Die Drachensonate von Kylie (Band 2 - Drachen-Saga) ================================================================================ Kapitel 2: Zukünftige Allianzen ------------------------------- Billiana war vollkommen klar, dass sie sich erstmal etwas aus Götterherz und dessen Angelegenheiten heraushalten musste. Noch wurde nach ihr gesucht, wenn der Weltenlenker auch tatsächlich keine Beschreibung geliefert hatte, geschweige denn ein Phantombild. Trotzdem musste sie es ja nicht auf die Spitze treiben! „Athena.“, hörte sie Nero sagen. Er war ihr Partner, wenn es um Söldner-, Spionage- und Attentats-Missionen ging. Sein rotes Haar ging ihm etwas über den Nacken und er war an sich auch ein attraktiver Mann im mittleren Alter. Jedoch passte er nicht zu seinem Söldnerdasein. Ihr war nie ein zweiter untergekommen, der derartig tollpatschig und ungeschickt war wie er. Viele hatten ihr davon abgeraten, weiterhin mit ihm zu arbeiten. Sie sagten, dass er eine Gefahr für die Elfe darstellte und sie unnötig in Gefahr brachte. Doch seine Schusseligkeit hatte einen eindeutigen Vorteil: Kein Feind nahm ihn ernst. Er fiel hin, es wurde herzlich über ihn gelacht und im Anschluss spießte der Söldner seine Gegner auf. Denn wie tollpatschig er auch war, genauso gnadenlos beendete er ein Leben. Hätten sie sich unter anderen Umständen kennengelernt, wüsste er ihren wahren Namen. Bisher aber kannte er nur ihren Decknamen „Athena“, der sie im Untergrund geheim agieren ließ. Eigentlich wusste er nicht mal wirklich, wie sie genau aussah, weil sie die Farbe ihres Haares stets veränderte und auch einige Details kaschierte. Das gestattete ihr die Drachenmagie und ein wenig Unterricht bei ihrem Bruder Conner. Er war ein ausgezeichneter Illusionist, weshalb er ihr das Gestaltenwandeln gut lehren konnte. Es war recht ähnlich, nur dass man ihre Tarnung problemlos berühren konnte, während seine dann verpuffte. Heute hatte sie ebenfalls rote Haare so wie Nero. Unter den Deckmantel der Magie versteckte sie die Drachenschuppen und Maserungen, die sonst in ihrem Gesicht erkennbar waren. Ihre Makel als Drache... Doch wenn sie sich als solcher offenbarte, würden ihr zahlreiche Kopfgeldjäger am Hintern kleben. Als Elfe konnte sie sich wenigstens noch als Sklavin tarnen, als Drache ging das nicht. Ihre Sommersprossen konnte sie gefahrlos lassen und auch ihre Elfenohren. Das waren Merkmale, bei denen sich niemand irgendwas dachte. Nicht mal bei dem blinden Auge. Jedoch musste sie das Brandmal der Attentäter-Gemeinde versteckt halten, auch wenn es magisch abgeschirmt wurde. Es war besser, wenn es nicht zu sehen war, falls doch mal der falsche sie kontrollierte. „Willst du wirklich eine einfache Karawane begleiten und Geleitschutz bieten?“, hinterfragte Nero verwirrt. „Das ist doch sonst nicht dein Stil.“ „Ich muss mich mal etwas aus Götterherz fernhalten.“, erinnerte die Elfe ihn. „Mein letzter Auftritt war mal etwas zu dramatisch.“ „Das will ich nicht abstreiten, aber das ist schon öde.“ „Du musst nicht mitkommen.“, erinnerte sie ihn. „So etwas schaffe ich problemlos alleine. Außerdem könntest du stolpern und die Karawane versehentlich selbst töten.“ „Haha...“ Als der Karawanenführer auf sie zukam, verstummten die beiden. Er war ein beleibter Händler, der keine besonderen Merkmale aufwies. Seinen Namen hatte Billiana bereits wieder vergessen, weil er für sie unbedeutend war. Dieser Job diente nur der Aufstockung ihres Goldes und der Entfernung aus der Hauptstadt. „Es kommt noch ein Leibwächter hinzu.“, sagte der Mann vorsichtig. „Ich weiß nicht, ob ich einem halben Hemdchen und einer Frau meine kostbaren Waren anvertrauen kann...“ Billie zog die Augenbraue in die Höhe, während sie sich breitbeinig vor ihm stellte, um Dominanz auszustrahlen und mehr Platz für sich zu beanspruchen. Sie trug eine enge Lederhose, dazu eine ebenso enge Bluse, die unter einem halb geöffneten Mantel lag. Diesen zügelte sie unterhalb ihres Busens mit einem Gürtel, sodass es hinten etwas wie ein Umhang wirkte und vorne wie ein Kleid. Feminin, aber auch mit vielen Möglichkeiten im Kampfgeschehen. Unter anderem, weil sich Waffen wunderbar verstecken ließen und sie den Mantel auch einzusetzen wusste. „Ihr glaubt also, dass wir ungeeignet sind, um deine lächerlichen Stofffetzen zu verteidigen, Händler?“, hinterfragte die Elfe scharf und verengte dabei ihre eisblauen Augen. „Wollt Ihr mir etwa sagen, dass wir nicht wüssten, wie wir arbeiten müssen?“ „Ähm... Nein... Nein, Mylady!“ „Ich bin keine Lady.“, zischte sie deutlich. „I-Ich wollte... Euch und Euren Freund nicht beleidigen, aber-...“ Billiana kam einen bedrohlichen Schritt näher und blickte auf ihn herab. Mit ihren 1,78 Metern war das für sie durchaus möglich, wenn sie vor einem recht kleinen, rundlichen Händler stand, der vor Angst bibberte. „Aber was?“, fragte sie scharf. „Nichts... Gar nichts, bitte verzeiht...“, flehte der Händler leichenblass. „Der will uns ernsthaft sagen, wie wir unseren Job zu machen haben, oder?“, richtete sie an Nero, der irritiert die Augenbraue in die Höhe zog, aber nichts sagte. „Wir sagen Euch doch auch nicht, wie Ihr Eure Arbeit zu machen habt!“ „Es tut mir wirklich leeeeiiid!“ Wieso bringt es nur solch einen Spaß, Menschen zu verängstigen?, dachte die Attentäterin innerlich grinsend. Er macht sich fast in die Hose! „Woah, ruhig Blut, Leute!“, unterbrach sie plötzlich eine fremde Männerstimme, als sie gerade zum nächsten Hieb ausholen wollte. Langsam drehte sich die Elfe um und war erstaunt, dass sie einen bestimmt zwei Meter großen Mann entdeckte, der die Statur eines Soldaten besaß. Er war beinahe ein Berg bei den Muskelmassen! Dazu trug er einen gepflegten, schwarzen Bart und ebenso gepflegtes, kurzes, schwarzes Haar. Seine Augen strahlten etwas Freundliches und Warmes aus, was sie so selten bei Menschen bemerkte. Seine Rüstung wirkte alt, aber sehr gut in Schuss. Sie konnte sich vorstellen, dass er sie täglich polierte und auf Beschädigungen kontrollierte. Sein Schwert wirkte genauso gut erhalten, wenn es auch bestimmt genauso als war. „Und Ihr seid?“, wollte Billie schließlich wissen und behielt ihren breiten Stand bei, während sie die Hände in die Hüften stemmte. Auch wenn ihr der Mann optisch gefiel, würde sie es ihm nicht leicht machen. „Hammond, junge Dame.“, stellte er sich vor und deutete eine Verbeugung an. „Aber bitte nennt mich Hamm. So wie Hamm-Hamm, nur mit einem Hamm. Ich bin die Verstärkung.“ Sie musste doch schmunzeln, als sie die eigenwillige Art und Weise hörte, wie er sich vorstellte. Beinahe so, als redete er mit einem kleinen Kind, dem er beibringen wollte, was Essen war. Sie sah es aber nicht als Beleidigung an. „Athena.“, stellte sie sich stattdessen vor und deutete dann auf ihren Partner. „Und das ist Nero. Vor ihm müssen wir die Karawane beschützen. Er stolpert gerne...“ „Oh, verstehe.“, kicherte der Soldat und nickte dem errötenden Nero zu. „Dann sollten wir ihn vielleicht lieber an einen Baum binden? Wäre für alle sicherer.“ „Wieso bin ich nicht auf diese Idee gekommen?!“, schockierte sich die Elfe gespielt. „Hunderte Leben hätte man retten können, wenn man das mal eher gemacht hätte!“ „Ihr wisst schon, dass ich euch hören kann?“, warf Nero peinlich berührt ein, war aber außerstande wirklich etwas dagegen zu unternehmen. „Athena...“, wiederholte Hammond schließlich murmelnd. „Der Name kommt mir bekannt vor.“ „Mhm, ja, weil ich im Untergrund recht bekannt bin. Ich erledige alle Jobs. Teils sogar mit unverhofften Bonussen.“ „Natürlich! Ja... Genau. Man redet nur noch von Eurem Geschick und wie viele Köpfe Ihr schon gebracht habt.“ Köpfe... Ja, nicht nur zu Auftraggebern., sinnierte Billiana schmunzelnd. Wyrnné konnte sicherlich bald eine Kopf-Party veranstalten, wenn er es wollte. Doch er entsorgte die Köpfe sicherlich eher. „Wir... sollten aufbrechen...“, warf der Karawanenführer schließlich kleinlaut ein. „Ich habe einen engen... Terminplan.“ „Ernsthaft?“, zischte die Elfe und funkelte ihn böse an. „Ihr wollt uns schon wieder sagen, wie wir zu arbeiten haben?“ „Nein! Natürlich nicht!“, widersprach der Mann und hob die Hände vollkommen verzweifelt. „Wir brechen auf, wenn Ihr soweit seid!“ Das war der Augenblick, in dem er auf den Hacken kehrt machte und sich davonstahl. Offenbar wollte er sich nicht mit der Elfe anlegen, die kurz darauf zu lachen begann. Natürlich hätte sie ihn niemals verletzt, wenn es nicht wirklich sein musste. Doch das musste er ja nicht wissen. „Und wann brechen wir nun auf?“, hinterfragte Nero sichtlich verwirrt. Mit dem ganzen Schabernack konnte er gerade wirklich nichts anfangen. „Jetzt.“, antwortete Billie. „Ich habe noch eine Menge Termine und keine Zeit zum Trödeln.“ Während Nero sie fassungslos anstarrte, begann Hammond lautstark zu lachen und amüsierte sich ungemein darüber, dass sie den Händler so sehr ärgerte. Vielleicht sogar provozierte. Was genau sie damit bezwecken wollte, wusste der Soldat nicht, der sich aber auf eine lustige Reise freute.   Einen Tag waren sie nun bereits unterwegs und sie kamen schnell voran. Bisher hatten noch keine Verbrecher versucht, die Karawane anzugreifen oder zu behelligen. Das würde dafür sorgen, dass sie ihr Ziel viel schneller als geplant erreichen würden. Das war auch in Hammonds Sinne, der diesen Auftrag nur machte, um die Kassen der Rebellion aufzufüllen. Elena hatte ihm nahegelegt, dass derartige Missionen gut waren, wenn man schnell an Münzen kommen wollte ohne sich direkt mit dem Weltenlenker anzulegen. Damit hatte sie vollkommen recht. Jede Leibwächter-Mission, die er bisher angenommen hatte, war zwar schwierig gewesen, hatte ihm aber am Ende hohe Summe eingebracht. Oft genug mit Gefahrenbonus. Wenn wir nun aber gar nicht angegriffen werden, kann ich dieses Mal nicht auf einen Bonus pochen., überlegte der Soldat. Er wusste nicht, ob er froh oder enttäuscht sein sollte. Zumindest waren sie eine lustige Truppe! Nero war tatsächlich solch ein Tollpatsch. Immer wieder stolperte er und riss entweder welche der Händler um oder landete im Dreck. Seine wirklich schöne Begleiterin hingegen schien das Spiel aufrechtzuerhalten, dem Anführer das Gefühl zu geben, dass sie ihn umbringen wollte. Hammond ging nicht davon aus, dass sie eine derartige Absicht verfolgte, aber der Karawanenanführer schien um sein Leben zu bangen. Deshalb überraschte es ihn auch nicht, als der besagte Mann leise in sein Zelt stolperte. Seit eben war das Nachtlager fertig aufgeschlagen und einige der Frauen von den Händlern waren dabei, für alle ein Mahl zu kochen. Athena hatte ihn gebeten, sich vorerst auszuruhen, während sie die Gegend patrouillierte. Nero überwachte derweil das Lager als solches. „Ihr wisst hoffentlich, dass ich Euch nur bezahlen kann, wenn ich lebe, oder?“, wollte der Händler wissen. Man sah ihm an, dass er um ein bisschen Würde rang und er den Versuch startete, wie ein ganzer Mann auszusehen. Dafür hatte er sich von der Elfe jedoch zu sehr aufs Korn nehmen lassen. „Ja, darüber habe ich tatsächlich Gerüchte vernommen.“, antwortete er amüsiert. „Ihr werdet doch nicht so dumm sein und mich sterben lassen, wenn sie mich versucht, umzubringen?“ „Ihr werdet doch nicht so dumm sein und wirklich glauben, dass sie das vorhat?“ Der beleibte Mann wand sich etwas und schien sich unwohl zu fühlen: „Was macht Euch da so sicher?“ „Erstmal währt Ihr längst tot, wenn sie Euren tot wollte. Dann seid Ihr – Verzeihung – ein recht kleiner Fisch unter den Händlern.“ „Vielleicht, aber man könnte sie trotzdem beauftragt haben!“ „Bezweifle ich...“, murmelte der Rebell. „Ihr habt sicherlich nicht viele allzu reiche Freunde oder Feinde, nicht wahr? Keiner von ihnen wird sich das Honorar für eine derartige Auftragsmörderin leisten können.“ „Ich bevorzuge die Bezeichnung Attentäterin.“, sagte plötzlich eine Frauenstimme, die den Eingang des Zelts öffnete. Just in diesem Augenblick erstarrte der Karawanenanführer und ging etwas hin und her, als suchte er einen Fluchtweg. Einen, der nicht direkt an der Elfe vorbeiführte. Natürlich ohne Erfolg. Dafür müsste er unter den stabilen Wänden des Zeltes durchkrabbeln, was viel Zeit kostete und seine Kleidung komplett versauen würde. „Oh, bitte! Kommt runter!“, warf die eigentliche Blondine augenrollend ein. „Ich habe keinen Auftrag Euch zu töten. Ihr wärt der Erste, der das spüren würde.“ „Aber-... Aber wieso immer diese... Blicke...? Und diese ganzen... Worte?“ „Spaß. Ich will Euch nur ärgern.“ „Das kann nicht Euer Ernst sein!“, empörte sich der beleibte Mann sichtlich. Langsam zog die Elfe eine Augenbraue in die Höhe, während sie ihn skeptisch ansah: „Wäre es Euch lieber, ich wollte Euch tatsächlich ein Leid zufügen? Das lässt sich gewiss einrichten... Hammond, wie wär’s? Wollt Ihr mir den Auftrag nicht erteilen, ihn für Euch zu erledigen?“ „Hmmm~...“, überlegte der Soldat laut und versuchte zumindest so zu tun, als wäre er ernst. „Ich hatte schon lange keinen Händler-Braten mehr...“ „I-Ich-... Ich habe verstanden!“, keuchte der Mann und drängelte sich an der Attentäterin vorbei aus dem Zelt heraus, um endlich zu flüchten. Ihm war es unbegreiflich, wie ein einzelner Mensch nur so naiv und dumm sein konnte. Immerhin hatte er Athena selbst angeheuert und zu diesem Zeitpunkt sicherlich um ihren Ruf gewusst. Sonst wäre er nie das Risiko eingegangen, einen offensichtlichen Nichtmenschen – dazu auch noch eine Frau – für diese Reise anzuheuern. Da hat offenbar jemand nicht zu Ende gedacht..., amüsierte sich Hammond. Er wird sich auf dieser Reise mehrmals nass machen. „Im weiteren Umkreis scheint alles soweit sicher zu sein.