Charmante Courage von Varlet ================================================================================ Kapitel 3: Bruderliebe ---------------------- Agent Starling sah seine Tochter ungläubig an. Warum war sie nur hergekommen? Nahm sie ihn jetzt auch noch in Schutz? „Jodie“, begann er erneut. „Du solltest nicht hier sein. Fahr zu uns nach Hause, ich kümmer mich um alles.“ Jodie schüttelte den Kopf. „Lass ihn bitte los, Dad“, kam es von ihr. Starling sah zu Akai und biss sich auf die Unterlippe. Er hatte kein Mitleid mit ihm. Akai hatte sich keinen einzigen Millimeter bewegt, stattdessen stand er regungslos da, als würde es ihm nichts ausmachen. Dabei könnte er sich mit Leichtigkeit aus dem Griff des Älteren befreien. „Das mach ich nur, weil mich Jodie darum bittet“, sagte er und ließ ihn los. Akai blieb dennoch stehen und blickte zu Jodie. „Wir sollten ihn aufklären.“ Die Agentin nickte. Aber würde ihr Vater auch das gesamte Ausmaß der derzeitigen Situation begreifen oder würde er weiterhin gegen Shuichi sein? Egal wie es ausging, er musste die Wahrheit kennen. Danach konnten sie das weitere Vorgehen besprechen. „Dad, du solltest dich lieber setzen“, fing sie an. Der Agent schluckte. Was würde nun kommen? Hatte sich Jodie mit ihm ausgesprochen und ihm wirklich so schnell verziehen? Oder steckte etwas Anderes dahinter? War sie vielleicht schwanger und musste sich jetzt irgendwie mit Akai arrangieren? Oder war es etwas woran er noch gar nicht dachte? Sofort malte sich der Agent diverse Szenarien aus, manche schlimm, andere weniger schlimm. Aber egal was es auch war, er machte sich Sorgen um sein einziges Kind. „Jodie, egal was es auch ist, du kannst immer zu uns kommen. Wir sind für dich da“, sprach er und ließ sich langsam auf das Sofa sinken. Jodie lächelte und nahm auf dem Sessel Platz. „Das weiß ich doch“, meinte sie ruhig. Shuichi hatte sich ebenfalls wieder auf seinen Platz begeben und klappte den Laptop zu. „Ich versuche die Geschichte so kurz wie möglich, aber so ausführlich wie notwendig zu erzählen. Dad, du weißt ja, dass das Leben als FBI Agent nicht immer leicht ist und viele Gefahren mit sich bringt. Und es sind nicht nur die Gefahren für einen selber, sondern auch die für seine Familie. Als ich damals über Nacht wegblieb und eingeschlossen wurde, bist du doch auch im Kopf die Liste deiner Feinde durchgegangen, nicht wahr? Und genau so würde es auch bei Shuichi und mir sein. Im Vergleich zu den anderen Agenten haben wir noch die Schwierigkeit, dass wir Beide für das FBI arbeiten. Durch unsere unterschiedlichen Aufgaben und Fälle häufen wir natürlich mehr Feinde an“, erzählte Jodie. „Dabei können wir auch nicht ausschließen dass wir selbst oder unser Partner in Gefahr geraten. Gerade die Nachtschichten sind schwer, weil wir wach im Bett liegen und auf die Nachricht warten, dass alles in Ordnung war. Natürlich blieben auch unsere Hochzeitspläne den anderen nicht verborgen. Es ist auch schwer eine Hochzeit geheim zu halten. Selbst als ich am Anfang den Ring nicht am Finger sondern an einer Halskette trug, war der Flurfunk bereits in vollem Gange. Im Laufe der Zeit sind wir daher auch sehr angreifbar geworden. Damit wir aber verhindern, dass einer von uns Opfer einer Intrige wird, haben wir uns entschieden mehrere Codewörter zu verwenden. So können wir uns immer einen Hinweis geben, wenn etwas Passiert ist, was nicht ans Tageslicht kommen sollte.“ „Code…wörter…“, murmelte Starling und sah zwischen den Beiden hin und her. Jodie nickte. „Ich weiß, das ist eine Überraschung, aber wir wollten nichts dem Zufall überlassen. Aufgrund der Hochzeitsvorbereitungen haben wir uns daher auch für Begriffe entschieden, die sich am Thema Hochzeit orientieren.“ Jodie räusperte sich verlegen. „Eines dieser Wörter war Tulpen. Ich war vorhin allerdings so von den Emotionen mitgerissen, dass ich es nicht gleich verstanden habe. Und um ehrlich zu sein, habe ich so kurz vor der Trauung gar nicht mehr an die Codewörter gedacht, da alles bisher immer reibungslos lief. Deswegen zog es mir auch den Boden unter den Füßen weg, als Shuichi die Hochzeit absagte. Erst als ich wieder im Nebenraum war und dir und Mom zu hören konnte, hab ich es verstanden. Erinnerst du dich, Dad? Ihr habt darüber gesprochen, dass sein Grund komplett hirnrissig gewesen ist. Da machte es erst Klick bei mir und ich wusste, dass Shuichi einen guten Grund gehabt haben muss, um die Hochzeit abzusagen. Ich konnte auch nicht mehr warten und musste sofort herkommen. Es tut mir leid, dass ich euch Sorgen bereitet habe, aber jetzt bin ich im Bilde. Shuichi hat mir alles erklärt.