Autumn Blue(s) von yamimaru ================================================================================ Kapitel 2: Amantes amentes - Liebende sind Verrückte ---------------------------------------------------- 14. Februar 2019 – Tokyo   Gibt es etwas Schöneres, als den ersten richtig warmen Tag des Jahres damit zu verbringen, auf dem Motorrad durch die Straßen Tokyos zu fahren? Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte ich diese Frage mit einem überzeugten Nein beantwortet. Doch, wenn ich jetzt so darüber nachdachte, gab es tatsächlich noch etwas Besseres als das. Nämlich den Gedanken daran, dass, wenn ich gleich heimkam, Uruha und Aoi auf mich warten würden. Ich lächelte, was dank des getönten Visiers meines Helms nicht zu erkennen war und bog in die Straße ein, in der ich seit nunmehr über einem Jahr wohnte.   Als ich die Rampe zur Tiefgarage herabrollte, beglückwünschte ich mich, Uruhas Rat, doch lieber den Wagen zu nehmen, nicht befolgt zu haben und stattdessen den Weg zum Feinkostladen in der Innenstadt mit meiner Maschine gefahren zu sein. Der frühe Morgen war heute einfach viel zu schön gewesen, um ihn eingesperrt im Auto oder den öffentlichen Verkehrsmitteln verbracht zu haben. Mir war zugegebenermaßen jetzt zwar eiskalt – Februar war trotz des schönen Wetters eben doch noch mitten im Winter – aber mein kleiner Ausflug hatte sich rundum gelohnt. Nicht nur, dass ich alles bekommen hatte, womit ich meine Süßen heute überraschen wollte, nein, ich hatte auch noch Sonne tanken können. Was wollte ich also mehr?   „Reita-kun!“, sprach mich eine vertraute, leicht kratzige Männerstimme von der Seite an, als ich gerade die letzten Stufen in unser Stockwerk hinaufeilen wollte.   „Ah, Mori-san, ich hab sie ganz übersehen“, erwiderte ich mit einem Lächeln auf den Lippen und drehte mich zu dem älteren Herren um. „Guten Morgen, wie geht es Ihnen?“   „Gut, gut, danke mein Junge. So früh schon unterwegs?“   „Ja, ich wollte nicht mitten in den Berufsverkehr geraten.“ Mori-san nickte verstehend und ich lehnte mich nach hinten gegen das Geländer des Treppenaufgangs, um es ein wenig bequemer zu haben. Hätte man mir vor einigen Monaten erzählt, dass ich es einmal genießen würde, mich mit meinem ältlichen Nachbarn zu unterhalten, hätte ich vermutlich nur herzhaft gelacht. Mori-san und ich hatten nicht gerade den besten Start gehabt, um es einmal milde auszudrücken. Ich schmunzelte verstohlen in mich hinein. Was so eine Flasche Sake und ein echtes Männergespräch nicht alles wieder ins Lot bringen konnte.   „Ich hab eine gute Nachricht für dich, Reita-kun“, eröffnete mir der alte Herr gerade mit einem verschwörerischen Augenzwinkern und ich grinste ihm mit unverhohlener Vorfreude entgegen.   „Lassen Sie mich raten: Es ist fertig?“   „Ganz genau. Und ich sag dir, diesmal ist es besonders gut geworden. Komm nachher doch mal vorbei.“   „Na, das brauchen Sie mir nicht zweimal sagen, Mori-san.“   „Sehr gut.“ Mein Nachbar grinste mich vollends zufrieden an, was ihn gleich um zehn Jahre jünger aussehen ließ. „Dann will ich dich nicht länger aufhalten, grüß deine Freunde von mir.“   „Mache ich …“, rief ich noch, während ich die Treppen schon halb nach oben gestiegen war.   