“, erklärte ihm dann die hübsche Frau. „Nero behält weiterhin das Lager im Auge und ich auch. Ich werde aber zwischendurch immer mal patrouillieren. Ihr dürft Euch gerne ausruhen und später mit Nero den Posten wechseln.“ „Und was ist mit Euch, Lady Athena?“, hinterfragte der Soldat neugierig. „Wann wollt Ihr Schlaf finden?“ „In der nächsten Nacht oder bei der nächsten Rast.“, erwiderte sie gelassen. „Dann könnt ihr beide Arbeitsteilung betreiben. Ich komme recht lange ohne Schlaf aus.“ „Das glaube ich Euch ungesehen.“, schmunzelte Hammond doppeldeutig. „Ihr seid ziemlich frech!“ „Nur, weil ich Euch indirekt vorhalte, dass Ihr nachts sehr aktiv seid? Das kann ich mir nicht vorstellen, dass mich das frech macht.“ Die Elfe musste doch lachen und wollte gerade gehen. Der Soldat schaffte es aber, vorher sanft nach ihrer Hand zu greifen und sie so zu hindern. „Darf ich Euch etwas fragen, werte Athena?“ „Natürlich.“, antwortete sie und wandte sich ihm wieder zu. „Aber das heißt nicht, dass ich auch antworten werde.“ „Ich habe nichts anderes erwartet.“, gestand der Titan grinsend. „In den Berichten über Euch, gibt es zahlreiche Unstimmigkeiten. Euer Geschlecht ist meistens weiblich, auch wenn dort manchmal etwas anderes behauptet wird, aber Eure Haarfarbe scheint ständig zu wechseln. Versteht mich bitte nicht falsch: Ich weiß, dass Zeugenaussagen eher schwammig sind, aber dann sollte nicht jede Haarfarbe vertreten sein. Vielleicht zwei oder drei... Die meisten müssten sich irgendwie decken.“ „Ihr habt vollkommen recht.“, stimmte sie ihm zu und nickte. „Ich färbe mir die Haare. Damit meine Identität geheim bleibt, natürlich.“ „Natürlich.“ Jetzt war er doch fasziniert. Er musterte ganz genau ihre Haare, ob er ausmachen konnte, welches ihre Naturhaarfarbe war. Doch er konnte nicht mal eine kleine, andersfarbige Haarsträhne entdecken! Ihr Haar wirkte vollkommen natürlich. So rot, wie damals auch Leandras Schopf. Hammond hatte von Farben gehört, die man aus Pflanzen gewann. Die meisten davon nutzte man für das Färben von Stoffen für Kleidung oder um eine Rüstung einen neuen Anstrich zu verpassen, aber sie hielten nicht an Haut oder Haar. Es gab Experimente in dieser Richtung. Ein paar Waren gab es bereits, die dazu dienten, die Lippen einer Frau mehr zu betonen, indem sie roter wurden. Das klappte aber wohl noch nicht so gut. Meistens reichten ein paar Küsse, damit die Farbe verblasste und dabei übertrug sie sich auch noch auf die Lippen des Partners. Die adligen Damen waren also auf Festen und Bällen stets damit beschäftigt, die Farbe neu aufzutragen. Aus diesem Grund bezweifelte er stark, dass es eine Methode gab, die es ermöglichte, Haare so perfekt zu färben. Wenn, dann musste es stark abfärben und ständig erneuert werden wie die Farbe der Lippen! Sie waren schon seit Stunden unterwegs und für die Elfe hatte sich keine Gelegenheit geboten, um die Haarfarbe zu erneuern, trotzdem sah sie nicht verblasst aus. Vollkommen fasziniert streckte der Titan seine Finger zu einer ihrer Haarsträhnen aus. Ganz vorsichtig rieb er mit den Kuppen darüber. Es fühlte sich seidig und natürlich an. Gar nicht stumpf, wie man erwarten könnte, wenn sie es doch ständig umfärbte, um sich zu tarnen. Als er auf seine Finger blickte, konnte er auch keine Farbe daran ausmachen. Nicht mal etwas Pulver oder Flüssigkeit. Habe ich gerade etwa ernsthaft einfach ihre Haare angefasst?, wurde es dem Titan schlagartig klar. Er blickte auf und stellte fest, dass sie amüsiert grinste, während sie die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Ärger konnte er in ihren eisblauen Augen nicht ausmachen. Offensichtlich fand sie sein Interesse eher witzig und würde sich darüber gewiss noch lange amüsieren. Ähnlich wie über die Tollpatschigkeit von Nero. „Zufrieden?“, hinterfragte sie nicht ohne Spott. „Wirklich... gute Arbeit...“, gab er dann peinlich berührt zu. „Täuschend echt.“ „Vielen Dank für die Blumen.“ Verlegen kratzte sich Hammond etwas am Hinterkopf, während seine Wangen leicht rot anliefen: „Ich wollte Euch wirklich nicht bedrängen. Es erscheint nur so unwirklich.“ „Gewiss, das verstehe ich.“ „Wie genau macht Ihr das? Benutzt ihr Pflanzensäfte oder Säfte von Früchten?“ „So in der Art.“, erwiderte die Elfe gelassen und fuhr sich selbst einmal durch das rotgefärbte Haar. „Ich nehme ein paar natürliche Zutaten, um das Haar zu bearbeiten und wirke dann mit Magie etwas nach. Das Haar nimmt die Farbe auf und wird sozusagen wirklich zu dieser bis ich den Zauber aufhebe.“ „Beeindruckend.“, staunte der Soldat nicht schlecht. „Wozu noch die pflanzlichen Zutaten?“ „Als Basis für die Magie und die Farbe, die das Haar annehmen soll. Sozusagen ein Tribut dafür.“ „Von solcher Magie habe ich noch nie etwas gehört.“ „Sie ist auch wahnsinnig selten.“, lächelte sie verwegen. „Wenn nicht sogar fast ausgestorben.“ „Das ist wirklich außergewöhnlich! Wenn ich ein Schreiberling wäre, würde ich das alles sofort aufschreiben und Euch genauer studieren!“ Eine Weile redete Hammond sich noch um Kopf und Kragen, ehe ihm eigentlich bewusst wurde, dass sie wohl schon eine Weile nicht mehr hinhörte. Die Elfe wirkte so, als wäre sie in Trance. Ihr Kopf war leicht zur Seite geneigt, die Augen kurz vorm Schließen, während sie weit weg wirkte. Der Titan wusste nicht, wie lange sie überhaupt schon redeten, aber offenbar hatte er sie gelangweilt. „Verzeihung...“, murmelte er und berührte sie am Arm. Die Attentäterin schrak auf und blickte ihn irritiert an, während er fortfuhr: „Ich wollte Euch nicht langweilen.“ „Habt Ihr nicht.“, winkte Athena ab. „Ich habe auf die Schritte in der Ferne gelauscht. Wir bekommen Gäste.“ „Was...?“, hinterfragte Hammond vollkommen irritiert und war sich nicht mehr sicher, ob sie nur von allem ablenken wollte. Jedoch wirkte die Frau wirklich ernst! „Schätzungsweise sind es sieben oder acht Männer. Teils mit Rüstungen, teils in leichterer Montur. Bewaffnet scheinen sie alle zu sein...“, berichtete sie ganz unverfroren. „Könnten Söldner sein oder Soldaten, die patrouillieren. Letzteres scheint mir eher unwahrscheinlich... Sind zu weit weg von Götterherz und anderen großen Städten. Wahrscheinlicher ist, dass es Banditen sind.“ „Du kannst das alles hören? Wie?“ „Darauf können wir später eingehen. Wir sollten uns lieber bereit machen.“ „Natürlich!“ Hammond brauchte nicht lange, um seine eigene Waffe zu packen und das Zelt eilig zu verlassen. Die Elfe folgte ihm dabei. Ihnen standen nicht viele kampftaugliche Männer und Frauen zur Verfügung, aber es musste für diesen Augenblick einfach genug sein. Immerhin hatten sie die eventuellen Feinde wahrscheinlich selbst angelockt. Mit Lagerfeuern mussten sie zukünftig vorsichtiger umgehen!   Es überraschte Billiana nicht, dass ihre Vermutungen stimmig waren. Es war sieben Männer auszumachen, die teilweise schwere Rüstungen trugen und ein paar in Lederkluft. Sie waren alle bewaffnet und unterhielten sich leise über eine Taktik, damit sie die Leute am Lagerfeuer überfallen konnten. Hierbei wollten sie nichts dem Zufall überlassen. Die Banditen scheinen immer leichter an gute Ausrüstung zu kommen., überlegte die eigentliche Blondine verbittert. Reisen werden immer gefährlicher. Ohne Leibgarde kommt man kaum noch sicher irgendwo an... Als sie sich näher an die gegnerische Gruppe heranschlich, konnte sie ausmachen, was es für Leute waren. Teils waren es Nichtmenschen, teils war es nicht zu erkennen. Vermutlich aber viele Mischlinge, die kein Zuhause mehr hatten und auf diese Weise überlebten. Wenn Wyrnnés Männer sie erwischten, würde man sie öffentlich hinrichten oder sogar foltern. Sie konnte nicht ausschließen, dass Magiebegabte dabei waren oder eben nicht. Es war nicht mal klar, ob einige von ihnen nicht vielleicht eine taktische Ausbildung gehabt hatten, bevor sie zu Flüchtigen geworden waren. Es würde also ein Kampf des Ungewissen sein. Eine Weile war es still. Der richtige Augenblick, um nach Nero und Hammond zu lauschen. Sie sollten die wenigen Kämpfer koordinieren und bestimmte Orte dafür nutzen. Inzwischen schienen alle gut verteilt zu sein. Auch die beiden Männer schienen ihre eigenen Positionen zu beziehen, um sich bereit zu machen. Dann sollten wir das Tänzchen mal beginnen., dachte die Elfe grinsend. Leise murmelte sie einige Worte der Macht und malte Lichtzeichen auf die Erde, die aus einer toten Sprache stammten. Kurz darauf erhob sich ein kreisrundes Portal, welches mehrere Steinringe besaß. Sie begannen sich zu drehen, als sie die Formel fortsetzte, während in der Mitte ein strahlendes, bläuliches Licht entstand. Jetzt wurden ihre Feinde aufmerksam. Sie folgten irritiert dem Licht und wussten offenkundig nicht genau, ob sie alarmiert sein mussten. Ein paar von ihnen fanden den Ursprung und starrten das magische Portal mit weit geöffneten Mündern an. So etwas hatten sie definitiv noch nie in ihrem Leben gesehen und die Chance war groß, dass es auch nie wieder dazu kommen würde. Zu spät schrie einer ihrer Anführer, dass sie das Tor zerstören sollten. Just in diesem Augenblick war der Beschwörungszauber bereits abgeschlossen und eröffnete den Zutritt zu dieser Welt aus einer anderen. Umgekehrt war es derzeit nicht nutzbar. Eine spinnenartige Bestie sprang aus der Mitte des Portals. Es war gigantisch und sehr wütend darüber, dass man sie gestört hatte. Wenn Billiana ehrlich war, wusste sie nicht genau, wo sie gerade das Tor beschworen hatte und würde vermutlich diese Kreatur nur schwer bändigen können. Es diente aber auch nur der Ablenkung. Sie musste also nur verhindern, dass es sie oder ihre Verbündeten tötete. Da die kleine Gruppe das erste war, was die Bestie zu Gesicht bekam, ging sie wohl davon aus, dass sie den törichten Fehler gemacht hatten, sie zu beschwören. Fauchend sprang sie direkt auf einen der Männer zu, riss ihn zu Boden und zerfetzte ihm blutrünstig die Kehle. Das Geschrei war kurzzeitig laut, verstarb aber schnell in einem Gurgeln. In diesem Augenblick verstand auch der Rest der Truppe, dass diese eigenartige Spinne nicht ihr Freund war. Sie zogen ihre Waffen und versuchten auf den Chitinpanzer des Insekts einzuschlagen. Vorerst ohne Erfolg. Wenn ihre Klingen nicht darauf abrutschten, dann verpuffte ihr Angriff einfach im Nichts. Ich sollte das Portal öfters in diese Richtung öffnen... Das Vieh ist ja echt effektiv!, dachte die Elfer überrascht und machte dann eine Drehung, um einen Angriff von hinten mit ihrem Seelenschwert zu blockieren. Noch in der Drehung hatte es sich aus einem dunklen Nebel in ihrer Hand materialisiert. Der hinterhältige Angreifer wirkte vollkommen schockiert darüber, dass die Elfe plötzlich bewaffnet war und starrte sie einen Herzschlag zu lange einfach nur an. Ohne Gnade holte sie aus und stach mit der Spitze des Schwertes direkt durch den Hals des Mannes. Es tat ihr leid um diese armen Geschöpfe, doch wenn sie sie nicht tötete, dann taten sie es mit ihnen. Ihre Unterhaltungen hatten das sehr deutlich gezeigt! „Angriff!“, schrie sie, so laut sie nur konnte. Es war das Signal für ihre Verbündete, in den Kampf einzuschreiten und das Überraschungsmoment zu nutzen. Ihrem Befehl wurde Folge geleistet, wenn auch nicht so schnell und effektiv, wie es bei einer gut ausgebildeten Truppe der Fall war. Sie stürzten sich auf die üblichen Männer, um der Bestie zu helfen, dessen Panzer allmählich Risse bekam. Nun musste sich Billie darauf konzentrieren, ihren Verstand zu kontrollieren. Die Spinne wollte alles und jeden umbringen. Wenn sie diesen Wunsch nicht auf die gewünschten Ziele einschränkte, konnte das ganz schnell sehr übel für sie alle ausgehen. Um sie herum wurde alles leise. Die Kampfgeräusche wurden zu einem Rauschen. Alles um sie herum verschwamm. Da waren nur noch sie, die riesige Spinne und die gewünschten Ziele, auf die sie sie ausrichtete. Es war nicht so einfach, eine Kreatur zu lenken, die intelligent und eigenwillig war. Sich überhaupt zu verbinden, war schon eine Herausforderung! Wäre sie nicht solch eine erfahrene Beschwörerin, wäre es ihr nicht möglich und sie wären alle tot. Plötzlich musste sie sich doch noch auf andere Dinge konzentrieren. Andere Geräusche, welche sie beinahe vollkommen aus dem Takt gerissen hätten. Immerhin waren eigentlich nur noch zwei der feindlichen Angreifer übrig und wurden gerade von Hammond und Nero eingekreist. Der Rest der Männer versuchten die Waffen, Rüstungsteile und alles von Wert von den Toten zu bergen. Sie konnten es auf ihrer weiteren Reise gebrauchen. „Es kommen noch mehr!“, schrie die Attentäterin schließlich als sie sich sicher war. „Viel mehr! Es muss ein ganzer Trupp sein!“ „Von woher kommen sie?!“, schrie Hammond zu ihr zurück und wirkte bereit. „Norden!