The good part von lunalinn (EraserMight) ================================================================================ Kapitel 1: Honesty ------------------ Aizawa hatte immer genau gewusst, welche Art von Held er garantiert nicht werden wollte. Allein der Gedanke, keinen Schritt machen zu können, ohne dass irgendjemand seinen Namen kreischte und ihn vollschwatzte, um ein Autogramm zu erhaschen, stieß ihn über alle Maßen ab. Täglich von hartnäckigen Reportern umringt zu sein, die von seinen Hobbies bis hin zur Farbe seiner Unterwäsche jede Information aus ihm herauszupressen versuchten…nein danke. Er war nie der Typ dafür gewesen, sich in Szene zu setzen, sodass er ganz gut damit fuhr, bei Nacht als Held zu arbeiten. Medienpräsenz machte einen Helden seiner Meinung nach nicht aus…und auch, wenn seine Einstellung wohl eher untypisch war, konnte er nicht behaupten, dass er unzufrieden mit seinem Leben war. Sein Job als Lehrer an der U.A. mochte nicht immer einfach sein, doch er erfüllte ihn…anders als die Vorstellung, sein eigenes Gesicht jeden Morgen auf irgendeiner Werbetafel sehen zu müssen. Gruselig. Er nahm einen großen Schluck von seinem Bier, während seine rechte Braue genervt zuckte. Es war schwierig, ruhig zu bleiben, wenn eben jene Popularität, die er so sehr verabscheute, aufgrund seines Begleiters nicht zu unterbinden war. Dabei ging es noch nicht einmal um ihn selbst, schließlich war er ein Unbekannter für die Allgemeinheit. Zweifellos war es naiv gewesen, zu glauben, er könnte mit dem anderen entspannt den Abend ausklingen lassen. Zur Hölle mit der Entspannung, wenn gefühlt alle paar Minuten jemand auf den hageren Riesen an seinem Tisch zeigte und so laut flüsterte, dass es gleich noch mehr Leute mitbekamen. Seit dem Kampf gegen All For One kannte die Bevölkerung die wahre Gestalt ihres Friedenssymbols und sie schien die Mehrheit nicht dazu zu bringen, ihm den Rücken zu kehren. Trotzdem dieser Kampf sein letzter gewesen war, hielt seine absurd große Fangemeinschaft weiterhin zu ihm. Aizawa fragte sich unweigerlich, ob das tatsächlich ein nennenswerter Trost sein konnte…in Anbetracht der Tatsache… „Sheesh…“ Er blickte auf, als All Might hörbar die Luft ausstieß, sich dann verlegen lächelnd an der Schläfe kratzte. „Ich hab mich noch immer nicht daran gewöhnt…“ Aizawa hob eine Braue, setzte die Flasche auf dem Tisch ab. „An die Aufmerksamkeit? Schwer vorstellbar, wenn dein Gesicht auf jeder Frühstücksflockenpackung zu sehen ist“, erwiderte er trocken, woraufhin sich der andere räusperte. „Eh…also, ich meine…schon gut, nicht so wichtig“, lenkte der Blonde schließlich ein und griff nach seinem Wasserglas. Aizawa wusste, was er meinte, doch er schwieg. Es lag ihm fern, unnötig Salz in die Wunde zu streuen, auch wenn ihm der Sarkasmus auf der Zunge lag. Sei’s drum…zwar hatte er All Might bis vor kurzem noch für einen arroganten Idioten gehalten, doch selbst er konnte nicht verhehlen, dass dieser Mann Anerkennung verdiente. Dass er alles für die Welt gegeben hatte, konnte man nicht übersehen – und das meinte er wörtlich. Ihm war diese ausgemergelte Version des Blonden nicht neu, schließlich kannte er ihn so, seit er sein Kollege geworden war. Wenn er ehrlich war, fühlte er sich damit sogar wohler. Der Mann ihm gegenüber war…unauffälliger. Ruhiger. Er dachte nach, bevor er etwas sagte, und schmiss nicht mit vor Tatendrang strotzenden Sprüchen um sich, für die Aizawa ihm jedes Mal eine runterhauen wollte. Irgendwie schien es sein Fluch zu sein, dass er solch laute Quälgeister anzog, wenn er so an Mic, Midnight und diese verrückte Joke dachte. „Also…uhm, noch mal danke für die Einladung…das wäre wirklich nicht nötig gewesen“, brach All Might die Stille, woraufhin Aizawa schnaubte. „Ich halte mein Wort…und ein Glas Wasser macht mich nicht gerade arm.“ „Vermutlich nicht, nein…trotzdem danke.“ „Hn.“ Es war seltsam, dass sie einander nun schon eine ganze Weile persönlich kannten und sich dennoch nichts zu sagen hatten. Das lag nicht bloß daran, dass sie so unterschiedlich waren, schließlich traf das für Aizawa auf die Mehrzahl der Lehrkräfte zu und mit denen kam er trotzdem klar. Sie wussten ihn mittlerweile zu nehmen, doch All Might schien erpicht darauf, Konfrontation mit ihm um jeden Preis zu vermeiden. Zugegeben, er hatte anfangs keinen Hehl daraus gemacht, dass der Hüne die Art von Held war, die er am wenigsten ausstehen konnte. „Du hast mir noch nicht erzählt, wie es mit Midoriya gelaufen ist.“ All Might blickte irritiert auf, zögerte merklich. „Ehrlich gesagt lief es zuerst gar nicht gut“, gab er zu. „Seine Mutter sorgt sich sehr um ihn…verständlich, so oft, wie er verletzt ist.“ Aizawa nickte, hatte sich so etwas bereits gedacht und er selbst befürwortete das oftmals selbstzerstörerische Verhalten des Jungen nicht. Er konnte kaum zählen, wie häufig er diesen schon ermahnt hatte, seinen Körper nicht weiter zu schädigen. Seine Spezialität stellte für ihn selbst die größte Gefahr dar. „Eigentlich war sie fest entschlossen, ihn von der Schule zu nehmen…nach allem, was passiert ist…“, fuhr All Might fort. Er wirkte dabei so niedergeschlagen, als sei dies seine Schuld. Da er so etwas wie Midoriyas Mentor darstellte, traf dies sogar teilweise zu. Der Kerl musste aufhören, den Jungen bei seinen Selbstmordversuchen zu ermutigen, und stattdessen lieber nach einer Lösung suchen. Auch, wenn die beiden ein Geheimnis aus ihrer speziellen Verbindung machten, entging sie Aizawa keinesfalls. Nur, weil er etwas nicht hinterfragte, bedeutete das nicht, dass er es nicht wahrnahm. „Du warst nicht anwesend, als es passiert ist“, stellte er klar. „Die Verantwortung für die Geschehnisse im Camp trage ich.“ Und noch war nicht klar, welche Konsequenzen dies haben würde, denn die Pressekonferenz hing ihm immer noch nach. Er würde im Nachhinein nichts an seinen Worten ändern, denn er war ehrlich gewesen, obwohl er sich die eine oder andere Bemerkung verkniffen hatte...doch ob er weiter unterrichten oder gar seine Lizenz verlieren würde, das würde sich noch entscheiden. „Das ist es ja“, erwiderte All Might mit Bitterkeit in der Stimme und gesenktem Blick. „Ich war nicht da. Schon wieder war ich nicht da…“ Aizawa wusste direkt, wovon er sprach; dem Angriff auf das USJ, bei dem er zu spät gekommen war. Die Narbe unter seinem Auge erinnerte ihn jeden Tag daran, wie nahe er dem Tode gewesen war. Allerdings hatte er All Might nie die Schuld dafür gegeben. „Keiner macht dir deswegen einen Vorwurf“, gab er knapp zurück. Diese unsinnigen Schuldgefühle nervten ihn, denn was passiert war, war passiert. Was änderte es, sich dafür zu geißeln? Beide Male war es relativ glimpflich ausgegangen, keiner war umgebracht worden. Er und 13 waren schwer verwundet gewesen, doch sie hatten getan, was sie konnten, um die Schüler zu beschützen und es überstanden. All Might hatte seine Kräfte verloren, ja, aber er lebte. „Ich mache mir Vorwürfe.“ Aizawa verengte die Augen, fixierte den anderen kühl, auch wenn es ihn nicht überraschte. Jemand, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, das Schicksal der ganzen Welt zu tragen, musste so denken. Als ob ein einzelner Held dazu imstande wäre…selbst ein Held wie All Might nicht. „Jeder von uns bereut gewisse Entscheidungen“, murrte er. „Das ist ein natürlicher Lernprozess, den wir alle irgendwann akzeptieren müssen.“ All Might lächelte immer noch sein freudloses Lächeln voller Verbitterung, das deutlich machte, dass ihm genau das schwer fiel. „Lernprozess…es ist genau wie damals. Weil ich wieder nicht da war, konnten sie den jungen Bakugou entführen. Ich hätte-“ „Ich habe keine Lust, mir diesen Schwachsinn länger anzuhören“, fiel Aizawa ihm hart ins Wort und brachte ihn damit zum Verstummen. „Erstens warst du auf Anweisung nicht dort, weil wir es für einen guten Plan hielten, und zweitens kann selbst All Might nicht jeden retten. Jetzt sowieso nicht mehr.“ Ihm entging nicht, wie angespannt der Hüne unter dem Gesagten wirkte, wie er die unverletzte Hand zur Faust ballte und die dünnen Lippen zusammenpresste. Es ließ sein Gesicht mit den eingefallenen Wangen noch ausgemergelter erscheinen, die ungewöhnlich blauen Augen glommen aus den dunklen Schatten, die darum lagen. Wut, Verzweiflung…und die bittere Erkenntnis, dass es stimmte. Vielleicht war Aizawa zu harsch gewesen, doch es war die Wahrheit. Er würde sie nicht zurücknehmen, auch wenn er damit den wunden Punkt des einstigen Friedenssymbols getroffen hatte. All Might ließ die knochigen Schultern, die in dem um einige Nummern zu großen Hemd steckten, sinken. Er widersprach ihm nicht, schaute auf sein mit Wasser gefülltes Glas hinab. „Ja…“, hörte er ihn murmeln. „Das…ist mir bewusst.“ Vermutlich hätte er nun irgendetwas Aufmunterndes sagen sollen, doch das war weder seine Art, noch fiel ihm etwas Passendes ein. Dass seine Zeit als Held vorbei war, stellte eine Tatsache dar…und für jemanden, der scheinbar nie etwas anderes gewesen war, musste das unvorstellbar sein. „Sich auf einen Einzelnen in Krisensituationen zu verlassen, ist fahrlässig“, murrte er. „Spätestens jetzt sollte das den Menschen wieder klar werden.“ All Might schwieg eine ganze Weile, die große Hand weiterhin um sein Glas geschlossen, als würde er es jeden Moment zerbrechen. Dann gab er ein freudloses Lachen von sich und schüttelte den Kopf, wobei seine struppigen, blonden Haare wippten. „Du bist wirklich gnadenlos ehrlich, Aizawa-kun…“ Aizawa hob auf die Aussage hin eine Braue, fixierte den anderen; er konnte nicht heraushören, ob das positiv oder negativ gemeint war. Nicht, dass es ihn kümmern würde. „…ich schätze, die Wahrheit wollen die wenigsten Leute hören. Du machst es mir nie leicht…“ „Ich mache es niemandem leicht“, korrigierte Aizawa ihn. „Die Welt ist zu niemandem freundlich und die Menschen zu täuschen, indem man sie in Watte packt, ist allenfalls dumm.“ Er funkelte sein Gegenüber an, ehe er tief seufzte. „Das schließt dich nicht aus…aber es bedeutet auch nicht, dass ich Groll gegen dich hege.“ All Might sah wieder zu ihm auf, ein schiefes Lächeln auf den Lippen. „Ich bin eigentlich fest davon ausgegangen, dass du mich nicht leiden kannst…uhm…ich bin mir auch ziemlich sicher, dass du das sogar gesagt hast…ein, zwei Mal…“, kam es nervös von dem Blonden und er kratzte sich an der Wange. Ja, daraus hatte er keinen Hehl gemacht, demzufolge konnte er ihm das kaum übelnehmen. Wollte er auch nicht. Er brummte unverständlich gegen den Rand seines Bierglases, ehe er dieses sinken ließ, dem Blick des Älteren aber nicht auswich. Dafür gab es keinen Grund „Stimmt“, gab er zurück und All Mights Lächeln wirkte plötzlich noch kläglicher. „Ich kann Menschen nicht ausstehen, die so laut und aufdringlich nach Aufmerksamkeit schreien. Dieses Getue der Medien, die alles verdrehen, nervt mich…als gäbe es keine Schattenseiten.“ Er schnaubte leise, bemerkte, wie still der andere ihm zuhörte, nicht einmal den Versuch machte, ihn zu unterbrechen. „Du weißt ebenso gut wie ich, dass die Realität ganz anders aussieht. Dass man eben nicht alles mit einem Lächeln abtun kann. Dass es Tage gibt, an denen man nicht jeden retten kann. Tage, an denen man versagt.“ Jeder Held wurde irgendwann damit konfrontiert…Midoriya erst neulich, obwohl er noch ganz am Anfang stand. Mit solchen Niederlagen konnten viele nicht umgehen, verfielen dadurch in Selbstzweifel…manche sogar in Depressionen. Es war nicht immer einfach, die Kraft zu finden, wieder aufzustehen und weiterzumachen. Darüber berichteten die Medien ebenfalls…und oftmals verdrehten sie die Tatsachen auf eine Weise, die es den Helden noch schwerer machte, erneut vor die Öffentlichkeit zu treten. Aizawa hatte es vor kurzem zu spüren bekommen, als sie ihn bei der Pressekonferenz zu provozieren versucht hatten, indem sie Bakugou anzweifelten. Aizawa beobachtete den Hünen dabei, wie dieser seine Hand wieder zu seinem Glas wandern ließ. Als bräuchte er etwas, an dem er sich festhalten konnte…dann fuhren seine Finger den Rand nach, sein Blick wurde abwesend. Er schien ihm nicht widersprechen zu wollen. Keine einzige Phrase über seine Rolle als Säule des Friedens. Aizawa hatte auch nicht damit gerechnet, wenn er ehrlich war…so gut kannte er Yagi Toshinori inzwischen. „Meine Einstellung diesbezüglich wird sich nicht ändern“, fuhr er fort. „Ich bin jedoch nicht stur genug, um dir bloße Selbstüberschätzung und Arroganz vorzuwerfen. Ich sehe, wie viel du geopfert hast, um den Menschen Sicherheit zu geben…ganz gleich, was ich davon halte.“ All Might blickte auf, Irritation in den hervorstechenden, blauen Augen…doch dann legte sich langsam ein Lächeln auf die schmalen Lippen. „In deiner Sprache heißt das wohl, dass ich gar nicht so übel bin, wie du dachtest?“ Aizawa zuckte mit den Schultern. „So in etwa könnte man das vielleicht ausdrücken“, erwiderte er trocken und brachte den anderen damit zum Schmunzeln. „Bei dir muss man wirklich immer zwischen den Zeilen lesen…aber nun, du hast Recht mit dem, was du sagst. Ich will gar nicht leugnen, dass ich den Ruhm gerade in meinen jüngeren Jahren genossen habe…die Schattenseiten, die du erwähnt hast, kenne ich allerdings ebenso gut.“ Das Lächeln wich nicht gänzlich, wurde allerdings eine Spur bitterer. „Gerade jetzt…es ist…“ Anscheinend fehlten ihm die Worte, denn er sprach den Satz nicht zu Ende, presste bloß die Lippen aufeinander. Aizawas Miene blieb ausdruckslos, während er das leere Bier auf den Tisch stellte. Zu behaupten, er wisse, wie sich der andere fühlte, wäre wohl ebenfalls arrogant gewesen. Er versuchte es gar nicht erst, warf einen Blick zum Nebentisch, wo die Leute wieder zu tuscheln begannen. Jemand machte tatsächlich ein Foto mit seinem Handy. Dass man nie seine Ruhe haben konnte…jedenfalls nicht mit diesem Mann. „Lass uns verschwinden.“ Verwirrt sah der Blonde zu ihm, neigte ein wenig den Kopf, während Aizawa ein Fläschchen hervorholte. Seine Augen wurden seit dem Vorfall im USJ noch schneller trocken, so dass er sich in jedes einen Tropfen verabreichte, bevor sie zu brennen begannen. „Wohin? Ich meine…also, wir können natürlich gehen, wenn-“ „Ich meine an einen Ort, an dem sich weniger Menschen befinden“, stellte er seine Worte richtig und ließ die Augentropfen verschwinden. Er hatte nicht das Gefühl, als würde All Might nach Hause gehen wollen…vermutlich erwartete ihn dort niemand. So wie es bei ihm selbst der Fall war und auch, wenn er in der Regel kein Problem damit hatte, so schien der andere gerade Gesellschaft zu brauchen…und da Aizawa nichts vorhatte… „Oh…ja…also, sicher, wir können woandershin, wenn du möchtest…“ Aizawa holte brummend seine Geldbörse hervor, um ihre Getränke zu zahlen. „Du solltest wissen, dass ich es sonst nicht vorgeschlagen hätte.“ „Vermutlich nicht…“ Aizawa äußerte sich nicht weiter dazu, sondern sah zu der Kellnerin, die gerade zu ihrem Tisch kam…und ihre Augen nicht von All Might lassen konnte. Es wurde wirklich allerhöchste Zeit, von hier zu verschwinden… Im Endeffekt hatte er dem Blonden die Entscheidung überlassen, wohin sie gingen, so dass sie sich ein paar Minuten später an einem weitläufigen Strand wiederfanden. Aizawa lockerte den Knoten seiner Krawatte, während ihnen beiden der Wind durch die Haare fuhr. Er war froh, wenn er diese formelle Kleidung loswurde und wieder in seine bequemen Alltagsklamotten schlüpfen konnte. Ohne die verstärkten Bandagen fühlte er sich zudem einfach nicht wohl. Gedankenverloren blickte er auf das Meer, in dem sich die letzten Strahlen der untergehenden Sonne spiegelten. Der Himmel glühte noch rot-orange, würde sich bald dunkel färben. Er lehnte neben All Might an dem Geländer des überdachten Stegs und tatsächlich waren sie allein. Außer dem Rauschen des Meeres und dem Krächzen einiger Vögel empfand er es als angenehm still. „Wegen Midoriya“, brach er ihr Schweigen dennoch nach einer Weile. „…du hast mir noch nicht gesagt, wie seine Mutter entschieden hat.“ All Might blickte ebenfalls in die Ferne, die Miene im ersten Moment nichtssagend. Dann aber schien etwas seine Stimmung aufzuhellen, denn seine heruntergezogenen Mundwinkel zuckten. „Nun, wie gesagt…es war nicht einfach. Sie ist eine starke Frau…eine Löwin von Mutter. Es hat mich meine ganze Überzeugung gekostet, damit sie ihr Vertrauen erneut in die U.A. legt und ihren Sohn in unsere Obhut gibt.“ Aizawa neigte ein wenig den Kopf, die müden Augen weiterhin auf den Horizont gerichtet. „In die U.A. oder in dich?“ Ertappt rieb sich der Hüne den Nacken, sah flüchtig zu ihm, ehe er das Gesicht wieder abwandte, verhalten hustete. Aizawa schnaubte leise, hatte sich das schon gedacht. Hätte er seine Bandagen umgehabt, hätte er den anderen damit dazu gebracht, ihn anzusehen…so aber griff er nach dessen spitz zulaufendem Kinn und drehte es ruckartig zu sich. All Might keuchte erschrocken auf, die gesunde Hand abwehrend erhoben, während er in seine finstere Miene blickte. „Ich hoffe, du kannst deine Versprechen halten.“ All Might blinzelte, ließ die Hand langsam sinken, machte auch sonst keine Anstalten, sich aus dem Griff zu befreien. Er räusperte sich leicht, nickte dann aber…vielleicht ein bisschen zu zögerlich. Da steckte doch mehr hinter, als er bereit sein würde, ihm zu erzählen. „Ja. Das werde ich“, erwiderte er jedoch unerwartet fest. „Mach dir bitte keine Sorgen.“ Aizawa zog die Stirn in Falten, sah dem anderen in die blauen Augen, in denen sich keine Unsicherheit mehr erkennen ließ. „Sorgen, huh?“, wiederholte er grimmig, ließ ihn aber los. „Wenn man mit dir zu tun hat, macht man sich zwangsläufig immer Sorgen. Du bist nicht besser als die Schüler, All Might. Arbeite gefälligst an dir, wenn du ihnen ein Vorbild sein willst!“ Ein nervöses Lächeln legte sich auf die Lippen des anderen und nickte rasch. „Uhm…werde ich. Keine Sorge…eh, ich meine…“ Aizawas Braue zuckte gefährlich weit nach oben, als ein lautes „Poof“ neben ihm erklang und ihm All Mights dauergrinsende Visage entgegensprang. Der aufgepumpte Körper schien das Hemd nahezu zu sprengen, als er sich vorbeugte und ihm den Daumen entgegenstreckte. „Verlass dich ganz auf mich, Aizawa-kun! Ich werde ein Top-Lehrer, auf den du stolz sein kannst! Hahaha!“ Aizawa blickte ihn ohne jede Regung an, bemüht, ihm nicht die Faust ins Gesicht zu rammen. War nicht leicht, wenn dieser Kerl schon wieder blöde Sprüche klopfte. Allerdings dauerte es nur ein paar Sekunden, bis erneut ein „Poof“ ertönte und die hagere Version All Mights wieder neben ihm stand. Das Grinsen war verschwunden, machte einer verlegenen Grimasse Platz, die Hand ließ er sinken…und Aizawa begriff, dass es schwierig für ihn war, aus seiner Haut zu kommen. Dass das alles war, was All Might noch geblieben war. Das und seine Rolle als Lehrer. Ein Funken. Aizawa schluckte seinen Ärger herunter, was ihm leichter als gedacht fiel, ehe er seufzte. „Gut. Ich erinnere dich bei Gelegenheit daran“, antwortete er auf die Ansage. Dies ließ den anderen zunächst stutzen, das schiefe Lächeln kehrte schließlich aber zurück. „Beim…nächsten Bier?“ Aizawa blinzelte. „Dachte, du trinkst nicht.“ „Ehm…ja, also, nein, aber ich…wollte dir ja auch was ausgeben. Wegen Bakugou-shonen, du weißt schon…“ Stimmte ja, da war was. Nun, das war wohl nur fair. Warum nicht? War ja nicht so, dass er etwas Besseres zu tun hatte, abgesehen von Schlaf nachholen. Sei’s drum, dann schlief er eben wieder in der Schule zwischen den Pausen. Ging schon irgendwie. Mehr Zeit mit All Might verbringen. Mit der Version von All Might, die Yagi Toshinori hieß und ihn nur halbwegs zur Weißglut trieb. Hm. „Von mir aus.“ All Mights Lächeln wankte ein wenig. „Das klingt nicht gerade euphorisch…“ Aizawa schoss ihm einen genervten Blick zu, woraufhin der andere abwehrend die gesunde Hand hob. Wirklich, allmählich sollte er ihn kennen. Er lehnte sich wieder gegen das Geländer, während er den Knoten aus seinen Haaren löste – seine Kopfhaut spannte schon. „Wie bereits gesagt…ich tue nichts, was ich nicht will“, machte er noch mal deutlich. Dazu zählte auch, mit dem anderen hier zu sein und sich den Sonnenuntergang anzusehen. Vermutlich würde es nicht mehr lange dauern, bis irgendein Paar hier auftauchte, um sich diese Art von übertriebener Romantik zu gönnen. Er fragte sich plötzlich, warum All Might überhaupt mit ihm hierhergekommen war. Sicher, Aizawa hatte nach einem ruhigen Ort gefragt…dennoch… „Warum wolltest du hierher?“, fragte er direkt, woraufhin der andere merklich stutzte. Er öffnete den Mund, sagte jedoch nicht gleich etwas, sondern fuhr sich mit der Hand durch die zausen Haare. Dabei blickte er mit zusammengezogenen Brauen vor sich hin, als überlegte er, wie er die Sätze formulieren sollte. Aizawa glaubte nicht, dass dies ein Problem war…sondern eher, dass es da noch etwas gab, das er ihm nicht sagen wollte. Was auch immer dieser Strand für ihn bedeuten mochte… „…es ist um diese Zeit ruhig hier“, murmelte er schließlich, zuckte leicht die Schultern. Aizawa bohrte nicht weiter nach, wartete lediglich, ob da noch mehr kam. Es dauerte einen Moment, All Might schloss seinen Mund und öffnete ihn dann wieder. „Früher war der ganze Strand eine regelrechte Mülldeponie“, begann er leise. „Kaputte Elektrogeräte, Unmengen von Plastik…weder Mensch noch Tier haben sich diesem Ort gern genähert.“ Schwer vorstellbar, wenn man sich diese Idylle nun besah, und er fragte sich, wie lange es gedauert haben mochte, das in Ordnung zu bringen, was sich hier vermutlich über Jahre angesammelt hatte. „All Might schützt also in seiner Freizeit die Umwelt?“ Der Blonde musste schmunzeln, schüttelte aber sofort den Kopf. „Nein…also, ja, sagen wir, es ist mir nicht egal. Wenn ich helfen…konnte, habe ich geholfen. Egal, ob es um die Umwelt, Tiere oder Menschen ging. Ich finde es wichtig, dass man sich als Held nicht beschränkt…hm...aber das hier ist nicht mein Verdienst.“ Aizawa fiel plötzlich noch ein Zug an All Might auf, den er bislang nicht wirklich wahrgenommen hatte; seine Ehrlichkeit. All Might profilierte sich nicht mit fremden Taten und er übte harte Kritik an sich selbst, während er in seiner Rolle als Lehrer oft nachlässiger mit den Schülern war. Nun, es war sicher nicht das Schlechteste an ihm. Diese Ehrlichkeit jedenfalls…denn als Lehrer musste er definitiv noch an sich arbeiten. „Hast du noch vor, mir zu sagen, wem die Aussicht zu verdanken ist?“ All Might grinste eine Spur zu gezwungen, sah ihn entschuldigend an. „Eh…sagen wir doch einfach, dass es…jemand war…der sich ein hohes Ziel gesetzt hat und alles dafür getan hat. Jemand mit einem bemerkenswert starken Willen…“ Das war schwammig formuliert und auch, wenn Aizawa eine vage Ahnung bekam, äußerte er sich nicht dazu. Schweigend blieb er neben All Might stehen, der immer noch mit sich rang, wie es schien…auch wenn es eigentlich nichts hinzuzufügen gab. Er musste nicht alles darüber wissen, das ging ihn schließlich nichts an. „…jemand…wie du“, schloss All Might unerwartet und brachte ihn damit zum Stutzen. „Huh?“, entkam es ihm und er sah den anderen irritiert an. Dessen Grinsen erschien ihm nun nervöser, was Aizawa darauf schließen ließ, dass ihm die Worte herausgerutscht waren. Interessant. „Also, eh…ich meine…weißt du…“, stammelte das einstige Friedenssymbol und wedelte mit der gesunden Hand in der Luft herum. „Ja?“ Leichter machte er es ihm damit nicht, doch neugierig war er schon, was der andere meinte. All Mights Hautfarbe wurde um ein paar Nuancen dunkler und der Mund stand in Ermangelung passender Worte immer noch offen. Dann schien er sich zu fassen, denn er straffte ein wenig die zusammengesunkenen Schultern, versuchte, seinem Blick standzuhalten. „Du bist…auch so jemand“, erklärte er zögerlich. „Damals…beim USJ…du hast dein Leben riskiert, um die Schüler zu retten. Es hätte dich beinahe umgebracht und trotzdem…hättest du mir diese Zeit nicht verschafft…wer weiß, ob nicht doch jemand gestorben wäre…“ Verdutzt blickte er den Älteren an, der ihn derart verkniffen anstarrte, dass die Anspannung spürbar war. Aizawa musste es einen Moment sacken lassen, ehe er etwas erwidern konnte. Das kam irgendwie überraschend…und noch dazu fiel ihm etwas ein, an das er bis jetzt nicht gedacht hatte. Vielleicht weil er schwerer verletzt gewesen war, als er zugeben wollte… „Schätze, sowas tun Helden“, brummte er und schob die Hände in die Hosentaschen. „Leben retten…sich in Gefahr bringen…außerdem bin ich für sie verantwortlich.“ Es war das, was jeder Held oder Lehrer tat, wenn es nötig war. Man reagierte reflexartig und wenn er daran zurückdachte, wie Asui beinahe zu Staub zerfallen wäre, drehte es ihm immer noch den Magen um. So verflucht knapp. Was war dagegen schon der Schmerz in seinen Augen gewesen? Er warf einen Blick zu All Might, der ihn nachdenklich musterte, ehe sich wieder diese Bitterkeit in seine Mimik mischte. „Es war meine Schuld. Egal, was du sagst, Aizawa-kun…ich hätte da sein sollen. Dass ich es nicht war, tut mir leid. Was…mit dir passiert ist, tut mir leid. Ich hätte es verhindern können, we-mpf!“ Aizawa bedauerte wirklich, dass er seine Bandagen nicht trug. Finster blickte er in All Mights weit aufgerissene, blaue Augen, während er diesem die Hand auf den Mund drückte und seine Wangen zusammenquetschte. Er spürte den hektischen Atem, der gegen seine Handinnenfläche blies, als er ihn so festhielt. „Ich wiederhole mich ungern“, murrte er und funkelte ihn an. „Deswegen sage ich dir bloß eins dazu.“ Aizawa holte Luft, schloss kurz die Augen und löste dabei seine Finger von All Mights Gesicht. „Danke.“ Nun war es an All Might, seinem stoischen Blick mit Verwirrung zu begegnen. Er brauchte wohl kurz, um zu realisieren, dass keine weitere Standpauke folgte…sondern das, was Aizawa schon früher hätte tun sollen. „Was?“ Aizawa schnaubte leise, zuckte mit den Schultern, wobei er zur Seite blickte. Allmählich wurde es dunkler, die Sonne war fast verschwunden, doch noch immer waren sie allein. „Ich habe mich nie dafür bedankt, dass du mir das Leben gerettet hast“, führte er es unwillig weiter aus. „Deswegen…danke…und jetzt will ich nichts mehr davon hören. Für die Sache im Camp gilt übrigens dasselbe.“ Unter seinem strengen Tonfall blieb All Might zunächst stumm, schaute ihn perplex an. Aizawa beließ es dabei, richtete seine Aufmerksamkeit wieder aufs Meer, während ihm seine zotteligen Haare wieder in die Stirn fielen. War es denn wirklich so untypisch für ihn, sich für so etwas Offensichtliches zu bedanken? Ohne All Might hätte ihm der Nomu den Schädel vermutlich komplett zu Brei zermatscht – auf dem besten Weg dahin war er gewesen. „Jederzeit, mein Freund.“ Aizawa stockte in seinen Gedanken und das lag weit weniger daran, dass All Might ihn Freund nannte. Als Freunde betitelte der Ältere die meisten Menschen um sich herum, das gehörte zu seiner Art, auch wenn Aizawa solchen Bezeichnungen kritischer gegenüberstand. Es gab nur einen engen Kreis von Menschen, die er als Freunde ansah – Mic und Midnight gehörten dazu, auch wenn sie ihn oft an den Rand seiner Selbstbeherrschung trieben. Dennoch…was ihn bei All Mights Worten stutzen ließ, war dieses Versprechen, das er eigentlich gar nicht mehr geben konnte. Er würde nicht mehr die letzte Rettung sein können, wenn es brenzlig wurde. Jederzeit. Wie oft musste All Might Versprechen wie diese gegeben haben? Dabei dieses nervige Dauergrinsen auf dem Gesicht, das den Menschen Hoffnung gab… Nein, stellte er wiederholt fest, so einfach war es nicht, aus seiner Haut zu kommen…und als er ihn ansah, wusste er, dass es auch ihm klar war. Die warm gesprochenen Worte standen in Kontrast zu dem wackligen Lächeln auf den ausgemergelten Zügen. Erneut mischte sich diese Bitterkeit in seinen Blick, trotzdem er es zu verbergen versuchte. „Ich…“, setzte er an, doch Aizawa unterbrach ihn, bevor er mehr dazu sagen konnte. „Schon gut.“ Es machte keinen Sinn, das Offensichtliche auszusprechen, das würde nichts ändern. All Might schloss den Mund wieder, senkte den Blick auf seinen verletzten Arm, ehe er bloß nickte. Mehr musste keiner von ihnen dazu sagen. Aufmunternde Worte erschienen Aizawa derart unpassend, dass er es nicht mal versuchen wollte; er würde nur Salz in die Wunde streuen. Der Ältere schien seine Meinung zu teilen, da er keinen weiteren Versuch für ein Gespräch unternahm. Keine heldenhaften Phrasen…nicht in dieser Situation. Und trotzdem…hatte er vermutlich nie mehr Sympathie für All Might empfunden, als in diesem Moment. Weil nichts davon aufgesetzt war, um irgendwem etwas vorzumachen. Mehr Yagi Toshinori als All Might. Still blickten sie aufs Meer hinaus, während sie nebeneinander am Geländer des Stegs lehnten und zusahen, wie die Nacht allmählich hereinbrach. Kapitel 2: Courage ------------------ Seitdem All Might seine letzten Kräfte im Kampf gegen All for One aufgebraucht hatte, merkte er nach und nach, wie viel schwieriger dies sein Leben machte. Nicht, dass dies sonderlich überraschend kam, schließlich war er Jahrzehnte das Symbol des Friedens gewesen. Er hatte ein Held werden wollen, solange er denken konnte und nachdem er Nana getroffen hatte, war ihm dies auch endlich möglich gewesen. Sie hatte ihm One for All vererbt und ihn trainiert…ihm die Werte beigebracht, die er verinnerlicht hatte. Er bereute sein Versagen, All for One damals nicht getötet zu haben und dass dieser Mistkerl sogar jetzt immer noch lebte, verursachte ihm Magenkrämpfe, die nicht von seiner Verletzung herrührten. Nicht nur jedenfalls. Was er nicht bereute, war, seine letzten Kräfte dafür geopfert zu haben, ihn zum zweiten Mal zu besiegen, sodass er nun zumindest weggesperrt war. Dennoch…er war so lange All Might gewesen, dass es ihm schwer fiel, nur noch Yagi Toshinori zu sein. Wann immer er von einer Katastrophe hörte, bei der Menschen in Gefahr schwebten, wollte er aufspringen und losrennen. Mehr als einmal hatte sich sein Körper selbstständig gemacht, hatte dem Reflex nachgegeben, doch die Muskelform verpuffte jedes Mal in Sekunden, erinnerte ihn daran, dass All Mights Zeit vorbei war. Endgültig. Er musste sich um die Ausbildung des jungen Midoriya und die der anderen Schüler kümmern, das war nun seine Aufgabe. Außerdem hatte er Aizawa das Versprechen gegeben, ein besserer Lehrer zu werden, sodass er sich dieses Buch zugelegt hatte. Obwohl der Titel „Sogar die größten Idioten können Lehrer werden“ recht banal war, fand er die Lektionen tatsächlich hilfreich. Yagi seufzte leise, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und gedankenverloren auf den Bildschirm seines Rechners starrte. Obwohl ein paar der anderen Lehrer durch das Büro wuselten und Present Mics Stimme wie immer alles übertönte, nahm er wenig davon wahr. Seine verlorenen Kräfte stellten nicht sein einziges Problem dar…und er wusste wirklich nicht, wie er sich verhalten sollte. „Are you excited, everybody?!“ Er konnte sich ja nicht einmal erklären, wie er in dieser unangenehmen Situation gelandet war. Es hatte sich einfach so entwickelt, ohne dass er Einfluss darauf gehabt hätte. Anfangs hatte er es zu ignorieren versucht, doch seine schwitzigen Hände und das Herzrasen ließen sich nicht leugnen. Schon daran zu denken, machte ihn so nervös, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Dabei sollte er aus diesem Alter seit langem raus sein, nicht wahr? Schließlich war er ein erwachsener Mann und keiner der Teenager, die er unterrichtete. „Morgen ist…Valentinstaaaaag!!“, trällerte Present Mic durch das Büro und formte mit seinen Fingern ein Herz. „Meine Fans werden mir sicher Unmengen von Honmei Schokolade schicken, yeaaaahhh!“ „Wie gut, dass du überhaupt keine hohen Erwartungen hast, Mic…“, bemerkte Midnight und rollte mit den Augen, während Snipe neben ihr zustimmend nickte. „Ich bin halt popular, guys!“, erwiderte Mic grinsend und zuckte mit den Schultern. Sein Privatleben war immer sehr knapp bemessen gewesen, sodass seine wenigen Beziehungen selbst in seinen jüngeren Jahren recht kurzlebig gewesen waren...mehr Affären. Dann war der Vorfall mit All for One passiert und nachdem er dem Tode knapp entronnen war, hatte er ganz andere Prioritäten gehabt. Niemand hatte von seinem Zustand erfahren dürfen, demnach hatte er auch niemanden mehr an sich rangelassen. Er war so versessen darauf gewesen, seine verbliebene Kraft für die Menschheit einzusetzen, dass er es nicht mal vermisst hatte. Es hatte ihm nicht gefehlt. „Ich hätte auch gern Honmei Schokolade…“, seufzte Cementoss verträumt. „Ich bekomme immer nur Giri Schokolade“, brummte Ectoplasm, woraufhin Midnight seine Schulter tätschelte. „Tut mir leid, Jungs…“, erwiderte sie mit einem Zwinkern. „Aber ich weiß, wer ganz sicher wieder Honmei Schokolade bekommt~!“ Ihr Trällern hallte durch den Raum, während sie ihren Arm ausstreckte und auf die Person zeigte, die soeben hereinkam. Yagi blickte auf und direkt bekam er wieder dieses Herzrasen, das ihn schon seit ein paar Wochen in den Wahnsinn trieb. Midnights auserkorenes Opfer runzelte die Stirn, beäugte seine Kollegin misstrauisch. „Oh, du brauchst gar nicht so zu tun, Eraser~“, flötete sie und wackelte mit den perfekt gezupften Augenbrauen. „Morgen ist Valentinstag~ und ich wette Ms. Joke schickt dir wieder selbstgemachte Smiley-Schokolade!“ Für einen Moment hielt Yagi die Luft an, beobachtete angespannt Aizawas Gesicht, welches sich jedoch rasch in eine finstere Grimasse verwandelte. Ihm schien die Aussicht auf Ms. Jokes Honmei Schokolade zu missfallen, was Yagi innerlich aufatmen ließ. Nicht, dass dies irgendwas an seinem Dilemma änderte… „Ich habe keine Zeit für so einen Schwachsinn“, murrte der Underground-Hero genervt. „Wie kann man nur so kaltherzig sein, Eraseeeeer!“, krakeelte Mic, was ihm einen Todesblick seines Kollegen einbrachte. Ein unverständliches Grummeln war alles, was man von Aizawa hörte, ehe sich dieser auf seinen Platz setzte und zu arbeiten begann. Jedenfalls hatte er das bestimmt vor, doch Midnight trat hinter ihn und stützte ihren Ellenbogen auf seiner Schulter ab, ein verschlagenes Grinsen auf den vollen Lippen. „Komm schon~“, säuselte die Heldin. „Die meisten Männer würden sich um ein bisschen Aufmerksamkeit von hübschen Frauen reißen! Du musst sie ja nicht direkt heiraten, aber für ein bisschen Spaß-“ „Midnight!“, zischte Aizawa sie an, woraufhin sie leise lachte und abwehrend die Hände hob. „Schon gut, schon gut…ich ärgere dich doch nur~“ „Hn.“ Yagi dagegen senkte den Kopf über das aufgeschlagene Buch auf seinem Tisch, um ja von niemandem angesehen zu werden. Zwar konzentrierten sich alle auf Aizawa, doch so, wie seine Wangen brannten, konnte sich das schnell ändern. Dieses Gespräch machte ihn fertig…und es versetzte ihm einen Stich. Warum musste es auch ausgerechnet Aizawa sein, der solche Gefühle in ihm auslöste? Begonnen hatte es bei ihrem Treffen in der Bar…vielleicht auch früher, denn trotz ihrer anfänglichen Schwierigkeiten miteinander hatte ihn der andere Mann von ihrer ersten Begegnung an fasziniert. Aizawas Ehrlichkeit, so gnadenlos sie auch oftmals war, und seine versteckte Gutherzigkeit trafen einen Nerv bei ihm. Es war nicht leicht in Worte zu fassen, doch je öfter sie sich getroffen und unterhalten hatten, umso stärker war die Anziehung geworden, die der Underground-Hero auf ihn ausübte. Auf seine eigene Art war Aizawa zudem ziemlich attraktiv, da konnte er noch so finster gucken oder gerade aus dem Schlafsack krabbeln. Manchmal ertappte Yagi sich dabei, wie er seine zerzauste Mähne oder seine Wange berühren wollte. Es war bisher selten vorgekommen, dass er auf diese Weise über einen Mann nachdachte, aber auch nicht das erste Mal. Aufgrund seiner geringen Freizeit hatte er sich damit nie genügend beschäftigt…es waren immer nur Frauen gewesen, mit denen er sich näher befasst hatte. Und nun musste es Aizawa sein. Davon abgesehen, dass er nicht wusste, ob Aizawa Männer überhaupt auf diese Weise mochte, hätte er sich keine größere Herausforderung suchen können. Aizawa war eine ganze Ecke jünger und gesünder als er, er sah um einiges besser aus als er…und er war eben einfach Aizawa. „Uhm…All Might?