Virtuelle Postsendung von Sam_Linnifer (Mini-Adventskalender in 6 Akten) ================================================================================ Kapitel 5: Ganz normaler Wahnsinn --------------------------------- „Mama aufwachen! Wir haben Frühstück gemacht!“, helle, aufgeregte, viel zu laute Stimmen, die sie aus einem benommenen Dämmerzustand schreckten. Ein heißer Schmerz in ihrem Nacken, im Rücken und den Schultern. Dumpferer im Bereich der Ellenbogen. Wo war sie? „Ich habe die Pfannkuchen gewendet und keiner ist kaputt gegangen!“ „Du hast ja auch Telekinese benutzt, das kann doch jeder!“ „Dafür hast du die Eier anbrennen lassen!“ „Habe ich gar nicht, das war Papa!“ „War er gar nicht!“ „War er wohl!“ Ein Ächzen drang über ihre Lippen und jeder Muskel protestierte, als sie den Kopf hob, sich benommen aufrichtete, in Richtung der Geräuschquelle. Wo war sie? Der Geruch von Holz, Papier und Tinte stieg ihr in die Nase und Arien seufzte. Offenbar hatte er seine Drohung tatsächlich wahr gemacht. Das erklärte auch die seltsame Position und, nachdem sie sich mit den Händen übers Gesicht gefahren war und den Schlaf mühsam aus den Augen geblinzelt hatte, entdeckte sie ihn auch im Türrahmen. Er lächelte, aber sie konnte den Ausdruck dahinter mühelos lesen und er wartete nur auf das erste, allzu laute Ächzen. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, sobald ihre Blicke sich begegneten, die beiden kabbelnden Kinder zu ignorieren und heranzutreten. „Guten Morgen“, begrüßte er sie, beugte sich zu ihr herab, gab ihr einen Kuss und legte eine Hand an den Übergang zwischen Schulter und Nacken, massierte die verhärtete Muskulatur einen kurzen Augenblick, nur, um sie gequält aufstöhnen zu hören. „Du bist grausam“, protestierte Arien an Artemis Lippen, auch wenn der Ärger alles andere als ernsthaft war. Zumindest ihm gegenüber. Was den Schreibtisch mit seiner offensichtlichen Unbequemlichkeit betraf und das klägliche Scheitern ihrer Selbstheilungskräfte gegenüber den Folgen einer eben dort verbrachten Nacht, das war eine andere Angelegenheit. „Ich habe dich gewarnt“, erwiderte er wortlos und sie seufzte ergeben. Widersprechen konnte und wollte sie nicht. „Wozu habe ich dich, wenn du mich nicht rettest?“, erwiderte sie trotzdem, eher neckend, lehnte sich zurück gegen ihn und hätte die Augen einfach wieder schließen und die zunehmende Geräuschkulisse ausblenden können. Lange konnte sie nicht geschlafen haben. Vermutlich der wahre Grund dafür, dass er sie, nicht, wie so oft, irgendwann ins Bett gebracht hatte. Es war einfach schon zu spät. Oder zu früh. Irgendetwas davon. „Arien, niemand kann dich vor dir selbst retten. Das wissen wir beide. Nicht, dass ich wirklich glaube, dass Rückenschmerzen dich davon abhalten werden, beim nächsten Mal wieder über deinen Briefen einzuschlafen, aber angeblich sind Demonstrationen ein wirksames Mittel zur Erziehung.“ „Du solltest aufhören diese Bücher zu lesen“, murmelte sie, diesmal hörbar, weil alles andere verlangt hätte, die Augen zu öffnen. „Es ist sowieso hoffnungslos.“ Sie konnte das Schmunzeln in seiner Stimme hören. „Du weißt doch, ich gebe dich niemals auf“, erklärte er und brachte sie unweigerlich zum Lächeln. „Und jetzt komm. Das Frühstück wird sonst kalt oder fällt den tierischen Teilnehmern dieses Haushaltes zum Opfer. Eathor hat Thalion zwar mit Apfelresten gefüttert, als er dachte, ich sehe nicht hin und Amdiriel Zenna und Luine mit Speck, aber wir wissen beide, dass das nur einen Aufschub bedeutet. Und wenn wir uns beeilen habe ich vielleicht noch Zeit das, was du deinem Rücken angetan hast, in Ordnung zu bringen.