Charmante Courage von Varlet ================================================================================ Kapitel 5: Shuichis erster Fall: Leichenfund -------------------------------------------- Nachdem er die Sicherheitskontrolle passierte, zog sich Shuichi seine Jacke wieder an. Er beobachtete die Menschen in dem Eingangsbereich und ließ die Atmosphäre auf sich wirken. Vor knapp drei Wochen hatte er seinen ersten Arbeitstag in der New Yorker Niederlassung. Er fühlte sich wie ein kleines Kind im Spielzeugladen, welches sich alles aussuchen durfte und nicht auf die Konsequenzen achten musste. Aufregung und Freude zugleich bestimmten den Morgen. Aber da war auch noch ein kleiner Hauch Nervosität, denn er würde Agent Starling wiedersehen. Sein anfänglicher Wunsch diesem als Partner zugeteilt zu werden, zerschlug sich mit der Trennung von Jodie. Selbst wenn er gekonnt hätte, hätte der ältere Agent alle Hebel in Bewegung gesetzt um der Partnerschaft zu entkommen. Und vielleicht war es auch besser so. Nicht nur der Partnerschaft wegen, sondern auch um Jodies Gefühle nicht noch mehr zu verletzen. Durch seine Familie wusste er, dass Jodie noch immer an ihm hing. Und auch wenn ihr letztes Widersehen lange her war, musste er nicht noch Salz in die Wunde streuen. Seine neue Partnerin – Laura McKnight – hingegen schien ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Was Akai über sie erfuhr, war nicht allzu viel. Sie hatte knapp zehn Jahre Berufserfahrung und einige Anfänger in ihrer Probezeit begleitet. Sie war nie auffällig und arbeitete ihre Fälle immer ordnungsgemäß und mit der notwendigen Distanz ab. Dennoch wurde sie nur selten in Zeitungsartikeln erwähnt und hielt sich generell lieber im Hintergrund. Wenigstens war sie nicht inkompetent und wusste was zu tun war. So wie er sie einschätzte, war sie auch bereit die Regeln hin und wieder etwas zu drehen, um sich entsprechend in den Grauzonen zu bewegen. Dennoch hatte seine neue Arbeit auch einen bitteren Beigeschmack. Hatten Agenten einen Fall übernommen, gaben sie ihn nicht mehr ab. Aber einen Fall haben und einen Fall zugeteilt bekommen, waren zwei Paar Schuhe. Und er hatte das Problem, dass es keinen Fall gab, sodass er nur am Schreibtisch saß und Lauras Akten wegsortierte, mal für einen anderen Agenten die Recherchearbeit übernahm oder zum Schießstand fuhr und dort seine Fertigkeiten trainierte. Langsam trabte Shuichi zum Aufzug. Wenn er heute wieder nichts machen konnte, würde ihm noch die Decke auf den Kopf fallen. Als sich die Aufzugstüren öffneten, kamen ihm einige Agenten der Nachtschicht entgegen, andere wie Starling blieben im Aufzug stehen. Shuichi musterte Jodies Vater und stieg dann ein. „Morgen“, grüßte er die übriggebliebenen Männer und Frauen, hoffte aber innerlich, dass der Aufzug schnell bei seiner Etage ankam und nicht stecken blieb. Denn aus seiner Erfahrung wusste er, dass das Schicksal gerne mal Streiche spielte. Auch wenn er nichts sagte, fieberte er jeder Etage entgegen und als sich Agent Starling endlich auf den Weg nach draußen machte, war er erleichtert. Eigentlich sollte zwischen den beiden Männern ein normaler Umgang herrschen, aber die Realität sah anders aus. „Ich behalte dich im Auge“, flüsterte ihm der ältere