“ Inzwischen hatte er sich noch tiefer über das Buch gebeugt, die gesunde Hand in seinen blonden Haaren vergraben, sodass er zunächst gar nicht wahrnahm, dass ihn jemand ansprach. Als ihn eine Hand sachte an der Schulter antippte, schrak er so heftig hoch, dass er durch die Reaktion direkt einen Schwall Blut spuckte. „Oh Gott! Es tut mir leid!“, vernahm er eine sehr bekannte Stimme hinter sich. Während er sich keuchend über den Mund wischte, drehte er sich mitsamt des Stuhls herum, nur um in ein sommersprossiges Gesicht zu blicken. Hinter sich, auf der anderen Seite des Tisches, diskutierten Midnight und Mic schon wieder über den Valentinstag. „Midoriya-shonen“, wandte er sich an den Jungen und lächelte schief. „Wie kann ich dir helfen?“ Sein angehender Nachfolger blickte ihn immer noch besorgt an, doch bei seiner Frage räusperte er sich verlegen, errötete leicht. „Eh…ich wollte…können wir reden? Also…allein?“, stammelte er, wobei er an ihm vorbei sah, wo die Diskussion ihren Lauf nahm. Yagi hatte nicht mal eine Ahnung, über was der Junge reden wollte, denn One for All war bestimmt kein Grund, rot zu werden. Nun, als sein Mentor würde er versuchen, ihm in allen Lagen zu helfen, weswegen er nickte. „Sicher, folge mir.“ Er erhob sich, immerhin hatte er noch etwas Zeit bis zur nächsten Lehrstunde, da gerade Mittagspause war. Als er hinter Midoriya schon fast zur Tür raus war, warf er einen kurzen Blick über die Schulter und…bemerkte, dass Aizawa nicht auf seinen Monitor schaute. Er beachtete weder Midnight, noch Mic, die hinter ihm ausschweifend gestikulierten…er sah ihn an. Obwohl Yagi seinen Ausdruck nicht deuten konnte, wurde er schon wieder knallrot, sodass er sich hektisch wegdrehte und den Raum verließ. Oh Gott…er benahm sich tatsächlich wie ein Teenager in der Pubertät. Peinlich. Einer der Besprechungsräume war noch frei, sodass er diesen nutzte, um mit Midoriya unter vier Augen sprechen zu können. Wenigstens hatte er sich soweit im Griff, dass die Hitze aus seinen Wangen gewichen war, als er die Tür hinter ihnen schloss. Tief atmete er durch, setzte sich dann auf die mit grauem Stoff bezogene Couch, während der Junge ihm gegenüber auf einem der Sessel Platz nahm. Yagi faltete die Hände ineinander, stützte die Arme auf seine Knie, die in einer schlichten, schwarzen Hose steckten. „So…worüber möchtest du sprechen?“, fragte er den Jungen, der stocksteif da saß und auf den Tisch zwischen ihnen sah. War das, was ihm auf der Seele brannte, so eine große Sache? Musste er sich Sorgen machen? Hatte er etwas angestellt oder gab es Probleme mit One for All? Verletzt wirkte er glücklicherweise nicht, andererseits gab es Wunden, die man nicht sofort sah. „Ich…also, es ist…ich weiß, dass das bestimmt total lächerlich rüberkommt, ich meine, ich sollte dich das nicht fragen, weil du hast damit ja nichts zu tun, aber ich weiß nicht, zu wem ich sonst gehen soll und ich hab mir gedacht, da du ja viel älter bist als ich und bestimmt einen Rat weißt und wenn ich-“ „Oi, jetzt warte doch mal!“, unterbrach Yagi das Gebrabbel, das er ja schon von dem Jungen kannte. Er seufzte leise, schüttelte dann den Kopf und blickte ihn auffordernd an. „So verstehe ich wirklich nichts…noch mal von vorn. Worum geht es?“ Midoriya schluckte merklich, straffte aber die Schultern, auch wenn er erneut errötete. Immerhin wich er ihm diesmal nicht aus, sah ihm in die Augen. „Es ist wegen morgen...weil doch Valentinstag ist.“ Yagi blinzelte, glaubte, sich verhört zu haben; darum ging es? Das hatte er jetzt als Letztes erwartet…und er wusste auch nicht, wie er diesbezüglich helfen sollte. Allerdings schien Midoriya Mut gefasst zu haben, denn er sprach direkt weiter. „Ich…mag jemanden sehr gern. Ein Mädchen…und ich hoffe, dass sie mich auch mag. Deswegen…was, wenn…ich morgen keine Honmei Schokolade bekomme…oder noch schlimmer, wenn sie sie jemand anderem schenkt? Ich meine…was würdest du tun?“ Yagi fragt sich, ob sich das Schicksal hier einen üblen Scherz mit ihm erlaubte; war es wirklich Zufall, dass Midoriya dasselbe Problem wie er selbst hatte? Nun, dasselbe vielleicht nicht, aber ein sehr ähnliches. Anscheinend fürchteten sie beide Zurückweisung…so viel dazu, er wäre älter und wüsste einen Rat. Natürlich hätte er einen, doch es kam ihm heuchlerisch vor, diesen an den Jungen weiterzugeben, wenn er selbst ihn nicht umsetzen würde. Innerlich haderte er mit sich, biss die Zähne zusammen, während er seine Antwort überdachte. Nur weil er selbst feige war, konnte er dem Jungen nicht die Hoffnung nehmen. Midoriya war so jung und er würde noch viele Enttäuschungen erleben, das blieb auf seinem Weg nicht aus. Dennoch durfte er dadurch den Mut nicht verlieren. Gehörte das nicht auch zu seinem Job als Mentor? Ihn darin zu bestärken, nicht einfach aufzugeben? Er musste sich wirklich an seine eigenen Tipps halten… Midoriya zuckte zusammen, als Yagi ohne Vorwarnung aufsprang und mit einem „Poof“ in All Mights Gestalt wechselte. Die Muskeln sprengten den obersten Knopf seines weißen Hemds – woran er vorher nicht gedacht hatte –, doch er ignorierte dies. Mit seinem typischen Lächeln und in die Hüften gestemmten Händen sah er auf den Jungen runter, der ihn perplex anstarrte. „Du darfst eines nie vergessen, Midoriya-shonen!“, sprach er in heroischem Ton. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Selbst wenn du morgen keine Honmei Schokolade bekommst, muss das nicht heißen, dass dich das Mädchen nicht mag! Vielleicht ist sie schüchtern oder unsicher…doch wenn du nur abwartest, wirst du es nie herausfinden! Sei mutig und geh auf sie zu! Und selbst wenn sie jemand anderen mag, so ist das kein Grund, sich entmutigen zu lassen! Du bist noch so jung und alles steht dir offen! Du weißt mittlerweile, dass dich gerade negative Erfahrungen stärker machen können! Also scheue sie nicht! Du wirst daran wachsen!“ Yagi spannte den unverletzten Arm an und streckte ihn in die Höhe, ballte die Faust und lächelte ihn voller Zuversicht an – ehe sich die Form auch schon wieder auflöste. Schweigen herrschte im Raum, während er langsam die Hand sinken ließ und den Jungen musterte. Dieser starrte ihn immer noch an, doch dann fasste er sich allmählich. Hoffentlich waren seine Worte nicht zu verwirrend gewesen… „Du hast Recht.“ Er erwiderte nichts darauf, sondern sah zu, wie Midoriya mit einem schiefen Lächeln aufstand. Hatte ihm sein Auftritt tatsächlich ein wenig die Angst nehmen können? Yagi wünschte, bei ihm selbst würde das ebenfalls so leicht gehen. Wobei…nein…bestimmt reichten seine großspurigen Phrasen nicht aus, um ihm alle Sorgen zu nehmen. Es lag in der Natur der Menschen, zu hinterfragen und zu zweifeln. „Nur zu warten, wird mich nicht voranbringen. Das hat es nie…und vielleicht fällt es mir leichter, wenn ich daran zurückdenke. Also, was ich schon geschafft habe. Ich meine…mir wurde auch gesagt, ich könnte kein Held werden…bis ich dich getroffen habe, nicht wahr?“ Yagi konnte nicht anders, als mit Stolz erfüllt zu sein, und seine Miene hellte sich auf. Ja…der Junge hatte so vieles geschafft, obwohl keiner an ihn geglaubt hatte. Keiner außer ihm, weil er etwas in ihm gesehen hatte, das ihn an sich selbst erinnerte. Einen starken Willen, ein gutes Herz…warum nicht daran glauben, dass er auch diese Hürde nehmen konnte? „Das ist die richtige Einstellung, Shonen“, stimmte er ihm zu und drückte kurz seine Schulter. Der Junge rieb sich verlegen den Nacken, schaute wieder zu ihm auf. „Danke für den Rat, All Might…ich fühle mich jetzt wirklich viel besser“, meinte er ehrlich und Yagi musste schmunzeln. „Das freut mich.“ Vermutlich würde Midoriya trotzdem die Pumpe gehen, wenn er mit dem Mädchen sprach, in das er sich verguckt hatte. Er selbst musste ja nur an Aizawa denken, dass ihm angst und bange wurde. Dennoch, nun, wo er so eine große Klappe gehabt hatte, musste er ebenso danach handeln. Er musste ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, aber bloß da zu sitzen und sich weiter quälen, nein, das war der falsche Weg. „Die nächste Stunde fängt gleich an, ich sollte mich besser beeilen, bevor Aizawa-sensei wütend wird“, fiel es dem Jungen plötzlich ein und Yagi nickte zustimmend. „Ja, geh nur“, pflichtete er ihm bei und ließ ihn los. Einem wütenden Aizawa wollte er auch nicht gegenüberstehen. Keiner, der bei Verstand war, wollte dies. „Bis später dann, All Might! Und danke noch mal!“ Yagi nickte nur, sah ihm nach, ehe er hörbar seufzte und sich den Nacken rieb. Aktiv werden, schön und gut, doch wie genau er vorgehen wollte, wusste er nicht. Valentinstag, fiel es ihm wieder ein und als er so darüber nachdachte, kam ihm eine Idee, die er bislang nicht in Betracht gezogen hatte, obwohl sie naheliegend war. Es war so einfach und trotzdem nicht zu offensichtlich, sodass er sich überforderte. Wenn er sich auf diese Weise vorwagte, würde er einen kleinen Schritt in die richtige Richtung machen…trotzdem es ein bisschen sehr kitschig war. Aizawa hasste Kitsch zwar, doch es gab ein Detail in seiner Idee, bei dem er sicher war, dass es dem anderen gefallen würde. Seine Mundwinkel zuckten, als er sich auf den Weg zu seiner nächsten Klasse machte. „Es ist…Valentine’s Day, friends!!!“ Schon früh am Morgen, bevor die erste Stunde begann, krakeelte Present Mic durch das Büro, machte dabei eine überschwängliche Drehung. Die laute Stimme ließ ein paar von ihnen stöhnen, andere schauten neugierig zu ihm herüber. Mic hatte sich am Vortag offensichtlich nicht zu früh gefreut, denn tatsächlich lagen auf seinem Tisch ein paar Päckchen, die nicht nach Standardware aussahen. Auf Yagis eigenem Platz fand sich ebenfalls eine Schachtel und als Midnight ihm zuzwinkerte, schenkte er ihr ein dankendes Lächeln. Giri-Schokolade. Dieselbe, die sie anscheinend all ihren männlichen Kollegen geschenkt hatte, wenn er sich so umschaute. Er hatte nicht damit gerechnet, doch die Geste freute ihn. Aizawa konnte er nicht entdecken, doch es wunderte ihn nicht, schließlich kam es nicht selten vor, dass dieser in seinem Klassenzimmer schlief. Wahrscheinlich hatte er sich dort in seinem gelben Schlafsack eingerollt und würde sich erst in der Pause blicken lassen. Yagi kam das an diesem Tag mehr als gelegen. Er sollte Recht behalten, denn erst nach den ersten beiden Stunden entdeckte er seinen müde aussehenden Kollegen an dessen Platz. Den Schlafsack, der ihn jedes Mal an eine übergroße Raupe erinnerte, hatte er über seinen Stuhl gehängt. Yagi versuchte, ihn nicht zu sehr anzustarren, doch die steile Falte zwischen seinen Brauen entging ihm nicht. Aizawas Mimik war schwer zu deuten, da er grimmig wie eh und je wirkte. „Hey, hey!“, hörte er Midnight sagen, während er sich rasch setzte und den Blick auf seine Tastatur heftete. „Was seh ich da? Gleich zweimal Schokolade? Das ist neu.“ Auch Present Mic wurde daraufhin hellhörig und wuselte zu seinen beiden Freunden herüber, um sich selbst davon zu überzeugen. „Was höre ich daaaa?! Really, Eraseeeer?! Explain! Now, buddy!” „Ihr seid zu laut“, hörte er Aizawa murren. „Und ich hab keine Ahnung, von wem die ist.“ „Mach sie schon auf!“, beharrte Midnight aufgeregt. „Ich meine, die da ist in Smiley-Papier eingewickelt...das kennen wir ja schon, aber was ist mit der blauen?“ „Interessiert mich nicht.“ Autsch. Yagi senkte den Kopf noch etwas mehr über seinen Schreibtisch, bemüht, niemanden sehen zu lassen, dass ihm das Herz beinahe aus der Brust sprang. Natürlich hatte er in Erwägung gezogen, dass so etwas passieren konnte, aber…trotzdem… „Aizawa Shouta, du machst jetzt die verdammte Schokolade auf! Ich platze gleich vor Neugierde!“ Hatte Midnight gerade mit ihrer Peitsche geknallt? Oh Gott…was hatte er heraufbeschworen? Aizawa würde ihn allein wegen diesem Aufruhr umbringen, denn mittlerweile hörte sicher das ganze Büro zu. Irgendwie hatte er so etwas bei seiner Aktion nicht bedacht. „Sucht euch endlich ein Hobby, anstatt in anderer Leute Privatleben herumzuschnüffeln“, knurrte der Underground-Hero genervt. „Wir schnüffeln bloß in deinem, buddy!“ „Das nennt man Interesse an seinen Mitmenschen, also stell dich nicht so an und mach es auf!“ Vermutlich sandte Aizawa gerade Todesblicke in die Richtung seiner Freunde, aber das Rascheln von Papier bedeutete wohl, dass er aufgab. Eine Weile sprach keiner der drei und Yagi starb innerlich tausend Tode. Plötzlich fand er seine Idee über alle Maßen peinlich und er hoffte, dass niemand seinen roten Kopf bemerkte. „Sind das…“ „Yes!“ „Wow…da hat sich jemand Mühe gegeben.“ „Not perfect but…cute.“ „Immerhin kannst du anhand dessen sicher sein, dass sie selbstgemacht sind.“ „Indeed…ich meine, die Form ist wirklich etwas krüppelig…“ „Wie viele Leute wissen noch mal, dass du ein Kätzchen-Fan bist?“ „…“ Aizawas Schweigen fühlte sich wie Nadelstiche an und Yagi traute sich kaum zu atmen. Er würde hier noch draufgehen, wenn das so weiterging. Immerhin schien er sie nicht gleich wegzuschmeißen, sonst wären die Proteste der anderen beiden wohl schon laut geworden. „Da steht jedenfalls nichts…“, murmelte Midnight nachdenklich, schnipste im nächsten Moment aber mit den Fingern. „Kann es sein, dass sie von den Wild Wild Pussycats ist?“ „Yeah…das ist möglich. Ich meine, es ist Kitty-Chocolate…“ „…“ Aizawa sagte immer noch nichts dazu, was Yagis Stresslevel weiter ansteigen ließ. An die Wild Wild Pussycats hatte er natürlich auch nicht gedacht. Wenn Aizawa nun glaubte, sie käme von Mandalay oder Pixie-Bob…und als Midnight genau diese Möglichkeit erwähnte, nahm Yagi seine Unterlagen und verließ das Büro. Die nächste Stunde fing sowieso bald an…und er musste dringend hier weg. Ohne einen Blick auf die drei zu werfen, schloss er die Tür hinter sich, atmete so heftig aus, dass er den Blutgeschmack in seinem Mund wahrnahm. Er hatte es verbockt…und er konnte nur hoffen, dass es bei Midoriya besser gelaufen war als bei ihm. Was hatte er sich eigentlich davon versprochen? Irgendeine Art positive Reaktion vermutlich, die Aizawa angespornt hätte, mit ihm zu reden. Im Nachhinein war das nicht gut durchdacht gewesen…und wenn Aizawa jemals rausfand, dass die Schokolade in Katzenform von ihm war, würde er ihn vermutlich umbringen. Aizawa hasste jegliche Art von Aufmerksamkeit und nun wusste nahezu das komplette Kollegium von seinem besonderen Geschenk. Großartig… Der restliche Tag zog sich wie zäher Kaugummi hin und Yagi war froh, dass er Aizawa zwischen den Stunden kaum zu Gesicht bekam. Solange er nicht wusste, wie er das mit der Schokolade grade biegen sollte, wollte er diesem nicht gegenübertreten. Er befürchtete, dass er es nur noch schlimmer machen würde, was hauptsächlich seiner Nervosität geschuldet wäre. Die vielen, mit kleinen Paketen bewaffneten Teenager machten es nicht besser, auch wenn er sich natürlich freute, als er Midoriya mit einer kleinen, rosafarbenen Schachtel auf dem Gang erblickte. Seinem strahlenden Lächeln nach zu urteilen, hatte sich der Junge umsonst Sorgen gemacht. Yagi seufzte schwer, als er am späten Nachmittag seine Sachen zusammenpackte, um Feierabend zu machen. Zumindest das Wetter passte sich seiner deprimierten Stimmung an, denn es schüttete draußen wie aus Eimern, während der Himmel mit grauen Wolken bedeckt war. Nun gut, weit hatte er es ja nicht bis zur Lehrerunterkunft, von daher sollte er vielleicht einfach rennen. Andererseits würde er damit das Risiko eingehen, sich eine Erkältung einzufangen, was in seinem speziellen Fall gefährlich werden konnte. Zumindest wurde es allmählich ruhiger im Büro, die meisten Lehrkräfte hatten sich bereits verabschiedet, sodass er schließlich allein war. Außer dem Prasseln des Regens gegen die Fensterscheiben war es erstaunlich still und nach kurzem Zögern lugte er über seinen Bildschirm. Aizawas Platz war ihm gegenüber, doch die Schokolade konnte er nicht mehr auf dem Tisch entdecken – weder seine, noch die von Ms. Joke. Hm…ob er sie weggeschmissen hatte? Wie lange Yagi am Abend damit beschäftigt gewesen war…schließlich aß er selten Süßes, vertrug zu viel davon nicht gut. Außerdem war sein rechter Arm noch immer nicht wieder vollständig zu gebrauchen. Plötzlich knackte geräuschvoll das Türschloss, was ihn heftig zusammenzucken ließ. Er ließ sich sofort wieder auf seinen Stuhl fallen, kaum dass die Tür geöffnet wurde und Aizawa samt gelbem Schlafsack eintrat. Das musste ja passieren. Als er den Computer runterfuhr, wurde er sich erneut der schwitzigen Hände und dem Herzklopfen bewusst. Dass man das nicht abstellen konnte. „Oi.“ Yagi hätte um ein Haar einen Schwall Blut gegen seinen Desktop gespuckt, als Aizawa plötzlich neben ihm stand. Er schluckte die eisenhaltige Flüssigkeit in seinem Mund herunter, was ein Gefühl von Übelkeit in ihm hervorrief. Ausdruckslos wurde er gemustert und Yagi versuchte krampfhaft zu lächeln. „Hallo, Aizawa-kun“, erwiderte er bemüht freundlich. Vermutlich sah ihm der andere die Nervosität dennoch an, so scharfsinnig wie er für gewöhnlich war. Der Jüngere lehnte sich gegen seinen Schreibtisch, sah ihn immer noch so prüfend an, dass sich Yagi unweigerlich ertappt fühlte. Er konnte es nicht wissen, oder? Sollte er es ihm vielleicht sagen? Gerade waren sie allein und wenn er all seinen Mut zusammennahm… „Der Direktor meinte, ich soll dir die Unterlagen für das Provisional Hero License Exam vorbeibringen. Wir haben letztens darüber gesprochen.“ Yagi stockte in seinen wirren Gedanken und blickte verdutzt auf die Mappe, die ihm gereicht wurde. Stimmte ja, es war bald wieder soweit und diesmal würde die 1A teilnehmen. Dieses Examen war nicht gerade leicht, doch er glaubte an die Klasse. Sie würden es sicher schaffen, den Willen und die Fähigkeiten besaßen sie. Er nahm die Unterlagen entgegen, nickte dabei bedächtig. „Ja, ich erinnere mich. Danke, Aizawa-kun.“ „Hn“, brummte der andere. „Wir werden uns in der verbleibenden Zeit darauf konzentrieren, ihnen eine neue Spezialtechnik beizubringen. Durch das Sport-Festival wissen die anderen Schulen zu gut über uns Bescheid.“ „Das ist wohl ganz sinnvoll. Ich verstehe“, erwiderte Yagi nachdenklich. „Ich würde dir jedoch davon abraten, sie darauf zu stoßen.“ Fragend sah er den anderen an, neigte leicht den Kopf. „Was meinst du?“ „Ich meine, dass es sie verunsichern könnte, wenn sie sich diesen Nachteil bewusst machen. Es ändert nichts an der Situation und wir haben bereits eine Gegenmaßnahme ausgearbeitet. Wenn sie Helden werden wollen, werden sie immer wieder in Bedrängnis kommen. Entweder können sie damit umgehen oder nicht“, führte Aizawa es weiter aus und nun verstand Yagi. „Ich werde es für mich behalten, keine Sorge“, versprach er ernst, woraufhin Aizawa nickte. „Gut“, erwiderte dieser ruhig. „Und im Übrigen war die Schokolade gar nicht mal so schlecht.“ „Nicht? Na, da bin ich aber – Moment! Was?!“ In Sekundenschnelle kehrten alle Ängste zurück, die er bis eben komplett hatte ausblenden können. Sein Gesicht färbte sich knallrot, während er Aizawa anstarrte, der bei seiner Reaktion eine Braue hob. „Ich…ich meine…welche…welche Schokolade? Ich…weiß nicht, wovon-“ „Der Rückzieher kommt etwas zu spät.“ Yagi biss sich auf die Lippe, senkte den Blick auf die Mappe in seinen Händen, während er nach Worten suchte. Wenigstens wirkte Aizawa nicht wütend…und was hatte er noch gesagt? Sie war nicht schlecht? Also hatte er sie sogar gegessen… „Woher wusstest du…?“, murmelte er und sah flüchtig zu ihm auf. „Ich wusste es nicht“, erwiderte Aizawa und zuckte die Schultern. „Es war bloß naheliegend.“ „N-Naheliegend? Wieso…das?“, stammelte er und spürte seine Wangen brennen. „Hn…du bist nicht sonderlich subtil, wenn du nervös bist“, antwortete der Underground-Hero. „Mich wundert es, dass weder Mic, noch Midnight etwas ahnen.“ „Uhm…entschuldige, wenn ich dich in…eine unangenehme Situation gebracht habe. Das…das wollte ich gewiss nicht…“ „Unangenehm war es tatsächlich“, murrte Aizawa. „Die beiden werden mir noch wochenlang deswegen in den Ohren liegen...“ „Eh…ja…“ Yagi krampfte seine Finger um die Mappe, welche schon leicht zerknittert aussah. Obwohl Aizawa normal mit ihm sprach, konnte er nicht einschätzen, woran er bei ihm war. Freute er sich über die Schokolade? War er…glücklich darüber, dass sie von ihm kam? Enttäuscht, dass nicht beispielsweise Mandalay sie geschickt hatte? Er fühlte sich wie ein zappelnder Fisch am Haken. „Woher wusstest du das mit den Katzen?“ „Huh? Ach so…das…“ Er sah verwirrt auf, ehe er die Frage verstand und zu einer Antwort ansetzte. Ein wenig lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, rieb sich den Nacken. „Hin und wieder schaffen es doch einige der Katzen auf den Campus…und na ja…ich hab gesehen, wie du eine von ihnen gefüttert hast. Du hast dabei…gelächelt. Und…nun, du lächelst nicht gerade oft, also dachte ich…dass du Katzen wohl sehr gern haben musst. Und die Schokolade…es war halt eine Idee…“ Aizawa blickte ihn still an, milde Verwunderung in seinem sonst so stoischen Blick. Ein paar Sekunden schwiegen sie beide, wobei es Yagi schwer fiel, dem anderen nicht wieder auszuweichen. Dieser stieß ein tiefes Seufzen aus, fuhr sich kurz durch die zausen Haare. „Du hast dir wirklich viele Gedanken deswegen gemacht, was?“ Yagi presste die schmalen Lippen aufeinander, rang sich ein Nicken ab; er ahnte ja nicht, wie viele… „Das wäre nicht nötig gewesen“, brummte Aizawa, woraufhin der Blonde die Schultern hängen ließ. Meinte er damit, dass seine Mühe umsonst war? Er wollte fragen, aber die Aussicht auf eine negative Antwort hemmte ihm. Sollte Aizawa nicht dasselbe Interesse an ihm haben, konnte er da nichts machen… „Du hättest einfach was sagen können“, fuhr der andere fort. „Wir gehen seit Wochen abends was trinken...allein. Ich hätte dir nicht den Kopf abgerissen – selbst, wenn ich abgeneigt wäre.“ Yagi brauchte ein paar Sekunden, um den letzten Satz zu realisieren und er schaute mit geweiteten Augen zu ihm hoch. „…du…bist nicht abgeneigt?“, wiederholte er fast schon ungläubig. „Nein.“ „Oh…“ Mehr bekam er zunächst nicht raus, obwohl sein Herz fast aus seiner Brust springen zu schien und ihm die Mappe beinahe aus den Fingern rutschte. „Das…ich dachte nicht…dass…ich wusste nicht, dass…“ „Ja“, beendete Aizawa sein Gestammel, doch Yagi entging das amüsierte Zucken um seine Mundwinkel nicht. „Das war offensichtlich.“ Verlegen und vermutlich mit tomatenrotem Kopf erwiderte der Blonde den Blick, auch wenn er nicht wusste, was er genau sagen sollte. Es war schwer, die richtigen Worte zu finden…auch wenn er bei seinen Phrasen selten ein Problem damit gehabt hatte. Das hier war etwas ganz anderes…jedoch kam er gar nicht mehr dazu, sich zu äußern, denn Aizawa löste sich von seinem Tisch, an dem er bis eben gelehnt hatte. „Wo wir das geklärt hätten, sollten wir hier verschwinden, bevor uns noch jemand einschließt.“ Yagi blickte perplex seinen Rücken an, rührte sich zuerst nicht, ehe er die Mappe in seine Tasche packte und sich erhob. Verunsichert sah er dabei zu, wie Aizawa sich seinen Schlafsack unter den Arm klemmte und sich zum Gehen wandte. Irgendwie fühlte er sich etwas…belämmert, wie er dort stand; er hatte sich Aizawas Worte doch nicht eingebildet, oder? Als hätte der Underground-Hero seine Gedanken gehört, blieb dieser plötzlich stehen. „Ah…“, kam es von ihm und im nächsten Moment spürte Yagi, wie ihn die verstärkten Bandagen umwickelten. Ein kräftiger Ruck und er wurde durch den Raum gezogen, befand sich innerhalb von Sekunden direkt vor dem anderen Pro-Hero, der sich zu ihm herumgedreht hatte. Das erschrockene Keuchen blieb ihm im Halse stecken, als Aizawa ihn an seinem Kinn packte und zu sich herunterzog. Im nächsten Moment schien sein Herz zu explodieren und er war heilfroh, dass er dennoch kein Blut spuckte. Er war fast dankbar, dass ihn Aizawas Capture Weapon gerade stehen ließ – seine Knie fühlten sich wie Butter an. Mit aufgerissenen, blauen Augen starrte er Aizawa an, der seinen Blick ruhig erwiderte, während er ihm die Lippen aufdrückte. Sie waren rau, ein bisschen spröde und dennoch angenehm. Mehr als angenehm…und…bildete sich Yagi das ein oder konnte er noch etwas von der Schokolade schmecken? Die dunklen, zausen Haare kitzelten seine Nase, er spürte die Bartstoppeln des anderen an seiner Haut…und ja, es war ein unvergleichlich schönes Gefühl. Eines, das ihn leise gegen Aizawas Lippen seufzen und die Lider senken ließ. Als ihn der andere losließ und sich von ihm löste, zogen sich auch die Bandagen zurück, wickelten sich wieder wie ein Schal um seinen Hals. Yagi taumelte, fühlte sich benommen, als hätte er gerade Alkohol getrunken. „Das hatte ich vergessen“, riss ihn Aizawas monotone Stimme aus seinem Zustand, ließ ihn blinzeln. „Uhm…“ Er sah dem anderen dabei zu, wie dieser sich den gelben Schlafsack über die Schulter hängte, und ihn auffordernd anblickte. Ach ja…sie hatten gehen wollen. Einschluss und so…ob sein Kopf wohl so rot glühte, wie es sich anfühlte? Vermutlich, denn er bemerkte bei dem anderen wieder dieses Zucken um die Mundwinkel. „Ich-“, begann er, wurde aber von der Tür unterbrochen, die in diesem Moment aufschwang. „Nanu? Ich dachte, es seien schon alle weg? Das trifft sich ja dann sehr gut!“, plapperte der Direktor los, wobei sein weißer Mäuseschwanz hin und her wippte. All Might schmeckte schon wieder Blut in seinem Mund, starrte Nezu entgeistert an. Dieser ahnte ja nicht mal, wobei er sie beide um ein Haar erwischt hätte...auch wenn man zumindest Aizawa rein gar nichts ansah. Dieser blickte mit müdem Blick zum Direktor, der schnurstracks auf Yagi zukam und ihn vollschwatzte. „Ich wollte mit dir noch über das Examen sprechen, All Might. Es wird auch nicht lange dauern, komm, setz dich…oh, ist dir übrigens aufgefallen, wie mein Fell glänzt? Ich habe da dieses neue Shampoo…“ Aizawa hob eine Braue, ehe er einmal mit der Hand wedelte, damit signalisierte, dass er verschwinden würde. Nun, wenn Yagi ehrlich war, wäre auch er liebend gern gegangen…wie sollte er denn jetzt über das Examen nachdenken? In seinem Kopf spielte sich immer noch der unerwartete Kuss ab, sodass er Aizawa verträumt hinterher sah, bis sich die Tür schloss und er mit Nezu allein war. Der Mäuserich redete weiter über sein glänzendes Fell, bemerkte anscheinend nicht mal, dass Yagi mit den Gedanken ganz woanders war. Gott…was für ein Tag. Irgendwie fühlte er sich nach wie vor überfordert. Überfordert und…glücklich? Vielleicht…und das war ein wirklich gutes Gefühl, an das er sich gewöhnen könnte. Scheinbar war seine Idee mit der Schokolade doch nicht so übel gewesen, schließlich hatte Aizawa sie gegessen. Er hatte sich gefreut, nicht wahr? Trotz der ungewollten Aufmerksamkeit seiner Freunde…und er hatte ihn sogar geküsst. Yagi lächelte in sich hinein, während er dem Vortrag über seidiges Fell nur mit halbem Ohr zuhörte. Definitiv eine erfolgreiche Mission… …und als er einen Monat später eine kleine, in Zeitungspapier eingewickelte Schachtel mit weißer Schokolade auf seinem Tisch vorfand, konnte er nicht anders, als breit zu grinsen. So viel dazu, es wäre nicht nötig gewesen. Kapitel 3: Progress ------------------- „Oh mein Gott, ich bin soooo aufgeregt!!“ „Dass wir so einen Ausflug machen, kommt wirklich unerwartet.“ „Ich will unbedingt auf die Achterbahnen!!“ „Sicher, dass du nicht Schiss bekommst, wenn du erstmal oben bist, Kaminari?“ „Ich kriege keinen Schiss!! Erzähl keinen Mist, Jiro!“ „Mich würde interessieren, ob es auch Wasserbahnen gibt, kero…“ „Bestimmt, Tsuyu-chan!“ „Das wird bestimmt total cool! Was meinst du, Bakugou?“ „Nerv mich nicht mit so’ ner Kinderkacke, Baka!“ „Überraschend kommt es aber wirklich, immerhin steht das Examen ja bald an. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass wir davor sozusagen frei bekommen…es sei denn, es ist ein Test…es könnte sein, dass unsere Fähigkeiten selbst an so einem Ort geprüft werden und…“ „Uhm, Deku-kun?“ „Oh, entschuldige, Uraraka-san!! Ich habe nur laut gedacht…“ „Ich stimme Midoriya-kun zu! Niemals sollte man die Lehrer der renommierten U.A. unterschätzen!!“ „Waaas?! Schon wieder Tests?! Och nö…“ Yagi musste unweigerlich lächeln, während er dem munteren Geplauder der Kinder, die hinter ihnen im Bus saßen, lauschte. Gut, überhören konnte man sie bei der Lautstärke auch schlecht und er musste eigentlich nicht mal zu dem Mann neben sich schauen, um zu wissen, dass dessen Miene immer finsterer wurde. Spätestens seit Ashido Minas demotivierter Aussage bezüglich weiterer Tests und er war sicher, dass Aizawa sie das noch bereuen lassen würde. Das arme Mädchen… Sein Sitznachbar hatte die Arme vor der Brust verschränkt, blickte aus dem Fenster, wo die Straße an ihnen vorbeizog. Mit dem Wetter hatten sie wirklich Glück, denn keine einzige dunkle Wolke war zu sehen, bloß blauer Himmel und Sonnenschein. Das perfekte Wetter für einen solchen Ausflug. „Uhm…sie sind sehr lebhaft, nicht wahr?“, meinte er schließlich an Aizawa gewandt, welcher schnaubte. „Wenn einige von ihnen diesen Elan bei den Prüfungen zeigen würden…“, brummte der Underground-Hero zurück. Yagis Lächeln wankte etwas und er kratzte sich an der Wange. „Nun, mag sein…dennoch kann man es ihnen nicht verübeln, denke ich. Es ist viel passiert in den letzten Monaten und sie trainieren täglich für das Examen“, erwiderte er langsam. „Es schadet ihnen bestimmt nicht, sich einen Tag wie normale Teenager zu fühlen.“ Anscheinend stieß er bei dem anderen damit nicht unbedingt auf Zustimmung, denn dieser verengte die Augen etwas. „Du bist zu verständnisvoll“, kam es zurück, während sich der Jüngere mehr in seinem Sitz zurücklehnte. Er wirkte wie immer müde, das Gesicht verschwand bis zur Nase in den Bandagen, die er um seinen Hals gewickelt trug. Im Gegensatz zu Yagi musste er sich keine Gedanken um seine Tarnung machen, denn Eraserhead war den Medien gänzlich unbekannt und somit auch der Bevölkerung. Er selbst dagegen war mittlerweile nicht mal mehr in seiner ausgezehrten Gestalt sicher, was manchmal doch ein wenig anstrengend war. „Ach was…ich finde bloß, dass sie sich eine kleine Auszeit verdient haben. Das Training läuft doch wirklich gut, hm?“ „Mit guten Ergebnissen brauchen sie gar nicht teilnehmen“, murmelte Aizawa in seine Capture Weapon. „Die Shiketsu wird da sein…die Ketsubutsu ebenfalls. Das wird nicht einfach.“ Yagi war froh, dass die Klasse viel zu beschäftigt damit war, sich über den Ausflug zu unterhalten, anstatt ihnen zuzuhören, doch Aizawa musste dies genauso bewusst sein. Unrecht hatte er natürlich nicht, doch Yagi wusste, dass er sich nicht auf Nezus Vorschlag eingelassen hätte, wenn er ernsthaft daran zweifeln würde, dass sie es schaffen konnten. Niemand kannte die Klasse 1-A besser als deren Hauslehrer. Aizawas Strenge war seine Art, zu zeigen, wie sehr sie ihm am Herzen lagen. „Du hast ja Recht“, gab er leise zu, warf ihm einen Seitenblick zu. „Dennoch…ein Tag wird uns nicht allzu weit zurückwerfen, hm? Vielleicht wird es ja sogar ganz nett?“ Das darauffolgende Schnauben machte deutlich, dass Aizawa zwar nichts davon hielt, sich aber fügen würde. Schließlich waren sie dabei, um auf die Kinder zu achten. Obwohl der Ausflug äußerst spontan geplant worden war, hieß das nicht, dass sie sicher waren. Die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs, der der Klasse galt, war gering, aber nicht unmöglich. Davon abgesehen konnten sie die angehenden Helden nicht komplett von der Außenwelt abschirmen, zumal ihr Zielort ausreichend gesichert sein sollte. Yagis Blick verweilte einen Moment länger auf seinem Kollegen, den er seit ein paar Wochen nicht nur in der Schule, sondern auch privat traf. Nicht sehr häufig, da Aizawa die meiste Zeit über einen 24-Stunden-Job ausübte und sogar Schlaf und Nahrung hinten anstellte, doch…sie sahen einander. Selbst jetzt schien der andere die Dauer der Fahrt dafür nutzen zu wollen, eine Weile zu dösen, denn er hielt die Lider mittlerweile geschlossen, lehnte mit dem Kopf gegen die Scheibe. Das Ruckeln des Busses schien ihn dabei nicht zu stören und Yagi kam der Gedanke, dass der Jüngere ungewohnt entspannt aussah, wenn er schlief. Irgendwie…friedlich. Bei dem Gedanken spürte er sofort wieder die Wärme in seinen Wangen und rasch wandte er sich ab, ehe Aizawa noch merkte, wie er ihn anstarrte. Ihr Verhältnis war ohnehin reichlich seltsam, war es schon vor dem Kuss gewesen, an den Yagi immer noch gern zurückdachte. Seitdem hatten sie wenig Zeit füreinander gehabt, so dass es bei flüchtigen Gesprächen und unauffälligen Gesten geblieben war. Das Examen forderte nicht nur die Schüler, sondern ebenso die Lehrkräfte und somit hatten sie ihre eigenen Bedürfnisse hinten angestellt. Zumindest hatte Yagi das. Es war nicht so, dass sie über derlei Dinge redeten. Generell hatte Yagi bisher kaum etwas dazu gesagt…zu dem Kuss…oder seinen Gefühlen. Inzwischen brannte es ihm regelrecht auf der Seele, doch der richtige Moment schien sich immer weiter zu entfernen. Etwa eine halbe Stunde später kamen sie endlich an ihrem Ziel an und trotz Iidas Bemühungen, seine Funktion als Klassensprecher zu erfüllen, konnte er die anderen nicht davon abhalten, aus dem Bus zu stürmen. Neben sich hörte er Aizawa fluchen, während er selbst nur schief lächelte, sich jeden weiteren Spruch über lebhafte Jugend sparend. Die Kinder hatten sich inzwischen vor dem Eingang versammelt und plapperten wild durcheinander, bis Iida sie zur Ruhe mahnte. Vor ihnen ragten bereits die ersten Fahrgeschäfte auf, was die Aufregung der Klasse natürlich noch steigerte. Yagi selbst konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal in einem Vergnügungspark gewesen war. „Ruhe jetzt und zuhören.“ Aizawas ernste Stimme neben ihm riss ihn aus seinen Gedanken und er blickte zu den Schülern, die erwartungsvoll vor ihnen standen. „Der Direktor hielt es, wie ihr wisst, für eine gute Idee, euch einen Tag Freizeit zu gewähren.“ Einige von ihnen jubelten, darunter Ashido, Hagakure und Kaminari…sie verstummten bei Aizawas finsterem Blick aber direkt wieder. „Ihr unterschätzt besser nicht das Vertrauen, das wir hierbei in euch setzen. Ihr werdet mindestens zu zweit unterwegs sein, keinen Unsinn anstellen und falls irgendjemand etwas Verdächtiges bemerkt, werdet ihr euch unverzüglich an die Sicherheitskräfte, All Might oder mich wenden. Wer gegen irgendetwas davon verstößt, wird die Konsequenzen tragen.“ Aizawa pausierte kurz, um die Worte wirken zu lassen. Nun, darum musste er sich keine Sorgen machen, wenn sich Yagi die verkniffenen Mienen der Schüler ansah – Bakugou ausgeschlossen, denn der wirkte mehr trotzig. „Ihr habt bis 19 Uhr Zeit, den Park zu nutzen, danach versammeln wir uns am Ausgang, bis alle da sind – wer unpünktlich ist, wird das restliche Jahr nachsitzen. Verstanden?