Die Drachensonate von Kylie (Band 2 - Drachen-Saga) ================================================================================ Kapitel 3: Tausend traurige Geschichten --------------------------------------- Vier Aufträge hatten Hammond und Billiana inzwischen miteinander absolviert. Alle erfolgreich. Eine Leibwächter-Mission für einen gehobenen Gentleman, der an einer Feier teilnehmen wollte. Nicht wirklich gefährlich, aber durchaus lukrativ. Zwei Mal hatten sie Karawanen bewacht, die innerhalb vom Weltenbaum Handel betrieben. Und dann war da noch ein eigenartiger Auftrag gewesen, in dem sie dem Sohn eines Adligen eine Lektion erteilen sollten. Sie hatten ihn in der Nacht überfallen müssen, um ihm klarzumachen, dass es nachts auf einer Straße nicht sicher war für einen Hochwohlgeborenen. Auch wenn es lustig war, bezweifelte keiner, dass er bald trotzdem wieder des nachts unterwegs sein würde. Heute aber hatten sie einen ganz anderen Auftrag. Es ging um eine recht große Verbrecher-Bande, die alle möglichen Bereiche abdeckte. Sei es nun Menschenhandel, Schmuggel, Diebstahl, Hurerei... Billie wusste nicht so recht, wie es diese Gruppierung überhaupt geschafft hatte, so groß zu werden. Sonst griff Wyrnné relativ schnell ein, wenn sich so viele Menschen zusammentaten. Ihm war wohl nicht klar, wie groß sie inzwischen geworden sind..., sinnierte die Elfe und spannte ihren Bogen an. Sie waren auch recht klug. Ihre Verstecke in den Wäldern zu verteilen, war vorausschauend. Eigentlich zu vorausschauend, doch darum machte sie sich weniger Gedanken. Ihre Auftraggeber wollten großzügig bezahlen und hatten ihnen einen Teil der Verstecke schon nennen können. Den Rest hatte Nero recht schnell herausgefunden, indem er sich in die Bande eingeschleust hatte. Da Nero nicht besonders bedrohlich wirkte und eine anziehende Wirkung auf sein Umfeld ausübte, hatte er schnell Vertraute gefunden, die ihm Informationen gegeben hatten. Auf diese Weise hatten sie auch noch die restlichen Verstecke ausfindig machen können. Jetzt waren Hammond und sie dabei, diese Verstecke allesamt auseinanderzunehmen. Schnell und effektiv, damit keiner die anderen warnen konnte, um das Lager zu verlassen. Nero und der Titan waren hierbei immer an vorderster Front. Da die Verbrecher Nero kannten, ließen sie ihn herein oder kamen heraus. Dann konnte der Soldat zuschlagen, während sie aus der Ferne die Feinde ausschaltete. Es war schon fast etwas zu einfach! Komisch, dass sie schlau genug waren, um so viele einzelne Verstecke zu errichten, aber zu dumm waren, um ein Warnsystem für den Fall eines Angriffs auszuarbeiten., sinnierte die Langhaarige und ließ los. Ihr Pfeil zischte in ihren Ohren, als er durch die Luft glitt als wäre dort kein Widerstand. Sie konnte es ganz genau hören, wie die Flugbahn sich manchmal verschob, wenn der Wind dagegen trieb, doch die Auswirkungen waren minimal. So etwas berechnete die Attentäterin eh mit ein, weshalb es sie nicht überraschte, dass sie ihr Ziel direkt zwischen die Augen traf, welches einfach umkippte. Der Dieb hatte gerade Hammond von hinten angreifen wollen, der kurz dankbar in ihre Richtung blickte. Billiana hatte einen wunderbaren Platz gefunden, um aus sicherer Distanz zu arbeiten. Oben auf dem Baum konnte man sie nur sehr schwer ausmachen, sie aber alles überblicken. Deshalb wussten auch weder der Soldat noch Nero, wo sie sich genau befand. Das war kein Problem, solange jeder tat, wofür er hier war. Einen Herzschlag lang glaubte sie, dass ihr schwindlig wurde. Die Elfe schloss ihre Augen und streckte ihre unsichtbaren Fühler nach dem aus, was sie aus der Bahn warf. Ihre Hand lehnte am starken Baumstamm, während sie sich auf ihr Umfeld konzentrierte. Sie konnte hören, wie Hammond einem Mann den Ellenbogen in die Seite rammte, eine Drehung machte und mit dessen Schwung einen anderen enthauptete. Nero war gerade über eine große Wurzel gestolpert, nutzte diesen Moment aber trotzdem aus, um von unten einen Dolch direkt durch den oberen Hals in das Gehirn zu stoßen. Durch ihr inneres Auge konnte sie Lichtlinien erkennen, die sich hastig bewegten. Inzwischen wusste Billie, dass das die Lebensenergie war, die jedes Tier, jeder Mensch und auch jeder Nichtmensch in sich trug. Gewissermaßen auch Pflanzen, doch diese Energiequelle sah anders aus und war schwerer zu spüren. Man hatte sie gelehrt zu unterscheiden, welche Lebenskraft stärker oder schwächer war. Wodurch sie erkennen konnte, ob es ein Mann oder eine Frau war. Ob Tier oder Mensch... Im Normalfall griff sie auf diese Gabe nicht zurück. Sie ergab sich durch ihre Macht des Schöpfens, die sie als Beschwörungsmagie nutzte. Doch es konnte im Dunkeln oder auf großer Distanz hilfreich sein, um Hinterhalte zu verhindern. Im Alltag oder normalen Kampfgeschehen war diese Perspektive allerdings nur verwirrend und hinderlich. Zumindest solange wie sie noch ein gesundes Auge besaß. Dann schließlich fand sie eine Energiequelle, die weiter weg von all dem war. Größer, mächtiger und sehr unruhig. Die Linien waren keine wirklichen Linien, sondern viel mehr unruhige Zacken, die sich wie ein Wellenmuster bewegten. Manche davon waren dicker, andere dünner. Sie kannte dieses ungleichmäßige Bildnis. „HAMMOND! NERO!“, schrie sie so laut sie konnte. „WEG DA!“ Obwohl die beiden sich umdrehten und nach ihr Ausschau hielten, schienen sie sie nicht ganz zu verstehen. Ihr Gehör war eben das von Menschen... Schlecht und leicht durch Nebengeräusche zu beeinflussen. Ebenso wie ihre Augen und anderen Sinne, die nur bedingt ihren Dienst taten. Es war bedauerlich, jedoch nicht zu ändern. Eilig kletterte die Elfe vom Baum herunter. Sie trug ihre schwarze Attentäter-Rüstung samt Kapuze und Maske. Zwar hatte sie ihre Haare braun gefärbt, versuchte es dennoch zu vermeiden, dass man sie erkennen könnte, wenn sie offen herumlief. Sie nutzte es gerne aus, dass Nichtmenschen für Menschen alle gleich aussahen. Deshalb reichte es in der Regel aus, Kleinigkeiten zu ändern, wie die Haarfarbe oder die Nase. Doch das war ihr trotzdem zu ungewiss. Gerade bei Missionen wie diesen. Zusätzlich boten Maske und Kapuze auch im Kampfgeschehen durch die Metallplatten gewissen Schutz. Sie rannte so schnell sie konnte. Dabei musste sie über Stock und Stein springen. Das war nicht das schwierige, sondern nirgendwo mit der Kleidung hängen zu bleiben. Außerdem musste sie während des Rennens noch den Bogen auf ihrem Rücken befestigen. Billiana konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so schnell gelaufen war. Dabei ließ sie das Gefühl im Magen nicht los, dass sie mal wieder auf ihr eigenes Verderben zulief. Nicht das erste Mal und gewiss auch nicht das letzte Mal. Trotzdem schaffte sie es rechtzeitig anzukommen. Gerade hatten die beiden Männer die letzten Banditen zur Strecke gebracht und waren stolz auf sich selbst. Doch dann sprang etwas Gigantisches aus dem Gebüsch. Nero geriet vollkommen in Panik, während Hammond sofort eine Rüstung aus Stein um sich herumbildete. Die Kreatur erkannten die beiden sofort. Das war auch nicht schwer bei der pechschwarzen Haut und die Tattoos, die durch die wegfliegende Kapuze erkennbar wurden. Inquisitoren hatten mindestens genauso feine und ausgeprägte Sinne wie die Elfe. So hatte er sie vermutlich finden können. Er hatte die Panik der sterbenden Verbrecher gespürt und eine Gruppe selbstbewusster Jäger. Wie eine Einladung zum Blutbad! Mit zwei Beilen, die Widerhaken an unterschiedlichen Stellen besaß, wollte er gerade auf Nero einzuschlagen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es jemand wagen würde, sich zwischen ihn und seine Beute zu werfen. Billie war aber so tollkühn und hatte beim Ansturm ihre Seelenklinge gerufen, mit der sie den heftigen Angriff abblockte. Dabei musste sie etwas in die Hocke gehen, um sich nicht doch irgendwas zu brechen. Die Elfe hielt weiterhin dagegen, während der Inquisitor sich aufbaute und versuchte, sie mit purer Muskelkraft in die Knie zu zwingen. Sie wusste, dass er das schaffen konnte, wenn er nur genug Zeit dazu bekam. „Ihr sollt fliehen!“, rief sie den Männern zu ohne sie anzublicken. „Schnell!“ „Aber... Was ist mit dir?“, wollte der Titan wissen und half Nero derweil zurück auf die Füße. „Wenn ihr weg seid, werde ich fliehen, sobald ich kann. Solange ihr da seid, seid ihr mir im Weg.“ Auch wenn sich der Soldat sichtlich unwohl damit fühlte, verstand er sie offenbar. Er hatte ihre Kampfkünste und auch ihre Magie nun ausreichend in Aktion gesehen. Sie brauchte Platz und Möglichkeiten, damit sie diese problemlos einsetzen konnte. Doch solange sie auf die beiden Männer Rücksicht nehmen musste, ging das nicht. Sie würde immer aufpassen müssen, dass ihnen nichts geschah. „Komm‘ heil zurück.“, schnaubte der Titan schließlich. „Ich werde auf den Tollpatch aufpassen.“ „Danke.“ Sofort zog der Schwarzhaarige Nero mit, der bleiben wollte. Natürlich wusste er, dass er nichts ausrichten konnte, doch es erschien ihm genauso falsch, seine langjährige Partnerin im Stich zu lassen. „Ihr bleibt hier!“, schrie der Inquisitor und wollte Billiana von sich stoßen. „Ihr sterbt alle gemeinsam!“ Die Attentäterin wusste, dass die Inquisitoren so feine Sinne hatten, dass es schon schmerzte. Aus diesem Grund riskierte sie gerne, dass sie selbst ein Klingeln in den Ohren haben würde. Geschickt hockte sie sich etwas hin und ließ ihn erstmal losstürmen, um selbst den Schild von einem der Toten einen heftigen Tritt zu versetzen. Das Metall schlitterte lautstark über den Waldboden und prallte dabei klirrend gegen zahlreiche Waffen und Steine. Die Flugbahn hatte sie nicht ganz beeinflussen können, doch der Lärm war schrecklich genug. Ich werde die nächsten Minuten selbst kaum was hören können!, fluchte sie schnaubend. Ihr Ziel aber erreichte die Blondine durchaus, denn der Hüne krümmte sich zusammen und ließ die Waffen fallen, um stattdessen seine Ohren zu zuhalten. Er schrie unter Schmerzen auf. Das Klingeln in seinem Gehör musste mindestens doppelt so heftig sein wie bei ihr. Zwar konnte sie sein Leid nachempfinden, wusste aber auch, dass sie gnadenlos sein musste. Deshalb stürmte die Attentäterin auch direkt auf den Inquisitor zu, um mit ihrem Schwert auszuholen. Im letzten Moment riss er seinen Arm hoch und blockierte ihren Angriff damit. Zu ihrem Bedauern trug er einen sehr stabilen Metallschutz, den sie nur leicht beschädigt hatte. „Mammon, du bist weit weg von Zuhause.“, sagte sie mit ruhiger Stimme. „Dein Vater wird sich gewiss sorgen.“ „Woher weißt du meinen Namen?“, zischte der Inquisitor, der seine Waffen wieder aufhob. Der kurze Schock durch den Krach war wohl wieder verebbt. „Oh, ich kenne viele von euch...“ „Das beantwortet meine Frage nicht.“ „Das war auch nicht meine Absicht.“, konterte sie und holte erneut mit ihrer Klinge aus. Mammon fiel es nicht schwer, den Angriff mit den Beilen abzublocken und im Anschluss zum Gegenangriff auszuholen. Er war schnell und die Schläge dennoch sehr kraftvoll. Ein falscher Treffer und er brach ihr etwas oder trennte Körperteile ab. Auch wenn die Inquisitoren eigentlich zur Folter erschaffen worden waren, waren sie dennoch einzigartige Kämpfer. Einer von ihnen konnte zehn gute Soldaten ersetzen! Manchmal auch mehr... Er trieb sie immer weiter zurück. Sie war nur noch damit beschäftigt, seinen Angriffen auszuweichen oder sie zu parieren. Ihm war keine Sekunde anzumerken, dass die Angriffsdauerschleife ihn irgendwie auslaugte. Kontinuierlich schlug er auf sie ein, bis sie mit dem Rücken an einem Baumstamm stand. „Du musst die Hure meines Vaters sein.“, zischte er wie eine Beleidigung. „Die ihn immer wieder besucht und ihm Köpfe anschleppt.“ „Ich hatte nicht erwartet, dass er darüber mit jemanden spricht.“ „Hat er nicht.“ „Dann warst du wohl ein unartiges Kind?“, erwiderte Billiana und drückte ihr Schwert gegen seine Beile. Er hielt problemlos dagegen. „Ab und an müssen Kinder unartig sein, um ihre Eltern zu schützen.“, sagte er mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht. Es wirkte falsch, wenn ein Inquisitor so etwas wie Freude zeigen wollte. „Da stimme ich dir zu.“, hauchte die Elfe konzentriert. „In diesem Fall hilft es dir aber nicht weiter.“ Der Inquisitor verengte seine weißen Augen und fixierte sie. Beinahe so, als versuchte er ihr Selbstbewusstsein zu durchschauen. Auch das half ihm letztendlich nicht weiter, denn just in diesem Augenblick konnte sie mit dem Fuß ausholen und mit dem Absatz direkt auf seinen treten. Das wiederholte sie ein paar Mal an unterschiedlichen Stellen, um mehrere Impulse auszusenden. Auch wenn es Mammon ärgerte, musste er trotzdem von ihr ablassen. Wenn er sie weitermachen ließ, dann hatte er vielleicht bald ein Loch im Fuß und dann konnte er seinem Schöpfervater nicht mehr ausreichend dienen. Just in diesem Augenblick streckte die Attentäterin ihre Hand aus und eine unsichtbare Schockwelle aus überschüssiger Magie drang hervor. Die Wucht traf den Inquisitor so heftig, sodass er durch mehrere Bäume krachte. Die Spur aus Vernichtung sah wirklich furchtbar aus, doch es ging nicht anders. Sie konnte Mammon keuchen hören und wie er versuchte, sich wieder aufzurappeln. Der perfekte Augenblick für die Elfe, um ein kleines Portal zu erschaffen, welches sich schnell vergrößerte. „Ereinion...