Innerlich rieb ich mir die Hände in unverhohlener Vorfreude. Seit der alte Mori in Ruhestand gegangen war, hatte er das Bierbrauen als Hobby für sich entdeckt und über die letzten Monate hinweg war ich mit Abstand der größte Fan seines handgemachten Ambrosias geworden. Ich übertreibe an dieser Stelle übrigens nicht, wer einmal von Mori-sans Selbstgebrautem gekostet hatte, war ein für alle Mal für die schnöde Welt des industriell hergestellten Bieres verdorben. Ehrlich, das war ein Problem, auch wenn mir das vermutlich niemand glauben würde. Nur aus diesem Grund hatte ich meinen beiden Süßen auch noch immer nicht verraten, wie es mir gelungen war, den grimmigen Mori, der mich von der ersten Sekunde meines Einzugs an nicht hatte leiden können, so komplett umzustimmen. Es hatte rein gar nichts damit zu tun, dass ich Moris flüssiges Gold mit niemandem teilen wollte, wirklich nicht.   Leise summend schloss ich unsere Tür auf und hätte Uruha beinahe das Türblatt gegen die Nase geschlagen, weil dieser keine zehn Zentimeter davon entfernt im Flur stand und sich gerade die Schuhe zuband.   „Huch“, entkam es mir erschrocken, bevor ich fragend die Augenbrauen nach oben zog und mich durch den Türspalt quetschte. „Gehst du weg?“   „Hey, Reita“, strahlte mich mein bester Freund von unten herauf an, zog die Schleife seiner Schuhbänder nochmal prüfend fest und machte alles in allem den Eindruck, als hätte er mich gerade in dieser Sekunde erst bemerkt. Ich schmunzelte - Uruha war wirklich eine Marke für sich und wenn jemand behaupten würde, dass er die meiste Zeit des Tages in seiner eigenen, kleinen Welt verbrachte, dann würde ich das sofort glauben.   „Hey, Ducky“, sagte ich also, ohne meine Frage von gerade eben zu wiederholen, trat auf ihn zu und wartete, bis er sich aufgerichtet hatte, bevor ich die Einkäufe beiseite stellte und meine Arme um seinen Nacken legte. Wie, als wäre es die natürlichste Reaktion der Welt, fanden seine Hände ohne Umschweife den Weg auf meinen Hintern und drückten zu, als ich seine Lippen für mich eroberte. Mein durchaus angetanes Seufzen wurde von unserem Kuss erstickt, der von der ersten Sekunde an alles, nur nicht unschuldig war und den ich mehr genoss, als es eine knappe Stunde, die ich nicht in seiner Gegenwart verbracht hatte, eigentlich rechtfertigte. Uruhas Lippen waren herrlich weich, sein Körper wohltuend warm, während er sich immer stärker gegen mich drängte. Wieder entkam mir ein leiser Laut und wie von selbst schlossen sich meine Augen, um all den Gefühlen und Empfindungen noch besser nachspüren zu können. Langsam kraulte ich durch sein Haar, brachte die vorherrschende Ordnung ein wenig durcheinander und fühlte mein Herz schnell in meinem Brustkorb schlagen. Ich war glücklich, schlicht und einfach und hey, wer wäre das nach so einer ausführlichen Begrüßung nicht? Ich grinste durchaus selbstzufrieden, als sich Uruhas süßer Mund irgendwann – ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war – doch wieder von meinem löste und schaute meinem Schatz ins schöne Gesicht.   „Uruha?“   „Mhmh?“   „So darfst du mich gerne immer begrüßen“, stellte ich fest und drückte ihm nochmal einen kurzen Kuss auf die Lippen. „Aber ich hatte dich vorhin eigentlich schon gefragt, ob du noch weggehst?“ Mein Grinsen weitete sich, als ich in seinem Gesicht ganz genau ablesen konnte, dass er gerade so gar nicht wusste, wovon ich sprach. Und wer wäre ich denn, würde ich ihn jetzt schon daran erinnern, dass er eigentlich hatte gehen wollen? Eben. Also presste ich mich nur noch mehr gegen seinen Körper oder besser gesagt versuchte ich es, denn mittlerweile hatte er mich zwischen der Flurwand und sich so eingeklemmt, dass ich mich kaum bewegen konnte. Aber das störte mich nicht, ganz im Gegenteil. Leise keuchend ließ ich mein Becken kreisen und rieb meine Körpermitte ein wenig gegen seinen Oberschenkel, den er bestimmt nicht ohne Hintergedanken zwischen meine Beine geschoben hatte.   „Weggehen? Oh. Ach nö, Mist aber auch“, brummte mein Freund nun doch noch ziemlich verspätet und sogar ein bisschen unwillig klingend, rieb mit der Nase über meinen Hals und ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen, als ich ihm nun liebevoll das Haupthaar tätschelte.   „Was denn? Kommst du wieder einmal zu spät?“   „Du bist ein schrecklicher Mensch, Reita, das hast du doch mit voller Absicht gemacht!“   „Was genau? Dich geküsst? Stimmt, das war volle Absicht.“   „Mich abgelenkt.“   „Hab ich das, ja? Ich darf dich dran erinnern, dass ich es bin, der hier ziemlich bewegungsunfähig im Flur herumsteht und es dein Oberschenkel ist, der sich in meinen Schritt presst.“   Uruha blinzelte, als wäre ihm dieser Umstand erst jetzt bewusst geworden, hatte sich aber noch immer nicht von mir gelöst und lächelte nun ziemlich verschmitzt auf mich herab.   „Mh, so gesehen hast du recht“, schnurrte er und drückte sein Bein noch stärker gegen meine Körpermitte, die mit vorfreudigem Zucken auf all diese Aufmerksamkeit reagierte. „Wo war ich noch gleich stehengeblieben?“, nuschelte er gegen meine Halsbeuge und zupfte an der geröteten Haut des Knutschflecks, den er mir eben noch verpasst hatte.   „Ich glaube, du warst dabei deine Verabredung zu verpassen.“   „Mist!“   Leise glucksend schaute ich mit einer gewissen Portion Genugtuung dabei zu, wie sich mein Schatz deutlich widerwillig von mir löste, nur um im nächsten Moment hektisch nach seiner Jacke zu suchen.   „Verrätst du mir jetzt, wo du hingehst?“   „Ich bin mit Saga verabredet.“   „Na, dann brauchst du dir ja keine Sorgen machen. Saga kommt doch sowieso grundsätzlich erst eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit, weil er haargenau weiß, dass du immer zu spät kommst.“ Ich lachte leise und zog mir nun endlich auch mal die Lederjacke aus.     „Eben nicht“, grummelte Uruha, den Blick noch immer suchend umherschweifen lassend, „wir haben gewettet, dass ich diesmal pünktlich komm – ah, da ist sie ja.“   Amüsiert beobachtete ich weiterhin meinen Freund, während ich mich nun auch meiner Schuhe entledigte.   „Um was habt ihr gewettet?“, fragte ich, ein kleines, scheinheiliges Lächeln auf den Lippen, als ich erneut an ihn herantrat und meine Arme um seine Taille legte.   „Reita~. Ich komm zu spät.“   „Was war der Wetteinsatz, Uruha?“, widerholte ich und tupfte kleine Küsse auf seinen gestreckten Hals. Trotz seines eben noch geäußerten Protests hielt er nun ganz still, lehnte seinen Kopf sogar ein Stückchen zur Seite, um mir mehr Spielraum zu geben und seufzte eindeutig angetan.   „Mmmh, ich muss sein Auto waschen, wenn ich zu spät komme.“   „Uh, ein Grund mehr dich aufzuhalten, das will ich sehen.“   „Rei~!“   „Schon gut“, lachte ich, „wann kommst du wieder?“ Ich löste mich von ihm, bückte mich nach der Tüte mit den Einkäufen und achtete peinlich genau darauf, dass mein neugieriger Schatz nicht zufällig sehen würde, was sich darin befand.     „Ich weiß noch nicht, wieso?“   „Ach, nur so …“, trällerte ich scheinheilig, hob die Tüte hoch und schwenkte sie vielsagend hin und her. „Es könnte rein theoretisch möglich sein, dass ich Champagner und Pralinen besorgt habe“, verriet ich nun doch, auch wenn das nur die Hälfte dessen war, was ich eingekauft hatte. „Und eventuell könnte ich mich auch noch zu einer Massage überreden lassen.“ Uruhas Augen wurden groß und ein vorfreudiges Funkeln machte deutlich, was er von meinen Plänen hielt.   „Ich bin spätestens um zwei wieder hier.“   „Perfekt.“ Jetzt erst ließ ich von ihm ab und wollte schon in die Küche gehen, um meine Errungenschaften nun endlich im Kühlschrank zu verstauen, da hielt mich Uruhas Stimme noch einmal auf.   „Rei? Hab ich schon wieder irgendwas Wichtiges vergessen?