Die Drachensonate von Kylie (Band 2 - Drachen-Saga) ================================================================================ Kapitel 1: Eine neue Welt ------------------------- Hammond wusste, dass er die Welt hasste, die der „Weltenlenker“ erschaffen hatte. Der selbsternannte Gott verkaufte sich zwar als Messias und als Retter der Oberwelt, doch wenn man mal ehrlich war, war er nichts weiter, als ein verdammter Tyrann. Er entschied über Leben und Tod. Er entschied, welche Rassen es verdienten, zu leben, frei zu sein oder versklavt zu werden.   Die Rassenvielfalt war längst nicht mehr geboten. Die Drachen waren so gut wie ausgerottet, ebenso wie die Zwerge und Orks. Die Menschen hingegen vermehrten sich wie die Karnickel! Es schien viele von ihnen nicht zu stören, dass sie ihren Weg auf Leichen aufbauten. Oftmals schien es ihnen sogar egal zu sein, wenn diese Leichen Menschen waren. Er war kein Mischling oder Nichtmensch. Er war ein reinrassiger Mensch, der eine glänzende Zukunft vor sich gehabt hatte. Hammond vermutete, dass er schon Hauptmann oder Kommandeur wäre, wenn er seinem Pfad einfach treu geblieben wäre. Einen besseren Soldaten hatte es in seinem Trupp nicht gegeben! Dazu kam, dass er ein außergewöhnlich talentierter Titan war, der seine Magie gut einzusetzen wusste. Die waren auch nicht mehr sehr häufig... Schweigend betrachtete er sich in dem alten, vergilbten Spiegel, der hier und da schon Risse aufwies. Er war von großer Statur. Fast zwei Meter! Dazu hatte er so viele Muskeln, dass man wohl tatsächlich von einer Berglandschaft sprechen durfte. Sein schwarzes Haar trug er kurz, während sein ebenso schwarzer Bart durchaus gepflegt gestutzt war. In diesem Augenblick trug er nicht seine eindrucksvolle Rüstung, sondern bloß ein einfaches Hemd und eine abgenutzte Lederhose, das machte ihn aber nicht weniger eindrucksvoll. Als er noch gedient hatte, war seine Kleidung hochwertiger und sauberer gewesen. Seine Haare hatte er sich nicht selbst schneiden müssen. Eigentlich war es ihm wirklich gut gegangen! Selbst die Bezahlung hatte keinen Grund zum Klagen aufkommen lassen. Jeder würde ihn einen Idioten schimpfen, weil er all das aufgegeben hatte. Doch das Herz wollte, was es wollte... Er hatte diese eine Frau gewollt! Wunderschön, temperamentvoll und so exotisch. Die Dirne seines Herren, welche regelmäßig fast von ihm totgeprügelt worden war. Trotzdem hatte sie ihm immer wieder Paroli geboten. Letztendlich hatte das aber natürlich zu immer mehr Gewalt geführt oder zu noch schlimmeren sexuellen Übergriffen als sowieso schon. Hammond erinnerte sich noch genau an den Tag, als sein Herr besonders wütend auf sie gewesen war. Leandra hatte wieder irgendwas gesagt, was ihm überhaupt nicht gefallen hatte. Dafür ließ er ihr die Kleidung vom Leib reißen und alle höher gestellten Soldaten durften sie vergewaltigen. Es war ein schrecklicher Anblick gewesen, an dem sich zu viele beteiligt hatten! Er nicht... Er hatte zusehen müssen. Doch Leandra gönnte ihnen den Sieg nicht. Sie hatte weder geweint noch um Gnade gebettelt. Stattdessen hatte sie die Massenvergewaltigung über sich ergehen lassen und sich zurückgezogen, sobald man es ihr erlaubt hatte. Stolz und mit erhobenem Haupt. Er hatte Soldaten gesehen, die nach ein paar Toten auf dem Schlachtfeld wesentlich angeschlagener gewesen waren! Doch sie tat so, als hätte all das eine andere Frau erlebt. Nicht sie. An jenem Tag entschied er, dass er sie endlich ansprechen wollte. Er wollte diese starke, impulsive Person kennenlernen, die all den Widrigkeiten trotzte. Dennoch musste Hammond sich überwinden, um es endlich zu wagen, sie in einem ruhigen Moment anzusprechen. Natürlich hatten sie alleine sein müssen! Wenn er, als einfacher menschlicher Soldat die nichtmenschliche Dirne seines Herren ansprach, konnten schnell Gerüchte aufkommen. Die konnten ihnen beiden den Kopf kosten! Und alles musste subtil ablaufen. Diskret. Sicherlich wusste das auch Leandra, die sich einfach zu ihm drehte und die Arme vor der Brust verschränkte: „Du hast mich aber lange warten lassen.“ „Was-...? Wie bitte?“, hinterfragte er damals atemlos. „Wie lange beobachtest du mich jetzt schon?“, warf Leandra selbstbewusst ein. „Auf jeden Fall schon sehr lange. Und du hast mich partout nicht angesprochen, obwohl ich darauf gewartet habe.“ „Ihr habt darauf gewartet, Mylady?“ „Nenn‘ mich nicht so.“, warf sie herrisch ein. „Ich bin vieles, aber gewiss keine Lady.“ Zum ersten Mal hatte der Krieger die Möglichkeit, diese wunderschöne Frau genauer zu betrachten. Ihr Haar war rot wie das lechzende Feuer! Die Haut leicht gebräunt und hier und da konnte man Sommersprossen erkennen. Nur sehr blass, aber sie waren da. Dazu kamen seltsam schimmernden Augen, die beinahe wie flüssiges Gold aussahen. Wunderschön, aber irgendwie auch bedrohlich. Jetzt, wo er sie so genau betrachtete, fielen ihm auch die Schuppen auf, die hier und da an ihrem Körper schimmerten. Nicht in ihrem Gesicht, aber an den Armen und auch an den Beinen. Manche waren deutlich zu erkennen, andere nur zu erahnen. Hammond wusste, dass wenn er sie berühren würde, er mehr von ihnen spüren konnte. Hier und da würden die scharfen Schuppen ihn sicherlich sogar schneiden! Das war so bei der menschlichen Gestalt eines Drachen. Nicht perfekt, aber sehr stabil und sie wussten sich durchaus selbst zu verteidigen und sich über ihren Schuppenmantel zu schützen. Soweit er wusste, konnten Drachen sogar in ihrer menschlichen Form Klauen oder Dornen haben. Also hatte sie sogar eine fast fehlerfreie Erscheinung, wenn man es so wollte. Trotzdem waren die Gesetze eindeutig, wenn es um Drachen ging. Der Weltenlenker verbat den Kontakt zu ihnen vollständig. Sie durften nicht mal als Sklaven, Soldaten oder Spielzeug verwendet werden. Er beschrieb sie als gefährlich, unkontrollierbar und eine Gefahr für die gesamte Menschheit. Vermutlich hatte er damit sogar ausnahmsweise mal recht. Sie waren gefährlich! Wenn sich ein Drache verwandelte, konnte er ganze Städte niederfackeln oder sogar Kontinente dem Erdboden gleich machen. Doch das taten sie nicht. Das schlimmste, was er jemals gehört hatte, dass einige Drachen mal Herden von Nutzvieh gerissen hatten. Er meinte sich zu erinnern, dass auch hier von totem Vieh gesprochen worden war. Erst vor einigen Tagen. Die Vermutung war gewesen, dass Wölfe oder andere Raubtiere diese gerissen hatten. Hammond vermutete nun aber eher, dass das Raubtier ein wenig größer gewesen war und auch schuppiger. Leandra lächelte: „Unser gemeinsamer Herr mag das Risiko. Selbst wenn es ihn den Kopf kostet.“ „Warum fliehst du nicht?“ „Was würde mir das bringen? Irgendein anderer Adliger würde mich aufgreifen und vielleicht noch schlimmer mit mir verfahren.“ Damit hatte sie durchaus recht. Über die Möglichkeiten brauchten sie nicht sprechen, welche die Menschen hatten, wenn es darum ging, möglichst grausam mit anderen Lebewesen umzugehen. Das hatte auch der Weltenlenker oft genug bewiesen, wenn er öffentlich ganze Familien enthaupten ließ – samt ihrer Kinder. Doch über solche Dinge sprachen sie nicht. Sie sprachen über gemeinsame Interessen, was sie zu ihrem gemeinsamen Herrn gebracht hatte. Leandra wollte wissen, weshalb Hammond Soldat geworden war und wieso er nicht weiter in der Hackordnung aufzusteigen versuchte. Es ging auch in die Richtung, was sie sich generell für ihre Zukunft wünschten. Vieles hoffnungslose Träume, doch sie gehörten ihnen ganz alleine, genauso wie der Augenblick ihres Kennenlernens. Nach dieser Unterhaltung folgten gefühlt tausende weitere. Hammond lernte von ihr Drakonisch – die Sprache der Drachen. Er hätte nie geglaubt, dass eine fremde Sprache so schwer zu erlernen sein könnte, doch Leandra versicherte ihm immer wieder, dass Drakonisch auch besonders schwer zu meistern sei. Vor allem, wenn man keine gespaltene Zunge besaß... Trotzdem gab sie sich alle Mühe, um ihm die Grammatik und auch die Aussprache beizubringen. Im Gegenzug zeigte er ihr, wie man Rechenaufgaben löste und die Gemeinsprache las. Es kam, wie es kommen musste – und wenn Hammond ehrlich war, bereute er es heutzutage ein bisschen – sie verliebten sich ineinander. Es dauerte nicht lange, da teilten sie sogar das Bett miteinander, was leichter klang, als es tatsächlich war. Bald wusste er, wieso die Drachen sich schwer damit taten, sich zu vermehren. Ihre Weibchen wollten erobert werden! Nicht, wie es Menschendamen wollten. Keine Komplimente, Geschenke oder Gedichte, sondern es war ein wahrhaftiger Kraftakt. Er hatte ihr beweisen müssen, dass er ihrer würdig war, indem er stärker war und blieb. Sie durfte ihn weder umreißen noch besiegen! Ansonsten wurde der Akt sofort beendet. Viele mochten sagen, dass das doch keine Herausforderung sein dürfte als Muskelberg mit der magischen Begabung eines Titanen, aber es war wahrlich schwer gewesen! Sie hatte sich aus Instinkten heraus jedes Mal gegen ihn gewehrt und ihre scharfkantigen Schuppen hatten viele Narben hinterlassen, ebenso wie ihre Nägel und Zähne. Er war trotzdem bei ihr geblieben. Sogar noch, als ihre Affäre schließlich ans Licht kam und ihr gemeinsamer Herr sehr deutlich machte, dass das sofort enden würde oder er ihre Köpfe forderte. Sie beendeten es nicht. Ihr Herr war bereit, ihre Köpfe zu fordern, doch irgendwie schaffte es Leandra, aus ihrer Zelle zu entkommen. Auf diesem Wege befreite sie auch Hammond aus seinem Käfig und sie ergriffen gemeinsam die Flucht. Von diesem Tag an waren sie Flüchtige vor dem Gesetz. Die Belohnungen, die ihr betrogener Herr für sie ausrief, waren gigantisch! Tod oder lebendig... Es war ein reizvolles Unterfangen, welches zahlreiche Kopfgeldjäger, Soldaten und sogar arme Bauern auf ihre Fährte brachte. Wenn die meisten Adligen auch nicht unbedingt klug oder weitsichtig waren, verstanden sie sich dennoch sehr gut darauf, Hetzjagden zu veranstalten. Nur kostete diese Jagd nicht den Gesuchten ihre Köpfe, sondern tatsächlich dem adligen Herrn, der sie beide so verabscheute. Durch die Steckbriefe und Panik-Macherei erfuhr der Weltenlenker nicht nur, dass ihm eine Sklavin abhandengekommen war und einen Soldaten dabei mitgerissen hatte, sondern auch, dass diese Sklavin eine Drachendame war. Er fackelte nicht lange, sondern reiste direkt zu dem Adligen und presste alle Informationen über Leandra und Hammond aus ihm heraus, die er bekommen konnte. Im Anschluss ließ er seinen getreuen Altan ihn einfach mit bloßen Händen den Kopf abreißen. Altan war selbst ein Inquisitor. Eine Kreatur, die durch den Weltenlenker erschaffen worden war und ihn abgöttisch liebte. Die Inquisitoren waren eigentlich – wie der Name schon verriet – für das Foltern zuständig. Nur war Altan das geliebte, erste Kind vom Weltenlenker und genoss eine besondere Stellung. Er war eine Art Leibwächter und Henker, wenn der Weltenlenker reiste. Hammond war Altan nie begegnet, doch er hatte ihn schon einige Male aus der Ferne gesehen, wenn öffentliche Hinrichtungen stattfanden. Über zwei Meter groß, Muskelberge, die seine eigenen lachhaft wirken ließen und überall Tattoos und Narben. Inquisitoren besaßen keine Iris, wodurch ihre Augen weiß waren mit einem schwarzen Punkt darin. Altan selbst hatte eine Glatze, doch Hammond wusste nicht, ob das auf alle seiner Art zutraf. Als wollte er seiner monströsen Erscheinung trotzten, trug er stets Roben mit Kapuzen, die er jeder Zeit aufsetzen konnte, wenn es nötig war. Noch viel unheimlicher als dieses dämonische Aussehen, waren die Waffen, die solche Wesen trugen! Zwar hatte Hammond bisher nur Altan gesehen – und er hoffte auch, dass er niemals andere seiner Art treffen würde – doch er wusste aus zuverlässigen Quellen, dass sie alle Waffen aus Mithril mit brutalen Widerhaken trugen. Schwerter, Äxte, Dolche... Sie waren so gefertigt, dass ihre Opfer möglichst lange, große Schmerzen erlitten ohne zu sterben. Das machte sie als Folterknechte immens effektiv. Als er ihn beobachtet hatte, waren ihm keinerlei Gefühle aufgefallen. Es konnten Frauen oder Kinder hingerichtet werden, doch Altan reagierte nicht darauf. Manchmal grinste er sogar, wenn sich die Opfer wanden und um Gnade bettelten! Das bestätigte die Quellen, dass Inquisitoren äußerst sadistisch veranlagt waren... Jedenfalls hatte eben dieser Inquisitor ihren verhassten, ehemaligen Herren getötet. Leandra und er hatten gehofft, dass damit auch die Hetzjagd auf sie endgültig enden würde, doch der Weltenlenker war sogar noch energischer hinter ihnen her. Er verdoppelte und schließlich verdreifachte er das Kopfgeld, welches auf sie ausgesetzt worden war. Hammond schrieb er als „Tod oder lebendig“ aus, doch Leandra wollte er lebend. Sie hatten oft und lange darüber gesprochen, weshalb er gerade sie lebend haben wollte, doch sie kamen niemals auf einen Nenner. Sie war sich sicher, dass es an ihren drakonischen Wurzeln lag, er dagegen vermutete, dass sie bewusst oder unterbewusst Informationen aufgeschnappt haben könnte, die für den Weltenlenker von Bedeutung waren. Die Zeit verstrich und niemand konnte sie gefangen nehmen. Nicht, dass es nicht zahlreiche Kopfgeldjäger, Bauern oder andere Mutige gewagt hätten, doch einen ausgebildeten Soldaten zusammen mit einem Drachen zu besiegen, stellte sich als eine Herausforderung heraus. Vor allem dann, wenn zumindest der Drache überleben musste. Das sah auch der Weltenlenker schließlich ein und zog die Aufforderung schlussendlich zurück, dass man sie lebendig zu ihm bringen sollte. Ihm reichten beide Köpfe. Eine Weile lang verschärfte dies die Jagd auf sie, doch irgendwann verrann das Ganze einfach im Sand. Sie fanden sogar ein Dorf weit abseits von allen Kopfgeldjägern und Steckbriefen. Es war wie ein Heim, welches Flüchtige aufnahm. Die Rasse, Herkunft und Motive waren vollkommen egal, so lange sie niemanden verletzten oder verrieten. Leandra und Hammond schlossen dort den Bund