, Auserwählter? Dann muss ich dir sagen, dass du den Weltenlenker nicht stürzen kannst.“ „Na warte, alter Mann.“, knurrte Kelvin erbost und machte sich bereit. Von Billiana wusste er, dass er den Wind nutzen konnte, um sich schneller zu bewegen. Just tat der Rebellenanführer es auch schon und versuchte rasch hinter den Meister zu kommen. Er ließ ihn in dem Glauben. Tatsächlich schien sich der junge Mann sehr auf das Feuer zu fixieren, denn er erschuf mit Wind und Feuer einen Feuerwirbel, den er auf ihn zuschleuderte. Diese Säule bewegte sich zwar wesentlich schneller und war auch effektiver, doch nicht wirklich eindrucksvoll. Meister Ragnar murmelte einige Worte der Macht, dann schöpfte er das Wasser aus dem nahen Brunnen und einigen Eimern und ließ es sich über dem Feuerwirbel ergießen. Die Flammen erloschen sofort. „Ich bin nicht wirklich beeindruckt.“ Wütend riss Kelvin nun einige Felsen aus dem Boden und schleuderte sie auf den Drachen zu. Nun musste er den größeren Brocken ausweichen oder sie mit seiner Magie blockieren, während der Rebell durch seinen Steinhagel preschte und mehrere Feuerbälle auf Ragnar schleuderte. Für ihn war es die einfachste Übung, alle Angriffe abzuwehren. Mit seiner Lebensdauer und der Anzahl von temperamentvollen Schülern, sammelte man schnell Erfahrungen in solchen Bereichen. Gerade als der Blondschopf ihn erreichte, nutzte er seine überschüssige Magie und ließ sie in sich explodieren, sodass Ragnar eine magische Schockwelle ausstieß. Sie schleuderte Kelvin einfach weg, sodass er sich auf dem Waldboden mehrmals überschlug und schmerzhaft gegen einen Baum krachte. Eines konnte der Drache nicht über seinen neuen Schüler sagen: Dass er schnell aufgab. Obwohl er große Schmerzen haben musste, hievte er sich zurück auf seine Füße und machte sich bereit, erneut anzugreifen. Sie hat recht... Er hat Potenzial. Nun müsste er nur lernen, seine Magie wesentlich bewusster einzusetzen und sie besser zu dosieren., überlegte Meister Ragnar nachdenklich. Das würde das Training schwierig gestalten, doch er war sich sicher, dass es machbar war. Leider war er im Moment mehr wie ein ungestümes Kind. Wieder stürzte er sich auf ihn und versuchte ihn mit Feuer zu verbrennen und durch Felsen abzulenken. Immer mal wieder nahm er sich den Wind zur Hilfe, um die Flugbahnen zu ändern, doch es wirkte nicht. Also flog Kelvin gegen den nächsten Baum. Das wiederholte sich einige Male. Der Drache zählte die Misserfolge nicht mit, doch es mussten wirklich viele sein! Als Kelvin endlich nachgab, war es bereits tiefste Nacht. Die Sterne standen hoch am Himmel und sie waren beide wahnsinnig hungrig und durstig. Kelvin kochte für sie beide, doch Ragnar merkte ihm an, dass sein Ego angeschlagen war. Dennoch war er sich sicher, dass er genau das gebraucht hatte, um etwas elementarwichtiges für sich zu erkennen: Er war nicht unbesiegbar. Ein alter Mann konnte ihn besiegen. Billie hatte ihn besiegt. „Ich werde viel Kontrolle mit dir trainieren, Kelvin.“, sagte Ragnar, als sie gemeinsam speisten. „Du schleuderst deine Magie blindlings durch die Gegend und hoffst, dass du triffst. Bei durchschnittlichen Feinden mag das funktionieren, aber der Weltenlenker ist nicht durchschnittlich.“ „Wenn er nur halb so gut ist wie Ihr, haben wir ernsthafte Probleme...“, seufzte der Rebell, während er auf seinem Teller herumstocherte. „Er ist viel besser als ich. Viel erfahrener... Und er hat mehr Macht zur Verfügung.“ „Habe ich Euch überhaupt ein einziges Mal getroffen?“ „Ich glaube, ein Steinchen hatte mich am Oberarm gestreift.“, grinste Ragnar mit gebleckten Zähnen. „Ihr nehmt mich auf den Arm! Ihr habt doch Humor!“ „Selbstverständlich habe ich Humor.“ Skeptisch sah der Blondschopf ihn an: „Dann solltet Ihr ab und zu mal lachen. Oder lächeln... Oder witzig sein.“ „Tu‘ ich doch alles. Du musst nur lernen, es zu erkennen.“ Kelvin sagte nichts dazu, sondern begann endlich zu essen. Ragnar konnte ihm ansehen, dass er beschlossen hatte, dass er seinen neuen Lehrmeister schlagen würde. Irgendwie glaubte der Drache das auch. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber dieser Mann hatte das Potenzial dazu, jeden seiner Gegner zu besiegen! Nur wusste Meister Ragnar nicht, ob er sich auch selbst besiegen konnte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)