“ „Ja, Aizawa-sensei!“, schallte es ihnen mehrstimmig entgegen. „Gut, dann teilt Iida jetzt die Tickets aus.“ Kaum hatte er dies gesagt, wurden die Jubelrufe wieder laut und sie stürmten auf ihren Klassensprecher zu, der Mühe hatte, nicht umgerannt zu werden. Yagi neigte den Kopf, beobachtete das Geschehen mit teils mitleidigem, teils amüsiertem Blick; Teenager waren wirklich um ihre Energie zu beneiden. Der Ausflug passte vielleicht nicht ins vorgesehene Trainingsprogramm, doch es würde zweifellos ihren Zusammenhalt stärken…und ihnen etwas von der Nervosität wegen des Examens nehmen. Als alle ihre Tickets hatten, jedoch sicherheitshalber einen Blick zu ihnen warfen, konnte Yagi nicht widerstehen. Ein „Poof“ ertönte und im nächsten Moment stand er in seiner muskelbepackten Gestalt vor ihnen, wobei er froh war, dass er aus Gewohnheit immer noch Kleidung trug, die etwas weiter war. Breit grinsend, wie zu seinen besten Zeiten, blickte er in die Runde, wo ihn die Kinder gespannt ansahen, und reckte die Faust in die Höhe. „Also dann…Shonen, Shoujo, hört darauf, was Aizawa-sensei gesagt hat, und zieht los, um Spaß zu haben! Denkt immer dran, man ist nur einmal jung…hahaha!“ Das reichte anscheinend als Startzeichen, denn einige der Kinder reckten ebenfalls die Fäuste in die Höhe, jubelten, ehe sie gemeinsam auf den Eingang zustürmten. Erneut ertönte ein „Poof“ und schon fand sich Yagi in seiner normalen Gestalt wieder, warf Aizawa einen vorsichtigen Blick zu. Dessen rechte Augenbraue zuckte gefährlich, während er ihn anfunkelte, offensichtlich nicht sehr angetan von seinem Auftritt war. „Wolltest du dich nicht unauffällig verhalten?“, knurrte dieser ungehalten. Ein paar Meter weiter machten zwei junge Frauen ein Foto von ihm, ehe sie aufgeregt herumquietschten. Okay…daran hätte er denken sollen, bevor er so fahrlässig gehandelt hatte. Wenn die falschen Leute mitbekamen, dass er hier war, konnte das nicht nur für ihn gefährlich werden. Sie hatten zwar kein großes Geheimnis aus All Mights Anwesenheit machen wollen, doch die Sonnenbrille und das Käppi hatte er aus gutem Grund mitgenommen. Manchmal fiel es ihm zu schwer, sein altes Selbst vollkommen hinter sich zu lassen…viel zu lange war er All Might gewesen. Er machte sich allerdings keine Illusionen, dass dieses Argument den Zorn des anderen besänftigen könnte, sodass er es gar nicht erst versuchte. „Entschuldige, Aizawa-kun…das war…dumm von mir“, murmelte er stattdessen schuldbewusst, woraufhin Aizawa schnaubte. „Ja. War es. Reiß dich gefälligst zusammen, wenn du nicht dafür verantwortlich sein willst, dass dieser Ausflug schon jetzt endet!“ Das war deutlich. Yagi schluckte hart, während er versuchte, das unangenehme Brennen in seinen Wangen niederzukämpfen. Er schämte sich für seine unbedachte Handlung, wünschte, er könnte sie rückgängig machen. Da ihm dies jedoch nicht möglich war, setzte er schweigend Käppi und Sonnenbrille auf, um die Situation nicht noch zu verschlimmern. Geknickt beobachtete er, wie Aizawa Richtung Kasse stapfte, gar nicht erst auf ihn wartete. Eigentlich hatte sich Yagi heute einen günstigen Zeitpunkt für ein Gespräch erhofft, aber so wie die Situation war…konnte er froh sein, wenn der Underground-Hero heute überhaupt noch mal mit ihm redete. Ein tiefes Seufzen entwich ihm, ehe er seine Eintrittskarte hervorholte und ihm folgte. Yagis Hoffnung, er könnte seinen Fehler mit einem Kaffee wiedergutmachen, schwand, als er mit einem Becher des braunen Getränks, sowie einer Flasche Wasser zurückkam und geradewegs in Aizawas düstere Miene schaute – nicht, dass der andere sonst eine Frohnatur war. Abermals seufzte Yagi, ehe er sich neben seinen Kollegen auf die Bank setzte und diesem mit einem schiefen Lächeln den Becher hinhielt. Ein paar Sekunden lang passierte nichts, dann schnappte ihm Aizawa den Kaffee aus der Hand und nippte kommentarlos daran. Wenn möglich wurde die Stimmung zwischen ihnen noch unangenehmer und er konnte nicht mal behaupten, dass Aizawa übertrieb. Trotzdem er es versehentlich getan hatte, konnte sein unbedachtes Verhalten die Schüler in Gefahr bringen. Yagi wusste, wie viel ihm die Klasse bedeutete, und bei ihm selbst verhielt sich das nicht anders, sodass er es nachvollziehen konnte. Hier zu sein, barg schon genügend Risiken, auch ohne, dass sich All Might präsentierte. Yagi trank einen Schluck von seinem Wasser, räusperte sich schließlich. „Ich verstehe, dass du wütend bist“, begann er vorsichtig. „Aber ich schwöre dir, dass es keine Absicht war…ich…manchmal ist es wie ein Reflex. Es…ist, wer ich war und-“ „Es ist nicht nötig, dass du dich rechtfertigst“, unterbrach Aizawa ihn ruppig. „Ich weiß, dass es keine Absicht war und dass es dir schwerfällt, diese Seite von dir zu unterdrücken.“ Yagi presste die Lippen zusammen; was gab es da schon hinzuzufügen? „Das ändert aber nichts daran, dass es idiotisch war“, fuhr er ungnädig fort. „Du hast mir ein Versprechen gegeben, All Might. Halte es gefälligst, wenn du schon große Reden schwingen musst.“ Für einen Moment musste er darüber nachdenken, was Aizawa meinte, doch dann fiel es ihm wieder ein. Am Strand…sein Versprechen, ein Lehrer zu werden, auf den er stolz sein konnte. In der Tat…sein Verhalten von vorhin hatte damit nichts zu tun. Yagi schluckte eine erneute Entschuldigung gerade noch herunter, denn er wusste, dass Aizawa dies nicht hören wollte. Andererseits fiel ihm nichts ein, was den anderen hätte besänftigen können. Ein weiteres Versprechen wollte er ebenfalls nicht geben…sodass er bloß betreten auf seine Flasche sah. Zumindest bis Aizawa neben ihm ein tiefes Seufzen ausstieß. „…danke für den Kaffee“, brummte er und nahm noch einen Schluck. Yagi hielt inne, sah über den Rand seiner Sonnenbrille verstohlen zu ihm, doch da es Aizawas Art war, grimmig drein zu schauen, konnte er nicht beurteilen, ob dies ein Friedensangebot war. Er fand es generell schwer, in dem anderen zu lesen. „Gern geschehen“, murmelte er zurück und hob die Flasche an die Lippen. Sein Blick schweifte für einige Sekunden zu den Leuten, die an ihnen vorbeigingen. Paare, Familien, Freunde…verschiedene Altersklassen…und Yagi wurde wieder bewusst, dass er sich nie Zeit für irgendetwas davon genommen hatte. Tsukauchi und Gran Torino konnte er zu seinen engsten, noch lebenden Freunden zählen, doch auch sie hatte er eher selten getroffen und so gut wie nie, um etwas zu unternehmen. Seitdem er zu All Might, dem Symbol des Friedens geworden war, hatte sein Privatleben aufgehört zu existieren...doch was war ihm nun geblieben? Etwas in ihm verkrampfte sich bei diesem Gedanken und obwohl er nie ein neidischer Mensch gewesen war, konnte er gerade nicht anders, als dem turtelnden, jungen Paar, das an ihnen vorbeiging, mit genau diesem Gefühl hinterherzusehen. Wie ungezwungen sie miteinander umgingen, Händchen hielten, das Mädchen kicherte leise...während Yagi selbst sich gerade kaum traute, Aizawa anzusehen, trotzdem er bestimmt dreimal so alt war. „…sollen wir als nächstes den Looping ausprobieren?“ „Und danach den Twister!“ „Das wird so krass, ey!“ „Ich hab vorhin schon gedacht, ich sterbe…“ Auch das gehörte zu den Dingen, die er in seiner Verfassung lieber nicht ausprobieren sollte, wenn er nicht wieder bei Recovery Girl landen wollte. Zu viel Stress, Adrenalin…nun, da der letzte Funken von One for All in ihm verloschen war, war sein Körper noch instabiler als zuvor. Wenn er Midoriya und den anderen Kindern als Mentor weiterhin zur Seite stehen wollte, musste er vorsichtiger sein als bisher. Er bemerkte kaum, wie sehr er sich anspannte, wie fest sich seine Finger um die Flasche krampften, bei all diesen zermürbenden Gedanken. Da hatte er zum ersten Mal seit Jahren wieder ein Leben für sich und dennoch konnte er es nicht genießen. Zweifellos lag das auch an ihm selbst…er machte sich zu viele Sorgen, durchdachte jede Banalität…und vielleicht… Yagi stockte merklich, als sich plötzlich raue, warme Finger um seine Hand, die sich an die Bank klammerte, schlossen, diese leicht drückten. Seine Gesichtsfarbe verdunkelte sich direkt um einige Nuancen, sein Herz klopfte schneller und er warf einen Blick seitwärts. Aizawa sah ihn nicht an, nippte soeben wieder an seinem Kaffee, während er die Leute mit monotoner Miene zu beobachten schien. Yagi senkte seinen Blick auf die von vielen kleinen Narben gezierte Hand, die auf seiner viel größeren lag. Er schluckte hart, als ihn erneut diese Nervosität überkam, doch er bemühte sich, ruhig zu bleiben, traute sich schließlich sogar, ihre Finger miteinander zu verschränken. Was, wenn sie jemand dabei sah? Zwei erwachsene Männer, die Händchen hielten…das konnte man nicht missverstehen, oder? Einige Leute schauten bereits zu ihnen, wenn auch nur kurz. Die Schüler liefen hier herum, fiel es ihm siedend heiß ein…sie waren beruflich unterwegs, durften nicht…andererseits fühlte es sich so gut an, Aizawas Hand zu berühren, dass seine Befürchtungen in den Hintergrund traten. Der Underground-Hero erwiderte den Druck seiner Finger, was ein angenehmes Kribbeln durch Yagis Körper sandte. „Hör auf damit.“ Irritiert blinzelte er, warf dem anderen einen Seitenblick zu. Was meinte dieser? „Uhm…?“ „Deine Nervosität“, brummte Aizawa, ohne ihn anzusehen. „Hör auf, dir jedes Mal so einen Kopf über alles zu machen.“ „Oh…ich dachte nur, wegen der Kinder…“, stammelte er, woraufhin der andere schnaubte. „Bis jetzt sehe ich keinen von ihnen und selbst wenn…sie werden es überleben.“ „…meinst du?“, entgegnete Yagi, musste aber lächeln. Anscheinend machte sich Aizawa weitaus weniger Sorgen darüber, dass sie irgendjemand sehen und die richtigen Schlüsse ziehen könnte als er selbst. Nun, bei so vielen intelligenten Schülern war das tatsächlich naheliegend, aber…wenn Aizawa kein Problem damit hatte, sollte er auch keines damit haben, nicht wahr? Vielleicht überdramatisierte er diese derartig simple Geste… „Aizawa-sensei!!“ „All Might-sensei!!“ Wie von der Tarantel gestochen, zog Yagi seine Hand weg, kaum dass die aufgeregten Stimmen der Kinder ertönten. Wenigstens spuckte er nicht schon wieder Blut, auch wenn er den eisenhaltigen Geschmack in seinem Hals wahrnahm. Er spülte ihn mit einem Schluck Wasser herunter, ehe er hastig den Finger an die Lippen legte, um den Mädchen zu signalisieren, dass diese seinen Namen nicht so herumbrüllen sollten. Allerdings schienen die Schülerinnen seine Geste in ihrer Aufregung gar nicht zu bemerken… „Dieser Park ist einfach der Wahnsinn!“, sprudelte es aus Ashido heraus. „Wir waren auf dieser Achterbahn aus Holz und es war einfach sooooo cool!“ „Es ging rauf und runter und wooooooosh!“, stimmte Hagakure ihr zu. Die Armbänder, die das unsichtbare Mädchen trug, bewegten sich klimpernd, unterstrichen ihre Begeisterung. „Für einen Moment ist mir ganz schlecht geworden“, nuschelte Yaoyorozu leiser. „Das war…unerwartet hoch, aber dann hat es doch Spaß gemacht.“ „Stimmt, mir war auch erst flau im Magen, aber wenn man sich erstmal überwindet…“, fügte Jiro hinzu, ehe sie sich an die beiden Lehrer wandte. „Wir wollen jetzt zur nächsten Achterbahn – kommen Sie doch mit?“ „Au ja!“, kam es von Ashido und sie klatschte einmal in die rosafarbenen Hände. „Das wird bestimmt super! Da ist so eine, in der hängt man teilweise kopfüber, weil sie voller Loopings ist!“ Yagi wurde schon vom Zuhören schwindelig und er stellte fest, dass er wohl wirklich alt geworden war. Als Held von Dach zu Dach zu springen und sich in Kämpfe zu stürzen, erschien ihm um einiges angenehmer, als ohne Kontrolle in einem Fahrgestell herumgewirbelt zu werden. Zu seinem Glück schien Aizawa das ähnlich zu sehen, denn seine Miene blieb unbeeindruckt. „Ah…“, machte er nur, während ihn mindestens drei von vier Schülerinnen erwartungsvoll anblickten. „Ich habe kein Interesse an solchen Dingen…also nein, danke.“ Yagi lächelte schief, als sich die Blickte nun auf ihn richteten und er kratzte sich an der Wange. „Dem schließe ich mich an. Tut mir leid, shoujo…aber ich wünsche euch natürlich ganz viel Spaß!“, fügte er noch an und reckte kurz die Faust. „Oh, wie schade…“, kam es von Yaoyorozu, woraufhin Ashido heftig nickte. „Ja, aber echt!“ „Dann lasst uns aber die anderen suchen…ich will unbedingt Kaminaris bleiches Gesicht sehen, wenn er die Loopings sieht!“, meinte Jiro mit einem verschlagenen Ausdruck. „Okay! Zusammen ist es sowieso viel lustiger!“ „Auf geht’s!“ „Bis später!“ „Erholen Sie sich gut!“ Yagi sah den wild durcheinander schnatternden Mädchen perplex hinterher, als diese auch schon weiter rauschten. Dann musste er schmunzeln, warf einen Blick zu Aizawa, der sich wieder auf seinen Kaffee fokussiert hatte. „Hattest du früher Interesse daran?“, fragte er aus einem plötzlichen Impuls heraus, woraufhin der andere innehielt. „Hm?“ „Ich meine Freizeitaktivitäten wie diese…Parks, Freunde treffen und…sowas.“ Mit sowas meinte er eigentlich Verabredungen…Dates, aber so direkt danach zu fragen, erschien ihm unpassend. Eigentlich ging ihn das überhaupt nichts an. Aizawa schaute nachdenklich vor sich hin, ehe er zu einer Antwort ansetzte. „Interesse…nein. Nicht wirklich“, brummte er schließlich. „Aber na ja…Mic und Midnight waren schon früher regelrechte Plagen. Wir waren in derselben Klasse…und ich konnte ihnen nicht immer entwischen.“ Yagi versuchte sich eine jüngere Version von Aizawa vorzustellen, doch so recht gelingen wollte es ihm nicht. Dafür konnte er sich sehr gut vorstellen, wie ihn seine beiden Freunde belagerten, mit ihnen etwas zu unternehmen…das taten sie auch heute noch. Es war gut, solche Freunde zu haben, die einen ab und zu aus dem anstrengenden Heldenalltag rissen…und im Nachhinein hätte er Tsukauchi vielleicht öfter zusagen sollen. Sein Freund war eher von der höflichen, unaufdringlichen Sorte und hätte ihn nie trotz Proteste irgendwohin geschliffen…etwas, das Yagi durchaus an ihm schätzte, ebenso hatte er aber leicht ablehnen können. „Du scheinst ihnen sehr wichtig zu sein“, erwiderte er mit einem warmen Lächeln. Aizawa schnaubte leise, warf den Kaffeebecher in den Mülleimer neben der Bank. „Vermutlich…sie übertreiben es nur gern.“ Trotzdem er das so vor sich hin grummelte, glaubte Yagi nicht, dass Aizawa seine Freunde nicht zu schätzen wusste. Das war halt seine Art und wenn er bedachte, dass sich der andere zwischendurch recht schnell zu einem Trinkgelage oder Karaoke-Abend überreden ließ, empfand er es bestimmt nicht als so nervig, wie er allen Glauben machen wollte. „So“, hörte er ihn sagen und hob fragend den Blick, als Aizawa aufstand. „Lass uns gehen.“ „Eh…“, machte er verwirrt und neigte den Kopf. „Wohin?“ „…der Park ist groß. Irgendwas Annehmbares wird sich finden.“ Die Aussage klang dermaßen demotiviert, dass Yagi rege Zweifel daran hegte, was jedoch nicht bedeutete, dass es ihn nicht freute. Im Gegenteil, die Aussicht, den Park mit Aizawa zu erkunden, jagte wieder dieses Kribbeln durch seinen Körper. Außerdem konnten sie so gleichzeitig nach den Kindern sehen und erfüllten somit ihre Pflicht…auch wenn er auf ein paar ruhige Minuten zu zweit hoffte. Irgendwo, wo nicht so viel los war wie hier…trotzdem das bestimmt nicht einfach werden würde. „…und du hältst das für eine gute Idee, ja?“ Die skeptisch gesprochene Frage ließ sein Lächeln etwas ins Wanken geraten, doch er zuckte nur mit den Schultern. „Ehrlich gesagt…keine Ahnung“, gab er zu. „Aber es sieht nach einer annehmbaren Alternative aus, verglichen mit den anderen Fahrgeschäften. Etwas Wasser wird uns nicht umbringen, nicht wahr?“ Aizawas Blick blieb abschätzend, was aber wohl eher daran lag, dass er den ganzen Park überflüssig fand. Zugegeben, Adrenalinschübe hatten sie in ihrem Job ausreichend, weshalb auch Yagi keine große Lust verspürte, sich irgendwo festschnallen und durch die Gegend wirbeln zu lassen. Ruhig und langweilig war gerade vollkommen in Ordnung für ihn. „Wahrscheinlich nicht“, brummte Aizawa bloß und stellte sich in die Schlange, die relativ kurz war. Yagi musste schmunzeln, begab sich dann neben ihn und ließ den Blick abermals über den Teil des Flusses wandern, den sie vom Steg aus, auf dem sie standen, sehen konnten. Die kleinen, kanuartigen Boote wurden von dem künstlich erzeugten Strom stetig vorangetrieben, bis sie in einer Höhle verschwanden. Was dahinterlag, würden sie wohl bald erfahren und zumindest er selbst war doch etwas gespannt darauf. Vor ihnen ermahnte eine Frau ihren hibbeligen Sohn, vom Rand des Stegs wegzubleiben, woraufhin dieser eine Schnute zog. Zwei junge Mädchen plauderten über verschiedene Themen, während sie warteten, und ein paar jüngere Kinder wollten wissen, wie lange es noch dauerte, bis sie dran waren. Yagi fiel einmal mehr auf, wie ausgelassen die Stimmung im Park war, und er schaute aus den Augenwinkeln zu Aizawa, der still vor sich hin blickte. Der Underground-Hero wirkte nicht so müde wie sonst, vielleicht weil er im Bus ein wenig gedöst hatte…oder der Kaffee hatte gewirkt. Seine schwarzen, zausen Haare fielen ihm ins blasse Gesicht, welches die Bartstoppeln älter wirken ließen. Er hatte Aizawa nur einmal komplett rasiert gesehen, nach dem Vorfall im Camp, da er sich den Medien hatte präsentieren müssen. Man konnte nicht bestreiten, dass er attraktiv war. Sehr attraktiv, auch wenn er es gut verbarg. Aizawa machte keinen Hehl daraus, dass ihm sein Äußeres und die Meinung der Leute über ihn egal waren. Er war einer der wenigen Menschen, die ihn nicht wie einen Superstar behandelten. Er war nie sein Fan gewesen…im Gegenteil, es war schwierig gewesen, miteinander zurechtzukommen. Vielleicht war auch das einer der Gründe, weswegen sich diese Gefühle entwickelt hatten. „Oi. Willst du da noch länger stehen und mich anstarren?“ Yagi zuckte harsch zusammen, war so in seinen Gedanken versunken gewesen, dass er gar nicht gemerkt hatte, dass sie fast dran waren. Er spürte die Hitze in seinen eingefallenen Wangen, murmelte etwas Unverständliches, ehe er rasch weiterging. „Entschuldige“, fügte er reflexartig und sehr verlegen hinzu, woraufhin Aizawa schnaubte. „Ich hab nicht gesagt, dass es mich stört.“ Spätestens jetzt musste er knallrot anlaufen, er konnte es fühlen, auch wenn die große Sonnenbrille sicher einiges verbarg. Dem anderen entging das natürlich nicht und dessen unerwartetes Grinsen gab ihm fast den Rest. Trotzdem es ein wenig gruselig wirkte, was zum Teil daran lag, dass der andere selten grinste oder gar lächelte, löste es in ihm eine Welle der Zuneigung aus. Ihm wurde plötzlich wieder bewusst, wie sehr er sich nach mehr sehnte. Mehr Zweisamkeit, mehr Händchenhalten…mehr solcher Küsse, die ihm schwindelig werden ließen. Das Kanu, in dem sie wenig später saßen, trieb sehr langsam den Fluss hinunter, wofür Yagi recht dankbar war. Die Geräuschkulisse des Parks trat in den Hintergrund, während sie das Rauschen des Wassers begleitete. Es war wirklich angenehm, sodass er sich innerlich ruhiger zu fühlen begann, was gerade sehr hilfreich war. Sein Blick wanderte zu Aizawa, der auf der Bank ihm gegenüber in dem kleinen Boot saß und die Umgebung zu betrachten schien. Yagi atmete einmal tief durch, ehe er sich sammelte, darauf hoffend, dass er die richtigen Worte finden würde. Keine von All Mights Phrasen, sondern…seine eigenen Worte. Das, was ihm seit Wochen auf der Zunge lag, und das er dennoch bislang nicht hatte aussprechen können. Er räusperte sich leicht, ehe er wenigstens die Sonnenbrille abnahm, woraufhin Aizawa gewohnt stoisch zu ihm schaute. „Du…hast es vermutlich gemerkt“, begann er schließlich. „Ich bin wirklich schlecht darin. Ich meine…mit allem…was mein Privatleben betrifft. Wie…du dir sicher denken kannst, hab ich die letzten Jahrzehnte nicht viel Zeit für…solche Dinge gehabt. Damit meine ich…Freunde treffen, Hobbies und…nun ja, Zwischenmenschliches. Ausgehen…Dates.“ Man sagte ja immer, frei von der Leber weg, aber irgendwie bekam er selbst das Gefühl, drum herum zu reden. Es war ein schreckliches Gestammel, das er so nicht hatte rüberbringen wollen. Unruhig knetete er die Bügel der Sonnenbrille in seinen knochigen Händen, wobei sein Blick von dieser wieder zu Aizawa flackerte. Dieser unterbrach ihn nicht, sondern wartete regungslos darauf, dass er weiterredete. „Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht mehr, wann ich…das letzte Mal etwas nur für mich getan habe. Etwas…Egoistisches. Ich habe so etwas immer aufgeschoben. Es gab nie die passende Zeit, dafür passieren einfach zu viele schreckliche Dinge jeden Tag…und ich wollte sie verhindern. Das hatte Vorrang…vor allem und ich bereue es nicht, aber…jetzt ist alles anders. Auch wenn ich wusste, dass es irgendwann dazu kommen würde…ich dachte, ich hätte mehr Zeit.“ Er zuckte leicht mit den Schultern, machte eine kurze Pause, während die Höhle langsam in Reichweite kam. Aizawa schwieg immer noch und Yagi war ihm dankbar dafür; das machte es leichter. „Deswegen…fällt es mir schwer, mich daran zu gewöhnen. Deswegen werde ich manchmal noch zu All Might…selbst wenn es unangebracht ist. Es ist wie ein Reflex…aber das weißt du und uhm…darauf wollte ich gar nicht hinaus. Was ich eigentlich sagen will…ist, dass ich…deine…deine Gesellschaft wirklich genieße.“ Bei diesen Worten konnte er nicht verhindern, dass er erneut errötete und er wich seinem Blick lieber aus, ehe es noch schlimmer wurde. Immerhin fuhren sie gerade in die Höhle, sodass ihre Gesichter im Schatten der dämmrigen Beleuchtung lagen. Für einen kurzen Augenblick besah er sich die kleinen, leuchtenden Kristalle in den Wänden, die zu ihren Seiten aufgestellten Figuren, die Drachen und andere Tiere darstellten, was wohl vor allem Kinder erfreuen musste. Eine leise Melodie wurde im Hintergrund gespielt, begleitete ihre ruhige Fahrt. „Du bist…ähm…ich kenne niemanden, der so ist…wie du. Dir ist egal, was die Leute von dir halten…und du hältst dich nie aus Höflichkeit zurück. Na ja, manchmal ist das auch unangenehm…du kannst wirklich angsteinflößend sein, Aizawa-kun. Ich bin das nicht gewöhnt…es gibt wenige Leute, die mich so scharf…kritisieren – was nicht bedeutet, dass das etwas Schlechtes ist! Ich…schätze deine Ehrlichkeit und dein Durchsetzungsvermögen...und ich weiß, wie viel du für die Menschen tust. Nicht nur für die Schüler…auch für die, die…deine Hilfe als Held brauchen…und, also, ich genieße es, mich mit dir zu unterhalten…in deiner Nähe zu sein.“ Er holte kurz Luft, wobei ihm nicht entging, dass Aizawa ihn nun etwas perplexer anstarrte. „…und wenn ich nervös bin, ist das, weil…es sehr lange her ist, dass ich…für jemanden solche Gefühle wie für dich hatte…vielleicht sogar zum ersten Mal, ich bin nicht sicher. Du bist jedenfalls der erste Mann…und…das ist neu…und verwirrend, aber auch gut. Sehr sogar…ich habe immer dieses Herzklopfen und…ich hoffe, du verstehst, was ich damit ausdrücken will…“ Wie lange hatte er überhaupt geredet? Er konnte ja schon den Ausgang der Höhle erkennen, was ihm bewusst machte, dass sein unbeholfenes Geständnis ungewollt abgeschweift war. Die Kernaussage war verständlich, oder? Hoffentlich…ihm ging so schon wieder die Pumpe und seine Hände hatten die Sonnenbrille inzwischen so stark misshandelt, dass der rechte Bügel nur noch lose dran hing. Aizawa wartete einen Moment lang, vermutlich, weil er nicht sicher war, ob er fertig war…dann seufzte er. „Du bist wirklich der Einzige, der ein bisschen Freizeit als Egoismus bezeichnet“, hörte er ihn brummen. Yagi zuckte hilflos mit den Schultern, nicht wissend, was er von der Aussage halten sollte. So war es nun einmal gewesen…zumindest, als er noch All Might, das Symbol des Friedens, gewesen war. „Und ja, ich verstehe, was du mir sagen willst“, fuhr er fort und schaute ihn mit diesem undefinierbaren Blick an. „Schätze, ich sollte mich geschmeichelt fühlen...“ Wenn wenigstens sein Ton verraten hätte, was er darüber dachte… Yagi blieb still, während er weiter die Sonnenbrille malträtierte. „…auch wenn das eine sehr schräge Rede war“, murmelte er. „Du machst dir bei allem so viele Gedanken…ohne, dass das notwendig ist.“ Verwirrt sah er auf, neigte den Kopf zur Seite; dass er zu viel durchdachte, das stimmte zwar… „Was möchtest du jetzt gerade tun?“ Die Frage ließ ihn stocken und wie automatisch wanderte sein Blick zu Aizawas Gesicht…zu seinen Lippen. Gut, dass es immer noch dunkel war, so fiel seine Röte hoffentlich nicht sofort auf. Er wusste genau, was er tun wollte...warum konnte er es also nicht tun? Was hinderte ihn? Seine Unsicherheit vermutlich, denn Yagis eigenes Selbstbewusstsein war erstaunlich gering. „Denk nicht darüber nach“, hörte er Aizawa mahnen. „Was willst du tun?“ Sie wussten es beide und trotzdem stellte es für ihn eine Überwindung dar. „Dich…küssen…“, erwiderte er so leise, dass es beinahe von der Melodie übertönt wurde. Nun, Aizawa hatte ihn jedenfalls gehört, funkelte ihn immer noch mit diesem Blick an. „Worauf wartest du dann?“, fragte er so direkt, dass Yagi kurz die Luft wegblieb. Scharf atmete er ein, während er reflexartig nach einer Antwort suchen wollte. So ein Unsinn. Die Frage war rhetorisch, er musste nichts darauf entgegnen. Wieso zögerte er überhaupt noch? Dafür gab es keinen Grund, das vermittelte Aizawa ihm mit jedem Wort…noch deutlicher konnte er kaum werden. Trotz seiner Aufforderung schien sein Gegenüber doch überrascht, als er tatsächlich den geringen Abstand überbrückte und ihn küsste. Seine Hände lagen dabei auf den Schultern des anderen, gruben sich in dessen Jumpsuit. Es fühlte sich wieder wie beim ersten Mal an, als Aizawa ihn geküsst hatte. Sein Herz hämmerte in seinem Brustkorb immer schneller, während er sich ganz darauf einließ. Auf dieses unglaublich schöne Gefühl, dem anderen auf diese Weise nahe zu sein. Dabei war es nur ein Aufeinanderliegen der Lippen, sanft und vorsichtig…jedenfalls bis Aizawa eine Hand in seine blonden Haare im Nacken krallte und dabei seine Käppi verschob. Der Kuss wurde leidenschaftlicher, fordernder und Yagi keuchte leise, während er die Augen geschlossen hielt. Die Intensität ließ ihn auf angenehme Art schaudern, vertrieb jeden überflüssigen Gedanken…er brauchte seine Konzentration gerade für andere Dinge. Aizawas Geruch…seine Wärme…die Finger in seinem Nacken…die Berührungen ihrer Lippen…die Zunge, die sich dazwischen stahl… Und der Schwall eiskalten Wassers, der sie beide von einer Sekunde auf die nächste übergoss und schlagartig auseinanderfahren ließ. Yagi wurde erst jetzt bewusst, dass sie die Höhle verlassen und direkt an einem rauschenden Wasserfall vorbeigefahren waren – nun, eher halb darunter durch. Nass hingen die blonden Haare an seinen Wangen herab und als er zu Aizawa sah, konnte er nicht anders, als zu schmunzeln. Die feuchten Haare klebten in seinem Gesicht, so dass man nicht einmal mehr seine Augen sehen konnte. Fluchend wischte er den nassen Mopp nach hinten, blickte ihm nun wieder missmutig entgegen. „Ich weiß, warum ich solche Parks hasse…“, knurrte er missgelaunt, woraufhin Yagi lächelte. „Nun ja…ein bisschen amüsant ist es schon.“ „Ist es nicht.“ „Wenn man bedenkt, dass jedes Mal etwas dazwischenkommt…hat das was von schwarzem Humor.“ Aizawa stockte für einen Moment, musste vermutlich auch soeben an Nezu denken…oder an die Mädchen. Und nun war es ein Wasserfall. Das Universum musste irgendetwas gegen sie beide haben…und so bitter das sein mochte, Yagi konnte seine Belustigung schwer unterdrücken. Komischerweise stellten seine Glücksgefühle gerade jede andere Emotion in den Schatten. Trotzdem ihm die nasse Kleidung am Körper klebte, was absolut nicht angenehm war, ärgerte es ihn nicht. „Schwarzer Humor, huh?“, brummte sein Gegenüber. „So kann man das wohl nennen.“ Yagi wollte eigentlich noch etwas dazu sagen, doch dann fiel ihm etwas hinter Aizawa auf und er hielt inne. Anscheinend war ihre Fahrt vorbei, denn der Steg kam wieder in Sicht…und ein paar bekannte Gesichter. „Uhm…vielleicht sollten wir dem Wasserfall dankbar sein“, bemerkte mit einem schiefen Lächeln und deutete hinter ihn. Aizawa sah ihn verdutzt an, ehe er einen Blick über die Schulter warf. „Huhu, hier sind wir!“ Gleich fünf ihrer Schüler winkten ihnen vom Steg aus, schienen sich ebenfalls angestellt zu haben und Yagi wurde flau im Magen, als er daran dachte, dass sie sie hätten sehen können. Erneut fühlte er Scham in sich aufsteigen und wahrscheinlich ging es Aizawa nicht viel anders. „Wasserbahnen sind toll nicht wahr, kero?“, rief Asui zu ihnen herüber, während Uraraka neben ihr heftig nickte. Bei ihnen standen noch Midoriya, Iida und Todoroki, wobei Ersterer ihnen fröhlich zuwinkte. Es war schwer, mit demselben Enthusiasmus zurückzuwinken, wenn man bedachte, dass sie sie beinahe beim Rumknutschen wie zwei Teenager erwischt hatten. „Wir wünschen Ihnen noch viel Spaß!“, kam es von Midoriya, als sie an diesen vorbei zum Ausgang trieben. „Probieren Sie unbedingt diese Achterbahn mit den Loopings aus!“, rief Uraraka ihnen nach. „Aber nur, wenn Sie schwindelfrei sind!“, fügte Iida hinzu. „Ja…wir werden es bedenken“, hörte er Aizawa brummen. Als er sich wieder zu ihm drehte, vernahm Yagi sein tiefes Seufzen. „Vor denen ist man auch nirgends sicher…“ Diesmal konnte Yagi ein leises Lachen nicht unterdrücken, während der andere bloß den Kopf schüttelte. Ein paar Minuten später saßen sie draußen bei einem kleinen Café und versuchten einigermaßen trocken zu werden. Da die Sonne schien, funktionierte das auch ganz gut. Seit der Kanufahrt fühlte sich Yagi jedenfalls um einiges entspannter, was wohl kein Wunder war. Er nippte an seinem Wasser, während Aizawa diesmal zu Limonade gegriffen hatte. Er trank diese zuckrigen Säfte oft, wenn er sich recht erinnerte. „Was ist eigentlich aus deiner Sonnenbrille geworden?“ Yagi stutzte, musste tatsächlich für einen Moment überlegen. „Ich schätze, die habe ich halb zerstört im Kanu liegen lassen…“, gab er vage zurück. „Ah.“ Klang das eine Spur zu selbstzufrieden oder bildete er sich das ein? Aizawas zuckende Mundwinkel waren jedenfalls real, ließen Yagi verlegen lächeln. Da hatte es Wichtigeres gegeben…und außerdem war bis jetzt noch niemand mit einem Selfie-Stick auf ihn losgegangen. „Also…“ Yagi blickte fragend auf, als Aizawa erneut das Wort ergriff. „Der erste Kerl, huh? Ziemlich spät für ein Coming Out…“ Na gut, vielleicht war da doch noch etwas Anspannung, zumindest versteifte er sich bei der Frage direkt, schluckte hart. Er war es nicht gewöhnt, über solche Sachen zu reden. Das war etwas, das er bisher immer für sich behalten hatte. Eine Seite von ihm, die nicht ins Konzept passte. „Es gab schon…Männer, die ich…attraktiv fand“, gestand er leise und heftete den Blick auf die Tischplatte. „Aber es hat sich nie etwas ergeben…ich habe auch nie etwas versucht. Ich hatte…ebenso Interesse an Frauen. Das war irgendwie…einfacher. Es…na ja…“ „Passte besser ins Bild?“, half Aizawa nach und klemmte den Strohhalm zwischen die Lippen. In seiner Stimme lag keine Anklage und Yagi war froh darüber, nickte leicht. „Ja, das auch“, gab er zu, erwiderte seinen Blick nun wieder. „Da ich nie Zeit für irgendeine Art von Beziehung hatte, wäre es ohnehin aufs selbe rausgekommen. Es war immer recht kurzlebig…und unkompliziert…und in meinen jungen Jahren hat mir das auch vollkommen ausgereicht. Uhm…ich hoffe, das klingt jetzt nicht…falsch…“ Aizawa schnaubte leise, stellte sein Trinkpäckchen zurück auf den Tisch. „Erwartest du, dass ich dich für menschliche Bedürfnisse verurteile?“ „Eh…“ „Keine Sorge. Ich denke nicht geringer von dir, nur weil du zugibst, dass du mit einigen deiner Groupies im Bett warst.“ „Uhm…sag das bitte nicht so…“, bat er den anderen, der daraufhin bloß die Schultern zuckte. „Du kannst meinetwegen darüber reden, es nett umschreiben oder schweigen. Es ändert nichts für mich.“ Tatsächlich war sich Yagi diesbezüglich nicht so sicher gewesen, denn auch wenn jede seiner kurzen Affären auf gegenseitigem Einverständnis beruht hatte, wirkte es auf manche Leute vielleicht…unmoralisch. Als hätte er diese Frauen ausgenutzt…und das stimmte einfach nicht. Er hatte diese Frauen immer mit Respekt behandelt, ihnen nie etwas vorgemacht. „Danke, Aizawa-kun…das bedeutet mir viel“, erwiderte er ernst, woraufhin der andere schnaubte. „Wie…ist es bei dir? Also…“ „Ausschließlich Männer.“ „Oh…verstehe. Und wie…?“ „Relativ früh…irgendwann während der Schulzeit. Lief nicht viel anders als bei dir ab…und irgendwann hatte ich plötzlich zwei Jobs und einen Haufen Extraarbeit. Das macht die Gelegenheiten für unkomplizierten Sex doch recht selten…auch wenn es nicht Jahre her ist.“ Vielleicht sollte es ihn nicht wundern, dass Aizawa so offen darüber sprechen konnte, dennoch kam es ihm surreal vor. Solche Themen waren gerade in Japan etwas, was man unter den Teppich kehrte…in Amerika sah das anders aus. „Ach so…“, murmelte er ausweichend und knibbelte an seinem Becher. Aizawa beobachtete ihn ein paar Sekunden lang, er konnte seinen Blick spüren. „Du musst dich nicht zurückhalten. Wenn du etwas wissen willst, frag.“ Leider war das gar nicht so einfach, doch er wollte wenigstens versuchen, es ordentlich zu formulieren. Aizawa würde ihm nicht den Kopf abreißen, ihn höchstens anschweigen. Ah, er machte sich schon wieder zu viele Gedanken. „Uhm…versteh das jetzt bitte nicht falsch, aber…ich frage mich…du konntest mich anfangs nicht wirklich leiden und…ich bin sehr viel älter als du…ich habe nicht erwartet, dass du…ich meine, ich freue mich, dass du…aber…warum?“ Vielleicht sollte Aizawa ihm lieber den Kopf abreißen, ehe noch mehr Unsinn aus seinem Mund kam. Er schmeckte schon wieder den eisenhaltigen Blutgeschmack, spülte ihn rasch mit etwas Wasser herunter. Aizawa blickte ihn starr an, schien zu überlegen, bevor er zu einer trockenen Antwort ansetzte. „Möglicherweise habe ich einfach einen schrecklichen Geschmack.“ Yagi blinzelte ihn an, während sich sein Inneres zusammenkrampfte. Schrecklicher Geschmack? Autsch. „Oi…das war ein Scherz“, kam es gleich darauf von seinem Gegenüber. „Auch wenn ich nicht verstehe, wozu du Gründe brauchst. Meine Meinung über dich hat sich verändert – wie du gemerkt haben solltest – und dein Alter ist mir ziemlich egal. Wir sind beide erwachsen. Du willst es, ich will es…es spricht nichts dagegen.“ Still hatte er ihm zugehört und am Ende konnte er nur nicken; ja, vielleicht war es tatsächlich so einfach. Aizawa hatte eine ganz andere Herangehensweise als er und wahrscheinlich sollte er sich etwas davon annehmen. Er musste lächeln, fixierte sein Gegenüber mit seinen blauen Augen. „Da hast du wohl Recht.“ „Ja…das höre ich oft.“ Da war es wieder, dieses Funkeln in Aizawas Blick…und dieses leicht unheimliche Grinsen, das bei ihm dennoch ein warmes Gefühl auslöste. Ehe er darüber nachdenken konnte, hatte sich seine große Hand wie von selbst über den Tisch bewegt. Aizawa ließ zu, dass er ihre Finger miteinander verschränkte, erwiderte den Druck leicht. Dass eine so simple Berührung angenehme Schauer durch seinen gesamten Körper jagen konnte…es war wirklich schön. „Hey Bakugou, schau mal, da sind Aizawa-sensei und All Might!