der Ehe und fanden schnell Freunde. Ebenso schnell schaffte er es, seine Frau zu schwängern. Nicht nur einmal! Zwei wunderbare Kinder kamen zur Welt. Ein Junge und ein Mädchen. Das Mädchen mit ebenso rotem Haar wie ihre Mutter und der Knabe mit schwarzen Locken. Sie waren sein ganzer Stolz! Für Hammond spielte es keine Rolle, dass sie gemischtrassige Kinder waren. Es war ihm auch egal, wessen Gene am Ende dominieren würden und ob sie sich mal in Drachen verwandeln konnten oder sie eine menschliche Gestalt behielten. Es gab durch seine Magieveranlagung und ihre auch große Chancen darauf, dass auch sie Magiebegabte sein könnten, jedoch war ihm auch das nicht wichtig. Er liebte seine Familie. Genauso, wie sie war. Das konnte ihm keiner wegnehmen. Nur leider machte er den entscheidenden Fehler davon auszugehen, dass er unantastbar geworden wäre. Dass die Jahre des Glücks für die Ewigkeit bestimmt waren. Eine Rechnung, die er ohne den Weltenlenker und dessen Kreaturen gemacht hatte. Wenn er nur einmal verharrt wäre, wäre ihm klar gewesen, dass sie nicht aufgaben. Jemand verriet ihren Aufenthalt und besiegelte damit das Schicksal aller Dorfbewohner. Als die Drachenhetzer und der Fessler kamen, waren sie weder gewillt zu verhandeln noch Gnade walten zu lassen. Sie töteten alle, die ihren Weg kreuzten. Ob Kind, Frau oder Mann spielte keine Rolle. Auch nicht, ob sie reinrassige Menschen oder Nichtmenschen waren. Es schien ihnen nicht solch eine Freude zu bereiten, wie den Inquisitoren das Foltern, aber sie waren auch nicht abgeneigt von der Panik. Drachenhetzer waren Bestien, welche für die Jagd für Drachen speziell geschaffen worden waren. Das verriet auch ihr unheilvoller Name. Sie konnten Drachen jeder Zeit erkennen, egal welche Gestalt sie annahmen. Außerdem besaßen sie eine eher schuppige Haut, welche sie vor Flammen und Angriffen schützte. Auf ihrer Brust trugen sie stets ein Brandmal, welches ihren Rang signalisierte. Ihre Waffe war stets eine Klinge mit Widerhaken, welche an einer stabilen Kette befestigt worden war. So hatten sie eine recht hohe Reichweite. Fessler hingegen waren anders. Auch sie waren vom Weltenlenker zu einem speziellen Zweck erschaffen worden. Sie sahen aus wie gewöhnliche Männer, doch wenn sie ihre Fähigkeiten einsetzten, zogen sich leuchtende Linien über ihre Gesichter und Körper. Die Farbe des Lichts signalisierte ihren Rang. Je höher ihr Rang war desto mächtiger waren auch ihre Fähigkeiten des Magiebindens. Leandra hatte es ihm so erklärt, dass Fessler die Verbindung zur Magie von anderen trennen konnten, indem sie diese an einen anderen Punkt banden. Die Dauer war abhängig von ihren eigenen Fähigkeiten und dem Magiepotenzial ihrer Gegner. Das machte deutlich, dass Fessler zur Ergreifung und Tötung von Magiebegabten erschaffen worden waren. In Kombination waren diese beiden Kreaturen definitiv tödlich! Und in diesem Fall waren es gleich mehrere Drachenhetzer. Dazu noch einige gewöhnliche Soldaten, die die Drecksarbeit für die Erschaffenen übernahmen. Hammond war an jenem Tag auf der Jagd gewesen, was er wohl bis zum heutigen Tag bereute und immer bereuen würde. Er kam zurück, als es schon zu spät war. Das Dorf brannte lichterloh! Es stapelten sich Berge von Leichen. Alles zerfiel. Er erinnerte sich noch sehr genau an den Anblick seiner verstorbenen Freunde. Ihre entsetzten, toten Gesichter. Kaum einer von ihnen hatte sich auch nur versucht zu wehren. Immerhin waren sie alle keine Kämpfer gewesen. Niemals wieder war der Soldat so schnell gelaufen, wie an diesem einen verheißungsvollen Tag. Er stürmte zu dem gemeinsamen Haus, welches bereits in Flammen stand. Die Leiche seiner Frau lag kopflos vor dem Eingang. Er erkannte sie nur an der Kleidung und weil einige der roten Haarsträhnen um ihre Leiche herumlagen. Die hatte sie entweder im Überlebenskampf verloren oder bei der Enthauptung. Letztendlich spielte es keine Rolle. Blanke Panik ergriff sein Herz, als er das brennende Haus erblickte und sich die Frage stellte: Wo waren meine Kinder? Gerade als sich Hammond wappnete, um das brennende Gebäude zu stürmen, erkannte er eine schemenhafte Gestalt, die aus den Flammen trat. Im Arm trug er sein kleines Mädchen, während sein Erstgeborener die Hand des Fremden hielt. Beide waren bedeckt mit Ruß, schienen allerdings unverletzt geblieben zu sein. „Lasst sie los!“, schrie Hammond voller Zorn und packte seinen Schwertgriff so fest, dass seine Handgelenke weiß anliefen. Der Mann lächelte. Sein Gesicht war schmutzig, aber nicht nur von dem Ruß, sondern auch von einfacher Erde. Das blonde Haar wirkte dunkler als es in Wahrheit war, ebenso wie dessen Bekleidung, die teilweise verbrannt schien. Die eisblauen Augen waren das einzige, was weder durch Schmutz noch durch den Qualm wirklich düster werden konnte. Es lag an dieser Freundlichkeit und Wärme, die er trotz dieses Chaos ausstrahlen konnte. Es sorgte dafür, dass Hammond vermutete, dass auch er zu dem Weltenlenker gehörte. Nur deshalb richtete er seine Waffe auf den Unbekannten. Doch es kümmerte ihn nicht. Er kam einfach weiter auf ihn zu und hielt ihm dann sein Töchterchen entgegen. „Was...?“, stammelte Hammond und steckte gezwungenermaßen die Waffe weg, um sein Kind entgegen zu nehmen. „Wer seid Ihr?“ „Kelvin.“, erwiderte der Mann und sorgte dafür, dass auch sein Sohn zu Hammond kam. „Aber wir sollten unser Kennenlernen verschieben. Ich habe noch etwas zu erledigen.“ Der blonde Mann, der sich als Kelvin vorgestellt hatte, deutete auf eine Kreatur, die auf sie zukam. Er sah aus wie ein gewöhnlicher Mann, doch das blaue Leuchten seiner Haut machte deutlich, dass es der Fessler war. Die Drachenhetzer waren offenbar mit dem Kopf von Leandra nach Götterherz zurückgekehrt. Die Hauptstadt des Weltenlenkers, in der sich seine Festung befand. Der Fessler war noch hier, weil Hammond bekanntermaßen ein Titan war. Er konnte dessen Magie binden und ihn dann ebenso töten wie dessen Frau. Offenkundig hatte man aber auch versucht, die gemeinsamen Kinder zu töten, was Kelvin vereitelt hatte. „Ihr Fessler seid immer so unhöflich.“, amüsierte sich Kelvin und zog zwei Dolche aus seinem Gürtel. „Immer brennt es, wenn ihr auftaucht.“ „Und ihr Rebellen seid einfach nur lästige, dumme Kreaturen, die ausgelöscht gehören.“, knurrte der Fessler und zog einige Wurfmesser. Obwohl der Fessler sicherlich geschickt war, verfehlte er mit seinen Klingen sein Ziel. Kelvin war ungemein schnell und preschte sofort voran, nachdem er den Angriffen ausgewichen war. Der Fessler zog zwei Sicheln und parierte den Angriff mit den Dolchen. Zwar konnte er Magie binden, doch Fessler waren nicht für Zweitkämpfe ausgelegt. Vermutlich verließen sie sich zu sehr auf ihre Gabe. Sie tauschten einige Schläge aus, während Hammond mit seinen Kindern nach einem sicheren Unterschlupf suchte. Er wollte nicht zwischen die beiden geraten und auch nicht von einstürzenden Häusern erschlagen werden. Es bestand auch die Gefahr, dass das Feuer sie einfach erstickte und das wäre qualvoll. Die Soldatenehre gebot Hammond trotzdem zu bleiben. Er beobachtete den Kampf der beiden Großmächte. Und wie mächtig dieser Kelvin eigentlich war, wurde ihm erst klar, als dieser Flammen beschwor und auf den schockierten Fessler schleuderte. Offenbar hatte er nicht bemerkt, dass er gegen einen Magiebegabten antrat. „Dein Fehler, Mischblut.“, zischte der Fessler grinsend. „Deine Macht kann ich binden.“ „Zumindest, wenn du es schaffst, mich zu berühren.“, konterte Kelvin. „Und dafür müsstest du mich erstmal zum Essen ausführen.“ Offenkundig war es die Absicht des Magiers gewesen, den Fessler auf seine Magie aufmerksam zu machen. Denn jetzt versuchte der Fessler nur noch, irgendwie an ihn heranzukommen, um seine Magie zu binden und seine Macht zu kontrollieren. Es war wohl die Arroganz solcher Kreaturen, die solch eine Gabe mit sich brachte. Doch Kelvin bewies, dass er nicht von seiner Magie abhängig war. Immer wieder wich er an Angriffen aus und verletzte seinen Angreifer entweder mit Feuer oder seinen Dolchen. So ermüdete er den Fessler immer mehr. Als er sich sicher war, dass sein Feind nicht mehr die Kraft hatte, allem auszuweichen, zeigte Kelvin sein ganzes Potenzial. Er erschuf eine Säule aus Flammen, welche er durch einen extremen Windstoß einfach auf die Bestie zuschleuderte. Der Fessler kreischte auf, als die Flammen ihn ergriffen. Mit einer Handbewegung schaffte er es sogar, die Erde aufzurütteln, sodass Sandkörner direkt in die Augen der Kreatur getrieben wurden. Die Blindheit nutzte Kelvin direkt aus und preschte voran, um die Dolche direkt neben dem Brustbein in den Körper hineinzudrücken. So würde er das Herz auf jeden Fall treffen und es nicht durch die Eile verfehlen. Im Anschluss riss er die Klingen aus dem Körper des entsetzten Fesslers, welcher auf seine Knie sackte. Er war der erste Essenzbeherrscher, welchen Hammond in seinem Leben jemals gesehen hatte. Zuvor kannte er lediglich Gerüchte. Hamm wusste, dass Essenzbeherrscher wahnsinnig selten waren und eigentlich nur in den höchsten Rängen in Adelshäusern zu finden galten. Zwar beherrschten sie alle Essenzen, doch nicht so gut wie ein Essenzmagier, der spezialisiert war. Er als Titan hatte mehr Möglichkeiten die Erde zu kontrollieren als es ein Essenzbeherrscher konnte. Nur hatte er gerade deutlich gezeigt, dass das kein Nachteil sein musste, denn er vereinte die einzelnen Essenzen einfach miteinander. Als Kelvin auf den Rest der kleinen Familie zukam, packte Hammond kurzzeitig Panik. Zwar hatte er zuvor seine Kinder gerettet und nun auch den Fessler ausgeschaltet, jedoch wusste er trotzdem nicht, welche Absichten er tatsächlich verfolgte. Das alles konnte auch ein dummer Trick sein, um sein Vertrauen zu gewinnen! Zugegeben: Es wäre ein außergewöhnlicher gut ausgeführter und brutaler Trick., überlegte Hammond verbittert und blickte nochmals zu den Überresten seiner geliebten Frau. Ihre Drachengene hatten sie nicht retten können. Genauso wenig wie er. „Wieso...?“, fragte Hammond mit trockenem Mund. „Wieso was?“, hinterfragte Kelvin. „Wieso sie gestorben ist oder ich geholfen habe?“ „Beides.“ „Nun, ich kam leider zu spät, um ihr noch zu helfen. Mich hatte interessiert, was der Weltenlenker vorhat und bin dem Trupp gefolgt, den er hierherschickte. Dadurch war ich dann natürlich weiter hinten. Deshalb kam ich zu spät, um Schlimmeres zu verhindern.“ „Warum es überhaupt versuchen?“, wollte der Soldat verbittert wissen. „Ist doch nutzlos.“ „Oh, das meint Ihr bestimmt nicht so!“, sagte Kelvin freundlich. „Vielleicht konnte ich nur Euch und Eure Kinder retten, aber das ist auch schon verdammt viel. Und es wird diesen Bastard echt ärgern.“ „Wieso tut Ihr das?“ „Der Fessler sagte es bereits: Ich bin ein Rebell. Ich tue alles, was den Weltenlenker ärgert.“ Hammond verstummte und musste zugeben, dass ein Teil sich wünschte, dass er ihn und seine Kinder hätte sterben lassen. Sie wären dann im Tod wieder mit Leandra vereint und mussten nicht lernen, ohne sie zu leben. Einer seiner Ausbilder sagte ihm mal, dass es einfach wäre zu sterben, doch nicht zu leben. Erst recht, wenn man ein Überlebender war. Damals hatte er es nicht verstanden, jetzt schon. Wie sollte er als Überlebender weitermachen? Was sollte er seinen Kindern über Leandra erzählen? Wie ihnen irgendwann beibringen, was sie getötet hatte? Seine Kinder waren potenzielle Drachen und wenn der Weltenlenker erfuhr, dass sie überlebt hatten, würde er sie noch energischer jagen als Leandra. Ihr Tod würde vermutlich noch hässlicher werden... Immerhin hatten die Bestien sie bei lebendigem Leib verbrennen wollen. Ein langsamer und qualvoller Tod. „Ich sehe doch, dass du nicht weißt, was du machen sollst.“, sagte Kelvin. „Es ist ganz einfach: Schließ‘ dich meiner Sache an!“ „Was?“, hinterfragte Hammond irritiert. „Wieso sollte ich das tun?“ „Um deinen Kindern eine Zukunft zu ermöglichen. Du könntest ihnen eine Welt hinterlassen, in der es sich zu leben lohnt.“ „Wie sollte ich das bitte machen?“, wollte Hammond bitter wissen. „Ich konnte nicht mal Leandra schützen. Und wie sollte ich rebellieren und gleichzeitig meine Kinder großziehen?“ „Andere Mütter schaffen ihren Weg auch alleine.“, warf der Blondschopf ein. „Außerdem wirst du dich von ihnen trennen müssen. Wenn ihr zusammenbleibt und herauskommt, dass deine Kinder leben, wird der Weltenlenker nicht nochmals die Chance versäumen, euch auszulöschen. Ihm wird klar sein, dass zumindest du noch lebst, weil sein Fessler nicht zurückkommt. Mit Kindern darfst du nicht gesichtet werden.“ Diese Wahrheit war grausam, doch notwendig. Er konnte sie nicht aufziehen. Nicht bei ihnen bleiben. Es wäre nicht sicher... Sie konnten nur dann zusammenbleiben, wenn der Weltenlenker abdankte und all seine Kreaturen mit sich nahm. Bis dahin musste er einen Unterschlupf für die Kleinen finden, um sie zu schützen. Und er musste weit, weit weg von diesem Unterschlupf sein. Genau das tat er schließlich auch. Und trotz all seiner Vorbehalte entschied er sich auch, Kelvin zu folgen und sich dessen Rebellion anzuschließen. Denn er hatte bei einer Sache vollkommen recht gehabt: Wenn er es nicht mal versuchte, dann musste er seine Kinder in einer Welt lassen, welche sie hasste und töten wollte. So gab es zumindest eine Chance, dass er ihnen einen besseren Ort hinterlassen konnte. All diese schrecklichen Ereignisse waren inzwischen sicherlich schon zehn oder zwölf Jahre her. Natürlich besuchte er ab und zu seine Kinder heimlich, die eine neue Familie gefunden hatten, doch ansonsten hielt er sich von ihnen fern. Kelvin war hingegen zu einem Freund geworden, der ihm neue Freunde verschafft hatte. Allesamt Rebellen, doch sie als Gruppe waren unschlagbar und ebenso unzertrennlich. Nur leider kam ihre Rebellion kaum voran. Ständig verloren sie Leute für ihre Sache. Entweder starben sie oder sie verloren einfach ihren Glauben daran, dass sie es schaffen konnten. Trotzdem wollte Hammond nicht aufgeben. Die Schuld an Leandras Tod zerfraß ihn jeden Tag ein bisschen mehr und er bereute, dass sie einander getroffen hatten, denn dann würde sie noch leben, doch das konnte er nicht ändern. Aber er konnte die Zukunft ihrer Kinder ändern. Das war er ihnen und ihrer Mutter schuldig...   