“ In diesem Tumult war es schwer auszumachen, wo nun welche Himmelsrichtung war. Deshalb deutete sie auch in die entsprechende Richtung. Der Soldat hatte es aber schon vorher gewusst und sich in diese Richtung gedreht. Er ist gut..., musste die Elfe zugeben. Wie gut er eigentlich war, wurde ihr erst im nächsten Augenblick klar, als er seine Faust auf den Boden donnerte. Unter dieser bildeten sich Risse, welche sich in Richtung Norden weiter ausbreiteten. Nur einen Herzschlag später brachen diese erst unbedeutenden Risse auf und bildeten einen gigantischen Spalt. Wie tief dieser war, konnte sie nur erahnen. Es war effektiv, denn sie konnte die Schreie von stürzenden Männern hören. Knochen, die auf Felsen zerschlagen worden oder Metalle, die darauf prallten. Einige konnten sich noch festhalten oder ihrem sicheren Tod durch einen Sprung zur Seite ausweichen, doch der größte Teil der Gruppe schien durch diesen meisterlichen Angriff getötet worden zu sein. Er ist ein Titan..., wurde es ihr mit trockenem Mund bewusst. Nicht irgendein Titan! Ein Meister seiner Magie... So etwas kann kaum ein Zweiter ihm nachmachen. Respekt kroch in der Langhaarigen hoch. Ihre Magie mochte relativ einzigartig und mächtig sein, doch die Essenzmagie der Menschen fand sie deshalb nicht weniger eindrucksvoll, wenn sie so meisterhaft ausgeübt wurde. Sie musste aufhören zu schwärmen, als ihr klar wurde, dass ihre Riesenspinne gerade versuchen wollte, einen ihrer Verbündeten zu fressen. Sofort riss sie brutal an der unsichtbaren Leine, welche sie verband, um die Bestie wieder unter Kontrolle zu bekommen. Um den Blutdurst der Kreatur zu löschen, gab sie ihr sofort den Befehl einen der Überlebenden anzugreifen. Dem ging sie gerne nach und warf den armen Tropf direkt in die neu entstandene Schlucht. Durch Hammonds Einschreiten war es kein Problem mehr, auch die restlichen Angreifer zu töten. Es war nun beinahe zu einfach gewesen! Billiana würde sich aber gewiss nicht darüber beklagen, dass dieser Händler durch Glück wirklich gute Leute für den Schutz der seinen eingestellt hatte. Nur interessierte sie sich allmählich für seine Beweggründe, sich solch einer Mission anzuschließen. Bei seinen Fähigkeiten könnte er reich sein! Ein ausgezeichneter Kämpfer mit Gehirn und einer Magiebegabung, die zu seinem kämpferischen Talent genau passte. Eigentlich ein geborener Anführer. Für diese Unterhaltung gab es aber immer noch Zeit. Jetzt sollten sie erstmal die Besitztümer der Banditen sichern, ihre Wunden lecken und sich ausruhen. Sie hatten noch ein paar Meilen vor sich und wussten nicht, ob sie noch mehr solcher Angriffstruppen begegneten.   Wenn Kelvin in einer Sache schlecht war, dann war es definitiv sich zurückzuhalten. Er wusste, dass Hammond sich zurzeit auf einer Mission befand, dessen genauen Inhalt er nicht kannte. Der Rebellenanführer vermutete aber, dass es sich um eine Aufstockung ihrer Finanzen im Sinne von Elena handelte. Davon würde er ihn nicht abhalten! Es gab ihm gewisse Gelegenheiten, denn nun würde der Soldat nicht an ihm herummeckern oder ihn tadeln. Es überraschte ihn nicht mal mehr selbst, dass er sich im Palast dieses angeblichen Gottes befand, dessen Gesicht bisher keiner zu sehen bekommen hatte. Sah man von dessen Personal ab. Dieser Lebenswelt machte sich auch deshalb so interessant, weil bisher nicht sein ganzer Name bekannt gegeben worden war. Alles war absolut widersprüchlich, wenn es um diese neue Gottheit ging! Sonst konnte der Weltenlenker es kaum abwarten, möglichst alle Informationen seiner Gottheiten zu verbreiten, um seine Gläubiger mehr in Staunen zu versetzen. Es musste also etwas nicht stimmen, wenn er diesen einen nicht dafür benutzte. Bei einem Punkt hatte er Hammond nicht belogen: Er hatte von Anfang an mit wenigen Leuten hier einsteigen wollen. Es war weniger auffällig und sie konnten sich auch schnell als Diener verkleiden, wenn es die Situation erforderlich machte. Zwei oder drei neue Diener fielen nicht auf, aber wenn es eine halbe Armee war... Obwohl diese Kleidung wirklich nicht modisch ist., dachte Kelvin spöttisch und zupfte an den Klamotten. Und auch nicht bequem! Wieso will man freiwillig dienen? Schlechte Bezahlung, schlechte Behandlung und schlechte Bekleidung... Die drei B’s. Seine Verkleidung hatte er sich von einem unaufmerksamen jungen Diener „geliehen“ und ihn im Anschluss im Keller eingesperrt. Mit etwas Glück, würde man ihn lange weder hören noch durch Zufall finden. So konnte er recht unbeobachtet den Palast erkunden und konnte im Notfall sich eine Lüge ausdenken, falls man doch wissen wollte, warum er hier oder dort war. „He, du!“, hörte er eine tiefe Männerstimme rufen. Einen Augenblick lang hoffte der Rebellenanführer, dass man nicht ihn meinte und ging einfach weiter. Da ihn dann aber eine behandschuhte Hand an der Schulter stoppte, war die Hoffnung dahin. Ein kurzer Seitenblick reichte, dann erkannte Kelvin, dass die Handschuhe mit Eisen beschlagen waren. Es konnte also eine Wache sein. Die gab es meistens als Pärchen. „Was machst du hier?“ Kelvin drehte sich langsam um und tat unschuldig: „Ich fürchte, ich habe mich verirrt, Herr...“ Jetzt erkannte der Rebell den Mann auch erst! Er war keine Wache, sondern ein Priester. Zur Sicherheit behielt er die Ausbildung aller Priester im Auge, denn sie wiesen spezielle Fähigkeiten und Begabungen auf und wurden anhand dessen Gottheiten zugeteilt. Diese Fähigkeiten konnten magischer Natur sein, aber auch ganz andere Attribute erfassen. Dieser Mann hieß Melvyn Nadhoron. In seinem vorherigen Leben war er ein Heerführer gewesen, der dann aber offenbar den Glauben fand. Also hatte er seine Berufung an den Nagel gehangen und sich der Ausbildung zum Priester gewidmet. Soweit Kelvin wusste, besaß er keinerlei besonderen Fähigkeiten, wenn man von seinem taktischen Können, seiner Kampffertigkeit und seinen diplomatischen Leistungen absah. Eigentlich war er mehr eine Leibwache... Für sein gutes Aussehen war Melvyn jedenfalls nicht hier gelandet. Zumindest fand der Rebellenanführer ihn auch in diesem Bereich eher gewöhnlich. Sein Haar hatte ein etwas dreckig wirkendes Mittelblond, seine Augen wusste er nicht zu definieren und sonst bestand er einfach nur aus Rüstung und Muskeln. Er musste aber aus einem bestimmten Grund hierhergeschickt worden sein. Immerhin wartete er schon ewig auf seine Zuordnung! „Verlaufen? Ich kenne dich nicht.“, sagte Melvyn ernst und ihm folgten zwei Wachen. Das machte deutlich, dass er sogar einen höheren Rang bekleiden musste. Ist er etwa Lebenswelts Hohepriester?, überlegte der Rebellenanführer entsetzt. Gehen dem Weltenlenker etwa die begabten Priester aus? Rasch riss sich Kelvin aus seinen Gedanken und lächelte freundlich: „Mein Bruder wurde krank. Ich vertrete ihn.“ „Wer ist dein Bruder?“ „Tom.“, antwortete er ohne lange zu überlegen. Es war ein Allerweltsname, der sicherlich auch in dieser Dienerschaft mehrfach vertreten sein würde. Da nur adlige, reiche oder hochgestellte einen Familiennamen zugesprochen bekamen, musste er sich darum keine Gedanken machen. „In welchen Bereich würde Tom normalerweise arbeiten?“, hakte der Priester skeptisch nach. „Mir wurde kein Tom als krankgemeldet.“ „Ich glaube, er ist sonst in der Küche, aber er redet da nicht wirklich drüber.“, redete sich der Rebell raus. „Er wollte nicht ausfallen, wegen der Münzen des heutigen Tages. Deshalb wollte er, dass ich ihn vertrete. Damit es nicht auffällt... Seid Ihr nun sauer, Euer Gnaden?“ Melvyn traute ihm offensichtlich nicht, gab aber seufzend nach. Es war im Augenblick schwer für ihn, die Geschichte zu überprüfen oder ihn wegzuschicken. Auch wenn es eine Menge Personal gab, war es meistens trotzdem zu wenig, um Adel oder Gottheiten zufrieden zu stellen. Auch wenn es dem Mann offenkundig nicht gefiel, dass ein Fremder hier war, wollte er ihn auch nicht direkt wegjagen. Deshalb nickte er schließlich: „Na gut, von mir aus. Aber hier kannst du nicht bleiben. Das sind die privaten Räumlichkeiten von Lebenswelt. Anna! Zeig‘ ihm die Küche und erkläre ihm, wie er dort aufzuräumen hat.“ „Ja, Mylord.“, sagte die Zofe freundlich und winkte ihn heran. Sie war nicht außergewöhnlich schön, aber auch nicht hässlich. Auf jeden Fall schien sie sich hier wohlzufühlen, denn sie strahlte Zufriedenheit aus. „Bitte entschuldige, wenn ich Umstände bereite.“, sagte Kelvin charmant. Er wusste, dass er eine gewisse Wirkung auf das andere Geschlecht hatte. Vor allem, weil er ein durchaus attraktiver Mann in einem angemessenen Alter war. Nicht zu alt, nicht zu jung. „Kein Problem.“, sagte Anna freundlich. „Wie heißt du denn? Hast du neu angefangen?“ „Meine Freunde nennen mich Eddy.“, sagte er wie aus der Pistole geschossen. „Ich vertrete nur meinen kranken Bruder.“ „Das ist ja nett von dir. Bitte folge mir.“ Oh, du armes Ding, du hast ja keine Ahnung..., dachte der Rebellenanführer grinsend. Zwar würde er jetzt erstmal mit ihr mitgehen, sich aber den Weg zu den privaten Gemächern gut einprägen. Dieser Palast war ein Labyrinth. Sicherlich konnte sich ein Kenner anhand der Wandteppiche und Vasen hier gut zurechtfinden, aber er gehörte definitiv nicht dazu. Er musste sich an anderen Dingen orientieren. Kleinere Makel, wie Dreck oder Risse, die sonst keinem anderen aufgefallen waren. Ein Farbanstrich, der nicht ganz in das Bild passte oder ein schlecht positioniertes Fenster. So würde er sich hier einigermaßen zurechtfinden. Den Rest musste er dann raten. Zu seinem großen Glück war die Küche nicht allzu weit weg von den Gemächern. Sicherlich, damit das Essen nicht so weit transportiert werden musste. Sie war außergewöhnlich groß und soweit er es beurteilen konnte, auch sehr gut organisiert. Jeder wusste, was er oder sie zu tun hatte. Alles hatte offenbar seinen Platz. Natürlich ging es trotzdem hektisch zu, doch noch in einem recht freundlichen Umgangston. Es kam Kelvin fast so vor, als habe er die Welt des Adels längst verlassen und wieder in einem niedrigen Viertel gelandet. So viel soziale Kompetenzen sah man eigentlich nicht bei den Reichen und „Schönen“. Um seine Tarnung nicht zu gefährden, ließ sich „Eddy“ noch die Küche zeigen und erklären, wo er was fand. Anna teilte ihm noch einen Bereich zu, dann gaukelte er vor, dass er sich erleichtern müsste. Es überraschte ihn nicht, dass die Frau ihn dabei begleiten wollte. Sicherlich eine Anweisung von Melvyn, keine Fremden im Palast unbeaufsichtigt zu lassen. Nur auserwählte Personen durften sich hier unbeobachtet fortbewegen. Wenn der Rebellenanführer ehrlich mit sich selbst war, tat es ihm nicht leid, als er ihr einen harten Gegenstand über den Kopf zog. Als er genauer hinsah, stellte er fest, dass es sich um eine teure Vase handelte. Etwas mehr Schwung und er hätte der Zofe vermutlich den Kopf gespalten, doch er wusste seine Kraft zu kontrollieren. Wie er es sich vorher schon überlegt hatte, orientierte er sich an den vielen kleinen Makeln, um den Weg zurück zu den privaten Räumlichkeiten der Gottheit zu finden. Dieses Mal war er aber vorsichtiger, um nicht wieder versehentlich einem mürrischen Priester in die Arme zu laufen oder sogar einem Wächter. Es überraschte Kelvin nicht, dass es hier sehr viele Räume und lange Flure gab. Immerhin waren weder der Adel noch angebliche Götter für ihre Bescheidenheit bekannt. Wo andere hungerten, hatten sie Stühle aus Gold. Es widerte ihn an! Für diesen unnötigen Luxus waren schon so viele Menschen und Nichtmenschen gestorben. Gute Leute, die den Tod nicht verdient hatten. Erst recht nicht so... Die meisten Räume waren leer. Zumindest befanden sich keine Lebewesen darin. Nur teure Möbel, die sich gegenseitig zu übertrumpfen versuchten. Er konnte sich gar nicht festlegen, was davon am teuersten gewesen war! Sicherlich wirkte alles sehr bequem und gut ausgepolstert, doch dieses übertriebene Prunkvolle machte deutlich, dass die Reichen irgendwas zu komprimieren versuchten. Schockiert stellte der Rebellenanführer fest, dass eines der Zimmer doch nicht leer war. Er war so in den Trott geraten, dass er die Tür eher gelangweilt aufgestoßen hatte, um einen Blick zu riskieren. Jemand saß an einem riesigen Schreibtisch und schien einen Berg von Briefen zu beantworten. Von hinten konnte er nur das glatte, feine und weiß schimmernde Haar erkennen. Die Gestalt wirkte recht klein und zierlich. Nicht das, was ich erwartet habe..., gestand sich Kelvin enttäuscht ein und schloss derweil hinter sich so leise wie möglich die Tür. Das Klacken des Schlosses machte aber die Person schließlich doch aufmerksam. In diesem Augenblick war er sich sicher, dass das nicht die Gottheit sein konnte! Es war eine wunderschöne Frau, die trotz des weißen Haares nicht älter als zweiundzwanzig sein konnte. Die Haut war beinahe genauso weiß wie ihre Haare, dessen Pony gerade geschnitten war. Es stand ihr gut und betonte sehr schön ihr makelloses Gesicht. Ihre Augen waren in einem strahlenden Violett getaucht, doch das konnte einfach nicht möglich sein. Immerhin konnte er keine spitzen Ohren entdecken und auch sonst keine Anzeichen dafür, dass sie ein Nichtmensch war! Anmutig erhob sich die Hellhaarige zur vollen Größe und präsentierte sich schamlos in zahlreichen durchscheinenden Stoffen. Man konnte ihre Brustwarzen und sogar das Seidenhöschen erahnen, welches sie sicherlich ein halbes Vermögen gekostet hatte. Solch „Unterwäsche“ war vollkommen neu und diente dazu, die Schambereiche zu bedecken. Bei dem Kleid wohl durchaus angemessen... Er wusste nicht mal genau, was die Stoffe für Farben besaßen! Es war weder Grün noch Blau. Ich werde wohl ein paar Sachen über Farben, Stoffe und Mode lernen müssen, wenn ich sie mir so ansehe... Er war sich erst sicher, dass sie die Geliebte des Gottes war, doch dann dämmerte es ihm. Sie strahlte! Sie hatte eine sanfte Lichtaura um sich herum und wirkte irgendwie... erhaben. Nichtmenschlich. Nicht, wie eine Elfe oder ein Ork, sondern wie ein übernatürliches, unsterbliches Wesen. „Eine Frau!“, keuchte er ungewollt heraus. Er hatte es nicht laut sagen wollen, doch der Schock darüber war einfach zu überwältigend! „Herzlichen Glückwunsch.“, säuselte die Schönheit mit ihrer honigsüßen Stimme, die wie die pure Verlockung wirkte. „Ihr könnt die Geschlechter auseinanderhalten.“ „Meine Mutter wäre nun gewiss wahnsinnig stolz! Die Saat geht endlich auf...“ „Davon bin ich überzeugt.“, erwiderte die Göttin vollkommen entspannt. „Wer seid Ihr? Mel hat nicht gesagt, dass ich einen neuen Diener bekomme.