Agent zu. Akai sah ihm irritiert nach. Das konnte noch heiter werden. Und wenn sich ein erfahrener Agent gegen ihn stellte, musste er sich erst recht beweisen. Aber er würde nicht aufgeben und hart arbeiten, um ein verlässliches und nicht wegzudenkendes Mitglied des FBIs zu werden. Als der Fahrstuhl erneut seine Türen öffnete, stieg er aus und ging zu seinem Büro. Seinen Namen an der Tür zu lesen, gab ihm ein unglaubliches Gefühl. Sofort musste Shuichi lächeln. Dann aber räusperte er sich und betrat das Büro. Shuichi sah auf den Schreibtisch und seufzte innerlich auf, als er den Aktenberg sah. „Laura“, begann er. Die Angesprochene sah von ihrer eigenen Akte auf. „Hmm? Dir auch einen schönen guten Morgen.“ „Morgen“, murmelte er und setzte sich auf seinen Platz. „Hast du mir wieder ein paar von deinen Akten untergejubelt?“ Der Tag fing wie der Vorherige an. Aber er würde nicht aufgeben. Egal welche Aufgabe Laura ihm gab, er würde sie mit Bravour bestehen. Laura pfiff unschuldig, ehe sie kicherte. Manchmal war die Arbeit als FBI Agent trist, aber es gab auch gute Zeiten. Vor allem wenn man einen Fall löste, war die Euphorie groß. „Oh man…“, sagte Akai leise und öffnete die erste Akte. Es war ein Fall den Laura Monate zuvor bearbeitet hatte. Ihre Notizen hatten sie handschriftlich dazu gelegt. Jetzt würde er sie abtippen und an die richtigen Stellen heften. „Jetzt lass den Kopf nicht hängen“, entgegnete Laura ruhig. „Du bist doch noch nicht so lange bei uns und leider haben wir gerade wohl eine kleine Flaute. Das kommt hin und wieder vor. Aber keine Sorge, damit du dich nicht langweilst, hab ich dir ein paar Akten auf den Tisch gelegt.“ „Ein paar?“ Akai hob fragend die Augenbraue. „Dann will ich wohl nicht wissen, was viele bei dir heißt.“ Laura zuckte schmunzelnd mit den Schultern. „Ich bin sicher, du hast sie im Nu abgearbeitet.“ „Das werde ich“, sagte Shuichi ruhig. „Kommen diese Flauten öfters vor?“, wollte er anschließend wissen. „Eigentlich nur dann, wenn die Ausbildung in Quantico beendet ist. Jeder Agent mit neuem Partner möchte natürlich sofort einen guten Fall abbekommen und gerade dann haben wir mehr Agenten als Fälle. Natürlich geht da auch mal das ein oder andere Team leer aus.“ „Und warum ausgerechnet wir?“, fragte er. Laura seufzte. „Du lässt echt nicht locker“, gab sie von sich. „Hör zu, Akai, ich hab schon mehrere Neulinge ausgebildet. Einige sind noch am Leben, andere nicht. Durch diese Erfahrungen weiß ich, dass der beste Weg nicht immer die direkte Konfrontation ist. Ich habe entschieden, dass wir dich erst einmal so einarbeiten und du im Laufe der Zeit deinen ersten Fall bekommst.“ „Du hast was?“ Shuichi sah sie entgeistert an. War das ihr ernst? „Du musst dir wegen mir keine Sorgen machen“, sagte er. „Ich bin bestens auf alles vorbereitet.“ „Ja, ich hab schon mit Agent Black gesprochen. Du hast dem FBI vor einigen Jahren unter die Arme gegriffen. Aber unser Job ist kein Kinderspiel. Wenn etwas Passiert, stirbst du oder du bringst andere in Gefahr. Ich will kein unüberlegtes Handeln sehen. Du bist neu und hast keine wirkliche Erfahrung, also wirst du das tun, was ich dir sage. Haben wir uns verstanden?“ Shuichi knirschte mit den Zähnen. „Ja.“ „Gut. Und jetzt hör auf so zu gucken, der nächste Fall wird an uns gehen.