Konstanin Maximilian von Rabenwacht war nun seit drei Jahren König im Reich Lebensberg. Der Name kam nicht irgendwo her, denn der Lebensberg ermöglichte tatsächlich das Überleben aller Reiche unter der Herrschaft vom Weltenlenker. Hier gab es Felder, Bauernhöfe, Nutzvieh in Massen. Nirgendwo gab es solch eine gesunde Flora. Ohne ihre ganzen Nahrungsmittel wären die Reiche längst einen Hungerstod gestorben. Genau das war aber auch das Konzept der Königreiche, die alle unter der Aufsicht des Weltenlenkers standen. Sie brauchten einander. Was das eine Reich im Überfluss besaß, hatte das andere gar nicht und umgekehrt. So bestand eine Abhängigkeit in dem zerbrechlichen Frieden zwischen ihnen. Der Handel war belebt, doch die Preise schwankten dennoch, weil es an den jeweiligen Reichen lag, Mengen und Preise festzulegen. Gab es eine Fehde zwischen den Herrschern, konnten einige Dinge wahrlich teuer werden. Der Lebensberg bot Nahrung im Überfluss, während Eisenheim enorme Erz-Aufkommen besaß und in der Waffen-Forschung ganz vorne mitspielte. Wobei Eisenheim eher eine gigantische, fortschrittliche Stadt mit zahlreichen Minen und Schächten war, besaß sie ein eigenes Politiksystem. Es war zudem das einzige Reich, welches zurzeit von einer Frau regiert wurde, da ihr Mann erst kürzlich ermordet worden war. Sie hatten keinen Erben. Der Weltenlenker schaffte es allerdings auch nicht, Isabella von Eisenheim zu vermählen, da sie sich strikt gegen die Kandidaten weigerte. Ihre Macht war so groß, dass er ihre Ablehnung nicht einfach niederdrücken konnte. Der einzige König, mit dem er befreundet war, war Leonard von Götterdorn. Seine Ressourcen war Holz, Möbel und die besten Handwerker im Gebiet der Holzbearbeitung. Doch das war es nicht, was sein Reich vor allem so beliebt machte, sondern die „Vergnügungsmöglichkeiten“, die nur er anbot. Er besaß eine Pferderennbahn, die keine wirkliche Pferderennbahn war. Es gab dort keine Pferde! Nur Menschen und Nichtmenschen, die nackt und in Zaumzeug Wettrennen machen mussten. Wie es bei Adligen so war, ging es aber natürlich auch nicht ohne die sexuelle Komponente. Die Hengste mussten Stuten besteigen und das oft genug unter Zuschauern. Oder Adlige bezahlten dafür, dass sie Sex mit einem Hengst oder einer bestimmten Stute haben durften. Soweit Konstantin es verstanden hatte, versuchte Leonard auch regelmäßig, seine „preisgekrönten Pferde“ miteinander zu verpaaren, damit ebenso „preisgekrönte Fohlen“ herauskamen. Dass das mit Menschen und Nichtmenschen nicht so funktionierte, wollte der Herrscher jedoch nicht hören. Interessant war auch das Reich von Melchior von Lohensturm. Er selbst war ein Essenzmagier – ein Drakonier, um genau zu sein. Aus diesem Grund konnte der König Feuer beherrschen, was ihn zu einer tickenden Zeitbombe machte. Da sein Temperament dem eines Drachen glich, hatten schon diverse Zofen Verbrennungen erlitten. Es hielten sich auch Gerüchte wacker, dass er selbst seine eigene Gattin schon mehrfach schwer verletzt hatte, wenn er wütend geworden war. Sein Reich brachte zahlreiche Essenzmagier hervor, die dort auch ausgebildet wurden. Alle mussten erst dem Weltenlenker angeboten werden, bevor sie einem anderen Reich zugeteilt werden durften, wenn dieser einen nicht wollte. Es war ironisch, dass ein Adliger dafür zuständig war, der seine eigenen Kräfte nicht kontrollieren konnte. Weniger eindrucksvoll war dagegen das Reich von König Khaleb Thonalas. Er bot keine besonderen Ressourcen an und war auch sonst nicht sonderlich beeindruckend. Es hielten sich sogar die Gerüchte darüber, dass dieser ein Mischblut sei. Soweit Konstantin wusste, war er dafür zuständig, eventuelle Dracheneier unterzubringen, schlüpfen zu lassen und im Sinne des Weltenlenkers auszubilden. Angeblich war Khaleb einst ein Krieger und Drachenreiter gewesen. Schwer vorzustellen, denn er litt inzwischen an starkem Übergewicht und frönte der Völlerei. Seine Dienste wurden ohnehin nicht gebraucht, denn es gab eigentlich keine Dracheneier mehr, die sich der Weltenlenker wirklich sichern konnte. Und natürlich gab es das Reich des Weltenlenkers selbst, in dem er alleine herrschte. Der Weltenbaum hatte mit Abstand das größte Heer, dazu kamen die selbsterschaffenen Kreaturen und sogenannte Götter, die vom Volk angebetet wurden. Ob sie wirklich Gottheiten waren, wusste Konstantin nicht. Er bezweifelte es allerdings. Generell zweifelte er an der Schreckensherrschaft des Weltenlenkers und an dessen Göttlichkeit. Doch seine Macht und wie weit sie sich eigentlich erstreckte, war nicht von der Hand zu weisen. Drei Jahre..., dachte Konstantin und fuhr sich seufzend durch seine braunen Locken. Es kam ihm noch gar nicht so lange vor. Eigentlich fühlte es sich eher so an, als wäre es gestern gewesen, als der Weltenlenker ihn nach Götterherz rief. In der Hauptstadt des Weltenlenkers gab es Heimdall, seine gigantische Festung. Hier lebten auch all seine Kreaturen. Nahe von Heimdall wohnten die vermeidlichen Götter, die unter dem Weltenlenker dienten. Um Heimdall herum erstreckten sich zudem die Adels-Viertel. Sie waren nicht groß, aber imposant. Alle Häuser hatten in ihrer Führung jene, die fest an den Weltenlenker glaubten oder ihm zumindest treu ergeben waren. Doch das war nicht das, was Konstantin bei seinem Aufenthalt dort im Gedächtnis geblieben war. Es war die Armut gewesen, die sich innerhalb der Mauern von Götterherz erstreckte. Alle litten Hunger, unter Verlusten und konnten sich kaum Holz für den Kamin leisten. Genug verkauften sich freiwillig an das örtliche Kolosseum, um wenigstens an ein paar Silbermünzen für ihre Familie zu kommen oder sie versuchten es mit Diebstahl. Beides absolut tödliche Unterfangen für einfache Leute ohne besondere Gaben! Überall hatte es gestunken. An fast jeder Ecke standen Nichtmenschen mit gesenkten Köpfen und Brandmalen, welche sie als Sklaven kennzeichneten. Einige waren Sexsklaven aus Bordellen, andere sollten den Unrat von den Straßen entfernen. Natürlich gab es dann noch die Sklaven, welche Adlige auf ihren Einkäufen begleiten mussten. Sie mussten dann dafür sorgen, dass kein Dreck und keine Fremden an sie herankamen und natürlich alles schleppen. Einige Sklaven wurden sogar auf öffentlicher Straße vergewaltigt. Es war wie ein Weg der Schande! Mit viel Schamgefühl hatte er Heimdall betreten und es vermieden, den Kreaturen dort in die Augen zu blicken. Alle Geschöpfe des Weltenlenkers waren blutrünstig und nymphoman. Reizte man sie, dann wurde man entweder zerstückelt oder vergewaltigt. Konstantin war beides nicht recht. Die wenigen menschlichen Soldaten schienen die Devise des damaligen Prinzen zu teilen. Auch sie wagten keinen Blickkontakt mit den Bestien. Als er den Thronsaal des Weltenlenkers betrat, stellte Konstantin überrascht fest, dass sein Vater auch dort war. Er sah aus, als habe man ihn Tage lang gefoltert und schwer misshandelt. Schweiß ließ ihn feucht schimmern. Neben ihm stand Altan, dessen weißen Augen ihm eiskalt entgegen starrten, als der unsichere Prinz näherkam. Auf dem Thron saß der Weltenlenker. Er wirkte gepflegt und ein bisschen so, als wäre er mental nicht wirklich anwesend. Als wäre er weit, weit weg von hier. Sein schwarzes Haar stand im Kontrast zu seiner recht hellen Adelskleidung, bei der Weiß und Gold dominierten. Jedoch hoben sich seine durchdringenden, grünen Augen, als ihm bewusst wurde, dass sein geladener Gast angekommen war. „Konstantin.“, sagte er mit einer erschreckend sanften Stimme und winkte den Prinzen heran. „Ich befürchtete schon, dass du nicht auftauchen würdest.“ „Euer Gnaden...“, murmelte der damals 28-jährige Prinz verunsichert. „Was ist denn bitte hier los?“ „Nun, dein Vater hatte uns eine Menge zu berichten. Maximilian wurde wirklich geschwätzig, nachdem er-... Sagen wir einfach, dass er etwas die Zweisamkeit mit Altan genießen durfte.“ Der besagte Inquisitor grinste dreckig und stieß den König an, der wie ein kleiner Junge wimmerte und bettelte. Soweit Konstantin wusste, war sein Vater vor einer Woche aufgebrochen, um nach politischen Ehepartnerinnen für ihn Ausschau zu halten. Zwar hatte er seinen eigenen Sohn vor einigen Jahren enterbt, doch da er keinen weiteren Thronerben bekommen hatte, musste er doch Vorkehrungen treffen. Offensichtlich war die Reise aber eine Tarnung gewesen oder der Weltenlenker hatte ihn abgefangen. Maximilians Zustand ließ vermuten, dass er mindestens drei Tage hier gewesen sein musste. Mehr brauchten Inquisitoren in der Regel auch nicht, um ihre Opfer zum Reden zu bekommen. „Weil er mich enterbt hat, Mylord...?“, stammelte der Braunhaarige unsicher. „Ich habe viel Unsinn angestellt. Er wollte das korrigieren.“ Der Weltenlenker lächelte müde und zog die Augenbraue in die Höhe: „Denkst du denn, dass mich solche Sachen wirklich interessieren? Solange er einen Thronfolger hat, kann er so viel enterben, wie er möchte. Am Ende bekommst du trotzdem die Krone.“ „Worum geht es denn dann?“ „Also weißt du es wirklich nicht?“ Konstantin wurde still und blickte hilfesuchend zu seinem Vater, der aber nur den Boden anstarrte, als wäre dieser sehr interessant. In dessen Augen konnte er sehen, dass er einfach nur gebrochen worden war. „Er sagte so etwas auch...“, murmelte der Weltenlenker und lehnte sich gelangweilt zurück. „Er hat meine Ideale verraten. Schon einige Jahre lang. Das kann ich natürlich nicht dulden. Das ist Verrat.“ Jetzt war der Prinz noch verwirrter. Sein Vater hatte ihm ständig gepredigt, dass er sich an die Gesetze des Weltenlenkers halten müsste! Es war kaum vorstellbar, dass er sich vielleicht selbst nicht daran gehalten haben könnte. „Ich weiß immer noch nicht, weshalb ich hier bin, Euer Gnaden.“, gestand der Prinz schließlich. „Ich habe mit der Politik nichts zu tun.“ „Das wird sich ab heute ändern.“, erwiderte der Weltenlenker und hob seine Hand. Offenkundig war das ein abgesprochenes Signal für Altan, der einen alten, rostigen Dolch zog. Pervers grinsend setzte er sie an den Hals seines Vaters an und begann langsam zu schneiden. Die Schmerzensschreie und das Betteln um Gnade seines Vaters würde Konstantin vermutlich niemals vergessen. Noch weniger das Gurgeln, als dessen Hals sich mit seinem eigenen Blut füllte und er daran zu ersticken drohte! Irgendwann wurde es einfach still. Alles schien plötzlich rot zu sein. Besudelt mit all dem Blut... Konstantin merkte erst, dass er die Luft angehalten hatte, als ihm schwindelig wurde. Dann erst zwang er sich wieder Luft zu holen. Als er an sich hinabblickte, entdeckte er einige Blutspritzer, die von seinem Vater stammen mussten, dessen Leichnam von Altan zu Boden geschleudert wurde. „Komm‘ zu mir, mein Junge.“, säuselte der selbsternannte Gott und winkte den Prinzen heran. Wie in Trance folgte er dem Befehl, konnte dabei aber den schockierten Blick nicht von seinem Vater abwenden. Er sah nur noch all das Blut! Einst war sein Vater ein strenger, majestätischer und intelligenter Mann gewesen. Dominant und durchsetzend. Niemand hatte es jemals gewagt, seine Befehle infrage zu stellen oder ihm zu widersprechen. Abgesehen von seinem eigenen Sohn. Doch nun lag er da. Reglos und mit panisch geweiteten Augen, welche bald milchig werden würden. Keine Anmut mehr, keine Erhabenheit. Kein tadelnder Blick. Kein Vortrag darüber, dass man sich nicht aus dem Schloss schlich oder die Kleider von Dienerinnen stahl, wenn diese irgendwo badeten. Er würde mir jetzt sagen, dass ich stark sein müsste. Dass ich nicht die Leiche so anstarren darf..., dachte Konstantin verbittert, schaffte es aber trotzdem nicht, seinen Blick zu lösen. Beinahe wäre er sogar noch gegen den Weltenlenker gelaufen, wenn Altan ihn nicht sehr grob mit der Hand gestoppt hätte. Der Inquisitor grinste immer noch. Der Prinz wusste, dass er ihn nicht angreifen durfte und er eh keine Chance hätte. Altan war die Nummer Eins des Weltenlenkers. Der Anführer aller Inquisitoren. Sein Lieblingskind! Er würde alles für ihn tun. Umgekehrt war es genauso. „Konstantin.“, schnurrte der Weltenlenker sanft und lenkte so seine Aufmerksamkeit auf ihn. „Du würdest mich doch sicherlich niemals hintergehen, nicht wahr? Dein Herz ist doch viel zu rein, um mich genauso zu enttäuschen wie dein nutzloser Vater, oder?“ Wieder wurde es still. Der Prinz öffnete seinen Mund, doch es kam kein Wort heraus! Er wollte es wirklich, doch der Schock saß so tief, dass er es einfach nicht schaffte. Zumal da viele andere Dinge waren, die er seinem Gegenüber gerne direkt ins Gesicht donnern wollte. „Beruhige dich, mein Kind. Ich habe nicht vor, euch gemeinsam zu Grabe zu tragen.“ „Was-... Was wollt-... Ihr dann...?“, hinterfragte Konstantin krächzend. In diesem Augenblick kam er sich wenig männlich vor. Er wusste nicht, ob irgendjemand nach so einem Szenario mehr Fassung hätte bewahren können. Der Weltenlenker lächelte zuversichtlich und erhob sich dann. Er war ein imposanter, großer Mann, dessen Statur von viel Training sprach. Zwar hatte Konstantin gehört, dass er ein ausgezeichneter Kämpfer sein sollte, hatte ihn aber niemals in Aktion gesehen. Bisher übernahmen stets seine Bestien die Drecksarbeit für den selbsternannten Gott. Trotzdem konnte keiner abstreiten, dass er ein gutaussehender Mann war, der Erhabenheit, Dominanz und Macht ausstrahlte. Wären da nicht all die Grausamkeiten, die er regelmäßig allen Lebewesen antat, wäre da Potenzial. „Du sollst seinen Platz einnehmen, mein Junge.