“ „Kelvin, zu Euren Diensten.“, stellte sich der Rebell frech grinsend vor und deutete eine Verbeugung an. „Ich weiß nur, dass Euer Familienname Lebenswelt lautet, verzeiht.“ „Fiona von Lebenswelt, aber mich nennen hier alle Lebenswelt.“ „Ist ja auch weniger verfänglich.“ Skeptisch zog sie die Augenbraue in die Höhe und kam ein paar Schritte näher: „So ist es.“ Er wusste, dass er vorsichtig sein musste. Gottheiten waren vielleicht nicht das, was sie vorgaben zu sein, doch sie waren definitiv gefährlich. Jeder von ihnen wies bestimmte Talente auf, die häufig auch magischer Natur waren. Selbst wenn sie nicht wirklich unsterblich waren, fühlte es sich so an, denn ein Dolchstich zeigte keine Wirkung. Ein paar Rebellen vor ihm hatte es versucht... Trotzdem kam Kelvin nicht drumherum die Ironie bei dem Ganzen zu erkennen. Der Weltenlenker predigte laufend, dass Frauen wertlose Geschöpfe waren, die nur dazu dienten, Kinder zu gebären, diese großzuziehen und für die Familie den Haushalt zu schmeißen. Wenn es nach ihm ginge, dann durften sie nicht mal entscheiden, ob beim Sex die Kerzen an oder aus waren! Und nun war eine dieser besagten wertlosen Geschöpfe zu einer Gottheit aufgestiegen. Es wunderte ihn gar nicht, dass er das nun versuchte zu vertuschen. Doch er konnte auf ihre wichtige Rolle in seiner Gesellschaft auch nicht verzichten. Vermutlich konnte er sie nicht mal selbst töten, um den Fehler zu bereinigen! Du hast hoch gepokert und verloren., spottete der Rebell amüsiert. Jetzt wirst du dir wohl dringend überlegen müssen, wie du das hier wieder richten kannst. Da wirst du dein ganzes Charisma aufbrauchen in der Rede! Darüber würde er nicht schweigen. Mit dieser Information konnte er den Weltenlenker demütigen! Er machte sich immer unglaubwürdiger. Immerhin predigte er des Weiteren, dass es wichtig sei, sich zu vermehren, doch er selbst, seine Gottheiten und viele seiner Könige waren kinderlos. Einige von ihnen waren sogar unverheiratet! Sah man genauer nach, war seine ganze Religion ein einziger Widerspruch. „Mel hat dich nicht geschickt.“, sagte Fiona mit deutlichem Unmut. „Was willst du hier?“ „Ich hatte gehofft, dass wir uns vielleicht verbünden könnten.“, schlug er salopp vor. „Ist doch sicherlich langweilig hier. Du könntest frei sein, wenn du mir hilfst, den Weltenlenker von seinem Thron zu holen.“ „Sehe ich irgendwie so aus, als wäre ich vollkommen verblödet?“, zischte die Langhaarige und griff nach einem Schwert, das verborgen neben einem Schrank angelehnt gewesen sein musste. „Ich verbünde mich doch nicht mit einem Unbekannten, der ungefragt in meine Gemächer eindringt.“ „Nun, besser ich dringe unerlaubt in Eure Gemächer ein als in Euch.“ Dass sie das nicht lustig fand, bekam er recht schnell zu spüren, als sie ihre Hand hob und eine Lichtwelle auf ihn schoss. Diese schleuderte den Rebellen durch den halben Raum und ließ ihn stöhnend gegen eine Wand knallen. Er brauchte einen Moment, weil er von den Schmerzen vollkommen benommen war. Ihre Begabung war definitiv magischer Natur und dazu noch sehr unangenehm für ihn. Da sie offenbar nicht in der Stimmung für Verhandlungen war, musste er vorerst das Feld räumen. Deshalb erzeugte er eine Flamme, die er mit etwas Wind in einen Wirbel verwandeln konnte. Das züngelnde Feuerspiel schleuderte der Essenzbeherrscher anschließend direkt auf die vermeidliche Gottheit zu und grinste siegessicher. Immerhin konnten nicht viele die Essenzen verbinden. Sein Grinsen erlosch recht schnell, als sie in die Luft ein Zeichen aus Licht malte und im Anschluss ein Wall aus Licht vor ihr erschien, welche sie vor dem Feuerangriff schützte. Es preschte ein paar Mal gegen die Barriere, um dann einfach im Nichts zu verpuffen. Wenn Kelvin ehrlich war, hatte er sich durchaus mehr von seinem Angriff erhofft. „Gib‘ mir nur einen Grund, weshalb ich dich nicht auf der Stelle töten sollte.“, zischte Lebenswelt angriffslustig. „Wie wäre es mit meinem guten Aussehen? Oder meinem fesselnden Charakter?“ „Falsche Antwort.“ Mit einem Satz sprang die Langhaarige auf ihn zu und holte im Sprung mit der Klinge aus. Sie schlug direkt nach seinem Hals. Wäre er nicht so blitzschnell ausgewichen, dann hätte sie ihn wohl problemlos enthauptet! Sie hatte also nicht nur eine außergewöhnliche Magiebegabung, sondern auch noch Kampfgeschick und Kraft. Und der Weltenlenker behauptet, dass Frauen schwach seien? Sie ist eine Armee!, dachte er schwitzend. So vorgeführt hatte ihn schon lange keiner mehr. Er musste dem nächsten Angriff ausweichen. Wenn er kein Essenzbeherrscher wäre, hätte sie ihn schon mehrmals getötet. Kelvin war einer der wenigen, der sich eine der speziellen Begabungen aneignen konnte. Geschwindigkeit! Bisher war es immer ein Vorteil gewesen, doch in diesem Augenblick war er sich nicht sicher, ob nicht ein anderes Attribut gerade besser gewesen wäre. „Wartet! Wartet...“, warf er schließlich ein und hob beide Hände, um sich als unbewaffnet zu outen. Natürlich trug er versteckte Dolche, aber das war nicht der Augenblick, um sich mit ihr anzulegen. Im Moment war sie ihm bei weitem überlegen und er kannte keine Methode, um sie zu entmachten oder umzubringen. „Also?“, hinterfragte die angebliche Göttin und verharrte in ihrer Bewegung. „Hast du jetzt eine Antwort parat?“ „Es gibt keine richtige Antwort.“, erwiderte Kelvin. In diesem Augenblick wollte sie wieder ausholen, doch er hob sofort wieder die Hände: „Sachte! Lasst mich doch ausreden... Ihr kennt mich nicht und ich kenne Euch nicht. Ihr wisst nicht, ob ich halten kann, was ich verspreche und wenn ich ehrlich bin, weiß ich das auch noch nicht. Doch wenn Ihr mir etwas Zeit und eine Chance gebt, dann würde ich es Euch gerne beweisen, dass ich es wert bin. Ich möchte den Weltenlenker stürzen, um alle aus seiner Knechtschaft zu befreien. Ich möchte Rache für die, die grundlos sterben mussten aus der Laune eines falschen Gottes heraus. Wir sind noch wenige und uns fehlen noch viele Informationen, aber wir versuchen unser Bestes. Und ich denke, wir können es gemeinsam schaffen...“ Stille trat zwischen ihnen ein. Diese unbeschreiblichen, violetten Augen stierten ihm direkt in seine blauen. Nichts regte sich in ihrem Gesicht. Kelvin konnte wirklich nicht sagen, was gerade in der angeblichen Gottheit vorging. Zumindest greift sie mich nicht wieder an..., sinnierte er erleichtert. „Ich gebe zu...“, begann sie schließlich ruhiger. „Mir gefällt seine Politik und Denkweise ebenfalls nicht. Ich gebe zu, dass ich diesen Palast als Gefängnis ansehe und gerne frei wäre. Doch ich muss auch zugeben, dass Ihr von Eurer Sache selbst nicht sehr überzeugt klingt.“ „Ich bin überzeugt, Lebenswelt, sogar sehr. Ich kann nur nicht versprechen, dass meine Überzeugung ausreichen wird.“ „Königreiche sind schon durch weniger gestürzt... Ich werde Euch diese Chance geben. Unter einer Bedingung...“, sie machte bewusst eine Pause, um ihn auf die Folter zu spannen. „Ihr werdet nicht den Thron von ihm übernehmen, falls Ihr es schaffen solltet.“ Sie sah ihm an, dass er widersprechen wollte. Dass er sein Interesse abstreiten wollte. Fiona hob die Hand, um etwaige Ausreden direkt im Keim zu ersticken: „Streitet es nicht ab. Ich kann Eure Gier nach Macht spüren. Euren Wunsch danach, alles zu zerstören, was der Weltenlenker aufgebaut hat. In gewisser Weise seid ihr euch sehr ähnlich... Und das ist gefährlich. Wenn es soweit ist, dass ein Putsch infrage kommt, werden wir einen würdigen Nachfolger suchen und der wird den Thron dann übernehmen, um Ordnung zu schaffen. Ihr seid vieles, aber kein würdiger Herrscher.“ Kelvin schluckte schwer. Das waren viele Vorwürfe und eine harte Bedingung. Fanden sie keinen, der den Thron und diese kaputte Krone übernehmen wollte, dann würde sich der Sturz verzögern. Sie hatte recht: Er wäre bereit gewesen, den Thron zu besteigen und hätte dann eine Hexenjagd auf alle Anhänger Wyrnnés und der Adligen losgetreten. Es wäre wohl wirklich so ziemlich auf das Gleiche hinausgelaufen und hätte die Geschichtsbücher erneut rot gefärbt. „Ihr seid mir etwas unheimlich, Lady Lebenswelt, aber ich stimmte dennoch zu. Ihr habt Recht.“ „Sag‘ ich ja.“ „Sobald ich die Möglichkeit habe, werde ich mich Euch beweisen und zurückkehren.“ „Ich werde es wissen, wenn Ihr soweit seid.“, erwiderte die Frau gelassen. „Und nun geht. Mel wird hier bald auftauchen und er sollte Euch nicht erwischen.“ „Vielen Dank für Euer Gehör.“, sagte er aufrichtig und verbeugte sich erneut. Etwas sagte ihm, dass in ihr viel Lebensfreude steckte, wenn man sie nur ließ. Doch jetzt war nicht die Zeit, um das aus ihr heraus zu kitzeln und sie in ihrer wahren Natur zu erleben. Als er die Tür öffnete, musste er leise sein und ein paar Wachen vorbeilassen. Dann erst schlich er sich wieder heraus und würde sich hüten, nochmals in die Arme des Priesters oder von Anna zu laufen. Endlich gab es Hoffnung auf eine wirklich stake Allianz! Diese vermeidliche Gottheit konnte diese Rebellion in eine vollkommen neue Richtung kippen. Das Unmögliche möglich machen. Nun musste er nur noch einen Beweis dafür finden, dass es sich lohnte ihm zu vertrauen. Für diesen Part würde er seine Crew brauchen. Sie alle waren das Herz dieser Rebellion. Ohne sie, gab es auch keinen Aufstand. Wenn sie erstmal einsahen, dass sie Lebenswelt brauchten, würden sie vielleicht auch Ideen liefern, damit sie diese für ihre Sache überzeugen konnten.   Der restliche Weg zu dem gemeinsamen Ziel war nicht einfacher geworden, doch schließlich hatten sie die Karawane sicher abliefern können. Die Bezahlung war großzügig ausgefallen. Nicht nur, weil der Anführer schreckliche Angst vor der Rache der Elfe gehabt hatte, sondern auch, weil er die ganzen Gefahren extra bezahlt hatte. Nun würden die Händler dort erstmal ihrer Arbeit nachgehen und sich anschließend neues Personal suchen, wenn sie weiterziehen wollten. Für Nero, Athena und Hammond war es also an der Zeit nach Hause zurück zu kehren. Und ich muss zugeben, dass ich es irgendwie schade finde..., dachte der Soldat tatsächlich traurig. Sie sind beide wirklich talentiert und haben einen faszinierenden Charakter. Vor allem verstehen sie Spaß! Doch wenn er ganz ehrlich mit sich selbst war, war das nicht alles, was ihn an der Truppe in den Bann schlug. Es war die wunderschöne Elfe, von der er nur schwer den Blick losreißen konnte. Seit Leandra hatte er nicht mehr so empfunden und eigentlich hatte er nicht daran geglaubt, dass das jemals wieder soweit kommen würde. Anders als bei seiner verstorbenen Frau, war er sich bei der Attentäterin sicher, dass sie auf sich selbst aufpassen konnte. Leandra hatte sich stets gegen das Kämpfen gesträubt und darauf bestanden, dass es keine gute Idee war, das zu erlernen. Ihm war klar, dass es sie wahrscheinlich nicht gerettet hätte, aber vielleicht doch. Es hätte ihr zumindest Zeit verschafft, in der Kelvin sie vielleicht rechtzeitig gefunden hätte, um sie zu befreien. Doch das waren nur „Was-wäre-wenn-Szenarien“, die er niemals erproben konnte. „Sollen wir gemeinsam nach Götterherz zurückkehren?“, erkundigte er sich dann endlich bei den Partnern. „Es spricht wohl nichts dagegen.“, erwiderte die falsche Rothaarige gelassen. „Obwohl wir wohl jeden Widerstand schon auf dem Hinweg beseitigt haben.“ „Die wachsen wie Unkraut nach.“ Nero blickte skeptisch zwischen den beiden hin und her: „Ja... Ich denke, wir sollten aufbrechen.“ „Ist alles in Ordnung, Nero?“, erkundigte sich Athena besorgt. „Bist du etwa verletzt?“ „Nein, alles bestens. Wir sollten zurück. Wir haben jetzt schon mehr als drei Tage gebraucht, durch die ganzen Zwischenfälle.“ Hammond konnte der Elfe ansehen, dass sie nicht zufrieden mit seiner Antwort war, doch sie hakte nicht weiter nach. Das erschien ihm weise, denn Nero würde dann wohl noch eher dicht machen und sie erfuhr dann immer noch nicht, was eigentlich los war. Inzwischen waren sie zumindest schwer bewaffnet. Das würde den Rückweg wahnsinnig erleichtern. Außerdem waren da keine hilflosen Händler mehr, die auf ein Lagerfeuer bestanden, wenn es kühl wurde. Sie würden definitiv weniger Angreifer anlocken. Selbst wenn man sie ausspähen würde, würde man sich eher gegen einen Übergriff entscheiden, weil sie alle offenkundigen Kämpfer waren und keine Wertsachen transportierten. Langsam schloss er mit der Frau auf, die sich zur Angewohnheit gemacht hatte, immer etwas voranzugehen. Dabei sondierte sie hochkonzentriert die Umgebung. Lauschte nach allem, was nicht hierhergehörte und hielt Ausschau nach Dingen, die verdächtig schienen. Unabhängig davon, ob es sich um Fußabdrücke handelte oder nur einem abgeknickten Zweig. Als Späherin brachte sie richtige Qualitäten mit sich, aber auch als Jägerin. Jedes Mal, wenn sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, war sie aufgebrochen und immer mit irgendeinem Tier zurückgekehrt. „Darf ich Euch fragen, wie Ihr zu der Politik steht?“, quetschte Hammond endlich hervor. Er konnte ihr ansehen, dass sie einen Augenblick lang den Atem angehalten hatte. Vermutlich hatte auch ihr Herz einen Moment lang gestolpert. Immerhin war das nicht nur eine gefährliche Frage, sondern auch die Antwort konnte einem schnell den Kopf kosten, wenn man sie dem Falschen gab. „Warum wollt Ihr das wissen?“, hinterfragte sie skeptisch und sah ihn mit durchdringenden Augen an. „Scheint mir keine angemessene Thematik.“ „Weil wir dringend nach Verstärkung suchen und Ihr scheint mir nicht an die Sache des Weltenlenkers zu glauben.“, warf er unverblümt ein. „Eure Fähigkeiten sind... außergewöhnlich. Genau so etwas brauchen wir dringend.