“, flüsterte sie. „Ich brauche dich hier.“ Die Kreatur ließ sich nicht zwei Mal bieten und sprang aus dem Portal hindurch. Eine vorerst nebelartige Gestalt, die dann die Form eines riesigen Albtraumwolfes annahm. Seit dem Kampf gegen Zodiak, hatte sie die Kreatur der Zwischenwelt kaum noch beschworen. Eigentlich nur, wenn sie sich schnell irgendwo hinbewegen wollte. Das lag unter anderem daran, weil sie nicht so viele Seelen opfern wollte. Aber vor allem daran, weil sie inzwischen wusste, wer er einst gewesen war. Es kam ihr so vor, als würde er dennoch beständig wachsen. All die Seelen, die er bei der damaligen Reise ergattert hatte, mussten sein Machtpotenzial immer noch zunehmend aufbauen, auch wenn sie eigentlich seiner Königin zustanden. Doch vermutlich bekamen sie alle ihren Anteil, wenn sie ihr Opfer besorgten. Oder Ereinions Macht wächst mit meiner..., überlegte die Beschwörerin nicht minder fasziniert. Dann könnte es noch sehr spannend werden. „Dort wäre eine besonders große und schmackhafte Seele für dich.“, sagte sie und deutete auf Mammon. „Das wird deine Königin erfreuen.“ „Nicht nur sie.“, knurrte der Schattenwolf. „Wobei ich das schmackhaft bezweifle...“ Der Hüne hatte es in der Zwischenzeit geschafft, sich wieder auf die Attentäterin zu zubewegen. Er wirkte etwas lädiert, aber keineswegs bereit, um nun einfach aufzugeben. Eines konnte man von den Schöpfungen des Weltenlenkers jedenfalls nicht behaupten: Nämlich, dass sie schnell aufgaben, wenn es heikel wurde. „Was ist das für ein Zauber?“, zischte er angeschlagen. „Etwa eine Illusion?“ „Überzeuge dich doch selbst, Mammon. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Illusionen dir nicht so wehtun können, wie er es gleich tun wird.“ Billie konnte ihm ansehen, dass er stutzte. In diesem Augenblick verschwand Ereinion einfach im Nichts und tauchte direkt hinter dem Inquisitor wieder auf. Wie ein echter Wolf knurrte er, als er sich einfach in dessen Arm verbiss. Das Blut spritzte. Der Schrei der Schöpfung war so markerschütternd, dass es in ihrem feinen Gehör für ein unangenehmes Klingeln sorgte. Obwohl Mammon um sich schlug und versuchte, den Schattenwolf abzuschütteln, ließ dieser einfach nicht von ihm ab. Die spitzen, langen Zähne schienen sich eher noch fester in sein Fleisch zu verkeilen. Die Attentäterin musste zugeben, dass Ereinion wohl immer eine wirklich praktische Geheimwaffe bleiben würde. Auf Dauer würde sie nicht auf seine Hilfe verzichten können, wenn sie hier überleben wollte. Trotzdem schaffte es die Kreatur schließlich doch, den Wolf von seinem Arm abzureißen. Nicht ohne sich selbst ein großes Stück Fleisch entfernen zu lassen, welches Ereinion angewidert ausspuckte. Das zumindest klärte die Frage, ob Inquisitoren überhaupt schmackhaft waren. Ohne Mammon Zeit zur Erholung zu geben, rief sie ihre Seelenklinge erneut und stürmte auf den Inquisitor zu. Sie schlug nach ihm, doch er schaffte es auszuweichen oder zumindest zu parieren. Bis ihm schließlich der Schattenwolf mitten in die Wade biss. Wutentbrannt schrie der Hüne auf und riss dabei einen gewaltigen Ast aus einem Baum. Im ersten Augenblick glaubte sie, dass er damit nach ihr schlagen wollte, doch stattdessen schmetterte er diesen gegen den Kopf des Wolfes. Mit einem Jaulen wurde er einige Meter weit weggeschleudert. Ereinion hatte wohl auch nicht mit diesem heftigen Gegenangriff gerechnet. „Du verdammte... kleine Hure...“, zischte Mammon und kam bedrohlich auf sie zu. „Du rufst irgendwelche Dämonen, weil du mich alleine nicht schaffst, he?! Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, du hättest dich direkt ergeben!“ „Ich brauche ihn nicht gegen dich, Mammon.“, erwiderte sie gelassen. „Aber er schadet mir auch nicht.“ Als habe sie den besten Witz aller Zeiten gemacht, lachte der Inquisitor auf und packte eines seiner Beile, um damit direkt auf sie einzuschlagen. Leicht bückte sich die Elfe und parierte dabei den Schlag mit ihrem Schwert. Tänzelnd schaffte sie es so, sich hinter ihn zu bewegen und mit ihrem Fuß heftig in das Kreuz des Inquisitors zu treten. Er strauchelte, bekam aber auch seine zweite Waffe in diesem Augenblick zu packen. Immer noch von Zorn getrieben, drehte sich Mammon um und stürmte wieder auf sie zu. Der erste Schlag zielte auf ihre Schwerthand, dem sie mit einer sauberen Pirouette entging. Sein zweiter Schlag aber sauste von oben auf ihren Schädel herab. Dafür warf sich die Attentäterin auf den Boden und rutschte geschickt zwischen seinen Beinen hindurch. Dabei ließ sie es sich nicht nehmen, mit ihrem Schwert einmal über seine bereits verletzte Wade zu ritzen. Er fluchte so laut, dass sie kaum ein Wort verstand. Nur immer mal wieder etwas von „Hure“ und „Wie kann das sein?“, aber wesentlich mehr schnappte sie nicht auf. Billiana verstand seinen Ärger. Die Schöpfungen von Wyrnné waren in vielen Hinsichten überragend und nahezu unbesiegbar – wenn sie gegen normale Sterbliche antraten. Doch sie war keine normale Sterbliche. Sie hatte Wyrnné seine Macht verliehen und sie konnte ihm diese auch wieder wegnehmen. Nur wusste das sonst keiner, außer ihnen. Blind vom Zorn wollte die Kreatur sie wieder angreifen, wurde aber von Ereinion unterbrochen. Der Wolf schien seine Benommenheit recht schnell abgeschüttelt zu haben. Wieder verbiss er sich in dem Inquisitor, dieses Mal aber in die andere Wade. Erneut wollte er den Schattenwolf treffen, wenn auch dieses Mal mit seinen Waffen. Doch Ereinion fiel kein zweites Mal auf so eine stupide Masche herein und löste sich einfach auf. So verletzte Mammon sich nur selbst mit den Widerhaken und heulte schmerzhaft auf. Er schien die Welt nicht mehr zu verstehen. „Wer zur-... verdammten Hölle seid Ihr...?“, keuchte er atemlos. „Euer schlimmster Albtraum.“, antwortete die Elfe und kam näher. „Und nun schlaf.“ „Was...?“ Er war zu schwach, um sich gegen sie zu wehren, als sie ihre Hand an seine Stirn presste. Sie nahm eine Verbindung mit ihm auf. Es war nur eine Vermutung, doch zu ihrem Glück traf diese durchaus zu. Sie konnte sich mit ihm verbinden, weil die Macht des Weltenlenkers auf der basierte, die er von ihr einst erhalten hatte. Er war vielleicht der Schöpfervater all dieser Bestien, doch sie war sozusagen ihre Mutter. Viel sanfter, als es Wyrnné sicherlich jemals getan hatte, knüpfte sie ein Band mit diesem eigenartigen Wesen. Spürte seinen Schmerz. Seinen Zwiespalt. Sie fühlte einen Augenblick lang alles, was er fühlte. Seine unbändige Liebe zu Wyrnné, die Trauer, weil er allmählich in dessen Missgunst fiel und die zerfressende Einsamkeit, weil alle sich abwandten. Sie konnte sogar Bruchstücke seines früheren Lebens entdecken, bevor er ein Inquisitor wurde. Es lag nicht in ihrer Natur, einfach wegzusehen, wenn ein Lebewesen leiden musste. Aus diesem Grund sandte sie ihm Wärme und Liebe zu. So, wie es nur eine Mutter tun konnte. Ein kleines Trostpflaster. Erst dann gab sie ihm sanft den Befehl, einfach seiner Erschöpfung nachzugeben. Der Inquisitor sackte direkt vor ihren Füßen zusammen. Ihr war bewusst, dass sie Glück gehabt hatte. Er war durch die ständigen Schmerzen nicht mehr er selbst und litt unter der Ablehnung. Mit einem Inquisitor wie Altan, der fest überzeugt war und viel Selbstbewusstsein besaß, hätte sie diese Verbindung nicht knüpfen können. Dafür vergötterte Altan auch zu sehr seinen Vater. Das könnte interessant werden..., gestand Billie sich ein. Wenn ich seine Schöpfungen zumindest teilweise umdrehen kann, hat er bei weitem nicht mehr so viel Macht. Und ich kann sie besser verstehen lernen... „Wieso hast du mich gerufen, wenn du mich nicht brauchst?“, wollte der Schattenwolf wissen, den sie beinahe vergessen hatte. Das Knüpfen des Bandes hatte recht lange gedauert und war durchaus anstrengend gewesen. Langsam fuhr sie sich über die Kapuze und kontrollierte, ob alles noch richtig saß, ehe sie ihn anblickte: „Zur Sicherheit. Ich wusste nicht, dass er so sehr wankt.“ „Willst du ihn nun als Marionette benutzen?“ „So in der Art...“ „Inwieweit macht dich das besser als Wyrnné?“ „Ich habe nie versucht, besser zu sein als er.“, erwiderte sie skeptisch. „Das stimmt. Du tust es einfach.“ „Werden wir etwa sarkastisch?“ „Ich kann nicht sarkastisch werden.“, erinnerte er sie und bleckte die Lefzen. „Keine Gefühle, falls du dich erinnerst? So lange haben wir uns auch nicht gesehen.“ Sie musste doch etwas grinsen: „Komisch, dass du trotzdem ständig sarkastisch rüberkommst. Ich glaube, ein paar Gefühle sind da schon.“ Daraufhin erwiderte der Schattenwolf nichts mehr. Stattdessen schnupperte er an dem bewusstlosen Mammon, der für eine Weile ausgeknockt sein würde. Aber nicht so lange, dass man allzu lange verharren durfte. „Wird er sich an das erinnern, was du getan hast?“, wollte der Zwischenweltler wissen. „Erstmal nur unterbewusst.“, erwiderte Billiana leise. „Er wird sich fühlen wie immer und nach und nach wird er merken, dass er mir wohlgesonnener sein wird. Bald kann ich dann normal mit ihm sprechen und er kann mir Informationen liefern. So ist es sicherer für ihn... Wyrnné wird es nicht merken, dass er zu mir steht. Zumindest nicht rechtzeitig.“ „Wenn er es doch rechtzeitig herausfindet, wird er ihn ziemlich qualvoll umbringen lassen.“ „Wahrscheinlich...“, murmelte sie und spürte ihr schlechtes Gewissen. „Jetzt sollten wir erstmal weg hier. Er wird bald aufwachen und seine Loyalität ist mir gegenüber noch nicht stark genug.“ Aber was mich noch mehr an ihm beunruhigt, ist seine Leidenschaft für Kinder. Ich weiß nicht, ob ich ihm diese Vorliebe austreiben kann..., überlegte die Elfe missgestimmt. Vielleicht ist Wyrnné ihm gegenüber auch deshalb skeptisch. Wenn er selbst mal Nachwuchs bekommt, darf er den nicht in Mammons Nähe lassen. Alleine mit diesen Bedenken stieg sie auf den Rücken des mächtigen Schattenwolfes. Er brauchte keinen Befehl, um in die Zwischenwelt mit ihr zu springen und sich über diese fortzubewegen. Billie fand sie immer noch unheimlich. Die Stimmen, die einem verlockende Angebote zuflüsterten und die Tatsache, dass ein falscher Schritt einem die Seele kosten konnten, waren nicht gerade reizvoll. Warum Connar sich hier so gerne aufhielt, war ihr ein Rätsel! Doch sie verstand den Vorteil. Über die Zwischenwelt konnte man wahnsinnig schnell reisen, wenn man Zeitdruck hatte oder eine andere Welt besuchen wollte. Hier verging die Zeit anders. Eine Stunde in der Zwischenwelt waren vielleicht zehn Minuten auf den anderen Welten. Ereinion sprang durch eines der „Fenster“, um sie zurück auf die Oberwelt zu bringen. Er wusste offenbar, dass sie noch zu Hammond und Nero zurückkehren wollte, denn er suchte einen Ort in deren Nähe. Nicht so nah, dass sie ihn eventuell erblicken konnten. Dafür war die Zeit noch lange nicht reif. Sie vertraute ihnen nicht genug. Lächelnd stieg sie von dem breiten Rücken des Schattenwolfes und tätschelte ihn zärtlich: „Danke, Schatti. Das nächste Mal gibt es dann aber eine Seele. Bestimmt.“ „Du sollst mich nicht so nennen...“, knurrte er und zog die Lefzen drohend in die Höhe. „Und das nächste Mal sollte es sich lohnen, sonst überlege ich mir, ob ich deinem Ruf nochmals folge.“ „Verständlich.“ Der Schattenwolf sprang in ein Fenster der Zwischenwelt, welches sie selbst nicht sehen konnte. Ihr Bruder konnte das und jede Kreatur, die aus der Zwischenwelt stammte auch. Dabei war unwichtig, ob dieses Wesen schon Teil der Zwischenwelt war oder es noch werden würde. Nur nahmen viele von ihnen diese Risse wohl nicht wahr oder konnten sie nicht nutzen. Entspannt und zufrieden mit sich selbst, schlenderte sie in die Richtung der beiden Männer, die sicherlich schon wahnsinnig vor Sorge waren.   „Athena!