“, hauchte er ihm entgegen und strich ihm über die Wange, als wäre er nun sein Sohn. Konstantin widerte das an, doch er war außerstande etwas dagegen zu tun. Also fuhr der Weltenlenker fort: „Und du wirst es besser machen als er. Du wirst meinen Regeln folgen, dann wirst du auch belohnt werden. Solltest du allerdings nicht gehorchen... Nun, ich denke, dass ich dir nicht erklären muss, was ich dann mit dir anstelle und allen, die du liebst.“ Konstantins Mund wurde ganz trocken, während er vor seinem geistigen Auge nochmals das Szenario durchging, welches Altan ihm geboten hatte: „Ich-... Ich habe verstanden...“ „Gut.“, sagte der Weltenlenker zufrieden. „Dann wirst du mit mir zu Abend essen, nachdem ich dich offiziell gekrönt habe. Morgen früh kehrst du dann nach Rabenwacht zurück und übernimmst den Thron. Selbstverständlich ist dein Rat bereits darüber informiert, dass die Thronfolge etwas... beschleunigt wurde. Sie bereiten bereits alles für dich vor. Außerdem habe ich eine nette Adelstochter für dich gefunden, die du übermorgen ehelichen wirst. Du siehst also, dass ich dir niemals etwas Böses wollte, Konstantin.“ „Natürlich, Euer Gnaden...“, presste der Prinz heraus und rang um Fassung. Alle Fasern in seinem Körper wollten sich auf den selbsternannten Gott stürzen. Er wollte ihn umbringen! Doch angeblich war dieser Mann unsterblich, also würde es ihm nichts nützen. „Ach ja...“, hang der Weltenlenker heran, der sich gerade die Krone von Konstantins Vaters entgegennahm. „Du wirst außerdem das Geschenk der Langlebigkeit erhalten, damit du auch lange auf dem Thron verweilen kannst. Dein Vater braucht sie ja nicht mehr.“ Unberührt wischte er die Krone sauber, die voll mit dem warmen Blut war. Im Anschluss setzte er diese auf den braunen Lockenkopf drauf und ratterte einen Eid herunter, den Konstantin wiederholen musste. Dann war die Übergabe des Amtes offiziell und er hatte sein Erbe letztendlich doch antreten müssen. Die Leiche allerdings durfte er nicht mitnehmen. Der Weltenlenker wollte nicht ausführen, weshalb, doch aus irgendeinem Grund wollte er den Leichnam in Heimdall behalten. Deshalb gab es eine Beerdigung ohne die Leiche des einstigen Königs. An sich ein Skandal! Doch er konnte es genauso wenig ändern wie den Tod seines Vaters. Es kam dem jungen König außerdem so vor, als wollte der Weltenlenker ihn nur noch zusätzlich quälen. Die besagte Frau, die er ihm zur Gemahlin machte, war genau der Typ Frau, den er schrecklich fand. Immerzu am Plappern, ständig versuchte sie in seine Nähe zu kommen und nicht gerade bestrebt, sich zu bilden. Sicherlich war das für einige Männer genau das, was sie suchten, doch er schätzte Intelligenz mehr als Schönheit. Und wenn er ehrlich war, fand er sie nicht mal außergewöhnlich schön. Eher wie ein Mauerblümchen... Elizabeth war vieles, aber gewiss nicht besonders oder strebsam. Ihre Leidenschaft war das Nähen, was in seinen Augen absolut gewöhnlich war für eine Frau ihres Standes. Generell wollte man das weibliche Geschlecht in gewisse Rahmenbedingungen zwängen. Sie sollten kochen, nähen und schweigen. Konstantin mochte Frauen, die diesen Regeln zuwiderhandelten. Wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, kam er generell nicht gut mit Frauen aus. Sie waren oftmals klug, zielstrebig und waren ohne Zweifel das schönere Geschlecht, doch er sagte immer irgendwas Dummes und erregte ihren Zorn! Außerdem schaffte er es nicht, in ihrer Gegenwart erregt zu werden. An seine Hochzeitsnacht mit Elizabeth erinnerte er sich wahrhaftig sehr gut. Die Zeugen hatten lange bleiben müssen, bis sie endlich ihr Ziel erreicht hatten. Danach hatte sich der König eher vergewaltigt gefühlt. Vermutlich ging es Elizabeth damit nicht anders... Leider nicht das erste Mal. Sein Vater hatte verzweifelt versucht, ihm die Freuden des weiblichen Geschlechts näherzubringen. Ständig hatte er ihm Dirnen ins Zimmer geschickt und sein damaliger bester Freund, hatte bei dem Ganzen auch noch mitgewirkt! Er hatte Frauen ausgesucht oder sogar selbst welche bezahlt, damit er seine Jungfräulichkeit verlor. Und nun bist du seit drei Jahren nicht mehr auffindbar, Theodor..., dachte Konstantin verbittert. Gerade dann, wenn ich dich am meisten gebraucht hätte. „Konstantin!“, hörte er eine schrille Frauenstimme seinen Namen rufen. Vielleicht war ihre Stimme gar nicht so schrill, denn der Kopf machte viele Dinge, wenn man jemanden nicht mochte. Kurz darauf stand Elizabeth vor ihm. Ihr langes, braunes Haar wirkte kraus, als würde der Stress sich darauf auswirken. Seit ihrer Hochzeitsnacht hatten sie keinen Sex mehr gehabt und ihre biologische Uhr sagte ihr, dass sie schwanger werden musste. Das wirkte sich auch auf ihr müdes Gesicht aus. Konstantin musste gestehen, dass selbst ihre Kleiderwahl mal besser gewesen war. Es war ein langweiliges, grünes Adelskleid, welches ihrer Figur nur wenig schmeichelte. Eigentlich war sie schlank, doch das Kleid trug wirklich unglücklich auf! Es konnte ein trauriger Versuch sein, für Außenstehende schwanger zu wirken. Sie konnte eine Fehlgeburt vortäuschen, damit es zumindest so aussah, als versuchten sie einen Erben zu zeugen. „Elize...“, presste der König ohne Wertschätzung heraus. „Kannst du bitte ein paar Oktaven tiefer gehen?“ „Oktaven...? Was?“ „Es täte dir wirklich gut, wenn du mal ein paar Bücher lesen würdest, Elize.“ Ihr Gesicht wurde sofort bleich, während ihre Augen leicht glasig wurden. Innerlich tat es dem König etwas leid, dass er stets so hart zu ihr war, doch anders konnte er seine unliebsame Gattin nicht auf Abstand halten. Sonst hing sie den ganzen Tag an ihm und kam auf die Idee, sie könnten sich doch ein Bett teilen! Das war für ihn keine Option... „Ist es wahr...?“, wollte sie dann mit verletzter Stimme wissen. „Hast du das Gesetz wirklich in Kraft gesetzt?“ „Welches meinst du genau? Ich verabschiede fast täglich Gesetze und Gesetzänderungen.“ „Das weißt du genau!“, keuchte Elizabeth atemlos. „Hast du wirklich die Sklaverei und Nichtmenschen-Verfolgung verboten?“ „Ach, das...“, murmelte der König. „Ja, das ist wahr. Der Lebensberg gilt ab heute ganz offiziell als Zufluchtsort für Nichtmenschen und Gejagte. Das war vorher auch schon so, aber eben im Geheimen...“ „Der Weltenlenker wird das als Verrat ansehen.“ „Vermutlich.“ „Er wird sich an uns rächen!“, krächzte die Königin mit ihrer Hand am Herzen. Wenn er so weitermachte, würde sie bald einen Infarkt bekommen. Wenn Konstantin ehrlich war, wäre es nicht schade drum. „Kann schon sein.“, gestand er mit einem seltsamen Anflug von Wut. „Aber das ist mir ziemlich egal. Zumal er mich bestrafen wird, nicht dich. Du hast damit ja nichts zu tun.“ „Glaubst du, dass ihn das interessiert? Immerhin bin ich deine Frau.“ „Auf dem Papier.“, erinnerte er sie. „Ja, von mir aus auch das...“, stammelte Elizabeth erneut verletzt. „Trotzdem wird er das an allen hier auslassen. An dir, mir und deinem Volk.“ Auch wenn der König sich dafür hasste, spürte er Wut in sich aufkochen. Er sprang von seinem Thron und kam bedrohlich auf seine Gattin zu, die sofort zurückwich. Einen Augenblick lang glaubten sie wohl beide, dass er ihr nun eine scheuern würde, doch er riss sich zusammen. „Wage es nie wieder, mich an die Konsequenzen zu erinnern.“, zischte er wütend. „Ich habe gesehen wozu er fähig ist! Ich habe Angst vor ihm, ja. Ich fürchte mich davor, dass er sich für diese Schritte rächen wird. Aber es ist das Richtige! Ich weiß, dass du an ihn glaubst, Elize. Ich weiß, dass du zu ihm betest. Mir ist auch bewusst, dass du ihm häufig Informationen über mich zugespielt hast. Das ist deine Sache und geht mich nichts an, aber wage es nicht, mir sagen zu wollen, was für mein Volk das Beste ist und wie ich zu regieren habe.“ Elizabeth schämte sich offenkundig. Schweigend verbiss sie sich auf ihrer Unterlippe, während Röte ihre blassen Wangen flutete. Sie kam nicht viel heraus. Nicht ungewöhnlich für eine Adlige, doch Konstantin fand das fatal. Er selbst war gebräunt. Er war oft draußen und mischte sich unter das Volk. So konnte er sich umhören und für sie handeln. Außerdem konnte er sich so von dem Gewicht der Krone erholen. Schnaubend drehte sich der König um und ging ein paar Mal auf und ab. Vielleicht hatte Elizabeth recht und es war nicht fair gewesen, das ohne sie zu entscheiden. Sie war natürlich in Gefahr. Das waren sie alle. „Es-... Es tut mir leid...“, wimmerte seine Frau schließlich und gab nach. „Ich wollte nicht... anmaßend erscheinen.“ „Mit deinen Einwänden oder der Spionage?“ „Beides...“ „Du gibst es also zu, dass du der Informant des Weltenlenkers bist?“ Sofort wich ihr wieder jegliche Farbe aus dem Gesicht, während sie den König entsetzt anstarrte, der immer noch unruhig auf und ab ging: „Aber-... Eben hast du doch gesagt, dass-... dass du es wüsstest!“ „Ich hatte lediglich einen Verdacht.“, erwiderte Konstantin gelassen. „Und ich habe hoch gepokert und gewonnen.“ Seine Gattin lehnte die Hand vor den eigenen Mund und wirkte absolut verzweifelt. Er konnte sich denken, was in ihren Kopf vorging. Sie malte sich aus, ob er sie nun umbringen würde oder den Job an einen Attentäter vergab. Das würde wohl jeder Mann machen, dessen Frau ihn derartig verraten hatte, wie sie es getan hatte. Doch ist es wirklich Verrat, wenn jemand zu seinem Gott geht und ihm von den Sünden ihres Mannes berichtet? Sich um die eigene Seele sorgt?, fragte sich Konstantin innerlich. Wohl eher nicht. Sie glaubt an seine Göttlichkeit. Sie glaubt so sehr daran, wie ich an die Freiheit glaube. Ein Teil von ihm wollte sie dennoch weiter quälen. Sie dafür bestrafen, dass sie so an einem Mann hing, der ihm alles entrissen hatte. Der dafür gesorgt hatte, dass der König seit drei Jahren jede Nacht Albträume vom Tod seines eigenen Vaters hatte. Wenn nicht das, dann träumte er, dass dieser ihn heimsuchte und wissen wollte, wieso sein feiger Sohn seinen Tod nicht rächte. Seufzend winkte er ab: „Du kannst gehen. Elize. Und sei unbesorgt: Ich lasse dich nicht umbringen. Du glaubst an ihn und das respektiere ich.“ „Danke!“, kreischte sie schrill und erleichtert auf. In diesem Augenblick hielt sich der König die Ohren zu und sah sie eiskalt an. Der Blick reichte, damit Elizabeth einen Knicks machte und davoneilte. Ihre Gangart strahlte ihre Erleichterung aus. Ob sie dem Weltenlenker weiterhin Informationen zuspielen würde, wusste Konstantin nicht. Wenn sie zumindest ein bisschen intelligent war, dann würde sie den Bogen nicht weiter überspannen. Leider ist sie wohl nicht besonders klug..., dachte er seufzend. „Durell!“, rief der König schließlich deutlich. Es dauerte nicht lange, da stolperte ein junger Mann in den Thronsaal. Durell war ein attraktiver, junger Mann von gerade mal vierundzwanzig Jahren. Er hatte dunkelbraune Locken, die etwas länger waren als vom König. Sein drei-Tage-Bart ließ ihn ein bisschen verwegen wirken, auch wenn er das eigentlich gar nicht war. Konstantin würde ihn eher als offenes Buch beschreiben. Ein offenes, ehrliches und wirklich intelligentes Buch, welches ein hohes Verständnis für Politik besaß. Außerdem war er ein ausgezeichneter Krieger! Durell hatte bereits zahlreiche Duelle gegen Kämpfer gewonnen, die älter und erfahrener waren als er. Auch in diversen Schlachten und Scharmützeln hatte er seinen wahren Wert unter Beweis gestellt. Besonders beeindruckend fand Konstantin, dass er seine eigenen Wölfe züchtete und sie im Kampf einsetzte. Einige wurden sogar zum Schutz eingesetzt. All das hatte ihm eine hohe Stellung eingebracht. Nach seiner Krönung hatte er den jungen Mann zum Hauptmann seiner Leibwache gemacht. Einige Monate später wurde er so etwas wie seine rechte Hand, die ihn vertrat, wenn er mal keine Zeit hatte oder eine Pause vom Thron brauchte. Viele hatten Konstantin dafür verurteilt, dass er diese wichtige Position einem halben Kind anvertraut hatte, doch es war gut gewesen, dass er nicht gehört hatte. Durell war einfach perfekt! Seit er seinen Dienst angetreten hatte, war kaum noch jemand unbemerkt in das Schloss hereingekommen. Geschweige denn, dass es jemand verließ ohne sein Wissen. Die Wachposten waren stets gut verteilt, aber dennoch so unauffällig, dass sie den täglichen Ablauf nicht störten. Durell selbst schien kein Privatleben zu haben. Wenn er nicht schlief oder aß, dann war er in der Nähe seines Königs. „Ihr wollt doch nicht doch, dass wir Eure Gattin ermorden lassen, Majestät?“, hinterfragte Durell unsicher. Konstantin musste schmunzeln, als er seine Augen langsam zu ihm lenkte: „Hast du wieder gelauscht?“ „Ähm... Nein?“ „Sehr überzeugend, Durell.“, spottete der König amüsiert. „Nein, ich halte mein Wort. Mir wäre es lieber, du würdest mich erstmal vertreten. Ich muss etwas nachdenken.“ „Natürlich, Majestät.“, sagte Durell und salutierte loyal. „Soll ich in der Zeit etwas Bestimmtes für Euch erledigen?“ „Nein, kümmere dich nur um alle Anfragen, die in meiner Abwesenheit gestellt werden. Sollte es was Dringendes sein, findest du mich in den Kellergewölben.“ „Ich habe verstanden. Aber ich muss darauf bestehen, dass Ihr-...“ Konstantin winkte ab: „Ja, ja, ich werde zwei deiner Wachen mir folgen lassen.