“ „Mit wir, meint Ihr vermutlich die Rebellion? Ich hatte mir schon gedacht, dass Ihr zu denen gehört...“ Einen Herzschlag lang wurde es still zwischen ihnen, doch der Titan konnte nicht lockerlassen: „Ihr scheint mir nicht begeistert von uns?“ „Das ist es nicht...“ „Was ist es dann?“, hinterfragte er dickköpfig. „Glaubt Ihr etwa an diese Religion? An das System?“ „Ganz bestimmt nicht.“, spuckte sie es beinahe heraus, als wäre es eine schreckliche Beleidigung. „Ich bin ein Nichtmensch, schlimmer kann es einen in diesem System kaum treffen!“ „Dann klärt mich bitte auf.“ „Ich glaube wirklich, dass die Rebellion eine gute Sache ist und deutlich zeigt, dass diese Welt noch eine Chance hat. Aber bisher sind so viele von diesen Rebellionen gescheitert...“ „Das heißt nicht, dass es uns auch so ergehen muss.“ „Ja, dem stimme ich zu.“, erwiderte die Langhaarige nickend. „Aber es birgt dennoch ein Restrisiko, wenn man sich dieser Sache anschließt. Bisher wusste Wyrn-... der Weltenlenker sehr genau, wie er Aufstände zerschlagen muss, wenn es zu viel wurde.“ „Wyrn?“, hinterfragte Hammond interessiert. Es war deutlich, dass sie nicht den Titel des Mannes benutzen wollte. Kennt sie etwa seinen wahren Namen? Seinen Namen als Sterblicher, bevor er selbst entschieden hat, dass er aufgestiegen sei?, überlegte er für sich. Das wäre eine Information, mit der sie vielleicht arbeiten konnten! Es gab eine sehr wichtige Devise in der Kriegsführung und die lautete: Kenne deinen Feind. Wenn sie die Vergangenheit des falschen Gottes kannten, konnten sie vielleicht auch Schwachstellen finden, um ihn endgültig auszulöschen. Vielleicht half es ihnen sogar etwas, die Beweggründe des Mannes zu verstehen. Nicht, dass es irgendwas gab, was Massenmord tatsächlich rechtfertigte! Man konnte aber vielleicht die nächsten Schritte voraussehen. „Nichts... Ich hatte mich versprochen.“, winkte die Elfe ab und machte deutlich, dass sie das vorerst nicht verraten würde. „Gebt mir ein paar Tage, um über Euer Angebot nachzudenken, Hammond. Falls ich Interesse haben sollte, möchte ich mir angucken, was Ihr bisher vorzuweisen habt. Dann werde ich endgültig entscheiden, ob ich euch unterstütze oder es lieber sein lasse.“ „Mehr verlange ich gar nicht!“ „Hängt es aber nicht an die große Glocke, dass ich mir eure Organisation ansehen möchte.“ „Selbstverständlich nicht. Wir agieren im Schatten. Wenn wir unsere Mitgliedernamen preisgeben würden, wären wir ziemlich blöd...“ „Nur, dass euer Anführer sich nicht wirklich so verhält, als würde ihm die Schatten gefallen.“, erinnerte sie ihn mit hochgezogener Augenbraue. „Jeder kennt ihn. Dafür hat er gesorgt.“ Hammond spürte, wie seine Wangen leicht erröteten vor Scham, doch er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen: „Ja, da habt Ihr recht... Auch ein Grund, warum wir Euch brauchen. Ihr müsst ihm beibringen, wie man sich ein bisschen bedeckter gibt.“ „Ich fürchte, da kämpfen wir auf verlorenem Posten...“ „Das befürchte ich auch, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.“ „Ja, sonst würde es keine Rebellion geben.“ „Was ist mit Eurem Partner?“, wollte der Titan vorsichtig wissen. „Würde er sich auch anschließen, wenn Ihr Euch dazu entschließen würdet?“ „Ich bin mir nicht sicher...“, gestand die Elfe und warf einen Blick über die Schulter. In diesem Augenblick stolperte Nero gerade über einen Stein und wäre beinahe hingefallen. Sie musste sich ein Lachen ernsthaft verkneifen. „Ihr könnt ja mal mit ihm sprechen, wenn ihr beide alleine seid und Ruhe dafür findet.“ „Ja, das ist wohl besser. Er scheint etwas angespannt zu sein.“ „Wie kann ich Euch kontaktieren, wenn wir in Götterherz angekommen sind?“, erkundigte sich Hamm hoffnungsvoll. „Ich werde Euch kontaktieren.“, warf die Attentäterin direkt ein. „Soll ich Euch also sagen, wo sich einer unserer Posten befindet?“ „Nein, das müsst Ihr nicht.“, sagte sie kopfschüttelnd. „Ich finde Euch. Glaubt mir.“ Hammond musste doch etwas lachen. Er hatte vergessen, dass Leute aufzuspüren zu ihrem Beruf gehörte. Oft genug bekam sie sicherlich einen Auftrag, in dem es hieß, dass sie jemanden töten sollte, der aber längst untergetaucht war. Dann musste sie diese Person auch mit den wenigen Hinweisen finden, die man ihr gab. Nun hoffte er nur, dass auch Kelvin mit ihr klarkäme, sofern sie sich dieser Sache anschloss. Das letzte Wort behielt immerhin ihr Anführer, wenn es um solche Angelegenheiten ging. Dennoch war sich der Soldat sicher, dass sie kaum jemanden finden würden, der besser zu ihnen passte und dabei genauso viel Kampfgeschick und Magiebegabung mit sich führte wie diese Frau. Durch ihre Nichtmenschlichkeit hatte sie dazu genug Motivation und Antrieb, um dieses Regime kippen zu wollen. Es wäre in ihrem Sinne und in dem Sinne ihrer Zukunft. „Ich hoffe sehr, dass Ihr Euch entschließen werdet, uns zumindest eine Chance zu geben.“, sagte er lächelnd. „Bis dahin hätte ich auch nichts dagegen, wenn wir zusammen häufiger kleine Missionen machen würden. Leute bewachen und solche Sachen...“ Sie lächelte ihm verführerisch entgegen, während sie sachte nickte: „Dagegen spricht nichts. Ich werde mich nach entsprechenden Aufträgen umhören und Euch gegebenenfalls kontaktieren.“ „Wunderbar.“ Das wäre eine Gelegenheit, damit er sich ihr beweisen konnte. Wenn Hammond sie überzeugte, dann würde sie vielleicht eher erwägen, sich der Rebellion anzuschließen. Das war zumindest seine Hoffnung. Ob der Elfe das klar war, war nicht zu sagen. Sie wusste es, ein Pokerface aufzusetzen und sich vollkommen mysteriös zu geben. Kel wird sie vergöttern!, sinnierte der Soldat schließlich. Er liebt solche Mensch-... Nichtmenschen. Geschöpfe, die er wie ein Puzzle zusammensetzen muss, damit er ihre Geheimnisse ergründen kann. Er wird nichts dagegen haben, wenn sie sich anschließen möchte. Doch ob der Rebellenanführer sich auch Nero gegenüber so offen und herzlich zeigen würde, wusste er nicht. Er bezweifelte es sogar, weil der Söldner weniger talentiert schien und dazu ein Tollpatsch war. Just in diesem Augenblick konnte man einen dumpfen Aufprall hören. Athena ließ sich nach hinten fallen und half ihrem Partner zurück auf die Füße. Hammond zweifelte etwas daran, dass Nero es schaffen konnte, ohne fremde Hilfe zu überleben. Wie er es überhaupt soweit geschafft hatte, war ihm ein Rätsel! Aber irgendwas sagte ihm, dass es die beiden nur im Doppelpack geben würde...   Wyrnné wusste nicht recht, ob Billie wirklich mit allem recht hatte, was sie ihm ständig an den Kopf warf. Wurde er wirklich so sehr von Zodiak manipuliert? War er tatsächlich zu einem Monster geworden, welches alle Ideale vergessen hatte? Oder war es doch die Gesellschaft gewesen, die ihn letztendlich gebrochen hatte? Altan schnitt gerade vor seinen Augen einem Mann den Ringfinger ab. Er schrie bestialisch und bettelte um Gnade. Der selbsternannte Gott wusste, dass er nun eigentlich etwas fühlen müsste. Sei es nun Mitleid, Bedauern oder Trauer. Passend wäre vielleicht auch noch Wut, Ekel oder Abneigung. Da war nichts. Er sah, wie das Blut spritzte und er empfand absolut gar nichts dabei. Altan konnte er seine Gefühle ansehen. Er empfand Freude, Erregung und den Wunsch, diesem Mann noch Schlimmeres anzutun. Ihn widerte es nicht an, wenn seine Opfer nichts mehr halten konnten. Ihn erfüllte keine Gnade, wenn man ihn darum anbettelte oder Abscheu gegenüber dem Blut. Es war wie eine Art Spiel für den Inquisitor. Gewonnen hatte er, wenn er alle Geheimnisse, Informationen und Beweggründe seiner Opfer erfuhr. Er verlor, wenn diese vorher starben, flohen oder ermordet wurden. Altan verlor sehr selten... Deshalb war er auch der Anführer seiner Inquisition. Es gab einst einige Probleme mit Verrätern. Sie hatten sich zu Gefangenen begeben und sie befreit oder getötet, damit sie keine Informationen verraten konnten. Altan hatte dieses Problem schnell beseitigt. Es durften nur noch autorisierte Personen in die Kellergewölbe gehen und es gab überall Wachposten, die ständig kontrollierten, dass keine unerlaubten Zutritte stattfanden. Selbst bei Inquisitoren wurde geprüft, ob sie da sein durften, wo sie sich aufhielten. Seither hatten die Rebellen ernsthafte Probleme etwas für die ihren zu tun, wenn man sie erwischte. Doch der Weltenlenker misstraute nicht nur dem menschlichen und nichtmenschlichen Personal, sondern selbst einigen seiner eigenen Schöpfungen. Billiana würde wohl grinsend sagen, dass er ein Vertrauensproblem habe, an dem er arbeiten müsse und damit hatte sie vermutlich auch recht, aber er konnte es nicht abschalten. Einige von ihnen weckten einfach seine Missgunst, weshalb sie überwacht wurden. Darunter gehörte auch Mammon, der gerade den Raum betrat. Er war einer der ältesten seiner Inquisitoren und schien allmählich seinen Verstand zu verlieren. Er maß fast 2,5 Meter Körpergröße, hatte schwarze Haut mit Rotstich, weiße Augen und ein Tattoo seines Schädels und Gehirns im Gesicht, das sich über den Körper erstreckte. Dazu kam zwei Nasen-Piercings. Wie es bei Inquisitoren üblich war, hatte auch er eine Glatze, ein großes Tattoo am Oberarm, welches seinen Rang symbolisierte und führte eine Waffe mit Widerhaken mit sich. Soweit Wyrnné es beurteilen konnte, war es eine Art Hacke, mit der er auf seine Feinde einschlug, um sie in eine breiige Masse zu verwandeln. Das war es nicht, was ihn so skeptisch machte. Neuerdings kratzte Mammon sich ständig an seinen Unterarmen, bis diese stark bluteten. Davon behielt er inzwischen schon Narbengewebe, welches als solches nicht ungewöhnlich für solche Kreaturen war, aber an der Stelle und selbstzugefügt schon. Immer, wenn er darauf angesprochen wurde, beteuerte er ständig, dass er starke Schmerzen habe. Sie würden erträglich werden, indem er sich selbst welche zufügte. Kein anderer Inquisitor machte das oder klagte über diese Problematik, was Wyrnné skeptisch machte. „Herr...“, murmelte Mammon und kratzte wieder an seinem Unterarm. „Das Mädchen beteuert nach einer Woche immer noch, dass sie nichts von den Machenschaften ihres Vaters wusste.“ „Damit deckt sie sich mit seiner Aussage.“, mischte sich Altan direkt ein und deutete auf den Mann, der inzwischen nur noch vier Finger an seinen Händen hatte. „Des Weiteren behauptet sie, dass ihre Mutter schon vor Wochen verschwunden sei.“, fuhr Mammon einfach fort. „Angeblich sei sie ohne ein Abschiedswort an irgendeinem Morgen weg gewesen.“ „Hier decken sich die Aussagen nicht... Er behauptet, dass sie sich neu verliebt habe und mit ihrem neuen Mann durchbrannte.“ „Das-... Das ist auch wahr, Herr...!“, keuchte der angeschlagene Mann bibbernd. „Ich-... Ich wollte das meiner... Tochter ersparen!“ „Zu dumm nur...“, begann der Weltenlenker mit seiner samtigen Stimme. „Dass deine Frau in meinem Palast gearbeitet hat und ohne ein Wort nicht mehr auftauchte. Das Personal wird hier auf Lebenszeit eingestellt.“ Und wenn ich sie nicht mehr brauche, wird ihr Leben eben vorzeitig beendet., dachte er gefühlskalt. Niemand konnte behaupten, dass ihnen das nicht klar war, wenn sie einen Dienst in Heimdall antraten. „A-Aber-... Da können wir doch nichts... für!“ Altan duldete derartige Widerworte nicht und nahm sich eines der rostigen Messer. Es gab einiges Werkzeug, welches schon Rost auf den Klingen oder Spitzen aufwies. Dadurch wurde der Prozess des Schneidens noch schmerzhafter und durch die Verschmutzung konnte es zu einer Sepsis kommen, welche noch mehr Schmerz verursachte. Ohne einen Funken von einem schlechten Gewissen, packte er nun den letzten, kleinen Finger des kreischenden Mannes und fing langsam an zu schneiden. Es knackte und knirschte, als die rostige Klinge irgendwann den Knochen durchtrennte. Die Wunde war sehr unsauber und es klebte überall Rost von der Klinge daran. Es würde sich definitiv entzünden, wenn der Familienvater bis dahin überlebte. „Du entscheidest nicht, wofür du Verantwortung trägst und wofür nicht.“, zischte Altan böse. „Es ist deine Frau und du hättest sie kontrollieren müssen! Falls deine Geschichte überhaupt wahr ist.“ Wimmernd bettelte er um Gnade und beteuerte immer wieder, dass er nicht log. Nur überzeugte er keinen hier im Raum. Er bekam auch kein Mitleid von ihnen. In den Augen des Weltenlenkers stand das Verbrechen bereits fest, welches begangen worden war: Verrat. Langsam erhob sich der Schwarzhaarige und trat auf das Häufchen Elend zu, während seine grünen Augen ihn eiskalt taxierten. Als er fast neben dem Foltertisch stand, hob er seine Hände und aus ihnen glitt ein schwarzer, düsterer Nebel, der sich wie eine Schlange um den Mann wand. Es dauerte nicht lange, dann fing der Mann an zu schreien: „I-Ich... kann nichts sehen...! Ich bin blind! Und... dieser Schmerz! Herr! Rettet mich!“ Der Nebel war toxisch und würde nach und nach das Nervensystem des Mannes angreifen, während alle Sinne nicht mehr aktiv waren. Dazu konnte er darüber eine Verbindung zu den Gefühlen des Opfers aufbauen. Er verstärkte die Angst des Mannes und erschuf zusätzlich noch Panik, die ihn gegen die Ketten ankämpfen ließ. Durch das Band zwischen ihnen konnte Wyrnné spüren, wie das Herz raste und dass er bald einen Infarkt bekommen würde, weil der Stress zu viel wurde. Deshalb verstärkte er diese Gefühle noch mehr und unterdrückte jeden Anflug von Hoffnung. Stattdessen schuf er noch mehr schmerzhafte Stellen. Bald schon trat ein, was er prophezeit hatte: Der Organismus des armen Mannes versagte vollkommen. Das Herz hörte auf das Blut durch die Adern zu pumpen. Die Schreie erstickten. Irgendwann wurde es vollkommen still in der Folterkammer, als wäre niemand hier. Als wäre hier eben niemand zu Tode gefoltert worden. Langsam kroch der Nebel wieder zurück in die Finger des Weltenlenkers. Für ihn selbst war er nicht schädlich und er konnte dessen Macht auch steuern. Es war ihm möglich, dass sie seinen eigenen Geschöpfen nicht schadete, doch wenn er es wollte, konnte er sie damit auch töten oder foltern. Was er niemals verhindern konnte, war die eingeschränkte Sicht in den Nebeln. Deshalb setzte er die Gabe meistens nur ein, wenn er sie gut lenken und gezielt auf eine oder mehrere Personen einsetzen konnte. So wie jetzt. „Mylord...