Der Teufelsgeiger von DragomirPrincess ================================================================================ Kapitel 1: Violett ------------------ "Renji, wo bleibst du denn? Die Pause ist ja schon fast wieder vorbei, Mann!" "Sorry, Jungs, ihr kennt mich doch. Wenn ich anfange zu spielen, muss schon die Erde beben, damit ich wieder aufhöre." "Es gab ein Erdbeben?", scherzte es aus dem hinteren Bereich des Probenraums von Grimmjow. "Hol deine Geige" - "Violine" - "…was auch immer, raus und lass uns anfangen." Er unterstützte seine Worte mit einem kleinen Schlagzeugsolo. Ich grinste sie an, öffnete den Geigenkasten und nickte. "Von mir aus kann es los gehen." "Wi…willst du dich nicht erst einspielen?", stotterte Izuru aus seiner Ecke. Er wirkte immer viel zu unschuldig, um mit uns zu spielen. Er schien soviel besser zu seiner klassischen Musik zu passen. "Was glaubst du, was er die letzte halbe Stunde gemacht hat, 'zuru?" Das Quietschen, das von dem Blonden kam, ließ mich grinsen. "Vergewaltige den Kleinen wann anders, Pedo!", kommentierte Grimmjow Gins Hand auf Izurus Hintern und ich musste  ihm zustimmen. Gin war der einzige von uns der schon im vierten Jahr war, aber er hatte von Anfang an ein Auge auf den blonden Jungen geworfen, der zwar ebenso wie Ichigo und ich dieses Halbjahr an die Schule gekommen war, aber trotzdem war das kleine Genie  noch 2 Jahre jünger als wir. "Lasst uns einfach anfangen", beendete Ichigo es, bevor die beiden sich prügeln konnten, was schon oft genug passiert war. Die Musik, die wir spielten, blitzte forsch und scharfkantig vor meinen Augen und doch glichen ihre Muster nicht denen der modernen Elektro- und Synthesizermusik. Es waren Schlieren von Violine, Flöte und Vibraphon, die der Musik ihre Sanftheit zurückgaben und ich musste zugeben, dass ich mich immer mehr dafür begeistern konnte, was wir hier taten, auch wenn ich auf Ichigos Vorschlag eine Band zu gründen, die Klassik und Moderne kombinierte, erst skeptisch reagiert hatte. Und trotzdem war das Farbenbild nicht perfekt, es fehlte etwas. Und ohne Ichigos Stimme damit abwerten zu wollen - Er sang wirklich gut - wusste ich, dass es eine  andere Stimme war, die das Muster vervollständigen würde. Ein Sänger oder vielleicht eher eine Sängerin, wenn ich die Tonhöhen betrachtete, die zu fehlen schienen. Doch wie sehr ich auch meine Augen oder wohl eher Ohren offen hielt, schien keine Stimme in das Bild zu passen. "Tschau, Leute, bis Donnerstag dann." "Jo, bis dann, Grimm, viel Glück bei der Prüfung." Damit verschwand der blauhaarige Schlagzeuger und ich blieb mit meinen besten Freunden zurück. Shuuhei und Ichigo waren noch dabei die Noten einzusammeln, während ich meinen Bogen fettete und dann die Spannung löste. "Er wird sowas von durchfallen", lachte der Orangehaarige dabei auf. "Ohja, das wird er. Niemand ist besser am Schlagzeug als er, aber Musikgeschichte wird ihn noch umbringen." "Er lernt ja auch nie." Ich verschloss den Geigenkasten und lachte mit den anderen beiden über unseren Kumpel, dann kam ich zum Klavier, hinter dem Ichigo wieder Platz genommen hatte. "Ich hab eine Freistunde, ihr?" "Positiv", kam es von Shuuhei, der sich einen Stuhl heranzog. Ichigo war in fast allen meinen Kursen, so erübrigte sich meine Frage bei ihm. "Ich hab gehört, du schreibst an einem neuen Song, Ichigo?" "Ja, aber er ist für Ukitake-senseis Unterricht, also Klassik." "Lass hören", forderten Shuuhei und ich unison und ich beobachtet, wie Ichigos Finger über die Tasten huschen. Es klang gut, was er spielte, das Orange war durchgehend warm und die Melodie floss dahin, bis plötzlich- Ich zuckte und unterbrach Ichigo sofort. Er hatte sich nicht verspielt, diese ganze Passage brach mit der vorherigen Melodie und das auf eine furchtbare