“ Durell wirkte wahnsinnig erleichtert, als er das ohne Diskussion zugestand. Das war bei dem König nicht immer so einfach! Ständig wollte er seinen Kindskopf durchsetzen und das am liebsten ohne irgendwelche Zeugen. Natürlich eine gefährliche Eigenart für einen Adligen. Wenn etwas passierte, wäre jedoch der Hauptmann der Leibwache schuld und nicht der König selbst, der den Schutz ablehnte. Vorsichtig nahm er die Krone von seinem Schopf und legte sie auf ein Samtkissen, welches neben dem Thron aufgebahrt war. Wenn dort die Krone lag, wussten fast alle, dass der König gerade unterwegs war und Durell der Ansprechpartner für alle Eventualitäten war. Die Regel war klar: Trug Konstantin nicht seine Krone, war er gerade auch nicht der König. In diesem Zeitraum wollte er wie jeder andere behandelt werden und mal seinen Kopf klarbekommen. Der Hauptmann setzte sich derweil auf den noch warmen Thron und legte die behandschuhten Hände auf dessen Lehnen. Er würde solange hier verharren, bis Konstantin ihn von dieser Pflicht entband. Es gab keinen besseren Zeitpunkt, um den Keller aufzusuchen. Elizabeth würde vorerst schmollen, Durell kümmerte sich um die königlichen Angelegenheiten und Konstantin brauchte dringend etwas Zerstreuung. Obwohl wahrscheinlich irgendwann jemand einen Herzinfarkt bekommt, weil ich ständig runterkomme..., sinnierte er schmunzelnd. Seine heutigen Wachen folgten ihm mit etwas Abstand und versuchten unauffällig dabei zu erscheinen. Konstantin nahm sie wahr, würde sie aber nicht für ihre Arbeit anschreien. Sie taten nur ihre Pflicht. Dass er sich nach einunddreißig Jahren ständiger Verfolgung, Überwachung und Tadel immer noch nicht an Leibwächter und unterwürfige Blicke gewöhnt hatte, war eindeutig sein Problem. Einige Zofen, die den König erkannten, wichen ihm sofort aus. Kaum einer wagte es auch nur, ihn zu grüßen. Seine Regel hatte sich bisher leider nicht gut integriert. Alle sahen immer nur den König, wenn er die Flure entlangkam und behandelten ihn so, als wäre er aus Porzellan. Deshalb liebte er die Kellergewölbe, zu denen er die Treppen schnell herabnahm. Hier unten gab es kaum Zofen oder andere Diener. Hier waren die Trainingsräume der Soldaten. Ebenso einige Gemächer für jene, die in Rabenwacht kein Haus hatten, weil sie aus einem anderen Ort im Lebensberg stammten. Auch die Waffenkammern befanden sich größtenteils hier unten, damit im Ernstfall alle Soldaten schnell bewaffnet und in Rüstung waren. Draußen gab es natürlich auch noch Höfe, auf denen trainiert werden konnte. Einige Übungspuppen, aber auch Gelände für Reit- und Bogenübungen. So etwas konnte man nicht innerhalb der Schlossmauern machen. Geschweige denn von der Ausbildung von Essenzmagiern, die sich seiner Armee anschließen wollten. Ihre Magie hatte in vier Wänden definitiv nichts zu suchen! Viele von ihnen konnten mit ihren Kräften noch nicht umgehen, weil sie vor dem Weltenlenker auf der Flucht waren und deshalb nie trainieren konnten. Dafür hatte er einige hohe Magister hier, die sich ihrer annahmen. Wenn Konstantin ehrlich war, hatte er inzwischen ein unerwartet großes Heer erhalten. Viele von ihnen waren vielleicht nur irgendwelche Flüchtige, doch sie waren ungemein dankbar. Hätte er ihnen kein Asyl gewährt, dann wären sie nicht nur mittellos, sondern vermutlich auch längst tot. Loyalere Soldaten konnte man also kaum finden. Etwas, was dem Weltenlenker sicherlich nicht gefallen würde, der selbst die größte Armee für sich wollte. Gedankenverloren strebte Konstantin einen bestimmten Trainingsraum an. Hier fanden zumeist Duelle statt. Natürlich zur Übung von Frischlingen oder zum Kräftemessen zweier Krieger. Soweit der König wusste, wurden so auch oftmals Streitigkeiten zwischen den Soldaten geklärt. So oder so: Es war immer wieder faszinierend, bei den Kämpfen zu zusehen. Anders als Show-Kämpfe, war hier die Leidenschaft vollkommen echt und man konnte etwas lernen. Bei diesen Duellen war eigentlich auch stets der Hauptmann der Armee anwesend. Benedikt Galvin Graufell. Auch ein junger Mann von gerade mal neunundzwanzig Jahren. Natürlich war sein Rat auch bei ihm dagegen gewesen, dass er diesen hohen Rang erhielt. Nicht nur, weil er so jung war, sondern auch wegen seines Charakters. Es war durchaus bekannt, dass Benedikt ein Problem mit dem Alkohol hatte. Unter dessen Einfluss kam es häufig zu Streitereien in Schenken und er prügelte sich auch gerne mal. Das machte ihn aber nicht zu einem schlechteren Kämpfer oder Anführer! Konstantin hatte etwas in ihm gesehen, was sonst keiner gesehen hatte. Er hatte nicht das blonde Haar gesehen, welches durch den ständigen Dreck und Schlamm eher braun wirkte. In seinen Augen war nicht das schmutzige, aber maskuline Gesicht gewesen. Sein nicht gerade moderner Kleiderstil hatte für den König keine Rolle gespielt. Stattdessen hatte er einen Mann mit Potenzial entdeckt. Jemand, der eine Aufgabe brauchte, durch die er vollkommen aufblühen konnte. Etwas, woran er glauben konnte. Vielleicht hatte das noch nicht seinen Alkoholkonsum geschmälert, doch zumindest war er generell ruhiger geworden. Was noch viel wichtiger war: Konstantins Soldaten waren besser denn je! Sie alle liebten ihren Hauptmann, der sich ihnen gegenüber eher wie ein Freund verhielt, aber im richtigen Augenblick einen strengen Umgangston nutzte. Sie waren ihm gegenüber absolut loyal und würden vermutlich sogar Bauchtanz lernen, wenn er es wollte. Heute aber kämpfte nicht Benedikt im Ring. Er stand nahe am Rand der Arena und beobachtete zwei Neulinge, die mit Holzschwertern versuchten, aufeinander einzuschlagen. Es sah ein bisschen aus wie zwei Jünglinge, die mit Stöckern im Wald Krieg spielten. Die meisten Hiebe gingen einfach in die Luft! Die Soldaten am Rand feuerten die beiden an und wollten sie motivieren, mal richtig loszulegen. Die Rekruten zeigten aber deutlich, dass sie einander nicht verletzen wollten oder einfach nicht geschickt genug dafür waren. Der König ging leise auf eine erhöhte Position und beobachtete belustigt, wie die beiden Knaben einander immer wieder verfehlten. Traf durch Zufall doch mal ein Hieb, wurde natürlich sofort gejammert. Wären sie nun in einem ernsten Kampfgeschehen, dann wären sie auf jeden Fall schon mehrmals durch andere feindliche Mitstreiter getötet worden. Als die beiden noch extremer anfingen, mit den Holzschwertern zu fuchteln, konnte sich Konstantin nicht mehr beherrschen und musste doch lachen. Offensichtlich etwas zu laut, denn der größte Teil der Soldaten drehte sich skeptisch zu ihm herum. Da er weder seine Krone trug noch einen Umhang aus Fellen oder edle Seide, erkannten die meisten ihn offenbar nicht sofort. Sie sahen nur einen jungen Mann in enger Lederkleidung, der etwas zu gepflegt aussah für einen Kämpfer. Diejenigen, die ihn trotzdem erkannten, wichen sofort respektvoll zurück und zeigten Demut. Benedikt nahm sich einen Holzstab und riss damit den beiden kämpfenden Rekruten schließlich die Füße weg. Sie knallte lautstark auf den harten Steinboden und fingen direkt an zu jammern. Der Hauptmann winkte ab und scheuchte sie hinaus aus der Arena. Er war offenkundig sehr enttäuscht von den Neuzugängen, was Konstantin verstehen konnte. „Wollt Ihr Euer Glück wagen?“, fragte Benedikt plötzlich und sah seinen König provokant an. „Immerhin scheint Ihr das Ganze ja sehr lustig zu finden.“ Konstantin zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe, während die Soldaten ehrfürchtig schwiegen. Jetzt hatten sie wohl alle verstanden, wer sich unter ihre Reihen gemischt hatte. Doch viel schockierender war für sie, wie ihr eigener Hauptmann mit dem König sprach. Bei anderen Adligen würden dafür definitiv Köpfe rollen! „Verzeihung...“, sagte Konstantin ehrlich reumütig. „Ich wollte Euch damit nicht beleidigen, Hauptmann.“ „Das habt Ihr nicht. Die beiden habe ich bisher nicht ausgebildet.“, sagte Benedikt gelassen. „Hättet Ihr über einen ausgebildeten Soldaten gelacht, sähe das Ganze natürlich anders aus.“ „Natürlich...“ „Also? Wollt Ihr es wagen in den Ring zu steigen?“ Zum ersten Mal wünsche ich mir, dass man mich doch mal als König behandelt!, dachte Konstantin mit Herzrasen. Er hatte eben über die Rekruten gelacht, doch konnte er sich nun genauso gut blamieren. Der Stolz des Königs ließ es allerdings nicht zu, dass er nun einen Rückzieher machte. Nur deshalb trat er durch die Reihen aus Soldaten, die sofort eine Schleuse bildeten und nahm sich eines der Holzschwerter entgegen. Sie waren relativ gut ausbalanciert, was für die Ausbildung auf jeden Fall wichtig war. Trotzdem war es nicht mit dem Stahl einer echten Klinge zu vergleichen. Alleine schon durch das andere Gewicht. „Soll ich gegen einen Eurer Rekruten antreten, Hauptmann?“, hinterfragte Konstantin neugierig. „Ich dachte eher, dass wir ein Tänzchen wagen, Konstantin.“, erwiderte er gelassen. Offenbar wusste er, dass er mit seinem Vornamen angesprochen werden wollte, wenn er seine Krone nicht trug. Und was noch viel besser war: Er hielt sich daran! Dafür kam ihm ein Graus, als ihm klar wurde, dass der Hauptmann ihn gerade zum Duell herausforderte. Ganz entspannt nahm sich dieser ebenfalls eines der Holzschwerter und ließ es ein bisschen rotieren. Er wirkte nicht nur absolut entspannt, sondern siegessicher. Eigentlich sollte Konstantin sich wohl beleidigt fühlen, doch er konnte verstehen, dass sein Hauptmann nicht davon ausging, verlieren zu können. Er war ein ausgezeichneter Kämpfer. Selbst dann, wenn er bis oben voll war! „Ihr wollt mich aber sehr hart bestrafen, nicht wahr, Ben?“, scherzte er. Auch er wusste, dass der Hauptmann die Abkürzung bevorzugte und stets von allen verlangte, ihn so zu nennen. Kaum einer sprach ihn anders an. „Vielleicht ein bisschen.“, erwiderte er und grinste schief. „Aber ich werde versuchen, Euch nicht allzu schlimm zu zurichten. Eure Frau weint sonst.“ „Das tut sie auch so.“ „Auch wieder wahr...“, gestand Benedikt und zuckte mit den Schultern. „Seid Ihr bereit?“ „Ich denke schon...“ Mehr Eröffnungsgeplänkel brauchte der Hauptmann nicht, der sofort auf den König zu preschte. Der parierte den frontalen Angriff geschickt und tänzelte einige Schritte zur Seite, um im Anschluss einen Gegenangriff zu starten. Ben hatte keine Schwierigkeiten damit, die Attacke mit seinem eigenen Holzschwert abzulenken und im Anschluss direkt wieder auf den König einschlagen zu wollen. Dem Adligen wurde schnell klar, dass er in der direkten Konfrontation keine Chance hatte. Körperlich war Benedikt ihm bei weitem überlegen! Nicht nur, weil er viel mehr Muskeln besaß, sondern auch, weil er größer war. Dafür war Konstantin wesentlich wendiger. Ohne Probleme duckte er sich unter dem nächsten Angriff hinweg und machte eine seitliche Rolle. Als er aus dieser aufsprang, nutzte er den Schwung, um das Holzschwert direkt in die Seite des Hauptmannes zu schlagen. Dieser zischte auf vom Schmerz und sein Blick zeigte deutliche Überraschung. Kaum einer wusste, dass Konstantin sich als Prinz heimlich hatte ausbilden lassen. Er hatte nicht viele Lehrmeister gefunden, die sich gegen den ausdrücklichen Befehl seines Vaters stellten und ihn ausbildeten, doch diejenigen hatten gute Arbeit geleistet. Sie hatten ihm beigebracht, seine schlanke Statur für sich einzusetzen. Benedikt musste grinsen. Er hatte nicht mit einer Herausforderung gerechnet! Konstantin konnte sogar hören, wie die Soldaten um sie herum, zu tuscheln anfingen und sogar Wetten aufstellten. Offenbar hielt es im Ring kaum einer länger als drei oder vier Schläge gegen Benedikt aus. „Ich gebe zu, dass Euer Spott berechtigt war.“, sagte der Hauptmann anerkennend. „Habt Ihr noch mehr solcher Tricks drauf?“ „Ich möchte die Überraschung nicht kaputt machen.“ Die Vorfreude glänzte in den Augen des Kriegers. Er liebte eindeutig die Herausforderung des Kampfes und freute sich darüber, dass er mal einen Feind vor sich hatte, der ihm was entgegensetzen konnte. Geschickt stürmte Benedikt voran, doch bevor er zum Schlag ausholte, machte er einen Satz zur Seite und versuchte dann nach dem Oberschenkel des Königs zu schlagen. Der machte eine Pirouette zur Seite und nutzte davon den Schwung, um den nächsten Schlag zu parieren. In diesem Augenblick entschied er, dass er doch etwas aggressiver vorgehen musste. Bewusst ließ Konstantin seine Deckung fallen und ließ es so aussehen, als sei es keine Absicht. Natürlich wollte der Hauptmann diese Schwäche ausnutzen. Statt einen Treffer zu landen, tänzelte der Adlige zur Seite und verpasste ihm knapp einen Schlag gegen den Oberarm. Das Manöver forderte dennoch seinen Tribut, denn Benedikt drehte sich um die eigene Achse und nutzte den Schwung, um ihm direkt das Holzschwert gegen die Hüfte zu donnern. Schmerz benebelte ihm für einen Moment die Sicht. Er war sich sogar sicher, dass er einen Augenblick getaumelt war! Noch etwas mehr Kraft und seine Hüfte wäre vermutlich sogar gebrochen gewesen. Zumindest verriet ihm das die Übelkeit, die er sofort zu schlucken versuchte. Benedikt ließ ihm keine Pause zum Verschnaufen und nutzte die Gunst der Stunde. Zwar konnte der König seinem nächsten Angriff gerade noch ausweichen, bekam aber den zweiten Hieb gegen die Schulter direkt ab. Nochmals peitschte ihn Schmerz durch den Körper, doch dieses Mal riss es ihm nicht fast den Boden unter den Füßen weg. Schnaubend schluckte er all das herunter und nahm Anlauf. Offensichtlich hatte der Hauptmann nicht mit dem gerechnet, was nun kam! Vollkommen überrascht wurde er von dem König einfach zu Boden gerissen, der ihn alleine durch den Anlauf und sein geringeres Gewicht zu Boden brachte. Nur knallten sie beide lautstark auf den Stein. Für Benedikt war der Aufprall dennoch härter, weil sein König direkt auf ihm landete. Nur konnte der sich schneller wieder fassen, eines der Holzschwerter packen und es seinem Hauptmann direkt an die Kehle halten. „In Ordnung... Okay!“, sagte Benedikt und hob die Hände. „Ihr habt mich vollkommen überrumpelt und ich ergebe mich!“ Atemlos stieg der König langsam von seinem Hauptmann herunter und stützte sich auf das Holzschwert: „Das ist aber kein Manöver für das Schlachtfeld...“ „Nein, definitiv nicht. Aber wir waren nicht auf dem Schlachtfeld, also habt Ihr gewonnen.“, warf Ben ein. „Euer Kampfstil ist nicht so ehrenvoll und elegant, wie man es von einem Adligen erwarten sollte. Aber er ist sehr... effektiv.“ Er hat mich gewinnen lassen, oder...?, sinnierte Konstantin für sich. Um meine Ehre zu wahren. Damit ich vor den Männern stärker dastehe. An sich spielte es aber keine Rolle, ob es wirklich so gewesen war. Die Soldaten waren allesamt beeindruckt und applaudierten begeistert. Ihre Moral schien gestiegen zu sein und das Ansehen des Hauptmanns litt keineswegs unter dieser „Niederlage“. Im Schloss würde sich die Kunde über den kämpfenden König gewiss schnell verbreiten. „Wer hat Euch das Kämpfen gelehrt?