“, fragte er mich kleinlaut und als ich mich erneut zu ihm umdrehte, machte er doch tatsächlich einem kleinen Jungen Konkurrenz, so schuldbewusst sah er mich an. Mein Herz machte einen verliebten Hüpfer und am liebsten hätte ich ihn schon wieder in meine Arme gezogen, aber stattdessen grinste ich nur. Uruha wusste wirklich gar nicht, wie niedlich er ab und an sein konnte. Gut, zugegeben, eigentlich hatte ich gehofft, den Valentins-Morgen gemütlich mit meinen beiden Liebsten verbringen zu können und später vielleicht mit ihnen in den Park zu gehen, aber ich war ihm ehrlich nicht böse, dass er durch seine notorische Verpeiltheit meine Planung ein bisschen über den Haufen geworfen hatte. So war mein bester Freund nun mal, das hatte ich schon vor einer halben Ewigkeit akzeptiert. In meinen Augen machte ihn dieser Wesenszug nur noch begehrenswerter, keine Ahnung warum das so war.   „Du wirst schon noch herausfinden, was du vergessen hast und dann wirst du dir was Schönes überlegen, um es wieder gutzumachen.“ Ich drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Nasenspitze und zwinkerte ihm keck zu, ohne mir anmerken zu lassen, wie vernarrt ich in seine Schmollschnute war, die er gerade zum Besten gab.   „Reita … sag’s mir, sonst grüble ich wieder den ganzen Tag.“   „Nö~!“   „Du bist gemein.“   „Gemein ist mein zweiter Vorname und du kommst zu spät zu deiner Verabredung“, trällerte ich, mittlerweile in der Küche angekommen und lauschte amüsiert dem leisen Fluchen, das vom Flur her an meine Ohren drang.   „Ich bin dann weg!“, rief mein Schatz fünf Minuten später, dann fiel die Tür ins Schloss und Stille herrschte in unserer Wohnung. Ich schüttelte den Kopf, gab einen Schluck Milch in meinen Kaffee, den ich mir eben noch eingegossen hatte und schlenderte ins Wohnzimmer. Eigentlich hatte ich damit gerechnet Aoi auf dem Sofa sitzen zu sehen, die Nase in einem Buch oder über Notenblätter gebeugt, wie es in letzter Zeit so oft der Fall gewesen war. Aber die Couch war leer und auch auf dem Sofatisch lag bis auf eine Zeitschrift nichts, was darauf schließen ließ, dass er eben noch hier gewesen war. Seltsam. Statt es mir also gemütlich zu machen, ging ich weiter zum Schlafzimmer, aber auch hier war Aoi nicht. Leise klopfte ich also an der Badezimmertür und erhielt sogar eine Antwort.   „Komm rein.“   Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und ein nicht unangenehmer Schauer rann mir über den Rücken, als mir warmfeuchte und wohlriechende Luft entgegenschlug. Aoi lag mit geschlossenen Augen in der Wanne, nasse Strähnen seines schwarzen Haares hingen ihm wirr in der Stirn und alles in allem gab er einfach nur ein wunderschönes Bild der absoluten Entspannung ab. Dennoch legte sich meine Stirn in besorgte Falten und ich schloss leise die Tür, bevor ich auf ihn zuging und meine Tasse vorerst auf der Ablage hinter seinem Kopf abstellte. Mich auf den Wannenrand setzend musterte ich meinen Freund kritisch, aber Aois Augen blieben geschlossen, beinahe so, als wollte er meine Gegenwart nicht wirklich registrieren.   „Ist alles in Ordnung mit dir? Geht es dir nicht gut?“ Sanft strich ich ihm die Haare aus der Stirn und lächelte tatsächlich ein wenig erleichtert, als er mich nun doch aus nur halb geöffneten Augen anblinzelte.   „Nee, alles gut, ich … ist Uruha schon weg?“   „Ja.“ Ich nickte, auch wenn das ungute Gefühl in meinem Bauch nach dieser doch irgendwie seltsamen Antwort nur noch stärker geworden war. „Also ich weiß ja nicht, aber irgendwie hat sich das gerade so angehört, als hättest du dich hier vor ihm versteckt. Hattet ihr Streit?“   Aoi schüttelte den Kopf, die Augen wieder geschlossen und ich konnte am verkniffenen Zug um seinen Mund sehen, dass er mir nicht ganz die Wahrheit sagte.   „Aoi.“   Keine Antwort, nur das Wasser geriet in Unruhe, als sich mein Freund erst übers Gesicht rieb und sich dann aufsetzte. Dunkle Augen richteten sich plötzlich mit einer derartigen Intensität auf mich, dass ich unwillkürlich schwer schluckte, einfach, weil ich noch immer nicht wusste, was hier eigentlich los war. Und dass irgendetwas nicht in Ordnung war, da war ich mir mittlerweile sicher. Aoi wirkte besorgt und von seiner eben noch vorherrschenden Entspannung war nun nichts mehr übrig. Sein Mund öffnete sich, aber mit einem seichten Kopfschütteln schloss er ihn wieder, ohne etwas gesagt zu haben.   „Kommst du auch ins Wasser?“, fragte er mich einen Herzschlag später und ich war mir verdammt sicher, dass es nicht das war, was er eigentlich hatte sagen wollen. Dennoch hatte ich schon genickt, bevor ich richtig darüber hatte nachdenken können. Das hatte sich nicht nach einer schlichten Frage angehört, vielmehr nach einer Bitte, eine Bitte, die ich ihm nicht abschlagen wollte. Außerdem fühlten sich meine Glieder noch immer durchgefroren an und was würde dagegen besser helfen, als ein warmes Bad? Ich entledigte mich also meiner Kleidung und wollte vor Aoi in die Wanne steigen, da jedoch rutschte er ein Stück vor und bot mir so den Platz genau hinter ihm an. Meine Augenbraue wanderte fragend ein Stückchen nach oben – eigentlich war Aoi nicht der Typ, der sich gerne halten ließ oder verkuschelt war, aber hey, diese Chance würde ich mir gewiss nicht nehmen lassen. Lächelnd stieg ich also in das warme Wasser, seufzte genießend, als meine Beine sogleich zu kribbeln begannen und zog ihn in meine Arme.   „Sagst du mir jetzt, was los ist?“ Langsam streichelte ich über seinen Oberkörper, hauchte kleine Küsse auf seinen Hals und merkte, wie er mit jedem verstreichenden Moment weicher wurde, bis er sich leise seufzend gegen mich lehnte.   „Ich … später, okay?“   Für einen langen Augenblick starrte ich nur stumm geradeaus und versuchte das ungute Gefühl zu ignorieren, welches mir nachdrücklich sagen wollte, das hier irgendwas absolut faul war, bis ich lautlos seufzte und dann für mich selbst nickte. Ich versuchte mich zu entspannen, verteilte sanfte Küsse auf seinem Nacken, aber erst, als Aoi seine Finger mit den meinen vor seinem Bauch verschränkte und sich so drehte, dass er sein Gesicht an meiner Halsbeuge verbergen konnte, vertrieb die Zufriedenheit, die ich in seiner und Uruhas Gegenwart immer verspürte, einen Teil meiner Anspannung.   „Okay“, murmelte ich also bestätigend und versuchte nicht weiter über sein seltsames Verhalten nachzugrübeln. Ich kannte ihn nun schon lange genug und wusste, dass er irgendwann von selbst mit der Sprache herausrücken würde und bis dahin würde ich ihn nicht quälen, in dem ich auf eine Antwort pochte. Ja, man mochte es nicht glauben, aber auch ich konnte ab und an einfühlsam sein, auch wenn Uruha mir dies gerne abzusprechen versuchte. Ich grinste, lehnte mich etwas gemütlicher gegen den Wannenrand und spielte mit Aois Fingern.   „Wo warst du eigentlich?“, fragte er mich einige Zeit später und verhinderte damit, dass ich doch tatsächlich beinahe eingeschlafen wäre. Aber wäre mir das zu verübeln gewesen, wenn das Wasser so angenehm warm und Aoi so herrlich anschmiegsam war? „Reita?“ Oops, ich sollte wohl mal antworten und nicht weiter vor mich hin träumen, was? Ich schüttelte leicht den Kopf und drückte einen entschuldigenden Kuss auf seine Schulter.   „Sorry, bin fast weggenickt“, gab ich zu und schmunzelte, als Aoi leise und deutlich belustigt schnaubte. „Ich war beim Feinkostladen, weil ich für Uruha und dich eigentlich ein paar Leckereien zum Frühstücken besorgt habe, aber die Planungen haben sich ja geändert.