“, begann Mammon, der nicht mehr so gehorsam war wie früher. „Habt Ihr denn nun überhaupt die Antworten bekommen, die Ihr gesucht habt?“ „Willst du etwa behaupten, dass unser Vater nicht wüsste, wann er jemanden töten muss?!“, zischte Altan ihn wütend an. „Das habe ich nicht gesagt...“ „Was hast du denn dann bitte gesagt, he?!“, gebar er weiter auf und war wohl drauf und dran auf Mammon einzuschlagen. „Wolltest du etwa sagen, dass er versehentlich gehandelt hat?! Oder unüberlegt?!“ „Ich würde niemals an unserem Vater zweifeln, das weißt du.“, ermahnte der Inquisitor seinen Vorgesetzten. „Jedoch gab es Fragen, auf die Antworten gefordert waren. Mich hat interessiert, ob diese alle vorhanden sind.“ Gerade wollte sich der Anführer der Inquisitoren wutentbrannt auf seinen Untergebenen stürzen, da hob Wyrnné seine Hand und unterband den Kampf der Giganten, bevor er überhaupt begann. Inquisitoren kämpfen zu lassen, barg immer ein Risiko für Leib und Wohl, aber zwei Inquisitoren gegeneinander kämpfen zu lassen, war blanker Selbstmord! Geschweige denn davon, was sie mit Heimdall anstellen konnten, wenn sie einander zu zerfleischen versuchten... „Mammon hat recht...“, gestand er sich mit ruhiger Stimme ein. „Ich hatte noch nicht alle Antworten. Ich verlor die Beherrschung... Versucht meinen Fehler bei dem Mädchen zu korrigieren. Quetscht alles aus ihr heraus, was sie weiß. Wenn ihr sicher seid, dass da nichts mehr zu holen ist, dann lasst sie an den Todesspielen teilnehmen. Es wird Zeit, dass das Volk sich wieder etwas vergnügen kann.“ „Sehr wohl, Herr.“, sagten die Inquisitoren wie aus einem Munde. Sie warteten nicht ab, sondern verschwanden beide aus der Kammer, um sich um die Halbwaise zu kümmern. Sollte ihre Mutter in Wahrheit tot sein, dann ist sie ohnehin eine Vollwaise und würde auf der Straße nicht überleben. Mit den Todesspielen tue ich ihr einen Gefallen., dachte der Weltenlenker für sich. Doch eine Stimme in ihm sagte ihm, dass das nur eine Ausrede dafür war, um grausam sein zu können. Die Stimme klang nach Billiana... Ihm war durchaus bewusst, dass er nur in ihrer Gegenwart Gefühle hegte. Wut, Zweifel, Liebe... Und dann diese Sorge, als sie aus dem Fenster gesprungen war! Doch sobald er wusste, dass es ihr gutging und sie nicht mehr auffindbar war, verschwanden all diese Regungen einfach wieder. Diese Leere schien unüberwindbar für eine Person alleine, doch er ließ ihr auch keine Chance, um ihm zu helfen. Seine Augen rutschten auf den verstümmelten Leichnam des ehemaligen Familienvaters. Er spürte nicht mal Ekel bei diesem Anblick. Nicht mal Erleichterung, weil er ihm eigentlich einen weniger qualvollen Tod geschenkt hatte, als es seine Inquisitoren getan hätten. Zumal er den Tod seiner Tochter nicht miterleben musste, auch wenn es Gerüchte gab, dass die Toten auf die Lebenden herabblickten. Wenn das stimmte, bekam er eh alles mit. Ohne auch nur irgendwas zu spüren, drehte sich der selbsternannte Gott um und verließ die Kammer. Einer der niedrigen Inquisitoren würde die Leiche entfernen und verbrennen, sobald Altan die Erlaubnis dazu erteilte. Im Anschluss wurden dann alle Spuren davon beseitigt, als habe es diesen Menschen niemals gegeben. Etwas melancholisch fragte er sich: Wird mir das auch passieren? Wird man mich mal grausam zerfetzen und dann vergessen? Wyrnné meinte, dass ein Teil von ihm sich auf diesen Tag zu freuen schien. Der andere, viel größere Teil, tadelte ihn als Schwächling und schrie ihn an, dass er weitermachen musste. Es gab viel zu tun. Da draußen waren noch so viele Verräter, um die er sich kümmern musste...   Hammond war wirklich froh, als sich die kleine Gruppe auflöste und er endlich nach Hause konnte. Er lebte bescheiden, doch es reichte ihm vollkommen aus. Er beneidete weder die Reichen noch die Adligen um ihre Villen, Anwesen und Paläste. Auch nicht um die wohlerzogene und hochwohlgeborene Nachbarschaft, die dort hauste. Sein eigenes, kleines Haus war ein bisschen abseits von den eng zusammengepferchten Straßen. Recht dicht an der Außenmauern von Götterherz, sodass er schnell fliehen konnte, wenn es darauf ankam. Die Grundstücke daneben waren nur frei, weil er sie zusammen mit Kelvin aufgekauft hatte, als sie mit der Rebellion gemeinsam angefangen hatten. Als er ihn angeworben hatte, bestand diese Rebellion eher nur aus dem Anführer selbst. Durch den Soldaten kam recht schnell Zuwachs, weshalb er ihn als zu kostbar eingestuft hatte, als dass er in einer eng bewohnten Straße aufflog und starb. Dieses Privileg genoss er sehr. Trotzdem war er vollkommen schockiert, als er feststellte, dass die Tür nicht abgeschlossen war und drinnen mehrere Augenpaare ihn anstierten. Im ersten Moment zweifelte er an seinem Verstand. Er fragte sich, ob er nicht inzwischen doch zu alt war, weil er schon vergaß die Tür abzusperren. Dann kam kurz Panik hoch, weil Hammond davon ausgehen musste, dass man ihn enttarnt hatte. Das verpuffte allerdings, als Kelvin endlich eine Kerze entfachte und so die Gesichter aller Anwesenden lüftete: Das Herz ihrer Rebellion. „Bitte... Fühlt euch wie Zuhause.“, seufzte Hammond und legte seine Sachen ab. Von diesem Schock musste er sich erstmal erholen. Kelvin grinste und tat so, als wäre das alles vollkommen normal: „Gefällt dir das Empfangskomitee etwa nicht? Wie war deine Reise? Willkommen zurück, mein Freund!“ „Bestens.“, antwortete er skeptisch. „Was ist los? Ich bin nicht blöd...“ Er konnte in den Gesichtern der anderen sehen, dass sie auch noch nichts Genaues wussten. Mit ihm eingeschlossen, führten derweil fünf Leute die Rebellion an, die unterschiedlicher kaum sein konnten. Da gab es Elena de Windsor, die mit Abstand das jüngste Mitglied war. Kaum älter als zwanzig Winter, wunderschön und sehr faszinierend. Für eine geborene Adlige, eines ursprünglich hohen Ranges, war sie erstaunlich herzlich, gütig und aufgeschlossen für die Probleme der Welt. Zurzeit war sie nur dafür zuständig, ihnen Gold in die Kassen zu bringen. Dadurch, dass das Ansehen ihrer Familie so tief gesunken war, konnte sie kaum mehr bieten. Obwohl sie auf viele Festlichkeiten aus Höflichkeit weiterhin eingeladen wurde, bekam sie dort nur selten Gespräche mit, die wirklich halfen. Man verstummte in ihrer Gegenwart. Trotzdem quälte sie sich jedes Mal hin und versuchte es. Hammond vermutete, dass Kelvin mit ihr schlief. Ob da mehr dahintersteckte, wusste er nicht, glaubte aber auch nicht daran. Er kannte als einziger die wahre Geschichte um den Tod seiner Verlobten und des ungeborenen Kindes... Dorian war zu seinem besten Freund geworden. Ein eher beleibter Mann, der im mittleren Alter angekommen war und sich stets manierlich gab. Abgesehen von Elena, hatte er den feinsten Kleidergeschmack und versuchte auch nicht ständig die gleichen Sachen zu tragen. Sein Haar war leicht lockig, braun und kurz gehalten. Dorian hatte ihm mal bei einem Becher Met berichtet, dass er einst im Palast des Weltenlenkers gedient hatte, bis Kelvin ihn abgeworben hatte. Dadurch besaß er viele Kenntnisse über den Aufbau dieses Ortes und wie dort die Gepflogenheiten waren. Er hätte sich der Rebellion wohl niemals angeschlossen, wenn man dort nicht herausgefunden hätte, dass er ein Quellgeist war. Das bedeutete, dass er ein Essenzmagier war, der das Wasser kontrollieren konnte. Viele Quellgeister waren Gelehrte, weil sie viel klüger waren und sie kämpften nur, wenn es nicht anders ging. So war es auch bei Dorian. Hammond fand es immer noch faszinierend, dass diese Gaben indirekt beeinflussten, zu was sich ein Mensch entwickelte. Titanen waren eigentlich immer Krieger, Quellgeister Gelehrte, Drakonier Verbrecher und Sturmläufer Diebe oder Späher. Sie entwickelten sich selbst dann in diese Richtung, wenn sie von ihrer Begabung nichts wussten. Jedenfalls hatte Dorian diese Begabung fast sein Leben gekostet. Als einfacher Diener durfte er keine Magiebegabung mitbringen, weil der Weltenlenker so etwas nur Reichen, Adligen und angeblichen Gottheiten zusprach. Diener mit solchen Gaben waren entweder aus Affären oder hatten Gene aus früherer Zeit. Der Beleibte hatte Hammond berichtet, dass er einfach nur die Gene besaß, da seine Eltern auch bescheidene Diener gewesen waren. Nur glaubte der selbsternannte Gott so etwas niemals, egal wie sehr man darauf schwor. Schließlich war da noch Kyle. Er besaß keine magische Begabung, war kein Gelehrter und nicht vom Adel. Seine Talente beschränkten sich darauf, vieles gut und sauber organisieren zu können. Er plante Treffen der Rebellion, Reden, um an Mitglieder zu kommen und auch Unterschlüpfe. Für größere Einsätze machte er die Pläne, welche Wege sie nehmen sollten, um welche Uhrzeit es los ging und ähnliches. Darin war er wirklich gut! Kyle war auch ein passabler Kämpfer, doch kein Vergleich zu Kelvin oder ihm. Sie wussten aber, dass er sich im Notfall durchaus verteidigen konnte. Kyle war im Alter von Kelvin und es gab Gerüchte, dass sie zusammen aufgewachsen waren. Bisher hatte aber keiner von beiden darüber gesprochen. Doch man erwischte sie oftmals zusammen, wenn sie miteinander plauderten oder tranken. Sie wirkten immer sehr entspannt zusammen, was sehr für ein Vertrauensverhältnis sprach. Das hatte Kyle sicherlich diese hohe Position gesichert. Auch ehr hatte braunes Haar, das allerdings länger war als von allen anderen hier. Dazu trug er einen Bart, der mal besser gepflegt gewesen war. Kyle wurde immer nachlässiger mit der Zeit, was dafürsprach, dass auch er langsam müde wurde. Die Rebellion ging nun schon sehr lange und diese Schreckensherrschaft noch wesentlich länger. „Nun... Du erinnerst dich doch sicherlich an unsere Unterhaltung neulich...?“, begann Kelvin ausweichend. Wenn er sich so um etwas herumdruckste, dann war klar, dass er etwas angestellt hatte! Mit verengten Augen blickte Hammond ihn direkt an: „Was hast du getan?“ „In Ordnung, du willst, dass wir direkt zur Sache kommen, he?“, hinterfragte der Anführer immer noch hinhaltend. „Ich bitte darum.“ „Nun... Ich habe uns eine Gottheit gesichert!“ Den Schock aller Anwesenden konnte man in dem kleinen Häuschen nahezu anfassen! Keiner hier war auf den Adel, die vermeidlichen Gottheiten oder andere Dinge in diesem Bereich besonders gut zu sprechen. Späße darüber kamen erst recht nicht an! Für sie war aber definitiv klar, dass der Rebellenanführer einen dummen Scherz machen musste. Mit so jemanden arbeiteten sie nicht zusammen! Sie töteten grundlos Menschen und Nichtmenschen... Sie dienten freiwillig dem Weltenlenker! „Guckt doch nicht so...“, warf Kelvin ein und raffte sich auf. „Wir brauchen sie. Lebenswelt hat wirklich außergewöhnliche Fähigkeiten, dazu noch Einfluss und zahlreiche Möglichkeiten.“ „Sie?“, hakte Dorian sofort nach. Er war klug und ihm fielen solche Kleinigkeiten natürlich sofort auf. „Hatte ich das etwa nicht erwähnt? Die neue Gottheit, die sich nicht zeigt, ist eine Frau!“, erzählte er euphorisch. „Eine Frau! Ist das nicht witzig? Der Weltenlenker überlegt sicherlich schon seit Wochen, wie er das erklären soll!“ „Bisher kann ich keinen Witz entdecken...“, warf Elena ein und wirkte wenig amüsiert. „Wie kommst du darauf, dass so eine angebliche Gottheit uns helfen würde? Sie sind bisher stets loyal gewesen.“ „Bisher durften sie sich auch stets im Rampenlicht suhlen. Diese muss sich aber verstecken und darf sich ihren... Gläubigern nicht offenbaren.“ „Du setzt also darauf, dass sie ein Narzisst ist?“ „Genau.“ „Da sie nicht hier ist, sind da wohl Bedingungen, damit sie sich überhaupt aus ihrem goldenen Käfig wagt, oder?“, schlussfolgerte Hammond skeptisch. „Was will sie, damit sie uns tatsächlich hilft?“ „Oh, das wird euch gefallen!“, begeisterte sich Kelvin und allen war klar, dass es ihnen nicht gefallen würde. „Sie will, dass wir uns erstmal beweisen. Dass sie das Gefühl bekommt, dass wir den Weltenlenker wirklich stürzen können!“ Skeptisch zog der Soldat die Stirn kraus: „Und was noch?“ „Nichts weiter...“ „Keeeel~...“, sagte er langgezogen und kam auf ihn zu. „Was will sie noch?“ „Wenn sie sich anschließt, dann darf nicht ich mich auf den Thron setzen.“, gab er dann schließlich nach. „Sie will entscheiden, wer sein Nachfolger wird.“ „Und was ist, wenn sie den Platz einnehmen möchte?“, wollte Elena wissen. „Noch einen mit Gottkomplex können wir uns wirklich nicht mehr erlauben. Götterherz fällt doch jetzt schon auseinander.“ „Ich denke nicht, dass sie tatsächlich so narzisstisch ist, dass sie selbst herrschen möchte.“ „Wie schön, dass du das denkst.“, sagte Dorian sarkastisch. „Du denkst aber auch, dass wir Luftsprünge machen würden, wenn du uns ein Bündnis mit einem Gott vorschlägst. Oder war das jetzt schon beschlossen? Haben wir überhaupt ein Stimmrecht in dieser Sache?“ „Natürlich...“, antwortete Kelvin und schien es direkt wieder zu bereuen. „Aber darf ich vielleicht erstmal zu Ende berichten? Bisher habt ihr mich alle unterbrochen! Ich konnte noch gar nicht die ganzen Vorzüge auflisten.