“, keuchte Nero erleichtert und stampfte direkt auf seine Partnerin zu. Er tastete sie ab, als wollte er sichergehen, dass es sich nicht doch um einen Geist handelte. Oder er suchte Verletzungen, da war sich Hammond nicht ganz sicher. Grinsend beobachtete er die beiden. Er lauschte der Attentäterin, die dem Rotschopf zu versichern versuchte, dass es ihr bestens ginge. So ganz wollte das wohl keiner glauben, denn sie hatte sich immerhin einem leibhaftigen Inquisitor stellen müssen! Bisher hatte er von keinem Menschen oder Nichtmenschen gehört, der es geschafft hatte, eine solche Bestie zu töten oder unbeschadet davon zu kommen. Doch bisher hatte er auch niemals von solch einer talentierten Frau wie ihr gehört. Ihr Umgang mit Waffen und Magie war meisterhaft. Er war fast etwas neidisch! Aber wenn meine Vermutungen richtig sind, ist sie auch schon viel, viel älter als ich. Und als fast jeder andere Mensch und Nichtmensch auf Midgard., gestand sich der Soldat ein. Irgendwann schaffte es die Elfe ihren Partner davonzujagen. Sie schickte ihn zurück nach Götterherz in sein Zuhause, damit er sich erholte und sich vor allem etwas bedeckt hielt in den nächsten Tagen. Sie wussten immerhin nicht, weshalb der Inquisitor überhaupt dort gewesen war. Letztendlich bestand die Gefahr, dass man sie alle bald steckbrieflich suchen würde. Zumindest die, die man beschreiben konnte und das waren eindeutig nur die Männer. Sie war klug genug gewesen, um sich zu verhüllen. Als konnte sie Gedanken lesen, zog sie langsam die Kapuze herunter und nahm sich die Maske vom Gesicht. Erst jetzt konnte Hammond sehen, dass sie dieses Mal braune Haare hatte, die sie zu zwei Zöpfen geflochten hatte. Zwei freche Strähnen hingen ihr aber trotzdem noch im Gesicht, was ein bisschen gewollt aussah. Obwohl er sie nun schon einige Male gesehen hatte, war er immer wieder atemlos, wenn er ihr schönes Gesicht sah. Selbst für eine Elfe war sie außergewöhnlich schön! Die Sommersprossen, die deutlich in ihrem Gesicht verteilt waren, passten einfach so perfekt zu ihrer frechen Art. Selbst das blinde Auge tat diesem Bildnis einfach keinen Abbruch. Bisher hatte der Soldat auch nur flachbrüstige, drahtige Elfen gesehen, wozu sie nicht gehörte. Sie hatte Kurven! Und maß trotzdem eine beeindruckte Körpergröße für eine Frau. Trotzdem fragte er sich, wie sie wohl in Wahrheit aussah, wenn sie keine Magie nutzte, um ihre Identität zu verschleiern. Ob es vielleicht Makel gab, die sie auf diese Weise versteckte oder andere interessante Details. Ich sollte echt nicht so von ihr schwärmen... Ich bin doch keine siebzehn mehr!, tadelte er sich selbst, doch er wusste, dass es wieder geschehen würde. „Geht es dir auch gut?“, erkundigte sich die Attentäterin sanftmütig. „Ihr scheint mir ja schnell genug weggelaufen zu sein.“ „Oh ja, alles bestens.“, erwiderte er lächelnd. „Dank dir. Und wie geht es dir?“ „Gut soweit. Bekomme bestimmt ein paar blaue Flecken, aber es gibt Schlimmeres.“ „Ja, sich zum Beispiel alleine einem mächtigen Inquisitor zu stellen!“ „Ja! Das stelle ich mir schrecklich vor!“ Hammond musste ja doch lachen, als er ihr grinsendes Gesicht betrachtete: „Ernsthaft: Ich bin froh, dass es dir gut geht, aber lass‘ mich das nächste Mal bitte helfen.“ „Deine Sorge in allen Ehren, aber ich brauche doch keinen Beschützer.“ „Ja, brauchst du nicht, aber ich fühle mich dann besser.“ Etwas theatralisch hob sie die Arme und schüttelte den Kopf: „Wenn es denn sein muss? Dann gelobe ich Besserung.“ „Danke sehr.“, sagte der Soldat grinsend. „Dann fangen wir direkt damit an, dass ich dich in die Stadt begleite.“ „Einverstanden.“ Er hatte mit mehr Widerstand gerechnet, aber sie wollte sicherlich nicht lange hier ausharren. Der Inquisitor war offenbar noch da draußen und er konnte sie zu schnell finden, wenn sie hierblieben. Auch wenn sie zur Zeit des Kampfes ihre Maske und Kapuze getragen hatte, würde Mammon sie sicherlich trotzdem erkennen und ausschalten, wenn er sie sah. „Was ist eigentlich aus dem Inquisitor geworden?“, erkundigte er sich doch neugierig. Sie würde gewiss nicht ins Detail gehen, doch zumindest grob zu erfahren, was geschehen war, würde ihm weiterhelfen. „K.O. in der dritten Runde.“, sagte sie salopp. „Habe die Zeit dann genutzt und bin abgehauen.“ „Du hast einen Inquisitor mal eben ausgeknockt?“ „Hast du das etwa noch nicht getan?“ „Oh, doch, doch!“, lachte Hammond heiter. „Das ist Teil meines Morgentrainings. Erstmal hundert Liegestützen, dann Gewichte heben und anschließend jeden Inquisitor K.O. hauen, den ich finden kann.“ „Na, siehst du? Alles gar nicht so aufregend.“, kicherte die Langhaarige. „Ich hatte einfach Glück. Er war mit den Gedanken woanders.“ „Die können denken?“ „Ja, ich vermute es mal.“, sagte sie schulterzuckend. „An Folter, Sex, Schmerzen, Gewalt...“ „Okay, okay... Habe verstanden! Sie sind komplett gestört und das hat dir den süßen Hintern gerettet.“ Einen Augenblick wurde es still zwischen ihnen. Er bereute seine Wortwahl sofort und befürchtete, dass er sie beleidigt haben könnte. Dieses Gefühl verstärkte sich noch mehr, als sie ihre Maske aufsetzte und im Anschluss ihre Kapuze überzog. Hammond rang um Atem und überlegte ernsthaft, wie er sich aus der Misere retten sollte! „Ich muss mal eben über die Mauer klettern.“, sagte die Attentäterin schließlich vollkommen ruhig. „Die lassen mich als freie Elfe nicht einfach durch das Tor. Bis gleich.“ „Natürlich... Bis gleich.“ Okay, ich bin eindeutig ein dummer Teenager! Natürlich hat sie nicht deshalb geschwiegen, sondern weil wir da sind!, verfluchte er sich selbst. Seit Leandra hatte er kein ernsthaftes Interesse mehr an einer Frau gehegt, doch irgendwie war die Elfe reizvoll für ihn. Er konnte nicht mal sagen, was es genau war. Nicht nur ihr Aussehen! Schöne Frauen kannte er viele, doch keine davon machte ihn so konfus. Er beobachtete sie sogar gerne, wie sie ein paar Bäume nutzte, um in die Luft zu kommen und schließlich den Rest der Mauer nach oben kletterte. Sie rutschte kein einziges Mal ab. Fast so, als wüsste sie ganz genau, wo es lockere Steine gab und welche einen sicheren Halt boten. Wahrscheinlich war dem auch so, denn sie konnte ja niemals durch die Tore gehen, wenn sie zurückkehrte. Ihn ließ man dagegen problemlos durch die Tore. Er besaß einen Passierschein, der durchaus gefälscht war, doch es war eine ausgezeichnete Fälschung! Er war bisher nicht mal weiter kontrolliert oder befragt worden, wenn er ihn vorzeigte. Kam das doch mal heraus, dann würde man ihn gewiss öffentlich hinrichten. Das würde aber auch passieren, wenn herauskam, dass er ein Rebell war. Es spielte also keine Rolle. Auf der anderen Seite der Mauer suchte er die Gassen nach der Elfe ab. Es gab viele dunkle Ecken hier, doch er fand sie einfach nicht. Der Soldat befürchtete, dass sie entweder erwischt worden war oder sie ohne ihn flüchtete. Plötzlich kam ihm eine blondhaarige Elfe lächelnd entgegen, die ein ähnliches Outfit trug, wie bei ihrem Kennenlernen. Eine enge Lederhose, dazu eine lockere Bluse, über der ein langer, lockerer Mantel hing. Der wiederum wurde durch einen Gürtel unterhalb der Brust gezüchtigt. Das eine Auge war blind, das andere dafür umso strahlender. Ihm stand der Mund etwas offener, als er in dem strahlend schönen Gesicht auch noch ein paar schimmernde Drachenschuppen um ihre Augen entdeckte. Kaum zu erkennen, wenn man nicht wusste, was man suchte oder mit Drachen verkehrte. Mit den Schuppen verankerten sich noch ein paar schmuckvolle Maserungen, die eher wie ein blasses Brandmal aussahen. Es war stimmig und doch dezent. Die meisten Drachen wären dankbar dafür, wenn sie nur so wenige Makel in ihrer menschlichen Gestalt hätten. Da sie aber eine Elfe war, war sie wohl kein geborener Drache, sondern ein erwachter. Das erklärt einiges..., gestand er sich selbst ein. Gegen einen Drachen sehen viele alt aus. „Was ist los? Verschlägt es dir die Sprache?“, erkundigte sich die Elfe grinsend. „Eben wolltest du doch noch über meinen »süßen Hintern« sprechen.“ Schamesröte peitschte in sein Gesicht, als er ihre spöttischen Worte hörte, die er durchaus verdient hatte. Rasch schüttelte der Soldat das aber ab und versuchte wieder zu grinsen: „Was soll ich dazu sagen? Nicht das, was ich erwartet hatte.“ „Ich bin schnell im Umziehen.“, sagte sie lässig. „Ist eine meiner Superkräfte.“ „Ich merke es schon.“ „Meine andere Bekleidung ist am Tag mitten in der Stadt etwas... auffällig.“ „Ja, dem stimme ich zu.“, lächelte Hammond offener. „Ist das-... Siehst du so in »echt« aus?“ „Ich sehe immer in echt aus.“, spottete die Elfe amüsiert. „Aber wenn du mich zu fragen versuchst, ob das meine Originalhaarfarbe ist, dann ja.“ „Und du bist tatsächlich ein Drache?“ Wieder trat Stille ein. Dieses Mal aber wohl eher, weil sie ihn forschend ansah. Drachen waren in der Gesellschaft sehr unbeliebt. Heute wie damals. Inzwischen waren sie aber tatsächlich auf Midgard vom Aussterben bedroht und wenn sie von den falschen Leuten enttarnt wurden, war das ein Todesurteil! Gerade hier in Götterherz. Zum Glück der Drachen war es jedoch so, dass kaum noch einer sie in ihrer menschlichen Gestalt als Drache erkennen konnte. Die Berichte über die offensichtlichen und versteckten Makel waren vernichtet worden. Er blieb entspannt. Sie sollte merken, dass er ihr nicht feindlich gesinnt war und auch sonst nicht angespannt. Es war wichtig, dass sie nicht davon ausgehen musste, dass von ihm eine Bedrohung ausging. Oder er sich vielleicht vor den gigantischen Echsen fürchtete. Aus Angst taten Menschen immerhin wirklich dumme Dinge! „Schuldig im Sinne der Anklage...“, offenbarte sie schließlich mit einem schwachen Lächeln. „Schlimm?“ „Nein, keineswegs. Ich mag Drachen.“ „Danke.“ „Wofür?“ „Dass du nicht in Panik gerätst und um Hilfe schreist.“, kicherte die Blondine. „Ich heiße übrigens Billie. Aber bei Aufträgen rufst du mich bitte weiterhin als Athena.“ „Freut mich sehr, Billie.“, sagte er lächelnd. „Immer noch Hamm. So wie-...“ „Hamm-Hamm nur mit einem Hamm?“, amüsierte sie sich köstlich. „Ja, das habe ich nicht vergessen.“ Hammond musste breit grinsen, als sie seinen Satz beendete. Er hatte sich bisher nur einmal in ihrer Gegenwart vorstellen müssen, doch das eine Mal hatte offenbar gereicht, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Vollkommen entspannt schlenderten sie durch die Straßen von Götterherz. Es war nicht unbedingt ein schöner Anblick. Jedenfalls nicht in den Straßen, in denen sie sich zusammen aufhalten konnten. Hier standen an jeder zweiten Ecke nichtmenschliche Huren, um ihre Dienste anzubieten. Es gab auch genug halbnackte oder nackte Sklaven, die für ihre Herren oder Herrinnen Besorgungen machen mussten. Sie waren deutlich an Brandmalen zu erkennen, die ihren Status zeigten. Einige hatten zusätzlich das Wappen der Familie eingebrannt bekommen, der sie gehörten. Schmerzhaft, doch so gab es keinen Streit um den „Besitz“. Besser – wenn auch nicht wirklich viel – traf es die Mischlinge, denen man das nichtmenschliche Blut nicht ansah. Sie wurden eher selten versklavt. Meistens waren sie einfache Diener in kleineren Häusern, mussten die Straßen der Stadt sauber halten, verrichteten handwerkliche Dienste und machten auch sonst alles, was die reinrassigen Menschen nicht selbst machen wollten. Sie mussten sich selten an Hurenhäuser verkaufen, um ihre Familie zu ernähren. Außerdem wurden sie seltener auf offener Straße beschimpft. All das Elend nahm der Soldat nicht wahr, wenn er neben ihr ging. Immer wieder warf er ihr Seitenblicke zu und bewunderte ihre aufrechte Haltung. Wie stark sie war, obwohl alles um sie herum zusammenbrach und keiner ihrer Art frei leben durfte. Man konnte auch jeder Zeit über sie herfallen und sie beschimpfen. So viel Würde hatte er noch nie an einem Nichtmenschen bemerkt. „Wohin gehen wir eigentlich?“, fragte Billiana plötzlich und riss ihn damit vollkommen aus seinen Gedanken. Es machte ihm klar, dass sie gerade ziellos durch Götterherz spazierten! „Du wirst sicherlich nicht wollen, dass ich dich nach Hause begleite...“, schlussfolgerte er schließlich behutsam. „Also begleitest du entweder mich oder wir verabschieden uns bis zum nächsten Auftrag.“ „Ich kann dich auch begleiten.“, erwiderte sie gelassen. „Nur zur Sicherheit... Falls du dich nochmals mit einem Inquisitor anlegen solltest.“ „Oh, das ist zu freundlich von Euch, Mylady.“ „Ich weiß. So bin ich!“ Keck zwinkerte sie ihm zu und verführte ihn zum wiederholten Male zu einem Lachen. Es war wirklich angenehm, mal nicht ständig zu bangen und mal ein einfacher Mann zu sein. Auch wenn es vielleicht nur für einen Augenblick war. Es war eventuell nur ein Traum. Doch ein wirklich schöner, der vielleicht irgendwann mal wahr werden würde. Sein kleines, bescheidenes Heim war nicht allzu weit entfernt. Immerhin waren sie schon in dem schlechteren Viertel gewesen und nahe der Mauer. Hier fiel Billiana nicht mal als Elfe besonders auf, weil sie auch eine Dirne sein konnte, dessen Dienste er in Anspruch nahm. In der Nähe seines Hauses hielt sich in der Regel jedoch eh kaum noch einer auf, weshalb es egal war. „Hier wohne ich auch schon.“, sagte er lächelnd. „Möchtest du noch etwas reinkommen? Du hast bestimmt Durst.“ Einen Herzschlag lang haderte die Elfe und sah sich etwas um. Schließlich nickte sie dann doch: „Ja, habe ich tatsächlich. Wenn es dir keine Umstände bereitet?“ „Umstände?“, hinterfragte er amüsiert. „Meiner großen Lebensretterin, die gegen einen Inquisitor gekämpft hat, werde ich wohl zumindest ein Glas Wasser bieten können! Bei den Umständen, die du dir erst gemacht hast...“ „Verstand, verstanden.“, lachte sie auf und ließ sich die Tür aufhalten. Durchaus anmutig betrat sie das kleine Haus und sah sich um. Anders als seine Freunde und Partner schien sie die Ordnung keineswegs zu überraschen. Sie entdeckte sogar recht schnell die zahlreichen Porträts und Gemälde seiner Familie. Es gab Bilder von seinen Kindern als Babys, im Kleinkindalter, Kindesalter und natürlich auch jetzt, wo sie beinahe erwachsen waren. Von Leandra besaß er weniger Gemälde. Sie hatte sich einfach zu selten malen lassen. Es gab aber ein paar gemalte Meisterwerke der vollständigen Familie. Hammond konnte sehen, wie ihr sehendes Auge zwischen den Bildern hin und her sprang. Offenbar verglich sie die Gesichter miteinander. Schließlich musterte sie sehr genau die aktuelleren Gemälde seines Sohnes und seiner Tochter. Es war absolut still. Keiner von ihnen sagte etwas. Wenn man genau hinhörte, konnte man der Atmung des jeweils anderen lauschen, mehr aber auch nicht. Der Soldat war sich unsicher, weshalb sie sich so sehr auf diese Gemälde konzentrierte oder sich sogar versteifte. „Alec und Emily sind also deine Kinder?