“ Kirishimas Gebrüll schallte schon vom Weiten zu ihnen herüber und Yagi weitete die Augen, riss seine Hand in Sekundenschnelle zurück, um sie sich auf den Mund zu pressen, bevor er das Blut quer über den Tisch spucken konnte. Oh Gott…dieser Ausflug stellte sie wirklich auf eine harte Probe. „Mir doch egal! Beweg lieber deinen Arsch, klar?! Ich will endlich zu dieser verdammten Achterbahn! Der Rest hier ist doch nur Kinderkacke! Hab ich dir gleich gesagt, Idiot!“ „Ich komm ja schon…warte doch mal! Eh, bis später, Aizawa-sensei, All Might!“ Mit diesen Worten eilten die beiden Jungen an ihnen vorbei, nicht wissend, dass sie zumindest Yagi ziemlich geschockt hatten. Aizawa sah ihnen nur kurz nach, ehe er ihm seine Serviette reichte, ihn stirnrunzelnd anschaute. „Ich würde es eher Karma als schwarzen Humor nennen…“, bemerkte er ausdrucklos. Yagi lächelte nur gezwungen, während er sich das Blut von den Lippen wischte. Ja, Karma traf es vielleicht ganz gut. Der restlichen Stunden verliefen recht ruhig und als die Zeit der Abfahrt gekommen war, standen tatsächlich alle Schüler am vereinbarten Treffpunkt. Obwohl einige von ihnen erschöpft wirkten, unterhielten sie sich lebhaft über den Tag und darüber, welche Fahrgeschäfte sie ausprobiert hatten. Erst im Bus wurde es langsam etwas stiller und als All Might während der Fahrt einen Blick über die Schulter warf, musste er schmunzeln. Einige von ihnen, darunter Bakugou, der mit offenem Mund an der Fensterscheibe lehnte, schienen so müde zu sein, dass sie weggedöst waren. Iida hielt derweil Kaminari und Mineta davon ab, Fotos von einigen der schlafenden Mädchen zu machen, wobei ihn Midoriya und Uraraka unterstützten. Nun, anscheinend hatten sie alles im Griff. Yagi wollte sich gerade an seinen Kollegen wenden, als er ihn das plötzliche Gewicht, das gegen seine Schulter lehnte, innehalten ließ. Verwirrt sah er auf Aizawas schwarzen Schopf runter, wobei er bemerkte, dass der andere sehr gleichmäßig atmete. Die Augen hielt er geschlossen, jede Spannung war aus seinem Gesicht gewichen und…ja, er schien eingeschlafen zu sein. Yagi zögerte nur kurz, ehe er vorsichtig den Arm um den Jüngeren legte, damit dieser mehr Halt hatte. Das war in Ordnung, nicht wahr? Die Mehrheit der Schüler schlief, niemand achtete auf sie. Außerdem genoss er die Nähe des anderen viel zu sehr, als dass er diesen von sich schieben wollte. Geschweige denn, dass er Aizawa um seinen seltenen Schlaf bringen wollte. Ein warmes Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er ihn einige Sekunden betrachtete…und dann selbst die Lider senkte. Ein bisschen Schlaf war vielleicht nicht verkehrt nach diesem ereignisreichen Tag… „Oi Kaminari! Schau mal dahinten!“ „Was zur…?!“ „Ohhh!“ „Sie müssen wirklich erschöpft sein.“ „…das sieht irgendwie…unpassend aus.“ „Ich finde es niedlich, kero.“ „Ihr könnt sagen, was ihr wollt, aber davon mache ich jetzt wirklich ein Foto!“ „Kaminari-kun! Das sind unsere Lehrer! Hab etwas Respekt!“ „Sei nicht immer so steif, Iida! Du verdirbst einem jeden Spaß!“ „Aizawa-sensei wird bestimmt ausrasten…“ „Du nicht auch noch, Midoriya!“ „Was ist das für ein Lärm, ihr Penner?! Wie soll man da denn schlafen?!“ „Toll…gleich sind sie wach…“ „Danke, Bakugou…“ „Hä?!“ Kapitel 4: Endurance -------------------- Etwas hatte sich verändert. Langsam, geradezu schleichend…und überraschenderweise ohne, dass er es direkt zu deuten gewusst hatte. Das war neu. Sonst konnte er sich auf sein Gespür verlassen, seine Chancen einschätzen, doch vermutlich lag das an dem Bild, das er zuvor von diesem Mann gehabt hatte. Er hatte eigentlich keinerlei Intention in diese Richtung gehabt…nun, bis sie sich privat getroffen hatten. Damit hatte alles angefangen. Aizawa war niemand, der sich Hals über Kopf in etwas verrannte, nicht mal, als er jünger gewesen war. Was das anging, siegte die Rationalität, und da er seinen speziellen Lebensstil nicht aufzugeben gedachte, blieb ihm auch nichts anderes übrig. Das Problem dabei war, dass er sich auf diese Weise auf nichts Festes einlassen konnte…und wollte. Wer kam schon ewig damit zurecht, hinter zwei Jobs zurückstehen zu müssen? Seine freie Zeit war knapp bemessen und meistens verbrachte er sie mit schlafen oder einem seltenen Trinkgelage. Was sich auf seinen Patrouillen ergab oder nicht, war eine andere Geschichte. Fazit war, dass er aus mehreren Gründen kein Beziehungsmensch war. Folglich hatte er keine Erwartungen gehabt, was diese neue Situation…und was All Might selbst anging. Die Anziehung ließ sich nicht leugnen und nein, er bereute nichts. Er hatte bloß nicht damit gerechnet, dass es dermaßen…unkompliziert sein würde. Zugegeben, All Might selbst war gefühlsmäßig ein komplettes Desaster. Der Kerl machte sich eindeutig viel zu oft verrückt wegen nichts. Wobei es wohl bloß aus Aizawas Sicht nichts war; vielleicht war er zu stumpfsinnig. Wie auch immer, jedenfalls empfand er ihr Miteinander als überraschend angenehm, denn All Might forderte nichts von ihm ein. Weder klebte er an ihm, noch beschwerte er sich darüber, dass sie sich recht selten privat trafen. Er blieb stets geduldig und diskret, wobei Letzteres ironisch war, wenn er so daran dachte, wie wenig das zu seinem muskelbepackten Alter Ego passte. An dem war rein gar nichts diskret…nicht mal sein bescheuerter Klingelton. Hatte er den eigentlich immer noch eingestellt? Hoffentlich nicht... Jedenfalls schienen sie einer Meinung zu sein, was diese neuartige Beziehung zwischen ihnen anging, und dass ein langsames Tempo vollkommen in Ordnung war. Sie hatten beide genügend zu tun, denn auch wenn All Might als Held zurückgetreten war, kniete er sich mittlerweile in seinen neuen Vollzeitjob rein. Angefangen mit diesem fragwürdigen Ratgeber, den er sich besorgt hatte, bis hin zu seiner Umsetzung, die gar nicht mal so schlecht war. Er lernte dazu, nahm den Job als Lehrer ernst…und möglicherweise war Aizawa im Park zu hart zu ihm gewesen. Es war ihm nicht entgangen, dass All Might die Schüler in seinem Unterricht mehr förderte als bisher, sie zwar anleitete, aber ebenso selbst nachdenken und arbeiten ließ, um ihr Potenzial auszuschöpfen. Ihm fiel auf, dass All Might oft länger in der Schule blieb und seine Notizen, die er sich zu den jeweiligen Schülern gemacht hatte, durchging. Manchmal fragte er ihn oder einen der anderen Lehrer um Rat, wenn er bei etwas unsicher war. Er bereitete seine nächsten Stunden vor und konzentrierte sich nicht mehr vorrangig auf Midoriya, zu dem er zweifellos eine besondere Bindung hatte. Was er in seiner Freizeit mit dem Jungen besprach, ging Aizawa nichts an. Während er zusammengesunken vor seinem Monitor saß, glitt sein Blick für einen Moment zu dem blonden Schopf, dessen Ansatz er von seinem Platz aus sehen konnte. Freitag, ging es ihm unweigerlich durch den Kopf, ehe er überlegte und zu dem Schluss kam, dass er nicht zu müde war, seinen Feierabend mit All Might zu verbringen. Er würde ihn ansprechen, sobald ihre Kollegen verschwunden waren, damit sie mehr Ruhe hatten…und niemand auf die Idee kam, ihre plötzliche Freundschaft zu hinterfragen. Nicht, dass Aizawa etwas von Versteckspielen hielt, doch es war auf diese Weise einfacher, da es sich erstens um All Might handelte und das mit ihnen zweitens noch ganz frisch war. Kein Grund, gleich die ganze Welt zu unterhalten…oder eben das teilweise recht geschwätzige Kollegium. „Okay buddy, heute Abend steigt die Party!“ Aizawa zuckte zusammen, als sich plötzlich ein Arm um ihn schlang und ihn in den Schwitzkasten nahm. Mic’s Stimme war ohnehin schon übertrieben laut und sie so nahe an seinem Ohr zu hören, machte es nicht besser. Warum bekam er das Gefühl nicht los, dass sein Abend am Ende ganz anders aussehen würde…? „Party, huh?“, brummte er nur und befreite sich aus der Umarmung. „Yeaaaah! Wir gehen alle zusammen in die Karaoke-Bar!“ Ernsthaft? Ausgerechnet an einem der seltenen Tage, an denen er mal nicht direkt ins Koma fiel? Fragte sich, wie er aus der Nummer rauskam, denn sein Freund war überaus hartnäckig, würde sich demnach nicht so leicht abspeisen lassen. „Oh, denk gar nicht daran, abzusagen, Eraser~“ Abermals fand er sich in einem Klammergriff wieder, wobei sich die rot lackierten Nägel in seinen Arm gruben. „Oder hast du etwas Besseres vor?“, hauchte ihm Midnight ins Ohr. „Mit jemand Besserem?" Für einen Moment war er zu verdutzt, um etwas zu erwidern, auch wenn sich dies nicht in seiner Mimik wiederspiegelte. Ausdruckslos blickte er in die blauen Augen seiner Kollegin, die ihn grinsend anfunkelte. „Vielleicht habe ich einfach nur keine Lust.“ „Ach, sei nicht so!“, schmollte sie nun. „Alle kommen mit! Wirklich alle! Du kannst nicht als Einziger fehlen!“ Alle? Er versuchte krampfhaft, nicht direkt wieder zu All Might zu sehen, doch Midnight fuhr in genau dieser Sekunde herum. „Oh! Fast vergessen, du kommst natürlich auch mit, All Might! Immerhin bist du ein fester Bestandteil des Kollegiums!“ „She’s right, buddy!“, brüllte Mic los, woraufhin All Might erschrocken zusammenzuckte. Dann schaute er über den Bildschirm, wobei sein Blick von einem zum anderen wanderte…auch in seine Richtung. Hoffentlich ließ er sich nicht breitschlagen. Okay, nein…er würde sich überreden lassen. Aizawa sah es an dem unsicheren Blick, dem schiefen Lächeln…er würde mitkommen. Keine Chance. Da konnte er ihn noch so eindringlich anstarren, er würde bei so viel Beharrlichkeit nachgeben. „Uhm…danke für die Einladung, aber ich trinke nicht und…ich will wirklich kein Spielverderber sein, also-“ „Unsinn!“, fuhr ihm Midnight dazwischen und quetschte Aizawa in ihrem Griff zusammen. „Dann trinkst du eben nicht! Du kannst trotzdem Spaß haben!“ „Yeah! Du kannst dich aus so einem Grund nicht drücken! Du gehörst dazu, big guy!“ „Alle sind dabei, sogar unser Griesgram hier!“ „Ich habe nein ge-“ „Ignorier ihn einfach, All Might! Das sagt er immer und am Ende ist er jedes Mal dabei!“ „Yes!“, kam es von Mic und er nickte heftig. „Also…können wir auf dich zählen?“ All Mights Lächeln wurde eine Spur ehrlicher; vermutlich fühlte er sich geschmeichelt, dass ihn diese Idioten unbedingt dabei haben wollten. Er konnte es ihm nicht mal übelnehmen, aber es besiegelte dennoch ihren gemeinsamen Abend. Nun ja, nicht ganz, denn Aizawa würde in dem Fall tatsächlich mitkommen…möglicherweise konnten sie irgendwann unbemerkt verschwinden. Vorzugsweise, wenn seine beiden Freunde genügend Alkohol intus hatten… „Das könnt ihr. Danke für die Einladung“, hörte er den Blonden höflich zusagen, woraufhin Midnight endlich von ihm abließ. „Awww, nicht so förmlich, All Might!“, zwitscherte sie verzückt. „Wir freuen uns, dass du dabei bist! Wenigstens einer, der es zu würdigen weiß, dass man ihn fragt…“ Ihre blauen Augen spießten ihn praktisch auf, das wusste er, ohne dass er es sehen musste. Aizawa seufzte tief, warf ihr dann einen finsteren Seitenblick zu. „Schon gut“, murrte er. „Ich komme mit.“ „Na also, es geht doch!“, erwiderte sie zufrieden, ehe sie etwas kritischer hinzufügte: „Und zieh dir ausnahmsweise mal etwas Anständiges an! Eine Rasur könnte auch nicht schaden und-“ „Midnight…“, grollte er, um sie zu unterbrechen, allerdings stieg da schon der Nächste mit ein. „Ganz Unrecht hat sie nicht, buddy…“ Natürlich musste ihm Mic in den Rücken fallen, doch was konnte man von jemandem erwarten, der jeden Morgen eine halbe Stunde allein für das Styling seiner Haare benötigte? Da konnte er nur verlieren. Auch wenn er sich ernsthaft fragte, was ausgerechnet Midnight einfiel, ihm zu raten, er solle sich anständig anziehen. Die Frau trug Strapse und Handschellen, während sie Minderjährige unterrichtete, und wurde nicht grundlos die R18-Heroine genannt. All Might schien froh zu sein, dass man ihn aus dieser Diskussion raushielt, so verkniffen, wie er lächelte. „Lass wenigstens deine Bondage Weapon zuhause…“ „Capture Weapon“, korrigierte er seine Kollegin trocken, während Mic losprustete und All Mights Gesichtsfarbe um ein paar Nuancen dunkler wurde. „Jaja, wie auch immer…bis heute Abend dann!“ Midnight winkte ab, zwinkerte ihnen noch einmal abschließend zu und zog gemeinsam mit Mic von dannen. Ihm fiel jetzt erst auf, dass die anderen Lehrkräfte bereits aus dem Büro verschwunden waren. Ectoplasm ausgenommen, denn der packte gerade seine Tasche und summte gut gelaunt ein paar Lieder; es war kein Geheimnis, dass der Kerl Karaoke liebte. „Uhm…“ Aizawa blickte auf, kaum dass die Tür hinter Ectoplasm ins Schloss fiel und sich neben ihm jemand räusperte. All Might hatte die Hände ineinander verhakt, während seine, von schwarzen Schatten umrahmten, blauen Augen abwechselnd zu seinen Fingern und zu ihm wanderten. „…ich hoffe, ich habe deine eventuellen…anderen Pläne damit nicht über den Haufen geworfen“, hörte er ihn leise sagen und runzelte die Stirn. „Soweit ich es mitbekommen habe, war die Karaoke-Bar nicht deine Idee“, entgegnete er, woraufhin der Ältere gezwungen lächelte. „Eh…nein. Das nicht. Es war nur schwer…na ja…nein zu sagen. Mir ist auf die Schnelle auch keine gute Ausrede eingefallen...und bestimmt wird es ganz nett werden.“ Vor allen Dingen würde es laut und peinlich werden, schließlich war das nicht Aizawas erster Abend dieser Art. Trotzdem war es eine gute Abwechslung zu ihrem stressigen Alltag, das konnte er nicht leugnen; Nervensägen hin oder her, die beiden waren seine Freunde. Er seufzte einmal, rieb sich den steifen Nacken und erwiderte seinen Blick dann wieder. „Ja, vermutlich“, stimmte er zu. „Und was diese eventuellen, anderen Pläne angeht...“ Er griff nach All Mights dunkler Krawatte, die einen deutlichen Kontrast zu seinem schrecklichen, senfgelben Anzug darstellte, und zog ihn daran zu sich herunter. Die blauen Augen weiteten sich im ersten Moment, dann röteten sich die eingefallenen Wangen. „…dafür ist vielleicht trotzdem Zeit. Später.“ Er sprach leise und ruhig, bemerkte, wie All Mights Blick an seinen Lippen klebte. „Eh…ja…später ist…gut“, stammelte er, brachte ihn damit zum Grinsen. „Ja?“ „J-Ja…“ Man konnte ja regelrecht beobachten, wie hin und her gerissen er war und Aizawa musste zugeben, dass er gespannt war. Nicht, dass er unbedingt von jemandem erwischt werden wollte, doch wie groß war das Risiko? Die anderen Kollegen hatten längst Feierabend gemacht…und welcher Schüler würde sie jetzt noch aufsuchen? Ja, er schätzte das Risiko als gering genug ein…und All Might wohl ebenso, da er sich langsam vorbeugte… In der nächsten Sekunde wurde die Tür mit so viel Wucht aufgerissen, dass Aizawa reflexartig an der Krawatte riss und den anderen somit ungewollt strangulierte; dass All Might gleichzeitig den Kopf zurückwarf, um Abstand zwischen sie zu bringen, verschlimmerte das Ganze noch. „Oi! All Might! Wir müssen re…was zur Hölle tut ihr da?!“ Aizawa ließ die Krawatte sofort los, spürte sein eigenes Herz unangenehm hektisch in seiner Brust schlagen, während sich der blonde Hüne keuchend an seinem Schreibtisch festklammerte. Sein Kopf schien zu glühen, als er sich beiläufig das Blut von den Lippen wischte und mit schreckgeweiteten Augen zu dem Jungen im Türrahmen sah. Vermutlich dachten sie beide dasselbe: Scheiße. „B-Bakugou-shonen, was…es ist nicht-“ „Der Unterricht ist längst zu Ende, Bakugou. Was gibt es?“, fiel Aizawa ihm harsch ins Wort, ehe All Might tatsächlich es ist nicht das, wonach es aussieht sagen konnte. Im Gegensatz zu dem Älteren bemühte er sich, sich nicht verdächtiger als nötig zu benehmen. Ruhe bewahren. Selbst wenn er sie gesehen hatte und etwas hinein interpretieren wollte, Bakugou war nicht der Typ dafür, es direkt herum zu posaunen. Im besten Fall glaubte er, dass sie gestritten hatten und dabei handgreiflich geworden waren…wobei, war das wirklich positiv? Für Vorbilder vermutlich nicht. Bakugou antwortete nicht sofort, sondern sah mit verengten Augen zwischen ihnen hin und her. Etwas lag ihm auf den Lippen, er sah es an dem vorgeschobenen Unterkiefer, an seiner angespannten Haltung. „Das weiß ich selbst!“, knurrte er schließlich und verschränkte die Arme. „Ich wollte zu All Might! Was fragen. Wegen der Stunde heute…wusste ja nicht, dass ich in irgendwas Komisches reinplatze. Tse!“ All Might presste sich die Hand auf den Mund, wahrscheinlich, um sein Blut nicht durch den Raum zu spucken. Konnte der sich nicht wenigstens ein bisschen fangen? Warum musste das an ihm allein hängen bleiben… „Ich wüsste nicht, was an einer Konversation zwischen zwei Kollegen komisch sein soll. Frag, was du fragen wolltest. All Might hat ebenso Feierabend wie ich.“ „Uhm…wenn…also, ich nehme mir natürlich Zeit für dich, wenn du über etwas sprechen möchtest“, kam es von dem Hünen, der seine blutigen Lippen zu einem Lächeln zwang. Bakugous Reaktion bestand daraus, seinen immer noch bockigen Blick von einem zum anderen wandern zu lassen. Man konnte bezüglich seines Temperaments über ihn sagen, was man wollte, aber der Junge war scharfsinnig. Mit etwas Pech hatte er die Situation bereits richtig gedeutet und überlegte, wie er sich verhalten sollte. Aizawa hatte eigentlich nicht geplant, diese Art von Gespräch heute noch mit einem Schüler führen zu müssen, doch wenn sich nicht vermeiden ließ… „Nein“, hörte er ihn schließlich murren. „Schon gut, hat auch Zeit bis Montag.“ „Bist du s-“ „Ja, verdammt, hab ich doch gesagt!“, fauchte Bakugou direkt dazwischen, kaum dass All Might den Mund aufgemacht hatte. „Hn, wie auch immer…bye.“ Damit schob er die Hände in die Hosentaschen und ließ sie beide einfach stehen. Schweigend sahen sie ihm hinterher, ehe sie einen Blick tauschten. „…denkst du, dass er…?“, begann All Might vorsichtig, woraufhin Aizawa die Schultern zuckte. „Möglich.“ „Oh Gott…und…und was nun?“ „Abwarten“, lautete seine Antwort darauf. Sicher, es war ein wenig ungünstig, aber selbst wenn Bakugou das richtig interpretierte, so würde es kein Weltuntergang sein. Im schlimmsten Fall war er angewidert und mied sie eine Weile, doch er würde sich schon wieder beruhigen. Notfalls würde er eben mit ihm sprechen und ein paar Dinge klarstellen…aber ernsthafte Sorgen machte er sich nicht. Der blonde Hüne neben ihm sah dagegen aus, als würde er gleich den nächsten Schwall Blut spucken. „…tut mir leid, das war meine Schuld…ich hätte nicht-“ Abrupt packte Aizawa erneut die dunkelblaue Krawatte und zerrte ihn mit einem Ruck zu sich herunter, was All Might ein abgehacktes Ächzen entweichen ließ. Fest bohrte er seinen Blick in den des anderen, während er ihn so im Griff hielt. „Solange du mich nicht in irgendeiner Weise zu etwas genötigt hast, das ich nicht tun will, will ich auch keine Entschuldigung von dir hören, verstanden?“ All Mights Wangen nahmen erneut an Farbe zu, während er ihn anstarrte und zaghaft nickte. „Verstanden“, brummte er, woraufhin Aizawa ihn losließ und sich erhob. Er rieb sich mit der einen Hand den verspannten Nacken und wühlte mit der anderen in seiner Hosentasche. „Wenn wir jetzt gehen, bekomme ich vielleicht noch ein, zwei Stunden Schlaf“, brummte er und lehnte den Kopf zurück, um sich die Augentropfen zu verabreichen. All Might antwortete nicht, blickte bloß still vor sich hin und Aizawa wusste, dass er die Sorgen wegen Bakugou nicht einfach abstellen konnte. Vermutlich haderte er innerlich mit sich, ob er dem Jungen nacheilen und mit ihm reden sollte. Angesichts Bakugous Temperament wäre es aber wohl besser, die Sache auf sich beruhen zu lassen…zumindest fürs Erste. „Oi.“ Der blonde Hüne blickte erst auf, als er ihn erneut ansprach, woraufhin Aizawa darauf schloss, dass er ihm eben nicht mal zugehört hatte. Seufzend steckte er das Fläschchen wieder zurück in die Tasche, blickte ihn ernst an. „Wenn er sich am Montag seltsam verhält, spreche ich mit ihm. In Ordnung?“ Das schien All Might zumindest ein bisschen zu erleichtern, denn dessen angespannte Haltung lockerte sich etwas. „Ja…ja, das wäre gut, denke ich“, stimmte er zu und lächelte zögerlich. „Uhm, wir sollten los, oder? Wenn du noch schlafen willst?“ Hatte er ihm also doch zugehört. Aizawa nickte bloß, ehe er seinen gelben Schlafsack schulterte und wartete, dass der andere seine Tasche holte. Nun, vielleicht war die Aussicht auf einen Drink gar nicht so verkehrt…und etwas Ablenkung. Ja…das klang auf einmal besser als gedacht. Wie jedes Mal, wenn sie dieser Freizeitbeschäftigung am Wochenende nachgingen, war auch an diesem Abend viel los, als er bei der Karaoke-Bar ankam. Bei den zahlreichen, schnatternden Teenagern, die sich am Eingang tummelten, fragte sich Aizawa unweigerlich, ob sie nicht irgendwann mal zu alt für sowas sein würden. Wenn er ehrlich war, fühlte er sich jetzt schon zu alt dafür…doch seine Kollegen schienen da anderer Meinung zu sein. Kayama hatte ihnen wie immer einen der Räume reserviert und als er diesen betrat, stellte er fest, dass er wohl einer der Letzten war. „Aizawaaaaaa!“ „HERE MY FRIEND!!“ Aizawa hätte die beiden auch ohne das unnötige Gebrüll und das überschwängliche Winken auf der langen Couch entdeckt, schließlich war der Raum nicht riesig. Seine zwei verrückten Freunde hatten All Might eingekesselt, der mit einem schiefen Lächeln grüßend die Hand hob. Den senfgelben Anzug hatte er gegen eine graue Stoffhose und ein weißes Hemd getauscht…und ausnahmsweise trug er keine Übergröße. Vielleicht haftete sein Blick ein paar Sekunden länger als nötig an der hageren Gestalt, dann hob Aizawa ebenfalls die Hand und nickte den anderen kurz zu. Ectoplasm hatte sich bereits die Songliste geschnappt und diskutierte eifrig mit Snipe darüber, was am besten zu ihm passte. Obwohl er die beiden seit einigen Jahren kannte, war es immer noch seltsam, sie in ihrer Freizeit ohne ihr Kostüm anzutreffen. Wie musste es wohl All Might gehen? „Awww, du hast ja sogar auf mich gehört~“, schnurrte Kayama, kaum dass er sich neben sie gesetzt hatte. „Ich meine, du hast dir ein Hemd angezogen! Und du hast diesen Mopp von Haaren gebändigt…nur das mit der Rasur musst du noch mal üben…“ Aizawa brummte genervt, schob seine aufdringliche Freundin, die ihm den Zeigefinger in die stoppelige Wange bohrte, beiseite. Als ob sie ihn noch nie in Alltagskleidung oder mit zusammengebundenen Haaren gesehen hätte, schließlich waren sie gemeinsam mit Yamada zur Schule gegangen. Dass er mittlerweile hauptsächlich seinen Jumpsuit trug, lag daran, dass er seine freie Zeit auf ein Minimum reduziert hatte und die Stunden dazwischen meistens schlief. Wieso es sich also nicht möglichst bequem machen? „Für wen von uns hast du dich so schick gemacht, hm?“, fuhr sie fort, ihn zu triezen und zwinkerte zu allem Überfluss neckisch. Was zur Hölle war mit ihr los? Nicht, dass sie sich sonst wie ein Engel benahm, aber sie erschien ihm heute besonders hartnäckig, ihn zur Weißglut zu treiben. „Mach so weiter und ich gehe wieder“, gab er zurück, ehe er nach dem iPad griff, um mehr Bier zu ordern. Kayama neben ihm zog einen Schmollmund, auch wenn sie sicher wusste, dass er das nicht tun würde. Zumal er All Might schlecht mit ihnen allein lassen konnte, nein, das wäre nicht fair. Er vertippte sich beinahe, als sie ihren Körper, der in einem langärmligen Shirt mit großzügigem Ausschnitt und einer hautengen Jeans steckte, mit mehr Schwung als nötig gegen seinen warf. Seltsamerweise zeigte sie sich hier bedeckter als in der Schule… „Sei nicht so!“, maulte sie, das Kinn auf seine Schulter gestützt. „Ich mach doch nur Spaß.“ „Hn“, machte er bloß, ehe er den Blick schweifen ließ. „Wo ist eigentlich Kan?“ „Der kommt nach. Muss seine Bulldogge noch Gassi führen.“ Stimmte ja. Kan besaß einen Hund…warum auch immer. Hunde waren anstrengend, sie brauchten Auslauf, sabberten und bellten. Wenn er sich ein Haustier anschaffen würde, wäre es auf jeden Fall eine Katze. Katzen waren um einiges angenehmer und selbstständiger, außerdem rochen sie besser und ihr Schnurren wirkte zumindest auf ihn beruhigend. Nun gut, jedem das seine. „Ah“, machte er daher nur, woraufhin Yamada kicherte. „Aizawa hasst Hunde“, hörte er ihn an All Might gewandt sagen. „Er ist eher ein Kitty-Fan! Hab ihn schon öfter dabei erwischt, wie er irgendwelche Streuner gefüttert hat!“ „Ich hasse Hunde nicht, ich-“ „Oi Kayama, weißt du noch, als er klitschnass mit einem Karton Kätzchen im Lehrerzimmer aufgetaucht ist?" "Ach ja! Wie viele waren es noch gleich? Fünf?“ „Yes, five! Irgendjemand muss sie ausgesetzt haben und er konnte sie einfach nicht da lassen…“ „Awww, sie sind überall herumgekrabbelt…“ „…und sie haben die Möbel zerkratzt...“ „…und ein paar Zeugnisse zerfetzt…“ „…und stubenrein waren sie auch nicht.“ Zugegeben…es war nicht die beste Idee gewesen, wenn er sich so daran zurückerinnerte, allerdings hatte er keine Alternative gehabt. Er hätte den Karton beinahe nicht bemerkt, allerdings hatte ihn das klägliche Maunzen innehalten lassen. Helden retteten schließlich nicht bloß Menschenleben. Sein Blick glitt für einen Moment zu Yagi, der amüsiert in seine Richtung lächelte. Schön, dass der Blonde seinen Spaß mit alten Geschichten über ihn hatte… „Nezu war nicht begeistert darüber, dass seine natürlichen Feinde das Lehrerzimmer eingenommen haben“, witzelte Kayama zwinkernd. „Yeah, das kann man wohl sagen“, stimmte Yamada grinsend zu. „Aber wir sind sie dann relativ schnell an die Schüler losgeworden – natürlich in Absprache mit den Eltern!“ Aizawa sagte nichts dazu, sondern griff zu seinem Glas Bier, nachdem Kayama ihm etwas eingeschenkt hatte. Solange sie nur diese Story erzählten, konnte er gut damit leben. Es gab sicher viele Leute, die einen Karton ausgesetzter Kätzchen nicht ignoriert hätten. „Auch wenn er immer so grimmig guckt, besitzt er ein Herz aus Gold~“, flötete sie absichtlich übertrieben, woraufhin Aizawa das Gesicht verzog. War sie schon betrunken oder warum war sie heute noch stärker darauf erpicht, ihn ins Rampenlicht zu rücken? Glücklicherweise schienen nicht alle von ihnen zuzuhören, eigentlich nur All Might, dem, so eingekesselt, aber auch keine andere Wahl blieb. „Ja. Dass Aizawa-kun ein guter Kerl ist, ist mir bereits aufgefallen“, hörte er diesen sagen und verschluckte sich prompt an seinem Bier. Musste er sich wirklich auf dieses peinliche Gespräch einlassen? Das war unangenehm und er drehte den Kopf weg, damit niemandem die verräterische Röte in seinem blassen Gesicht auffiel. Selbstverständlich ließ Kayama das nicht zu, sondern packte ihn an den Wangen und drehte ihn so ruckartig wieder in ihre Richtung, dass sein Nacken knackte. Diese verdammte…!! „Awww, hast du das gehört, Aizawa? All Might durchschaut dich vollkommen~“ „…schön“, knurrte er gereizt und mit immer noch rotem Kopf. „Ich bin nicht taub – und jetzt lass los.“ Wenigstens gehorchte sie direkt, wenn sie ihn auch weiterhin mit diesem dreckigen Grinsen betrachtete. Hatte er irgendetwas getan, das sie verärgert hatte? So, wie sie sich benahm, hatte er beinahe das Gefühl, sie wollte sich an ihm rächen. Leider fiel ihm partout nicht ein, was er verbrochen haben könnte, wobei er da manchmal recht unsensibel war. Vielleicht sollte er sie später fragen, möglichst allein. „Oh, da ist Kan!“, rief sie plötzlich aus und warf die Hände hoch. „Dann können wir ja gleich beginnen! Komm Yamada, du musst mir bei der Songauswahl helfen!“ „Of course!“, krakeelte der Angesprochene direkt los und sie stürzten beide zu dem armen Neuankömmling. Aizawa atmete tief durch, ließ sich etwas tiefer ins Polster der Couch sinken, während er sich fragte, warum ausgerechnet die zwei seine ältesten Freunde waren. Das Schicksal musste ihn aus irgendeinem Grund strafen wollen… Als er den Blick zu All Might schweifen ließ, bemerkte er, dass dieser zur Seite sah, recht verlegen wirkte. Klasse. Wurde es jetzt auch noch komisch zwischen ihnen? Nur kurz zögerte er, rutschte dann aber näher an den blonden Hünen heran, welcher daraufhin zu ihm schaute. „Was haben Sie noch über mich erzählt?“, brummte er missgelaunt, woraufhin All Might blinzelte. „Uhm…ehrlich gesagt, haben sie erst damit angefangen, als du gekommen bist. Davor waren sie…ruhiger.“ Okay, also handelte es sich definitiv um einen Akt der Rache, doch ihm fiel wirklich kein Grund ein. Dann musste er wohl fürs Erste da durch und es aushalten, selbst wenn ihn das an den Rand seiner Beherrschung treiben würde. „Verstehe.“ „Ja…uhm…“ Aizawa runzelte die Stirn, während der Ältere so herumdruckste; verschwieg er ihm doch etwas? Jedenfalls fiel ihm ansonsten nichts ein, was dieses Verhalten ausgelöst haben könnte – es sei denn, Kayama hatte ihn mit ihrem Geplapper mehr beschämt als gedacht. „Was ist?“ „…du…siehst wirklich attraktiv aus“, murmelte All Might und rieb sich den Nacken, wich seinem Blick dabei aus. „Das Hemd…es steht dir…“ Oh. Mit einem Kompliment hatte er nicht gerechnet, weswegen er ihn so verdutzt anstarrte. Nicht, dass es ihm nicht schmeichelte oder dass es nicht nett war…bloß unerwartet. Was nicht bedeutete, dass es ihm missfiel – ganz bestimmt nicht. Ein Grinsen zuckte um seine Lippen, nur kurz, damit es hoffentlich niemand anders bemerkte. „Gleichfalls“, gab er amüsiert zurück. „Weiß steht dir eindeutig besser, als dieses schreckliche Senfgelb.“ „Hey…du redest von meinem Lieblingsanzug!“, kam es entrüstet von All Might. „Ich hoffe, dass das ein Scherz ist…“ „Er hat fast dieselbe Farbe wie dein Schlafsack“, argumentierte der Blonde unnachgiebig, woraufhin Aizawa stockte. Er konnte nicht mal behaupten, dass ein Schlafsack kein Kleidungsstück war, schließlich sah man ihn recht häufig darin dösen. Sozusagen in jeder freien Minute, was All Might sehr wohl bewusst war, so triumphierend, wie er plötzlich drein sah. „…schön. Ich sage nichts mehr über deinen…Anzug. Das Hemd steht dir ohne trotzdem besser.“ Anscheinend realisierte All Might das Kompliment erst jetzt, denn er lief wieder rot an, räusperte sich. „Danke…das ist nett.“ Für jemanden, der dank seiner riesigen Fangemeinschaft eigentlich an so etwas gewöhnt sein sollte, reagierte er recht verhalten. Nun, das war eben der Unterschied zu All Might und Yagi Toshinori – obwohl es sich um dieselbe Person handelte, benahm sich der hagere Mann viel schüchterner als sein Alter Ego. Vielleicht sollte er damit anfangen, ihn bei seinem eigentlichen Namen zu nennen…zumindest in ihrer Freizeit, so wie er es auch bei seinen Freunden tat. Dass All Might und er sowas in der Art waren, reichte als Begründung aus, nicht wahr? Sollte er ihn danach fragen? Das wäre höflich, richtig? „Heeeeeey!! Rutscht mal mehr zusammen, guys! Here I’m coming!!“ Aizawa kam nicht mehr dazu, seine Gedanken in die Tat umzusetzen, da Yamada in diesem Moment herangerauscht kam und sich mit so viel Schwung gegen ihn warf, dass er mit dem Oberkörper auf All Mights Schoß landete. Sie beide erstarrten merklich aufgrund der plötzlichen Nähe…und Aizawas Herz trommelte wie das einer Maus in seiner Brust. Scheiße. Gott sei Dank hatte er das Bier vorher abgestellt – andererseits hätte es dann eine gute Ausrede gegeben, um mit dem Hünen zu verschwinden. Dieser sah perplex zu ihm herunter, ehe er ihm merklich verlegen beim Aufsetzen half…und Aizawa hasste Yamada dafür, dass diese Aktion dafür sorgte, dass er All Might an seinen blonden Haarsträhnen packen und erneut heftig küssen wollte. Noch mehr als sowieso schon. Er musste eindeutig mit dem Alkohol aufpassen, wenn der Drang schon jetzt so präsent war. „Aber sonst geht’s dir gut, ja?“, raunzte er den Voice Hero an, der entschuldigend die Hände hob. „Sorry friends~“ Aizawa gab ein genervtes Knurren von sich, das deutlich machte, was er von dieser Entschuldigung hielt. Waren heute denn alle verrückt geworden? Noch verrückter als sonst…und er war einiges gewöhnt. „Es ist ja nichts passiert…“, hörte er All Might beschwichtigend sagen, woraufhin Yamada breit grinste. „You see? All Might findet es nicht schlimm, dass ihr ein bisschen gekuschelt habt~ Everybody needs some love, yeah!“ Bevor Aizawa etwas anderes tun konnte, als ihn fassungslos anzustarren, setzte sich Kan zu ihnen, ein Bier in der Hand und mit gerunzelter Stirn. Er musste nicht zu All Might sehen, um dessen Reaktion mitzubekommen – das unterdrückte Keuchen sprach für sich. Hoffentlich blutete er sein weißes Hemd nicht voll… „Wer braucht Liebe?“, brummte Kan irritiert und schaute von einem zum anderen. „Hab ich was verpasst, huh?“ Obwohl er bloß eine Frage stellte, wirkte er so, als würde er sie gleich verprügeln, was wohl an dem vorgeschobenen Unterkiefer mit den sichtbaren, spitzen Eckzähnen lag. Selbst in seiner lockeren Alltagskleidung wirkte Kan bullig und bedrohlich, auch wenn sie alle wussten, dass er kein übler Kerl war. Der Hauslehrer der 1-B kümmerte sich gewissenhaft um seine Klasse, versuchte alles, dass diese nicht hinter der 1-A zurückstand, wie es oftmals behauptet wurde. Aizawa wusste nicht, ob man dies immer dem Talent seiner Schüler zuschreiben konnte, so häufig wie diese schon in den Medien erschienen waren, weil sie mal wieder auf eigene Faust gehandelt und sich in Gefahr gebracht hatten. „Frag einfach nicht…“, wiegelte er ab und hoffte, dass sich das Thema damit erledigt hatte. Konnte man Herzrasen nicht abstellen? Seines anscheinend nicht, weswegen er stur All Mights Blick mied und darauf vertraute, dass dieser das nicht falsch verstand. „Ah ja…“, kommentierte Kan dies, zuckte gleichmütig mit seinen breiten Schultern. „Wie auch immer, Kayama sagt, ihr sollt euch einen Song aussuchen…hier.“ Er reichte Aizawa die Liste, welcher dieser mit mäßigem Elan bedachte – um einen Song würde er wie jedes Mal nicht herumkommen. Nun, nach ein paar Bier würde sein Schamgefühl soweit abgeklungen sein, dass sich das irgendwie vereinbaren ließ. Er reichte die Liste an All Might weiter, der sich gerade mit dem Daumen das Blut von der Lippe wischte und ihn verdutzt ansah. „Oh…ich soll...auch…?“, stammelte er überfordert, während er sich die Auswahl besah. „Tja, deswegen sind wir hier, nicht wahr?“, erwiderte Kan und rieb sich den massigen Nacken. „Richtig wild drauf bin ich auch nicht, aber es ist ne gute Gelegenheit mal raus zu kommen und was zu trinken.“ Zur Untermalung seiner Worte hob er die Flasche an, wollte All Might Bier in sein leeres Glas einschenken, woraufhin der andere hastig abwinkte. „Ich trinke nicht, aber danke.“ „Ach so? Na dann…“ Aizawa kannte den herausfordernden Blick des anderen Hauslehrers bereits zur Genüge, als dieser ihm nachschenkte. Jedes Mal schien es Kan als eine Art Challenge zu sehen, ihn unter den Tisch zu saufen – nicht, dass er dies bisher geschafft hätte. Die Rivalität ihrer Klassen schien auf Kan mehr abzufärben als auf ihn… „Hey buddy, don’t be shy! Du kannst es nicht schlechter als die beiden hier machen!“, versicherte Yamada dem Blonden, der daraufhin schief lächelte. Kan schnaufte empört, warf dem Voice Hero einen finsteren Blick zu, während Aizawa das Gerede ignorierte. Es stimmte halt auch…dagegen konnte er nichts sagen. „Have fun, All Might! Das ist das Einzige, das zählt!