“ „Das waren ein paar Soldaten, als ich noch ein Prinz gewesen bin.“, erklärte der König und nannte bewusst keine Namen. „Später noch ein paar Offiziere. Ist schon ewig her.“ „Unerlaubtes Training?“, verstand der Hauptmann sofort. „Es hat sich jedenfalls gelohnt.“ Selbst heute konnten seine Ausbilder vom Rat angeklagt werden, obwohl sein Vater nicht mehr lebte. Das Verbot war damals eindeutig gewesen und wer sich nicht daranhielt, galt als Verräter. Nur hatte Konstantin stets die Meinung vertreten, dass es gut war, wenn man beschützt wurde, aber besser, wenn man selbst schützen konnte. Maximilian war jedoch der Meinung gewesen, dass es für einen König zu gefährlich war, selbst zu kämpfen. Selbst während der Ausbildung war er zu ungeschützt, wenn Attentäter hinter ihnen her waren. Was sagst du nun, alter Mann? Siehst du mir aus dem Toten-Reich zu und gibst endlich zu, dass du unrecht hattest?, dachte Konstantin stolz auf sich. „Kommt ruhig häufiger her zum Trainieren, Konstantin.“, sagte der Hauptmann plötzlich. „Dann rostet Ihr nicht ein und könnt noch ein paar neue Manöver lernen. Und wir können auch etwas von Euch lernen.“ „Ihr meint, wie man Haken wie ein Hase schlägt, damit man nicht getroffen wird?“ „Genau das.“ „Es wird mir eine Ehre sein, Euch die Hasen-Technik zu lehren.“, sagte Konstantin verheißungsvoll. „Und ich werde gerne von Euch lernen, wie ein Mann zu kämpfen.“ Es war das erste Mal, dass er Benedikt lächeln sah. Nicht mal, als er ihm das Angebot gemacht hatte, der neue Hauptmann zu werden, hatte er derartig freudig gewirkt. Stolz, ja und durchaus erfüllt davon, dass seine Ambitionen so erfolgreich gewesen waren, aber nicht überglücklich. Bei diesem Anblick stockte dem König der Atem und sein Herz setzte für einen Augenblick aus. So etwas hatte er in der Gegenwart von keiner Frau jemals gefühlt. Und doch wusste er, dass diese Gefühle wahrhaftig und aufrichtig waren. Egal, wie sehr er sich bemühte, er würde so einen Moment niemals mit Elizabeth teilen. Nicht mal dann, wenn sie sich um etwas mehr Intelligenz bemühen würde... „Vielen Dank für den Übungskampf, Ben.“, sagte Konstantin freundlich und verbeugte sich. „Viel Erfolg beim weiteren Training.“ „Danke. Viel Erfolg beim... Herrschen.“ Der König lachte, zog sich dann aber zurück. Er wollte die Männer nicht weiter ablenken und er musste Durell langsam wieder ablösen. Heute Nacht würde er vielleicht mal keine Albträume von seinem toten Vater haben. Das alleine war es definitiv wert gewesen.   Die neue Welt gefiel ihr nicht. Zwar gab es keine schwarze Schlacke mehr, die durch die Adern von Lebewesen schoss und man konnte nicht mehr überall das Flüstern Zodiaks hören, aber dennoch befand sich die Oberwelt im Ausnahmezustand. Den Nichtmenschen erging es schlechter denn je. Viele der Rassen waren bereits ausgelöscht oder standen kurz davor. Jene Menschen, die sich zu mischen wagten, erging es keinen Deut besser. Bereits bei der Geburt wurde entschieden, wie die Zukunft von ihm oder ihr auszusehen hatte. Sklaverei, einfache Dienste, Soldatentum, Adel... Alles war schon in Stein gemeißelt und niemand wurde gefragt, ob es so in Ordnung war. Vor allem die, die viel besaßen, wollten nicht am Käfig rütteln, um irgendwas zu verändern. Sie vergötterten lieber den Weltenlenker und töteten munter weiter. Oder sie vergewaltigten... Eigentlich war es kaum anders, als zu den Zeiten, in denen Zodiak seine Terrorherrschaft ausgebaut hatte. Nur konnte hier niemand behaupten, dass er oder sie fremd gesteuert wurde. Der tote Adlige, der zu ihren Füßen lag, war ein enger Anhänger des Weltenlenkers. Soweit sie es verstanden hatte, war er für die Finanzverwaltung zuständig und beurteilte größere Projekte, die finanziert werden sollten. Wenn er sich nicht um seinen Beruf kümmerte, dann hatte er sich liebend gerne Nichtmenschen-Sklaven gehalten. Die Misshandlungen, die er ihnen angetan hatte, grenzten an Folter. Ihm hatte es eine perverse Freude bereitet, Verwandte miteinander schlafen zu lassen, während er ihnen dabei zuguckte. Bruder und Schwester. Vater und Tochter. Mutter mit Tochter... Er war da sehr kreativ gewesen. Zuvor mussten sie natürlich gebrochen werden, damit sie auch gehorchten, wenn er sie zur gegenseitigen Vergewaltigung zwang. Darunter waren Kinder gewesen... Um ihn war es gewiss nicht schade! Selbst seine eigene Familie würde ihn wohl nicht vermissen, die sich sehr für seine Aktivitäten geschämt hatte. Auch wenn die Misshandlung, Vergewaltigung, Ermordung und Verfolgung von Nichtmenschen und Mischlingen ausdrücklich erwünscht war, bedeutete das nicht, dass es solche Dimensionen annehmen musste. Ihre eisblauen Augen musterten ohne Mitgefühl den schockierten Blick. Sein Ende hatte sie ihm langsam gezeigt. Er sollte zumindest für eine Weile leiden. Normalerweise war es nicht ihr Stil. Eigentlich hieß es immer: Schnell rein und wieder heraus! Doch bei solch einem Monster machte man doch gerne eine Ausnahme. Obwohl sie auf dem linken Auge komplett erblindet war, schränkte es sie kaum ein. Natürlich sahen Dinge, Räume und Lebewesen für sie anders aus, doch ihre Elfenohren hörten dafür umso deutlicher. Ihr Geruchssinn war viel ausgeprägter. Inzwischen fühlte es sich für die Elfe nicht mehr so an, als wäre sie beeinträchtigt. Das musste immerhin auch dieser Adlige feststellen. Vermutlich hatte er sowieso nicht gesehen, dass sie auf einem Auge blind war. Unter der langen, schwarzen Kapuze war das sehr schlecht zu erkennen. Vor allem, weil an die Krempe der Kapuze extra verziertes Metall verarbeitet worden war, damit sie möglichst tief saß und nicht so leicht verrutschte. Dazu kam, dass sie darunter eine Metallmaske trug, die bis über die Nase reichte. Ihr Gesicht war also kaum zu erkennen. Unter ihrer schwarzen Lederrüstung trug sie ebenso schwarze, gut dehnbare Stoffe, die ihr viel Bewegungsfreiraum einräumten. Dennoch waren bestimmte Bereiche mit Metallen verstärkt, um sie im Kampf zu schützen. In den dunklen Handschuhen und Stiefeln versteckte sie außerdem stets Waffen. Über ihrem langen, schwarzen Umhang hatte sie einen Bogen gehangen, dessen Pfeile überall in der Rüstung eingearbeitet waren. So, dass sich die Elfe nicht verletzen konnte, sie aber auch schnell greifen konnte, wenn es ernst wurde. Ihre Garnitur war absolut einzigartig. Ebenso wie ihr neustes „Hobby“. Liebend gerne suchte sie Adlige auf, die dem Weltenlenker besonders zugetan waren und tötete diese. Dabei veranstaltete sie keinen Lärm. Es war ihr sehr wichtig, dass sie nach Möglichkeit nur ihr neustes Ziel tötete und wieder verschwand. Langsam beschwor sie ihre Seelenklinge. Dieses Schwert war an die Seele der Elfe gebunden und besaß außergewöhnliche Kräfte. Nicht nur, dass sie es überall und jeder Zeit beschwören konnte, es war außerdem in der Lage, selbst Langlebige zu töten. Jeder, der ihrem Schwert zum Opfer fiel, übertrug außerdem seine verlorene Lebenszeit auf sie und verlängerte auf diese Weise ihr Leben. Es gab kaum noch Waffen, die gegen Langlebige wirkten und kaum einer wusste, dass sie eine besaß. Ihr Blick glitt über das Schwert, welches beinahe schwarz aussah. Es bestand größtenteils aus Mithril – ein magisches Erz, welches sehr selten war – aber ebenso aus Obsidian. Das machte es nicht nur besonders haltbar, sondern auch ungemein scharf. Das bewies die Elfe auch, als sie die Klinge niedersausen ließ und der Leiche damit den Kopf abtrennte. Er rollte ein bisschen zur Seite, was ungemein makaber aussah, sich aber nicht vermeiden ließ. Im nächsten Atemzug verschwand ihre Seelenklinge wieder und sie konnte sich zu dem Kopf hocken, um ihn gefühlskalt aufzulesen. Im Anschluss verstaute sie ihn in einem dicken Jutebeutel, der bereits vom Blut vorheriger Köpfe getränkt war. Sicherlich nicht unbedingt hygienisch, doch die Elfe bezweifelte, dass sich ihre Opfer noch daran störten. Selbst wenn, hatten sie ihr Schicksal selbst besiegelt. Den Jutebeutel band sie sich um die Hüfte, ehe sie das Fenster zu ihrer linken öffnete und einfach hinausstieg. Es fiel ihr nicht schwer, das Gemäuer hinunterzuklettern und dabei keinen Lärm zu machen. Sehr zufrieden musste sie zugeben, dass sie dieses Mal wirklich gute Arbeit geleistet hatte. Bis auf dem Adligen war keiner gestorben und es war bisher auch kein Alarm ausgelöst worden. Also hatte sie genug Zeit, um weitgehend friedlich zu türmen. Zu dieser nächtlichen Stunde waren die Straßen von Götterherz leer. Am Tag konnte man sich kaum bewegen, weil ständig Kutschen, Pferde, Sklaven und Soldaten hier entlangkamen. Ganz zu schweigen von den Kreaturen des Weltenlenkers und den öffentlichen Hinrichtungen. Wenn im Kolosseum auch noch ein großer Kampf anstand, sollte man die Hoffnung auf schnelles Vorankommen vollkommen vergessen! Aber zum Glück agieren Attentäter in der Regel nachts. Das macht einiges einfacher., schmunzelte die Elfe amüsiert. Bald stand sie schon vor der gigantischen Festung des Weltenlenkers, die er selbst Heimdall getauft hatte. Ob ihm die Ironie dahinter bewusst war, wusste sie nicht. Immerhin hatte er selbst befohlen, dass alle Schriften über andere Götter vernichtet werden mussten und keine andere Religion als seine erwünscht war. Dennoch verwendete er den nordischen Wächter aller Götter als Namen für seinen eigenen Sitz. Das wusste nur kaum einer, weil die Namen der Götter in Vergessenheit gerieten. Immerhin konnte man sie nicht mehr nachlesen... Sie bezweifelte ohnehin, dass er dieses atemberaubende Denkmal selbst hatte bauen lassen oder auch nur die Idee dazu hatte. Überall in Heimdall gab es magische Adern, die sich durch das Gestein zogen und wie Blut pulsierten. Wenn man ein Gespür dafür besaß, in sich horchte und seine eigene Magie damit verband, konnte man ganz Heimdall überblicken. So wusste sie ganz genau, wo sich wer aufhielt und welche Wege sie lieber meiden sollte. Der Weltenlenker selbst schien gar nichts von diesen magischen Adern zu wissen, denn er nutzte sie selbst nicht und unternahm auch nichts, damit sie nicht von Außenseitern genutzt werden konnten. Sie vermutete außerdem, dass Heimdall ihn auch nicht als Eigentümer der Gemäuer akzeptiert hatte und sich deshalb nicht den Bewohnern offenbarte. Ein Vorteil für sie! Das Gebäude schien sie immerhin zu mögen, weshalb sie jedes Mal wieder diesen Vorteil nutzen konnte. An sich waren die Gemächer des Weltenlenkers wirklich gut gesichert und bewacht, aber nicht, wenn man alle Bewegungen jeder Wache kannte. Deshalb fiel es ihr auch leicht, sich einfach hinein zu stehlen. Der Weltenlenker selbst saß in seinem Sessel und las gerade ein Buch über Politik. Noch mehr Ironie... Er versteht nichts von Politik, liest aber ständig Bücher darüber, um dann nichts umzusetzen., dachte sie und rollte mit den Augen. „Billie...“, sagte er mit seiner samtigen Stimme ohne aufzusehen. „Ich kann das Blut riechen. Du hast es doch nicht schon wieder getan?“ Vorsichtig löste sie den Jutebeutel von ihrer Hüfte, öffnete ihn und kippte den Kopf einfach heraus, damit er zu den Füßen des Weltenlenkers kullerte. Sie selbst war sehr zufrieden mit sich, während sie sich die Kapuze vom Kopf strich. Das goldblonde, lange Haar hatte sie in einem Zopf geflochten, damit es sie nicht störte. Als sie die Maske vom Gesicht nahm, konnte er auch die fraulichen Züge sehen, die mit Sommersprossen und einer angenehmen Bräune gesegnet worden war. Sie sah schon lange nicht mehr aus, wie eine Jugendliche und darüber verspürte die Elfe keine Trauer. Der Kampf gegen Zodiak hatte alles gefordert und war der Schritt zum Erwachsenwerden gewesen. „Gib doch zu, dass du meine Geschenke zu schätzen weißt, Wyrnné.“, schnurrte sie amüsiert. „Deshalb habe ich dich auch immer als Katze betitelt...“, schnaubte der Weltenlenker und legte sein Buch beiseite. „Du bringst genauso abartige Geschenke.“ „Besser als abartige Lügen.“ Er zog die Augenbrauen in die Höhe und fuhr sich anschließend mit einer Hand durch das längere, schwarze Haar: „Ich weiß nicht, was du willst.“ „Du hast versprochen, zu widerstehen. Und du wolltest alles besser machen.“ „Es ist doch alles besser.“ „Vielleicht für die meisten Menschen, aber nicht für Nichtmenschen oder Mischlinge.“, warf sie erbost ein und ließ es sich nicht nehmen, gegen den Kopf zu treten. „Nur solchen Bestien geht es hier gut! Da erscheint mir Zodiak ja fast handzahm.“ „Unsere Definition von besser sind verschieden.“ „Damals hättest du diese ganzen Hinrichtungen nicht gemacht. Du hast Nichtmenschen bewundert und wolltest Frieden!“ „Damals waren andere Zeiten, Billie.“, warf Wyrnné ein und betrachtete endlich den Kopf. „Ernsthaft? Er war doch nur ein Bürokrat.“ „Ein sadistischer Bürokrat.“ „Jetzt muss ich mir einen neuen Finanzberater suchen. Du hast ja keine Ahnung, wie anstrengend das ist...“ „Du hast ja keine Ahnung, wie schwer es ist, jemanden zu enthaupten.“ „Habe ich nicht? Ich lasse doch ständig Verräter enthaupten. Ich sollte es also schon wissen...“ Billiana lachte spöttisch und machte eine wegwerfende Geste: „Das machst du ja nicht mal selbst!“ „Dein Punkt.“ „Und dann dein neustes Gerücht, dass du unsterblich seist? Du bist vieles, aber gewiss nicht unsterblich!“ „Gewissermaßen schon...“, seufzte Wyrnné. „Ich beherberge Zodiak, der unsterblich ist.“ „Ja, Zodiak ist unsterblich, aber nur, weil du einen Bruchteil seiner Macht beherbergst, bist du noch lange nicht selbst unsterblich.“, zischte die Elfe augenrollend. „Bist du denn schon so von ihm verblendet worden? Du kannst ja gar nicht mehr klar denken! Zorn köchelte in dem selbsternannten Gott hoch, der sich ganz langsam erhob und direkt auf sie zukam. Billie wusste, dass sie nicht zurückweichen durfte. Tat sie das, räumte sie sich ihm gegenüber eine Schwäche ein, die er direkt ausnutzen würde. Er tat überlegen und ging ein bisschen um sie herum, als wollte er ihren Schwachpunkt finden. „Was interessiert dich all das?