Art. "Das kannst du so nicht machen, Ichigo." Sie sahen mich beide überrascht an. "Was kann er nicht machen?" "Ja, was kann ich nicht machen?" Er hatte zu spielen gestoppt. "Das so spielen." "Es klang doch gut", beschwerte sich Shuuhei. "Du brichst mit dem Cis alles auf. Hast du vor die Tonart zu wechseln?" Das war natürlich möglich, aber… "Nein, wie kommst du darauf?" "Spiel noch mal das letzte Stück." Er wiederholte es und wieder zuckte der grüne Blitz über meine Augenlieder. "Das meine ich. Nimm da das C." Skeptisch spielte er es noch einmal und änderte den einen Ton und das ganze Stück stimmte wieder, das merkten auch die beiden anderen Jungs. "Du hast recht." Er sah überrascht zu mir auf. "Wie machst du das, Renji? Ich meine, ich habe doch schon ein fast perfektes Gehör, aber du findest jedes Mal Fehler in meinen Stücken." Ich zuckte die Schultern. Ich hatte ihnen nicht erzählt, dass ich Farben hörte und so sollte es auch bleiben. "Manchmal glaube ich, du verschweigst uns was, Mann", beschwerte sich Shuuhei. "So ein Unsinn, Jung-" Agnus dei, qui tolis peccata mundi, miserere nobis. Mein Kopf zuckte herum. Das Agnus dei klang aus einem benachbarten Raum herüber. Violett. Völlig und durchgehend violett. So unglaublich klar, dass ich zuerst an meiner eigenen Wahrnehmung zweifelte. Ich hatte noch nie so klares violett in einer Stimme gehört. Selbst die besten Sänger hatten leichte Verfärbungen in ihrer Stimme. Sie waren keine Seiten, die man perfekt stimmen konnte, doch diese Stimme schien genau das zu sein. Perfekt auf die Töne abgestimmt, die sie hervorbrachte. Es war als würden die Stimmbänder in all den Tönen nicht im Geringsten zittern. Ich musste mich wie ein Zombie benehmen, als die Stimme ihre Bilder in meinen Verstand malte, aber noch nie hatte sich b-Moll so gut in meinen Ohren angehört. "Renji, Mann, was ist denn los mit dir?" Erst die Hand meines Kumpels auf meiner Schulter hatte mich zurückgeholt. "Seit wann stehst du auf Klassik?" "Das war perfekt! Ich habe noch nie jemanden so klar singen hören." Ich blickte zu den beiden zurück und konnte ihre Verwirrung nicht verstehen. "Die Stimmfarbe war so gleichmäßig. Ich habe noch nie so ein Violett gesehen!" Diese Stimme hatte mich völlig durcheinander gebracht. "Renji, was laberst du da? Violett?" "Ich glaube jetzt dreht er durch, Ichigo. Hey, Erde an Monsieur Teufelsgeiger. Was laberst du?" Dann verstummte der letzte Ton im Nachbarraum und ich konnte mich zumindest etwas von der Farbe lösen. Zumindest genug, um zu realisieren, was ich den Jungs gerade erzählt hatte. Klasse, Renji, das hast du toll gemacht. Ich seufzte und drehte mich zu ihnen um, wobei ich wohl relativ entschuldigend aussah. "Es nennt sich Synästhesie", erklärte ich dann, doch sie sahen mich völlig verständnislos an. "Synäste-was? Ist das ne Krankheit oder so? Gehst du völlig ab, wenn du Bachs Agnus dei hörst oder sowas in der Art?" Shuuhei lachte über seinen eigenen Witz, wirkte aber doch besorgt, Ichigo ebenso. "Nein." Ich musste auch etwas lachen, die Vorstellung war so absurd. "Es ist sozusagen eine Kopplung zweier Sinne aneinander. In meinem Fall Ohren und Augen. Einfach gesagt: Ich sehe die Töne, die ich höre als Farben vor mir." Jetzt sahen sie mich zweifelnd an, anscheinend hin- und hergerissen, ob ich sie wirklich nicht mehr alle hatte oder ihnen die Wahrheit erzählte. "Wie, du siehst Töne?", fragte Ichigo. "Es ist schwer zu erklären." Ich suchte nach einem anschaulichen Weg, kam ich doch nicht länger darum herum, es in Worte zu fassen. Dann ging ich zum Klavier. "Kommt mal mit." Ich war kaum in der Lage Klavier zu spielen, aber ich wusste zumindest, wo welcher Ton lag, also sollte ich es daran demonstrieren können. "Erstmal ist davon zu unterscheiden, ob wir von Tönen oder