Ein unverhofftes Familientreffen von Himikko ================================================================================ Kapitel 62: Helheimr -------------------- Das Höhlensystem war sogar noch größer als es sich Rin ursprünglich vorgestellt hatte. Zwar war er schon in den Verliesen gewesen, doch im Vergleich zu Helheimr waren diese wesentlich weniger unheimlich gewesen. Er wusste selbst nicht, woran es lag. Etwas an diesem Ort wirkte bedrohlich und verlieh ihm ein ungutes, bedrückendes Gefühl, gleichzeitig übte es eine gewisse Anziehung auf ihn aus. „Ist es normal, dass ich einerseits hier bleiben möchte, aber andererseits direkt wieder gehen will?“, fragte er seinen Vater kleinlaut, welcher den Kopf schüttelte.   „Ersteres ist normal, unsere Kräfte sind stärker hier unten, aber dank Lilith geht alles drunter und drüber. Ignoriere es fürs erste und mach dir keine Gedanken.“ Dummerweise klang er selbst extrem angespannt, weswegen es nicht sehr überzeugend wirkte. Dennoch beschloss der Nephilim, es lieber hinzunehmen und nichts zu sagen. Er selbst stand schon unter großem Druck, da wollte er sich nicht vorstellen wie schlimm das bei Satan und seinen Brüdern sein musste.   Letztere waren überall in den Höhlen verstreut, um das Ritual vorzubereiten. Im Gegensatz zum ersten Mal, als sie Lilith versiegelt hatten, reichte es nicht mehr die Siegel und Symbole in einem Raum zu platzieren, stattdessen mussten sie diese im ganzen Höhlensystem verteilen, was wiederum ein weiteres, größeres Zeichen ergab. Sie wussten glücklicherweise bereits, in welchen Räume sie mussten, das große Problem war jedoch, dass sie anschließend Lilith finden und in den Hauptraum des Rituals locken mussten, gleichzeitig durfte das natürlich nicht zu früh oder zu spät passieren. Im besten Fall würden sie sogar einige Aveira erwischen, dennoch hatte die Dämonengöttin absolute Priorität.   Je weiter sie vorstießen, umso nervöser wurde der junge Halbdämon. Wie so oft begann er das Ritual sowie die Worte, die er sprechen musste, im Kopf durchzugehen. Seine Angst es in den Sand zu setzten, kam langsam zurück, was Egyn sofort zu bemerken schien. „Mach dir keine Gedanken. Du schaffst das, Rin.“, flüsterte er und lächelte ihm zu. „Ich war beim letzten Mal genauso aufgeregt, aber es hat trotzdem funktioniert.“   Das mochte zwar stimmen, allerdings war Rin erst 16 und hatte so gut wie kein Wissen über Rituale oder dämonische Kultur, Egyn war dagegen damit groß geworden, hatte die nötigen Rituale über längere Zeit studiert und war obendrein wesentlich älter. Ihm war weiterhin hundeelend zumute, trotzdem nickte er. Der Wasserdämon kaufte es ihm nicht ab. „Hey, du bist nicht dumm. Du weißt, was zu tun ist, du hast es oft genug geübt. Es wird alles gut werden.“   „Egyn hat recht.“, warf Agares ein, welche hinter ihnen lief. „Du musst nur tun, was dir gesagt wurde, um den Rest musst du dir keine Gedanken machen. Abgesehen davon hätte Satan dich wohl kaum um Hilfe gebeten, wenn er nicht glauben würde, dass du das hinbekommst. Gib einfach dein Bestes, in Ordnung?“   Tatsächlich fühlte sich Rin dadurch etwas besser und nickte. Er konnte das, er hatte seine Flammen inzwischen wesentlich besser unter Kontrolle, dieses Ritual war etwas schwieriger, aber sie waren es gemeinsam immer wieder durchgegangen. Theoretisch sollte nichts schief gehen. Ein lautes Kreischen ließ ihn zusammenzucken, aber es wurde schnell klar, dass es wieder einige Furien waren, die eine ihrer Gruppen angriff. Wie es den anderen Truppen erging, wussten sie nicht, dafür waren sie zu weit verstreut und er hoffte wirklich, dass sie ebenfalls gut vorankamen und nicht zu viele Verluste einstecken mussten.   