“ Es wurde eine Weile still in dem kleinen Haus. Einige schienen sich umzusehen, als wären sie das erste Mal hier. Oder als wunderten sie sich, dass der Soldat es hier so ordentlich hatte. Doch es war wohl eher so, dass sie die ganze Geschichte erstmal sacken lassen mussten und sich entscheiden, ob sie in diesem Augenblick noch mehr hören wollten. Kelvin hatte sie zu sehr überrumpelt. Nicht, dass es das erste Mal wäre, dass er über sein Ziel hinausschoss. Wenn er nicht aufpasst, dann spaltet er die Rebellion..., überlegte Hammond, der Kelvin stets vertraut hatte. Die Sache hätte er etwas besser durchdenken sollen. Dem mehr Zeit geben... Er ist manchmal zu ungestüm. Trotzdem mussten sie ihm zumindest die Möglichkeit geben, sich zu erklären. Vielleicht sahen sie wirklich einige Facetten des Plans nicht, die er umso deutlicher erkannte. Und vielleicht – aber auch nur vielleicht – konnte ihnen das wirklich einen Sieg einbringen. Den konnten sie wirklich gut gebrauchen! Immer mehr verloren ihren Glauben und wollten sich einfach nur noch fügen. Akzeptanz war einfacher als zu kämpfen... „Erleuchte uns.“, sagte der Soldat schließlich als erster. „Wunderbar. Wunderbar!“, freute sich Kelvin sichtlich erleichtert. „Der Weltenlenker vertraut seinen angeblichen Gottheiten blind. Er glaubt an ihre Loyalität, weshalb sie ihre eigenen Armeen bekommen, Priesterschaft und Anhänger. Er gibt ihnen Privilegien, die sonst kein zweiter hat. Das würde Lebenswelt Möglichkeiten geben, an Informationen für uns zu kommen oder Dinge zu entwenden. Ihre besonders fanatischen Anhänger würden sich uns außerdem sicherlich auch anschließen, wenn sie es tut. Also erweitert sich unsere Armee dann auch um einige Männer und Frauen. Hinzu kommt, dass ich mir eine... Kostprobe ihrer Gabe nehmen durfte. Sie ist eine geschickte Kämpferin und dazu noch eine Magiebegabte mit einzigartigen Fähigkeiten. Sie kann Kuppeln erzeugen, um selbst Magie verpuffen zu lassen! Was meint ihr, was das für ein Vorteil wäre, wenn wir mal gegen die Armee des Weltenlenkers antreten müssten? Wenn sie sich für uns entscheidet, dann fangen auch andere an am Weltenlenker zu zweifeln. Einmal, weil sie eine Frau ist, dann weil sie sich gegen ihn auflehnt. Vielleicht würden sich auch andere dieser Götter dann abwenden und uns unterstützen. Es wird auf jeden Fall Chaos stiften.“ „Wenn sie so mächtig ist, wie du behauptest, was schützt uns dann davor, dass sie sich nicht doch gegen uns wendet?“, hakte Elena skeptisch nach. „Nichts...“, gestand Kelvin schließlich etwas kleinlauter. „Sie ist so mächtig, dass keiner von uns ihr wirklich etwas entgegensetzen kann. Wenn sie uns wirklich feindlich gesinnt ist, weiß ich weder, wie ich sie töten könnte noch, ob es gelingen würde, selbst wenn wir wüssten wie.“ „Das müssen wir aber vorher wissen.“, sagte Dorian mit Nachdruck. „Bevor ein Bündnis überhaupt infrage kommt, müssen wir wissen, wie wir sie im Notfall ausschalten können! Sonst liefern wir uns wehrlos einer Macht aus, die größer ist als wir alle... Und wir sehen ja, wohin das geführt hat.“ Wieder kehrte Stille in die Runde ein. Sie alle wussten sehr genau, was die Machterhebung vom Weltenlenker für Konsequenzen mit sich gebracht hatte. Und dass nur, weil sich keiner seiner Macht entgegenstellen wollte, als er den Thron forderte. Er wurde ehrlich gewählt und als er es sich bequem gemacht hatte, konnte niemand mehr etwas dagegen unternehmen. Als habe er das vom ersten Tag geplant gehabt. Wenn sie Pech hatten, dann war sie der zweite Weltenlenker. Nur, dass sie dann die Schuldigen waren, wenn sie ihr dann auf den Thron halfen. Wie sollten sie mit dieser Schuld leben? Es war jetzt schon kaum auszuhalten! Es fühlte sich ständig so an, als täten sie nicht genug. Als mussten deshalb so viele Menschen und Nichtmenschen weiterhin sterben oder leiden. „Ja, ich stimme zu.“, sagte der Soldat dann offen. „Wir müssen erst wissen, wie wir sie notfalls töten oder sie zumindest stoppen können, ehe wir ein Bündnis schließen. Und wir müssen die Methode oder Methoden vorher testen!“ „Wie sollen wir das testen?“, hinterfragte Kyle skeptisch. „Wir können sie schlecht bitten, dass wir mal an ihr probieren, ob wir einen Weg zu ihrer Tötung gefunden haben. Oder zumindest zur Bindung ihrer Kräfte...“ „Nicht an ihr, du Narr!“, erwiderte Hammond abwinkend. „An einem uns feindlich gesinnten Gott. Einer, wo ganz sicher ist, dass er sich uns niemals anschließen würde. Wir recherchieren so viele Möglichkeiten, wie wir finden können, dringen in dessen Palast ein und probieren alle aus. Entweder funktioniert dann eine oder nicht.“ „Wie stellst du dir das vor?“, erkundigte sich Kyle. „Wir können da nicht reinspazieren und vorschlagen, dass wir ein paar Tötungsmethoden an ihrer Gottheit ausprobieren wollen. Vielleicht glauben wir nicht an sie, aber ihre Anhänger tun es ohne Zweifel.“ „Kelvin hat es einmal geschafft und das alleine. Da bin ich sicher, dass er es ein zweites Mal mit Verstärkung schaffen kann.“ Nun richteten sich wieder alle Blicke auf den Rebellenanführer, der wirklich sehr zufrieden wirkte. Die Erwartungen an ihn waren vielleicht hoch, doch letztendlich hatte er sein Ziel erreicht. Sie hatten indirekt zugestimmt, dass sie die Göttin in der Rebellion aufnahmen! Es würde zwar viel Arbeit bedeuten, um nach einer Methode zu forschen, mit der sie diese angeblichen Götter töten konnten und sie mussten sich dann immer noch beweisen, aber sie waren auf dem richtigen Weg. Zumindest hoffte er das. Feierlich hob er die Hände: „Kein Problem! Das kriegen wir alles hin.“ Keiner von ihnen schien auch nur ansatzweise zu glauben, dass das kein Problem für sie darstellte. Weder die Göttin von ihrer Sache zu überzeugen noch herauszufinden, wie man ein angeblich unsterbliches Wesen endgültig umbringen konnte, wenn es sein musste. Doch es gehörte zu Kelvins besonderen Charme sich optimistisch zu geben. Wege zu finden, die unmöglich schienen und sie dann doch einfach zu beschreiten, als wäre es keine Herausforderung für ihn. Wenn Hammond eines wusste, dann, dass die meisten Leute sich ihnen angeschlossen hatten, weil sie von dem eigenartigen Charme des Anführers gelockt worden waren. Durch ihn hatten sich nur einige Soldaten angeschlossen, die nach Disziplin suchten oder einer Arbeit. Männer, die man aus irgendeinem Grund aus ihrem Dienst entlassen hatten, aber nicht bereit dazu waren. Er hatte es dem Rebellenanführer mehrmals sagen wollen, doch er hatte nicht hingehört. Stattdessen hatte er den Titan zu seiner rechten Hand gemacht und schloss ihn in alle Entscheidungen mit ein. Er war ehrlich zu ihm. Ganz anders als zu allen anderen, hatte er Hammond jedes Details seines Lebens erzählt. Er wusste, dass er ein Adliger war. Er wusste um Amelie. Seine Beweggründe waren ihm kein Rätsel. Trotzdem schaffte Kelvin es, seine Geschichte überall anders wiederzugeben, um sich anzupassen. Hier wurde ein Detail weggelassen, dort einige hinzugefügt, um Gruppierungen zu überzeugen. Bisher war dieses Lügenmärchen noch nicht aufgeflogen, weil die Rebellen nicht über intime Geheimnisse untereinander sprachen, doch irgendwann konnte dieses Kartenhaus zusammenfallen. Erst recht, wenn er anfing, mit so großen Mächten zu spielen. Doch ich kann nicht abstreiten, dass wir Lebenswelt brauchen werden., schnaubte er gedanklich. „Vielleicht habe ich die Lösung für zumindest eines unserer Probleme.“, warf Hammond endlich ein. Diese Gelegenheit war einzigartig! Alle Köpfe der Rebellion waren anwesend und sie schienen keine weiteren Themen zu haben. „Welches meinst du genau? Den Größenwahn unseres Anführers? Unsere Mittellosigkeit?“, witzelte Dorian amüsiert. „Oder doch den wahnwitzigen Plan, einen Gott zu rekrutieren?“ „Das letzte.“ Wenn an diesem Abend eines häufig der Fall war, dann war es diese schockierte Stille. Wenn die Leute anfingen, nach der Wahrheit zu suchen. Wenn sich niemand sicher war, ob hier gerade gespaßt wurde oder hier mit Tatsachen gearbeitet werden sollten. „Elena bat mich, ein paar Missionen anzunehmen, um uns einige Münzen einzubringen. Deshalb war ich ja auch die Tage verreist. Ich habe eine Karawane begleitet.“ „Eine wirklich spannende Geschichte...“, warf Dorian ungeduldig ein. „Worauf möchtest du hinaus?“ „Sei doch nicht so ungeduldig, mein Freund. Die Pointe kommt schon noch.“, ermahnte der Soldat den Quellgeist. „Jedenfalls hat der Karawanenanführer nicht nur mich angestellt, sondern noch zwei weitere Leibwächter. Er misstraute offenbar ihren Fähigkeiten... Eine dieser Personen war Athena höchstpersönlich.“ In diesem Augenblick wurde vor allem Kelvin hellhörig. Er versuchte schon seit Monaten Kontakt mit der Attentäterin aufzunehmen, die für Angst und Schrecken in den Adelshäusern sorgte. Bisher aber erfolglos. Anfragen auf eventuelle Missionen hatte sie höflich abgelehnt, ohne sich ihm zu zeigen. Als er versucht hatte, sie ausfindig zu machen, indem er ihre nächsten Missionen in Erfahrung brachte, hatte sie ihn immer wieder sauber abgeschüttelt. Er hatte nicht mal eine Haarspitze zu Gesicht bekommen! Kelvin war irgendwann richtig frustriert gewesen, weil er nicht mal die Gerüchte bestätigen oder verneinen konnte, wenn es um ihr Geschlecht ging. Immerhin gab es kaum so starke Frauen. Noch weniger davon übten einen derartigen Beruf aus. Es war wahrscheinlicher, dass ein Mann dahintersteckte und zu den Verhandlungen als Tarnung eine Frau schickte. So konnte man auch jeden in Sicherheit wiegen. Frauen waren durch die schlechte Propaganda des Weltenlenkers nicht besonders hoch angesehen. Jedoch wurden sie gerne als Mittelsmann für besondere Geschäfte genutzt. Nach all den Bemühungen und dem Versagen, sagte nun Hammond einfach salopp, dass er sie durch Zufall kennengelernt hatte. Man konnte dem Rebellenanführer den verletzten Stolz ansehen, auch wenn er mit sich rang. Eigentlich sollte er sich freuen, weil nun endlich mal in der Richtung sich etwas entwickelte. „Und du bist dir ganz sicher?“, hakte Kelvin dennoch nach. „Eine Verwechslung ist ausgeschlossen?“ „Ich habe sie kämpfen sehen, Kel.“, wandte Hammond gelassen ein. „Entweder vermehren sich die Frauen mit außergewöhnlichen Kampftalent oder sie war es wahrhaftig.“ „Also steckt hinter dem Decknamen tatsächlich eine Frau? Die Gerüchte stimmen soweit?“ „Alle Gerüchte stimmen, würde ich sagen.“ Nun musste der Anführer doch lachen: „Ach ja? Auch die, dass sie ein rothaariger, tollpatschiger Mann sei? Oder, dass sie mal rote, dann braune und schließlich wieder schwarze Haare hat?“ „Ja, es stimmt absolut alles.“ Wieder Stille. Wenn es so weiterging, hatte sich die Rebellion bald nichts mehr zu sagen. Zumindest kam es Hammond allmählich so vor... „Der besagte rothaarige Mann ist ihr Partner. Vielleicht auch ein Teil ihrer Tarnung... Er war die andere Person, die angeheuert wurde.“, erklärte der Soldat schließlich zufrieden. „Sie selbst hat mir erzählt, dass sie durch Magie ihre Hare für die Aufträge färbt, um ihre Identität geheim zu halten. Deshalb sind die ganzen Geschichten über sie so... uneindeutig.“ „Man kann sich durch Magie die Haare färben?“, hinterfragte Dorian sowohl verwundert als auch mit echtem Interesse. „Ganz bestimmt?“ „Sie hat versucht es mir zu erklären, aber ich kann es nicht wiedergeben. Sie hat es mir auf der Rückreise dann einmal gezeigt. Also ja, das geht wirklich.“ „Das erklärt tatsächlich einiges...“ „Jedenfalls habe ich ihr auch ein Bündnis vorgeschlagen. Sie ist noch nicht überzeugt, wollte aber über die Möglichkeit nachdenken.“, ergänzte Hammond vorsichtig. „Wenn sie es in Erwägung zieht, würde sie mit uns das Gespräch suchen und dann endgültig entscheiden.“ „Inwieweit sollte uns das weiterhelfen?“, hinterfragte der Rebellenanführer. „Abgesehen davon, dass sie für uns einige schwer bewachte Adlige kopflos machen kann.“ „Denk‘ doch mal nach, Kel! Wenn sie zu unseren Verbündeten gehört, wird das auch Lebenswelt locken.“, konterte der Soldat sofort. „Nicht nur, weil sie beide Frauen sind, sondern weil sie beide mächtig sind. Wenn Lebenswelt recherchiert, wird sie von einer hundert prozentigen Erfolgsquote dieser Attentäterin lesen. Sie wird außergewöhnliches Kampfgeschick erkennen. Und einsehen, dass wir viel zu bieten haben, um unsere Ziele tatsächlich zu erreichen. Außerdem ist Athena viel herumgekommen und scheint mehr über den Weltenlenker zu wissen, als sie zugeben wollte. Mir war so, als wollte sie einmal sogar seinen wahren Namen benutzen, doch sie brach leider ab.“ „Sie weiß, wer er vorher war?“, fragte Kyle vollkommen schockiert. „Es gibt kaum Berichte vor der Zeit des Weltenlenkers! Wir haben alles versucht, um auch nur herauszufinden, ob er vorher auch schon schwarze Haare hatte...“ „Ich kann nicht viel dazu sagen, solange sie uns nicht erzählt, woher sie all das weiß.“, murmelte der Titan vorsichtig. „Aber ich vermute mal, dass sie sich aus der Zeit kennen, bevor er sich zum Gott ernannte. Wenn das wahr wäre, dann weiß sie vielleicht, wie man ihn und seine Götter ausschalten kann. Oder sie weiß zumindest, wo wir nach diesen Antworten suchen müssen.“ „Also müssen wir jetzt letztendlich versuchen, Athena von uns einzunehmen und über sie eine Möglichkeit zur Tötung von den Göttern zu finden, damit sich dann auch Lebenswelt uns anschließen kann...“, fasste es Kelvin nachdenklich zusammen, nickte dann aber. „Ja, das könnte tatsächlich funktionieren. Hamm hat recht: Wenn man sich die Berichte durchliest, dann ist das Machtpotenzial von Athena mindestens genauso überragend wie das der Götter. Ganz davon abgesehen, dass sie auch eventuelle Tötungsversuche gegen die Götter übernehmen könnte. Sie kommt überall rein.“ „Vor allem kommt sie überall rein und raus ohne Aufsehen zu erregen.