Akkorden bzw. Tonleitern und Harmonien sprechen. Die Töne sind etwas unklarer, wenn sie in einer Harmonie zusammenstehen, aber als einzelne Töne sind C rot, Cis dunkelblau, D gelb, Dis magenta, E blassgrün, F dunkelrot, Fis hellblau, G orange, Gis pink, A hellgrün, Ais violett und H türkis." Ich spielte jeden Ton vor, während ich die Farbe vor meinen Augen benannte und dabei ab und an zögerte, weil mir die passende Farbe nicht einfallen wollte. "Die Akkorde allerdings dem Quintenzirkel folgend, mit C-Dur begonnen rot, orange ,gelb, grün, weißlich blau, hellblau, blau, violett, lila, altrosa oder sowas, bräunlich und dunkelrot." Auch hier spielte ich so gut es ging die Akkorde, tat mich aber deutlich schwerer dabei. "Er meint das ernst, oder?" Shuuhei sah Ichigo sprachlos an, der nickte nur. "Das heißt, wenn ich irgendeine Taste spiele, kannst du mir nur an der Farbe sagen, um welchen Ton es sich handelt?" Ich nickte: "Ja, das kann ich." "Das will ich probieren." Er scheuchte mich zur Seite und ich folgte gehorsam. Dann würde er mir vielleicht glauben. Als er einen Ton anschlug, war es orange, das meine Augen sahen und ich musste darüber lächeln, weil es so gut zu seinen Haaren passte. "G", sagte ich dann. "Von der Tonhöhe wohl ein eingestrichenes." "Unglaublich." Ein weiterer Ton. Gelb. "Ein D. Kontraoktave würde ich sagen." "Das gibt's doch nicht!" Er spiele einen Akkord. Grün. "A-Dur." "Shuuhei, hörst du das? Er kann sie tatsächlich erkennen! Welche Farbe hat Alle meine Entchen?" Wie um mir eine Chance zu geben es zu hören, spielte er tatsächlich dieses Kinderlied, doch ich antwortete sofort. "Es ist in C-Dur geschrieben, also hauptsächlich rot, aber bei so einfachen Melodien kommen die einzelnen Töne noch sehr leicht hervor." "Hör auf dich so zu freuen, Ichigo, du kannst das doch auch erkennen ohne Farben zu sehen", erinnerte Shuuhei den Blonden an sein absolutes Gehör. Er schien mir nicht recht zu glauben. "Ich kann nicht mehr tun, als es euch zu sagen. Ob ihr mir glaubt oder nicht, ist eure Sache." Ichigo war hin und weg von dem Gedanken und ich war eigentlich doch ganz froh, es ihm jetzt endlich  erzählt zu haben. "Sind dir so auch die Fehler in den Stücken aufgefallen?" Ich nickte. "Das Stück vorhin war ganz in Orange, aber das Cis hat das Bild gestört. Wie ein grüner Blitz könnte man sagen." "Das ist so cool. Wie klingt die Musik unserer Band?" Das war eine schwierige Frage. "Das ist schwer zu beschreiben, Ichigo. Bunt, würde ich sagen. Kontrastreich. Die klassischen Elemente sind sehr sanft, aber die elektronische Musik macht das Ganze sehr grob in den eigentlichen Formen. Vielleicht kannst du es mit den Visualisierungen beim Windows Media Player vergleichen", versuchte ich es in Worte zu fassen. "Das würde ich zu gerne einmal sehen! Gibt es so etwas wie perfekte Musik für dich? Eine die ein perfektes Bild erzeugt?" Noch mehr schwere Fragen. "Definitionssache. Es gibt Musik, die es schafft ein beinahe konstantes Bild vor meinem inneren Auge aufzuzeigen. Ich finde das nicht besonders aufregend, aber du könntest es wohl perfekt nennen, wenn ein Lied das schafft." "Verstehe. Du musst mir unbedingt mal beschreiben, wie es genau aussieht, wenn wir spielen." Ich zögerte einen Moment, dann sprach ich es aus: "Unvollständig." Wie vor den Kopf geschlagen sah er mich an. "Was, wieso das? Soll das heißen, sie sieht für dich nicht gut aus?" Wütend war er aufgestanden und hatte grob auf die Tastatur gefasst. Ein sehr unangenehmer Klang. Wahrscheinlich eine Art dreckiges Matschbraun. "Es scheint ein Element zu fehlen, aber ich konnte bis jetzt noch keinen Finger darauf legen", beschwichtigte ich ihn schnell. Er schien enttäuscht: "Heißt das, wir sind schlecht?" "So ein Unsinn", mischte sich Shuuhei ein. "Wir klingen