“ Fast beiläufig strich seine Hand kurz über ihren Bauch, spürte liebevoll die kleine, kaum angedeutete Wölbung und als Arien die Augen öffnete, lächelte sie warm. Dafür brauchte es keine Worte. Die Zwillinge merkten auf, als sie sich erhob, stürmten heran und sprudelten vor Wörtern nur so über, aufgeregt und so schnell, dass sie Mühe hatte zu folgen, aber es war auch gar nicht nötig irgendetwas zu sagen, sie schloss sie einfach in die Arme. Zwei kleine Wunder. Immer noch und jeden Tag. Und auch wenn es Schwachsinn war, dass alles Unangenehme und aller Schmerz sofort vergessen waren, sobald man das eigene Kind in den Armen hielt, es gab keine Möglichkeit die Tortur, die ihre Geburt gewesen war jemals zu vergessen, bereute sie doch nichts. Nicht eine Sekunde. Amdiriel sah zu ihr auf und begann zu kichern. Sie wandte den Blick rasch ab, doch ihr Bruder war aufmerksam geworden und begann mit einem Blick nach oben ebenfalls zu grinsen. „Was ist los?“, erkundigte sie sich mit einer Andeutung von Misstrauen und beide brachen in sehr viel lauteres Gekicher aus, während ihr Blick anklagend zu Artemis wanderte. „Du hast ein Buch im Gesicht, Mama!“, erklärte Amdiriel und sie seufzte. „Warum hast du nichts gesagt?“, beklagte sie sich bei ihrem Angetrauten, doch der zuckte nur grinsend die Schultern. „Es wäre dir schon irgendwann aufgefallen. Und schließlich, bin doch wohl ich derjenige, der sich beklagen sollte, wenn du dich nachts so nahe an eine frisch beschriebene Seite schmiegst, statt an mich.“ Arien seufzte. Sie erhob sich und gab den beiden Kindern einen sanften Schubs. „Schon gut. Lauft schon mal und kippt eurem Vater Senf in den Tee, ich bin gleich da“, erklärte sie und bemühte sich im Bad die letzten Reste von Schlaftrunkenheit abzuschütteln. Tatsächlich war ein Teil des letzten Briefes fein säuberlich auf ihrer linken Gesichtshälfte abgedruckt worden, sie konnte sogar entziffern welcher es war, was immerhin dafür sprach, dass nichts verschmiert worden war. Sie wusch sich Tinte und Schlaf aus dem Gesicht, zog sich rasch an und fand sich dann am gedeckten und reichlich umschwärmten Frühstückstisch ein. Zunächst zufrieden zuzuhören und zuzuschauen, nicht viel anders als Artemis und mit dem selben warmen Blick, wenn es nicht gerade darum ging, Luine aus der Butterdose zu scheuchen. „Mama? Kommt Onkel Faelon heute Abend auch? Mit dem Baby?“ „Ciridan ist doch gar kein Baby mehr!“ „Er ist jünger als wir, natürlich ist er ein Baby! Du bist auch ein Baby! „Bin ich gar nicht!“ „Ich bin zehn Minuten älter!“ „Ich denke schon, dass er und Lethalee da sein werden, wenn sie es einrichten können. Und natürlich der Kleine“, antwortete sie trocken auf die initiale Frage. Nicht, dass irgendwer noch zugehört hätte… Eigentlich eine seltsame Vorstellung. Beim letzten Mal war der Junge noch zu klein gewesen, fiebrig und mit seiner Mutter zu Hause geblieben, aber diesmal? Falls Elesil Alera mitbrachte und Nathalia Isabelle… Eine Flut von Kindern in der Nadel. Nichts, was sich wohl irgendwer damals hätte vorstellen können. Ob Emily, Mila und Lucillia bereuen würden, sich als Babysitter angeboten zu haben? Wahrscheinlich. Aber dafür hätten, mit ausreichend Zeit, erfahrungsgemäß auch die Zwillinge allein ausgereicht. Ohnehin war sie gespannt, teils besorgt und angespannt, teils vorfreudig, zu sehen, wer da sein würde, wer fehlen, was sie Neues zu berichten haben würden. Aber… Bis dahin gab es noch eine Menge zu tun.  „Wir dürfen Papa mit dem Essen helfen oder? Du hast heute doch sowieso keine Zeit für Unterricht!“, erkundigte sich ihre Tochter hoffnungsvoll und Arien hob lächelnd eine Braue. „Natürlich dürft ihr das. Heute Abend. Und nein habe ich nicht. Aber Efkiria schon.“ Amdiriel verzog das Gesicht: „Können wir nicht lieber zu Onkel Eresthenes in die Werkstatt?“, bettelte sie und ihr Bruder verzog zwar zunächst das Gesicht, stimmte dann jedoch mit einem Geistesblitz ein: „Oder raus ins Lager? Layos hat mir versprochen, dass er mit zeigt, wie man mit einem Holzschwert kämpft, dann werde ich auch ein großer Held!“ Sie spürte, wie sie lächelte. „Dürft ihr. Nach den Stunden mit Efkiria“, erwiderte sie und zweifache Unmutsbekundungen schallten ihr entgegen. Doch Artemis wusste rasch abzulenken, auch wenn der Einwurf zur Natur des Nachtisches natürlich unweigerlich den nächsten Kleinkrieg am Tisch provozierte. Nicht, dass es nur einen von ihnen störte… Arien seufzte. „Ich sollte anfangen. Sonst werde ich niemals fertig und leider habe ich immer noch nicht herausgefunden, wie man zusätzliche Zeit generiert“, erklärte sie trocken und beugte sich vor, um ihn zu küssen. Er legte seine Hand kurz auf ihre. „Übertreib es nicht“, mahnte er und sie seufzte erneut. „Es sind nur Briefe.“ Heute. „Keine Monster.“ „Es ist Politik und Bürokratie, das sind die schlimmsten Monster und es sind die Probleme einer ganzen Welt, die morgen immer noch voller Probleme sein wird, ganz egal, wie viele davon du löst.“ „Ich weiß.“ Wer hätte sich das denken können? Dass, nachdem die Untoten gefallen waren, die Kämpfe dieser Welt eher mit Feder und Papier ausgetragen wurden, als mit Schwertern? Nun... Rik wäre vermutlich nicht überrascht gewesen. Wahrscheinlich niemand, außer ihr. Und Arien wusste nicht einmal, ob sie selbst es wirklich war. Manchmal war es ermüdend. Stapel von Briefen mit Hilfsgesuchen, Fragen um Rat, Einladungen zu irgendwelchen Sitzungen, Schlichtungen, Verhandlungen. Und das meiste davon eigentlich simpel. Sie mochte es, Probleme zu lösen. Grundsätzlich, aber sie hätte auch nicht bestritten, dass ihr die am liebsten waren, die sie mit Eresthenes in der Werkstatt angehen konnte, oder für die sie allenfalls den Sachverstand anderer kluger Köpfe in der Nadel oder den Rat eines Drachen brauchte. Es gab dergleichen. Häufig sogar, aber eben so oft kamen Anfragen, die sich nicht wesentlich von ausufernden Diskussionen darüber zu unterscheiden schienen, warum es abends im Bett nichts Süßes mehr gab. Nur dass, anders als ihren Kindern gegenüber, irgendwelchen Politikern das Gefühl überschwänglicher Liebe fehlte, die  es leichter machte, die schwierigen Momente zu ertragen. Es kostete sie einige Stunden so weit Ordnung zu schaffen, dass zumindest jene Angelegenheiten, die tatsächlich wichtig und dringlich waren, geordnet wurden. In ein paar Tagen würden die Verhandlungen mit den Meervölkern anstehen... Vielleicht konnte sie Rasska später fragen, ob Ort und Termin inzwischen entschieden worden waren und zwar endgültig, oder nicht. Aber vorerst gab es anderes zu tun und das hatte nichts mit dem Vorbereiten des Essens, des Feuerwerks oder der Gästezimmer zu tun. Sie ging nach unten, reichte