“ Akai nickte. „Sprecht ihr oft über mich?“ „Hm? Was meinst du?“ „Du und Agent Black. Was hat er dir über mich erzählt?“ „Ach das“, murmelte Laura. „Hört sich schlimmer an als es ist. Die Agenten die neue Partner aus dem Ausbildungsprogramm zugeteilt bekommen, sitzen in kleiner Runde zusammen und gehen die Neulinge durch. Als du dran warst, hat Black von deiner Unterstützung erzählt. Mehr war da nicht.“ „Verstehe“, sagte er erleichtert. Eine vorgefertigte Meinung hätte ihrer Zusammenarbeit nur geschadet. „War Agent Starling bei dem Gespräch auch dabei?“ „Mhm?“ Laura sah ihn überrascht an. „Nein, er konnte an dem Tag nicht. Wieso fragst du?“ „Neugier“, antwortete Shuichi knapp. Shuichi schloss die Akte und legte sie auf den Stapel zurück. Er streckte sich und sah zu Laura. „Ja, verstanden….ja…ist gut…so machen wir das…wir sind auf dem Weg“, sagte sie und legte den Hörer zurück auf das Telefon. Akai blickte sie erwartungsvoll an. „Ein Fall für uns?“ Laura ließ gespielt den Kopf hängen. „Warum wusste ich nur, dass du das fragen würdest?“ Sie stand auf. „Aber du hast Recht. Wir haben einen Fall.“ Shuichi stand ebenfalls auf und zog sich seine Jacke an. „Dann wollen wir mal. Erzähl mir unterwegs alles was du weißt.“ Laura lächelte. „Nichts anderes habe ich von dir erwartet“, sagte sie und ging mit ihm nach unten zum Wagen. Laura stieg auf der Fahrerseite ein, schnallte sich an und ließ den Zündschlüssel in das Schloss gleiten. Sie drehte ihn einmal und startete den Motor. „Also? Was weißt du über den Fall?“, wollte Akai wissen. „Der Besitzer des Fox hat heute Morgen beim Müll rausbringen eine Leiche entdeckt. Die Polizei wurde bereits gerufen und hat vor Ort die nötigen Untersuchungen initiiert. Die Ausweispapiere fehlen, aber man versucht über das zahnärztliche Profil an mehr Informationen zu kommen. Die Leiche wurde der Gerichtsmedizin überstellt und wie gesagt, die Identifizierung läuft.“ „Das Fox ist ein Nachtclub, nicht wahr?“ Laura nickte. „Wir kennen die Umstände des Todes noch nicht. Aber Verbrechen in denen ein Nachtclub involviert ist, stehen oftmals mit sexuellen Übergriffen in Verbindung. Deswegen wollte uns die Polizei auch dabei haben.“ Laura trat auf das Gaspedal und fuhr los. „Wir fahren direkt in die Pathologie.“ „Kennen wir den diensthabenden Pathologen?“ „Ja, Jackson Mallville. Ich hab mit ihm bei einigen Fällen zusammen gearbeitet. Er weiß was er tut. Ach ja, öffne bitte das Handschuhfach.“ Akai tat was ihm aufgetragen wurde. „Siehst du den kleinen Roller drin? Den nehmen wir mit rein.“ Laura bog auf den Parkplatz und stellte den Wagen ab. „Menthol. Werden wir wegen dem Geruch brauchen. Manchmal riecht es…etwas streng dort unten.“ „Verstehe“, murmelte Akai und stieg aus dem Wagen. „Geh ruhig vor.“ Dann hätte er genügend Zeit um sich noch umzusehen. „Aber kipp mir da drin ja nicht um“, mahnte sie ihn scherzhaft. Natürlich war es nie einfach ins Leichenschauhaus zu gehen, weswegen die Agenten immer versuchten ein wenig Humor zu bewahren. „Hier geht’s lang“, sagte sie nachdem sie in die Räumlichkeiten gelangte. Sofort marschierte sie ins Erdgeschoss und drückte dort die große Eisentür auf. „Hast du den Roller mit?