“ Aizawa führte still sein Glas an die Lippen, nahm einen Schluck; anscheinend musste er sich korrigieren. Es kam wohl zumindest aus Yamadas vorlautem Mund nicht ausschließlich Mist. Er spürte, wie sich All Might neben ihm ein wenig mehr entspannte – so wie es sein sollte. Dazu waren sie schließlich hier. „Oh, Ectoplasm legt los…das war klar, oder? Er ist immer der Erste…“ Tatsächlich hatte sich der Mathematiklehrer bereits vor dem Bildschirm platziert, das Mikrophon in der Hand und wippte mit seinem schlaksigen Körper im Takt der Musik. Das blau-rote Licht der Scheinwerfer wanderte durch den Raum, sollte wohl Partystimmung vermitteln. Zugegeben, eine musikalische Glanzleistung lieferte Ectoplasm nicht ab, aber man konnte nicht verhehlen, dass er nicht seinen Spaß hatte oder sich nicht genügend Mühe gab. Die anderen johlten und klatschten, feuerten ihn kräftig an, während mehr Bier nachgeschenkt wurde. Aizawas Blick glitt zu All Might, der ebenfalls zu ihrem Kollegen blickte, ein amüsiertes Lächeln in seinem ausgemergelten Gesicht. Wie lange es wohl her war, dass er so etwas gemacht hatte? Wenn er an ihr Gespräch im Vergnügungspark dachte, musste es ein sehr langer Zeitraum sein. Unweigerlich kam ihm die verdrehte Rede wieder in den Sinn, bei der ihm All Might mit seinem Gefühlschaos überschüttet hatte. Es musste nicht für alles sofort eine Antwort oder eine Bezeichnung geben, aber mit Ehrlichkeit traf er den richtigen Nerv bei ihm. Die auffälligen blauen Augen strahlten in dem bunten Licht noch mehr als sonst, richteten sich auf ihn, als sie seinen Blick bemerkten. Irrte er sich oder wurde der Ausdruck des Älteren milder? Fuck. Da war er wieder. Der Drang, den anderen zu küssen. Später, mahnte er sich selbst, und wandte sich wieder Ectoplasms Vorführung zu. Dass er dabei mit seiner Schulter All Mights berührte, an diese gelehnt blieb, war kein Versehen… Eine Stunde später war die Stimmung auf ihrem Höhepunkt, woran der Alkohol bestimmt nicht unschuldig war. Es war schwierig, sich zurückzunehmen, wenn Kan ihm kontinuierlich nachschenkte und ihn zum Trinken aufforderte. Aizawa war nicht betrunken, aber die Wärme in seinem Inneren mitsamt dem schwammigen Gefühl sagten ihm, dass er auf dem besten Wege dahin war. Nun, seine Patrouille würde er in dieser Nacht ohnehin ausfallen lassen müssen, schlechtes Gewissen hin oder her. Er war nicht so lebensmüde, sich in dem Zustand absichtlich mit irgendwelchen Schurken anzulegen – was nicht bedeutete, dass er im Notfall nichts tun würde. Konnte er nicht. So waren Helden nun mal. Er lehnte sich wieder zurück, spürte All Mights knochige Schulter an seinem Rücken, eine seiner großen Hände berührte seine eigene. Gänsehaut…und er war froh, dass alle damit beschäftigt waren, Kayamas und Kans schiefem Duett zuzuhören. So konnte der Blood Hero ihn wenigstens vorerst nicht weiter abfüllen. Aizawa stutzte, als ihm ein Glas Wasser unter die Nase gehalten wurde und lehnte den Kopf in den Nacken, blickte in All Mights blaue Augen. „Das…hilft vielleicht?“ Aizawa schnaubte leise, nahm das Glas jedoch an und trank einen Schluck daraus, wobei er wieder nach vorn zu ihren Kollegen sah. „Ich weiß, was ich vertrage“, brummte er. „Oh, ich wollte dir nichts unterstellen, aber…Vlad King und du scheint eine Art Rivalität zu hegen?“ „Hn…ja. Irgendwie schon. Er nimmt es persönlich, dass die 1-A populärer ist als seine 1-B.“ Kayama schlug gerade einen so schrillen Ton an, dass Kan kurzzeitig aus dem Konzept geriet und nicht mehr mitkam, auch wenn er durchzuhalten versuchte. Der Song war ohnehin bald zu Ende. „Wir kommen eigentlich gut miteinander aus, aber das nagt an ihm“, fuhr er fort und nippte wieder an All Mights Wasserglas. „Verstehe…dabei sind auch in der 1-B sehr viele talentierte Schüler.“ Aizawa gab einen zustimmenden Laut von sich, während einige ihrer Kollegen nach eine Zugabe verlangten. Es war generell ziemlich laut geworden, aber gut, so gehörte sich das eben in einer Karaokebar. Als Nächstes würde Yamada singen und Aizawa wusste, dass er ihnen gleich eine ziemliche Show bieten würde – schließlich war es unter anderem sein Job, die Leute zu animieren. „Übrigens...“ Aizawa wandte sich wieder dem blonden Hünen zu, der ihn fragend anblickte. „…würde ich dich lieber bei deinem richtigen Namen nennen. So wie die anderen…nun, zumindest in unserer Freizeit – auch wenn wir nicht viel davon haben.“ Da All Might ihn bloß verdutzt anstarrte, trotzdem er zweifellos etwas sagen wollte, da er den Mund leicht öffnete, sprach Aizawa weiter. „Ich weiß, dass du immer noch All Might bist…ob Ruhestand oder nicht…und das ist in Ordnung. Aber du bist genauso Yagi Toshinori.“ Lag es am Alkohol, dass er mehr als sonst redete? Vielleicht befürchtete er aber auch, dass All Might…nein, Yagi es falsch verstehen würde. Laut seinen Freunden konnte er recht unsensibel sein…also lieber sichergehen. Was er nicht erwartet hatte, war Yagis plötzliches Lächeln, das seine verhärmten Züge weicher wirken ließ…und das wieder diese Gefühle in Aizawa aufflammen ließ. Mist. „Inzwischen wohl mehr als ich All Might bin, hm?“, erwiderte er, doch es klang nicht so bitter wie sonst. „Ehrlich gesagt, gibt es nur zwei, vielleicht drei Leute, die mich so nennen…es ist ungewohnt. Ich sollte mich wohl langsam daran gewöhnen…und nun, ja, sicher. Es spricht nichts dagegen.“ Aizawa nickte langsam, schaute dann wieder zu Yamada, der soeben alle aufforderte, in die Hände zu klatschen; er war anscheinend vollkommen in seinem Element. „Gut“, murmelte er, was in dem gebrüllten „ARE YOU READY?!“ beinahe unterging. „So, ihr beiden, ich hoffe, ihr habt euch ein Lied für euer Duett ausgesucht!“ Aizawa hob eine Braue, als sich Kayama wieder zu ihnen auf die Couch warf, die Wangen rot vom Alkohol und ein beunruhigendes Glänzen in ihren blauen Augen. Moment mal… „Wir…beide? Duett?“, wiederholte er, woraufhin sie enthusiastisch nickte. „Wieso nicht? Du solltest ihn unterstützen, immerhin ist er im Gegensatz zu uns anderen nüchtern! Es wäre fies, ihn allein auf die Bühne zu schicken, denkst du nicht, hm? Du willst doch kein Fiesling sein, Aizawa? Und außerdem habe ich Kan eben ja auch unterstützt! Nun bist du dran!“ „Ah ja…“, brummte er mit mäßigem Elan, warf dann aber einen Blick zu Yagi. „Okay für dich?“ Dieser sah von ihm zu Kayama und wieder zurück, ehe er schief lächelnd nickte. „Uhm…ja…danke, dass du mich unterstützen möchtest…“ Vermutlich wollte Yagi am liebsten überhaupt nicht nach vorn und irgendeinen Song trällern, so zurückhaltend, wie er für gewöhnlich war. Jedenfalls solange er nicht in seinem aufgepumpten Alter Ego steckte. Aizawa seufzte innerlich, reichte dem Blonden dann die Songliste. „Such du etwas aus…“ „Oh, na gut…mh…“ „Ich helfe gerne dabei~!“, trällerte Kayama und beugte sich über seinen Schoß, um besser sehen zu können. Der Underground Hero ließ sie machen, schaute derweil Yamada zu, wie dieser allmählich zum Ende kam. Es war ihm persönlich egal, welchen Song sie singen würden. Er war nicht gut darin und sein Ehrgeiz gleich null, von daher konnte Yagi es nicht schlechter machen, sollte dies seine Sorge sein. Wobei Kayama schon Recht hatte; im angetrunkenen Zustand konnte man sich leichter dazu überwinden. „So, wir haben was gefunden~!“, summte diese gerade in eindeutig zu guter Laune. Anhand Yagis skeptischem Gesichtsausdruck konnte er sich denken, dass ihm die Auswahl weniger gefallen wurde. Was hatte sie sich jetzt wieder überlegt? „Der Song ist einfach und langsam – und er passt so gut zu euren dunklen Stimmen~“, schwärmte sie und hielt ihm die Liste hin, wo ihm Titel und Text ins Auge sprangen. Er meinte sogar, ihn schon mal gehört zu haben, was vermutlich Yamada zuzuschreiben war, da dieser ihm seine neusten Lieblingssongs meist in Endlosschleife aufzwang. Echoes. Oh nein…war das ihr Ernst? „Das ist-“ „Ganz wundervoll, da hast du Recht und nun husch! Ab mit euch nach vorn, bevor Yamada noch eine Zugabe gibt! Er ist richtig wild darauf!“ Anscheinend würde jeder Protest ohnehin abgeschmettert werden, sodass er es gar nicht erst versuchte, sondern sich seufzend seinem Schicksal ergab. Was sollte es? Kayama und Kan hatten immerhin auch einen schnulzigen Song abgeliefert, ohne dass sie dumme Sprüche kassiert hatten. Die meisten ihrer Kollegen hielten außerdem einen konstanten Pegel, weswegen er sich wohl keine Sorgen machen musste. Er warf einen Blick zu Yagi, dem man bereits jetzt ansah, wie unwohl er sich fühlte…und er gab sich einen Ruck. „Es sind nicht mal fünf volle Minuten“, brummte er diesem zu. „Dann sind wir durch damit…also bringen wir es hinter uns.“ „Uhm…ja, das stimmt“, murmelte der andere zurück, wirkte jedoch weiterhin wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Aizawa konnte sich ein spöttisches Schnauben nicht verkneifen. „Ehrlich, Yagi…wieso besitzt jemand wie du überhaupt Schamgefühl?“, fragte er, während ihnen Ectoplasm zusammen mit Kayama den Song raus suchte. „Das…ist etwas anderes“, erwiderte dieser leise, warf ihm einen zaghaften Seitenblick zu. „Das hier…ist…persönlicher…“ Aizawa konnte sich denken, was er damit meinte; hier war er nicht All Might. Diese Leute waren nicht irgendwelche Fremden, sondern ihre Kollegen…Freunde. Für jemanden, der bis vor einer Weile kein existentes Privatleben gehabt hatte, konnte das durchaus ein Grund zur Nervosität sein. „Dann gewöhn dich besser schon mal dran“, riet er ihm. „Die zwei lassen dich in Zukunft sicher ebenso wenig vom Haken wie mich…“ Das brachte Yagi doch zu einem wackligen Lächeln, welches auch schnell wieder verschwand, als Yamada ihnen die Mikrophone brachte und sie dann lauthals ankündigte. Direkt johlte das komplette Kollegium los, klatschte und feierte sie bereits, als hätten sie schon begonnen – was nicht der Fall war. Aizawa atmete durch, während er seine blutunterlaufenen Augen auf den Monitor vor ihnen richtete, auf dem gerade der Text eingeblendet wurde. Ausgerechnet so ein Song…er würde das Kayama irgendwie heimzahlen. Später. Er tauschte einen Blick mit Yagi, ehe sie begannen – und Aizawa für seinen Teil war froh, dass er nicht komplett nüchtern da durch musste. *kotoba no imi sae mo kokoro no okiba sae mo koe sae ushinattemo boku wa koko de utau darou koko kara hibike tooku Seine Wangen fühlten sich heißer an als noch zuvor und er hoffte, dass dies niemandem aufgrund der wechselnden, bunten Lichter auffiel. Der Text war zwar furchtbar schnulzig, aber beim Tempo kamen sie wirklich gut mit. Außerdem…empfand er Yagis tiefe Stimme als angenehm. Abermals machte sich dieses verräterische Kribbeln in seinen Wangen bemerkbar und er vermied es, dem anderen in die Augen zu sehen. Einfach stur auf den Monitor starren… (listen to it) yasashiku yuri okosu MERODI (listen to me) oto ni kawaru Zumindest ihre Kollegen schienen nichts seltsam daran zu finden, dass gerade zwei erwachsene Männer gemeinsam ein offensichtliches Liebeslied sangen, so laut wie sie sie anfeuerten. Er sah Kayama mit Yamada ihre Gläser heben, Kan wippte im Takt der Musik, den Arm um Cementoss geschlungen, und Ectoplasm trällerte lautstark mit. Aus den Augenwinkeln sah er kurz zu Yagi, welcher seine Pranken mit den langen Fingern um das Mikrophon gekrampft hatte und mit roten Wangen den Text verfolgte. Er sollte sich wirklich besser konzentrieren…und dieses viel zu schnelle Pochen in seiner Brust ignorieren… kotoba no imi sae mo toki to tomo ni itsuka wa usureteku mono dakara takusan no kokoro o tsunagu you ni hibike OUR SONG kimi to kimi ga omou kimi e Immerhin war es zu Ende. Nicht mal fünf Minuten und dennoch hatten sie sich länger angefühlt…vermutlich weil sie beide so bemüht waren, einander nicht anzusehen. Ein verfluchter Liebessong...und das in ihrer Situation. Unpassender ging es wirklich nicht. Allzu schrecklich schien ihre Darbietung allerdings nicht gewesen zu sein, wenn man die Reaktionen bedachte, die aus Pfeifen und Grölen bestand – nun gut, Betrunkenen sollte man nicht vertrauen. Apropos, er brauchte jetzt Bier… Sein Blick traf unweigerlich auf Yagis, woraufhin dieser verlegen lächelte…und es damit nicht besser machte. Nicht für Aizawa. Vielleicht sollten sie einfach früher gehen…und sich etwas Zeit füreinander nehmen. So war schließlich der Plan gewesen, nicht wahr? Dann sollten sie ihn allmählich auch umsetzen… Gesagt, getan…und während sich Yagi zuerst verabschiedete, damit nicht doch noch jemand falsche Schlüsse zog, rutschte Kayama neben ihn und Yamada auf seine freie Seite. Aizawa würde dem Blonden nach ein paar Minuten folgen, wie sie es zuvor besprochen hatten. Er musste nur irgendwie seine beiden Kletten und Kan, der schon wieder neues Bier orderte, abwimmeln. „Übrigens, Aizawa…“, begann Kayama mit einem trügerisch sanften Lächeln, das ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Ohne dass er Erasure einsetzen musste. Er warf ihr einen misstrauischen Blick zu, abwartend, was nun von ihr kommen würde. „…Yamada und ich wollten dich noch etwas fragen.“ Der Voice Hero stützte den Ellenbogen auf seiner Schulter ab, grinste ihn an und wackelte dabei mit seinen Brauen. „Right~“ „…und das wäre?“, fragte er argwöhnisch. „Oh, keine große Sache…wir dachten nur, dass du uns vielleicht aufklären möchtest“, meinte Kayama und zückte ihr Handy, um es ihm unter die Nase zu halten. Aizawa spürte, wie sein Herz für eine Sekunde auszusetzen schien, während er ungläubig auf das Foto schaute. Yagi und er. Aneinander gekuschelt und schlafend…in einem Bus. Der Ausflug zum Vergnügungspark, fiel es ihm siedend heiß ein…was bedeutete, dass einer der Schüler das Foto gemacht haben musste. Diese miesen, kleinen…! „Möchtest du uns was sagen?“ „Du hast doch sicher keine Geheimnisse vor deinen besten Freunden, hm?“ „…wer hat das Foto noch gesehen?“, brummte er anstelle einer Antwort. Kayama schob ihr Handy wieder in die Tasche, ehe sie mit den Schultern zuckte. „Vermutlich hat es die Runde gemacht, wenn auch eher bei den Schülern…also keine Sorge, die meisten finden es einfach zuckersüß, wie gut ihr euch versteht. Andere halten es für ein Versehen…“ „But we know better…“, fügte Yamada an und stützte sich noch mehr bei ihm ab. „So?“ „…deswegen habt ihr euch noch idiotischer als sonst aufgeführt?“, knurrte er bloß und funkelte vor allem Kayama an, welche abwehrend die Hände hob. „Wir wollten nur sehen, ob wir das Foto überbewerten oder nicht! Aber nun…so, wie du reagiert hast, brauchen wir eigentlich nicht mal eine Antwort~“ „Oh my god…und ich dachte, du kannst ihn nicht leiden. You liar, Aizawa!“ „Stell dir vor, wie es uns ging, als wir davon erfahren haben!“ Das durfte doch einfach nicht wahr sein…deswegen dieser Aufriss? Er wusste nicht mal, was er dazu sagen sollte. Tief atmete er durch, darauf bedacht, ihnen nicht die Köpfe abzureißen. Hätte er seine Capture Weapon dabei gehabt, hätte er die beiden damit stranguliert. „Ich habe nichts gesagt, weil es nichts zu sagen gibt“, zischte er ihnen zu. „Ach komm…das kannst du vielleicht jedem anderen erzählen, aber bestimmt nicht uns!“ „Kayama hat einen sechsten Sinn dafür, Bro…“ „Und so oft, wie ihr euch zu zweit trefft…“ „Ihr verbringt mehr Zeit miteinander als wir mit dir!“ „Abgesehen davon-“ „Also gut, ja verdammt!“, fuhr er ihnen verärgert dazwischen und die beiden grinsten triumphierend. „Ich werde trotzdem nichts dazu sagen. Das geht nur ihn und mich etwas an.“ „Aber-“ „Und es geht noch nicht lange. Deswegen will ich nicht, dass sich irgendjemand einmischt. Verstanden?“ Abrupt wurde es still zwischen ihnen. Für Aizawa unangenehm still…vor allem, da er begriff, warum sie plötzlich nicht mehr rumnervten. „Oh Gott, Aizawa…es ist dir ernst!“ „Das-“ „Oh buddy, we are so sorry!!“ “Rede verdammt noch mal leiser!“, raunzte er Yamada an, auch wenn keiner sonst auf sie achtete. „Sorry, sorry!“ „Wir dachten einfach, dass es…na ja…das Übliche ist und…oh~ das ist wirklich süß.“ „Ist es nicht.“ „Ist es doch!“, widersprach Kayama bestimmend. „Und wir werden euer Geheimnis für uns behalten! Jedenfalls bis du bereit bist, es uns in allen Einzelhalten zu erzählen!“ Da konnten sie lange drauf warten – erst recht nach dieser beschränkten Aktion. Es war nicht so, dass er sich für irgendetwas vor ihnen schämte. Mit solchen Freunden konnte man auf Dauer nicht prüde sein…aber es ging hier erstens nicht nur um ihn und zweitens war es ja wirklich noch ganz frisch. Wer wusste schon, was daraus werden würde…was er allerdings nie herausfinden würde, wenn er nicht endlich Yagi folgte. Nicht, dass dieser noch glaubte, er hätte ihn vergessen oder es sich anders überlegt. Tatsächlich schaffte er es danach recht schnell, sich loszueisen, auch wenn Kan ihm vorwarf, er würde auf diese Weise seiner Niederlage entgehen wollen. Aizawas Bemerkung, dass der Hauslehrer der 1-B den Sieg gern für sich verbuchen konnte, schien diesen nur mäßig zu besänftigen. Als er schließlich die Karaoke-Bar verließ, schlug ihm kühle Nachtluft entgegen. Aizawa spürte, wie sich der Alkohol wieder bemerkbar machte und ihm für einen Moment schwindelig wurde. Vielleicht hatte er doch das ein oder andere Bier zu viel gehabt… „Aizawa-kun?“ Yagi. Sicher. Er blickte in die blauen Augen, die trotz Dunkelheit unheimlich intensiv leuchteten und Besorgnis ausdrückten. Yagi machte sich immer viel zu viele Sorgen…aber das gehörte wohl zu ihm. Ebenso wie diese Freundlichkeit, die ihn dazu brachte, ihn stützen zu wollen. Soweit kam es noch…auch wenn er gegen Nähe an sich nichts einzuwenden hatte. Absolut nicht. „Lass uns gehen“, brummte er daher, woraufhin der andere nickte. Eine Weile schwiegen sie, während sie nebeneinander her gingen und die Geräuschkulisse langsam leiser wurde. Es war spät und fernab der Clubs und Bars wesentlich ruhiger, was Aizawa nur recht war. Zumal es ihm Zeit gab, seine Gedanken zu ordnen…sofern sein alkoholisiertes Hirn das zuließ. Sollte er Yagi von dem Gespräch erzählen? Vielleicht besser morgen…es änderte im Prinzip nichts…und er fühlte sich gerade zu müde für solch ein Thema. Wenn er ehrlich war, wusste er genau, was er gleich noch machen wollte. „Hey.“ Yagi sah ihn von der Seite her fragend an, als er die Stille plötzlich brach. „Wie stehst du zu Couch und Fernsehen?“ Der Gedanke, mit Yagi auf der Couch herumzulungern, in eine dicke Wolldecke gekuschelt und irgendeinen lahmen Film zu schauen, erschien ihm gerade verlockender als alles andere. Langweilig, ruhig…in einem Tempo, das für sie beide okay war. Alles andere ergab sich sowieso von selbst. Ohne Druck oder irgendwelche Erwartungen. „Das klingt ehrlich gesagt sehr gut“, antwortete Yagi mit einem sanften Lächeln. „Hmhm…“, machte er zustimmend. „Mit Tee…“ „…und einer Wolldecke.“ „Ich glaube, ich habe eine, die groß genug für uns beide ist.“ Aizawa blickte auf, wobei er sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte; glücklicherweise schien Yagi zu den wenigen Menschen zu gehören, die bei seinem Grinsen keine Panik bekamen. Jedenfalls lächelte er immer noch. „Ich sehe, wir verstehen uns.“ Daraufhin schmunzelte der blonde Hüne bloß, nickte zustimmend. Ja, er würde ihm morgen davon erzählen, das war definitiv besser. Kein Grund, den anderen nervös zu machen, wo dieser gerade ungewöhnlich entspannt wirkte. Vielleicht wirkten der Karaoke-Auftritt und das Resultat, dass sich nichts wegen dieses dummen Liebessongs zwischen ihnen verändert hatte, ja beruhigend auf Yagis Nerven? Was es auch war…es gefiel ihm. Und was ihm ebenfalls gefiel, war die große, warme Hand, die sich gerade um seine eigene schloss. Kapitel 5: Presence ------------------- Es war eine dieser Nächte, in denen er wach lag, weil sich seine Gedanken weigerten, ihn zur Ruhe kommen zu lassen. Zu viel ging ihm durch den Kopf...die Ausbildung der Schüler, allen voran Midoriya, der sein Nachfolger war. Also hatte er seine Notizen mit ins Bett genommen und diese im Schein der Nachttischlampe solange durchgekaut, bis seine Lider schwerer wurden. Ein neuer Versuch, Schlaf zu finden, scheiterte letztendlich genauso. Unterbrochen von Gedanken an All For One und das, was er über Shigaraki…nein, Shimura Tenko gesagt hatte. Obwohl er für sich die Entscheidung getroffen hatte, ihn als Schurken zu sehen, wusste er nicht, ob er dies wirklich in die Tat umsetzen konnte. Es hätte Nana das Herz gebrochen, zu wissen, dass ihr Enkel solch einen Weg eingeschlagen hatte…dass er unter ihrem Mörder zu einer Bedrohung geworden war. Dieses Thema kam häufig in ihm hoch, auch wenn er mit niemandem darüber sprach. Nicht, seitdem er mit Tsukauchi und Gran Torino beschlossen hatte, was zu tun war…nicht seit dem Gespräch mit All For One in Tartarus. Die Entscheidung war gefallen…nur konnte er sich nicht damit abfinden. Ob er die Situation in seinem Kopf Revue passieren ließ oder sein Zwiespalt in Albträumen wiederkehrte – er konnte dem nicht entkommen. Jedenfalls nicht dauerhaft. Einige, wenige Male hatte er überlegt, sich Aizawa mitzuteilen, es im Endeffekt aber wieder verworfen. Er wollte ihre seltenen Treffen, bei denen sie ausnahmsweise etwas Freizeit teilten, nicht mit so etwas belasten. Schließlich war er nervös genug, wann immer sie sich näher kamen…und er wollte Aizawa zeigen, dass er an sich arbeitete. Dass er sich bemühte, seine zahlreichen Befürchtungen und Selbstzweifel abzustellen, die angeblich nicht nötig waren. Dennoch war er die letzte Woche gespannt wie eine Bogensehne gewesen, wann immer sich Bakugou in seiner Sichtweite aufgehalten hatte. Allerdings war der Junge gewohnt mürrisch gewesen, hatte nicht erkennen lassen, ob er nun etwas in die unangenehme Situation hineininterpretiert hatte oder nicht. Aizawa hatte gemeint, sie sollten es damit auf sich beruhen lassen und so war es vermutlich auch am besten. Bakugous Blick war schließlich immer stechend, seine Worte scharf und von einer gewissen Aggression geprägt. Er drehte sich auf die Seite, die nicht von einer riesigen Narbe gezeichnet war, und schaute zu den leuchtend roten Ziffern der Digitaluhr. 01:13. Das würde er morgen beim Unterrichten bereuen, weswegen er erneut alles auszublenden versuchte. Schlaf war wichtig. Tief atmete er durch, schloss die Augen dann wieder und fiel nach einer Weile endlich in einen einigermaßen ruhigen Schlaf… …zumindest, bis ihn ein leises Geräusch, das er nicht direkt zuordnen konnte, aus diesem riss. Er blinzelte in die Dunkelheit, sah verschwommen die Zahlen der Uhr. 03:07. Das orientierungslose Gefühl wandelte sich schnell in Alarmbereitschaft um, schließlich waren seine Instinkte nicht plötzlich verschwunden, nur weil er One For All nicht mehr in sich trug. Er blieb still, während er auf weitere, verdächtige Geräusche horchte. Da war es wieder. Eine Art Schlurfen. Ein leises Klappern. Jemand war hier. In seiner Wohnung, die sich auf dem Gelände der U.A. befand. Seitdem Nezu seine Bedenken geäußert hatte, dass jemand aus ihren Reihen ein Verräter sein könnte, lebten mittlerweile auch die Lehrkräfte in den Gebäudekomplexen der Schule. Aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen konnten Fremde von außen eigentlich nicht eindringen…und es wäre leichtsinnig für einen Schurken, dort einzubrechen, wo sich einige der bekanntesten Pro-Heroes aufhielten. Oder…befand sich der unbekannte Verräter in seiner Wohnung? Eigentlich wollte er weder Schülern, noch Kollegen misstrauen, aber Nezu hatte Recht; es musste irgendwo ein Leck geben. So geräuschlos wie er konnte, schlug er die Decke zurück und erhob sich, wobei die Matratze seines Kingsize Bettes nicht mal knarzte. Nicht verwunderlich, wenn man bedachte, dass seine Betten in seinen besten Zeiten über 250 Kilogramm hatten aushalten müssen. Der Laminatboden unter seinen nackten Füßen fühlte sich kalt an, als er im Dunkeln durch sein Schlafzimmer schlich, die angelehnte Tür öffnete und auf den Flur trat. Ein leises Klappern sagte ihm, dass sich der Einbrecher in der Küche aufhalten musste…war er hier, um Informationen zu sammeln? Unterschätzte man ihn, nun, da er zurückgetreten war? Seines hageren Aussehens wegen? Er mochte keine Bärenstärke mehr besitzen, aber vollkommen wehrlos war er nicht. Technik und Reflexe waren nach wie vor vorhanden, er würde sich eine Weile behaupten können, es dem Fremden nicht leicht machen. Tief atmete er durch, sammelte sich, ehe er langsam Richtung Küche ging, aus welcher er ein erbostes Zischen vernahm. Yagi spannte sich an, drückte sich an den Türrahmen und…warf einen Blick hinein, nur um beinahe einen Schwall Blut zu spucken. Der Einbrecher saß an seinem Esstisch, wobei er ein Bein angewinkelt hatte und dieses auf der Sitzfläche des Stuhls abstützte. Der Erste-Hilfe-Koffer lag auf dem Tisch, zur Hälfte ausgeräumt und die Utensilien verstreut, während er damit beschäftigt war, seinen linken Oberarm mehr schlecht als recht zu verbinden. Blut hatte Haut und Bandagen rot gefärbt, fing zuerst seine Aufmerksamkeit ein, bis ihm bewusst wurde, dass der Mann mit freiem Oberkörper da saß. Mit einem muskulösen, nicht zu breitem Torso, auf dessen Haut sich ebenso viele Narben befanden, wie an den Armen. Die wilde, dunkle Mähne fiel ihm bis über die Schultern und in die Stirn, während er sich konzentriert und…kauend verarztete. Yagi erfasste eines der Onigiri, die er für die nächsten Tage zubereitet hatte und das nun zwischen den Lippen des Mannes steckte. Die dazugehörige, halb leere Bento-Box lag ebenfalls auf dem Tisch. „Ai-Aizawa-kun?!“, entfuhr es ihm fassungslos, woraufhin der Underground-Hero innehielt. Beinahe wäre ihm das Onigiri aus dem Mund gefallen, so ruckartig wie er den Kopf hob und ihn durch den Haarvorhang aus seinen blutunterlaufenen Augen fixierte. Dieselbe Ungläubigkeit, die wohl auch in seinem eigenen Gesicht geschrieben stand, breitete sich in Aizawas Mimik aus, als er in die Küche trat. Eine Braue zuckte merklich, während er ihn von Kopf bis Fuß musterte. Bleierne Stille. Aizawa erinnerte ihn, so wie er dort saß und das Onigiri im Mund hielt, unweigerlich an eine streunende Katze, die eine Maus erbeutet hatte. Schließlich ließ dieser die Bandage los, woraufhin sie ihm vom Arm rutschte, doch er ignorierte es, nahm stattdessen das Reisbällchen in die Hand und schluckte den Bissen nach kurzem Kauen herunter. „…“ „…“ „Aizawa-kun…wie bist du…?“ „Durchs Fenster.“ „…“ „Im Wohnzimmer. Es stand offen.“ „Oh…“ Abermals sagte keiner von ihnen etwas, sodass sie einander nur abwartend in die Augen schauten. Erklärte ein offenes Fenster, warum Aizawa bei ihm eingebrochen war? Sollte er wütend sein? Nun, Wut war das Letzte, das er fühlte, schließlich war ihm der andere stets willkommen…vielleicht wäre ein Anruf und das Benutzen der Tür schöner gewesen, aber… „Du bist verletzt?“, erkundigte er sich anstatt eines Vorwurfs besorgt und trat näher. Aizawa warf einen Blick zu seinem blutigen Arm, während sich Yagi einen Stuhl heranzog und sich neben ihm niederließ. „Nur ein Kratzer“, brummte der Jüngere. „Wollte dich deswegen nicht wecken.“ „Uhm…weißt du, es ist schwierig, nicht wach zu werden…wenn man denkt, jemand Fremdes ist in der Wohnung…“, kam es zögerlich und mit einem schiefen Lächeln von ihm. Aizawa blinzelte, schien für einen Moment aus dem Konzept gebracht. Er wirkte, wie sehr oft, übermüdet, was um diese Uhrzeit kein Wunder sein sollte. „…stimmt wohl.“ Yagis Lächeln wurde eine Spur wärmer, dann nahm er sich einen frischen Verband vom Tisch und bedeutete dem anderen, ihn dies machen zu lassen. Der Underground-Hero gehorchte kommentarlos, ließ ihn die Stichverletzung begutachten – desinfiziert hatte er sie dem Geruch nach bereits. Sie schien nicht allzu tief zu sein, aber sie blutete immer noch, wenn auch nicht stark, weswegen er ein feuchtes Tuch nahm und die Haut säuberte, ehe er ein trockenes gegen die Wunde presste. „Was ist passiert?“, fragte er, ohne aufzusehen. Er wollte nicht zu offensichtlich Aizawas blanken Oberkörper anstarren, auch wenn das nicht leicht war. Sein Blick heftete sich auf die wenigen, dunklen Haare, die sich in einem schmalen Streifen vom Bund der Hose bis zum Bauchnabel zogen und die er ebenso auf der Brust hatte. Seine Wangen röteten sich unweigerlich, sodass er sich wieder auf die Wunde fixierte. „Hn“, kam es von dem Jüngeren, der immer noch das angebissene Onigiri hielt. „Schätze, mir ist die Situation kurzzeitig entglitten. Bei mehreren Gegnern kann das schnell passieren.“ Yagi fragte nicht weiter nach, nickte bloß und legte das Tuch beiseite, um den Verband anzulegen. Aizawas Fähigkeit war an sich zwar eine sehr nützliche, wie er fand, doch es wurde schwieriger, wenn die Gegner in der Überzahl waren. Er erinnerte sich daran, was die Schüler nach dem Vorfall im USJ erzählt hatten…und was er selbst bei seiner Ankunft gesehen hatte. Es musste ein steiniger Weg gewesen sein, die fehlende physische Stärke auszugleichen, um so weit zu kommen. „…was ist?“ Er zuckte zusammen, blickte direkt in die stechenden, dunklen Augen des anderen. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie nah sie sich waren. Abermals spürte er seine Wangen brennen, versuchte daher, weiter im Gespräch zu bleiben, um dies zu überspielen. „Uhm…nichts, nur…es…ist gut, dass nichts Schlimmeres passiert ist…“ „Ja“, brummte Aizawa nur, ehe er in das Onigiri biss. „Sorry noch mal fürs Wecken.“ „Ach, schon in Ordnung. Du…weißt, dass du immer zu mir kommen kannst.“ „Hm.“ „Und…ich habe sowieso einen…na ja, ich schlafe schlecht. Also…generell…oft jedenfalls, aber…wie auch immer, es ist nicht wichtig. Du bekommst ja auch wenig Schlaf und…schon gut. Es-“ „Yagi.“ Er hielt in seinem Gestammel inne, die großen Hände blieben still und er schaute Aizawa an, der ihm ernst entgegen sah. Auf einmal wirkte er gar nicht mehr so müde, sah man von den kleinen roten Äderchen ab, die sich durch das Weiß seiner Augen zogen; vermutlich hatte er Erasure zu oft einsetzen müssen. „Wieso schläfst du schlecht?“ Verunsichert sah er ihn an und obwohl die Frage so einfach war, brauchte er Zeit, um darauf zu antworten. Hatte er nicht genau das nicht gewollt? Aizawas Rat würde vermutlich derselbe sein, den er auch von Gran Torino und Tsukauchi bekommen hatte. Er selbst machte sich Stress, indem er sich damit auseinandersetzte, ohne dass er im Moment etwas tun konnte. „Ich…da sind viele Dinge…“, gab er leise zu und senkte den Blick wieder. Aus den Augenwinkeln bemerkte er Aizawas Nicken. „Erzähl mir davon.“ Oh. Er wollte es also wirklich hören…schließlich konnte er sich nicht vorstellen, dass der andere aus Höflichkeit fragte. Das passte nicht zu ihm. Er befestigte den Verband, fokussierte sich darauf, während er sprach. „Meistens ist es…All For One…ich höre seine Stimme in meinem Kopf. Das, was er damals zu mir gesagt hat…es lässt mir keine Ruhe…“ Ihm wurde plötzlich bewusst, dass Aizawa keine Ahnung haben konnte, wovon er redete. Er hatte mit kaum jemandem darüber gesprochen. Er machte einen letzten Knoten, ließ seine Hände in den Schoß sinken. „Shigaraki Tomura…ist der…Enkel meiner verstorbenen Meisterin“, fuhr er fort und es laut zu sagen, schmerzte ihn. „Es…All For One benutzt ihn absichtlich, um mich zu brechen. Um meinen…Glauben an das Gute zu erschüttern…und…ich weiß, was Shigaraki alles Schreckliches getan hat. Das im USJ…was er mit den Kindern vorhatte. Er hat Bakugou entführt…und…Gott, ich weiß, was er dir angetan hat, Aizawa-kun, und das werde ich ihm nie vergeben, aber ich…er…“ Er zuckte zusammen, als sich Aizawas freie Hand auf seinen Unterarm legte. Warm und beruhigend. „Du willst ihn dennoch retten.“ Yagi fühlte sich plötzlich sehr erschöpft, denn es zu hören, machte es noch realer. Tsukauchi und Gran Torino hatten gemeint, dass man ihn nicht retten konnte. Ein Schurke, der bereits Verbrechen begangen hatte…und ja, sie hatten Recht. Trotzdem… „Ein…Teil von mir kann das nicht…so einfach akzeptieren“, wisperte er und blickte vor sich hin. „Ich…Nana war wie eine Mutter für mich…durch sie…und All For One hat sie umgebracht. Er hat sie mir genommen…und ihr Vermächtnis in die Finsternis gezogen…es ist schwer für mich, Shigaraki nur als Bösewicht zu sehen. Trotz seiner schrecklichen Taten…und ja, er muss aufgehalten werden, aber…“ „Du musst dich nicht dafür rechtfertigen.“ Irritiert blickte er auf, verstand nicht, wie Aizawa das so sagen konnte. Nach allem, was er wegen Shigaraki durchgemacht hatte… „Du wärst seinetwegen beinahe gestorben“, entwich es ihm und er schmeckte das Blut in seinem Hals. „Asui wäre beinahe…“ Aizawa zuckte mit der unverletzten Schulter, blickte ihn weiterhin mit dieser Ruhe an, die er nicht nachvollziehen konnte. „Nun, ich lebe, Asui lebt…und du kannst diese Gefühle nicht einfach abstellen. Niemand kann das…selbst All Might nicht.“ Obwohl Aizawas Mundwinkel leicht zuckten, er den seichten Spott in seiner Stimme vernahm, wollte die Erleichterung nicht kommen. Er fühlte sich schlecht dabei, Shigaraki als jemanden zu sehen, der möglicherweise ein Opfer von All For One war…aber er kam auch nicht dagegen an. „Ich könnte dir jetzt sagen, dass es nicht richtig ist und dir damit ein schlechtes Gewissen machen. Du kannst mir versprechen, was du willst…aber wenn es soweit ist, entscheidest du, was passiert.“ Yagi presste die dünnen Lippen fest aufeinander, spürte seine Narbe pochen, wie immer, wenn er über diese Themen nachdachte. Es war ein furchtbares Gefühl, so erschüttert zu sein…denn das war er. Den Schock hatte er noch lange nicht verarbeitet, vielleicht würde er das nie können. Er stockte, als sich eine warme Stirn gegen seine lehnte und er blickte in Aizawas dunkle Augen. So nahe, dass er seinen Atem spüren konnte, seinen Geruch noch präsenter wahrnahm. Plötzlich war nur noch das intensive Pochen in seiner Brust von Bedeutung…auch wenn die finsteren Gedanken wiederkommen würden. Das taten sie jedes Mal. „Es ist in Ordnung.“ Die Worte waren wie Balsam für seine Seele und für einen Moment schloss er die Augen, wollte sich einfach nur darauf einlassen. Sein innerer Kampf kam zum Erliegen, wenn auch bloß für ein paar Nächte…er glaubte nicht, dass er auf Dauer akzeptieren konnte, was er in Bezug auf Shigaraki fühlte. Es war ein schmerzhafter Prozess und All For One hatte das genau gewusst, ihn deshalb auf diese grausame Weise verletzt. Trotzdem…tat es so unheimlich gut, Verständnis zu bekommen. „…das ausgerechnet von dir zu hören“, murmelte er und hob die Lider ein Stück. „Du bist nicht gerade der Typ für freundliche Worte, Aizawa-kun…“ Der andere schnaubte daraufhin. „Mag sein“, erwiderte er und löste sich von ihm, um den Rest des Onigiri zu verspeisen. „Hmpf…wie du weißt, halte ich aber auch nichts von unrealistischen Vorstellungen. Sich selbst zu belügen, gehört dazu.“ Yagi musste schmunzeln, obwohl ihm die Bitterkeit der ganzen Angelegenheit noch in den Knochen steckte. „Das…klingt schon eher nach dir.“ Aizawa nahm es still zur Kenntnis, leckte sich die Finger ab, ehe er einen Blick auf die Uhr über der Küchentür warf und eine Braue hob. Kein Wunder, schließlich war es schon vier Uhr und sie mussten in spätestens drei Stunden aufstehen. Wie kam Aizawa bloß mit so wenig Schlaf dauerhaft aus? „Ich würde vorschlagen, dass ich kurz dein Bad benutze und wir dann schlafen gehen.“ Yagi hatte darauf gehofft, musste unweigerlich an die Nacht nach dem Karaoke-Abend denken. Sie waren ineinander verschlungen auf der Couch eingeschlafen – und zumindest der Hüne erinnerte sich noch an die Rückenschmerzen. Nun, die waren es wert gewesen. Auch wenn es beim Küssen und Berührungen oberhalb der Gürtellinie geblieben war. Langsame Schritte. Das war gut, denn es überforderte ihn nicht. „Ach übrigens…“ Yagi runzelte die Stirn, als der Underground-Hero noch einmal innehielt und ihn über seine Schulter hinweg anfunkelte. „…ich habe nichts dagegen, wenn dieser furchtbare Pyjama gleich verschwunden ist.“ „Uhm…furchtbar?