“, wollte er dann wissen und ließ seine Fingergelenke knacken. Offenkundig musste er sehr stark mit sich ringen. Noch etwas mehr und er schlug vielleicht zu. „Warum es mich interessiert? Weil du Zodiak mit all dem hier hilfst!“ „Inwieweit sollte ihm das helfen?“ „Du versammelst alle göttlichen Splitter schön nah um dich herum. Sie könnten vielleicht dazu beitragen, Zodiak für immer zu verbannen oder sogar zu töten.“, zischte sie ihm böse entgegen. „Warum glaubst du also, will er sie dann hier haben? Für die göttlichen Splitter gibt es eine eigene Welt, auf der sie lernen sich zu kontrollieren und mit ihrer neuen Identität zu leben. Weit weg von der Oberwelt.“ „Midgard.“ „Was?“ Der Weltenlenker räusperte sich überheblich: „Wir nennen das nicht mehr Oberwelt, wie ihr primitiven Unterweltler.“ „Ich vergaß...“, säuselte sie und hob theatralisch die Hände in die Luft. „Du verbrennst ja alle Schriften, um jede andere Religion, Kultur und Denkweise loszuwerden, klaust dann aber Bezeichnungen und Namen daraus.“ „Besser gut geklaut, als schlecht selbst gemacht, findest du nicht auch?“ „Darüber lässt sich streiten...“ „Du denkst also, dass Zodiak will, dass sie alle hier sind, damit er was tun kann? Sie alle töten, sobald er eine Möglichkeit dazu findet?“, hinterfragte Wyrnné nun interessiert und ließ ihr wieder mehr Freiraum. „Sie sind alle unsterblich. Ich habe das getestet...“ „Wir Langlebigen, liebster Wyrnné, wissen genau wie wir einander töten können. Für einen Normalsterblichen ohne Wissen ist das unmöglich, weshalb sie uns für unsterblich halten, aber wir Eingeweihten wissen es allesamt besser.“, erinnerte sie ihn kühl. „Glaubst du nicht, dass es Unsterblichen genauso geht? Vielleicht haben sie Mittel und Wege, damit sie sich gegenseitig umbringen können.“ „Dann wäre die Bezeichnung unsterblich wohl auch falsch gewählt.“, spottete der Schwarzhaarige. „Es kann immer Hintertürchen geben. Die gab es bei Zodiak auch.“ „Weißt du was? Mich interessieren deine wilden Theorien nicht.“, seufzte Wyrnné gelangweilt und nahm Platz. „Ich werde dir nun meine Männer auf den Hals hetzen, damit du wirklich schnell verschwindest. Und lass‘ den Unsinn mit den Köpfen. Das ist albern.“ Einen Augenblick lang schloss sie ihre Augen und lauschte. Auf dem Flur bewegte sich etwas. Der Weltenlenker war eng verbunden mit seinen Schöpfungen, weshalb er sie nicht wirklich rufen musste. Das tat er über seinen Geist. Und sie brauchten nicht lange, um dann zu ihrem „Vater“ aufzubrechen und diesen zu beschützen. Sie zählte bisher drei Männer. Einer davon war definitiv Altan. Dann noch ein weiterer Inquisitor und wahrscheinlich ein Fessler. Das konnte sie anhand des Gangbildes, dem Gewicht auf den Füßen und den Geräuschen von Kleidung schließen. Altan hingegen erkannte sie unter Tausenden. Er führte die Inquisitoren an und musste deshalb eine besondere Bedeutung für Wyrnné haben. Er war auf jeden Fall der mächtigste unter ihnen! Aus der Ferne rückten bereits einfach Soldaten heran. Sie waren noch zu weit weg, um beurteilen zu können, wie viele es tatsächlich waren. Altan hatte sie sicherlich in dem Augenblick rufen lassen, als er den Zorn Wyrnnés gespürt hatte. So waren sie für den entscheidenden Augenblick abrufbereit. Als wüsste sie von all dem nichts, griff sie zu einem besonders dicken Buch, welches auf einem Tisch lag. Es war wirklich schwer und der Einband war besonders stabil. Hier und da war er mit Metallen verstärkt worden, was das Gewicht stark erhöhte. „Die Dynastie der Hochelfen...“, las sie dann schließlich vor und zog die Augenbrauen in die Höhe. „Ein wirklich gutes Buch. Hast du es bereits durchgelesen?“ Wyrnné wirkte skeptisch, nickte dann aber trotzdem: „Ja, habe ich. Wieso?“ „Gut.“ Ohne mit der Wimper zu zucken, schleuderte die Attentäterin das Buch einfach auf die große Fensterscheibe zu, die sofort in tausende Stücke zersprang. Glas kam gerade in Mode, wodurch sich nur hohe Adlige solche Scheiben leisten konnten. Meist gut für sie, denn so konnte sie meistens problemlos überall einsteigen und wieder heraus. Hier musste sie sich vorher überlegen, wie sie die Glasscheibe aus dem Weg bekam. Mit einem amüsierten Lächeln blickte sie nochmals zum schockierten, falschen Gott und setzte sich dann die Maske wieder auf. Ihre Kapuze folgte nur einen Herzschlag später, damit die Elfe wieder vermummt war. Zwar kannte Wyrnné ihr Aussehen und ihre Identität, doch sein Wissen hatte er bisher nicht für Steckbriefe verwendet. Ein Teil von ihm schien noch an der alten Zeit zu hängen und ihr nicht schaden zu wollen. Bisher konnte sie das ausnutzen. „Danke für die Gastfreundschaft. Bis zum nächsten Mal, Wyrnné.“, sagte sie amüsiert, trat zurück und ließ sich dann einfach nach hinten fallen. „Nein!“, schrie der Weltenlenker und stürmte zu der zerstörten Scheibe. Als er nach unten blickte, konnte er nichts entdecken. Keine stürzende Silhouette, kein Geschrei und unten war auch keine Leiche zu erkennen. Jedoch war es auch sehr dunkel, weshalb er sie in der schwarzen Bekleidung wohl kaum erkennen würde, wenn sie da lag. „Mylord?“, hörte er Altan fragen. „Was ist passiert? Wurdet Ihr angegriffen?“ „Schon gut.“, sagte der Weltenlenker und rang um Fassung. „Finde heraus, ob da unten eine Leiche liegt und sag‘ mir Bescheid.“ „Natürlich.“ Der Inquisitor hinterfragte keine Befehle, sondern führte diese nur aus. Anders, als ein normaler Soldat, würde eine dieser Schöpfungen niemals widersprechen oder Dinge hinterfragen. Sie führten einfach nur aus. Das machte sie loyaler, aber auch unselbstständig. Er will also eindeutig nicht, dass ich sterbe., schmunzelte die Elfe, die nur einen Sims unter dem Zimmer war und deshalb alles hören konnte. Das ist ein Vorteil. Sie war nicht dumm und hatte damit gerechnet, dass er sie mal wieder herauswerfen würde. Nur musste sie dieses Mal trotzdem einen dramatischen Abgang machen, weil die Wachen bereits vor der Tür standen. Doch für solche Fälle verbarg sich im Handschuh eine zwergische Mechanik. Sie konnte einen Metallanker herausschießen, der sich durch fast jedes Gestein oder Holz bohrte, um im Anschluss Ärmchen auszuklappen, die sich dann festsetzten. Am anderen Ende befand sich ein sehr stabiles Seil, an dem man sich festhalten und dann in die richtige Position hangeln konnte. Oder man verhinderte eben einen wirklich fatalen Sturz in die Tiefe! Als Langlebige würde sie den Absturz natürlich überleben, aber der Heilungsprozess würde nahezu sofort einsetzen, wodurch sie nicht mehr fliehen könnte. Deshalb musste sie solche Abstürze und andere tödlichen Manöver auch sein lassen, wenn sie im Anschluss noch laufen wollte oder eben springen. In diesem Fall würde sie viel über Dächer und Balkone springen müssen, um weit weg von Heimdall zu gelangen. Immerhin würde Wyrnné nun nach ihr suchen lassen, wenn auch nur, um zu tarnen, dass er ihre Gräueltaten nicht einfach so durchgehen ließ. Die Suche würde sich gewiss weder weit erstrecken noch wirklich lange andauern. Bis dahin würde die Elfe sich aber bedeckt halten.   Kelvin wusste, dass es schon zahlreiche Rebellionen gegen den Weltenlenker gegeben hatte, jedoch keine davon jemals von Erfolg gekrönt gewesen war. In No’gobor – die Stadt des Wissens – gab es Aufzeichnungen zu den Aufständen. Immerhin tat der selbsternannte Gott alles, um gerade solche Informationen geheim zu halten. Leider hatten diese ganzen Bücher und Schriften den Rebellenanführer nicht wirklich weitergebracht. Er hatte nicht herausfinden können, ob es Unsterblichkeit wirklich gab oder ob man den Weltenlenker doch irgendwie töten konnte, wenn man nah genug herankam. Auch über die vermeidlichen Götter hatte er einfach nichts herausfinden können. Das war wirklich frustrierend! Dafür wusste er aber, dass Wyrnné nicht log, wenn es darum ging, dass einst eine dunkle Macht Midgard beinahe den Untergang gebracht hatte. Offenbar war es eine Art Seuche gewesen, welche jedem Lebewesen, welches damit in Kontakt gekommen war, vollkommen wahnsinnig gemacht hatte. Doch wie diese Plage tatsächlich besiegt werden konnte, war nirgendwo aufgeschrieben worden. Deshalb vermutete Kelvin, dass der Weltenlenker nur entfernt etwas damit zu tun gehabt hatte, sonst hätte er diese Schriften nicht ebenso verschwinden lassen wie all die Religionen und Kulturen. Er musste trotzdem zugeben, dass er die neue Welt nicht mochte. Er wäre lieber mit dieser Seuche aufgewachsen, als unter der Führung dieses Irren! Ohne diese barbarischen Kreaturen, die er erschaffen hatte... Ohne tägliche Hinrichtungen. Natürlich waren die Völker damals im Ausnahmezustand gewesen und hatten häufig Kriege gegeneinander geführt, doch sie hatten alle eine reelle Chance gehabt zu überleben. Heutzutage waren alle Rassen vom Aussterben bedroht, abgesehen natürlich von den Menschen. Ironischerweise gab es in diversen Schriften Hinweise darauf, dass der Weltenlenker selbst niemals ein reinrassiger Mensch gewesen war. Das waren Informationen, die sich wunderbar als Gerüchte eigneten. Der durchschnittliche Bürger brauchte kein fungiertes Wissen und belegbare Informationen, um zu wanken. In der Regel reichten ein paar gut ausgearbeitete Gerüchte über Geheimnisse. Gerne hätte er gewusst, was seine Mutter von all diesen Ambitionen gehalten hätte. Sie war eine hochrangige Adlige gewesen, die den Fehler gemacht hatte, sich in ein Mischblut zu verlieben. Offenbar war er ein Diener gewesen. Zwar hatte sie noch versucht, Kelvin als das Kind ihres Mannes zu verkaufen, doch der Weltenlenker hatte die Wahrheit recht schnell herausgefunden. Es hatte nicht lange gedauert, da war das Haus Morgenstern ausgelöscht gewesen. An sich Strafe genug, doch Wyrnné hatte das Ganze einfach nicht gereicht. Er hatte Kelvin gefangen nehmen lassen und dann an seinen sogenannten „Todesspielen“ teilnehmen lassen. Die Todesspiele waren letztendlich eine Hinrichtung für Kinder und Jugendliche, die entweder selbst Verrat begangen hatten oder dessen Eltern den Weltenlenker verraten hatten. Sie dienten der Abschreckung, aber auch der öffentlichen Belustigung. Letztendlich wurden die Kinder mit Waffen und Giften in das Kolosseum geworfen und mussten dann öffentlich gegeneinander antreten. Hierbei wurde darauf geachtet, dass die Kinder nach Möglichkeit keine Magiebegabten waren. Man versprach den Kindern, dass wenn sie als Letzter überlebten, man ihnen die Freiheit schenken würde. Ihre Verbrechen würden gesühnt sein und sie bekamen eine zweite Chance auf ein Leben. Natürlich überlebte eigentlich niemals ein Kind. Entweder brachten sie sich alle untereinander um oder das letzte Kind erlag den Verletzungen. Bei Kelvin war es anders gewesen. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass er ein Essenzbeherrscher war, weshalb sie ihn auch in den Kampf zugelassen hatten. Ihm wurde gesagt, dass er nun für die Sünden seiner hurenden Mutter bezahlen musste. Irgendwann im Laufe der Kämpfe entfachte die Macht seiner Magie und er schaffte es zu überleben. Zu dieser Zeit war er noch naiv gewesen. Vielleicht zehn Jahre alt... Er hatte voller Hoffnung zu der Tribüne des selbsternannten Gottes und seiner Anhänger hinaufgeblickt und auf den Freispruch gehofft. Stattdessen hatte er das Volk befragt, ob Kelvin es sich verdient hatte, frei zu sein. Natürlich wurde das verneint. Sie wollten Blut sehen! Unabhängig davon, dass es sich um Kinderblut handelte. Als ihm klar wurde, dass niemand vorhatte, ihn gehen zu lassen, hatte er seine neugewonnene Macht benutzt, um schnellstmöglich zu entkommen. Wenn Kelvin ehrlich mit sich selbst war, wusste er bis heute nicht, wie er das eigentlich geschafft hatte. Jedenfalls war es wirklich knapp gewesen! Er hatte sich diverse Verletzungen zugezogen und nur durch Glück überlebt. Für Wyrnné war das wirklich das denkbar schlimmste Szenario, welches geschehen konnte. Er ließ direkt diverse Steckbriefe anfertigen, schickte seine Kreaturen, Söldner und Soldaten los, um das Kind zu finden. Ein Essenzbeherrscher, der nicht unter seiner Kontrolle war und frei herumlief, war keine Option. Es hatte Wochen gedauert, bis der Jüngling die Grenzen erreicht hatte und in ein Reich fliehen konnte, welches nicht unter der Kontrolle des Weltenlenkers stand. Auch wenn er gerne so tat, gehörte ihm nicht die Welt. Über den Meerengen gab es zahlreiche andere Länder und Reiche und selbst neben dem eigenen Herrschaftsgebiet gab es andere Könige, die ihm nicht dienten. Einige waren selbstverständlich mit ihm verbündet, um nicht angegriffen zu werden, aber die meisten gaben sich lieber neutral. Genau solch ein neutrales Land war letztendlich die Rettung für das Kind gewesen. Dort fand er einen Meister, der ihn seine Magie lehrte und ihm Kontrolle beibrachte. Das reichte Kelvin jedoch nicht, der auch jemanden fand, der ihm beibrachte, wie er mit Dolchen kämpfen konnte. Zwar wollte der Krieger ihm auch den Umgang mit anderen Waffen lehren, doch der Rebellenanführer war damals sicher gewesen, dass es keinen Sinn machte. Dolche und Messer konnte man verstecken! Damit konnte man schnell, gezielt und absolut tödlich zuschlagen, wenn man es gut machte. Nur war das viel schwerer als es klang... Nachdem er die Todesspiele überlebt hatte, war sich das damalige Kind aber sicher gewesen, dass er alles überleben konnte. Er würde nur zukünftig keine Gelegenheit bieten, damit man ihn durch seine Unwissenheit schlagen konnte. Erst mit zwanzig Jahren entschied Kelvin, dass er die Welt etwas bereisen wollte. Auch, um noch mehr zu lernen und sich immer weiter zu entwickeln, damit er irgendwann Rache nehmen konnte. Auf dieser Reise lernte er Amelie kennen. Eine sehr exotische Schönheit, die ihm gerade deshalb gefiel, weil sie kein Interesse an ihm zeigte. Ihre