Brutus den Stapel mit den Rückbriefen, die er wortlos entgegennahm und nach und nach in das ausgebaute Postsystem einpflegen würde. Era fand sich kommentarlos auf ihrer Schulter ein und sie lächelte dem Torwächter zu. "Eolas und Natalia wollten gegen Mittag hier sein", ließ sie ihn wissen. "Ich denke ihr solltet die Gelegenheit nutzen, euch über die neuen Sicherheitsstandards auszutauschen. Wenn ich es einrichten kann, will ich sie demnächst mit den Kindern in Varnasse besuchen." Er nickte, verzog keine Miene, ernst, wie eh und je, aber sie wusste es auch so. Manche Dinge änderten sich nicht. Anderes schien sich ständig zu ändern. Sie stellte einen der Spiegel ein und zögerte nur kurz, ehe sie hindurch trat. Sonnenlicht legte sich auf ihre Haut und die frische Brise eines anderen Kontinentes schlug ihr entgegen. Aber sie war vertraut. Seltsam, wie viele Orte dieser Welt ihr inzwischen heimisch schienen. Auch hier hatte sich viel verändert. So viel. Sie wusste noch, wie es gewesen war, als sie zum ersten Mal hergekommen war, damals, Konfrontiert mit den Spuren der Verheerung, die Xarak gezeichnet und Ereshkigal auf ihren Wunsch hin beseitigt hatte. Das Grab lag still da, überwuchert von Ranken und Grün, wie die Rüstung, die er mit ins Grab genommen hatte. Sie spürte einen schmerzhaften Stich in ihrer Brust, immer noch, als sie sich auf dem grünen Gras nieder ließ und eine Weile schweigend verharrte. Nach einigen Minuten holte sie einmal mehr Papier, Tinte und Feder hervor, doch dieses war ein anderes, schwereres Papier. handgeschöpft aus besonderen Materialien und den leisen Gesang der exotischen Vögel Cerrydwins im Ohr begann sie nach einem Moment zu schreiben:   Lieber Ithildalin,   Es ist schon wieder ein ganzes Jahr vergangen. Xaraks Niedergang jährt sich und immer noch habe ich manchmal das Gefühl, dass alles, was seither passiert ist, eher Traum ist, als Wirklichkeit. Aber ich glaube, das erzähle ich dir jedes Jahr, nicht wahr? Ich schätze du würdest die Augen verdrehen, wenn du könntest und vielleicht tust du es ja, aber es ist so viel passiert. SO viel hat sich verändert und in manchem ist es immer noch schwer zu sagen, ob wir mit dem, was wir taten, der Welt wirklich einen Gefallen getan haben. Aber... Darum ging es ja nie, nicht wahr? Du fehlst mir immernoch, unweigerlich. Ihr alle tut das. Und ich denke, du fehlst auch Yennefer, Mila, Layos und Jasmin. Wie könntest du nicht? Aber sie haben sich inzwischen gänzlich eingelebt. Vielleicht werde ich sie herbringen, irgendwann, aber ich vermute, sie werden fragen, wenn sie soweit sind dich zu besuchen. Und keine Sorge. ich werde bei ihnen sein.   Mit einem Seufzen setzte sie die Feder ab. Es war schwer, die richtigen Worte zu finden. War es immer, auch wenn es eigentlich bedeutungslos war. Ihr Blick schweifte über die Landschaft und unweigerlich, so wie jedes Jahr fragte sie sich im Stillen, ob er wohl mit ihrer Entscheidung einverstanden war. Aber es hätte sich falsch angefühlt, ihn in Arvum zur Ruhe zu betten. Nicht, dass er nicht einen Platz dort verdient gehabt hätte, wo andere Helden des Nadelkrieges ruhten, doch diese Sache war für ihn nie eine Heldentat gewesen, sondern Buße, Notwendigkeit und Versuch etwas in Ordnung zu bringen. Dies hier aber... war sein Zuhause. Der Ort, den er verloren hatte damals, als er zum ersten Mal gestorben war, mit dem Tod seiner Familie. Den er so verzweifelt zurückgewünscht hatte, wohl wissend, dass er ihn niemals wirklich zurückbekommen konnte. Sie hoffte wirklich, dass es half, falls es denn irgendeinen Unterschied machte. Dass es ihm Ruhe brachte, verdienten Frieden. Das Land das er, auch wenn es lange zurück lag, mit eigenen Händen geformt und kultiviert hatte.   