gut! Das sagen auch andere!" Er schien wütend über diese Aussage zu sein. Ichigo sah mich dennoch fragend an. "Shuuhei hat recht, es klingt gut. Das hat gar nichts damit zu tun. Auch unvollständige Bilder können enorm schön sein." Er schien beruhigt und ich war froh darüber. Ichigo lag diese Band sehr am Herzen. Dann wechselte Hisagi plötzlich das Thema. Ob er inzwischen überzeugt war oder nicht, konnte ich in seinem Blick nicht erkennen. "Und der Junge eben hat violett gesungen?", fragte er dann ernst und ich sah ihn überrascht an. Ein Junge? Das war doch eindeutig Sopranlage gewesen! "Was ist daran denn besonders? Wenn b…Moll? immer violett ist?" Shuuheis Auffassungsvermögen war beeindruckend wie eh und je. "Das ist ganz leicht, wenn jemand singt, dann ist ein Ton nie so klar, wie wenn ihn ein Instrument spielt. Es ist ein bisschen als würde die Farbe zittern. Je nachdem, wie gut jemand ist, ist die Farbe manchmal auch ganz unsauber. Bei anderen wackeln nur die Ränder. Aber diese Töne waren alle völlig klar. So klar wie wenn Ichigo sie auf dem Klavier anschlägt. Sowas habe ich noch nie gehört." Das schien ihm einzuleuchten, dennoch wirkte er noch immer etwas grimmig, als er nickte. "Wichtiger, Shuuhei, du hast gesagt es war ein Junge, der das gesungen hat! Ein Contratenor? Weißt du, wer das war?" Ich musste diesen Jungen unbedingt kennenlernen! "Natürlich weiß ich, wer das war, aber Renji, vergiss es! Das war Byakuya Kuchiki, der Star dieser Schule, wenn du so willst. Er ist ein Jahr über mir, aber der Name sagt dir doch bestimmt etwas." Der Name Kuchiki ließ bei mir wirklich die Glocken läuten. "Kuchiki wie die Opernsänger?" "Genau wie die. Das ist der  Familienerbe. Soujun Kuchiki war sein Vater, bevor er bei diesem tragischen Unfall umgekommen ist. Alle haben große Erwartungen in ihn gelegt. Er hatte sozusagen von Geburt an einen Platz an dieser Schule." "Aber?" Mir war nicht so klar, warum er im Perfekt sprach. "Aber… alle dachten er schmeißt es als Jugendlicher hin. Als Kind war er landesweit bekannt und hat in den größten Opern mitgesungen, aber als er aus den Kinderrollen herausgewachsen war, hat er alles geschmissen." "Ich versteh nicht ganz. Er ist doch hier und er hat perfekt gesungen." Das war mir wirklich nicht klar. "Dann kam der Unfall seiner Eltern", mischte Ichigo sich ein. Er lehnte über dem Klavier. "Die Medien haben sich gerade zu auf ihn gestürzt. Hast du nie die Klatschdokumentationen gesehen, die sich mit den Eskapaden seiner Teenagerzeit beschäftigt haben? Man könnte sagen, er ist ein richtiger Rebell. Nicht, dass man dem Schnösel davon heute noch etwas anmerken könnte." Ich hatte nie viel mit Medien zu tun gehabt, da ich die meiste Zeit bei meinem Violinenlehrer zu Hause verbracht hatte und der nicht einmal einen Fernseher besaß. Entsprechend folgte ich ihren Erklärungen aufmerksam. "Richtig. Dann verschwand er einfach wieder. Ein Jahr später hat er sein Debüt als Contratenor gemacht. Jetzt singt er seit Jahren in den Opern, in denen er als Kind gesungen hat, die Hauptrollen. Er war berühmt lange bevor er an die Schule kam, aber er ist das perfekte Aushängeschild für den Rektor. Entsprechend ist er ein reiner Einserschüler und hält uns alle für unter seiner Würde. Er ist sowieso fast nie hier. Nur zu den Prüfungen und ab und an mal für ein, zwei Unterrichtsstunden. Schlag es dir aus dem Kopf, auch nur mit ihm zu sprechen, geschweige denn irgendetwas anderes mit ihm zu tun, woran auch immer du da dachtest. Er wird nicht mit dir sprechen. Außer vielleicht du kommst seiner kleinen Schwester zu nahe, aber das hat noch niemand heil überstanden." Ich hob eine Augenbraue. Heil überstanden? "Es heißt, er verfällt dann zurück in das Ich seiner Jugendzeit." Also war er doch nur ein Mensch. Dann