Sir Peter Wolfstöter - Der Prächtige von SuperCraig ================================================================================ Kapitel 4: Prüfung des Mitgefühls --------------------------------- Peter landete unsanft in einem Schneehaufen. Die Tannen und Fichten um ihn herum bogen sich unter der weißen Last, die sie zu tragen hatten. Weder Gras noch Blume wuchs an diesem Ort. Nichts lugte durch den Schneemantel, der sich über das Tal gelegt hatte, in dem sich Peter befand. Es war düster, zugezogen, die grauen Wolken hingen drohend über dem Kessel, der rundherum von hohen Bergen eingekreist worden war. Eine Allee aus Laternen, deren Licht keine Wärme ausstrahlte, säumte einen ausgeschobenen Weg, der sich durch die gefrorenen Schneemassen schlängelte. Dem Adamssohn stockte der Atem, als er sah, wohin der Pfad führte. Ein einziger, riesiger Dom aus glitzerndem Eis ragte hoch in den Himmel. Er glitzerte wunderschön, und doch wirkte das kunstvolle Bauwerk nicht sonderlich einladend. Die Kälte hatte das Land erfasst, und mit jedem Schritt, den Peter auf das Gebäude zumachte, wurden seine Beine schwerer. War dies der Sitz der Weißen Hexe? Hatte er es ins Herz des Winters geschafft? Der Junge zitterte bereits am ganzen Körper. Er hatte das Gefühl, sein Atem würde gefrieren. Notdürftig zog er sich den roten Wappenrock über den Mund und stapfte weiter. In der Ferne war das Brüllen eines Tieres zu hören? Ein Bär? Wolfsgeheul? Es knackte und knarzte verdächtig im Unterholz. Sein Herz pochte, hämmerte mit aller Macht gegen seinen Brustkorb. Ihm war, als wolle es zerspringen. Peters Nackenhaare stellten sich auf, und etwas bewog ihn dazu, vom Weg abzugehen. Bibbernd stapfte er durch den kniehohen Schnee und drückte sich mit dem Rücken an eine imposante Fichte, keine Sekunde zu früh. Tatsächlich schälte sich etwas aus dem trüben Dunst hinter ihm. Schwere Tatzen schlurften über den gefrorenen Boden und brachten die dünne Eisschicht, die hie und da aus dem Schnee lugte, zum Brechen. Zwei Eisbären tapsten den Weg entlang. Sie reckten die Köpfe in die Höhe und brüllten ohrenbetäubend, während ein kleiner, zwielichtig dreinblickender Mann wie wild mit der Peitsche auf die Tiere einschlug. Peter fand, der Zwerg hatte etwas von einem überfahrenen Hasen. Sein Gesicht war eingedrückt, platt, und einzig die hässliche Knollennase verlieh ihm ein wenig Wiedererkennungswert. Die rotze Zipfelmütze baumelte links von seinem Gesicht herab und er fluchte unentwegt. Die Eisbären zogen einen Schlitten, dessen Kufen aus purem Gold zu bestehen schienen. Peter hatte so etwas noch nie gesehen. Weißes Elfenbein war mit dem Edelmetall kombiniert worden, um ein Transportmittel zu erschaffen, das selbst Könige vor Neid hätte erblassen lassen. Kunstvoll waren Bärenköpfe in das kostbare Material geschnitzt worden. Die Sitzbänke waren mit rotem Samt bezogen und boten genug Platz, um mindestens sechs Personen zu befördern. Obwohl es schneite, war nicht ein einziger Schneekristall an dem Gefährt zu erkennen. „Na los ihr faulen Dinger, bewegt euch“, knurrte der Zwerg, und ließ die Peitsche erneut knallen. Blutige Striemen hatten sich auf den Rücken der Tiere gebildet. Das weiße Fell war durchzogen von roten Flecken und Linien. Egal wer dieser Zwerg auch war, er schien kein Mitleid, und auch kein Erbarmen mit den Tieren zu können. Etwas in Peter berührte diese ungerechte Behandlung der beiden Zugtiere. Er selbst war tierliebend, und hatte zuhause zwei Hasen gehalten: Benny und Johnny. Beide pflegte er mit großer Hingabe und Liebe, und hatte sie, mit gemischten Gefühlen, bei seiner Mutter lassen müssen. „Das reicht“, murmelte Peter und setzte sich in Bewegung. Ihm schlotterten die Knie, und er war sich nicht sicher, ob das alleine an der Kälte lag. Es war klar, wem dieser Schlitten gehörte. Die Bären waren wahrscheinlich auch nicht freundlich ihm gegenüber, doch Peter erinnerte sich an die Worte seines Großvaters: „Wenn man Unrecht aus Angst nicht bekämpft, ist man ein Feigling. Erst dadurch, kann das Unrecht weiter entstehen, aufblühen.