Artemis und ich erwarten dieses Jahr ein drittes Kind. Aber keine Sorge. Eresthenes hat die Sicherheitsvorkehrungen deutlich angepasst und treibt mich damit beinahe in den Wahnsinn. Damit dieses Mal nur ja nichts schief geht und niemand in Gefahr gerät, zu verbluten. Nicht, dass ich mich beschweren würde. Rik ist fast in Ohnmacht gefallen, als ich es ihm erzählt habe. Wahrscheinlich erinnert er sich noch zu gut an das letzte Mal und Vater behandelt mich wie ein rohes Ei. Zumindest ist Artemis dahingehend vernünftig. Noch, wenigstens. Apropos Rik. Er scheint sich wirklich in der Arbeit an dieser Ruine verbissen zu haben. Es hat wahrscheinlich sein Gutes, dass Lala und Thilia sich so gut verstehen, sonst würde irgendwer inmitten all dieses Staubes vermutlich den Verstand verlieren. Ich bin nur nicht sicher, auf wen ich setzen sollte. Mal sehen, ob ich ihn nachher wieder persönlich abholen muss, oder ob er von allein daran denkt. Vielleicht schicke ich auch Emily. Sie ist schon vor ein paar Tagen gemeinsam mit Joana angekommen. Die Welt dreht sich weiter und scheint immer wieder dieselben Probleme aufzuwerfen. Aber wir haben ein gutes System zur feldwirtschaftlichen Bewässerung entwickelt, um den Sommerdürren zuvor zu kommen und die Prothetik entwickelt sich auch immer weiter. Natürlich nicht zuletzt durch unsere verbliebenen Freunde aus der Zukunft. Wusstest du, dass die Grashalmsonate inzwischen sogar in Westwacht aufgeführt wurde? Ich habe selbst die erste Geige gespielt und Rik natürlich als Ehrengast eingeladen. Du hättest sein Gesicht sehen sollen! Ich habe die Geige benutzt, die du mir gemacht hast, also vielleicht... hast du ja davon gehört, irgendwie, irgendwo.   Langsam wurde es leichter. Die Seiten füllten sich in sauberer, sorgfältiger Schrift. Füllten sich mit Kleinigkeiten und Bagatellen, Alltäglichkeiten. Mit all dem, woran er nicht mehr teilnehmen konnte und auch, wenn ihre Augen dann und wann brannten, das Atmen schwer wurde, musste sie doch ebenso oft lächeln, weil sie ganz genau wusste, was er zu diesem oder jenem zu sagen gehabt hätte. Auch wenn vermutlich niemand hätte wahrheitsgemäß behaupten können, dass Ithildalin ein guter Mensch gewesen wäre, Halbelb, was auch immer, so wenig, wie er tatsächlich schlecht gewesen war. Eines war er gewesen, mit allen Mitteln, die er hatte. Ein guter Freund.    Ich denke das war alles. Falls mir noch etwas einfällt, kann ich ja herkommen und dir schreiben, so wie  früher, aber falls nicht, dann tue ich es spätestens nächstes Jahr. Aber jetzt wartet Arthur. Und später die anderen. Eresthenes hat angedeutet, dass er sich dieses Mal mit dem Feuerwerk etwas ganz besonderes ausgedacht hat und Amdiriel ist beinahe geplatzt, weil sie helfen durfte, aber nichts verraten wollte. Ich bin gespannt. Vielleicht hast du ja Gelegenheit vorbei zu schauen und es dir anzusehen. Im Herzen wirst du auf jeden Fall bei uns sein und ich weiß, dass du schon wieder die Augen verdrehst, aber so viel Sentimentalität musst du ertragen, ganz einfach. Ich denke an dich.   