gebräunte Haut und das dunkelbraune Haar, passten so wunderbar zu ihren braunen Augen. Noch perfekter war ihr trainierter Körper, den sie für den Bauchtanz so gut pflegte. Irgendwann hatte er es geschafft, ihre Zunge etwas zu lockern. Sie berichtete ihm dann, dass sie einst eine Tänzerin vom Prinzen Teucer Malik-Kumar gewesen war, aber dann mehr von der Welt sehen wollte. Heutzutage war er kein Prinz mehr, sondern der König Indiens. Sie waren einmal dort gewesen. Kelvin hatte die Kultur und vor allem die Tiere dort wahnsinnig interessant gefunden. Die Leidenschaft von Teucer für Elefanten konnte er bis heute sehr gut nachvollziehen. Für Amelie waren all diese Dinge aber natürlich trist geworden. Sie gehörten zu ihrem Alltag. Deshalb hatte sie die Welt erforschen wollen, um mehr davon zu sehen und sich zu entwickeln. Im Laufe dieser Reise hatte auch sie das Kämpfen gelernt und war zu einer wirklich geschickten Kriegerin geworden. Schnell, wendig und tödlich. Sie schienen wirklich verwandte Seelen zu sein! Nach fünf Jahren offenbarte Amelie ihm schließlich, dass sie schwanger sei. Er fackelte nicht lange und machte ihr einen Antrag. Doch ihre Hochzeit traten sie niemals an... Zu diesem Zeitpunkt befanden sie sich knapp über einer Grenze, dessen Reich dem Weltenlenker zugetan war. Erschwerend hinzukam, dass jemand sie offenbar erkannt hatte und die Information weitergab. Altan selbst war dabei, ein Fessler und zahlreiche Soldaten, als sie dann kamen. Amelie stieß Kelvin eine nicht allzu tiefe Schlucht herunter, pöbelte im Anschluss die Bestien an und opferte dabei ihr Leben. Von Zorn gepeinigt, musste er dennoch die Flucht antreten, um ihr Opfer zumindest nicht umsonst sein zu lassen. Es war die schwierigste Entscheidung, die er jemals in seinem Leben hatte treffen müssen. Mit einem Schlag hatte er seine Familie verloren! Ein zweites Mal... Wie ein Berserker tötete er seine Verfolger und sorgte dafür, dass sie sich trennten. So schaffte er es, seinen ersten Fessler zu töten. Ein rangniedriger, aber dennoch war es für den Rebellenanführer wie eine Neugeburt im Blut gewesen. Er stellte sich selbst Altan, musste sich aber zurückziehen, weil der Inquisitor einfach zu übermächtig gewesen war. Bedauerlich, doch an diesem Tag war der Rebellenanführer wie ein Phönix aus der Asche auferstanden und schwor ewige Rache. Dieses Mal würde er nicht davonlaufen. Er würde nicht eher ruhen, bis der Weltenlenker genauso gelitten hatte, wie so viele Menschen, Nichtmenschen und Mischlinge durch ihn! Der Tod war nicht Strafe genug. Diese Erlösung würde er ihm erst gewähren, wenn er es als angebracht ansah. Natürlich würde ihm das nicht Amelie oder sein ungeborenes Kind zurückbringen, aber er würde sich dann vielleicht endlich mal etwas besser fühlen. Vielleicht konnte er dann sogar endlich frei sein. Nicht frei von Schuld, aber frei von all den Albträumen und dem Gefühl, nicht genug gekämpft zu haben. Und er hatte die Hoffnung, dass die Geister seiner Familienmitglieder dann Frieden finden würden, wenn ihre Peiniger fort waren. Lächerlich, so seinen Morddrang zu rechtfertigen..., dachte Kelvin verbittert. Aber ich muss gestehen, dass ich immer noch nicht glaube, dass der Weltenlenker es besser verdient. „Hamm.“, sagte Kelvin freundlich. Er war erst seit einigen Minuten von seiner Reise zurück, aber er war zu ruhelos, um lange still zu halten. „Kel.“, erwiderte der Titan überrascht. „Seit wann bist du zurück?“ „Erst seit eben.“ „Willkommen Zuhause.“, sagte der Hüne grinsend und reichte ihm die Hand, um diese fest zu drücken. „Hast du die Informationen gefunden, auf die du gehofft hast?“ „Leider nicht wirklich... Aber ich habe ein paar Schriften mitgehen lassen. Vielleicht übersehe ich ja etwas.“ „Das dürfte für dich eine dauerhafte Verbannung aus No’gobor bedeuten.“ „Falls sie jemals herausfinden, dass ich es war.“, amüsierte sich der Rebellenanführer. „Ein paar Schriften sind auf Drakonisch. Ich hatte gehofft, du wirst vielleicht daraus schlau.“ „Du weißt schon, dass ich kein Drache bin?“ „Ja.“ „Und dir ist auch klar, dass meine Frau tot ist und mir nicht beim Übersetzen helfen kann?“ „Natürlich.“ „Schön, dass wir alle Klarheiten beseitigt haben.“, schnaubte Hammond augenrollend. Kelvin zuckte mit den Schultern und ging dann schnurstracks in die Küche ihres Verstecks. Irgendwie schafften sie es immer, die Schränke befüllt zu halten. An guten Tagen gab es sogar süßes Gebäck! Es war dem Rebellenanführer unbegreiflich, wie sie so etwas anbieten konnten, obwohl sie wirklich wenig Mittel zur Verfügung hatten. Das musste an ihrer Finanzdame liegen, die seit einigen Monaten alles hier übernahm, wenn es um Gold ging. Sehr zufrieden nahm er sich eine Zimtschnecke. Es war ein Gebäck aus einem ganz anderen Reich und wurde neuerdings zum Weltenbaum importiert. Natürlich konnten sich nur reiche Menschen diese leisten! Doch offenbar wollte Elena auch ihnen nicht diese Freude vorenthalten und hatte ihnen zumindest sechs Stück organisiert. Zimt kannte der Essenzbeherrscher nicht und war sehr überrascht über den neuen Geschmack. Hefeteig und Zucker hingegen waren für ihn bereits bekannt. Hier war wirklich dieses Gewürz dominierend und brachte ihn kurzerhand auch zum Grinsen. „Schmeckt gut, nicht wahr?“, warf Hammond lächelnd ein. „Elena hat sie besorgt.“ Oh, süße Elena, was würden wir nur ohne dich machen?, sinnierte Kelvin angetan. Wirklich gut, dass der Weltenlenker es mit den de Windsors nicht gut meint. Elena de Windsor war eine wirklich hübsche, dunkelhaarige Adelstochter, dessen Familie sehr übel mitgespielt wurde. Ihre Mutter war offenbar irgendwann wahnsinnig geworden und hatte überall Geschichten über den Weltenlenker erzählt. Offenbar meistens mit sehr eindeutigen Behauptungen, dass sie einst Sex miteinander gehabt hatten, doch die Methoden des Mannes sehr fragwürdig waren. Irgendwann war das Gerede so viel geworden, dass der selbsternannte Gott einschreiten musste, um seinen Ruf zu wahren. Er hatte es so dargestellt, dass man ihre Mutter erlösen musste, da sie offenbar krank gewesen sei. Zwar war die Tötung dahinter nicht so qualvoll gewesen, wie er es sonst bevorzugte, doch er hatte einer Tochter ihre Mutter genommen. Als würde das nicht reichen, hatte er den Rang der de Windsors im Anschluss niedriger gestellt und ihnen so, sehr viel Macht und Geld genommen. Zwar überwachten sie immer noch den Schlund – der einzige Ort, an dem Mithril gewonnen werden konnte – aber das war auch die einzige Ehre, die ihnen geblieben war. Und vielleicht noch der Adelstitel, der nun beinahe wertlos geworden war... Selbst der Schlund war eine fragwürdige Ehre. Zwar galt das Mithril als das kostbarste und seltenste Erz Midgards und war durch seine magischen Eigenschaften ungemein begehrt, doch hatten sie selbst keinen Anspruch auf das, was abgebaut wurde. Alles ging an den Weltenlenker, der den größten Teil für sich und seine Armee behielt. Den Rest verkaufte er an auserwählte Personen zu seinen eigenen Konditionen. Außerdem arbeiteten im Schlund kaum freiwillige Arbeiter. Es waren hauptsächlich Schwerverbrecher, wie Vergewaltiger, Mörder und Verräter. Man musste also nicht nur sehr viel Wachpersonal beschäftigen, um die Mine als solche zu verteidigen, sondern auch, um die Minenarbeiter in Schach zu halten. Das war keine Ehre, der man freiwillig folgte. Kelvin selbst war nie dort gewesen, doch Elena beschrieb den Schlund als einen riesigen Krater. Sie vermutete, dass etwas sehr Großes aus großer Höhe dort eingeschlagen war. Irgendwann hatten sich dann Knoten gebildet, aus denen sich das Mithril entwickelte. Und selbst jetzt wuchsen die Knoten nach vielen Jahrzehnten nach. Deshalb verebbte die Quelle vorerst nicht, obwohl dort jeden Tag geschürft wurde. Durch die steilen Abhänge war das Abbauen jedoch sehr gefährlich. Sie verloren regelmäßig Arbeiter, weil sie keine Vorrichtungen bekamen, um sich vor Abstürzen zu schützen. So mussten sie ständig neue Leute finden, sie einarbeiten und trotzdem für Ruhe unter ihnen sorgen. Vor der Enthebung ihrer Mutter, hatte Elena jedoch eine wirklich gute Ausbildung genossen. Sie konnte lesen, schreiben und rechnen. Oh, wie gut sie rechnen konnte! Außerdem war sie wirklich gut darin, Verhandlungen zu führen. Das half der Rebellion ungemein weiter. Deshalb war es zumindest für sie kein Schaden, dass man diese Adlige so ungerecht behandelt hatte. Ihr Zorn half ihnen, so wie der eigene Zorn jeden von ihnen antrieb. „Ich habe mir überlegt, dass wir mal einen der vermeidlichen Götter einen Besuch abstatten sollten.“, sagte Kelvin nach dem langen Schweigen. „Anders können wir wohl nicht mehr über sie erfahren.“ Hammond verschluckte sich bei seinem nächsten Bissen und musste sich kräftig auf die Brust klopfen. Er war schon bei Übergriffen auf Adlige dabei gewesen, aber das war definitiv etwas anderes! Sie mussten nicht in ein einfaches Anwesen einbrechen, sondern in Paläste und Schlösser, die viel extremer bewacht wurden. Einigen von ihnen standen sogar Schöpfungen des Weltenlenkers zur Verfügung, weil sie besondere Privilegien genossen. Es war ein bisschen so, als wollte ein Mann gegen eine ganze Armee ohne Waffen antreten. „Glaubst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?“, wollte der Titan wissen, nachdem er ein Glas Wasser getrunken hatte. Anders hätte er das Stück Gebäck wohl nicht sicher herunterbekommen. „Wir müssen halt endlich ausprobieren, ob sie wirklich unsterblich sind.“, warf er ein. „Und wir sollten auch herausfinden, was sie für Fähigkeiten besitzen. Abgesehen von der Fähigkeit, sehr eigenwillige Namen zu tragen...“ „Um zu testen, ob man sie töten kann, muss man nah genug an sie herankommen.“, erinnerte ihn Hammond. „So stark, wie sie alle bewacht werden, wird das schwierig.“ „Dem stimme ich zu. Aber sie haben eine neue Gottheit, die bisher noch nicht öffentlich aufgetreten ist.“ „Du meinst Lebenswelt? Dieser Gott, über den man nur den Zunamen weiß und sonst nichts?“ „Ja, genau.“ Der Titan räusperte sich, während er sich irritiert setzte: „Inwieweit sollte uns das weiterhelfen?“ „Der angebliche Gott ist erst seit kurzem bekannt. Ich bin mir sicher, dass das Wachpersonal noch nicht so gut miteinander eingespielt ist.“, erklärte Kelvin gelassen. „Und es gab bestimmt noch nicht die Gelegenheit, den Palast besonders auszustatten. Ich denke mal, bei ihm können wir eher einsteigen als bei den anderen.“ „Das ändert nichts daran, dass wir überhaupt nichts wissen.“ „Natürlich werde ich vorher versuchen, an Pläne des Palastes zu kommen und an eine ungefähre Aufstellung des Personals.“ „Wenn das denn mal reicht, um in solch einen Ort einzusteigen.“, bezweifelte der Hüne stirnrunzelnd. „Wir haben immer noch recht wenige Anhänger, Kel. Diejenigen, die sich uns anschließen, sind meistens keine Kämpfer... Dorian wird sicherlich mitkommen, wenn du ihn gut überredest, aber er ist auch nicht gerade das, was man einen Krieger nennt.“ „Ist doch eh besser, wenn wir nur eine kleine Truppe sind. Dann können wir unbemerkt rein und wieder raus.“ „Im Unbemerktsein scheinst du mir nicht gerade die Person mit dem größten Erfahrungswert zu sein...“ „Ich bezweifle, dass das ein Wort ist...“ Hammond winkte ab: „Ist doch egal, es macht doch deutlich, dass du nicht gerade in den Schatten agierst.“ „Wir werden einen Weg finden, damit selbst ich es schaffe, dass nicht alles Alarm schlägt. Klingt das gut?“ „Das Ganze klingt nicht gut, Kel. Das sollte auf jeden Fall noch genauer besprochen werden.“ Und du willst ein Soldat sein?, sinnierte Kelvin etwas enttäuscht. Wäre mir lieber, du wärst einer von denen, die salutieren und loslegen. Ach... Stimmt nicht! Ist schon ganz gut, dass du mich zu zügeln versuchst. „Versprich‘ mir einfach, dass du vorsichtig bist, wenn du in dieser Richtung recherchierst.“, sagte Hammond schließlich seufzend, denn er merkte, dass er ihn ohnehin nicht aufhalten konnte. Aber vielleicht konnte er zumindest dafür sorgen, dass er nicht direkt dabei draufging. „Ja, von mir aus kann ich das versprechen.“, erwiderte der Rebellenanführer. „Aber in der Regel fällt es mir schwer, diese Versprechen auch zu halten.“ „Ich hatte befürchtet, dass du das sagst.“, seufzte er. „Aber mal was anderes... Vor einigen Stunden ist offenbar jemand in Heimdall eingedrungen, hat es bis zum Weltenlenker geschafft und ist im Anschluss abgehauen.“ „Tatsächlich?“, hinterfragte Kelvin interessiert. Er wusste nicht, ob das jemals geschehen war! Wenn ja, dann hatte man diese Information bisher wirklich gut zurückhalten können. Jetzt war aber offensichtlich etwas nach außen gedrungen. Der Titan nickte zustimmend: „Ja, ich bin nachgucken gegangen. Im dritten Stock wurde tatsächlich ein Fenster beschädigt. Dadurch soll die Person geflohen sein.“ „Aus dem dritten Stock? Hast du eine Ahnung, wie hoch das ist?“ „Es kann natürlich sein, dass der Eindringling bereits tot ist, aber darüber habe ich bisher keine Informationen erhalten.“ „Weiß man denn irgendwas über diesen Wahnsinnigen?“ „Bisher gar nichts.“, antwortete der Hüne kopfschüttelnd. „Er war vermummt und ist schnell rein und wieder raus. Das, worin du so >gut< bist.“ Kelvin zog die Augenbraue in die Höhe. Jemand, der es in diesen Palast schaffte und lebend wieder herauskam, wäre für ihre Sache nicht einfach nur ein Gewinn, sondern würde sie vermutlich zum Sieg führen! Wenn sie herausfanden, wie sie den selbsternannten Gott töten konnten, konnten sie diesen Teufelskerl einfach hineinschicken und es ihn machen lassen. Dann wäre der Spuk endlich vorbei. Nur leider waren diese Informationen zu spärlich, um auch nur ansatzweise nach ihm suchen zu lassen. Zumindest eine Haarfarbe und die Rasse waren schon mal ein guter Hinweis. Alle weiteren Merkmale wären natürlich der Hauptgewinn! Doch so suchten sie die Nadel in einem Haufen von Nadeln... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)