“, schlussfolgerte sie plötzlich. Einen ewig langen Augenblick lang war er vollkommen perplex. Er musste wirklich um Fassung ringen, damit er überhaupt über ihre Frage oder eher Feststellung nachdenken konnte. Vor allem, weil er bisher weder seine Kinder noch dessen Namen in ihrer Gegenwart erwähnt hatte. „Du... weißt, wer sie sind...?“, hakte er mit trockenem Mund nach. „Drache, schon vergessen?“, erinnerte sie ihn mit hochgezogener Augenbraue. „Ich besuche selbstverständlich regelmäßig den Hort.“ Just fiel ihm ein gigantischer Stein vom Herzen. Daran hatte der Titan gar nicht gedacht! Er hatte sie nach Kelvins Rettung zum letzten Hort der Drachen gebracht, damit sie auf sie aufpassten. Nicht nur zu ihrem Schutz, sondern auch, falls sie als Drachen erwachen sollten. Dann waren sie direkt am richtigen Ort, um ihre Fähigkeiten zu erlernen. Keiner von ihnen zeigte bisher drakonische Gene, obwohl sie beide den Echsen sehr zugetan waren. Dennoch befand sich vor allem Alec am richtigen Ort. Er hatte sich recht früh als Magiebegabter herausgestellt und musste sein Temperament und seine Fähigkeiten dringend zu zügeln lernen. Als geborener Drakonier beherrschte er das Feuer, war aber auch so wild wie ein Drache. Er hatte schon diverse Räumlichkeiten unbeabsichtigt abgefackelt. Dennoch war er ein guter Junge, was auch die Drachen wussten. Einer ihrer Meister hatte ihn sogar nahezu adoptiert und nahm sich seiner intensiv an. Emily besaß bisher weder magische Talente noch fiel sie sonst irgendwie besonders auf. Ein fröhliches, freundliches Mädchen, welches viel lachte und zahlreiche Verehrer besaß, doch mehr war da nicht. Hammond war darüber nicht traurig. Als Magiebegabter oder Nichtmensch lebte man stets gefährlich. Diese Gefahr bestand bei ihr nicht. Zumindest solange sie weder als Drache erwachte noch magische Fähigkeiten in sich fand. „Du hast vermutlich nicht viel mit ihnen zu tun?“, schlussfolgerte Hammond schließlich. „Wie kommst du darauf?“ „Weil sie dich bisher nicht erwähnt haben. Weder als Billie noch als Athena.“ „Haben sie denn öfters von der zukünftigen Drachenkönigin gesprochen?“ „Ja, ständig.“, erwiderte er verwirrt. „Sie sind sehr am Schwärmen. Vor allem Alec ist ganz verzückt! Moment-... Bist du etwa...?“ „Leibhaftig und in Farbe.“ „Dann bildest du zurzeit hauptsächlich meinen Sohn in seiner Magie aus?“ Billiana nickte nachdenklich: „Ja, das stimmt. Er macht große Fortschritte.“ „Hätte ich gewusst, wer du bist-...“ „Das hätte doch nichts geändert, oder?“, warf die Blondine lächelnd ein und riss sich von den ganzen Gemälden los. „Wir hätten trotzdem zusammengearbeitet und du würdest mich trotzdem für die Rebellion wollen.“ „Natürlich, natürlich.“, stimmte er grinsend zu. „Aber ich hätte häufiger meinen Hofknicks geübt!“ „Idiot!“, tadelte sie ihn lachend. „Noch bin ich keine Königin.“ „Aber eine angehende. Also bist du eine Art... Prinzessin?“, schlussfolgerte er spöttisch. „Oh, Eure Majestät ist so bescheiden! Da schwindelt es einem einfachen Soldaten ja fast.“ Billiana schien ihm die Albernheiten nicht übel zu nehmen und sich auch nicht beleidigt zu fühlen. Zumindest lachte sie über die Scherze. Im Anschluss bekam er sogar einen spielerischen Hieb auf seinen Brustkorb, den er kaum wahrnahm. Trotzdem stöhnte er einmal gespielt auf, als hätte sie ihm ernsthaft wehgetan. „Es ist wirklich schön hier.“, gestand sie schließlich. „Ich mag es, dass es so bescheiden ist.“ „Danke sehr.“ „Du kannst deinen Leuten ausrichten, dass ich sie in ein paar Tagen treffen möchte. Sofern sie noch wollen.“ Seine Augen begannen direkt zu leuchten, als sie diese freudige Nachricht überbrachte. Er hatte nicht damit gerechnet! Zumindest nicht heute. Doch das schmälerte seine Begeisterung keineswegs. „Wirklich?“ „Ja, natürlich.“, erwiderte sie lächelnd. „Ich vertraue dir. Alles andere kommt dann von selbst. Zumindest, wenn sie mich überzeugen können...“ „Fantastisch! Ich teile es ihnen direkt morgen mit!“ „Was denn? Nicht direkt heute?“ „Oh nein, heute habe ich noch etwas vor.“ „Musst du noch ein hübsches Mädchen treffen?“, erkundigte sich die Attentäterin amüsiert. „Ihr den Hof machen?“ „So etwas in der Art.“ Ihre eisblauen Augen blitzten überrascht auf, als er ihre Handgelenke mit Kraft, aber auch Gefühl packte, um sie herum zu reißen und an die nächste Wand zu drücken. Hammond konnte ihr ansehen, dass sie nicht damit gerechnet hatte. Dann sind wir nun quitt., dachte er süffisant grinsend. Ich hatte nicht mit deiner Zustimmung gerechnet und du nicht damit, dass ich dich heute auf Händen tragen werde. Einen Augenblick lang sahen sie einander einfach nur an. Tief in die Augen, als wollten sie einander in die Seelen blicken. Keiner von ihnen sagte etwas. Schließlich senkte die Elfe unterwürfig ihre langen, dunklen Wimpern. In diesem Augenblick hob er ihre Hände über ihren Kopf und hielt sie schließlich nur noch mit seiner rechten. Seine linke Hand wanderte gefühlvoll, aber bestimmend an ihre Kehle, um ihren Kopf nur mit Daumen und Zeigefinger anzuheben. Der Rest seiner Hand behielt ihren Hals dominant unter Kontrolle, während sie einander wieder ansahen. „Du bist die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe, Billie...“, flüsterte er ihr mit heißem Atem entgegen. „Aber vor allem bist du die klügste Frau, der ich jemals begegnet bin. Ich bin dir vollkommen verfallen.“ „Geht mir mit dir nicht anders.“, hauchte die Elfe honigsüß zurück. „Deshalb vertraue ich dir auch.“ Mehr Zustimmung brauchte er nicht. Der Titan presste ihr seinen Mund voller Leidenschaft auf, ließ ihr aber immer noch keine Möglichkeit auf Flucht. Er wusste, dass sie als Drachendame erobert werden musste. Wenn er ihr nur eine Sekunde zu viel Freiraum ließ, dann würde sie sich wehren. Im schlimmsten Falle würden sie sich dann nicht näherkommen. Vielleicht sogar niemals... Soweit ließ er es nicht kommen. Lieber biss er ihr leidenschaftlich in die Unterlippe und zog animalisch daran. Manchmal saugte er sogar an dieser, während seine Hand ihre Kehle freiließ, um ihren kurvenreichen Körper zu erkunden. Er war wirklich froh, dass an ihr nichts Jungfräuliches zu finden war. Das fanden viele Männer vielleicht aufregend, doch er bevorzugte harten, wilden und langanhaltenden Sex. Ihr Keuchen verriet ihm, dass es ihr da nicht anders ging. Je fester er sie anpackte desto lauter wurde sie. Hammond war sich bei einer Sache ganz sicher: In dieser Nacht würde zwischen ihnen ein Feuer brennen, welches heißer sein würde als das eines Drakoniers oder Drachen.   Kelvin wusste beim besten Willen nicht, wie er es schon wieder in diese brenzlige Lage geschafft hatte. Noch vor zwei Tagen hatte er sich gefreut, dass Hammond Athena überzeugen konnte, mit ihnen zu sprechen. Ein genauer Termin stand noch nicht, weshalb er der Rebellion eigentlich gerne einen Vorteil verschaffen wollte. Etwas Gold, um ihre Möglichkeiten zu erweitern. Immerhin mussten sie sich nun erstmal ihr beweisen und anschließend einem vermeidlichen Gott. Nur leider hatten seine Freunde recht. Er schaffte es einfach nicht, irgendwo schnell rein zu gehen und ohne Aufsehen wieder zu verschwinden. Der Punkt, ab dem alles schiefgelaufen war, wusste er noch sehr genau. Als er die Kontrolle verloren und einen Wächter viel zu brutal getötet hatte und der der Alarm in dem Adelshaus ausgelöst worden war. Jetzt stand er mitten in einer Gruppe von Soldaten. Alle gierten nach seinem Blut und richteten ihre Waffen auf ihn. Etwas peinlich berührt kicherte der Rebellenanführer und schob seine Kapuze tiefer ins Gesicht: „Aber, aber, Freunde! Damit könntet ihr doch jemanden verletzen!“ Keiner reagierte oder lachte. Kelvin merkte schon, dass er ein schwieriges Publikum hatte. Eines, bei dem er nicht genau wusste, ob vielleicht auch Magiebegabte unter ihnen waren. Selbst wenn nicht, waren es einfach viel zu viele! Wie kam ich noch gleich auf die Idee, alleine einen feindlichen Adligen töten und sein Vermögen an mich bringen zu wollen?, sinnierte der Essenzbeherrscher. Eigentlich bin ich ja selbst schuld... Warum will ich mich auch immer wieder neu definieren? Er kannte die Antwort. Es lag an Amelie. Die Art und Weise, wie sie gestorben und wie sie gelebt hatte. Das Kind, welches er verloren hatte, bevor er es überhaupt im Arm halten konnte. Für sie konnte er nichts mehr tun. Keine Veränderung würde bewirken, dass sie zurückkehren würden. Er würde niemals vergessen... Doch die Veränderungen würden bewirken, dass andere keine solche Verluste mehr erleiden mussten. Jedenfalls nicht so. Zorn stieg in ihm auf. Der Nährboden, der ihm hierbei helfen würde. Feuerbrunsten stiegen um ihm herum auf, die er mit einem Wirbel aus Sturm einfach auf die schreienden Wächter zu fächerte. Die Lücke nutzte er aus, um hindurch zu laufen. Seine einzige, ganz besondere Gabe war die Geschwindigkeit, die sonst nur einem reinen Sturmläufer zur Verfügung stand. Wäre er nicht so ein begabter Essenzmagier, hätte er dieses Talent nicht und wäre nun noch ernsthafter in Gefahr. Zwischen ihm und seinen Feinden gab es nun Raum. Den konnte er für sich nutzbar machen, indem er eine Welle aus Wasser auf seine Angreifer zuschleuderte. Der ganze Boden würde nass und rutschig werden. Diejenigen, die es darüber schafften ohne zu stürzen oder sich zu verletzen, würden zumindest einige Zeit dafür brauchen. Genug, um die Wächter noch weiter voneinander zu trennen. Kelvin verschwand um eine Ecke und zog seine beiden Dolche, die nichts Besonderes waren. Dennoch pflegte er sie, damit sie scharf blieben. Auch wenn er sich an Abenden wie diesen immer wieder schwor, er würde sich endlich spezielle Waffen für sich schmieden lassen, um besser gewappnet zu sein. Jetzt musste er aber damit auskommen. Eiskalt reagierte er und rammte einen der Dolche direkt durch das Kinn eines Wächters, der gerade vorbeilaufen wollte. Seinem erschrockenen Kollegen rammte er die zweite Klinge durch die Leber. Im Anschluss riss er seine Waffen heraus und rannte er weiter, um sich ein neues Versteck in dem gigantischen Anwesen zu suchen. Eine Gruppe aus vier Wächtern kam ihm alarmiert entgegen. Es tat ihm beinahe um sie leid, als er einige Steine durch seine Magie aus einer Mauer riss und sie einfach darunter begrub. Diesen Trick hatte ihm Hammond gezeigt! Und er musste zugeben, dass er wirklich praktisch war. Die Soldaten schienen nicht alle tot zu sein. Er hörte ein Keuchen und den Versuch, unter den Felsen hervorzukommen. In dem Moment, wo er es beenden wollte, flogen jedoch Pfeile dicht an ihm vorbei. Als er sich umdrehte, erblickte er weitere Wächter, die auf ihn schossen. Wären sie näher an ihn herangekommen, hätten sie ihn problemlos getroffen. Sie waren aber offenbar zu ängstlich dafür. Trotzdem wollte Kelvin es nicht weiter herausfordern, denn einige zogen nun auch Armbrüste. Stattdessen konzentrierte er sich auf eine andere Wand, um auch dort das verarbeitete Gestein herauszureißen. Ein Schuttberg würde den Fernkämpfern nun erstmal den Weg versperren. Sie konnten also weder auf ihn schießen noch ihn weiterverfolgen. Auf einmal erschienen die Flure ewig lang zu sein und der Ausgang zu weit entfernt. Er hatte es nicht mal geschafft, mehr als einen Beutel mit Goldmünzen zu stehlen! Es ärgerte ihn. Doch mehr schleppen ging auf der Flucht auch schlecht. Bei dem Aufgebot an Gegenwind konnte er froh sein, wenn er an einem Stück herauskam. Ein Wächter merkte nicht, dass er von hinten angestürmt kam und würde es wohl erst im Totenreich begreifen, denn er rammte ihm gnadenlos seine Dolche in den Nacken. Es knackte so wahnsinnig laut, dass selbst Kelvin einen Moment zusammenzuckte. Auch wenn ihm anderes nachgesagt wurde und er diesen Aussagen auch nie widersprach, fiel es ihm nicht leicht, Leben zu nehmen. Vor allem dann nicht, wenn er nicht wusste, ob diese Leute es überhaupt verdienten. Es fiel ihm nur bei Adligen, Reichen und fanatischen Anhängern von Wyrnné leicht. Endlich erblickte er den Hinterausgang des Anwesens! Er verspürte große Erleichterung, als er die stabile Tür einfach auftrat. Sie gab ihm nach, auch wenn es in seinem Fuß und seinem Bein schmerzhaft zog. Der Rebellenanführer war schon lange nicht mehr so glücklich gewesen, an der frischen Luft zu sein wie in diesem Augenblick. Kurz streckte er die Arme aus und atmete mehrmals tief ein und aus. Die Dolche hielt er dabei weiterhin fest umschlossen, während er die Augen kurz zumachte. Die Luft fühlte sich so sauber an. Hier roch es nicht nach Feuer, Blut und Tod. Auch wenn er drinnen größtenteils selbst für diese unangenehmen Gerüche gesorgt hatte... Plötzlich spürte er einen Anstieg an Hitze. Sofort machte Kelvin die Augen auf und sah einen Feuerball auf sich zu donnern. Mehr aus Reflex als durch taktische Erfahrung riss er aus dem Boden einen großen Felsen, den er geschickt genug vor sich manövrierte, um den Ball damit abzufangen. Das beantwortet die Frage danach, ob es unter den Wächtern Magiebegabte gibt..., sinnierte er atemlos. Diese Antwort hätten sie mir gerne schuldig bleiben dürfen. Verschwitzt sah er sich um und erblickte den Drakonier, der in Begleitung einer weiteren Person war. Wenn er eines wusste, dann war es definitiv das, dass er wirklich ungern gegen die Feuermagier antrat. Sie waren unberechenbar, nachtragend und zumeist wahnsinnig begabt! Sie konnten absolut alles abfackeln. Einschließlich von Menschen. Leider stellte sich seine Begleitung als Titan heraus. Er erschuf sich nämlich eine Rüstung aus Felsbrocken, während er einen großen Streithammer von seinem Rücken löste. Sie waren die zweite Klassifizierung von Gegnern, die er bevorzugt mied. Zu allem Überfluss schienen beide Essenzmagier wahnsinnig wütend zu sein. Heute muss mein Glückstag sein! „Wie wäre es? Wollen wir nicht verhandeln?