In Liebe Arien   Sie verharrte noch einen Augenblick. Ließ die Tinte trocknen und faltete das Papier dann sorgfältig, versiegelte und erhob sich, um das kleine verborgene Fach zu öffnen, in dem sich die anderen Briefe verbargen und diesen hinzuzufügen. Nicht mehr lange und der Platz würde knapp werden. Sie wusste noch nicht, was sie dann tun wollte. Vielleicht würde sie die Briefe verbrennen und die Asche zwischen den Blumen auf das Grab streuen. Es war noch Zeit sich Gedanken darüber zu machen. Arien war still, als sie in die Nadel zurückkehrte. Sie ließ den Spiegel erlöschen, doch hielt nicht lange inne. Gerade lange genug, um das vorherrschende Treiben zu vergegenwärtigen, ihre Sinne auszustrecken und sich vorzustellen, wer wohl gerade womit beschäftigt war und wie genau es den Zwillingen gelungen war, Efkiria oder doch eher Artemis zu überreden den Unterricht oben in Emilys Kletterpark abzuhalten. Nicht, dass es grundsätzlich etwas auszusetzen gab... Ihr Weg führte nur kurz nach oben und als sie die Nadel diesmal durch den Hauptausgang verließ, war Zenna an ihrer Seite. Um die Schnauze inzwischen ein wenig grau, doch vielleicht eher aus Trauer, denn aus Alter. Dahingehend galten für die Hunderassen elbischen Ursprungs keine wirklich nachvollziehbaren Gesetze. Im Inneren der Gruft war es kühl, beinahe kalt, aber nicht auf unangenehme Weise. Das dämmrige Licht ließ die silbrigen Adern im Stein schimmern, zeichnete tiefe Schatten in die Wandreliefs und Bilder. Sie ließ sich auf einem der Steinsockel nieder und Zenna lag zu ihren Füßen. Arien spürte Tränen, die ihr in die Augen schossen. Dieser Schmerz war frischer, brannte stärker und es dauerte eine ganze Weile ehe sie in der Lage war, ihren Brief zu beginnen.   Lieber Arthur   Ein paar Stunden noch, dann werden wir uns wieder versammeln. Alle, die übrig sind und es einrichten können, zurückgekehrt aus den verschiedensten Winkeln der Welt. Es fühlt sich immer noch seltsam an, fühlt sich falsch an, dass du nicht mehr dabei sein wirst. Und kein Kuchen wird je wieder so schmecken wie deine. Du fehlst mir so sehr. Noch immer beinahe jeden Tag und manchmal vergesse ich fast, dass ich nicht mehr einfach zu dir laufen und Rat suchen kann. Gerade, wenn die Zwillinge uns wieder in den Wahnsinn treiben. Du hattest immer ein gutes Händchen für sie. Ich weiß, sie vermissen dich auch. Wir alle tun das. Zenna ist bei mir und ich bin sicher, sie möchte dir ihre Grüße ausrichten. Und sich wahrscheinlich beschweren, dass sie nicht genug zu essen bekommt. Rasputin möchte sich vermutlich auch beschweren, aber das wiederum ist ja nichts Neues. Letztens hat er mich tatsächlich mal wieder abgeworfen! Aber keine Sorge, es ist nichts passiert und ich habe ihm ordentlich die Meinung gegeigt. Auch wenn ich auf der anderen Seite nicht bestreiten kann, dass ich einfach nicht genug Zeit für ihn habe. Vielleicht schaffe ich es mir, nach dem Kongress der Meervölker, einen Tag frei zu nehmen und mit ihm und den Hunden einen Ausflug nach Siddermark zu machen. Siegmunds alten Hof besuchen... Ich vermute es wird beinahe sein, als wärst du bei uns. Aber so sollte es ja auch sein. Ich bin froh. Froh und dankbar, dass die Beiden an meiner Seite sind und du es so lange warst. Dass diese Zeit begrenzt sein musste, war schließlich klar und ich bin mir dessen bewusst, dass wir viel bekommen haben. Trotzdem wünschte ich so sehr, ich könnte dann und wann mit dir sprechen, könnte hören, was du von allem hältst was geschieht. Ob du einverstanden bist. Der Orden entwickelt sich weiter und ich habe den Eindruck unter Sedwens Führung vermissen die Rekruten dich beinahe so sehr, wie ich dich. Und das der Eingang zur Gruft dieser Tage ein Blumenmeer ist, hat zwar nicht nur, aber auch mit dir zu tun. Du bist nicht vergessen. Und du wirst es niemals sein.   