“   Mein Schatz seufzte leise und nun war er es, der meine Hand anhob, um mir einen kleinen Kuss auf die Fingerknöchel zu drücken.   „Tut mir leid.“   „Wie? Was denn?“   „Na, du hast die Sachen doch bestimmt wegen dem Valentinstag heute besorgt, oder?“   „Ja, schon, aber warum entschuldigst du dich? Uruha ist doch ausgeflogen. Außerdem macht das nichts, aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben und so.“   „Nein … ist es nicht.“ Wieder seufzte er und verdammt noch mal, so kannte ich ihn wirklich nicht.   „Jetzt mal ernsthaft, Aoi, was ist los mit dir?“ Gut, ich hatte vorhin noch beschlossen, dass ich ihn nicht unter Druck setzen würde, aber so, wie sich mein Schatz gerade gefühlt innerlich selbst zerfleischte, würde ein wenig Druck von meiner Seite auch nicht mehr schaden. Im Gegenteil.   „Lass uns aus der Wanne gehen und frühstücken, okay?“   „Aoi …“   „Bitte.“   „Na schön.“   ~*~   Bemüht entspannt kaute ich auf meinem Frühstück herum, obwohl ich mit jeder verstreichenden Sekunde das Gefühl bekam, es würde immer mehr in meinem Mund werden. Aoi neben mir hatte kaum drei Worte gesagt, seit wir aus der Wanne gestiegen waren und es uns im Wohnzimmer gemütlich gemacht hatten. Die einzige Geräuschkulisse war der Fernseher, aber nicht einmal die fröhliche Stimme der Moderatorin vom Morgenmagazin schaffte es gegen die ungute Stimmung anzukämpfen, die mein Freund wie eine Leuchtreklame auszustrahlen schien. Himmel, ich hörte sogar die Uhr auf der Kommode ticken, obwohl mir das Ding sonst wirklich nie auffiel. Angestrengt schluckte ich und spülte mit einem großen Schluck Kaffee nach.   „So, jetzt reicht’s. Ehrlich mal Aoi …“ Schwungvoll hatte ich mich zur Seite gedreht, um meinen Schatz ansehen zu können, aber das Häuflein Elend, welches mir nun gegenübersaß, wischte sämtliche Worte erfolgreich aus meinen Hirnwindungen. Ein dumpfes Ziehen setzte in meinem Magen ein und ich bereute zutiefst eben etwas gegessen zu haben. Gerade so konnte ich noch verhindern, dass ich gequält das Gesicht verzog, legte Aoi stattdessen sanft eine Hand aufs Knie und versuchte mich an einem, vermutlich ziemlich missglückten, Lächeln. „Hey, nun sag mir schon, was los ist. Du siehst aus, als würdest du mir sagen müssen, dass mein Haustier gestorben ist.“ Gut, meine Späße waren auch schon mal lustiger gewesen, aber was war in einer solchen Situation schon zu erwarten? Ruckartig stand Aoi auf und begann vor dem niedrigen Couchtisch, auf dem unser fast unberührtes Essen nur allzu deutlich machte, wie angespannt wir beide waren, auf und ab zu tigern.   „Es ist meine Schuld, dass dein Valentinstags-Frühstück ins Wasser gefallen ist. Ich hab Saga gebeten mit Uruha heute was zu unternehmen …“   „Ehrm …“ War so ziemlich das Einzige, was ich gerade als Antwort geben konnte, denn damit hatte ich nun nicht gerechnet. Aoi, mein Aoi, der eigentlich immer ruhig und besonnen war, immer einen kühlen Kopf behielt und ganz anders als Uruha oder ich irgendwie immer einen Plan im Leben zu haben schien, machte so einen Aufstand wegen eines ins Wasser gefallenen Frühstücks? Ich konnte nicht anders und musste leise lachen, vorrangig aus Erleichterung, aber auch irgendwie, weil ich meinen Schatz so durch den Wind bislang nur selten – oder eigentlich noch nie – erlebt hatte.   „Ernsthaft jetzt? Das ist der Grund, warum du hier mit Grabesmiene herumläufst und den Anschein machst, als würdest du jeden Moment einen Herzinfarkt erleiden? Verdammt Aoi, ich dachte schon, du willst schlussmachen oder so.“ Ich grinste breit und wischte mir demonstrativ über die Stirn, als hätten sich dort Schweißperlen gebildet, was mich jedoch auch nicht wirklich gewundert hätte.   „Was?“ Aois Augen waren groß geworden und er hatte endlich aufgehört eine neue Laufspur in unseren Teppich zu treten. „Wie kommst du denn bitte auf sowas?“   „Keine Ahnung?“ Ich zuckte mit den Schultern und erhob mich ebenfalls, um mich vor ihn stellen zu können. „Du ziehst eine Miene, wie drei Tage Regenwetter, machst einen total schuldbewussten Eindruck, aber willst mir ums Verrecken nicht erzählen, was überhaupt passiert ist. Du schickst Uruha quasi weg, um allem Anschein nach mit mir alleine reden zu können … ganz ehrlich, was genau soll ich deiner Meinung nach denken?“   „Rei, es tut mir leid, versteh doch, es ist nicht nur, dass ich allein mit dir reden will …“ Aoi fuhr sich durch die Haare, bis die schwarzen Strähnen in alle Himmelsrichtungen abstanden. „Ich dachte mir, wenn Uruha entspannt und zufrieden nach Hause kommt, fällt es mir vielleicht leichter und ich … Himmel Reita, ich kann das nicht.“   Ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren.   „Ehrm …“, machte ich erneut überaus eloquent und hätte mich für meinen Mangel an verbaler Schlagfertigkeit am liebsten selbst geohrfeigt. Hundert Fragen flatterten mir durch den Kopf, nicht zuletzt die, was genau hier eigentlich los war, aber im Grunde kam ich schlicht und einfach nicht damit klar, meinen starken, besonnenen Aoi so außer Fassung zu sehen. Was zum Geier wollte er mir und augenscheinlich auch Uruha sagen, was ihn so fertigmachte? Sanft versuchte ich den Mob auf seinem Kopf zu bändigen, damit Zeit zu schinden, um endlich angemessen reagieren zu können, da  hatte ich plötzlich beide Arme voller Aoi, der mich so fest hielt, als könnte ich ihm jeden Moment davonlaufen. Überrumpelt atmete ich ein und hatte automatisch beide Hände an seine Schultern gelegt, um ihm den Halt zu geben, den er allem Anschein nach gerade so dringend nötig hatte. „Himmelherrgott, Aoi“, schnappte ich lauter, als gewollt und hätte ihn am liebsten einmal kräftig durchgeschüttelt, unterließ dies aber, als mir auffiel, wie stark mein Freund zitterte. „Verdammt noch mal, wenn du mir nicht gleich sagst, was Sache ist, hatte Gazette die längste Zeit einen Bassisten, weil mir die Sicherungen durchgebrannt sind. Das hält doch keiner aus hier!“ Trotz meines kleinen Ausbruchs, der einzig und allein meiner Anspannung zu schulden war, hatte ich ihn noch immer nicht losgelassen und spürte seine nächsten Worte daher mehr gegen meinen Hals gewispert, als dass ich sie hören konnte. Dachte ich jedenfalls, denn kaum hatte Aoi gesagt, was ihm so schwer auf dem Herzen lag, hatte ich das Gefühl, der Boden unter meinen Füßen hätte sich in Treibsand verwandelt.   „Was willst du tun?“, fragte ich zwischen tauben Lippen hindurch, so überrumpelt war ich in diesem Augenblick.   „Ich werde Uruha heute fragen, ob er mich heiraten will.“       -_-_-_-_-_ Also, ich würde mal sagen, das Camp NaNoWriMo hat sich definitiv schon gelohnt – unabhängig davon, was ich in dem Monat noch so schaffe oder ob ich mein Schreibziel von 10.000 Worten erreiche. Dieses Kapitel hab ich tatsächlich im Februar begonnen und seit dem lag es mehr oder weniger unbeachtet auf meiner Festplatte herum. Ich weiß, Schande über mein Haupt und mir bleibt nur zu hoffen, dass es noch Leser da draußen gibt, die die Story hier noch nicht ganz aufgegeben haben. Drückt mir mal die Daumen, dass die Motivation zu Schreiben den Juli über anhält und ich euch noch weitere Kapitel hier liefern kann. Feedback würde dem Ganzen natürlich auch durchaus behilflich sein. *lacht* In diesem Sinne, jetzt erst mal viel Spaß beim Lesen. ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)