“ Nach einiger Zeit hatte sich der Junge aus den Schneemassen befreit und folgte dem Gezeter des Zwerges. Er holte den Schlitten ein und folgte diesem langsam. Im richtigen Moment sprang Peter hinten auf den Schlitten auf und duckte sich hinter die Lehne. Seine Augen lugten nur knapp über den Goldrand, und es war ihm so möglich den Kutscher zu beobachten, der zu sehr mit sich selbst und dem Quälen der Bären beschäftigt war. Dienten diese Tiere der Weißen Hexe überhaupt aus freien Stücken? Peters Gedanken drifteten zu Benny und Johnny ab. Hatte nicht auch Johnny ihn einmal gebissen? War er nicht traurig und enttäuscht gewesen, als das passierte? Hatte er ihn danach schlechter behandelt? Peter schüttelte den Kopf; nein, das hatte er nicht. Bemüht leise zog sich der Adamssohn in den Schlitten hinein. Der Zwerg bemerkte ihn noch immer nicht. Ohne Unterlass prügelte er auf die Bären ein, die sich trotz der Behandlung nicht schneller bewegten. Das war die Gelegenheit. Der kleine Knilch war zu sehr damit beschäftigt, seine sadistische Ader auszuleben, als dass er sich umschaute oder überhaupt auf seine Umgebung achtete. Mit einem Ruck war Peter hinter ihm, zog dem Zwerg die Zipfelmütze über die Augen und schnappte sich seine Hände, die er hinter dem Rücken zusammendrückte. „Wer bist du, dass du es wagst, den Kutscher der Weißen Hexe anzugreifen?“, maulte der Zwerg und strampelte wie wild. Peter hatte seine liebe Mühe, den Kutscher festzuhalten, ließ aber nicht locker. „Du bist mir ein feiner Kutscher, quälst deine Tiere ohne Unterlass“, erwiderte er mit fester Stimme. Schlagartig hielt der Zwerg inne und schrägte den Kopf ein wenig. Peter konnte dabei einen Blick auf seinen fusseligen, verklebten, grauen Bart werfen. „Du bist doch dieses Rotzgör, oder? Jetzt weiß ich es! Na fein, dir wird die Weiße Hexe heimleuchten, du kleiner, mieser…“, begann der Zwerg erneut zu zetern, doch Peter erfuhr nicht, was er war, denn mit einem Mal setzten sich die Bären in Bewegung. Sie brüllten und schnaubten, und rissen den Schlitten grob über Stock und Stein. Die Tiere kamen vom Weg ab und zogen das Gefährt tiefer in den Wald, weg vom Weg. Im Trubel verlor Peter die Kontrolle und knallte unsanft mit dem Rücken gegen die Lehne. Sein Opfer entkam dabei und zog sich rasch die Mütze über die Augen. Sein kleines, feistes Gesicht war von Sadismus geprägt. „Natürlich bist du dieses Rotzgör. Wenn ich dich zur Weißen Hexe bringe, dann werde ich sicher reich belohnt werden!“ Das war ein ehernes Vorhaben, denn weder er, noch Peter, konnten mehr tun, als sich irgendwo festzuhalten. Die Eisbären waren außer Kontrolle. Sie zerrten am Geschirr, brüllten lautstark und überquerten Felsen, genauso wie umgeknickte Baumstämme und Eisplatten. Nur mit Mühe konnten sich die beiden Passagiere festklammern, um nicht aus dem Schlitten geworfen zu werden. Sie holperten durch das Dickicht und erreichten einen großen, zugefrorenen See. Mit einem Satz sprangen die Bären aufs Eis. Die Deichsel brach und die Tiere entkamen ihrem grausamen Meister. Unkontrolliert schlitterte das Gefährt hin und her, drehte sich dabei mehrfach im Kreis. Die Kufen schnitten in den Untergrund, und Peter konnte mit Entsetzen erkennen, wie sich hinter ihnen immer größere Risse auftaten. Der Zwerg verlor seine Zipfelmütze, die Sekunden später vom einbrechenden Eis verschluckt wurde. Den kleinen, schwarzen Augen war die Furcht deutlich anzusehen, und Peter verstand auch sogleich warum: Die Bären vor ihnen waren bereits eingebrochen. Sowohl der Zwerg, als auch er, befanden sich in der Mitte des Sees, der