“, hinterfragte Kelvin vorsichtig. „Es ist doch fast gar nichts passiert.“ „Du hast unseren Herren getötet!“, schimpfte der Drakonier erbost. „Und zahlreiche unserer Kollegen auch noch!“, ergänzte der Titan etwas ruhiger, wenn auch nicht viel. „Das war nur... ein Unfall! Ein Missverständnis... So etwas passiert mal!“ „Du hältst dich wohl für unwahrscheinlich witzig?“ „Zumindest sagt man mir Humor nach.“ „Man wird dir bald noch mehr nachsagen, Rebell.“, zischte der Feuermagier. „Dass du ehrlos gestorben bist unter anderem.“ Damit waren die Verhandlungen offenkundig beendet. Der Drakonier stürzte direkt auf den Anführer zu und entfachte noch während des Laufens seinen ganzen Körper. Es war die besondere Fähigkeit von ihnen, die nur ein wirklich guter Drakonier beherrschen konnte. Die Kunst lag darin, alles andere zu verbrennen, außer sich selbst. Sie waren eine Art lebende Fackel. Keuchend wich Kelvin dem Magiebegabten aus, der die Arme um ihn legen wollte. Das hätte schon gereicht, um ihm mindestens schwere Verbrennungen zu zufügen. Viel wahrscheinlicher wäre gewesen, dass der Drakonier ihn nicht losgelassen und bei lebendigem Leib verbrannt hätte. Anschließend musste er schon dem riesigen Hammer des Titanen ausweichen, dessen Kraft nicht minder beeindruckend war. Er hinterließ im gepflasterten Boden nämlich einen Krater, als der Kopf des Hammers dort aufprallte. Als Kelvin seinen Dolch gegen den Titanen schlug, prallte dieser einfach an der Steinrüstung ab. Das überraschte ihn nicht wirklich. Hammond hatte ihm deutlich erklärt, dass diese kaum zu durchdringen war, jedoch den Nachteil der Unbeweglichkeit bot. Der Drakonier war aber noch lange nicht fertig mit seinem Versuch, ihn Feuer und Flamme zu machen. Nun wollte er den Rebellen von hinten in seine flammenden Arme schließen. Es war mehr eine Kurzschlussreaktion, als er das Wasser aus dem Brunnen des Gartens zog, um es direkt über dem Entflammten zu ergießen. Zu seinem großen Glück war es genug Flüssigkeit, um ihn tatsächlich zu löschen. Vollkommen entsetzt stand der Magiebegabte dort und starrte auf seine nasse Bekleidung. Es war offensichtlich, dass er noch nie zuvor gelöscht worden war. Diese Verblüffung wollte Kelvin natürlich ausnutzen und holte mit einem seiner Dolche aus. Der Titan wollte das jedoch nicht zulassen und blockierte den Angriff mit seinem steinummantelten Arm. Es war so eine gute Gelegenheit! Innerlich fluchend machte er einen Satz zurück, um wieder Distanz zwischen sich und seine Feinde zu bekommen. Erstaunt stellte der Rebellenanführer dabei fest, dass der Drakonier plötzlich auf seine Knie zusammensackte. Als er einen genaueren Blick riskierte, konnte er einen Pfeil zwischen den Augen entdecken. „Was hast du getan?!“, kreischte der Titan vollkommen außer sich. Offenbar waren sie nicht nur Kollegen gewesen, sondern auch Freunde. „He, was soll ich denn bitte getan haben? Ich verstecke in meiner Hose bestimmt keinen Bogen!“ Mit Logik brauchte er es wohl gar nicht erst versuchen. Wütend wollte der gigantische Mann sich auf ihn werfen, doch er sackte vorher ebenfalls zusammen. Auch er wurde mit einem Pfeil bespickt. Genauso gezielt zwischen die Augen, wie es auch schon bei dem Drakonier der Fall war. Was geht hier vor sich?, fragte sich Kevin und sah sich misstrauisch um. Wenn ein Pfeil mich verfehlt hätte, okay, aber zwei Schüsse, die versehentlich zwischen die Augen gehen...? Wohl kaum. Doch egal, wie sehr sich der Rebell auch anstrengte, er konnte niemanden entdecken. Es war einfach zu dunkel und vom Anwesen ging zu viel Lärm aus, um nach einer Stimme zu suchen. Wer auch immer ihm geholfen hatte, war wahnsinnig geschickt und ihm offenbar sehr wohlgesonnen, denn als er sich umdrehte, kamen zahlreiche Wachen aus der zerstörten Tür gelaufen und worden mit Pfeilen beschossen. Sie schrien und wichen sofort wieder zurück. In Ordnung, es ist Zeit zu verschwinden. Egal, was hier auch immer gerade passiert ist., beschloss er. Kelvin kontrollierte nochmals seinen Umhang und die Kapuze, dann rannte er los. Er durfte nicht sein Gesicht offenbaren. Wenn Steckbriefe erstellt worden, konnte er bald keine ruhige Minute mehr verbringen. Nicht, dass er die Ruhe irgendwie mochte... Doch es wäre für seine Sache durchaus hinderlich. Seine Verfolger schafften es offenbar nicht, ihm nachzusetzen. Ihm kamen auch keine Wachen der Stadt entgegen, als er durch die Nacht verschwand. Er musste nicht mal eine Mauer hochklettern oder über Dächer springen! Niemand aus dem Anwesen hatte es offenbar geschafft, rechtzeitig die Wächter des Weltenlenkers zu benachrichtigen. So viel Glück hatte der Rebell seit seiner Begegnung mit Amelie nicht mehr gehabt. Er war sich auch absolut sicher, dass er auch in Zukunft nicht mehr so viel Glück haben würde. Immerhin hatte er heute Abend eigentlich sein Todesurteil unterschrieben. Zur Sicherheit tauchte Kelvin dennoch einige Stunden unter, bevor er sich auf den Weg nach Hause machte. Inzwischen war auch die Nacht eingebrochen. Kaum einer betrat noch freiwillig die Straßen, solange er kein Soldat oder Säufer war. Der Himmel war sternenklar. Es war wirklich eine schöne Aussicht, die er genoss. Ebenso wie die frische Luft und das Gefühl, eine aussichtslose Situation überlebt zu haben. Die Erleichterung ließ etwas nach, als er entdeckte, dass in seinem kleinen Haus Licht brannte. Der Rebell war sich absolut sicher, dass er es nicht angelassen hatte. Selbst wenn es so gewesen wäre, wäre es nach all den Stunden ohne Aufmerksamkeit längst erloschen! Oder es hätte seine Hütte abgefackelt... Er atmete mehrmals tief durch, während er wieder seine Dolche zückte. Die Kapuze zog er sich erneut tief über das Gesicht. Bereit, alles zu riskieren! Wenn man ihn gefunden hatte, dann würde er denjenigen ihre gerechte Belohnung für dieses Kunststück zukommen lassen. Eine Weile stand er an der Tür, dann riss er diese auf. Er holte aus und dann... Stellte er fest, dass man ihn mit seinen eigenen Waffen schlug. Dorian, Hammond, Elena und Kyle saßen da, um ihm mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen zu blicken. Sie hatten sich wohl selbst eingeladen. Selbst schuld! Das tat er ja auch regelmäßig... „Eine Intervention?“, hinterfragte er atemlos und schloss hinter sich die Tür. „Ich denke, ich habe verstanden. Ich melde mich zukünftig an.“ „Keine Intervention...“, sagte eine ihm unbekannte samtige Frauenstimme. Sofort sah sich der misstrauische Anführer um und entdeckte den bezaubernden Ursprung. Eine hochgewachsene, schlanke Elfe mit goldblondem Haar und eisblauen Augen. Das eine war zwar milchig und offenbar blind, doch es tat ihrer atemberaubenden Schönheit keinen Abbruch. Nicht mal die Schuppen, die er nur Dank Hammonds langen Unterweisungen entdecken konnte. Wenn Kelvin ehrlich war, hatte er eine Schwäche für Frauen mit Makeln. Ob es nun Narben waren, ein blindes Auge oder Drachenschuppen... Es machte sie erst richtig schön, wenn sie nicht perfekt aussahen! Ihm gefielen sogar die spitzen Elfenohren, die in ihrer Gesellschaft nicht mehr hoch angesehen waren, obwohl Elfen als Huren immer noch gerne benutzt worden. Ihre Mode machte deutlich, dass sie kein verwöhntes, adliges Gör dieser abartigen Zeiten war. Anders als Elena, war sie weder zugeknöpft noch trug sie aus Eitelkeit großartig Schmuck. Abgesehen von einer Kette, die ein verzierten, silbernen Sichelmond besaß. Oberhalb der Sichel befand sich ein einzigartiger grünschwarzer Juwel. Er schätzte, dass es grüner Obsidian war, weshalb er eine Weile darauf hängen blieb. Lange ließ er sich davon nicht ablenken, sondern musterte die enge Lederhose, in der eine Bluse steckte, die durch einen Mantel und einen Gürtel gezüchtigt wurde. Mit geschulten Augen entdeckte er die Dolche in den Reiterstiefeln. Ein zweiter Blick zeigte ihm den Bogen auf ihrem Rücken. Sie war vieles, aber gewiss nicht vergleichbar mit ihrer adligen Unterstützung! Um nicht unhöflich zu erscheinen, riss er sich von dem aufregenden Körper und Kleiderstil los, um ihr endlich wieder in das wirklich schöne Gesicht zu blicken. Sie hatte in der Zwischenzeit den Kopf nach links geneigt, wodurch ihre Haare auf diese Seite rutschten. Es wellte sich über ihre linke Schulter und verlockte einen dazu, es anfassen zu wollen. Doch noch verführerischer war dieses bezaubernde Lächeln. In Zeiten wie diesen, hatte kaum noch einer dieses warme, einnehmende Lächeln - jedenfalls kein ehrliches. Bei all den Göttern dieser Zeit... Sie reißt mich etwas aus der Bahn!, musste Kelvin sich eingestehen. Das ist nicht das, was ich erwartet hatte! „Ihr seid wohl die große Athena...?“, erkundigte er sich räuspernd. Sie musste sein Starren genauso bemerkt haben, wie alle anderen auch. Trotzdem blieb sie vollkommen locker und lächelte weiterhin warmherzig. Er wusste wirklich nicht, wie sie das schaffte! Selbst er musste sich ständig zu seiner Heiterkeit zwingen. „Ich würde mich nicht groß nennen...“, erwiderte Billie honigsüß. „Aber ja. Ich bin Athena.“ „Hübsche Haarfarbe...“, murmelte er vorsichtig. „Heute also mal blond?“ Sie begann zu kichern und er musste zugeben, dass ihn das verwirrte. Auch Hammond lachte, was ihm das Gefühl gab, dass er einen wirklich guten Witz gemacht hatte. Nur, dass er es selbst nicht mal mitbekommen hatte. „Das ist meine echte Haarfarbe.“, klärte sie ihn sanftmütig auf. „Wärst du mal eher aufgetaucht, wüsstest du das auch.“, tadelte Dorian ihn. „Wir warten schon Stunden! Und wie siehst du überhaupt aus?“ „Ich... hatte zu tun...“, erwiderte Kelvin und blickte an sich herab. Dorian hatte recht: Er sah schrecklich aus! Überall war sein Mantel zerrissen, schmutzig und es gab sogar ein paar Einschusslöcher. Wohl von den Pfeilen und Bolzen, die ihn bei seiner Flucht knapp verfehlt hatten. „Was hast du wieder angestellt?“, wollte Hammond streng wissen. „Du warst auf jeden Fall wieder mal ohne Hilfe unterwegs...“ „Ich habe uns ein paar Münzen beschafft.“, sagte er stolz und warf den Beutel auf den Tisch. Elena nahm diesen vorsichtig entgegen und öffnete ihn. Sie zog die Augenbrauen kraus und schüttete die Goldmünzen dann auf den Tisch aus. Es war für eine einzelne Person eine Menge, doch sehr wenig für eine Organisation. Erst recht, wenn diese Organisation gegen den Weltenlenker antreten wollte. Der besaß immerhin nahezu unerschöpfliche Finanzpolster und noch mehr Anhänger. „War es das wirklich wert?“, hinterfragte Kyle skeptisch. „Dein Umhang hat fast genauso viel gekostet.“ „Was soll ich dazu sagen?“, erwiderte Kelvin und grinste keck. „Die Party wurde schnell voller und ich musste schnell verschwinden. Ihr habt ja keine Ahnung, wie viel so ein Säckchen voll Gold wiegt!“ „Und dafür hast du uns warten lassen...“, seufzte Dorian gespielt theatralisch und nippte am billigen Met. Sie hatten es sicherlich aus der Taverne um die Ecke besorgt, um sich die Wartezeit zu versüßen. Nur die anwesenden Damen hatten keinen Becher. Hammond stand auf und schenkte auch Kelvin etwas von dem Alkohol ein. Der Holzbecher fühlte sich gut an. So knapp entkommen zu sein, war durchaus einen kräftigen Schluck wert! Also fackelte er auch nicht lange und trank von dem Met, welches wirklich nicht gut war. Doch es erfüllte immerhin seinen Zweck. „Ich wusste ja nicht, dass ihr hier seid...“, widersprach er schließlich. „Also bitte ich vielmals um Verzeihung, dass ihr warten musstet.“ Endlich erinnerte er sich an den langersehnten Gast. Die Attentäterin schlenderte etwas durch seine Hütte und musterte die Ausstattung. Das hatte sie offenbar bisher nicht gemacht. Vielleicht, um höflich zu sein. Jetzt konnte er immerhin entscheiden, ob er das zulassen wollte. Hierbei schämte er sich nicht für das offenkundige Chaos in seinem Zuhause. Klamotten lagen herum. Saubere, aber auch dreckige. Ein paar Bücher, Pergamente und Federn schwirrten auch hoffnungslos verloren im Raum umher. Nichts schien seinen Platz zu haben. Das genaue Gegenteil von Hammonds Disziplin, wenn es um Ordnung und Sauberkeit ging. „Darf ich Euch etwas zu Trinken anbieten, Lady Athena?“, erkundigte sich Kelvin schließlich charmant. Er wusste, dass er auf sein Umfeld eine gewisse Wirkung hatte. Nur deshalb war die Rebellion inzwischen zu einer imposanten Größe angewachsen. „Billie.