“, wollte sie wissen und hielt ihre Hand auf. „Natürlich“, entgegnete Akai und gab ihr den Roller. Sofort trug Laura etwas Menthol unter ihrer Nase auf und reichte den Roller wieder an ihren Kollegen. „Willst du ihn nicht verwenden?“ „Ich komm mit dem Geruch schon klar“, antwortete Akai. Laura zuckte mit den Schultern. „Neulinge“, murmelte sie. Sie hatte diese enthusiastische Art oft erlebt, aber am Ende lief jeder Neue aus dem Leichenschauhaus und übergab sich auf dem Flur. Ein Glück stand in fast jeder Ecke ein Mülleimer. Laura blieb stehen. „Wir sind da“, sprach sie und drückte die Tür auf. Im kühlen Raum arbeiteten zwei Personen – der Gerichtsmediziner und sein Assistent. Letzterer sah sofort auf. „Jack, wir haben Besuch.“ Jackson Mallville unterbrach seine Arbeit. „Laura“, fing er an. „Wenn bringst du uns da mit?“ „Das ist mein neuer Partner“, begann sie. „Er kommt frisch aus Quantico.“ „Shuichi Akai“, stellte sich der Agent vor. „Freut mich. Jackson Mallville. Das ist mein Assistent Leo Byrne.“ Leo nickte den Agenten kurz zu. „Jackson, was haben wir?“, wollte die Agentin wissen. „Bei dem Opfer handelt es sich um Mason Klein“, begann Jackson. „36 Jahre, weiße Herkunft, viele Tätowierungen.“ „Entschuldigung, da muss ich unterbrechen“, entgegnete Akai. „Man hatte uns gesagt, dass das Opfer keine Ausweispapiere bei sich hatte. Ist der zahnmedizinische Vergleich bereits abgeschlossen?“ „Der Vergleich läuft noch, aber ich bin mir sicher, dass das Ergebnis bestätigt wird.“ Jackson ging an den Computer. „Wir wurden letzten Monat mit einer neuen Software ausgestattet. Dabei scannen wir den Fingerabdruck des Opfers und lassen in der Kartei danach suchen. Das System findet jeden der eine Vorstrafe besitzt, sich freiwillig registrierte oder sich eine Waffe zulegte.“ „Und was davon ist Klein?“ „Tja…“, murmelte Mallville. „Klein war ein registrierter Straftäter. Er wurde aufgrund von guter Führung vorzeitig entlassen. Da werdet ihr es nicht einfach haben. Die Daten die ich aus dem System angezeigt bekomme, sind teilweise noch unvollständig, aber ich hab irgendwie ein ganz mieses Gefühl.“ Wieso?“, fragte Laura. „Kann ich nicht genau beschreiben. Ich denke, das hängt wohl mit meiner Erfahrung zusammen.“ Shuichi sah auf die Bahre. Die Person darunter war mit einem weißen Tuch abgedeckt. „Können Sie schon etwas zur Todesursache sagen?“ „Noch nichts Genaues. Die Tests laufen noch, aber ich würde auf Herzstillstand infolge einer Überdosis tippen. Außerdem war der Alkoholpegel des Opfers enorm“, antwortete der Mediziner. „Durch sein Aussehen und den Abend im Nachtclub hätte ich normalerweise angenommen, dass die Überdosis ein Unfall war. Die Tatsache, dass er ein Straftäter war, rückt Mord in den Fokus. Rache kann für viele ein Motiv sein. Andererseits schaut ihn euch an. Es gibt keinen Hinweis auf einen Schlag, Stoß oder auf ein gewaltsames Verabreichen der Drogen.“ Laura überlegte. „Lass uns bitte einen Bericht ins Büro zukommen.“ Sie sah zu ihrem Kollegen. „Aufgrund seines Hintergrundes können wir Mord aus Rache nicht ausschließen. Wir sollten zurück ins Büro fahren und uns seine Akte ansehen. Auch wenn er auf der anderen Seite des Gesetzes stand, müssen wir alles dafür tun, um den Fall aufzuklären.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)