“ Agent Starling sah baff zu seiner Tochter. Jodie hatte sich wirklich gemausert und nichts dem Zufall überlassen. „Und…ich mein, was ist passiert?“, wollte er von Akai wissen. „Masumi sollte eigentlich meinen Bruder und Yumi vom Flughafen abholen. Allerdings ist dies nicht geschehen. Es ist aber niemanden aufgefallen, da Masumi ihn überraschen wollte und wie ich meine Eltern kenne, nahmen sie an, dass sich Masumi unter die Gäste gemischt hat. Bevor ich aus der Kirche gelaufen bin, konnte ich Shukichi im Eingangsbereich ausmachen, aber von Masumi fehlte jede Spur.“ Starling schluckte. „Das heißt…ist sie…?“ „Ja“, gab Akai von sich. „Sie wurde entführt. Wie schon gesagt, ahnen meine Eltern glücklicherweise noch nichts davon und ich hoffe, dass wir sie bald finden. Masumi war schon immer ein Wirbelwind, ich hoffe, sie macht ihren Entführer keine Szene oder bringt sie irgendwie in die Bredouille. Das könnte sonst übel enden. Durch die abgesagte Hochzeit konnte ich hoffentlich etwas Zeit schinden. Und wenn ihr Verschwinden auffällt, werden meine Eltern sicherlich annehmen, dass sie bei mir ist und mir die Ohren lang zieht.“ „Du willst es ihnen nicht sagen? Nicht einmal jetzt?“ „Noch nicht.“ Akai zog sein Handy hervor und rief die letzte Nachricht auf. Er reichte das Mobiltelefon an seinen Kollegen und Schwiegervater in spe weiter. Die Nachricht zeigte ein Foto von Masumi. Sie saß auf einem Stuhl, ihre Augen waren verbunden und auf den Ohren trug sie Kopfhörer. Ihre Hände waren mittels Kabelbinder aneinandergebunden und doch konnte sie noch ein Schild halten. Sag die Hochzeit ab, sonst spür ich die Konsequenzen am eigenen Leib. Das Bild in der Nachricht trug den Untertitel Keine Polizei / Kein FBI. „Oh mein Gott“, murmelte der Agent. Natürlich hatte er ähnliche Situationen erlebt, aber es war immer schlimm, wenn es die eigene Familie betraf. „Aber glaubst du denn wirklich, dass diese Person deine Schwester freilässt, weil du die Hochzeit abgesagt hast? Woher soll sie das wissen…“ Starling hielt sich sofort die Hand vor den Mund. „Tut mir leid, so drastisch wollte ich es nicht ausdrücken.“ Akai schüttelte den Kopf. „Schon gut. Ich kenne die Statistik, aber ich kann Masumi nicht der Gefahr aussetzen. Ich vermute, dass sich irgendwo ein Komplize befindet, der die Absage schon bestätigt hat. Und so konnte ich wenigstens etwas Zeit schinden, auch wenn…“ Er blickte zu Jodie. „…ich dir wieder weh tun musste, ohne dass du die Wahrheit kanntest.“ Jodie aber lächelte. „Ich hätte auch nicht anders gehandelt. Und wenn du die Hochzeit nicht abgesagt hättest und Masumi etwas Passiert wäre, hätten wir Beide es uns nicht verziehen. Das wichtigste ist doch, dass ich weiß, dass du mich liebst, egal ob wir heute oder erst in paar Wochen heiraten. Jetzt müssen wir uns erst einmal auf Masumis Rettung konzentrieren und denjenigen finden, der für das alles verantwortlich ist.“ „Ich denke auch schon die ganze Zeit darüber nach und gehe im Kopf meine potentiellen Feinde durch. Aber ich wüsste auch nicht, wer davon von der Hochzeit weiß.“ Akai stand auf und nahm das Handy wieder an sich. Er steckte es in seine Hosentasche und sah zu Jodie. „Ich werde jetzt zum Hafen fahren.“ „Eh…“ „Was?“ Starling stand ebenfalls auf. „Was hast du vor?“ „Ich habe kaum Hinweise auf dem Bild finden können, aber der Hintergrund ähnelt Containern. Daher ist der Hafen am naheliegendsten. Und ich weiß, dass ich mich gerade an den letzten Strohhalm klammere, aber ich kann hier nicht nur herumsitzen.“ „Ich komme mit“, kam es sofort von Jodie. Shuichi schüttelte den Kopf. „Das ist keine gute Idee“, begann er. „Wir wissen nicht, ob wir nicht beobachtet werden. Vielleicht weiß die Person auch schon, dass wir hier zusammensitzen und reden. Aber selbst wenn nicht, und Masumi am Hafen ist, sollten wir nicht zusammen dort auftauchen.