“ „Wie bitte?“ „Ich heiße Billie.“, erklärte die Elfe. „Athena ist mein Deckname im Untergrund, wenn ich Aufträge annehme. Ihr wollt aber keine Attentäterin, sondern ein Mitglied.“ „Verzeihung... Ja, das ist wahr. Also, Lady Billie, wollt Ihr etwas trinken?“ „Ich bin keine Lady.“, korrigierte sie ihn amüsiert. „Und nein danke.“ Will sie mich ärgern? Um herauszufinden, ob ich schnell die Beherrschung verliere?, sinnierte der Anführer und musterte sie weiterhin neugierig. Einige seiner „Dekorationen“ berührte sie sanft. Ihre Kuppen glitten einfach über ein paar Schalen und Vasen, die er irgendwo geklaut hatte. Nur, um dann von Elena gesagt zu bekommen, dass sie wertlos seien. Nur billige Imitate. Also hatte er sie behalten, auch wenn er nicht wirklich was damit anzufangen wusste. „Nun... Ihr seid hier, weil Ihr mit uns sprechen wollt?“, versuchte er in Erfahrung zu bringen. „Was genau wollt Ihr wissen?“ „Wie Eure Pläne aussehen natürlich.“, sagte sie süffisant lächelnd. Sie genoss es sichtlich am längeren Hebel zu sein. Ihr war offenkundig bewusst, dass die Rebellion ihrer Unterstützung dringender brauchte als Gold. „Wir wollen den Weltenlenker stürzen. Er sollte bestraft werden für alles, was er uns angetan hat.“, erklärte Kelvin ruhig. „Er hat uns allen so viel genommen und-...“ Die Elfe hob harsch ihre Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Verärgert musste er feststellen, dass er sich mit der Geste hatte tatsächlich den Mund verbieten lassen. Er wusste um seinen eigenen Charme, aber ihre Wirkung schien noch wesentlich heftiger zu sein. „Ich unterbreche an der Stelle direkt...“, sagte sie sachlich. „Bitte erzählt mir nun keine schrecklichen Geschichten. Das interessiert mich nicht wirklich.“ „Wie bitte?“ „Es gibt da draußen tausende traurige Geschichten. Viele davon werden niemals erzählt werden, weil diejenigen tot sind, die es tun könnten. Alle haben etwas verloren. Nicht nur die, die sich gegen den Weltenlenker stellen.“, erläuterte Billiana ernst. „Auch die, die ihm dienen, müssen immer wieder Verluste in Kauf nehmen. Auch vor dem Weltenlenker hat es Tote, Folter und Verfolgung gegeben. Die wird es auch nach ihm geben... Ich weiß, dass Ihr normalerweise so arbeitet, Kelvin, aber mich lockt Ihr nicht mit einer Abwandlung Eurer traurigen Vergangenheit.“ Der Rebellenanführer war für einen Augenblick absolut sprach- und ratlos. Im nächsten Moment packte ihn der Zorn. Sein böser Blick traf direkt Hammond, der unschuldig die Hände in die Luft erhob. „Guck mich gar nicht so an.“, sagte er verteidigend. „Von mir weiß sie gar nichts.“ „Ich bin nicht dumm, Kelvin.“, warf die Elfe ein. „Selbstverständlich habe ich mich informiert, bevor ich hierhergekommen bin. Genaugenommen sogar noch vor meiner Zustimmung zu dieser Unterhaltung.“ „Was wollt Ihr dann wissen?“, zischte er verbittert. Wenn er nicht mit den Ambitionen punkte konnte, die sie alle besaßen, wurde es schwierig. „Ich will wissen, was Ihr genau vorzuweisen habt. Nicht nur die Leute, die sich bereits angeschlossen haben, sondern auch die Bilanz der steigenden Anhängerschaft.“, fuhr sie gelassen fort. „Ob und an wie viele Waffen, Rüstungen und ähnliches Ihr herankommt. Was genau Eure Ziele sind. Wie viele kleinere Ziele bereits erreicht worden sind. Was Ihr für die Zukunft des Reiches plant.“ „Das ist aber eine gewaltige Liste, die Ihr da abgeklärt haben wollt, Lad-... Billie.“ Sie schmunzelte verlockend: „Natürlich. Ich sagte ja, dass ich nicht dumm bin.“ „Wir haben etwas mehr als tausend Männer. Die haben noch Frauen und Kinder, die aber größtenteils nicht kampffähig sind, aber bei der Versorgung helfen.“, erklärte der Anführer schließlich sachlich. „Ehrlich gesagt, steigen die Zahlen unregelmäßig. Gab es viele öffentliche Hinrichtungen, dann schließen sich viel mehr an, weil sie wütend sind. Und wir kommen derzeit auch kaum an Ausrüstung heran... Wir sind zu viele und die meisten Schmieden gehören dem Weltenlenker. Wir planen, dass der Weltenlenker seinen Thron... aufgibt und mit ihm auch alle Adelshäuser und angeblichen Götter ihre Posten verlassen. Zumindest die, die ihm treu ergeben waren bis zum Schluss... Die Nichtmenschen, Mischlinge und Armen sollen ihre Reichtümer bekommen und freigelassen werden, damit sie sich von allem erholen können.“ „Und wer soll die Herrschaft übernehmen?“, hakte die Blondine nach. „Wer übernimmt die neuen Plätze auf den Thronen der gefallenen Könige und Gottheiten?“ Kelvin warf einen weiteren Blick zu dem Titan. Der zeigte deutlich, dass er auch nicht darüber mit ihr gesprochen hatte. Offenbar denken Frauen alle gleich... Kann doch kein Zufall sein, dass sie beide darauf pochen, wer den Thron erbt., dachte er verbittert. Wenn das so weitergeht, dann kommen wir in den nächsten zehn Jahren nicht weiter. „Das wissen wir noch nicht...“, gab er dann doch seufzend zu. „Wisst Ihr denn schon, wie Ihr den Weltenlenker von seinem Thron stoßen könnt?“ „Nein.“ „Wisst Ihr, wie Ihr seine falschen Götter ausschalten könnt? Seine langlebigen Könige?“ „Nein...“ „Fangen wir doch mit dem an, was Ihr wisst.“, schlug sie schließlich vor. Wütend verbiss er sich solange auf seiner Unterlippe bis diese zu bluten begann. Sein Grinsen war ihm vergangen, genauso wie sein bodenloser Optimismus. Wenn man mit solch einer Frau sprach, dann kam man sich wie ein dümmlicher Narr vor. Jemand, der so weit in die Zukunft plante, war sehr schwer zufrieden zu stellen. Er verstand es ja! Er verstand es wirklich gut... Aber der Weltenlenker verstand sich auch gut darauf, alle Spuren zu verwischen. „Ich weiß...“, setzte Kelvin endlich unruhig an. „Dass der Weltenlenker nicht immer so war wie jetzt. Ich weiß, dass er sterblich ist... Und ich weiß, dass er selbst in No’gobor alle Schriften zu seiner Vergangenheit vernichtet hat. Ich weiß, dass es wahnsinnig schwer sein wird, ihn zu töten. Und ich weiß, dass es noch schwerer sein wird, ihn zu ersetzen. Mir ist klar, dass diese Rebellion viele Opfer fordern wird. Nicht nur auf seiner Seite, sondern vor allem auf unserer. Ich weiß, dass wir noch viel erforschen müssen, bis wir überhaupt daran denken können, wie die neue Regierung aussehen sollte. Und mir ist auch bewusst, dass wir noch viel zu wenige für unsere Ambitionen sind.“ Stille nahm ihren Platz ein. Gewohnte, unangenehme Stille. So viel Realität auf einmal war schwer zu verdauen. Die Crew des Rebellenanführers war es gewohnt, dass er optimistisch zur Schlacht ausrief. Dass er davon sprach, dass sie es bald schaffen würden, alles zu ändern. Egal, wie deutlich sie auch zeigten, dass sie ihm nicht glaubten, gab er ihnen sonst jene Hoffnung. Kelvin war das Licht dieser Unternehmung. Doch auch jedes Licht sorgte für Schatten. Je heller er erstrahlte desto dunkler wurden die Schatten, gegen die er zu kämpfen hatte. Um Amelies Willen kämpfte er weiter, doch auch er musste sich langsam eingestehen, dass sie gegen Mauern rannten. Sie waren in den letzten Monaten einfach nicht mehr weiter vorangekommen. Ohne Athena und Lebenswelt würde die Rebellion wahrscheinlich sogar endgültig sterben. „Ihr wisst wirklich viel.“, sagte Billiana plötzlich und riss alle aus ihrer Melancholie. „Euch ist bewusst, dass das hier kein Spiel ist und es ein harter, langer Weg zum Sieg sein wird. Das ist alles, was zählt. Ich werde mir Eure Rebellion in den nächsten Tagen genauer ansehen und mir ein Bild verschaffen. Es wäre nett, wenn Ihr mir Zugriff auf Eure Unterlagen und Pläne lasst. Außerdem würde ich gerne mit Euren wichtigen Anhängern sprechen... Danach werde ich endgültig entscheiden, ob und welche Rolle ich in Eurer Rebellion einnehmen möchte.“ „Ich-... Ich-...“, stammelte Kelvin ehrlich überrascht. „Ja... Ja, natürlich!“ Damit hatte ich nun nicht gerechnet..., gestand er sich perplex ein. Fühlte sich eher so an, als habe sie mich gerade niedergemäht! Aber er urteilte offenbar inzwischen genauso schnell wie der Weltenlenker selbst. Sie mochte Fragen gestellt haben, die wie ein persönlicher Angriff wirkten, doch sie hatte wohl nur seine Wahrnehmung prüfen wollen. Wissen wollen, ob dem Anführer selbst klar war, worauf er sich eingelassen hatte. Ob hier Illusionen regierten, stand gesundem Menschenverstand. „Na, wunderbar!“, sagte Hammond feierlich und hob seinen Becher. „Dann haben wir also ein... Fast-Bündnis! Und ein bisschen ernüchternde Wahrheit. Das schreit ja danach, dass wir die Taverne leer trinken!“ „Oh ja, dem stimme ich zweifelsohne zu.“, schloss sich Dorian grinsend an. Trotz dieser ernüchternden Wahrheit schien kein Glaube ernsthaft erschüttert worden zu sein. Allmählich glaubte Kelvin, dass er der einzige Zweifler unter ihnen war. „Billie...“, richtete Kyle schließlich an die Elfe. „Möchtest du uns gerne begleiten?“ „Heute nicht, danke. Das nächste Mal.“, erwiderte sie mit einem mütterlichen Lächeln. „Aber du kommst dieses Mal mit, Elena!“, warf Dorian ein und legte den Arm um die Adlige. „Du vertröstest uns nun schon viel zu oft.“ „Aber-...“ „Kein Aber! Zwei Mal vertrösten, in Ordnung, aber mehr als zehn Mal ist gemein.“ „Was ist mit dir, Kel?“, erkundigte sich Kyle. „In Feierlaune?“ „An sich schon, aber ich muss heute passen.“ „Dann trinken wir für euch mit.“, sagte Dorian feierlich und hakte nicht weiter nach. Wenn der Beleibte eines gelernt hatte, dann, dass man manchmal nicht fragen sollte. Die kleine Truppe verließ nach einem kurzen Abschied das kleine Haus des Anführers. Bevor auch Billiana durch die Tür gehen konnte, griff Kelvin allerdings behutsam nach ihrer Hand, um sie aufzuhalten. Langsam und durchaus anmutig wandte sich die Frau ihm zu. Einige ihrer Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht, doch es verdeckte kaum das zarte Lächeln. Wenn er es nicht besser wissen würde, würde er sie glatt mit einem Engel verwechseln. „Danke...“, murmelte er schließlich. „Wofür?“ „Dafür, dass Ihr mir den Arsch gerettet habt.“ „Ich weiß nicht, was Ihr meint.“, sagte sie geheimnisvoll. „Ihr habt einen Bogen, aber keine Pfeile...“, verdeutlichte Kelvin aufmerksam. „Ich bin auch nicht dumm, wisst Ihr? Ich merke, wenn jemand mich rettet.“ Ihr Lächeln schwoll zu einem Grinsen heran, welches ihre geraden Zähne zeigte, die viel zu weiß waren. Manchmal fragte er sich wirklich, wie Elfen es schafften, so viel gepflegter und anmutiger auszusehen. Selbst dann – nein, gerade dann – wenn die Zeiten ganz schlecht für sie aussahen! „Gern geschehen.“, sagte sie ehrlich. „Vergesst aber nicht, dass ich nicht immer da sein werde, um Euch Euren Arsch zu retten, Lord Morgenstern.“ Ihm stockte einen Augenblick lang der Atem, während er sie mit geweiteten Augen betrachtete: „Woher-...?“ „Ich habe doch gesagt, dass ich mich vorher informiert habe.“, sagte sie so dahin. „Natürlich werde ich niemanden etwas von Eurer Vergangenheit und wahren Identität verraten. Auch der Aufenthaltsort Eures Bruders ist bei mir gut aufgehoben.“ „Ihr macht Eure Hausaufgaben wirklich sehr, sehr gründlich...“ „Natürlich.“ „Dann gestattet mir, dass ich Euch offenbare, dass ich wirklich nicht dumm bin.“ „Selbstverständlich. Bitte... Überrascht mich.“ „Wie Ihr ja vernommen habt, habe ich mich in No’gobor ausgiebig informiert. Ich bin über zahlreiche Berichte und Geschichten gestolpert. Nichts, was mir beim Weltenlenker hilft, aber sehr wohl in anderen Bereichen.“, erklärte der Rebellenanführer nicht ohne Stolz. „Unter anderem fand ich ein paar interessante Aufzeichnungen zur unabhängigen Stadt Exodus. Es ging um dessen Gründung und ihre fragwürdigen Gesetze. Ihr kennt doch sicherlich Exodus?“ „Gewiss doch.“, antwortete Billiana wahrheitsgemäß, während ihr Gesicht ernster wurde. Sie schien zu ahnen, worauf er hinauswollte. „Es gab dort eine Liste von den eingetragenen Nachfahren des Gründervaters. Wer sozusagen im Falle seines Ablebens die Führung übernehmen soll. So eine Art Stammbaum.“, fuhr er gelassen fort. „Interessant fand ich hierbei nicht, dass Hades Markrhon seit vielen Jahrhunderten nicht mehr in der eigenen Stadt war, sondern dass er seine jüngste Tochter als seine direkte Erbin eingetragen hat. Sein ältester Sohn kommt doch tatsächlich erst nach ihr an der Reihe... Billiana Fayh Cailean Markrhon. Ein recht einprägsamer und seltener Name. Nicht, weil Euer Vater offenbar ein Faible für Mehrfachnamen hat. Es gab auch ein paar Zeichnungen in No’gobor. Es war immer eine recht hübsche, blonde Elfe dargestellt. Ganz anders als Hades selbst. Zierlich, wohl etwas veraltet die Gemälde, aber ich erkenne eine gewisse Ähnlichkeit.“  „Ich gebe zu, dass ich beeindruckt bin...“ „Natürlich war ich dann doch interessiert. Wie konnte es sein, dass ein Herrscher eine Tochter als Thronerbin wollte? Dann auch noch die jüngste? Vor allem dann, wenn der Erstgeborene ein Junge ist und eine beeindruckende Laufbahn aufzeigt. Heerführer, Herrscher in einem anderen Reich, dessen Standort und Namen ich noch nie gehört hatte...“ „Also habt Ihr über mich Nachforschungen angestellt?“, hakte die Blondine angespannt nach. „Und was habt Ihr dabei herausgefunden?