von allen Seiten her einzubrechen schien. Meister Petz war es möglich, sich einfach wieder an Land zu ziehen, und ihnen machte die Kälte auch wenig aus, aber der Zwerg und Peter würden jämmerlich erfrieren, wenn sie einmal ins kalte Nass fielen. Endlich kamen sie zum Stehen. Peter verschaffte sich einen Überblick und schluckte laut. Rund um sie herum knackte das Eis bedrohlich. Vor ihnen war es bereits weggebrochen, und hinter ihnen bot sich dasselbe Bild. Lange würde das Eis das Gewicht des Schlittens nicht mehr halten können. Gerade als sich Peter aufrichten wollte, bekam er einen Schlag in die Magengrube verpasst, und stürzte nach hinten. „Das ist alles deine Schuld!“, brüllte der Zwerg, und begann, Peter ins Gesicht zu schlagen. Der Junge schmeckte Blut, und ihm wurde schummrig. Durch das Geschaukel und die plötzliche Gewichtsverlagerung brach der hintere Teil des Schlittens ein und kaltes Wasser umspülte das edle Gefährt. Panisch beobachtete Peter, wie sich sein Schädel immer näher dem Loch näherte, in welchem der Schlitten senkrecht einzusinken begann. Der Zwerg taumelte, nur um dann über Peter schreiend hinwegzufallen. In letzter Sekunde griff der Junge nach dem Arm des Bartträgers und hielt ihn fest. Sein eigener Arm schmerzte und pochte, ob des plötzlichen Gewichtes, welches er halten musste. Er ließ aber nicht los. Warum rettete er den Knilch überhaupt? Ihn hätte der Zwerg sicher in den kalten Wassermassen umkommen lassen. Er hätte sich wahrscheinlich sogar noch damit gebrüstet. Sollte er ihn nicht einfach fallen lassen? Den Bären gegenüber war er auch so gleichgültig vorgegangen. Der kleine Kerl war ein sadistisches Monster. „Wer bist du, über andere zu richten?“, fragte er sich dann selbst. Was, wenn der Zwerg eine Familie hatte? War es nicht jedem vergönnt, eine zweite Chance zu erhalten? Mit einem Ruck zog er den kleinen Mann nach oben und warf ihn aus dem Schlitten. Keuchend kam der Zwerg zum Liegen und krallte sich am Eis verzweifelt fest, während Peter schon das eiskalte Wasser an seinen Beinen spürte. Krachend brach der Schlitten komplett ein. Die eisige Kälte kroch Peter in Mark und Bein. Ihm wurde schwarz vor Augen, während er verzweifelt versuchte, sich wieder an die Oberfläche zu kämpfen. Er konnte nicht, es war zu kalt, viel zu kalt. Wenn er wegdämmerte, dann würde er nicht mehr aufwachen, sterben. „Du hast deinen Feind gerettet, der dich nun deinem Schicksal überlässt, Peter Pevensie. Denkst du, ein Krieger hätte wirklich so gehandelt?“, fragte ihn die fremde Stimme donnernd. Hätte ein Krieger so gehandelt? Wahrscheinlich nicht. Doch war Peter ein Krieger? Wollte er das überhaupt sein. Der Junge schüttelte den Kopf und dachte sich: „Es wäre Unrecht gewesen, ihn diesem Schicksal zu überlassen. Wer aus Angst und Furcht andere Leute im Stich lässt, mögen sie noch so böse sein, der ist selbst nicht besser, als das Böse, das er zu bekämpfen sucht.“ Langsam fielen Peter die Augen zu. Seine Gedanken gingen zu seinen Eltern, zu seinen Geschwistern, zu Aslan. Er hatte versagt. Auch Benny und Johnny fanden einen Platz in seinen letzten Momenten. Zumindest die beiden Bären waren frei. Er hatte richtig gehandelt, und das wusste er auch. Vielleicht würde der Zwerg doch nachdenken? Vielleicht würde diese eine Tat ihn dazu bewegen, sein Leben zu überdenken? Gerade als es schwarz um Peter zu werden drohte, blendete ihn ein grelles Licht, und er fiel erneut. „Weise Worte, Peter Pevensie. Du hast verstanden, dass Unrecht nicht mit Unrecht bekämpft werden darf. Wer böse ist, muss es nicht immer sein, und es liegt nicht an uns, andere zu verurteilen.“ Staubtrocken und in einer wohligen Wärme, landete Peter im Nichts, welches sich langsam zu verformen begann. Er hatte auch diese Prüfung gemeistert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)