“ Er neigte den Kopf, wobei ihm seine blonden Strähnen ins Gesicht fielen, ehe er einen Blick an sich herunterwarf. Die rot-weiß gestreifte Stoffhose war ebenso ein Andenken an seine Zeit in Amerika, wie das blaue, langärmlige Hemd, auf welches weiße Sterne, sowie ein Adler aufgedruckt waren. Beides war ihm mittlerweile ein paar Nummern zu groß, doch immerhin war es bequem. Deswegen also der ungläubige Blick vorhin…bevor er sich allerdings dazu äußern konnte, war Aizawa schon im Bad verschwunden. Hm… Letztendlich ließ er den Pyjama an, wobei das auch daran lag, dass er nicht sicher war, ob Aizawa ihn bloß aufziehen wollte, um die Stimmung aufzulockern, oder…ihm schoss die Röte in die Wangen. Er hustete ein paar Mal, schmeckte wieder den eisenhaltigen Geschmack in seinem Mund. Oh Gott, das meinte er sicher nicht…oder? Er zog die Bettdecke bis über die Nase, sah leidend an die Decke. Er wusste nicht mal, ob er das konnte. Langsames Tempo, hallte es in seinem Kopf wieder, auch wenn es ihn nur mäßig beruhigte. Im Dunkeln sollte Aizawa sein Pyjama wohl kaum so sehr stören…oder hatte er ihn missverstanden? Vielleicht würde er die Nacht auch auf der Couch verbringen? Zumal Aizawa länger als erwartet brauchte…lag er möglicherweise im Wohnzimmer und dämmerte bereits weg? Sollte er nachschauen? Enttäuschung machte sich in ihm breit, auch wenn er versuchte, diese zu verdrängen. Seine eigene Unsicherheit war manchmal wie ein Fluch…hatte er Aizawa mit seiner Reaktion zuvor irgendwie signalisiert, dass es ihm zu viel war? Hatte er ihn abgewiesen? War es der Pyjama? Er fuhr heftig zusammen, als die Tür aufging und sich die dunkle Silhouette des anderen durch diese schob. Das einzige, sehr spärliche Licht kam von der Digitalanzeige, 04:21, und von draußen, da die Rollos nicht vollkommen heruntergelassen waren. Es reichte jedoch aus, etwas Entscheidendes zu erkennen…und dies ließ Yagi erneut Blut in seinem Mund schmecken. Oh Gott. Aizawa bewegte sich überraschend zielstrebig durchs Zimmer, ehe er sich auf der freien Seite des großen Bettes niederließ…und unter seine Decke rutschte. „Ich…du hättest…etwas sagen können“, stammelte Yagi. „Ich…hätte sicher noch…einen Pyjama…und…also…das…“ „Ich schlafe immer nackt.“ „Oh…“ „Wenn es dich stört, bleibe ich auf meiner Seite.“ Als ob stören hier das richtige Wort war, bestimmt nicht. Abgesehen davon, dass Aizawas Freizügigkeit ihn nervös machte, wurde ihm bewusst, dass dieser tatsächlich gemeint hatte, was Yagi glaubte, das er meinte. „Nein, es ist nur…uhm…ungewohnt?“ „Ah.“ Kurz herrschte Stille. Dann folgte das Raschen der Bettdecke und Aizawas nackter Körper schmiegte sich an seine Seite. Obwohl es seine empfindliche, vernarbte Seite war, schmerzte ihn die Berührung nicht. Brummend vergrub der Jüngere das Gesicht an seinem Hals, machte es sich bequem…und das kannte Yagi noch vom letzten Mal. Auch wenn da mehr Kleidung zwischen ihnen gewesen war – von Aizawas Seite aus. Tief durchatmen. Wer hätte gedacht, dass jemand wie Aizawa gerne kuschelte… „Außerdem muss meine Kleidung trocknen“, nuschelte dieser und klang so, als befände er sich schon im Halbschlaf. Deswegen hatte er also länger gebraucht…und Yagi fiel auf, dass seine Haare feucht waren und er nach seiner Seife roch. Erst zögerte er, doch dann überwand er sich, legte seinen knochigen Arm um den anderen, der sich ungeniert an ihn schmiegte. Wieso machte er sich eigentlich so viele Gedanken? Jedes Mal von neuem… „Yagi.“ „Mh?“ „...du musst nichts tun, was du nicht willst.“ „Ja…ich weiß…“ „…soll ich mir was anziehen?“ „Eh…nein. Das musst du nicht.“ „Hm.“ Abermals verfielen sie in Schweigen und anhand der ruhigen Atemzüge des anderen, war Yagi nicht sicher, ob er nicht bereits schlief. Sie waren einander so nahe, dass ihn bei der ungewohnten und sehr intimen Geborgenheit eine Gänsehaut überkam. Eines beschäftigte ihn dennoch, nur wusste er nicht, wie und ob er es zur Sprache bringen sollte. „…Aizawa-kun?“ „Hm…“ „Nicht, dass ich…ich bin froh, dass du da bist, aber…wieso…? Du wohnst praktisch…nebenan.“ „…“ „…“ „Mein Kühlschrank ist leer.“ „Oh…verstehe.“ Was hatte er erwartet? Die Frage war ihm mit einem Mal sehr unangenehm und er wünschte, er hätte sie nicht gestellt. Aizawa unterrichtete tagsüber und patrouillierte in der Nacht als Held, demnach hatte er kaum Zeit für irgendetwas anderes. Natürlich war es naheliegend, dass er zu ihm kam…eine praktische Entscheidung. Vor allem, da Aizawa keine kulinarischen Vorlieben zu haben schien, wenn er dessen Vorrat an Flüssignahrung in Betracht zog. Onigiri waren simpel, aber sie erfüllten ihren Zweck, den Magen zu füllen. „…außerdem schlafe ich in deiner Gesellschaft besser.“ Yagi spürte, wie die Scham der Wärme wich, die Aizawas Worte in ihm auslösten. In seiner Gesellschaft schlief er besser. Nicht in irgendjemandes…und dieser kleine Unterschied machte viel aus, jedenfalls für ihn. Sanft streichelte er dem anderen über den Rücken, genoss die Nähe, die sie teilten, während er den regelmäßiger werdenden, leisen Atemzügen lauschte. Er fühlte, wie seine eigenen Lider schwerer wurden und in seinem Inneren eine Ruhe einkehrte, die alle negativen Gedanken ausbremste. Die verbliebenen Stunden schlief er durch. Kapitel 6: Definition --------------------- Eigentlich hätte Aizawa es wissen müssen. Ruhestand hin oder her, der Mann hatte nicht nur jahrelang den Frieden symbolisiert, sondern auch Amerika. Texas Smash. United States Smash…und von seiner Wohnung fing er besser gar nicht erst an. Für jemanden wie ihn, der absichtlich am Existenzminimum lebte, war wohl jede normale Einrichtung mit überflüssigem Schnickschnack zugemüllt, aber bei Yagi Toshinori übertrieb er ausnahmsweise mal nicht. Der USA-Pyjama hatte sich in seine ohnehin schon beschädigte Netzhaut gebrannt…gut, jedem das seine. Dennoch, als Yagi gemeint hatte, dass er ihn mit seinem Wagen abholen würde, hatte er nicht unbedingt mit einem roten Oldtimer gerechnet. Aizawa interessierte sich für Autos ungefähr so sehr, wie für den neusten Klatsch der Medien – also absolut gar nicht. Er besaß nicht einmal einen Führerschein, hatte nie die Notwendigkeit dafür gesehen, und selbst wenn er einen gehabt hätte, hätte er sich wohl irgendeine Schrottkiste besorgt, die den Zweck erfüllte. So lebte er. Minimum. Yagis Auto war nicht nur typisch amerikanisch, sondern ebenso auffällig. Gerade in Japan fiel man mit solch einem Fahrzeug auf, das war sogar ihm klar, auch wenn er, anhand des abblätternden Lacks und den zerkratzten Scheiben vermutete, dass er den Wagen schon länger besitzen musste. Oder kaufte man derartige Fahrzeuge in einem solchen Zustand? Yagi lächelte ihm aus dem offenen Fenster entgegen, eine Hand zum Gruß gehoben, während sich Aizawa keinen Schritt bewegte, sondern erst den Wagen und dann ihn anstarrte. Sein Ernst. Definitiv. Ein Seufzen unterdrückend ging er um den Wagen herum und öffnete den Kofferraum, in dem sich zwei Reisetaschen befanden – von denen die eine dunkelblau und die andere rot-weiß gestreift war. Aizawas Braue zuckte, ehe er seine eigene schwarze Reisetasche hineinpackte und den zusammengerollten, gelben Schlafsack dazwischen quetschte. Nachdem er den Kofferraum geschlossen hatte, setzte er sich zu Yagi auf den mit dunkelbraunem Leder überzogenen Beifahrersitz. „Guten Morgen, Aizawa-kun!“, begrüßte ihn der andere freundlich über den knirschenden Radio-Sound hinweg. „Morgen…“, brummte er mit weniger Enthusiasmus zurück. Wobei dies nicht unbedingt an Yagis Auto oder seiner Vorliebe für alles Amerikanische lag, sondern vielmehr an dem Grund für ihre gemeinsame, mindestens zweistündige Fahrt. Warum hatte er sich nicht irgendeinen Vorwand ausgedacht, um dem zu entgehen? Er war eindeutig die falsche Person für das, was ihnen beiden bevorstand, und noch immer fragte er sich, was sich Nezu dabei gedacht hatte. Bisher hatte er ihn nie dafür ausgewählt, die Schule zu repräsentieren, was wahrscheinlich daran lag, dass jedem bekannt war, wie sehr er die Medien verabscheute. Nun, er hatte sich bei der letzten Pressekonferenz zusammengerissen, sich nicht provozieren lassen und einen guten Eindruck hinterlassen…Mist. Da hatte er seinen Grund. Er hatte sich zu vorbildlich verhalten. Ein leises Glucksen ließ ihn innehalten, den Blick irritiert zu Yagi schwenken. „…was?“, fragte er missgelaunt, woraufhin sich der Blonde räusperte. „Uhm…entschuldige, es ist nur…es ist ungewohnt…“ Was genau war ungewohnt? Seine Kleidung? Da es sich um eine offizielle Dienstreise handelte, hatte er auf seinen Jumpsuit verzichten müssen, weswegen er nun in weißem Hemd und schwarzer Anzughose, sowie gleichfarbiger Krawatte neben Yagi saß. Seine Mähne hatte er zumindest halb in einem Dutt gebändigt und um die Rasur war er ebenfalls nicht drum herum gekommen. Vermutlich ging es um Letzteres, denn so glatt rasiert hatte Yagi ihn bislang bloß im Fernsehen gesehen. „…komm auf den Punkt“, forderte er ihn trocken auf. „Ich meine…du siehst völlig anders aus…jünger…und wenn du so finster guckst, erinnerst du mich an…na ja, an…Bakugou-shonen…irgendwie…“ Aizawa starrte ihn an. Er spürte erneut seine Braue zucken, was normalerweise das Ende seiner Geduld ankündigte…doch wenn er deswegen explodierte, wäre der Vergleich mit Bakugou noch treffender. Noch…treffender…arg! Er schnaubte leise, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte stur geradeaus. „Fahr einfach los.“ Yagi lächelte noch immer, als er den Zündschlüssel herumdrehte und den Motor startete, woraufhin das ganze Auto zu vibrieren schien. Leise war das Höllengefährt also auch nicht…und vermutlich würde er jede Bodenwelle spüren… „Geht es Vlad Kings Bulldogge eigentlich besser?“ Aizawa blinzelte, als er die Frage vernahm, wobei er den Kopf von der Fensterscheibe löste und seinen Blick zu Yagi wandern ließ. Richtig. Kans kranke Bulldogge war der Grund dafür, dass der Klassenlehrer der 1-B verhindert war und sie Yagi hatten einspringen lassen. Vielleicht hätte er selbst einfach eine angefahrene Katze als Ausrede vorschieben sollen, andererseits hätte Nezu ihm das sicherlich nicht abgekauft. Davon abgesehen…wann hatten Yagi und er schon mal Gelegenheit, so viel Zeit miteinander zu verbringen, ohne dass es verdächtig wirkte oder dass sie an irgendein Limit gebunden waren? Zwar mussten sie während der Tagung anwesend sein und ihre Beiträge zur Entwicklung und Ausbildung angehender Helden leisten, doch die freien Stunden konnten sie nutzen, wie sie wollten. Der Gedanke rückte ihren unfreiwilligen Ausflug in ein gänzlich anderes Licht, das Aizawa durchaus gefallen könnte…aber zurück zur Frage. „Vermutlich hat der Hund bloß was Falsches gefressen“, brummte er und zuckte mit den Schultern. Jedenfalls würde das erklären, warum das Tier seinen kompletten Mageninhalt in Kans Wohnung verteilt hatte – was dieser ihnen in allen Einzelheiten mitgeteilt hatte. Wieso fraßen Hunde auch alles, was ihnen vor die Schnauze kam? Katzen würden diesen Fehler nicht begehen, dafür waren sie viel zu wählerisch. „Ja…vermutlich…“, murmelte Yagi neben ihm, während er auf die Straße sah. Aizawa blickte ebenfalls wieder nach vorn, wobei er ihn jedoch aus den Augenwinkeln musterte. Der Ältere hatte sich ebenfalls formelle Kleidung angezogen, weißes Hemd, dunkelblauer Anzug und dazu eine gleichfarbige, mit kleinen Karos gemusterte Krawatte. Die blonden Haare standen wie immer vom Kopf ab, als hätte er in eine Steckdose gefasst; Aizawa musste unweigerlich daran denken, wie weich sie sich im Nacken anfühlten, wenn er die Finger hineingrub. Das würde er später tun, wenn sie allein waren – schon um diese miese Begrüßung wiedergutzumachen. „Wo kommt der Wagen her?“, lenkte er das Gespräch auf ein anderes Thema. Yagi hielt kurz inne, sah ihn überrascht an; anscheinend hatte er nicht mit seinem Interesse gerechnet. Zugegeben, die Karre war Aizawa egal, aber möglicherweise verband der Ältere etwas damit. Dinge, die Yagi betrafen, interessierten ihn sehr wohl. Er wusste es zu schätzen, was dieser ihm in Bezug auf All For One und Shigaraki anvertraut hatte. „Oh...also, das ist meiner“, kam die zögerliche Antwort, ehe ein verlegenes Lachen folgte. „Habe ich mir damals in California zugelegt…ich weiß, er ist…na ja…nicht gerade dezent…aber ich wollte immer so einen haben. Einen Gran Torino…auch wenn es ein bisschen ironisch wegen Sensei war…“ Aizawa schnaubte bloß; dezent konnte man das Teil wirklich nicht nennen, aber was war an All Might überhaupt dezent gewesen? Ebenso wie die Sache mit Gran Torino…nun, passte mittlerweile, schließlich war auch Yagis Lehrmeister inzwischen ein Oldtimer. „Dave und ich haben mit dem Auto die beste Zeit unseres Lebens gehabt…“, sinnierte der Blonde neben ihm weiter. „…Dave?“, hakte Aizawa nach und Yagi errötete. „Oh, uhm…es ist nicht, was du vielleicht denkst, also ich meine, nicht, dass wir…ich meine, das Auto hat uns überall hingebracht, nichts weiter! Dave war mein Sidekick…und mein bester Freund, kann man sagen. Er ist Wissenschaftler und…vielleicht hast du ja schon von ihm gehört? Er heißt David Shield…uhm, jedenfalls…der Wagen ist für mich eine nostalgische Erinnerung an meine besten Zeiten…“ Aizawa fragte sich, was Yagi dachte, was er dachte…dass er in diesen Dave verschossen gewesen war oder dass sie mit dem Gran Torino Frauen aufgerissen hatten? Nicht, dass er dem anderen etwas unterstellen wollte und selbst wenn es so gewesen war – das war Vergangenheit und ging ihn nichts an. Kein Grund, einen halben Herzinfarkt heraufzubeschwören. „Du musst dich nicht rechtfertigen“, brummte er, was Yagi schief lächeln ließ. „Ist wohl eine Angewohnheit von mir…entschuldige.“ So wie die, sich für alles zu entschuldigen, doch er wies ihn nicht daraufhin. Aizawa war sich bewusst, dass er selbst mehr als genügend eigene Macken hatte – das war ein Grund, wegen dem er Beziehungen in der Regel nichts abgewinnen konnte. Man richtete sich zu sehr nach dem Partner, musste Kompromisse eingehen…etwas, das mit seinem Lebensstil nicht vereinbar war. Wenn er ehrlich war, hatte er damit gerechnet, dass sich Yagi bereits nach den ersten Tagen zurückziehen würde. Nur weil sie sich privat trafen, wurde aus ihm nicht plötzlich ein anderer Mensch und sie beide waren so grundverschieden, wie nur irgendwie möglich. Aizawa hätte es verstanden. Hätte er wirklich. Ohne eine Szene oder dergleichen zu machen. Sie standen ganz am Anfang, noch konnten sie einfache Freunde oder Kollegen bleiben. Allerdings schien Yagi zufrieden mit dem zu sein, was sie teilten. Jedenfalls reagierte er immer sehr verständnisvoll…oder schätzte er die Situation falsch ein? Vielleicht war Yagi einfach zu nett, um ihm mitzuteilen, dass ihn etwas störte? Anstrengend. Allein darüber nachzudenken, war anstrengend. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Aizawa warf einen irritierten Blick zu dem Blonden neben sich, der nur kurz zu ihm sah, dann wieder die Straße im Auge behielt. „Nein. Schon gut“, murmelte er zurück. „Okay.“ Stille breitete sich zwischen ihnen aus, die lediglich von einem dieser amerikanischen Songs unterbrochen wurde, denen Aizawa nie etwas hatte abgewinnen können. Damals zur Schulzeit war Englisch Pflicht gewesen, doch anders als Yamada hatte er sich nie dafür begeistern können. Er sprach gebrochen, verstand die Hälfte, wenn er sich anstrengte – das musste reichen. Aizawa seufzte leise, rieb sich den Nacken, während er aus dem Fenster die vorbeiziehenden Bäume beobachtete. „Mic sagt immer, ich sei unterirdisch mies, was Smalltalk angeht…schätze, da hat er ausnahmsweise Recht.“ Yagi drehte den Kopf in seine Richtung, blinzelte, ehe sich ein Schmunzeln auf seine dünnen Lippen legte. „Ach was…manchmal ist Schweigen gar nicht so verkehrt, denke ich. Hm…bevor man sich um Kopf und Kragen redet…“ „Du meinst, so wie du?“ Yagi räusperte sich leicht, blickte mit geröteten Wangen wieder nach vorn. „Zugegeben…wobei das in…deiner Nähe öfter geschieht als sonst…“, nuschelte er und wich seinem Blick aus. Aizawa hob eine Braue, während er die Worte einen Moment lang auf sich wirken ließ. Er spürte, wie seine Mundwinkel zuckten, sich ein amüsiertes Grinsen anbahnte – bei dem die meisten es eher mit der Angst zu tun bekamen. Nun, Yagi musste keine Angst haben. „So?“, fragte er gedehnt und konnte beobachten, wie der andere noch einige Nuancen dunkler wurde. „Mh…“ Aizawa fragte sich, was passieren würde, wenn er ihm ohne Vorwarnung die Hand auf den Oberschenkel legen würde – vermutlich würden sie ein paar Sekunden später in den Leitplanken hängen. Schlechte Idee, zumindest gerade jetzt, weswegen er jegliche Berührung unterließ. Sein Blick fokussierte sich auf die großen Hände, die das Lenkrad nun fester umklammerten. Beinahe wie bei einem Rettungsring. Vielleicht hatte Yagi ja Recht und manchmal war es besser, nichts zu sagen. Also lehnte er sich wieder gegen die Scheibe, sah unter halb geöffneten Lidern hinaus auf die Straße. „Uhm…es ist übrigens kein Problem für mich, wenn du etwas schläfst.“ Aizawa hob eine Braue, musterte den anderen kurz. „Sicher?“ „Ja“, erwiderte der Ältere mit einem freundlichen Lächeln. „Ich weiß ja, wie wenig Schlaf du sonst bekommst. Es ist wirklich in Ordnung.“ Wollte Yagi bloß nett sein oder meinte er es ernst? Schwer zu sagen, doch er würde im Auto keine Diskussion darüber starten...das musste nicht sein. Stattdessen nickte er und schloss die Augen, denn tatsächlich war er für jedes bisschen Schlaf dankbar. Es dauerte nicht lange, bis er trotz Bodenwellen und amerikanischem Gedudel eindöste. „Aizawa-kun?“ Er brummte unwillig, als jemand seine Schulter drückte, ihn leicht daran rüttelte. Seine Lider hoben sich flatternd, wobei sich seine Augen erst an die Helligkeit gewöhnen mussten, ehe er realisierte, dass sie auf einem recht zugestellten Parkplatz standen. Die Aussicht auf Menschenmengen diesen Ausmaßes ließ seine Laune direkt wieder in den Keller sinken – und dabei hatte er wirklich gut geschlafen. Nun, da er keine Wahl hatte, richtete er sich benommen auf und rieb sich die trockenen Augen. „Wie viel Zeit haben wir noch?“, murmelte er, während er seine Augentropfen aus der Hosentasche kramte. „Fast zwei Stunden, bis die erste Tagung beginnt. Wir können also in Ruhe einchecken, bevor es losgeht.“ Aizawa verabreichte sich einen Tropfen in jedes Auge, zwinkerte mehrmals. „Verstehe.“ Er ließ den Nacken knacken, ließ die Augentropfen wieder in seiner Tasche verschwinden und stieg dann aus dem Auto. Ein Gähnen unterdrückend, streckte er sich einmal, bevor er zu Yagi trat, der soeben den Kofferraum öffnete, damit sie ihr Gepäck rausholen konnten. Zeitdruck hatten sie wirklich nicht, schließlich fand die Tagung in einem der Seminarräume des Hotels statt. Nezu hatte schon vor Monaten zwei Zimmer gebucht und Aizawa wollte gar nicht wissen, wie teuer diese gewesen sein mussten. Als er den Blick schweifen ließ, entdeckte er einige Reporter vor den Toren des hoteleigenen Parkplatzes, welche von den Sicherheitskräften in Schach gehalten wurden. Niemand hatte publik gemacht, dass All Might an der Tagung teilnehmen würde, also galt das Interesse wohl allen bekannten Pro-Heroes. Aizawa war einmal mehr froh, diesem Medienrummel entgehen zu können, denn für die meisten war er ein Unbekannter. Er hing sich die Tasche über die Schulter und klemmte sich den Schlafsack unter den Arm, ehe er auffordernd zu Yagi sah, der gerade den Kofferraum schloss. Weit mussten sie nicht laufen, bevor sie die Lobby des Hotels erreichten, in der sich bereits einige Teilnehmer aufhielten – und zu seinem Missfallen richtete sich deren Aufmerksamkeit direkt auf den Blondschopf neben ihm. Aizawa hatte vergessen, dass sich sogar Pro-Heroes wie idiotische Fans aufführen konnten… „Das ist doch All Might!“ „All Might?“ „Ja, er unterrichtet doch an der U.A.!“ „Es ist uns eine Ehre!“ „Uhm…danke. Ich bin froh, zu dieser wichtigen Tagung beitragen zu dürfen“, kam es verlegen von Yagi, woraufhin Aizawa bloß schnaubte. Ohne auf seinen Kollegen zu warten, bahnte er sich einen Weg zur Rezeption, um für sie beide einzuchecken. Er wollte nicht zu spät kommen, weil Yagi Stunden brauchte, um sich von seinen Fans loseisen zu können. Nervig. Die junge Dame an der Rezeption begrüßte ihn mit einem Lächeln, doch ihr Blick huschte immer wieder an ihm vorbei. Vermutlich wäre sie am liebsten zu Yagi gerannt, um ihn um ein Autogramm zu bitten. „Oh, ja, zwei Zimmer…richtig. Aizawa Shouta und…ah ja, All M- ich meine, Yagi Toshinori. Von der U.A., hier steht es. Ihren Ausweis bitte.“ „Moment. Ich sage meinem Kollegen B-“ „Oh, aber das ist doch nicht nötig! All Might muss sich doch nicht ausweisen!“ Aizawas Braue zuckte bei ihrem empörten Tonfall merklich, allerdings atmete er bloß tief aus, schob ihr seinen Ausweis rüber. Ruhig bleiben. „Sie wissen schon, dass es Menschen gibt, die mit ihren Fähigkeiten ihre Gestalt ändern können?“, erwiderte er kühl, woraufhin sie ihn perplex ansah und dann rot wurde. „Aber…ich meine…uhm…“ „Wenn Ihnen Ihr Job und Ihr Leben etwas wert sind, sollten Sie auf solche Ausnahmen verzichten.“ „J-Ja…ich…“ „Entschuldige, Aizawa-kun! Ich wollte nicht unhöflich sein, aber nun…oh, hier, bitte, mein Ausweis, junges Fräulein!“ Aizawa sah ihr an, wie erleichtert sie über Yagis Auftauchen war, doch es kümmerte ihn nicht. Ihr Verhalten war fahrlässig gewesen. Punkt. In Zukunft würde sie sich so etwas bestimmt zweimal überlegen, so beschämt, wie sie immer noch wirkte. „W-Willkommen, All – ich meine Yagi-san, Aizawa-san. Hier sind die Karten für Ihre Zimmer…oh und ein Plan, damit Sie sich besser zurechtfinden. Sie dürfen die Annehmlichkeiten unseres Hotels gern nutzen, dies ist im Preis bereits enthalten. Ich wünsche Ihnen beiden einen angenehmen Aufenthalt!“ Mit diesen Worten verneigte sie sich einmal, wobei ihre Wangen weiterhin rot glühten. Vermutlich fragte sie Yagi nur deshalb nicht nach einem Autogramm, weil Aizawa sie zuvor zurechtgewiesen hatte. Ihm war das nur recht… Sie hatten es gerade geschafft, sich von Rezeption und Yagis Fangemeinschaft zu lösen, als hinter ihnen eine viel zu bekannte Stimme seinen Namen brüllte. „ERASEEER!!“ Aizawa erstarrte in der Bewegung, spürte einen kalten Schauer seinen Rücken hinablaufen und am liebsten hätte er die Beine in die Hand genommen, um zu verschwinden. Von allen Lehrkräften, die die Ketsubutsu zu bieten hatte, mussten sie ausgerechnet sie schicken? Neben ihm hielt Yagi inne, die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Eraser!! Huhu! Hier bin ich! Hahaha, lauf nicht weg vor mir!“ Genau das wollte er tun, doch er wusste, dass es gerade kein Entkommen gab. Also drehte er sich mit finsterem Blick um, funkelte die grünhaarige Frau an, die mit einem breiten Lächeln und winkend auf ihn zukam. Fukukado Emi, auch bekannt als Ms Joke, hielt nichts von Zurückhaltung. Ihr auffälliges Kostüm hatte sie gegen einen dunkelgrünen Bleistiftrock und eine schwarze Bluse getauscht, an der jedoch ein Smiley-Button befestigt war. Ihre Absätze hallten auf dem polierten Boden wieder, während sie auf Yagi und ihn zukam. „Oh mein Gott! Du hast All Might mitgebracht!“, plapperte sie direkt los, kaum dass sie sie beide erreicht hatte. „Wenn wir heute heiraten würden, könnte er dein Trauzeuge sein!“ Aizawas Braue zuckte gefährlich weit nach oben, während sich Yagi rasch die große Hand auf den Mund presste, um sein Blut nicht durch die Gegend zu spucken. Er hörte ihn röcheln und keuchen, warf ihm ebenso wie Ms Joke einen besorgten Blick zu. „Eh…alles okay? Ich dachte nicht, dass du vor Freude beinahe ersticken würdest, All Might.“ „Mir…geht’s…gut“, kam es von dem Blonden, auch wenn es nicht so wirkte. „Keine Sorge…“ „Das ist wohl eher Schock als Freude…“, murrte Aizawa und funkelte sie finster an. „Aww, nun sei doch nicht so, Eraser! Ich weiß, dass du mich liebst!“ „Niemals“, versetzte er trocken, woraufhin sie zu lachen begann. „Du bist mir vielleicht ein Scherzkeks! Leugnen ist zwecklos! Du hast dich ja sogar für mich rasiert, Darling~“ Warum strafte man ihn mit so einer anstrengenden Person? Zumal Yagi immer noch wirkte, als würde er gleich an seinem Blut ersticken. Er glaubte nicht wirklich, dass da etwas zwischen ihnen beiden lief, oder? Abgesehen davon, dass er in dieser Hinsicht nichts für Frauen übrig hatte, war er nicht mal sicher, ob Ms Joke ihre lächerlichen Sprüche ernst meinte oder ihn bloß zum Lachen bringen wollte. Beides war jedenfalls ein erfolgloses Unterfangen, auch wenn sie bis jetzt nicht aufgegeben hatte. „Wie du siehst, geht es All Might nicht sonderlich gut“, schnitt er ihr rasch das Wort ab, bevor sie weiterplappern konnte. „Wenn du uns also entschuldigst…“ „Natürlich, natürlich! Ich hoffe, es geht dir gleich besser, All Might! Es ist schön, dass du auch an der Konferenz teilnimmst! Das wird sicher ein Spaß!“ Sie reckte die Faust, grinste ihn motiviert dabei an, während Yagi sich zu einem schiefen Lächeln zwang. „Ja…sicher…“ Ms Joke schmunzelte, wandte sich dann Aizawa zu und zwinkerte ihm zu. „Bis nachher, Honey~“, flötete sie und er spürte, wie die Wut in ihm rumorte. Normalerweise konnte er ihre dummen Sprüche gut ignorieren oder sie mit einer sarkastischen Erwiderung abtun – diesmal fiel ihm das schwer, was zweifellos an Yagis Reaktion lag. Dieser sah immer noch sehr blass aus, wischte sich das Blut vom Kinn, bevor es den Anzug ruinieren konnte. Großartig… „Geht’s wieder?“ Yagi antwortete nicht sofort auf die Frage, sondern nahm noch einen Schluck aus der Wasserflasche, ehe er einmal tief durchatmete. Der hagere Mann saß auf der Couch der geräumigen Suite, die Nezu für jeden von ihnen gebucht hatte. Eine verdammte Suite, in deren Schlafzimmer ein riesiges Futonbett stand, in dem drei Menschen Platz gehabt hätten. Vom angrenzenden Wohnraum, in dem sie sich gerade befanden, und dem Balkon fing er besser nicht an; diese Zimmer mussten ungeheuer teuer sein. Verschwendung, wenn man ihn fragte, doch da die Tagungen in diesem Hotel stattfanden, gab es keine andere Option. „Ja…ich…wollte dir keine…Unannehmlichkeiten bereiten“, hörte er Yagi nuscheln. „Es…hat mich bloß…ich…du bist nicht wirklich mit ihr…uhm…liiert?“ Aizawa starrte ihn an. Sekunden vergingen. Sein rechtes Auge begann zu zucken, während er sich ernsthaft fragte, ob Yagi sie noch alle beieinander hatte. „Du erinnerst dich an unser Gespräch im Vergnügungspark?“, hakte er mit gefährlicher Ruhe nach. „Als ich dir sagte, dass ich immer nur Männer hatte?“ „Oh…ja… So, wie Yagi ihn anblickte, brauchte er einen Moment, um sich dies ins Gedächtnis zu rufen. Allerdings hatte Aizawa nicht das Gefühl, dass dies ausreichte, um seine Annahme zu zerstreuen - nicht gänzlich jedenfalls. "Schon, aber...ich dachte..." "Du denkst, dass ich mit jemandem zusammen sein will, der noch lauter und aufdringlicher ist, als du in deiner aufgepumpten Form?" "Uhm...eher nicht..." Aizawa entging nicht, wie nervös der andere wirkte, so wie er an dem Etikett der Wasserflasche knibbelte. Eigentlich hatte er sich ihre freie Zeit in dieser übertriebenen Luxus-Suite anders vorgestellt, doch so stehen lassen konnte er das nicht. "Oder dass ich zwischen zwei Jobs die Zeit habe, mich mit ihr und dir zu treffen?" "Nein, ich-" "Nun, dann klär mich mal auf", forderte Aizawa trocken und verschränkte die Arme vor der Brust. "Was lässt dich glauben, da könnte etwas Wahres dran sein?" Yagi sah nicht aus, als wäre er besonders erpicht darauf, ihm eine Antwort darauf zu geben. Das Etikett hatte sich mittlerweile halb von der Flasche gelöst, allerdings schien er es nicht mal zu bemerken, blickte an Aizawa vorbei. "...wir haben das...zwischen uns bisher nicht definiert", kam es langsam von dem Blonden. "Und...wenig Zeit hin oder her...ich habe dir diesbezüglich nichts vorzuschreiben." Die Erkenntnis traf Aizawa unvorbereitet, denn…es stimmte. Sie hatten nichts ausgemacht, trotzdem Yagi im Park diese verquere Rede gehalten hatte, die Aizawa natürlich bewusst machte, dass es für den Älteren mehr war. So unverbindlich, wie er es bislang gesehen hatte, war es also nicht. Nicht für Yagi...und für ihn selbst? War ja nicht so, als würde er in jedermanns Wohnung einbrechen... Nur...woher sollte der Hüne wissen, woran er war, wenn sie nicht darüber sprachen? "Willst du es definieren?" Yagi stutzte merklich bei der Frage, wobei sich seine Wangen wieder rot färbten. Beinahe wäre ihm die Wasserflasche aus den Händen geglitten, doch er packte sie noch rechtzeitig, atmete tief durch. "Ich...will nicht, dass du etwas änderst, weil ich es von dir verlange, Aizawa-kun. Das...erscheint mir nicht richtig...", gab Yagi leise zurück. Keine direkte Antwort auf seine Frage, aber er verstand, was er ihm damit sagen wollte. Es war immer schwierig, Yagi aus der Reserve zu locken – der Mann hemmte sich selbst viel zu oft. Wie im Vergnügungspark, als er ihn hatte küssen wollen, sich zunächst aber nicht getraut hatte. Aizawa seufzte einmal tief, rieb sich den Nacken und schloss für einen Moment die Augen, ehe er ihn wieder anblickte. Ihm entging Yagis Anspannung nicht…wie dieser ihn ansah, als erwarte er, dass er ihn gleich stehen ließ. Vermutlich lag das nicht mal an Aizawa als Person… Menschen missverstanden einander häufig und dies führte wieder zu dem Schluss, dass es einfacher war, ohne feste Bindung klarzukommen. Es war eine rationale Entscheidung und Aizawa lebte nach diesem Prinzip. „Hör zu, ich-“, begann er, als es plötzlich an der Tür klopfte, was sie beide innehalten ließ. „Zimmerservice!“ Aizawa tauschte einen fragenden Blick mit Yagi, der allerdings nur hilflos mit den Schultern zuckte. Wann sollte er auch die Zeit gehabt haben, irgendetwas zu bestellen? Aizawa machte ein paar Schritte zur Tür und öffnete diese, woraufhin ihm zwei strahlende Bedienstete entgegenblickten, die jedoch stutzten, kaum dass sie in sein grimmiges Gesicht blickten. „Oh, uhm…haben wir das falsche Zimmer?“, kam es von der jungen, blonden Frau. „Nein, das ist das richtige…ist All Might nicht da?“ Der Mann neben ihr, der den Servierwagen schob, runzelte die Stirn, versuchte an ihm vorbei zu schauen. Aizawa spürte, wie sich seine Geduld allmählich dem Ende neigte, denn er realisierte gerade, was das hier zu bedeuten hatte. Als Yagi neben ihm in der Tür auftauchte, quietschte die Frau auf und ihr Strahlen kehrte zurück. „Da sind Sie ja! Wir haben Ihnen eine kleine Aufmerksamkeit des Hotels mitgebracht!“ „Oh…uhm…das ist ja nett…“, stammelte Yagi deutlich verlegen und machte einen Schritt zur Seite. Aizawa tat es ihm gleich, auch wenn er sich zusammenreißen musste, um nicht wutschnaubend aus dem Zimmer zu stampfen. Hatte man denn nicht mal hier seine Privatsphäre? Anscheinend nicht, wenn man All Might war – Ruhestand hin oder her. „Ich stelle den Wagen hier ab…ich hoffe, Sie genießen es!“, kam es von dem motivierten Angestellten, ehe dieser etwas aus seiner Jackentasche kramte. „Oh und…dürfte ich Sie um ein Autogramm bitten?“ Aizawas Auge begann zu zucken, während All Might die Fotokarte signierte, dabei konstant freundlich lächelnd. Die Frau hatte sogar die Nerven, los zu plappern, wie sehr sie ihn bewunderte und wie sehr sie anerkannte, was er alles getan hatte. Ja, es stimmte, alles, was sie sagten…aber langsam war auch mal gut, oder? Yagi wirkte trotz seines Lächelns nervös, blickte zwischendurch flüchtig zu ihm…sie waren in einem für sie beide wichtigen Gespräch unterbrochen worden. Als die Tür endlich geschlossen wurde und die beiden verschwunden waren, atmete Yagi tief durch. „Ich…entschuldige, Aizawa-kun…“ Angesprochener äußerte sich nicht dazu, wusste, dass Yagi nichts dafür konnte, dass man ihn hier überfallen hatte. Sein Blick verweilte ein paar Sekunden auf den Törtchen und der Kaffeekanne, die auf dem niedrigen Tisch abgestellt worden waren. Yagi würde nichts davon anrühren können, so empfindlich wie sein Körper auf Nahrung reagierte. „Was…wolltest du sagen?“ Aizawas Blick wanderte von den Törtchen zur Uhr und ihm wurde bewusst, dass sie nur noch etwas über eine halbe Stunde Zeit hatten, bis die Tagung begann. Das Karma schien sie beide zu verfolgen. „Wir sollten nachher darüber reden“, erwiderte er und bemerkte das Flackern in Yagis blauen Augen. „Die Tagung beginnt bald und wir sollten unsere Beiträge noch einmal durchgehen, bevor wir losmüssen.“ Der Ältere öffnete den Mund und Aizawa ahnte, dass er am liebsten widersprochen hätte. Allerdings wusste Yagi genauso gut wie er, dass die Arbeit vor ging und dass sie ihre privaten Angelegenheiten hintenanstellen mussten. So, wie sie es immer taten. „Ja…ja, ich schätze, du hast Recht…das sollten wir tun“, hörte er ihn sagen. „Nimm dir gern Kaffee und Kuchen…ich…du weißt ja…“ Aizawa musterte ihn ein paar Sekunden und es missfiel ihm, dies so stehen zu lassen. Er setzte sich zu Yagi auf die Couch, nachdem er seine Unterlagen hervorgeholt hatte. Kurz zögerte er, ehe er sich hinlegte, dabei seine Knie gegen Yagis gesunde Seite lehne. Dieser sah überrascht auf, doch Aizawa ignorierte es, begann, seinen Beitrag durchzublättern. Warme Finger berührten sein linkes Knie durch den Stoff der Hose, drückten dieses einmal, ehe sie sich wieder lösten und er das Rascheln von Papier vernahm. Nach sieben Stunden inklusive Pausen hatten sie den ersten Tag hinter sich gebracht, wobei Aizawa zugeben musste, dass die Beiträge mehrheitlich interessant gewesen waren. Zumindest war er wach geblieben und hatte nur bei vereinzelten, langatmigen Vorträgen den Faden verloren. Sein Blick glitt zu seinem Kollegen, der neben ihm ging und nachdenklich wirkte. Aizawa konnte nicht behaupten, dass zwischen Yagi und ihm eine unangenehme Stimmung geherrscht hatte. Sie waren beide zu professionell, um sich irgendetwas anmerken zu lassen – nun, bis jetzt zumindest. Yagis Anspannung war spürbar und er selbst wollte ebenfalls nachholen, was sie aufgeschoben hatten. „Wir sollten in mein Zimmer gehen“, brummte er dem anderen zu, welcher aufblickte. „Die Wahrscheinlichkeit, noch mal unterbrochen zu werden, ist bei mir geringer.“ Der Ältere nickte langsam, ehe er ein schiefes Lächeln aufsetzte. „Ja…da hast du wohl Recht…“ Er wirkte niedergeschlagen und Aizawa fragte sich, ob sein Hinweis, bevor sie das Thema ruhen gelassen hatten, vielleicht ein bisschen zu subtil gewesen war. Der Reaktion nach konnte er davon ausgehen. „Du ziehst ein Gesicht, als hätte ich dir den Laufpass gegeben…“, murmelte er und hörte Yagi nach Luft schnappen. „Ich…ich meine…also…“ „Habe ich nicht…oder zumindest wollte ich nicht, dass es so wirkt“, fügte er an und wünschte sich, er hätte das schon zuvor getan. Ihm entging nämlich nicht, wie Yagi aufatmete…und damit waren sie wieder bei den Missverständnissen angelangt. Eigentlich war Aizawa ziemlich erschöpft und hätte ein heißes Bad mit Yagi einem Gespräch vorgezogen...und wenn er so darüber nachdachte…warum nicht beides kombinieren? Plötzlich kam ihm ein Gedanke, den er in jedem anderen Fall abgelehnt hätte, doch nach diesem Tag…warum eigentlich nicht? „Sag mal…“, begann er vage. „Was hältst du von Onsen?