“, amüsierte sich Dorian. „Zwar sind die Leute im Anschluss recht kopflos, aber sonst weiß kaum einer, was eigentlich passiert ist, bis es passiert ist. Da könnten einige von uns noch was lernen.“ „Reitet ihr immer noch darauf rum, dass ich den Alarm mal ausgelöst habe?“, stöhnte der Anführer gespielt genervt. „Das kann doch mal passieren!“ Kyle schüttelte zweifelnd seinen Kopf: „Einmal? Du meinst wohl eher jedes Mal, wenn wir irgendwo einbrechen wollen!“ „Hey, hey, hey! Ab und zu komme ich ungesehen zurück. Zum Beispiel bei Lebenswelt!“ „Ein blindes Huhn, findet auch mal ein Korn.“ Alle fingen an zu lachen. Sich auf Kosten des Rebellenanführers zu amüsieren, war immer wieder witzig. Vor allem, weil das alles der Wahrheit entsprach. Kelvin schaffte es einfach nicht, nicht die Wachen aufmerksam zu machen. Jedes Mal mussten sie mit einer Traube von Verfolgern die Flucht antreten! Im Anschluss hieß es dann abtauchen und abwarten. Bei Athena sah es anders aus. Sie sorgte für Aufregung, nachdem sie ihren Job erledigt hatte und längst in Sicherheit war. Dann fing die Hexenjagd nach ihr zwar auch an, doch niemand wusste, nach wem wirklich gesucht wurde. Deshalb verebbte das Chaos schnell, während sie unbeschadet aus der Sache herauskam. „Und wie wollen wir Athena für uns gewinnen?“, warf dann Elena ernst ein. „Wenn sie auch so mächtig ist, wird sie sich nicht einfach mal so anschließen. Auch sie wird überzeugt werden müssen.“ „Das ist natürlich wahr.“, antwortete Hammond gelassen. „Aber ich konnte sie davon überzeugen, dass sie mit mir ein paar Aufträge macht. Ich werde dann versuchen, sie von einer Unterhaltung mit uns zu überzeugen. Ich denke, dass unsere Argumente dann ausreichen werden, wenn sie uns erstmal Gehör schenkt.“ „Dann haben wir ja nun einen Plan. Einen zeitaufwändigen, langweiligen Plan, aber einen Plan.“, sagte Kelvin entspannt. „Wer hat Hunger? Also ich kriege nach so einem Kriegsrat ja immer Kohldampf! Hamm... Du solltest deinen Gästen etwas kochen.“ Gespielt rollte der Soldat mit seinen Augen: „Schön, dass ihr euch selbst einladet. Und dass ich letztendlich auch die Probleme gelöst habe. Danke, Hamm, das hast du toll gemacht.“ Um seinen Sarkasmus noch ein bisschen zu untermauern, tätschelte sich der Titan selbst seine Schulter. Das löste wieder allgemeines Gelächter aus. Trotzdem begab er sich anschließend in die recht kleine Küche, um für die Truppe etwas zu kochen. Er hatte eigentlich immer viele Lebensmittel da, um immer versorgt zu sein. Aber auch, damit er in solchen Situationen etwas auf den Tisch zaubern konnte. Hoffentlich habe ich nicht zu viel versprochen..., sinnierte er zweifelnd. Wenn ich Athena doch nicht überreden kann, dann fällt das ganze Kartenhaus zusammen. Aber wir haben auch nicht wirklich eine Wahl... Zumindest dann nicht, wenn sie wirklich gewinnen wollten. Sie brauchen übernatürlich große Mächte, damit sie sich einer ebenso großen, übernatürlichen Macht wie dem Weltenlenker stellen wollten.   Schon vor einigen Tagen hatten die Späher berichtet, dass eine Gruppe nach Rabenwacht unterwegs war. Es waren offizielle Boten des Weltenlenkers, die eine Eskorte aus einem Fessler, zwei Drachenhetzern und drei einfachen Soldaten besaß. Die Boten selbst waren wohl ganz einfache Menschen ohne besondere Begabungen. Doch wenn sie so gut bewacht wurden, dann war die Nachricht, die sie zu übermitteln hatten, sehr wichtig oder es ging um kostbare Ware. Seit Konstantin wusste, dass sie bald hier waren, war er regelrecht gereizt. Heute war der Tag der Ankunft. Das zwang den König dazu, sich in feine Gewänder hüllen zu lassen, seine Krone zu tragen und einen anmutigen Platz auf dem Thron einzunehmen. Der weinrote Samtstoff fühlte sich falsch an. Sonst bevorzugte er rotgefärbtes Leder, welches sich perfekt an seine Haut schmiegte. Beim besten Willen konnte er sich nicht erklären, was der Adel an diesen ganzen Stoffen so fantastisch fand! Am meisten hasste der Brünette sogar die goldenen Knöpfe, die sich von seinem Hals an bis zu seinem Schritt herunter arbeiteten. Mit dem dicken Ledergürtel konnte er sich hingegen noch anfreunden, auch wenn dieser ebenfalls durch eine goldene Schnalle zusammengehalten wurde. Die schwere, goldene Krone erinnerte ihn an den Tag seiner „Krönung“. Auch ein Grund, weshalb er sie nicht gerne trug. Zur Sicherheit waren sowohl Durell als auch Benedikt anwesend. Die beiden Hauptmänner schienen miteinander befreundet zu sein und unterhielten sich leise. Ihnen war die Unruhe ihres Herrschers durchaus aufgefallen, doch sie wussten nicht so recht, wie sie ihm tatsächlich helfen konnten, damit er sich beruhigte. Ihr könnt mir nicht helfen..., dachte Konstantin seufzend. Nicht bei dieser Sache. Nicht, wenn Boten vom Weltenlenker mein Heim ansteuern. Er wird von den Gesetzesänderungen gehört haben... Das sind meine Henker! Mit stummer Verzweiflung fuhr sich der König über seinen gepflegten Drei-Tage-Bart, der ihn etwas reifer wirken ließ als er war. Das war für ihn irgendwann die Distanz zu seinem Prinzen-Dasein, in dem er noch ein anderer Mensch gewesen war. Ein wirklich glücklicher, humorvoller und ehrlicher junger Mann. Einer, der gerne Streiche spielte und zu keiner noch so dummen Mutprobe jemals „Nein“ sagte. Die Krone hatte ihn gezwungen, erwachsen zu werden. Schlussendlich war es das Beste für das Volk gewesen und er bereute es auch nicht, dass er es für sie zumindest versuchte, doch das machte es nicht einfacher. Mit dem Tod seines Vaters, hatte er seine Identität ebenso verloren. Einer seiner Diener kündigte schließlich die Ankunft von Boten aus Götterherz an. Bleiern deutete er an, dass er sie hereinlassen sollte und versuchte die Bilder zu verdrängen, die er vor seinem geistigen Auge sah. Die blutverschmierte, gefolterte Leiche seines Vaters. Die ersten Nächte danach, in denen er mit der Krone auf dem Kopf einfach nur in der Dunkelheit gesessen und mit feuchten Augen in die Leere gestarrt hatte. Er schluckte den Schmerz herunter. Er musste ihn herunterschlucken! Wie die Späher berichtet hatten, war ein Fessler, zwei Drachenhetzer und drei Soldaten dabei. Zu seiner Überraschung war aber auch eine Frau unter den beiden Boten. Ohne sie jemals persönlich gesehen zu haben, wusste der König dennoch, wer sie war. Ihre schwarze Rüstung, die dennoch Bewegungsfreiheit gewährte, das kurze, schwarze Haar und das dazu so unpassend zarte Gesicht verrieten sie. Solche Frauen gab es kaum noch! Starke, mächtige und gefürchtete Frauen. „Lady Sor’car...“, grüßte er sie mit durchgedrücktem Rücken. „Was verschafft mir die Ehre?“ „Majestät.“, erwiderte die Frau nüchtern. „Der Weltenlenker schickt mich mit einer Botschaft.“ „Und Ihr brauchtet dafür eine halbe Armee? Ich hörte von Armeen, die Ihr alleine geschlagen habt...“ „Alles nur Gerüchte, Mylord.“, winkte sie mit einem düsteren Grinsen ab. „Es waren nur zwei Armeen.“ Ich wusste nicht, dass sie Sinn für Humor hat., dachte Konstantin nervös. Ich weiß nur, dass sie kein Mensch ist. Ein Drache ist sie... Das weiß inzwischen jeder. Deshalb würde er sie gewiss nicht reizen. Drachen waren temperamentvoll und konnten tatsächlich Armeen auslöschen, wenn diese nicht wussten, wie man gegen eine solch übergroße Echse ankam. Der König wusste, dass er weder die Männer noch die Waffen für solch ein Unterfangen hätte. Verwandelte sie sich, wäre Rabenwacht verloren. „Welche Botschaft habt Ihr für mich, Lady Sor’car?“, erkundigte er sich mit ruhiger Stimme. Bisher konnte er seine Angst gut verstecken und sich anmutig im Thron halten. „Der Weltenlenker möchte, dass Ihr uns begleitet und ihn in Götterherz aufsucht.“, sagte sie salopp. „Deshalb die Eskorte. Er will sich sicher sein, dass Ihr heil bei ihm ankommt, damit ihr reden könnt.“ „Wie stellt er sich das vor? Ich habe Verpflichtungen, denen ich nachkommen muss.“ „Genauso wie der Weltenlenker. Nur dass er viel mehr davon hat und deshalb nicht selbst herkommen kann. Ihr habt doch eine Frau, die Euch vertreten kann.“ „Elize?“, hinterfragte Konstantin mit hochgezogener Augenbraue. „Ihr kennt sie wohl nicht besonders gut, was? Ich bin nicht davon überzeugt, dass sie überhaupt lesen kann – geschweige denn ein Königreich regieren.“ „Unabhängig von der Intelligenz Eurer Gattin, werdet Ihr uns morgen begleiten.“ „Schon morgen?!“ „Wir konnten Euch keine Taube schicken. Es wäre gut möglich gewesen, dass Ihr dann davongelaufen wärt...“ „Ich wusste seit einer Woche, dass Ihr kommt.“, erwiderte er gereizt und erhob sich nun endlich. „Was wollt Ihr mir also unterstellen, Lady Sor’car? Dass ich ein Feigling sei?“ Sein eigener Mut überraschte ihn selbst. Er zitterte nicht, obwohl er nun auf seinen Füßen stand und es sogar wagte, auf sie zu zuschreiten. Erhaben und dominant. Obwohl die Wachen der Drachendame sich in den Weg stellten, blieb er erst knapp vor ihnen stehen. Irgendwas schien er richtig zu machen, denn die Schwarzhaarige senkte kurzzeitig entschuldigend den Blick: „Selbstverständlich nicht, Majestät. Ihr beweist jetzt schon sehr großen Mut. Daran zweifle ich keine Sekunde lang.“ „Gut.“, schnaubte der König, behielt aber seine aufrechte Körperhaltung bei, während er mit gespreizten Beinen mehr Platz beanspruchte. „Warum genau soll ich nach Götterherz kommen? Ist es wirklich so dringend?“ „Könnt Ihr Euch nicht denken, worum es gehen wird?“, hakte die Frau vorsichtig nach. „Doch seid unbesorgt, Majestät, wenn er Euren Kopf wollte, dann würde er Euch vorher nicht einladen. Und Ihr hättet ihn längst nicht mehr.“ „Sehr beruhigend...“ Jetzt erst spürte er die überraschten Blicke von seinen Hauptmännern und den abgestellten Leibwächtern. Offenbar hatte keiner damit gerechnet, dass er so sehr auf Konfrontationskurs gehen würde. Wie auch? Er hatte es ja selbst nicht kommen sehen! Bisher hatte sich Konstantin stets selbst für einen Angsthasen gehalten. Sie hat recht... Der Weltenlenker will vermutlich irgendwas wissen, sonst würden wir hier nun nicht plaudern., sinnierte er für sich. Wahrscheinlich will er mich foltern und wenn er hat, was er will, tötet er mich. Dann lässt er mich für jemanden ersetzen, der sich ihm blind beugt... Das bedeutete, dass er bis zu seiner Ankunft in Götterherz absolut sicher war. Ironischerweise war der sicherste Ort nun wohl an Sor’cars Seite. Zumindest solange, bis sie Heimdall erreicht hatten und sie ihn dort ablieferte. Jedoch machte sie deutlich, dass es keinen Aufschub geben würde. „Dann werde ich wohl heute Nacht versuchen müssen, dieser Frau ein bisschen Verstand einzuhämmern.“, seufzte der König schließlich. „Das nächste Mal solltet Ihr einfach darauf vertrauen, dass nicht gleich die Flucht ergriffen wird.“ „Das solltet Ihr lieber dem Weltenlenker sagen. Ich wollte sowieso eine Taube schicken und nicht herkommen.“ „Gut, dann werde ich es ihm sagen. Er wird sicherlich begeistert sein.“, winkte er sarkastisch ab. „So begeistert wie ich es bin.“ „Eure Freude ist wahrlich erschlagend.“ „Ich werde noch eigene Männer mitnehmen.“, warf Konstantin streng ein. „Nichts für ungut, aber ich traue diesen... Kreaturen nicht.“ Abschätzend deutete er sowohl auf den Fessler als auch die Drachenhetzer. Beide Schöpfungen zeigten sofort einen Anflug von Feindseligkeit und wären wohl losgestürmt, wenn Sor’car nicht herrisch ihre Hand gehoben hätte. Sie gebot ihnen Einhalt, auch wenn es ihnen nicht gefiel. „Selbstverständlich dürft Ihr einige Eurer eigenen Männer mitnehmen.“, erwiderte die Schwarzhaarige gelassen. „Aber übertreibt es nicht. Eine ganze Armee ist nicht erwünscht.“ „Selbstverständlich nicht.“ Wortlos winkte der König eine Zofe heran, die sich ängstlich hinter einer Säule verkroch. Das arme Ding musste von dem Anblick dieser Kreaturen vollkommen verängstigt sein! Verständlich... Jeder kannte die Geschichten über diese. In diesem Raum war keiner wirklich sicher, solange diese Bestien noch hier waren. Deshalb zwang er sich, auch möglichst sanft mit ihr zu sprechen: „Bereitet zwei Zimmer für unsere Gäste vor und lasse ihnen Speisen bringen. Morgen früh auch Frühstück.“ „Natürlich, Majestät...“, stotterte das junge Ding nervös. „Du darfst jetzt gehen.“ „Danke, Herr!“ Das ließ sie sich nicht zwei Mal sagen. Sofort nahm sie ihre Beine in die Hand und lief davon, um sich um ihren Auftrag zu kümmern. Nur würde sie deshalb heute Nacht nicht ruhiger schlafen. Er auch nicht... „Bitte, fühlt Euch wie... Zuhause.“, sagte er nicht ganz so ehrlich. „Ich muss mich nun um sehr viele Angelegenheiten kümmern.“ „Selbstverständlich. Danke für Eure Gastfreundschaft.“ „Ich hoffe, ich muss nicht extra erwähnen, dass hier keiner irgendwelche Leute töten darf?“, warf er skeptisch ein. „So sehr Zuhause sollte sich hier keiner fühlen.“ Sor’car musste doch etwas hämisch kichern, als sie das hörte: „Wir werden uns zusammenreißen, auch wenn es schwer sein wird.“ „Danke sehr.“ Mit einer Verbeugung drehte sich die Frau um und wies ihrer Eskorte harsch an, sie zu begleiten. Es gab noch böse Blicke von den Kreaturen, aber sie gehorchten ihr trotzdem aufs Wort. So viel Gehorsam hatte er nur durch den Weltenlenker erwartet. „Ihr wollt sie wirklich begleiten?“, hinterfragte Durell derweil leise. „Sie wollen Euch gewiss in Götterherz umbringen.“ „Ich habe nicht gerade eine Wahl...“ „Da hat der König recht.“, mischte sich Benedikt ungefragt ein. „Deshalb sollten wir uns vorbereiten, damit es nicht soweit kommt. Wir haben einen entscheidenden Vorteil.“ Durell zog skeptisch die Stirn kraus und blickte ihn dann verwirrt an: „Ach ja? Der wäre?“ „Wir wissen, was sie vor haben.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)