Sie musste inne halten. Musste den Kopf abwenden, damit die Tränen nicht auf das Papier tropften, nicht die Tinte verschmierten. Wie sollte er es dann lesen? Zum Ende hin hatten ihm die Augen ziemliche Schwierigkeiten bereitet. Also bemühte sie sich, um große, leserliche Schrift und keine Tränen auf dem Papier. Arien unterdrückte ein Schluchzen, legte den angefangenen Brief beiseite und ging neben Zenna in die Knie, schlang die Arme um den Hund und spürte, wie sie die Tränen von ihren Wangen leckte und ganz zweifelsfrei verstand. "Ich weiß... du vermisst ihn auch", flüsterte sie. "Aber ich bin sicher, er wäre stolz auf dich." Es dauerte. Dauerte eine ganze Weile, ehe sie den Brief beenden und verstauen, die Gruft nach einem kleinen Rundgang verlassen konnte. Es gab hier noch andere Tote, so viele. Und einige waren ihr nahe, verdienten zumindest einige, persönliche Worte. Doch keiner ganz so sehr wie die, die direkt Seite an Seite mit ihr gekämpft hatten. Artemis wartete in der Eingangshalle. Natürlich tat er das. Und sie musste kein Wort sagen, als sie eintrat. Nur einfach zulassen, dass er sie in die Arme nahm, und den Kopf an seine Schulter legen. Gerade mit dieser Trauer war sie nicht allein, bei weitem nicht und heute Abend, wenn sie beisammen saßen, würden sie Erinnerungen teilen, sie alle, so, wie sie ihre mit den Toten geteilt hatte. Manche würden weh tun, aber nicht auf die schlechte Art und Weise, wie eine Nacht am Schreibtisch. Auf die Art und Weise, die gleichsam ein lachendes und ein weinendes Auge hervorbrachte. "Müsstest du dich nicht um die Vorbereitungen kümmern?", fragte sie leise, die Stimme heiser, vielleicht, weil sie in den letzten Stunden kaum ein Wort gesprochen hatte. "Nein", erwiderte er einfach und es war alles, was es zu sagen gab. Sie war froh. Froh und dankbar auch dafür, dass er hier war und sie hielt. Ihren Schmerz teilte. Dass Brutus wenige Schritte entfernt auf seinem Bett saß, ganz wie immer. Dass Eresthenes oben in der Werkstatt vermutlich die letzten großen Explosionen plante und Vetus die Zwillinge und den Leviathan durchs Schwimmbad scheuchte. Über die, die sich schon draußen im Lager mit den Vorbereitungen beschäftigten und jene, die in den nächsten Stunden anreisen würden. Selbst jene, die dieses Mal nicht dabei sein konnten. Sogar die, die es nie wieder würden, aber die dennoch an ihrer Seite gewesen waren. Die sie hatte kennenlernen dürfen. Mit denen sie Erinnerungen geschaffen hatte. Trotz allem, was es gekostet hatte und kostete. Trotzdem, wie schwer es gewesen war und manchmal immer noch war. Sie war froh und dankbar für das, was sie hatte erleben dürfen, mit ihnen allen teilen dürfen. Und was sie heute wieder mit ihnen teilen durfte, als sich der Niedergang Xaraks jährte und der Tag der Neugeburt jener Welt, in der sie lebten.  Sie löste sich langsam. Mit feuchten Augen, aber lächelnd, als der Klang des Gongs durch die Eingangshalle hallte. "Es geht los." Artemis erwiderte ihr Lächeln und schüttelte leicht den Kopf, ließ eine Hand kurz an ihrer Wange ruhen. "Es war nie zu Ende." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)