“ Kelvin musste grinsen. Endlich hatte er das Ruder herumgerissen! Seit er in sein eigenes Heim zurückgekehrt war, hatte sie das ganze Geschehen dominiert. Er hatte nicht ein einziges Mal die Möglichkeit gehabt, sich unter Beweis zu stellen. Will ich das wirklich?, fragte er sich innerlich. Will ich sie wirklich um jeden Preis beeindrucken? Ihre eisblauen Augen ruhten nur noch auf ihm. Wenn sie ernsthaft nervös war, konnte sie es gut verbergen. Ihre Hände spielten weder unruhig an ihrer Kleidung herum, noch an ihrem goldenen Haar. Ihr Gesicht war zwar ernst, aber nicht unter totaler Anspannung. Wenn jemand von Beherrschung sprechen konnte, dann war es definitiv diese Elfe. „Ich fand heraus, dass du eine Heerführerin deines Vaters geworden bist. Die jüngste in der Geschichte dieser eigenartigen Welt im Schatten.“ „Die Unterwelt...“ „Ja, genau, Unterwelt. So nennt ihr eure Heimat...“ „Bitte fangt jetzt nicht mit den Namen der Menschen an, okay?“, warf sie ein. „Hölle und solche Begriffe treffen keineswegs zu.“ „Bevorzugt Ihr vielleicht eher die Bezeichnung aus den Büchern? Haljô?“ „Nein, nicht wirklich...“ „Na gut, dann passe ich mich Eurem Wunsch gerne an, Lady Billie.“, sagte er grinsend. „Ihr wart also die jüngste Heerführerin in der Geschichte der Unterwelt. Ihr habt schon im Kindesalter deutlich gezeigt, dass Ihr tatsächlich die mächtigste aller seiner Kinder seid. Eure Magie erschütterte die gesamte Unterwelt und lehrte sie das Fürchten. Schon als Kind gab es hunderte Anschläge auf Euer Leben, die Ihr alle überlebt habt. Ihr habt es als einziges Kind dieses Mannes geschafft, Euren Kopf durchzusetzen. Ihr habt Lesen und Schreiben gelernt, den meisterhaften Umgang mit dem Bogen und die Kontrolle über Eure einzigartige Magie. Ihr habt es in Rekordzeit geschafft, die weiblichen... Kreaturen der Unterwelt hinter Euch zu versammeln. Ihr habt Kriege entschieden als Ihr noch eine Jugendliche wart! Ich muss zugeben, dass ich kaum aufhören konnte zu lesen, als es um Euer politisches und strategisches Wissen ging. Ich war wirklich beeindruckt...“ „Was soll ich dazu sagen?“, murmelte die Elfe immer noch reichlich unentspannt. „Ich habe eben ein wirklich weit gefächertes Interessenfeld.“ „Und obwohl Ihr Eure Geschwister um Ihr Erbe gebracht habt und sie einfach überflügelt habt, lieben sie Euch bedingungslos.“, warf Kelvin ein. „Keiner nimmt es Euch übel. Trotz der Anschläge kann man behaupten, dass die gesamte Unterwelt Euch ebenso vergöttert. Ihr habt mich gefragt, wen wir gedenken, auf den Thron zu setzen, wenn der Weltenlenker fort ist. Und ich denke, dass ich die Antwort inzwischen kenne.“ Langsam verengte die Elfe die Augen und blickte ihn durchaus feindselig an. Ihr war klar, was er sagen wollte. Jetzt endlich zeigte auch ihr Körper die Anspannung, die er aus ihrer Stimme längst gehört hatte. Er hatte sie endlich aus der Reserve gelockt! Nun konnte er dieser einzigartigen Blume auf den Zahn fühlen, die sich bisher als gelassener Todesengel präsentiert hatte. Was sie zweifelsohne auch war... „Wie wäre es, wenn Ihr das einfach übernehmt, wenn er tot ist?“ „Ihr geht zu weit.“, zischte Billie durchaus angriffslustig. „Ich rate Euch dringend, etwas langsamer zu machen.“ „Was spricht denn dagegen? Ihr habt Erfahrung darin, große Massen zu bewegen. Ihr seid klug, charismatisch und weitsichtig.“ „Ich will diesen Thron nicht.“ „Wollt Ihr speziell diesen Thron nicht oder wollt Ihr gar keinen haben?“ „Gar keinen.“ „Perfekt!“, jubelte der Rebell und klopfte ihr auf die Schulter. „Die Geschichte vom Lebensbaum lehrt uns, dass es besser ist, wenn jemand den Thron nicht möchte. Offenbar wird man dann nicht so schnell größenwahnsinnig.“ Etwas irritiert sah die Elfe ihm in die Augen: „Ihr wollt mich mit König Konstantin von Rabenwacht vergleichen? Ernsthaft?“ „Wieso denn nicht? Er wollte die Krone nicht und nun macht er sich fabelhaft als Herrscher!“ „Ich mache das nicht.“ „Warum nicht? Weil Ihr den Weltenlenker liebt?“ Mit einem Schlag schien die Farbe aus dem hübschen Gesicht zu weichen. Er konnte ihr ansehen, dass sie gegen den Drang ankämpfte, ihm mitten ins Gesicht zu schlagen. Das hätte er ihr nicht mal übelgenommen! Er provozierte sie gerade massiv. An ihrer Stelle wäre er schon fünf Sätze vorher handgreiflich geworden. „Hamm hat erzählt, dass Ihr offenbar den Namen des Weltenlenkers kennt.“, erklärte Kelvin vorsichtig. „Das lässt darauf schließen, dass ihr beiden euch schon sehr lange kennt. Es gibt immerhin keine Aufzeichnungen zu seinem Leben vor der Zeit als Weltenlenker. Warum geht er also das Risiko ein und lässt einen Zeitzeugen am Leben, der ihm nicht loyal gesonnen ist? Weshalb lasst Ihr ihn am Leben, wo Ihr doch eindeutig nicht mit seiner Politik einverstanden seid? Man tötet einen Tyrannen, aber keinen Geliebten. Solange die Gefühle da sind, würde man jedes Monster leben lassen.“ Ihr Blick senkte sich. Plötzlich schienen ihre Fußspritzen wahnsinnig interessant zu sein. Der Rebellenanführer konnte ihr die Scham ansehen, die sie gerade dominierte. Beinahe tust du mir leid... Du hast ihm dein Herz geschenkt und er dir seines. Doch ihr werdet niemals zusammen sein., sinnierte Kelvin mit ehrlichem Bedauern. Ihr habt euch den Weg selbst verbaut. Habt euch entschieden, dass ihr Feinde sein müsst. So nah und doch unerreichbar fern... Er hatte seine Verlobte an den Tod verloren. Doch zumindest hatte er davor ein Leben mit ihr gehabt! Es gab tausende schöne Erinnerungen, die er nachts in sich wachrufen konnte, wenn er schwankte. Wenn er wollte, konnte er von der Zukunft träumen, die sie gehabt hätten. Sich ausmalen, wie sein ungeborenes Kind ausgesehen hätte, wenn sie nicht gestorben wären. Sie hatten zumindest eine Chance gehabt. „Auch wenn Ihr ihn liebt, ist das, was er tut, falsch.“, sagte er einfühlsam. „Ihr wollt ihn retten, doch Ihr erkennt allmählich, dass es nicht möglich ist, nicht wahr? Sonst wärt Ihr nicht hier... Sonst hättet Ihr mich heute Abend sterben lassen.“ „Ja...“ „Dann gebt mir die Chance Euch zu zeigen, was ich in Euch sehe.“, forderte Kelvin mit Nachdruck. Seine Hände ergriffen nun die verkrampften Hände der Elfe. Überrascht blickte sie mit offenem Mund auf und sah ihn endlich wieder an. Er sah, dass ihre Augen feucht geworden waren. Die Wahrheit schmerzte, doch sie war notwendig. Das hatte sie selbst heute gezeigt. „Ich sehe Großes in Euch, Billie. Ihr denkt vielleicht, dass Eure Ära vorbei ist... Ihr mögt glauben, dass Ihr alles erreicht habt, aber Ihr irrt Euch.“, hauchte der Rebell ihr aufrichtig entgegen. „Eure Ära hat gerade erst angefangen. Ihr werdet die Heilung dieses Reiches sein. Das größte Opfer habt Ihr bereits gebracht... Nun liegt es an mir, Euch Eure Größe zu zeigen. Euch zu zeigen, dass Ihr es seid, die auf seinen Thron gehört.“ „Keiner... würde mich akzeptieren...“, warf sie kleinlaut ein. „Die Menschen sind in der Überzahl. Sie hassen Nichtmenschen... Meine Abstammung kann ich nicht ändern.“ „Sie werden bereit sein. Wenn die Zeit gekommen ist, werden sie bereit sein.“ „Was macht Euch da so sicher?“ „Weil ich Kelvin Morgenstern bin.“, sagte er breit grinsend. „Ich mache das Unmögliche möglich!“ Blinzelnd musterte die Blondine sein optimistisches Gesicht. Er hatte gelesen, wie grauenhaft ein Leben in dieser Unterwelt sein musste. Solch positive Denkweise würde sie daher nicht wirklich kennen. Und sein blindes Vertrauen in sie und die Zukunft, die sie gemeinsam einleiten wollten ohnehin nicht. Doch das war seine Stärke! Er war gut darin, Visionen zu erschaffen. „Ich habe keine Ahnung weshalb...“, begann die Elfe schließlich. „Aber aus irgendeinem Grund glaube ich Euch.“ „Das liegt an meinem einzigartigen Charme.“ „Ja... Ja, nennen wir es mal Charme.“, murmelte sie mit hochgezogener Augenbraue. „Ich glaube aber eher, dass es grenzenloser Wahnsinn ist.“ „Charme... Wahnsinn... Wo liegt der Unterschied? Wichtig ist doch nur, dass wir eine bessere Welt erschaffen.“ „Am Vorgehen ändert sich trotzdem nichts. Ich will mir Eure Rebellion erst genauer angucken.“ „Selbstverständlich.“ „Und ich werde alles abstreiten, wenn Ihr von dieser Unterhaltung irgendwas erzählt.“, ergänzte sie. „Ich habe nichts anderes erwartet.“ „Außerdem...“, begann sie und blickte ihn skeptisch an. „Wäre ich Euch sehr verbunden, wenn Ihr meine Hände loslassen würdet. Ich muss los.“ Tatsächlich hatte Kelvin vergessen, dass er ihre Hände noch hielt! Er wollte es sich aber nicht anmerken lassen, weshalb er langsam diese anhob und jede einzelne Kuppe mit sanften Küssen benetzte. Er war taktvoll. Bei jeder anderen Frau hätte er direkt daran gesaugt oder hätte versucht, sie zu Sex zu drängen, doch bei ihr war es etwas anderes. Er respektierte sie schon jetzt. Ihre Verblüffung war es außerdem wert! Mit offenem Mund sah sie ihm zu, wie er diese hauchzarten Küsschen verteilte und war sprachlos. Auch wenn die Elfe es abstreiten würde, war sie nicht immun gegen seinen Charme. Um sie nicht weiter in Verlegenheit zu bringen, ließ der Rebellenanführer ab von ihren weichen Händen und ging ein paar Schritte zur Seite. Billiana fackelte nicht lange und ging an ihm vorbei, um sein chaotisches Zuhause zu verlassen. Zu seiner Freude behielt sie ihn wie einen Feind bei jedem Schritt im Auge. Das verspricht witzig zu werden...   Wenn Konstantin eines hasste, dann waren es definitiv die Geschöpfe des Weltenlenkers, denn diese Kreaturen lockten Ärger an. Wenn er ganz ehrlich war, dann wären sie ohne ihre Eskorte vermutlich schon längst sicher und unbeschadet in Götterherz angekommen. Nun aber wurden sie gefühlt alle zwei Schritte angegriffen oder die Bestien suchten den Ärger. Einmal hatte der Fessler sogar darauf bestanden, der Spur eines Magiers zu folgen, um dann festzustellen, dass dieser Magiebegabte nicht mal ein Abtrünniger war. Wozu sollte mich der Weltenlenker umbringen wollen? Das ist die schlimmere Strafe!, fluchte er innerlich. Auch jetzt befanden sie sich inmitten eines Schlachtfelds. Irgendwie hatten sie es geschafft, einer Truppe aus Nichtmenschen zu begegnen, die offenbar gerade aus den Reichen des Weltenlenkers fliehen wollten. Vermutlich auf dem Weg zu einem Hafen, um über die Meerenge zu fliehen. Viele der Schiffe schafften die Überfahrt durch die stürmischen Unwetter zumeist nicht. Ironischerweise war ihre Überlebenschance trotzdem höher, denn im Dunstbereich des Weltenlenkers starben sie auf jeden Fall. Die Anhänger des Weltenlenkers hatten natürlich nicht lange gefackelt und sich entschieden, dass sie die Überlebenschance der Flüchtlinge auf Null Prozent senken wollten. Selbstverständlich gingen die Nichtmenschen durch ihre Anwesenheit davon aus, dass auch der König und seine Männer Anhänger des selbsternannten Gottes waren und wurden mit in die Schlacht hineingezogen. Nur Sor’car schaffte es irgendwie, sich nicht großartig ins Kampfgeschehen einzumischen. Er war wirklich froh, dass er sich seine stabile, bequeme und bewegungsaktive Lederkluft angezogen hatte und nicht den feinen Zwirn eines Königs. Noch dankbarer war er, dass er auch nicht unbewaffnet mitgekommen war, obwohl man ihm versichert hatte, dass er die Waffen nicht brauchen würde. Sein Schild war ihm irgendwann im Laufe des Kampfes verloren gegangen. Fairerweise musste man sagen, dass das ein regelrechtes Handgemenge war! Fast wie eine Schlägerei in einer Taverne voller Betrunkener. Es war nahezu unmöglich den Überblick zu behalten. Irgendwann hatte ein Elfenmann ihn angegriffen, wobei der König dann seinen Schild wegwerfen musste. Leider ohne darauf zu achten, wohin er ihn geworfen hatte. Nun sah er sich zwei Mischlingen gegenüber. Einer davon hatte auf jeden Fall elfische Abstammung. Der andere vermutlich orkische. Oder er war einfach nur verdammt hässlich, das war für Konstantin nicht klar zu definieren. Klar war nur, dass sie wahnsinnig wütend waren! Und er nur sein Einhandschwert hatte. Gefühlvoll ließ er die Klinge in seiner Hand rotieren, während er mehrmals tief durchatmete. Der Elfenmischling trug selbst auch nur ein Schwert, das besorgte ihn weniger. Der Orkmann hingegen hatte eine riesige Streitaxt, die schon Respekt erweckte. „Wollen wir nicht doch nochmals über alles reden?