“ „Uhm…“ Nun, das war schon mal kein Nein. So weit, so gut… Aizawa hätte nicht gedacht, dass es zur Abwechslung mal einen Vorteil bieten könnte, mit All Might zusammen hier zu sein. Als er sich jedoch in das heiße Wasser sinken ließ, ein wohliges Seufzen auf den Lippen, musste er zugeben, dass dieses private Onsen doch etwas für sich hatte. Niemand würde sie beide hier stören, dafür sorgten die eifrigen Bediensteten schon. Unter halb geschlossenen Lidern ließ er den Blick über das Steinbecken gleiten, ehe er zu den mit Bambus verkleideten Trennwänden sah, die sie halbwegs vom Außenbereich abschirmten und die kalte Luft fernhielten. Dort gab es ein zweites Becken, umrahmt von Steinen und Bäumen, welche das Onsen idyllisch wirken ließen – und das ebenfalls nur für sie reserviert war. Aizawa seufzte abermals, lehnte sich mit dem Rücken an den steinernen Rand, der angenehm warm war, während der Dampf aus dem Wasser aufstieg. Er hatte seine Haare zu einem Dutt zusammengefasst, damit sie nicht nass wurden, das kleine Handtuch lag neben ihm auf den Steinen. Wo blieb eigentlich Yagi? Dieser hatte sich schon beim Entkleiden im Vorraum Zeit gelassen und gemeint, er sollte sich ruhig schon waschen. So lange brauchte doch niemand dafür… Aizawa blickte auf, als die Tür beiseitegeschoben wurde und Yagi, nur mit seinem Handtuch bekleidet, eintrat. Es war keine Absicht, dass er zuerst die auffällige Narbe, die sich einem rot-violetten Krater gleich über seine linke Seite zog, ins Auge fasste. Wie ein groteskes Spinnennetz streckte sie sich von der Brust entlang der Rippen zum Bauch aus. Aizawa wollte sich nicht vorstellen, wie Yagis Körper ausgesehen haben musste, als es passiert war, wenn die Wunde selbst jetzt noch so entzündet wirkte. All for One musste ihm alles herausgerissen haben, was er zu packen bekommen hatte. Dass Yagi nicht dabei gestorben war, war ein Wunder. Davon abgesehen war sein gezeichneter Körper gar nicht so hager, wie man es unter der schlabbrigen Kleidung erwartete. Yagi mochte nicht mehr wie ein Bodybuilder aussehen, doch definierte Muskeln waren immer noch vorhanden, ließen ihn drahtig wirken und weniger schlaksig. Aizawa wettete darauf, dass der Ältere weiter trainiert und das Maximale aus seinem Körper herausgeholt hatte, um der Welt so lange wie möglich dienen zu können. Verrückt, verantwortungslos…und dennoch beeindruckend, das musste er zugeben. „Ich habe ein wenig…abgebaut…seit damals…“ Aizawa blinzelte, merkte erst jetzt, dass er den anderen unverhohlen angestarrt hatte, was er wirklich nicht gewollt hatte. Er konnte sich denken, dass es Yagi ohnehin schon einiges abverlangte, sich ihm unbekleidet zu zeigen. Vermutlich hatte er deswegen länger gebraucht. Zu viele hemmende Gedanken. Aizawa ließ den Blick höher wandern, bis er Yagis blaue Augen erreichte, doch der Ältere wich ihm aus. Wie er dort stand, die Schultern eingefallen und die Finger ins Handtuch gekrallt, sagte genügend aus. Aizawa schnaubte. „Abgebaut, huh?“, wiederholte er trocken. „Ehrlich…nach allem, was dein Körper anscheinend mitgemacht hat, ist es ein verdammtes Wunder, dass du noch lebst.“ Seine Worte erreichten nicht unbedingt das, was er sich erhofft hatte, so wie Yagi sich auf die Lippe biss, die Hände verkrampften sich sichtlich. Aizawa atmete durch, sank etwas mehr ins Wasser, ehe er fortfuhr. „Und außerdem…mag ich schlanke Männer ohnehin lieber.“ Er warf dem anderen einen Seitenblick zu, nahm das erzwungene Lächeln wahr, während dieser sich dem Steinbecken näherte. „Ich denke, wir wissen beide, dass schlank…eine Untertreibung ist“, hörte er ihn mit gewisser Bitterkeit sagen. Aizawa beobachtete, wie er das Handtuch entfernte und sich ins Wasser sinken ließ – ein bisschen zu schnell, als dass er viel sehen konnte. Schade. Er schwieg ein paar Sekunden, wartete, bis Yagi neben ihm saß. „Ich denke, wir wissen beide, dass ich nichts sage, was ich nicht auch so meine.“ Er drehte den Kopf zu dem Blonden, welcher seinen Blick eher zögerlich erwiderte. „Und gerade jetzt fallen mir ziemlich viele Dinge ein, die ich lieber mit dir…und mit diesem Körper tun würde…als zu reden. Aber ich schätze, dass das für keinen von uns gut wäre.“ Yagi sank tiefer ins heiße Wasser, das Gesicht stark gerötet und etwas Unverständliches blubbernd. Nun, er würde das mal als Zustimmung nehmen – und darauf setzen, dass Yagi verstand, dass er seinen Körper begehrte. Mit jedem Makel, mit dem das Leben ihn gezeichnet hatte. Aizawa rieb sich über die Wange, als die Narbe unter seinem Auge zu jucken begann. „Um auf das Thema zurückzukommen“, begann er schließlich und fixierte einen Punkt an der mit Bambus verkleideten Wand. „Ich bin kein Mensch, der sich in einer Beziehung nach anderen richtet oder viel Rücksicht nimmt. Ich habe es ein-zweimal versucht und es hat nicht funktioniert, weil mir meine eigenen Interessen wichtiger waren. Ich halte es daher lieber unkonventionell, bevor ich zu hohe Erwartungen enttäusche.“ Yagi hörte ihm still zu, während er redete und vielleicht war das gut so. Wann hatte er das letzte Mal über dieses Thema geredet? Es war lange nicht nötig gewesen, sich jemandem zu erklären, weil er es gar nicht in Erwägung gezogen hatte, mit jemandem eine Bindung dieser Art einzugehen. Eine schnelle Nummer und danach sah man sich höchstens zufällig wieder. „Das vorhin…wird sich in den nächsten Jahren wahrscheinlich nicht ändern. Ich arbeite viel und ich gebe dieser Arbeit Vorrang. Ob es um die Schüler oder die nächtlichen Patrouillen geht. Du kannst dafür jetzt noch Verständnis aufbringen, weil du gerade erst zurückgetreten bist…aber in ein paar Monaten…siehst du das vielleicht anders.“ Er pausierte kurz, sah zu Yagi, welcher sich aber nicht äußerte, sondern darüber nachzudenken schien. Das sollte er tun. Gründlich. „Wenn du Monogamie willst, ist das für mich vereinbar. Dir sollte nur klar sein, dass ich dadurch kein anderer Mensch werde…oder dass es bedeutet, dass wir uns öfter privat sehen. Es wird so bleiben, wie es gerade ist...und du solltest dir überlegen, ob es das ist, was du willst.“ Yagi neigte eine wenig den Kopf, als würde er seine Antwort abwägen, wobei er ihn ruhig ansah. Jedenfalls um einiges ruhiger als die letzten Stunden… „Ich verstehe deine Bedenken, Aizawa-kun“, erwiderte er schließlich. „Nun, meine Erwartungen sind…recht gering und Rücktritt oder nicht…ich würde nie verlangen, dass du mich vor deine Arbeit stellst. Was die Zukunft angeht…wir leben beide nicht ungefährlich…und…“ Der Blonde haderte kurz mit sich, schien nach den passenden Worten zu suchen, fuhr dann aber fort. „Und…nichts, was du sagst, ändert irgendetwas an meinen Gefühlen für dich.“ Aizawa blickte ihn perplex an, nicht wissend, was er darauf erwidern sollte. Was diese Ebene anging, war er erstaunlich…wortkarg. Allerdings sprach Yagi weiter, bevor die Stille unangenehm werden konnte. „Was mich eher beunruhigt…und was du heute ebenfalls deutlicher gemerkt haben solltest, ist, was meine Präsenz für dich bedeutet. Ich weiß, wie sehr du die Presse verachtest…aber wenn du mit mir zusammen bist, wirst du irgendwann in ihr Visier geraten. Nichts hält ewig…und sicher wird es irgendwann ruhiger um mich werden, jedoch nicht in naher Zukunft. Du bist ein Underground-Hero, Aizawa-kun, und deine Fähigkeit beruht oft auf dem Überraschungsmoment…ich möchte dich nicht in Gefahr bringen.“ Den Worten haftete ein so bitterer Beigeschmack an, dass er wieder eine Weile nichts dazu sagen konnte. Was Yagi sagte, stimmte. Selbst wenn sie beide ihre Beziehung unter dem Radar hielten, würde irgendwann etwas durchsickern – und er selbst hielt nichts von dauerhaften Versteckspielchen. Sie mussten es nicht provozieren, aber wenn es passierte, passierte es halt. Aizawa stieß einen tiefen Atemzug aus, rieb sich dabei den Nacken, ehe er den Kopf schüttelte. „Wir beide haben schockierend viele Gründe, das mit uns zu beenden, nicht wahr?“, brummte er und Yagi verzog das Gesicht. „Da hast du Recht…“ Abermals Schweigen. Dann wandte er sich wieder dem anderen zu, der sofort seinen Blick erwiderte. „Weißt du…wir unterrichten einen Haufen Problemkinder, die nicht gerade für Regeln und Zurückhaltung stehen, und spätestens seit der Sache mit Bakugou bin ich sowieso nicht mehr so anonym, wie ich es gern hätte. Von daher…nehme ich das Risiko in Kauf.“ Das warme Lächeln, das sich auf Yagis Lippen legte, ließ ihn unweigerlich schaudern. Mit so einem Blick war er lange nicht mehr angesehen worden – oder überhaupt schon mal? Zu lange her, als dass er sich daran erinnern konnte. So unbeholfen Yagi oftmals wirkte, ließ er doch keinen Zweifel daran, was er fühlte, während er selbst mit solchen Emotionen sparsam war. „Und ich denke, dass ich gut damit leben kann, dass dir deine Arbeit am Herzen liegt...immerhin bin ich ja auch Lehrer und...also, ich werde schon n-“ Aizawa ließ ihn diesmal nicht ausreden, sondern packte ihn an seinen blonden Haarsträhnen und zog ihn mit einem Ruck zu sich heran. Das Keuchen des anderen ging in dem rauen Kuss unter, die blauen Augen starrten ihn an...ein intensives, leuchtendes Hellblau in den dunklen Schatten...dann erwiderte Yagi den Kuss. Jegliche Anspannung fiel von dem Älteren ab, während er sich ihm entgegen lehnte, die Arme um seine Hüften schlang; anscheinend fand auch Yagi, dass sie genug geredet hatten. Aizawa überwand den wenigen Abstand, indem er ihn nach hinten gegen das Becken drückte und sich auf seinen Schoß schob. Es war das erste Mal, dass ihre Nähe dermaßen intim war, völlig nackt und ohne Störungen. Yagi schnappte nach Luft, die Wangen regelrecht glühend und mit einem deutlichen Anflug von Scham. Zögerlich flackerte sein Blick von seinem Gesicht, zur Brust...tiefer...ehe er hart schluckte und zur Seite schauen wollte – Aizawa ließ ihn nicht. Stattdessen legte er die Hände an seine heißen Wangen, suchte seinen Blick. „Sieh mich an.“ Yagi tat es, wenn auch sehr verunsichert. Aizawas Daumen streichelten über die ausgemergelten Wangen, während er ihn ruhig ansah. „Wir müssen nichts tun, was du nicht willst...aber ich will, dass du weißt, dass du dich für nichts zu schämen brauchst. Hemmungen sind unnötig...fass mich an, wo du es willst. Sag mir, was du magst und was nicht...es ist okay.“ Scheinbar nahm das wirklich etwas Spannung aus Yagis Körper, denn er stieß hörbar die Luft aus, ließ die hageren Schultern sinken. Dann festigte er den Griff um seine Hüften, zog ihn enger an sich heran, so dass sich ihre Unterleiber berührten, Haut an Haut. Yagi beugte sich vor, lehnte die Stirn an seine und lächelte schief. „...dass du mir so etwas sagen musst...“, murmelte er. „Dabei bin ich der Ältere...“ „Das hat nichts mit dem Alter zu tun...mach dir keinen Kopf.“ „Ich…versuche es…“ „Gut.“ Mehr wollte er auch nicht, würde es langsam angehen lassen – trotzdem er merkte, wie sich das Blut in seinen Lenden sammelte. Dennoch wollte er den anderen nicht überfordern, konnte sich gedulden. Wichtig war, dass sich keiner gedrängt fühlte…dass sie ein Tempo anschlugen, das für sie beide in Ordnung war. Dass der nächste Kuss von Yagi ausging, bedeutete wohl, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Aizawa war der Ansicht, dass man durch Sex viel über Menschen erfahren konnte. Still lauschte er dem noch unregelmäßigen Atem des Älteren, auf dessen Schoß er immer noch saß und der ihn weiterhin ganz fest hielt, als befürchte er, Aizawa könnte verschwinden. Hatte er nicht vor. Es war angenehm, so gehalten zu werden, während der Orgasmus langsam abebbte und sie durch das heiße Wasser gewärmt wurden. Sein Kopf ruhte auf Yagis Schulter, das Gesicht gegen den schlanken Hals gedrückt und die Augen geschlossen. Innerlich war er völlig entspannt, die Arme locker um Yagis dünne Hüften gelegt, die große Narbe möglichst aussparend. Der Ältere war dort empfindlich, was Aizawa nicht sonderlich überraschte, und auch, wenn Yagi ihn nicht abgehalten hatte, so war ihm das unweigerliche Zurückschrecken nicht entgangen. Zum Teil sicherlich eine Kopfsache, der Gedanke, die Narbe könnte zu unansehnlich sein. Aizawa hatte nicht gefragt, sondern einen Mittelweg zu finden versucht, sie nur gelegentlich sanft berührt. An seinen Lippen haftete immer noch der eisenhaltige Geschmack von Blut, woran er sich bereits gewöhnt hatte. Zumindest hatte sich Yagi diesmal nicht an seinem Bart kratzen können…doch dies würde eine Ausnahme bleiben. Er vernahm den trommelnden Herzschlag des anderen, während sie so eng aneinandergeschmiegt im Wasser saßen, wobei Aizawas Knie neben Yagis Oberschenkeln ruhten. Im Gegensatz zu seinem war Yagis Körper auf den ersten Blick nahezu haarlos, nur ganz fein zeichneten sich die hellen Haare auf der gebräunten Haut ab...abgesehen vom Intimbereich. Den musste er sich rasiert haben…gründlicher als Aizawa, der bloß ab und zu trimmte. Selbst jetzt, wo der Ältere nicht mehr hart war, konnte man nicht sagen, dass All Might irgendwas kompensieren musste; der Kerl war anscheinend nirgendwo Durchschnitt… Sein Selbstvertrauen kurbelte dies allerdings nicht an, doch damit war zu rechnen gewesen. Aizawa kam nicht zum ersten Mal der Gedanke, wie sehr sich der Mann von seiner aufgepumpten Version unterschied. Jede Berührung drückte Unsicherheit aus, wirkte so vorsichtig, als befürchtete er, der Underground-Hero könnte daran zerbrechen. Erst mit der Erregung war er fordernder geworden, doch niemals grob – auch wenn Aizawa damit hätte umgehen können. Er selbst war in dem Fall weniger zimperlich, würde Yagis knallrotes Gesicht, als er ungeniert die Faust um sein Glied geschlossen hatte, nicht so schnell vergessen. Dabei war es geblieben, Küsse, Fummeln…Reibungen, so wie damals in der Pubertät. Zu seiner eigenen Verwunderung hatte es ihn mehr angeheizt, als er es erwartet hätte. Vielleicht weil es persönlicher war…kein anonymer, schneller Fick im nächstbesten Stundenhotel, bevor man sich hoffentlich nicht wiedersah. Jede von Yagis Berührungen drückte aus, wie viel er ihm bedeutete. Träge ließ er die Finger über dessen gesunde Seite gleiten, spürte das wohlige Schaudern, ehe dieser ihm einen Kuss in die vom Dampf feuchten Haare drückte. Aizawa kam sich tatsächlich wie einer der Teenager vor, die sie unterrichteten…und es war ein verdammt gutes Gefühl. "Um letzte Zweifel zu beseitigen…“, murmelte er gegen Yagis Hals. „Willst du Fukukado morgen mitteilen, dass ich jetzt vergeben bin?“ Den darauffolgenden Hustenanfall hatte Aizawa nicht kommen sehen und er hob die Lider, richtete sich auf, um den anderen ansehen zu können. Dieser presste sich die Knöchel auf den Mund, räusperte sich. „Uhm…nicht, dass mich das…nicht freut, aber…wollten wir das nicht…na ja…geheim halten?“ Aizawa schnaubte leise, zuckte mit den Schultern. „In dem Fall würde ich eine Ausnahme machen“, brummte er. „Dann hätte ich immerhin Ruhe vor weiteren Heiratsanträgen…“ Yagi musste im ersten Moment schmunzeln, dann aber hielt er inne, neigte den Kopf. „…und du könntest ihr möglicherweise das Herz brechen – sollte es ihr ernst sein.“ „Ist es nicht.“ „Dennoch solltest du…behutsam damit umgehen“, riet Yagi ihm und Aizawa konnte ihn ein paar Sekunden lang nur anblinzeln. Sein Ernst? Die Frau war der Grund dafür, dass er am Mittag fast erstickt war, und er machte sich Gedanken um ihre Gefühle? Nicht, dass da grundsätzlich etwas verkehrt dran war, aber…bei Ms Joke glaubte er nicht, dass dazu die Notwendigkeit bestand. „Anstatt dir um sie Sorgen zu machen, mach dir lieber welche um meine Nerven…“, murrte er, woraufhin Yagi ihn amüsiert ansah. Eine große, warme Hand legte sich an seine Wange, dann drückte ihm der Blonde einen Kuss auf den Mundwinkel. „Dann muss ich mich wohl gut um dich kümmern, hm?“ Aizawa stutzte, sah ihn perplex an, während die Hand noch immer an seiner Wange lag, mit dem Daumen darüber streichelte. Das waren ja ganz neue Töne…hatte Yagi durch ihr Treiben etwa mehr Selbstbewusstsein erlangt? Wäre nicht das Schlimmste…im Gegenteil…und es ließ Aizawa grinsen. Vielleicht eine Spur zu breit und unheimlich, aber na ja…es hielt Yagi nicht davon ab, ihn abermals zu küssen. Inniger diesmal…und länger. Ja, daran könnte er sich definitiv gewöhnen. Aizawa musste abschließend zugeben, dass er sich geirrt hatte; diese Tagung war entgegen all seinen Befürchtungen bisher doch sehr aufschlussreich... Kapitel 7: Date --------------- Es waren zwei Wochen vergangen, seit sie an der Tagung teilgenommen hatten, und der Alltag wieder eingekehrt war. Recht schnell, denn Yagi konnte an einer Hand abzählen, wie oft sie sich in dieser Zeit privat gesehen hatten. Dies beschränkte sich darauf, dass Aizawa nach seinen Patrouillen zu ihm ins Bett kam, um die letzten drei oder vier Stunden an ihn geschmiegt zu schlafen; sein Fenster stand dem anderen jederzeit offen. In seltenen Fällen schafften sie es, in der Mittagspause zusammen einen Kaffee zu trinken – oder in Yagis Fall ein Glas Wasser. Das war in Ordnung, schließlich hatten sie darüber gesprochen und auch er selbst war tagsüber im Unterricht sowie Midoriyas Ausbildung eingespannt. Zumal er sich aufgrund der jüngsten Ereignisse öfter mit Tsukauchi traf oder mit Gran Torino telefonierte. Nein, sie hatten beide ihre Pflichten zu erfüllen. Trotzdem fühlte er sich auf eine ganz neue Art lebendig…und wenn Aizawa nachts unter seine Bettdecke schlüpfte, um das Gesicht an seinem Hals zu vergraben, kam er sich wie der glücklichste Mensch auf Erden vor. Er hatte vollkommen vergessen, wie es war, verliebt zu sein…und es war eine neue Erfahrung, dass diese starken Empfindungen erwidert wurden…dass Yagi sie ohne ein schlechtes Gewissen zulassen konnte. Aizawa mochte kein Mann großer Worte sein, aber nicht jeder trug sein Herz auf der Zunge, manche setzten eher auf Taten. Wenn Yagi an ihren Zwei-Tages-Trip dachte, wurde ihm immer noch ganz warm. Es war das erste Mal, dass er solch eine intime Nähe mit seinem in Mitleidenschaft gezogenen Körper zugelassen hatte…und er bereute es nicht. Es war schön gewesen…und er wollte mehr, auch wenn die Komplexe nach wie vor seine stillen Begleiter waren. Leise seufzte er, während er im Lehrerzimmer vor seinem Monitor saß und gedankenverloren auf den Stundenplan blickte. Nun, der Unterricht war für heute vorbei und er hoffte, dass Aizawa an diesem Freitagnachmittag etwas Zeit erübrigen konnte. Soweit er sich hatte erkundigen können, hatte er nach der Schule keine Termine. Seine Finger wanderten kurz zu seiner Hosentasche, um zum fünften Mal zu prüfen, ob er sie auch wirklich eingesteckt hatte. So weit, so gut…nur nicht nervös werden, schließlich waren sie ein Paar…da waren solche Dinge normal. Sollte Aizawa aus irgendeinem Grund ablehnen, würde er halt irgendwann einen anderen Versuch starten. Er hatte sich nicht gerade in Unkosten gestürzt, würde es verschmerzen können. Es war okay. „Yo buddy! What’s going on tonight?!“ Dennoch zuckte er so heftig zusammen, dass er beinahe von seinem Stuhl fiel, als eine Hand mit Schwung auf seine Schulter niedersauste. Er japste auf, schmeckte Blut in seinem Mund und sah im nächsten Moment in Present Mics breit grinsendes Gesicht vor sich. „Uuuups! Sorry, ich wollte dich wirklich nicht erschrecken!“ Yagi räusperte sich, versuchte, sich zu fassen, ehe er schief lächelte. „Schon gut…es…ich war bloß in Gedanken…uhm…“ „Soso, in Gedanken, huh? Tell me more? Mh~?“ Die wackelnden Brauen und das wissende Grinsen im Gesicht des Englischlehrers ließen ihn hart schlucken. Aizawa hatte nicht viel über die Umstände erzählt, bloß, dass seine beiden Freunde durch einen dummen Zufall von ihnen wussten, sich aber nicht einmischen würden. Tatsächlich hatte ihn keiner der beiden direkt auf ihre Beziehung angesprochen, was Yagi auch lieber war. „Meine Güte, Mic, lass ihn in Ruhe, klar?“ „Au!! Lass…Midnight!!“ Midnight hatte ihren Freund am Ohr gepackt und zog diesen von ihm weg, warf ihm dabei einen verschlagenen Blick zu. „All Might hat sicher seine eigenen Pläne~“, säuselte sie amüsiert und zwinkerte ihm zu. Wenigstens waren gerade nur die beiden anwesend, denn es wäre Yagi noch unangenehmer gewesen, hätten noch mehr Leute gesehen, wie sein Kopf tomatenrot leuchtete. „Glaub aber nicht, dass wir euch dauerhaft vom Haken lassen!“, stellte sie nachdrücklich klar und ließ den jammernden Mic los. „Das ist bloß die Schonfrist~“ „Uhm…“ „Komm schon, Mic! Heute Abend will ich feiern gehen! Lass uns die anderen abfangen, vielleicht haben die ja Zeit für uns?“ Yagi hörte, wie sie mit ihrer Peitsche knallte, bevor sie sich ihre Tasche schnappte und das Lehrerzimmer verließ. Ihr Freund folgte ihr, wobei er herumkrakeelte, dass sie auf ihn warten sollte. Noch während sich Yagi fragte, durch welche Umstände die beiden und Aizawa wohl Freunde geworden waren, betrat eben dieser mit genervtem Blick den Raum. „Was ist mit denen wieder los?“, brummte er, hängte dabei den gelben Schlafsack über seinen Stuhl. Yagi glaubte nicht, dass er wirklich eine Antwort erwartete und blieb daher still. Seine große Hand glitt wieder zur Hosentasche und erneut überkam ihn die Nervosität. Durch das lange Schweigen anscheinend stutzig geworden, linste Aizawa über seinen Monitor zu ihm herüber, zog die Stirn in Falten. „…haben sie was Komisches gesagt? Also…komischer als sonst…?“, wollte er wissen, woraufhin Yagi hastig den Kopf schüttelte. „Oh…nein. Nein, das nicht…“, gab er rasch zurück und hob abwehrend die Hände. Aizawas Blick wurde eine Spur skeptischer, ehe er schnaubte. „…ich werde sie verprügeln.“ „Das…musst du nicht, Aizawa-kun. Es geht nicht darum, es…ich…Moment!“ Er erhob sich rasch und ging um den Tisch herum, bis er vor dem Underground-Hero stand, welcher fragend zu ihm aufblickte. Eine Hand hatte er in seiner Hosentasche vergraben, die Finger um die beiden Karten gekrampft. „Ich…also, wie hatten wenig Zeit füreinander, seit der Tagung – und das ist auch vollkommen in Ordnung! Das soll kein Vorwurf sein…eh…nur, also, ich habe mir Gedanken gemacht und…vielleicht, wenn du noch nichts vorhast, dann…könnten wir vielleicht heute…ausgehen?“ Er zog die Karten aus der Tasche und hielt sie dem perplex dreinschauenden Mann direkt vor die Nase. Abermals Stille, die dunklen Augen fixierten die Kinokarten, auf die das Programm gedruckt worden war. „Es…ist ein Actionfilm. Ich dachte, dass du so etwas vielleicht mögen könntest. Und…ich habe extra eine frühere Vorstellung ausgesucht, weil…wir danach noch essen gehen könnten, dachte ich, und…du könntest in der Nacht trotzdem deinem Job nachgehen.“ Aizawa sagte immer noch nichts, sondern blinzelte erst die Karten an und dann ihn. Überrascht hatte er ihn jedenfalls, wenn er den Ausdruck richtig deutete, nur war er unsicher, ob positiv oder negativ. „Wir…müssen nicht hingehen“, wandte er vorsichtig ein. „Es war bloß eine Idee…und falls uns jemand…na ja, sieht…auch gute Freunde können ins Kino gehen oder…etwas essen gehen…“ Aizawa neigte leicht den Kopf, den Blick weiterhin in seinen bohrend. „Fragst du mich nach einem Date?“ Yagi schluckte hörbar, spürte seine Wangen glühen. „Ich…schätze schon…“ Der Jüngere nickte langsam, seine Mundwinkel zuckten leicht, was ein gutes Zeichen war…oder? „Kino und essen gehen ist gut…allerdings wirst du mich so mitnehmen müssen. Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen, bevor wir los können…das wird knapp.“ Yagi versuchte, nicht allzu sehr wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen, aber die Antwort ließ alle Sorgen von ihm abfallen. Sie hatten tatsächlich ein Date…und ihm war vollkommen egal, was Aizawa trug, solange er nur den restlichen Tag mit ihm verbringen konnte. „Sei dir gewiss, ich habe nichts an dir auszusetzen! Lass es mich nur wissen, falls ich helfen kann!“, erwiderte er euphorisch und reckte die Faust. Aizawa seufzte langgezogen, ehe er sich den Nacken rieb. „Nein. Schon gut“, lehnte er ab. „Gib mir einfach die Karte, ich komme später direkt dorthin.“ Das versetzte seiner Hochstimmung zwar einen kleinen Dämpfer, doch er ließ sich nichts anmerken, reichte dem anderen die Kinokarte. Natürlich verstand er Aizawa, schließlich gab es auch in seinem Leben Angelegenheiten, aus denen er ihn raushalten musste. One for All war bloß eine von vielen…wobei er schon einige Male daran gedacht hatte, Aizawa davon zu erzählen. Dass er diesem vertrauen konnte, daran zweifelte er nicht…dennoch war es nicht gut, wenn zu viele Leute davon wussten. Midoriya, den es betraf, war eine Sache, Gran Torino und Tsukauchi waren seine engsten Vertrauten, ebenso wie Recovery Girl und Nezu aus diversen Gründen darüber Bescheid wussten. Oh und Bakugou… „In Ordnung“, meinte er daher und lächelte wieder. „Dann sehen wir uns später.“ Aizawa nickte, nahm seine Karte entgegen, wobei sich ihre Hände einen Moment länger als nötig berührten. Allerdings wollte Yagi ihn nicht weiter abhalten, weswegen er sich daran machte, seine Sachen zu packen und den PC herunterzufahren. Sie hatten nachher sicher genügend Zeit füreinander und er selbst hatte auch noch ein, zwei Dinge zu erledigen. Zwei Stunden später stand Yagi etwas abseits am Kino Musutafus, warf immer wieder einen Blick auf sein Handy. Aizawa verspätete sich, hatte ihm aber bislang keine Nachricht zukommen lassen, dass etwas dazwischen gekommen war. Ob er ihm schreiben sollte? Oder lieber anrufen? Wahrscheinlich würde er jede Minute da sein, er musste einfach noch etwas Geduld haben…die Werbung im Kino war ja immer recht lang. Es machte nichts, wenn sie diese verpassten. Yagi atmete durch, ließ den Blick zu den Leuten schweifen, die das Kino betraten. Da er die Vorstellung um 17 Uhr ausgewählt hatte, war es noch nicht allzu voll, was vermutlich auch Aizawa ganz lieb war. Dieser mochte schließlich keine Menschenmassen und schon gar nicht den Hype um Yagi alias All Might. Um dem ein wenig zu entgehen, hatte er seine förmliche Kleidung gegen legerere getauscht. Wie lange er schon kein einfaches Shirt mehr getragen hatte…geschweige denn ausgeblichene Jeans. Damals in Amerika hatte er in seiner Freizeit kaum etwas anderes getragen, aber da war er auch deutlich jünger gewesen. Nun, sein dunkelblaues Shirt mit rotem Print passte jedenfalls zum Baseball-Käppi, das er trug, um nicht direkt durch seine blonde Mähne aufzufallen. Er stutzte plötzlich, warf einen hektischen Blick von rechts nach links; hatte Aizawa ihn möglicherweise übersehen und war schon hineingegangen? Hoffentlich nicht...aber wenn doch…er sollte ihm vielleicht wirklich schreiben, griff daher nach seinem Handy. „…was soll der Aufzug?“ Vor Schreck fiel ihm beinahe das Handy aus der Hand, doch er fing es noch rechtzeitig auf, atmete hörbar aus. Dann wandte er sich dem Underground-Hero zu, der direkt hinter ihm stand und ihn mit gerunzelter Stirn musterte. Wie bereits angekündigt, trug Aizawa immer noch seinen schwarzen Jumpsuit inklusive Capture Weapon…und er wirkte erschöpfter als vorher. „Uhm…ich dachte, ich bin so etwas…unauffälliger…?“, bemerkte er schief grinsend und kratzte sich an der Wange. „Deine Definition von Unauffälligkeit solltest du bei Gelegenheit überdenken“, erwiderte Aizawa und unterdrückte im nächsten Moment ein Gähnen. „Hn…ich weiß, ich bin spät dran. Es hat sich alles etwas…verzögert. Sorry.“ Yagi war sich gerade nicht mehr sicher, ob Kino noch eine gute Idee war, wenn der Jüngere bereits jetzt so müde wirkte. Er schüttelte den Kopf, winkte ab. „Mach dir deswegen keine Sorgen. Falls du deine Meinung geändert hast…wir können es auch verschieben?“, bot er ihm an. Es war nicht so, dass er es verschieben wollte, schließlich hatte er sich sehr darauf gefreut. Allerdings konnte er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, Aizawa darauf festzunageln, wenn dieser offensichtlich erschöpft war. „Unsinn“, brummte dieser schroff. „Du hast die Karten schon bezahlt und ich habe zugesagt. Wir verschieben nichts.“ Ein warmes Lächeln legte sich bei diesen Worten auf Yagis Lippen, woraufhin auch Aizawas Ausdruck milder wurde. Am liebsten hätte er ihn geküsst, doch sie standen mitten in der Öffentlichkeit, sodass er davon absah. Er musste die Aufmerksamkeit der Leute ja nicht provozieren und sicher war dies auch in Aizawas Sinn. „Du musst nicht immer bezahlen.“ Yagi warf dem Jüngeren einen verwirrten Blick zu, während er sich neben diesen sinken ließ und sein Wasser in die dafür vorgesehene Halterung stellte. Wie erwartet, lief immer noch die Werbung, trotzdem sie relativ spät dran waren. Ihre Plätze lagen ganz rechts, in der mittleren Reihe, sodass sie zwar nicht die beste Sicht hatten, aber definitiv mehr Ruhe. Tatsächlich waren die Sitze neben ihnen nicht belegt und auch direkt hinter ihnen saß noch niemand. „Nun, ich habe dich schließlich eingeladen“, bemerkte er langsam. Er hätte noch hinzufügen können, dass es ihm nicht an Geld mangelte, trotzdem das meiste davon in seine Stiftungen und Projekte floss. Allerdings kannte er Aizawas Einstellung gut genug, sodass er lieber nicht riskierte, vor diesem ungewollt zu protzen und ihn damit zu verärgern. Stattdessen beobachtete er ihn lächelnd, wie er ein paar salzige Lakritze aus der Tüte fischte und sich diese in den Mund schob. „Das nächste Mal zahle ich“, hörte er ihn brummen. „Es gibt also schon ein nächstes Mal?“, fragte er amüsiert, woraufhin Aizawa eine Braue hob. „Hattest du Zweifel daran?“ „Uns betreffend? Wenige…“, antwortete Yagi zögerlich, ließ den Blick zur Leinwand schweifen. Es wurde die Vorschau eines neuen Thrillers gezeigt, wobei die Lautsprecher ihre gedämpften Stimmen übertönten, was auch ganz gut so war. „Wenige, huh?“, wiederholte Aizawa leise. Der Blonde nickte langsam, wünschte sich gleichzeitig, er hätte nichts gesagt. Andererseits kannte Aizawa seine Bedenken ebenso, wie er die seinen kannte, und nicht alle verschwanden über Nacht. So glücklich er sich fühlte, es gab immer noch Hindernisse, die sie jetzt noch ausblenden konnten…irgendwann vielleicht nicht mehr. So wie die Tatsache, dass er gut 20 Jahre älter war…doch er wollte gerade weder daran denken, noch es ausdiskutieren. „Es ist nur…du hattest Recht“, murmelte er und spürte Aizawas dunkle Augen auf sich ruhen. „Es ist schwierig, Zeit für…uns zu finden. Das ist schade, aber es lässt sich nicht ändern.“ Er hoffte, dass ihn der Underground-Hero nicht falsch verstand, aber wie er diesen kannte, würde er keine Missverständnisse zulassen. Aizawa war kein Mensch, der solche Angelegenheiten totschwieg. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie der andere die Tüte beiseitelegte, ihn dabei weiterhin fixierend. „Nun…“, hörte er ihn gedehnt sagen und stutzte, als sich eine Hand in seinen Nacken legte. „Ein weiterer Grund, jede Minute dieser kurzen Zeit zu nutzen, nicht wahr?“ Gleich darauf spürte er Aizawas Lippen auf seinen, vernahm den salzigen Lakritz-Geschmack, der noch daran haftete. Im selben Moment ging das Licht aus, kündigte den Beginn des Filmes an, doch keiner von ihnen beiden beachtete dies noch. Yagi lehnte sich Aizawa entgegen, genoss den innigen Kuss, wobei er eine Hand an die kratzige Wange legte, mit dem Daumen darüber strich. Da war es wieder, dieses Gefühl, das ihm jegliche Bedenken nahm und wie pures Glück durch seine Adern strömte. Jede Minute nutzen…seinetwegen auch gern jede Sekunde, denn sie beide lebten ein gefährliches Leben. Er überließ dem anderen die Führung, erwiderte die Berührungen…bis sie sich schließlich doch voneinander lösten. Erst jetzt fiel Yagi auf, dass er sein Käppi während ihres leidenschaftlichen Kusses verloren hatte; vermutlich lag es irgendwo auf dem Boden. Er hörte Aizawa zufrieden brummen, ehe sich dieser sofort wieder an ihn lehnte, den Kopf an seiner Schulter ruhen ließ. Um ihm etwas mehr Komfort zu biete, legte Yagi den Arm um ihn, versuchte dann, sich auf die Leinwand zu fokussieren. Sein Herz klopfte so schnell, dass es ihm nicht leicht fiel, doch er nahm sich zusammen. Vielleicht hatten sie später Zeit für weitere Zärtlichkeiten…hoffentlich, denn er verzehrte sich danach. Nach Aizawa…und diesem Gefühl. Ihm entging nicht, dass Aizawa während des Films das ein oder andere Mal döste, doch weder nahm er dies persönlich, noch versuchte er, ihn zu wecken. Wenn er ehrlich war, hatte er das Kino wegen der ruhigen Atmosphäre ausgewählt. Sicher, es war ein Actionfilm und zumindest Yagi fand ihn spannend, jedoch hätte er nicht mehr Spaß gehabt, wäre Aizawa die ganze Zeit wach gewesen. Wenn der Underground-Hero den Schlaf brauchte, war Yagi froh, ihn ihm ermöglichen zu können. Im Restaurant war er dadurch vielleicht wacher und dort konnten sie sich auch vernünftig unterhalten, wofür das Kino ein schlechter Ort war. Nein, er hatte die Reihenfolge bewusst so gewählt. Er streichelte dem Jüngeren durch die zerzausten Haare, durchkämmte die Strähnen mit den Fingern, während seine blauen Augen auf die Leinwand gerichtet waren. Trotzdem ihm der Film gefiel, konnte er die Bitterkeit, die in ihm aufstieg, nicht unterdrücken. Seine Zeit als Held war abgelaufen…zumindest was den aktiven Dienst betraf. Vermutlich würde er ein Kostüm nur noch dann anziehen, wenn man ihn als alten Veteranen zu irgendwelchen Events einlud...falls er seine Muskelform überhaupt jemals wieder länger aufrechterhalten konnte. Er glaubte nicht daran. Aber gut, es war nicht zu ändern…immerhin konnte er wenigstens der neuen Generation zur Seite stehen. Er würde alles in seiner Macht stehende tun, um Midoriya und die anderen Schüler ihren Zielen näher zu bringen. Nach vorn schauen, positiv denken…es gab genügend Menschen, die ihn brauchten. Auf eine andere Art und Weise als bisher, aber dadurch war er nicht nutzlos. Er hielt inne, als sich Aizawa an seiner Schulter regte und leise gähnte, allerdings keine Anstalten machte, sich von ihm zu lösen. Mit einem sanften Lächeln strich er ihm die Haare aus der Stirn, bemerkte, dass der andere unter halb gesenkten Lidern zur Leinwand sah. Der Film neigte sich dem Ende, was Aizawa wohl gerade bemerkte, denn er legte den Kopf in den Nacken, schaute zu ihm hoch. „…du hättest mich wecken können“, murmelte er, woraufhin Yagi die Schultern zuckte. „Du hast den Schlaf gebraucht.“ „Trotzdem…“ War das der Anflug eines schlechten Gewissens? Falls ja, war dies zwar unnötig, aber dass Aizawa überhaupt eines hatte, sagte für ihn genug aus. Es freute ihn, dass sich der andere Gedanken um ihn machte. „Es ist wirklich in Ordnung, mach dir keine Sorgen“, gab er leise zurück. Der Underground-Hero blickte ihn noch einen Moment lang prüfend an, als würde er sichergehen wollen, dass er die Wahrheit sagte, ehe er nickte. „Na gut“, meinte er und löste sich dann von ihm, um sich kurz zu strecken. „…du hast was von essen gehen gesagt.“ Da Aizawa nichts dagegen hatte, den nicht allzu weiten Weg zu Fuß zurückzulegen, gingen sie direkt los, anstatt ein Taxi zu rufen. Yagi musterte den Jüngeren von der Seite her nachdenklich, woraufhin dieser seinen Blick erwiderte. „Was ist?“ „Oh…also, ich dachte gerade…ich hab mich gefragt, warum du nie einen Führerschein gemacht hast.“ Aizawa wirkte über die Frage zwar nicht verärgert, antwortete aber nicht sofort. Es kamen ihnen einige Menschen entgegen, viele verschiedene Menschen, doch niemand blieb seinetwegen stehen. Vielleicht war das Käppi ja doch nützlicher, als er angenommen hatte – oder das Interesse an All Might schwächte langsam ab. Irgendwann würde dies anfangen…das wusste er. „…ich lebe minimalistisch“, hörte er ihn schließlich sagen. „Wozu einen Führerschein machen, wenn ich ihn nie genutzt hätte? Das ergibt keinen Sinn.“ Dem musste Yagi innerlich zustimmen, auch wenn er es nicht ganz nachvollziehen konnte. Minimalistisch leben…heute lebte er selbst zwar viel bewusster, als in seinen jungen Jahren, doch Aizawas Einstellung war schon sehr speziell. Die meiste Zeit über ernährte er sich von diesen flüssigen Gel-Packs, schlief bei jeder Gelegenheit und an jedem Ort in seinem Schlafsack…und er besaß abgesehen von ein, zwei Hemden anscheinend nur seinen Jumpsuit. Oder mehrere davon. Das war jenseits von Bescheidenheit und er fragte sich, was Aizawa dazu gebracht hatte, sich für so ein Leben zu entscheiden. „Nicht mal, als du jünger warst?