sollte ihm auch mit sprechen beizukommen sein. "Ich muss dann los", meinte ich also und bemerkte den Blickwechsel hinter meinem Rücken nicht, als ich meinen Geigenkoffer griff. "Renji, ich mein's ernst. Lass es bleiben. Was erhoffst du dir überhaupt?" Aber ich antwortete nicht, sondern winkte nur noch zum Abschied, bevor ich den Raum verließ. Die Stunde wäre gleich vorbei und dann würde ich ihn einfach ansprechen, doch überrascht stellte ich fest, dass er den Raum bereits verlassen hatte und von einer ganzen Gruppe Mädchen abgefangen wurde. Langsam näherte ich mich und hörte dabei Einiges mit. "Das war so fantastisch." - "Du erreichst Töne, von denen ich nur träumen kann." - "Ich hab gehört, du kannst sogar die Königin der Nacht singen." - "Nur wegen dir hab ich angefangen in die Oper zu gehen." - "Ich möchte auch einmal so singen können." - "Du bekommst bestimmt wieder volle Punktzahl." - "Stimmt es, dass du schon Angebote aus anderen Ländern bekommen hast?" - "Oder dass du in einem Film mitmachen sollst?" Sie schienen sich beinahe in Ekstase zu reden und ich befürchtete schon, dass eine von ihnen gleich kollabieren würde. Der Mittelpunkt ihrer Gespräche schien aber mehr als nur entnervt. "Ich muss jetzt gehen. Ich habe noch eine Probe." Er schob sich zwischen den Mädchen hindurch, nicht unbedingt sanft, aber keine schien es ihm übel zu nehmen. Sie schienen viel mehr froh, dass er sie berührt hatte. Als wäre er ein Popstar oder sowas. Skeptisch folgte ich ihm mit dem Blick, bis ich beschloss zu ihm aufzuschließen. Die Mädchen waren zurückgeblieben und tuschelten angeregt. Ich konnte ihr Verhalten beinahe nachvollziehen, wenn ich an das violett dachte. Ich holte ihn im Hauptflur ein. Er war ganz schön zart gebaut, bemerkte ich überrascht. Zart aber ziemlich groß und er hatte eine seltsame Art der Anmut an sich. Sein schwarzes Haar glänzte, seine Haut war hell und seine Augen waren, wenn ich es vorhin richtig erkannt hatte, extrem tief. Und wenn ich mich nicht irrte, waren unter dem dunklen Hemdstoff mehr Muskeln verborgen, als die wenig breiten Schultern vermuten ließen. Was er auf jeden Fall hatte, war eine ganze Menge Arroganz. Dafür musste ich ihn nicht einmal ansprechen. "Was willst du? Wenn dich deine Freundin verlassen hat, tut mir das sehr leid, ich kann daran aber auch nichts ändern, also verschwinde." Er sah mich nicht einmal an, aber seine Worte hätte wohl auch ein Blick nicht erklärt. "Mich hat niemand verlassen", meinte ich deshalb ein wenig fragend. "Was willst du dann? Ich hab keine Zeit, also raus mit der Sprache." "Ich hab dich singen gehört-" "Du und tausende Andere." "Ich bin Synästhesist-" "Dann geh und mal einen Regenbogen." Er ließ mich wieder nicht aussprechen. "Jetzt lass mich doch mal ausreden! Ich habe noch nie jemanden so singen hören wie dich. Du hast jeden Ton so unglaublich… farbintensiv ausgedrückt!" "Das ist mein Job. Ich brauche keine Komplimente." Gott, wie konnte jemand so überheblich sein? "Stimmt es, dass du die Königin der Nacht singen kannst?" "Jeder kann die Königin der Nacht singen, wenn er genug übt." Das nahm ich einfach mal als Ja. "Ich will, dass du dich von mir begleiten lässt." "Ich singe nur Klassik." "Ich spiele Klassik." Ich deutete auf den Violinenkasten in meiner Hand. Den Teil mit der Band ließ ich mal unter den Tisch fallen. Einen Schritt nach dem nächsten. "Vergiss es. Mach dir erst mal einen Namen." Wir hatten das Gebäude inzwischen verlassen und er eilte mit ebenso schnellen Schritten wie zuvor auf ein schwarzverspiegeltes Auto zu. Bevor es losfuhr, öffnete er noch das Fenster und sagte: "Wenn du es schaffst, dass ich deinen Namen oft genug höre, um ihn mir zu merken, überleg ich es mir noch einmal." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)