“, erkundigte sich der Adelssohn hoffnungsvoll. Keiner der Feinde antwortete ihm. Wenn Konstantin ehrlich war, wusste er nicht, ob sie überhaupt seine Sprache verstanden. Es wäre nicht ungewöhnlich, dass man Sklaven die Gemeinsprache nicht lehrte, sondern nur einfache Kommandos und bestimmte Gegenstände. So konnten sie weder widersprechen noch sich Hilfe suchen. Zu seinem großen Glück, griff zuerst der kleinere der Gegner an. Er wich geschickt dem Schwerthieb aus und schnitt dem armen Mischling die Seite auf. Er hatte offensichtlich keinerlei Kampferfahrung. Nur eine Waffe, die er nicht zu führen wusste. Es tat dem Adligen ehrlich um den Jüngling leid, doch er konnte auch nichts weiter für ihn tun, als ihm sein Schwert mitten durch die Kehle zu treiben. Ein schnelles Ende ohne Leid. Da preschte auch schon der Orkmischling auf ihn zu. Die riesige Axt schwang er über seinen hässlichen Kopf und holte mit viel Wucht aus. Der König wich rasch zur Seite aus und betrachtete mit aufgerissenen Augen, wie der Nichtmensch den Schädel seines toten Kameraden spaltete. Er hatte also definitiv mehr Kampferfahrung und noch mehr körperliche Kraft. Sofort drehte sich der Angreifer wieder zu ihm. Schnaubend schlug er nun mit der Axt ein paar Mal hin und her, damit der König zurückweichen musste. Immer wieder verlor er mehr Kontrolle über das Kampfgeschehen, was wirklich nicht gut war. Wenn der Orkkämpfer erstmal genug Raum für sich beanspruchte, würde er ihn nicht besiegen können. Unter dem nächsten Angriff duckte sich der König hindurch, um mit seinem Schwert schließlich einmal über die Schienbeine zu schlagen. Es ergab tiefe, blutende Wunden, die die Bewegungen gewiss einschränkten, aber nicht tödlich waren. Viel schlimmer war, dass es den Mischling offenbar bloß noch wütender machte! Er schrie wie von Sinnen und raste dann wie ein Berserker mit der Streitaxt auf ihn zu. Nur ganz knapp konnte der Adelssohn zur Seite tänzeln und packte in diesem Moment das Schwert des toten Elfenmischlings. Er würde es gewiss nicht mehr brauchen. Prüfend ließ er die zweite Waffe kreisen, um sich mit dessen Balance auseinanderzusetzen. Viel Zeit dafür blieb nicht, aber es musste gehen. Immerhin lag hier nirgendwo sein oder ein anderer Schild herum, den er nehmen konnte. Als der orkische Mischling erneut angriff, überkreuzte Konstantin beide Klingen miteinander und bremste so den Angriff ab. Schweiß trat ihm auf die Stirn, während er keuchend dem Mann entgegen starrte. Lange konnte er ihn nicht auf diese Weise blockieren, weil der Mischling ihm körperlich überlegen war. Das musste er auch nicht, weil dem Nichtmenschen eine Axt in den Rücken gerammt wurde. Einen Herzschlag lang glaubte der König, dass es ihn nicht umwarf, doch dann sackte die Kreatur einfach auf seinen Knien zusammen. Erleichtert blickte er in das Gesicht von Benedikt, der vollkommen ernst war. Überall an ihm klebte Blut. Es musste sich für den Hauptmann so anfühlen, als führte er gerade Krieg. Bloß ohne seine Armee... „Danke sehr...“ „Immer wieder gerne, Majestät.“, erwiderte Benedikt gelassen. „Diese Bestien sollten dringend mal ihre Prioritäten klären.“ „Das sehe ich genauso.“, gestand Konstantin. Er hob seinen Blick und beobachtete, wie ein Drachenhetzer um einen Gegner herumtänzelte und ihm anschließend mit seinem Schwert den Kopf abtrennte. Seine Waffe besaß Widerhaken und trotzdem konnte er damit Knochen durchtrennen. Wie widerlich diese Kreaturen auch waren, musste er zugeben, dass sie im Kampfgeschehen beeindruckend waren. Der Fessler jedoch überzeugte ihn weniger. Zwar konnte er Magie aufspüren und diese binden, war aber im Kampf fast wehrlos. Die meiste Zeit stand er in der Nähe von Sor’car, die jeden Angreifer mit ihrem Kampfstab problemlos abwehrte. Die menschlichen Soldaten waren längst alle gestorben. Mit wie vielen Männern ist sie wohl ursprünglich hergereist? Auf dem Hinweg muss es solche Zwischenfälle auch schon gegeben haben., überlegte der König skeptisch. Gefühlt opfert der Weltenlenker hier sein halbes Heer. Und wofür? Um mich zu töten? Das ist lächerlich... Bisher beeindruckten ihn wirklich nur die beiden Drachenhetzer, die eigentlich zur Verfolgung und Tötung von Drachen eingesetzt worden. Es musste für die beiden schwer zu verkraften sein, dass sie Sor’car weder töten noch ihr widersprechen durften. Es war gegen ihre Natur. Und trotzdem rührten sie die Frau nicht an. Sie stritten nicht mal mit ihr! Stattdessen beschützten sie sie gegen die Nichtmenschen, damit sie möglichst nichts zu tun bekam. Letztendlich hatten sie den Kampf natürlich auch selbst provoziert... Doch wie sie es schafften, die Nichtmenschen gegeneinander auszuspielen, um immer wieder hinter sie zu gelangen. Wie tänzerisch sie sich bewegten, um blitzschnell zu zuschlagen... So viel Geschick vereint in einem Körper war wirklich selten. Der König verstand schon, weshalb sie in der Lage waren, Drachen zu töten. Während Fessler wohl einfach nur ein übergroßes Ego besaßen, weil sie nur gegen Magiebegabte effektiv sein konnten. Aber auch nur, wenn die Magier von ihrer Magie abhängig waren, so wie die Fessler von ihrer Gabe. Da muss der Weltenlenker wohl noch etwas an dem Konzept feilen..., sinnierte er. Doch Konstantin würde ihn gewiss nie auf die Mängel aufmerksam machen! Am Ende korrigierte er die Fehler tatsächlich und erschuf doch absolute Vernichtungswaffen. Inquisitoren waren schon schlimm genug. Der eine Drachenhetzer tötete den letzten Feind. Damit war auch diese Schlacht entschieden. Es hatte sie genug Zeit, Kraft und Nerven gekostet! Was mit etwas diplomatischen Geschick hätte verhindert werden können. „Ich weiß ehrlich nicht, was das hier alles soll...“, murmelte der König, als er auf Sor’car zukam. „Eure tollen... Soldaten legen sich mit jedem an, der unseren Weg kreuzt.“ „Seid doch froh.“, erwiderte die Drachendame unbekümmert. „Weshalb?“ „Dann können diese ganzen Mäuler nicht in Euer Reich fliehen, um sich dort durchfüttern zu lassen.“ „Zufälligerweise mache ich das gerne.“ „Oh! Ich wusste nicht, dass ihr Schmarotzer so gerne habt.“, spottete Sor’car. „Dann würdet Ihr Khaleb lieben.“ „Wie es der Zufall auch hier will, kenne ich Khaleb ziemlich gut. Er war schon bei mir zu Gast.“ „Und Eure Felder haben das überstanden? Respekt.“ „Wisst Ihr, Lady Sor’car, wenn ich es nicht besser wissen würde, könnte ich glatt auf die Idee kommen, dass Ihr nicht so ganz hinter dem Weltenlenker und seiner Anhänger steht.“ „Gut, dass Ihr es besser wisst.“, erwiderte sie gelassen, als könnte nicht mal der Weltenlenker selbst sie umbringen. Wäre auch dumm, da sie seine persönliche Leibwächterin war. „Durell...“, richtete er an den Hauptmann seiner Leibwache. „Geht es dir gut?“ „Mir geht es bestens, Majestät.“, erwiderte der junge Mann entschlossen. „Wir haben leider einen Mann verloren.“ „Das ist wirklich bedauerlich. Solch ein sinnloser Tod...“ „Weshalb sinnlos?“, fragte einer der Drachenhetzer nicht gerade freundlich. „Er starb im Kampf gegen diese Dinger.“ „Wisst Ihr...“, begann der König und straffte seine Schultern. „Euresgleichen bezeichnet man auch eher als »Dinger« und trotzdem seid Ihr noch hier. Das sollte Euch zu denken geben.“ Die Drachenhetzer wollten sich erzürnt auf den Adelssohn stürzen, doch Sor’car hielt sie direkt mit einer harschen Handbewegung auf. Sie würde also nicht zulassen, dass er starb. Es hatte auf dieser Reise immerhin genug Gelegenheiten dazu gegeben, ihn einfach zu töten oder sterben zu lassen. Also wollte der Weltenlenker es entweder selbst tun oder er verfolgte ganz andere Absichten. „Eure Mami erlaubt euch offenkundig nicht, mit mir zu spielen.“, spottete der König. „Noch.“, zischte die Drachendame nicht begeistert. „Aber wenn Ihr so weitermacht, dann überlege ich mir das Ganze nochmals.“ „Das würde dem Weltenlenker sicherlich nicht gefallen.“ „Und mir gefällt es nicht, dass Ihr offenkundig ständig Streit sucht.“ „Sagt die, dessen Kreaturen pausenlos irgendwelche Nichtmenschen angreifen...“ „Touché.“ „Ich wäre dafür, dass wir es nun einfach mal sein lassen, alle möglichen Karawanen und Gruppen anzugreifen.“, schlug Durell diplomatisch vor. „Wir sollten einfach abseits der Wege reisen. Das ist sicherer und geht schneller.“ „Ich stimme dem zu.“, schloss sich Benedikt mit ernstem Blick an. „Abseits der Wege?“, grunzte der hochgewachsene, schlanke Fessler. Man sah ihm nicht an, was er war, solange die feinen magischen Adern nicht leuchteten. Selbst Konstantin wirkte neben dem Fessler nahezu eindrucksvoll und er hielt sich selbst nicht für besonders maskulin! Nicht, wenn er sich mit Benedikt verglich oder sogar mit dem jungen Durell. Dafür war er aber geschickt. „Habt Ihr etwas dagegen einzuwenden?“, hinterfragte der König unfreundlich. „Ich halte es nur für feige, Majestät.“ Zumindest benutzt er meinen Titel, während er mich beleidigt. Das macht ihn höflicher als die Drachenhetzer., dachte er sarkastisch. Augenrollend stemmte der Adelssohn die Hände an seine Hüfte, während er den Fessler herabsetzend anblickte: „Sprach derjenige, der bisher nicht einmal gekämpft hat.“ Schon wieder musste die Drachendame eingreifen. Dieses Mal um zu verhindern, dass sich der Fessler auf den König stürzte. Da er kein Magiebegabter war und auch sonst nicht abhängig von magischen Dingen, wäre der Kampf sicherlich zu seinen Gunsten ausgefallen. Doch Sor’car wollte wohl nicht riskieren, dass es vielleicht doch anders ausging. „Es reicht jetzt!“, keifte die Frau streng. „Wir gehen nun abseits und vermeiden Kämpfe! Ich kann es kaum erwarten, endlich Götterherz zu erreichen.“ „Endlich sind wir uns mal einig!“, spottete Konstantin und verstaute sein Schwert in seiner Schwertscheide. Das neu erworbene Schwert des Elfenmischlings wollte er vorerst nicht aufgeben. Deshalb löste er dessen alten Gürtel von der Hüfte und befestigte diesen an sich selbst, damit er dessen Schwert auch verstauen konnte. Er kam sich vor wie ein Leichenschänder, doch sein Gürtel erlaubte nicht das zweifache Gewicht der Waffen. Zumindest hatten sie Durells Vorschlag durchbekommen und würden nun weniger Widerstand antreffen. Das schien den jungen Mann zu Recht stolz zu machen. Er gab seinen Männern einige Befehle, dann folgten sie den Anhängern des Weltenlenkers. Je näher sie Götterherz kamen desto mehr bereute er es, dass er freiwillig mitkam. Immer wieder dachte er daran, wie er Elizabeth eingetrichtert hatte, dass sie ihn vertreten musste. Anfangs hatte sie sich gefreut. Sie hatte davon gesprochen, dass das eine große Ehre für sie sei. Zumindest bis zu dem Augenblick, als er ihr klar gemacht hatte, dass sie eigentlich nichts machen durfte, außer auf dem Thron zu sitzen, ihre Krone zu tragen und allen zu zuhören, die etwas wollten. Wichtige Anfragen sollte sie notieren oder seinen unabhängigen Beratern vorlegen. Anfragen auf kleinere Hilfestellungen wie Saat, etwas zu Essen oder Medikamente sollte sie annehmen. Größere Bedürfnisse musste sie leider selbst abwiegen, wann sie es genehmigen sollte, wenn die Zeit es nicht anders zuließ. Aber letztendlich war es ihm lieber, wenn sie einfach gar nichts tat, außer Präsenz zu zeigen. Nun begleitete er tatsächlich eine Eskorte mit Aggressionsproblemen, um sich einen Tadel beim Weltenlenker abzuholen. Es nervte ihn, dass dieser sich nicht selbst herbewegt hatte, um sich mal mit seinen Schöpfungen etwas genauer zu befassen. Vielleicht wäre ihm dann aufgefallen, dass sie zu Kurzschlussreaktionen neigten... Obwohl das auch unwahrscheinlich war. Immerhin war der Weltenlenker auch nicht gerade für seine Vernunft bekannt. Konstantin befürchtete, dass falls er in seine Heimat zurückkehren durfte, seine Gattin alles in ein Scherbenmeer verwandelt hatte. Vor allem dann, wenn er nochmals das „Glück“ hatte, dass der Weltenlenker ihm eine Eskorte als sicheren Geleit zur Verfügung stellte. Als er den nassen Laub unter seinen Füßen spürte, schloss er einen Moment lang die Augen. Er fragte sich, ob sein Vater auch auf diese Weise nach Götterherz gebracht worden war. Ob er auch eine Eskorte gehabt hatte und dann abseits der Wege reisen musste, damit die Bestien nicht ständig Kämpfe provozierten. Er fragte sich, ob das letzte, was er als freier Mann gespürt hatte, auch Matsch, nasser Laub und peitschende Äste gewesen waren. Ob er zuletzt in Freiheit noch den Gesang von Vögeln gehört hatte und das Säuseln des Windes durch das Geäst. „Ihr werdet doch nicht den Kopf verlieren, oder?“, fragte plötzlich Sor’car und riss ihn aus seinen Gedanken. „So wie Euer Vater einst...“ „Ich nehme den Wortwitz zur Kenntnis und muss Euch sagen, dass Ihr nicht besonders witzig seid.“ „Er wurde nicht abgeholt, Majestät.“, erklärte sie ihm schließlich. „Er wurde durch einen Boten nach Götterherz bestellt und reiste mit einer Kutsche dorthin. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartet hat. Er hatte nur ein paar einfache Leibwächter dabei.“ „Woher wisst Ihr-...?“ „Euer Gesicht. Ihr wart eben leichenblass... Und durch Eure Frau wissen wir, dass Ihr lange um den Tod Eures Vaters getrauert habt.“ Nette Formulierung dafür, dass ich wie eine Frau geheult habe und nicht schlafen kann., dachte Konstantin verbittert. „Wenn er Euch töten wollte, würde er sich nicht so viel Arbeit machen. Das versichere ich Euch.“ „Wie lange wisst Ihr schon, dass ich all diese Gesetze erarbeitet habe?“, wollte er dann doch wissen. „Eine Weile...“ „Wieso ist er nicht eingeschritten?“ „Das solltet Ihr ihn am besten selbst fragen, Eure Majestät.“, erwiderte Sor’car geheimnisvoll. „Also versucht bis dahin nicht noch mehr gegen Euch aufzubringen. Ihr habt eine Art an Euch...“ „Ja, ich weiß.“, gluckste der König amüsiert. „Meinem Vater fiel es auch schwer, gelassen zu bleiben.“ „Kann ich durchaus verstehen.“ Sor’car begab sich wieder an die Spitze der Truppe. Obwohl das Ganze nicht witzig oder erfreulich war, musste er etwas grinsen. Er hatte seinen jugendlichen Leichtsinn offenbar doch nicht mit dem Tod seines Vaters verloren. In ihm war vielleicht auch etwas gestorben, doch nicht alles. Das war seltsam tröstlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)