An der nächsten Gablung trennte sich ihre Gruppe erneut, Satan, Rin, Lucifer und der Rest gingen tiefer ins Innere, Egyn und seine Leute machten sich derweil auf den Weg, um eins der Siegel zu platzieren. Er warf Rin einen letzten, aufmunternden Blick zu, dann war er bereits in einem der zahllosen dunklen Gänge verschwunden. Der Halbdämon hatte nach wie vor ein ungutes Gefühl, aber rief sich in Erinnerung, was sie gesagt hatten. Alles würde gut werden, er durfte jetzt keine Panik schieben, er konnte das. Je eher sie dieses Ritual beenden konnten, umso besser. Alle verließen sich auf ihn und es hing zu viel dran, um sich einen Fehltritt zu erlauben.   „Wie lange wird es dauern, bis alle Siegel fertig sind?“ Der Aufbau des Rituals im Hauptraum würde besonders schwierig und kompliziert werden, sie mussten also gründlich, aber auch schnell arbeiten. Zum Glück musste er da nichts tun außer aus dem Weg zu bleiben, er würde wahrscheinlich nur die Nerven verlieren.   „Mindestens eine Stunde, aber ich denke, es wird mehr werden. Trotz allem ist Lilith nicht dumm, sie wird irgendwann merken, was wir vorhaben, wenn sie es nicht schon weiß.“   Na, das baute doch mal wieder auf. Er sollte wohl einfach aufhören zu fragen. Nach einer Weile ergriff der Dämonenherrscher erneut das Wort. „Ich weiß, ich habe es schon mal gesagt, aber nochmal zur Erinnerung: Während wir arbeiten, hälst du dich bitte raus, aber bleibst, wo ich dich sehen kann. Wir brauchen unsere ganze Konzentration, wir dürfen keinen Fehler machen, verstanden?“ Der Halbdämon nickte protestlos, danach war es für eine Weile still, hin und wieder hörten sie Kampfeslärm und einige Male wurden sie auch direkt angegriffen, konnten diese allerdings schnell zurückschlagen. Ihm entging nicht, dass diese Angriffe immer heftiger wurden, aber sein Vater machte mit den meisten kurzen Prozess, auch wenn sie versuchten, gar nicht erst in seine Nähe zu kommen. So arbeiteten sie sich immer weiter vor, bis sie endlich ihr Ziel erreichten.   Diese Höhle sah anders aus als jene, in der sie Lilith ursprünglich versiegelt hatten. Der Boden war zwar eben, doch der Platz begrenzt, drum herum führten steile Abgründe in die Tiefe. Sie würden also aufpassen müssen, wo sie hintraten. Satan verschwendete keine Zeit. Er sah sich kurz um, wahrscheinlich um einzuschätzen, wo sie anfangen mussten, um alle Symbole auf diese begrenzte Fläche zu bekommen, dann nickte er schließlich Lucifer zu.    „Fangen wir an.“     ………………………………………………………………     „Sie rücken immer weiter vor, Eure Hoheit. Bisher ist es uns noch nicht gelungen sie einzukesseln, viele unserer Leute sind geflohen.“   Lilith drehte sich nicht um oder sah überhaupt auf, sondern starrte weiterhin in das Flammenmeer unter ihr. Die Urflammen, der Beginn Gehennas, allen Lebens und ihr Geburtsort. Sie kam nur ungern her, zu viele schlechte Erinnerungen waren mit diesem Ort verbunden. Welch Ironie, dass ihr Weg sie nun erneut hierhergeführt hatte. „Sie sind Feiglinge. Allesamt.“, antwortete sie schließlich. Zu ihrer eigenen Überraschung empfand sie keine Wut während sie dies sagte, nur grimmige Entschlossenheit. Wenn sie lieber wegliefen dann gut. Sie würden dafür irgendwann die Quittung bekommen, momentan hatte sie allerdings andere Prioritäten.   Sie wusste, was Satan vorhatte. Er wollte sie erneut versiegeln, nur dieses Mal war das Ritual anders, weswegen überall diese Siegel verteilt wurden. Sie hätte nicht gedacht, dass er nochmal so etwas versuchen würde, allerdings trieb die Verzweiflung einen immer wieder zu Dingen, die sonst undenkbar wären. „Konzentriert euch weiterhin auf die Dämonenkönige und haltet sie voneinander fern. Um Satan und den Nephilim kümmere ich mich persönlich.“   Bisher war sie einem offenen Kampf mit ihm aus dem Weg gegangen. Noch hatte sie ihr Amulett, sie konnte es schnell beenden, wenn das Timing richtig war. Obendrein hatte sie Azazels Leben als Trumpf, weder Satan noch seine Gören würden sie töten. Egal was passierte, sie würde gewinnen. Satan war geschwächt, sie hatte den Vorteil! Wer weiß, vielleicht konnte sie auf dem Weg sogar diesen anderen Menschensohn finden und ihm ebenfalls den Garaus machen. „Seid Ihr Euch sicher? Er-“   Augenblicklich fuhr sie herum, ihre Augen waren sofort rot geworden. „HINTERFRAGE MICH NICHT! GEH MIR AUS DEN AUGEN!