“ „Das versteh ich“, murmelte Jodie. „Aber melde dich, wenn du etwas Neues hast.“ „Natürlich.“ Akai parkte den Wagen abseits vom Hafen und ging die letzten Meter zu Fuß. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und beobachtete die ganze Zeit seine Umgebung. Es war ruhig, eigentlich viel zu ruhig. Akai hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Würde er Masumi finden und wenn ja, würde es ihr gut gehen? Das Blaulicht der Polizeiautos verstärkte seinen negativen Gedanken. Shuichi lief sofort zum Ort des Geschehens. Mehrere Polizisten des NYPD – New York Police Department – sicherten eine Lagerhalle. Als sich ihm ein Polizist entgegen stellte, zückte Akai seinen Dienstausweis. „FBI, Special Agent Akai“, stellte er sich vor. „Was ist hier passiert?“ Der Polizist kratzte sich am Hinterkopf. „Wir hatten Bombenalarm.“ Er wies mit dem Kopf hinters ich. „Wir sind sofort mit den Kollegen des Entschärfungskommandos angerückt. Es geht allen Beteiligten gut, die Bombe konnte entschärft werden.“ Akai verengte die Augen. „Was meinen Sie mit Beteiligten?“ „Es befand sich eine Person bei der Bombe.“ „Wo ist sie?“, wollte Akai sofort wissen. „Wir glauben nicht, dass sie die Täterin ist. Sie war gefesselt und ist außerdem noch ein Kind.“ „Ich fragte, wo sie ist.“ „Eh“, murmelte der Polizist. „Sie wurde zu dem Krankenwagen gebracht und wird sicherheitshalber durchgecheckt. Wir wissen aber nicht wer sie ist oder was sie weiß.“ „Danke.“ Akai wandte sich ab und trabte zum Krankenwagen. „Kannst du mir sagen, wie du heißt oder wo deine Eltern sind?“ Eine Polizistin kniete neben Masumi und sah sie an. „Masumi!“ Akai spähte in den Krankenwagen. Er war erleichtert, als er seine Schwester wohl auf antraf. Sofort sprang das Mädchen von ihrem Platz auf und lief auf ihren Bruder zu. Sie umarmte ihn und schloss die Augen. „Shu-nii.“ „Masumi, was ist passiert?“, wollte er sachlich von ihr wissen. Die Jugendliche schluchzte. Shuichi hatte sie in den letzten Jahren selten so verletzlich gesehen. Masumi war immer stark und seit geraumer Zeit sprach sie davon Detektiv werden zu wollen. Dafür hatte sie sich sogar von ihm Selbstverteidigung beibringen lassen. „Es war meine Schuld“, wisperte sie. „Ich war so dumm…ich war am Flughafen und hab auf Shukichi und Yumi gewartet. Dann kam eine Durchsage in der ich gebeten wurde zum Taxistand zu kommen. Mama wollte mir dort etwas geben.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich hätte nicht so blauäugig sein dürfen. Es hätte mir zu denken geben sollen, dass sie mich nicht auf dem Handy angerufen hat…“ „Und was ist dann passiert?“, fragte Shuichi. „Ich wurde niedergeschlagen und wachte hier auf. Ich konnte nichts hören und auch nichts sehen. Im nächsten Augenblick zog mir ein Polizist die Augenbinde ab und befragte mich zu der Bombe unter mir. Danach wurde ihm bewusst, dass ich total aufgelöst war und so versuchte er mich zu beruhigen.“ Akai schluckte. Es stimmte also. Hätte er Jodie geheiratet, wäre die Bombe unter Masumis Füßen explodiert und seine Schwester wäre nicht mehr am Leben. „Aber zum Glück ist alles noch einmal gut gegangen“, kam es von Jenna, der Polizistin bei Masumi. Akai nickte. „Habt ihr schon einen Hinweis wer es gewesen sein könnte?“ „Nein, aber die Ermittlungen haben auch eben erst angefangen. Wir halten dich auf dem Laufenden und lassen dir alles zukommen oder schnappt sich das FBI gleich wieder einen unserer Fälle?“ Es war nicht unüblich, dass Polizei und FBI zusammen arbeiten mussten. Häufig wurde das FBI auch von der Polizei eingeschaltet. Und genau so häufig stahl das FBI einen Fall vor den Augen der Polizei und bearbeitete ihn selbst. „Die Chancen dafür stehen gut.“ „Aber Shu-nii…“, murmelte Masumi. „Was wird denn aus deinen Flitterwochen? Ihr wolltet doch nach Japan fliegen.“ Erst jetzt realisierte sie, dass ihr Bruder seine normalen Sachen trug und nicht den Anzug. „Shu-nii…“, wisperte sie traurig. „Du hast heute geheiratet?“, wollte Jenna wissen. Akai schüttelte den Kopf und legte seine Hand auf Masumis Kopf. „Schon gut. Es freut mich, dass dir nichts passiert ist. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wer dich hier her gebracht hat.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)