“, hakte er nach. Aizawa schnaubte leise. „Ich war als Teenager nicht viel anders als jetzt…frag Mic. Er hat damals meinen Heldennamen ausgesucht. Mir waren solche Dinge immer recht egal.“ Yagi konnte nicht anders, als sich einen jungen, missmutig dreinblickenden Aizawa vorzustellen und daneben den jungen Present Mic, der ihm euphorisch ins Ohr brüllte. Er musste bei dem Gedanken schmunzeln, schüttelte dann den Kopf. „Ich war da wohl etwas anders.“ „Das überrascht mich nicht“, hörte er Aizawa brummen. „Sag das nicht so…nach Senseis Tod war mein Leben nicht gerade leicht“, erwiderte er, dachte daran zurück. „Die Zeit in Amerika hat mir gut getan…und ja, ich habe den Ruhm und das Geld genutzt, das stimmt. Es war…befreiend für mich. Der ganze Druck, der auf mir gelastet hat…und den ich mir selbst gemacht habe…es war für mich ein Ausgleich.“ Seine blauen Augen erfassten Aizawa und er erwartete regelrecht, dass dieser einen abfälligen Kommentar dafür übrig hatte. Es war kein Geheimnis, dass der Jüngere eine Abneigung gegen solch ein Verhalten hegte. Zu seiner Verwunderung zuckte dieser bloß mit den Schultern, während sie um die Ecke bogen. „Du hattest deine Gründe und ich meine. Daran ist nichts falsch“, murmelte er bloß und Yagi war froh, dass er dies sagte. Es nahm ihm die Anspannung, wenn auch nicht ganz, denn etwas beschäftigte ihn schon seit einigen Minuten. Erst hatte er gedacht, er wäre paranoid, aber mittlerweile...auf seine Sinne war nach wie vor Verlass, Ruhestand oder nicht. „Aizawa-kun...“ Anscheinend reichte die Tonlage, in der er seinen Namen sagte, aus, um dem anderen zu signalisieren, dass ihr Gespräch vorerst beendet war. Der Underground-Hero gab einen zustimmenden Laut von sich, hatte es also ebenfalls bemerkt. „Ich weiß.“ Sie tauschten einen raschen Blick miteinander, ehe Yagi nickte…mit ihm zusammen in eine Seitengasse bog. Eine Sackgasse, was ihnen beiden sehr gelegen kam…und sie fuhren gleichzeitig herum, kaum dass ihre Verfolger zu ihnen aufzuschließen versuchten. Er sah Aizawas Capture Weapon aus den Augenwinkeln an ihm vorbeischnellen, während er selbst einen von ihnen grob am Arm packte, um ihn sich mit so viel Kraft, wie er aufbringen konnte, über die Schulter zu werfen. Er mochte keine 250 Kilogramm mehr auf die Waage bringen, doch seine Techniken hatte er nicht verlernt. Ein schmerzerfülltes Keuchen drang an seine Ohren, als er seinen kleineren Gegner zu Boden rang und ihn mit seinem eigenen Gewicht dort hielt, die große Hand um dessen Kehle geschlossen. Gleich darauf stutzte er, blickte geradeswegs in zwei riesige, grüne Augen, die ihm aus einem sommersprossigen Gesicht entgegen blickten. Oh nein…er spürte, wie ihm heiß und kalt wurde. Bitte nicht… „All Might!!“ „Aizawa-sensei!!“ Weitere Schritte ertönten hinter ihnen, ebenso wie viel zu vertraute Stimmen. Er schmeckte Blut in seinem Mund, konnte sich gerade noch so davon abhalten, dieses direkt in das rot angelaufene Gesicht seines Nachfolgers zu spucken. Dieser bekam immer noch keinen Ton raus – was vielleicht auch daran lag, dass er dem Jungen die Luft abdrückte. Rasch ließ er ihn los und stieg von ihm herunter, woraufhin dieser sich hustend aufsetzte und sich den wunden Hals rieb. „Oh Gott…Midoriya-shonen, es…das tut mir leid!!“, entfuhr es ihm hastig und er hob abwehrend die Hände. „Es…aber wirklich, man schleicht doch niemandem nach! Das…gehört sich nicht…“ Yagi warf einen nervösen Blick hinter sich, wo Uraraka, Iida und Asui standen, denen das Unwohlsein ins Gesicht geschrieben stand. Ihm wurde übel, wenn er daran dachte, wie lange die vier…nein, fünf…ihnen schon folgten und was sie gesehen hatten. Er schaute zu Aizawa, dessen Augen rot leuchteten, während er Todoroki mit seiner Capture Weapon gefangen hielt; der arme Junge konnte vermutlich keinen Muskel rühren, zumal sein Quirk nicht funktionieren dürfte. „Verzeihung, All Might! Aizawa-sensei!“, kam es wie aus der Pistole geschossen von Iida und er verneigte sich so tief, dass ihm die Brille beinahe von der Nase rutschte. „Wir…uns ist bewusst, dass sich so etwas nicht gehört und wir werden jede Strafe dafür akzeptieren! Es lag nicht in unserer Absicht, etwas Unrechtes zu tun!“ „Es stimmt, was Iida-kun sagt!!“, pflichtete Uraraka ihm bei. „Wir…waren bloß…uhm…na ja…“ „Neugierig“, führte Asui ihren Satz ruhig weiter. „Als wir Sie im Kino gesehen haben, wurde uns klar, dass die Gerüchte stimmen, kero.“ Yagi starrte sie an, drückte sich hastig die Handfläche auf den Mund, um das Blut abzufangen. Im Kino gesehen?! Gerüchte?! Ein tiefes Seufzen ertönte von Aizawa, dessen Haar gerade herabfiel, gleichzeitig nahmen seine Augen wieder die gewohnt dunkle Farbe an. Die Bandagen zogen sich zurück, ließen Todoroki frei, welcher weder etwas sagte, noch sonderlich geschockt wirkte. Er blickte Aizawa lediglich mit gerunzelter Stirn an, die Miene unleserlich…während Midoriya, der sich mittlerweile aufgerappelt hatte, keinen von ihnen ansehen konnte. „Ihr sprecht von dem Foto aus dem Freizeitpark“, stellte Aizawa monoton fest und verschränkte die Arme. „Welches Foto?“, entwich es Yagi verdutzt. „Uhm…das, wo Sie beide aneinander gekuschelt im Bus schlafen“, klärte Uraraka ihn auf und ihre Wangen röteten sich. Yagi blickte sie ungläubig an, merkte, wie ihm ebenfalls das Blut in die Wangen schoss; warum hatte Aizawa ihm nichts davon erzählt? Andererseits…was hätte es geändert? Welche Auswirkungen würde es jetzt haben? Er fühlte sich so überrumpelt, dass er gar nicht zu reagieren wusste, einen Blick mit Aizawa tauschte, der recht finster drein schaute. „Es…stimmt also?“, kam es zögerlich von Uraraka. „Sie sind ein Paar? Immerhin haben Sie sich gekü-“ „Uraraka-kun! Die privaten Angelegenheiten unserer Lehrkräfte gehen uns nichts an!“, grätschte Iida hinein und richtete seine Brille. „Wir hätten Ihnen nach dem Kino nicht folgen dürfen! Das war falsch! Allerdings muss ich Ihnen sagen, dass wir zufällig dort waren und Ihr schamloses Verhalten in der Öffentlichkeit erst dazu geführt hat, dass wir Ihnen nachgestellt haben. Bitte verstehen Sie dies nicht falsch, aber…Sie sollten auch an Ihren Ruf und das Bild, das Sie vermitteln, denken!“ „Aber Iida-kun, wenn die zwei doch verliebt sind? Warum sollen sie es denn nicht zeigen?“, empörte sich Uraraka und stemmte die Hände in die Hüften. „Wenn die Leute etwas dagegen haben, ist das ja wohl ihr Problem!“ „Darum…darum geht es doch gar nicht!“, verteidigte sich Iida sofort. „Also…nicht nur…wenn die Medien davon Wind bekommen…“ „Iida-chan hat gar nicht so Unrecht“, überlegte Tsuyu, neigte den Kopf zur Seite. „Die Medien würden sich sicher darum reißen, es veröffentlichen zu dürfen…aber Ochako-chan hat auch Recht. Wenn jemand etwas dagegen hat, sollte dies weder Aizawa-sensei noch All Might kümmern, kero.“ Yagi blickte irritiert von einem zum anderen, nicht wissend, ob und was er dazu sagen sollte; es war ja irgendwie nett, dass die drei sich solche Gedanken um sie machten, aber…auch sehr unangenehm. Er bemerkte, wie Aizawas Braue gefährlich zuckte, während er mit angesäuerter Miene dem Gespräch zuhörte. Die beiden Jungs beließen es beim Schweigen, was Yagi gerade bei Midoriya bedenklich fand; schockte es ihn so sehr, dass Aizawa und er…? „Hn…Iida hat mit einem Recht. Es geht euch tatsächlich nichts an!“, fiel ihnen Aizawa schroff ins Wort. „All Might und ich sind alt genug, um selbst entscheiden zu können, was wir tun und welches Risiko wir dabei eingehen. Unsere Beziehung hat keinen Einfluss auf den Unterricht oder eure Entwicklung, sondern betrifft unsere Freizeit – die euch nicht zu interessieren hat, wie ich bereits sagte.“ Auf die deutliche Aussage hin wurde es abermals sehr ruhig und Yagi spürte, wie sein Herz in seiner Brust hämmerte. Dass Aizawa es so deutlich sagte, hatte er nicht erwartet. Andererseits…hatten sie nicht bereits festgelegt, dass sie kein Geheimnis daraus machen würden? Er hatte ja Recht, sie waren keine Teenager mehr, die sich verstecken mussten, weil sie die Reaktionen fürchteten. Dennoch machte ihm Midoriyas Schweigen Sorgen und er warf dem Jungen einen längeren Seitenblick zu. „Ich wusste es!“, rief Uraraka aus und klatschte in die Hände. Asui neigte den Kopf von rechts nach links, sah von ihm zu Aizawa. „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie beide homosexuell sind, kero“, sprach sie offen aus, was sie dachte. „Aber irgendwie…ist es doch…niedlich.“ „Ich finde es auch total süß!“ Sollte er sich nun glücklich schätzen, dass die beiden Mädchen so gut damit zurechtkamen? Die Hitze, die ihm gerade erneut ins Gesicht stieg, ließ jedoch wenig Erleichterung zu, sodass er nur seine Hände knetete, den Blick auf diese senkte. „…ist es nicht“, brummte Aizawa verärgert. „Und damit ihr mich richtig versteht…ihr werdet das für euch behalten. Weder All Might noch ich haben Lust, weiterhin Mittelpunkt von irgendwelchem Tratsch zu sein. Verstanden?!“ „Aber natürlich! Sie können sich auf uns verlassen!“ „In Ordnung, kero.“ „Oh…wir dürfen nicht darüber – eh…vergessen Sie’s, ehehe…unsere Lippen sind versiegelt!“ Uraraka grinste schief und rieb sich bei dem scharfen Blick ihres Hauslehrers den Nacken, wissend, dass sie dessen Zorn nicht heraufbeschwören sollte. Dieser schnaubte, wandte sich dann zu Todoroki um, welcher ihn nach wie vor skeptisch anblickte. „Midoriya, Todoroki…ihr seid damit genauso gemeint.“ „Uhm…ja…natürlich, Aizawa-sensei…uhm…“, stammelte Midoriya mit hochroten Wangen und sah nun zum ersten Mal wieder zu ihnen auf. Todoroki dagegen zuckte recht teilnahmslos mit den Schultern. „Ehrlich gesagt, verstehe ich den Aufruhr sowieso nicht“, erwiderte dieser ruhig. „Ich kann es zwar nicht nachvollziehen, aber na ja…es betrifft nur Sie beide, nicht wahr?“ Yagi lächelte schief bei den Worten, denn sie zeigten mal wieder, wie wenig Todoroki Shoto nach seinem Vater schlug; dieser hätte sicher nicht so erwachsen darauf reagiert. Trotzdem machte ihm Midoriya immer noch Sorgen, wobei das vielleicht daran lag, dass er eine…positivere Reaktion erwartet hatte. War der Junge enttäuscht von ihm? Schließlich war er dessen Idol…und so etwas konnte hohe Erwartungen hervorrufen. War das nicht einer der Gründe, wegen dem er diese Neigung stets unterdrückt hatte? Der perfekte All Might, das Symbol des Friedens…aber das war er nun nicht länger und das wusste Midoriya von allen am besten. „Gut. Dann rate ich euch, unsere Verabredung nicht weiter zu stören“, riss ihn Aizawas harsche Stimme aus den Gedanken. Uraraka stieß ein hohes Quietschen aus, während sie sich die Wangen hielt, jedoch verstummte sie rasch, als sie das rote Blitzen in Aizawas Augen sah. Iida dagegen straffte die Schultern und verbeugte sich abermals sehr tief. „Wir werden Sie nicht weiter belästigen!“, versprach er. „Verzeihen Sie unser impertinentes Verhalten und meine harten Worte darüber, wie Sie mit Ihrer Beziehung in der Öffentlichkeit umgehen sollten! Das war anmaßend, das sehe ich nun ein, und es wird nicht wieder vorkommen!“ Aizawa knirschte mit den Zähnen und man sah ihm an, wie genervt er von der überschwänglichen Entschuldigung war. „Schon gut…verschwindet einfach“, brummte er und winkte ab. Todoroki warf ihnen beiden einen weiteren skeptischen Blick zu, ehe er abermals die Schultern zuckte und sich abwandte. Bevor sie sich jedoch alle zum Gehen wenden konnten, räusperte sich Yagi, fixierte erst Midoriya und dann Aizawa. „Uhm…einen Moment noch, Aizawa-kun. Ich möchte kurz mit Midoriya-shonen unter vier Augen sprechen. Es dauert nicht lange…Shojo, Shonen.“ Zuerst wirkten sie alle, Midoriya eingeschlossen, irritiert, doch schließlich seufzte Aizawa und scheuchte ihre Schüler aus der Gasse. Ein bisschen tat er ihm leid, denn sicher würden sie die Zeit nutzen, um ihn mit Fragen zu bombardieren, wobei Yagi ihnen ihre Neugierde nicht übelnahm; sie waren eben jung und wenn er bedachte, wie Midnight und Present Mic reagiert hatten… Der blonde Hüne hielt inne, bevor er abschweifen konnte, und drehte sich seinem Nachfolger zu, der nervös zur Seite sah. Sonst wich er seinem Blick nicht ständig aus…beunruhigend. „Möchtest du mir nicht sagen, was dir auf der Seele brennt?“, fragte er gerade heraus und wappnete sich mental. „Ich kann verstehen, dass das…vielleicht verstörend auf dich wirkt, doch ich versichere dir, dass sich nichts geändert hat. Ich…habe bloß nach langer Zeit jemanden an meiner Seite, für den ich sehr viel empfinde.“ Midoriya öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder, während vom Boden zu ihm hoch flackerte…zurück und…nach dem dritten Ansatz sagte er endlich etwas. „Das…uhm…ist es ja gar nicht. Ich meine, es ist schon…ich dachte nicht, dass du…also, dass du Männer magst. Nicht auf diese Weise…das stand nie in irgendeinem Interview, aber wenn man darüber nachdenkt, ist es logisch, dass du es für dich behalten hast. Ich meine, ich kann verstehen, dass du das nicht öffentlich machen wolltest, es macht ja sicherlich einiges komplizierter und es geht auch niemanden etwas an, da hat Aizawa-sensei schon Recht. Er kann die Medien ja überhaupt nicht ausstehen, also ist es kein Wunder, dass-“ „Oi, shonen!“, unterbrach Yagi ihn und gestikulierte mit den Händen, um den Redeschwall zu stoppen. „Da kommt man ja gar nicht mehr mit…uhm…zusammengefasst hast du also kein Problem damit?“ Midoriya blinzelte ihn für ein paar Sekunden verwirrt an, doch dann schien er zu begreifen. „Problem? Oh! Nein! Nein, natürlich nicht! Es kommt nur so überraschend und ich frage mich, wie du und Aizawa-sensei…ich dachte immer, er könnte dich nicht leiden. Genau genommen hat er das auch oft gesagt und deswegen…ihr…das hat, glaube ich, keiner erwartet. Ihr seid so unterschiedlich, aber vielleicht ist ja gerade das der Grund, warum es funktioniert.“ Was dies betraf, hatte sich Yagi anfangs dasselbe gefragt, aber irgendwie hatten sie dann doch zueinander gefunden. Mit Kätzchen-Schokolade und Aizawas direkter Art, ohne die es sicherlich länger gedauert hätte. Zumal der Jüngere keine solche Abneigung mehr gegen ihn hegte, wie es anfangs der Fall gewesen war. Sie hatten einander kennengelernt. Richtig kennengelernt. „Es hat sich viel zwischen uns verändert“, erwiderte Yagi nachdenklich. Er wollte dem Jungen nichts im Detail erzählen, ihm bloß mitteilen, dass er sich keine Sorgen machen musste. Dass…er jemanden gefunden hatte, mit dem er sein Leben auf diese Weise teilen konnte. „Wir sind zwar unterschiedlich, aber wir respektieren und vertrauen einander…und ich denke, dass das eine gute Basis ist.“ Das war generell oft ein Problem gewesen, als er noch das Symbol des Friedens gewesen war. Vertrauen…doch selbst, wenn er nicht im Ruhestand gewesen wäre, so konnte er bei Aizawa sicher sein, dass ihre Beziehung auf ehrlichem Interesse beruhte. Er kratzte sich an der Wange, wusste nicht, wie er es ausdrücken sollte. „…diese Beziehung tut mir gut“, fügte er schließlich an. Midoriya schwieg ein paar Sekunden, blickte ihn verwundert an, ehe er bedächtig nickte. „Verstehe…ich denke, es ist gut, jemanden an seiner Seite zu haben, dem man vertrauen kann. Egal, ob es sich dabei um eine Frau oder einen Mann handelt, solange man glücklich mit dieser Person ist…und ich freue mich für dich. Das tue ich wirklich!“ Die Worte rührten etwas in ihm und Midoriyas ehrliches Lächeln verstärkte diese Empfindung noch, nahm ihm alle Anspannung. Yagi glaubte ihm und es erleichterte ihn; anscheinend hatte er die Situation falsch gedeutet. Im Nachhinein kam es ihm dumm vor, an Midoriyas Toleranz gezweifelt zu haben, aber so warmherzig dieser auch war, er war immer noch ein Teenager. Yagi hatte die Vierzig längst überschritten und sich Jahrzehnte mit seiner Sexualität schwergetan, tat es auch jetzt noch teilweise. Trotzdem sie es lieber hatten geheim halten wollen, fühlte es sich gut an, dass zumindest ein paar Leute davon wussten. Midoriya stand ihm nahe, ebenso wie auch Midnight und Present Mic wichtige Personen für Aizawa waren. Ein Lächeln legte sich auf seine ausgezehrten Züge, als er die Schulter des Jungen drückte. „Danke, Shonen…das bedeutet mir viel.“ Midoriya wirkte verlegen, rieb sich den Nacken. „Ach was…“ „Und nun geh besser schnell zu deinen Freunden – bevor Aizawa-kun doch noch die Geduld verliert.“ Um dieser Warnung die Schärfe zu nehmen, zwinkerte er einmal, auch wenn Midoriyas Miene trotzdem gequält aussah. Möglicherweise weil da ein Funken Wahrheit drin steckte; seine Zuneigung für den Underground-Hero hin oder her, dieser konnte furchteinflößend sein. „Da hast du Recht…ich beeile mich lieber!“, meinte Midoriya und lief los, hielt jedoch noch einmal inne. „Oh und viel Spaß noch bei eurem Date!“ Yagi errötete abermals, ehe er sich ein schiefes Grinsen abmühte und ihm den erhobenen Daumen entgegenstreckte. Er musste sich wirklich daran gewöhnen, so offen damit umzugehen. Vielleicht sogar noch mehr als ihre Schüler. „Das war anstrengend.“ Yagi warf dem Jüngeren einen Seitenblick zu, während ihre Schüler langsam aus ihrem Sichtfeld verschwanden. Aizawa hielt die Arme verschränkt, schaute recht missgelaunt drein. „Ehrlich gesagt finde ich, dass es sehr gut gelaufen ist“, bemerkte er mit einem milden Lächeln, woraufhin der andere schnaubte. „Ich sagte dir schon, dass du zu viel auf ihre Reaktionen gibst…“ Auf die Aussage hin musste Yagi schmunzeln, woraufhin Aizawa die Brauen zusammenzog, wohl nicht verstand, was daran so lustig war. „Manchmal wird mir klar, wie alt ich geworden bin“, erwiderte er auf die unausgesprochene Frage. „Die Menschen sind toleranter geworden…gerade die junge Generation. Daran muss ich mich noch gewöhnen.“ „Hn. Du machst da eine zu große Sache draus. Selbst wenn es anders wäre – es spielt keine Rolle. Du kannst niemanden dazu zwingen, dich so zu akzeptieren, wie du bist.“ Yagis Lächeln wurde bei den harsch ausgesprochenen Worten eine Spur wärmer. Möglicherweise sprach der andere aus Erfahrung…immerhin war dieser jünger als er und hatte seine Neigung scheinbar früh ausgelebt. Wobei Aizawa in der Regel recht wenig von seinem sowieso schon geringen Privatleben preisgab…nun, er wollte nicht nachbohren, lenkte daher ein. „Das stimmt…aber es ist ein gutes Gefühl, wenn es die Menschen, die einem nahe stehen, tun. Nicht wahr?“ Die Antwort folgte nicht sofort und bei Aizawas sturem Blick musste er ein Glucksen unterdrücken; vielleicht war es gar nicht schlecht, dass die fünf sie zusammen erwischt hatten. Es fühlte sich an, als sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen…und auch, wenn Aizawa so tat, als wäre es ihm egal, fühlte dieser sicher genauso. „Ist es“, gab dieser schließlich genervt zu, fuhr sich durch die zausen Haare. „Und jetzt lass uns essen gehen…ich habe Hunger. Du kannst mir unterwegs erzählen, wie der Film war…“ Yagi neigte belustigt den Kopf, nickte dann aber; ihr Date war ja schließlich noch nicht vorbei. Kapitel 8: Support ------------------ Still blickte er durch die Glasscheibe in das Zimmer, in welchem das zierliche, kleine Mädchen mit den silbernen Haaren lag. Sie fieberte immer noch stark, doch die Ärzte taten alles, um ihr zu helfen. Mehr als warten und hoffen, konnte man gerade nicht. Das Mädchen hatte so viele Grausamkeiten überlebt…sie würde jetzt nicht an Fieber sterben. Nach allem, was sie durchgemacht hatte, verdiente sie die Chance auf ein besseres Leben. Hoffentlich würde sie irgendwann mit anderen Kindern lachen können…und begreifen, dass sie kein Fluch für die Leute um sie herum war. Verstehen, dass böse Menschen ihr Scheußliches angetan hatten und sie keine Schuld daran trug. Sie war ausgenutzt und misshandelt worden. Die tiefen, seelischen Wunden würden länger auf ihr lasten, als die körperlichen. Eri würde jede Hilfe brauchen, die sie bekommen konnte – das schloss ihn mit ein, vor allem aber Midoriya und Togata. Togata…bei dem Gedanken an den jungen Mann wurde ihm schwer ums Herz. Es war ein heftiger Tag gewesen, für sie alle…auch wenn einige mehr Verluste als andere erlitten hatten. Bitter. Mehr konnte man dazu nicht sagen, obwohl die Mission erfolgreich gewesen war. Sie hatten erreicht, wofür sie hergekommen waren, doch…es hatte so viel gekostet. Aizawa wusste nicht, wie lange er schon hier stand. Die Wanduhr zeigte kurz nach Mitternacht an. Durch den Adrenalinschub hatte er die Müdigkeit bislang gar nicht wahrgenommen…oder das Brennen seiner Augen. Er griff in seine Tasche, holte das Fläschchen Augentropfen hervor und legte den Kopf in den Nacken. Die kalte Flüssigkeit fühlte sich erst unangenehm wie immer an, aber dann wirkte es wohltuend. Er senkte die Lider einen Moment, schob das Fläschchen zurück in die Hosentasche und atmete einmal tief durch. Wie gern er jetzt einen Kaffee gehabt hätte, denn so erschöpft er auch war, schlafen können würde er nicht. Er blinzelte, als er Schritte auf den Fliesen des Krankenhauses widerhallen hörte – und stutzte, als er die hünenhafte Gestalt näher kommen sah. Sie hatten bislang keine Zeit gehabt, miteinander zu sprechen. Aizawa hatte sich um die Schüler kümmern müssen, das hatte keinen Aufschub geduldet, zumal er Nighteye kaum gekannt hatte. Der blonde Wuschelkopf dagegen…war direkt betroffen. Schweigend musterte Aizawa seinen Freund, der noch deutlich mitgenommener als sonst aussah. Kein Wunder, schließlich war Nighteye jahrelang sein Sidekick gewesen und soweit er es mitbekommen hatte, waren sie im Streit auseinander gegangen. Wenigstens hatten sie vor seinem Tod noch ein paar klärende Worte ausgetauscht. Entschuldigen waren ausgesprochen worden. Tränen vergossen worden. Aizawa wusste, wie schlimm es war, auf diese Weise einen Freund zu verlieren – auch nach all den Jahren war diese Wunde noch nicht gänzlich verheilt. Würde sie vermutlich nie. Yagis Versuch, zu lächeln, endete so kläglich, dass es Aizawa fast körperlich wehtat. Ihm entging das Zittern seiner blutigen Unterlippe nicht, wie er sie zwischen die Zähne zog und sich bemühte, Haltung zu wahren. Sein Gesicht war noch fleckig, die blauen Augen glasig…und er schien nicht zu wissen, was er mit seinen Händen machen sollte. Aizawa zögerte. Nicht etwa aus Berührungsängsten oder weil er Sorge hatte, jemand könnte sie sehen…nein. Er wusste einfach nicht, was für ein Mensch Yagi war, wenn er trauerte. Aizawa selbst hatte damals kaum Berührungen ertragen, Yamadas Hand auf seiner Schulter hatte beinahe gebrannt. Er bevorzugte in solchen Fällen die Einsamkeit, doch Yagi…war nicht wie er. „…das ist sie also“, hörte er dessen heisere Stimme, als er sich zum Fenster wandte. Aizawa nickte bloß, beobachtete den anderen genau, damit ihm nichts entging. Er war kein sensibler Mensch, auch wenn er sich bei den Schülern Mühe gab. Auch für Yagi wollte er sich bemühen. „Es…sie ist so klein...dass ihr das…angetan wurde…es ist nicht fair. Ein Kind sollte nicht…so leiden müssen…“ Aizawa ließ Yagi reden, auch wenn er den Abstand zwischen ihnen instinktiv verringerte. Der Hüne knetete seine Finger, während er Eri betrachtete. „…er…sein Tod…war nicht umsonst…Togata-shonen…er…war sehr mutig…Midoriya-shonen auch und…sie alle…haben so viel getan…“ Aizawa war sich nicht mehr sicher, ob Yagi mit ihm sprach oder die Worte abwesend vor sich hin murmelte. Er wusste nur, dass sein Freund unglaublich traurig aussah. Natürlich. Nighteye war seit wenigen Stunden tot. Hatte der Schock überhaupt schon nachgelassen? Manchmal betäubte einen dies, verhinderte, dass man das wahre Ausmaß des Geschehens begreifen konnte. „…ich wünschte, ich…wäre…ich könnte…vielleicht hätte ich…wenn ich nur…“ Aizawa wusste, was er sagen wollte. Er sah, wie sich Yagi anspannte, wie er sich verstohlen über die Augen rieb. Es war genug. Sanft legte er die Hand auf den knochigen Unterarm, drückte diesen leicht. „Komm. Wir setzen uns eine Weile.“ „Aber…aber Eri-“ „Ist in guten Händen. Wir bleiben in der Nähe. Komm…“ Diesmal widersprach Yagi ihm nicht. „Hier. Du solltest etwas trinken.“ Aizawa reichte seinem Freund die Wasserflasche, welcher dieser mit einem knappen Nicken annahm, sich leise bedankte. Im Gang um die Ecke hatten sie ein Wartezimmer gefunden – und Aizawa war froh, dass gerade niemand sonst hier war. Er setzte sich neben Yagi auf einen der Stühle, während auf dem Monitor an der Wand die Nachrichten liefen. Wieder ein Bericht über Overhaul…und über den sehr wahrscheinlichen Tod von Snatch. Bitter. Dabei hatte das alles schon genügend Opfer gefordert. Aizawa lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, warf einen Seitenblick zu Yagi, der gerade die Flasche absetzte und wieder zuschraubte. Seine Finger zitterten leicht, was wohl weniger mit Kälte, sondern mit den Nerven zu tun hatte. Noch immer hielt er sich zurück, wollte den Älteren nicht bedrängen. „…ich hatte nie…viele enge Freunde, weißt du…“ Es war nur ein Wispern, doch Aizawa hörte es, drehte den Kopf zu diesem. Reden war gut. Auch wenn er selbst es kaum über sich bringen konnte, schon gar nicht in solchen Situationen…konnte Reden hilfreich sein, um zu verarbeiten. „Ich meine…du weißt ja…wenige Leute kannten mich wirklich, aber er…ich wollte nie einen Sidekick, doch er war so…so…leidenschaftlich. Unnachgiebig und…stur. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, hat er sich nicht davon abbringen lassen. So war er einfach.“ Aizawa nickte als Zeichen, dass er zuhörte, während er beobachtete, wie Yagi das Etikett abwesend von der Flasche knibbelte. „…als mir…das passiert ist…mit All For One…wollte er nicht, dass ich weitermache. Wir hatten einen schrecklichen Streit...den ich jetzt bereue. Wir haben jahrelang nicht miteinander gesprochen. Ich bereue, dass ich…feige war und…mich nicht eher mit ihm ausgesprochen habe. Bevor…er…“ Abermals brach Yagis Stimme und Aizawa hob den Blick wieder, sah erneut Tränen über die ausgemergelten Wangen laufen. Warum war es so viel einfacher für ihn gewesen, den Schülern eine Stütze zu sein? Warum konnte er Yagi nicht so einfach trösten? Vielleicht…weil ihm das hier in mehrfacher Weise auf eine persönliche Art naheging. „Was passiert ist…wäre nicht passiert, wenn ich da gewesen wäre…ich hätte…“ Aizawa schwieg, als er Yagis unruhige Finger von der Flasche löste, diese beiseite stellte. Ohne auf dessen verwirrten Blick einzugehen, nahm er die großen Hände in die seinen, drückte diese fest. „Du solltest dir das nicht vorwerfen“, murmelte er schließlich und hoffte, damit keine Grenze zu überschreiten. „Ich kannte…Nighteye kaum, doch wenn ich eines weiß, dann dass er dir nichts nachtrug. Wie er sagte…es gibt nichts zu verzeihen, also…solltest du dich nicht damit quälen. Ich denke nicht, dass er das wollen würde…“ Die Worte klangen im Nachhinein selbst in seinen eigenen Ohren zu forsch und er wünschte, er hätte sie nicht ausgesprochen. Was wusste er schon von Nighteye und seinen Gefühlen? Was wusste er über die Beziehung der beiden? So gut wie nichts, es hätte ihm nicht mal zugestanden, bei seinen letzten Worten anwesend zu sein. Er an Yagis Stelle wäre wohl aus der Haut gefahren und hätte ihn angeschrien. „Scheiße“, murrte er, als Yagi ihn bloß still ansah. „Das war…ich sollte nicht…ich hätte das nicht-“ Er stockte, als ihm der Ältere seine Hände entzog – jedoch nur, um ihn in eine feste Umarmung zu ziehen. Aizawa konnte diese im ersten Moment nicht mal erwidern, sie nur stocksteif zulassen. Es beschämte ihn, dass so etwas von Yagi ausgehen musste, bloß weil er selbst zu gehemmt war, um zu agieren. Schließlich legte er ebenfalls die Arme um den Älteren, lehnte den Kopf gegen dessen Brust…blieb einfach bei ihm. Ohne Worte, da er befürchtete, abermals etwas Vermessenes von sich zu geben, auch wenn Yagi ihm wohl nicht böse war. Er spürte das spitze Kinn auf seinem Schopf ruhen, bemerkte das leichte Zittern, den rasselnden Atem. Hoffentlich konnte ihm die körperliche Nähe irgendwie Trost spenden, wenn Aizawa schon nicht zu mehr in der Lage war. „Danke…“ Yagis heisere Stimme ließ ihn innehalten. „…wofür?“, entkam es ihm ehrlich verwirrt. „Dafür, dass du da bist.“ Es rührte etwas in ihm, löste eine Wärme in ihm aus, die ihn schaudern ließ. Obwohl es selbstverständlich sein sollte, schließlich war Yagi sein Partner. Midnight hätte ihm für seine Taktlosigkeit rechts und links eine gescheuert, aber seinen Freund schien sein Verhalten nicht zu stören. Vielleicht verstand er ihn auch einfach besser als die meisten anderen Menschen, die sein Verhalten mit Gleichgültigkeit verwechselten. „Dass du sie beschützt hast.“ Aizawa schnaubte gegen Yagis Hemd, empfand diesbezüglich anders. „Den Hauptkampf habe ich verpasst…dieser Kurono hat mich gelähmt und beinahe umgebracht. Amajiki und die Polizei haben mich gerettet.“ Er atmete tief durch, dachte daran, wie sie ihn nach oben gebracht hatten. Wie er zum Glück gerade noch rechtzeitig Eris Quirk mit Erasure hatte stoppen können. Nicht auszudenken, was andernfalls geschehen wäre… Er blinzelte, als Yagi ihn noch enger an sich zog, beinahe so, als würde er ihn niemals loslassen wollen. Nicht das Schlimmste, was passieren konnte – auch wenn seine verletzte Schulter dabei schmerzte. „Dann bin ich umso erleichterter, dass wir hier gemeinsam sitzen…“, wisperte der Ältere in sein Haar und ihn überkam eine Gänsehaut. „Unkraut vergeht nicht“, gab er trocken zurück, woraufhin Yagi kurz schmunzelte. Eine Weile saßen sie nur so da, eng umschlungen…und es war Aizawa sowas von egal, wenn sie jemand sehen würde. Es fühlte sich einfach nur gut und richtig an. „…als…meine Meisterin damals…gestorben ist…da war ich so jung. Nicht bereit…“ Aizawa horchte auf, als Yagi plötzlich wieder zu sprechen begann. Er hatte sie ein paar seltene Male erwähnt, seine Meisterin. Shimura Nana. Viel wusste er nicht über sie. „Sie war wie eine Mutter für mich und…Gran Torino musste mich wegzerren, beinahe bewusstlos schlagen, um mich…davon abzuhalten, sie zu retten. Jedenfalls wollte ich das…aber na ja…ich wäre ebenfalls von All For One umgebracht worden.“ Bitterkeit triefte aus seiner rauen Stimme und Aizawa spürte, wie sich etwas in seiner Brust zusammenzog. „Danach…konnte ich für einige Zeit nicht mehr lächeln. Ich habe lange getrauert…wollte gleichzeitig Rache. Ich…hatte ein Feindbild, auf das ich mich konzentrieren konnte…doch Gran Torino schickte mich nach Amerika. Erfahrungen sammeln, Ablenkung und so weiter…eine Weile hat es sogar funktioniert. Meistens jedenfalls. Es kam zwischendurch hoch. Immer wieder.“ Aizawa nickte leicht, konnte sich das vorstellen. Er blieb an ihn gelehnt, hörte weiter zu. „Es war meine Mission, ihn zur Strecke zu bringen…auch wenn es mich so viel gekostet hat.“ Yagi schluckte leicht, sammelte sich kurz, ehe er fortfuhr. „Jetzt…Nighteyes Tod…sein Mörder ist gefasst und selbst wenn er das nicht wäre, ich…könnte ihn nicht rächen…ich weiß nicht, was ich tun soll. Mit diesen…Gefühlen. Ich…ich fühle mich…so…“ „Hilflos?“ Yagi schaute zu ihm herunter und Aizawa erwiderte seinen Blick. Ein stummes Nicken, welches den Jüngeren hörbar ausatmen ließ. „Es spielt keine Rolle…oder? Ob man etwas tun kann oder nicht…der Schmerz bleibt. Er verschwindet auch nicht…er klingt bloß ab. Man vergisst ihn zwischendurch…aber er ist da…und er prägt einen.“ Ein freudloses Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er an den Moment zurückdachte, in dem ihm klar geworden war, dass Shirakumo tot war. Begraben unter den Trümmern. Dabei war er der Mittelpunkt ihres Trios gewesen. Yamada, Shirakumo und er. Die Erinnerung ließ ihm speiübel werden, ein Kloß formte sich in seinem Hals, aber dann erinnerte er sich daran, dass es hier nicht um ihn ging. Yagi blickte ihn besorgt an und es fühlte sich so falsch an. „Wenn du darüber reden willst…“, begann er, doch Aizawa schüttelte direkt den Kopf. „Nein, ich…nein. Schon gut. Das will ich nicht. Nicht…heute.“ Er atmete tief durch, ehe er sich fasste und wieder zu ihm aufschaute. „Was ich sagen wollte…ist, dass du es zulassen solltest. Auf deine Weise. Jeder geht damit anders um. Du kannst mit mir reden. So oft du willst. Wann du willst…oder du lenkst dich davon ab. Mit der Ausbildung der Schüler, mit mir…auf welche Art auch immer. Es gibt kein richtig oder falsch…jeder geht anders mit Verlusten um.“ Wahrscheinlich waren seine Worte schon wieder vermessen, schließlich wusste Yagi doch bereits, wie es war, einen geliebten Menschen zu verlieren. Was wollte er jemanden belehren, der noch dazu um fast zwanzig Jahre älter war als er? Allerdings schien Yagi ihm das Gesagte nicht übelzunehmen, so warm wie er ihn ansah…und ihn wieder an sich zog. „…danke, Aizawa-kun. Das bedeutet mir viel.“ Vielleicht war er ja doch nicht so unsensibel, wie er selbst von sich dachte. Oder Yagi hatte einfach ein zu weiches Herz, das alles verzieh…und positiv einordnete. Was es auch war…wenn es ihm half, war das mehr als in Ordnung. „Was geschieht jetzt mit Eri-chan?“ Mittlerweile hatten sie sich voneinander gelöst, doch Aizawa lehnte noch an Yagis Schulter, blickte bei der Frage vor sich hin. Der Hüne hatte den Arm um ihn gelegt, wartete geduldig. „…das ist noch nicht ganz klar“, murmelte er langsam. „Solange sie ihren Quirk nicht kontrollieren kann, ist sie ein Risiko. Sie benötigt psychologische Betreuung und sobald sie einigermaßen stabil ist, muss sie lernen, mit ihrer Fähigkeit umzugehen…und vor allem, die Angst davor zu verlieren.“ Yagi nickte verstehend, er sah es aus den Augenwinkeln. Seine großen Hände hatten sich um Aizawas geschlossen, das Zittern hatte aufgehört. „Es wäre also…logisch, wie du sagen würdest, wenn sie in die Obhut der U.A. käme…und du sie betreust. Du kannst als Einziger ihren Quirk aufhalten…nicht wahr?“ Es wunderte Aizawa nicht, dass der andere so schnell darauf kam. Ja, diese Schlussfolgerung war logisch. „Ich bin kein Psychologe“, brummte er. „Aber mit dem Rest liegst du richtig. Es wäre logisch. Noch ist jedoch nichts entschieden. Wir werden sehen.“ Für ihn stand allerdings schon jetzt fest, dass er diese Aufgabe übernehmen würde, sollte man ihn dafür vorsehen. Eris Verzweiflung war schwer zu vergessen und er wollte nie wieder, dass das Mädchen so unter ihrer eigenen Fähigkeit leiden musste. Sich gar für eine verfluchte Existenz hielt. „Sollte es so kommen…möchte ich, dass du weißt, dass ich dich unterstützen werde.“ Aizawa löste den Kopf nicht von seiner Schulter, blickte zu ihm hoch. Da lag eine Entschlossenheit in Yagis blauen Augen, die ihm gefiel. Sehr sogar. Trotz dieses schweren Verlusts stand Yagi immer wieder auf…machte weiter. „Ja. Danke.“ „…jederzeit.“ Es erinnerte Aizawa an die Worte von damals…am Strand, doch diesmal schien er sie absichtlich gewählt zu haben. Weil er wusste, dass er noch gebraucht wurde. Nicht als All Might, sondern als Yagi Toshinori…und das war auch eine Möglichkeit, seinen Schmerz zu verarbeiten. Aizawas Mundwinkel zuckten, als er sich wieder anlehnte und dabei die Augen schloss. Ihre Finger ineinander verschlungen, Yagis Kopf gegen seinen gelehnt…und es war das erste Mal nach diesem schwarzen Tag, dass er sich entspannen konnte. Zumindest für den Moment. Weil die Nähe ihnen beiden unheimlich gut tat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)