“ Der Dämon kam dieser Aufforderung nur zu gern nach und stürmte davon. Sie atmete kurz durch, um sich zu beruhigen, dann setzte sie sich in Bewegung. Das war ihre letzte Chance. Sollte sie scheitern (und sie würde NICHT scheitern) würde sie ihren letzten Plan umsetzen. Koste es, was es wolle.     …………………………………………………     Das Siegel vorzubereiten dauerte länger als es Egyn lieb war. Agares half ihm zwar so gut sie konnte und er hatte es zudem immer wieder geübt, aber es war dennoch eine Tortur. Die Zeit lief ihnen davon, jede Sekunde zählte! ‚Ich habe Rin gesagt, er soll ruhig bleiben und sich nicht zu viele Gedanken machen und jetzt bin ich selbst nicht besser.‘, stellte er innerlich seufzend fest. ‚Ich hoffe, er kommt klar…‘   Zwar hatte er vollstes Vertrauen in den Nephilim, aber er machte sich dennoch Sorgen wegen seines geistigen Zustands. Lilith wieder zu sehen, würde ihn wahrscheinlich sehr aufwühlen. Eins stand allerdings fest, nochmal würde sie nicht an ihn herankommen, nur über seine Leiche. „Egyn.“, riss ihn Agares aus den Gedanken. „Woran auch immer du denkst, wir haben keine Zeit, Konzentriere dich!“   „Ja, ja!“   Sie arbeiteten zügig weiter, hin und wieder hörten sie ihre Leute in den Höhlen um sie herum kämpfen. Bisher hatten sie Liliths Truppen fernhalten können, was ihnen ein ungestörtes Arbeiten ermöglichte, doch Eile war geboten. Es schien sich ewig zu ziehen, er hatte längst jegliches Zeitgefühl verloren, aber sie kamen relativ gut voran. Sie waren beinahe fertig, als ihre Arbeit von einem Ausruf unterbrochen wurde. Er sah auf und entdeckte Ankou, die sichtlich aufgeregt auf ihn zugelaufen kam.   „Ankou? Was machst du denn hier?“, fragte Agares verwirrt und schaute die andere Dämonin verwundert an. Eigentlich hatte sie in diesem Teil der Höhle nichts verloren.   „Liliths Leute haben unsere Gruppe getrennt.“, berichtete sie düster. „Das Siegel ist allerdings fertig, beim Rest scheint es ebenfalls voran zu gehen.“   „Immerhin eine gute Nachricht. Wir sind auch bald fertig.“, erwiderte der Dämonenkönig und bückte sich, um seine Arbeit fortzuführen. Agares tat es ihm gleich. „Wenn du schon mal hier bist, kannst du den Truppen da draußen etwas unter die Arme greifen.“ Etwas stimmte hier nicht. Er hatte kein gutes Gefühl bei dieser Sache.   „Alles klar.“   Eigentlich sollte sich die Dämonin in Bewegung setzen, doch zu Egyns Verwunderung hörte er keine Schritte. Stirnrunzelnd hielt er inne und war dabei sich umzudrehen, aber bereits in der Bewegung fiel sein Blick auf ihre Schatten am Boden und sein Verdacht bestätigte sich. Sofort machte er einen Satz nach vorne und der Dolch verfehlte ihn. „Dachte ich mir doch, dass was faul ist.“, zischte er und griff zur Waffe. „Zeig dein wahres Gesicht!“   Agares war ebenfalls aufgestanden und hatte die Waffe gezogen, die falsche Ankou verzog derweil das Gesicht. „Hätte ja klappen können.“, knurrte sie und ein grünes Licht verriet ihm alles, was er wissen wusste.   „Invidia!“, zischte er hasserfüllt und spürte dabei, wie etwas in ihm aufflammte, dass er sonst immer unter Kontrolle hielt, doch dieses Mal spürte er wie es immer eindringlicher wurde. „Es ist alles ihre Schuld! Reiß sie in Stücke!“   Die Gestaltwandlerin legte grinsend den Kopf schief und verschränkte die Arme. „Hey, Iggy. Immer noch sauer wegen Mama?~“ Sofort sah er rot. Wie konnte sie es wagen?! „Agares, beende das Siegel. Ich kümmere mich hier drum.“, befahl er ungewöhnlich scharf.   Sie schien protestieren zu wollen, aber er hörte nicht zu und griff bereits an. Invidia wich lachend aus und grinste ihn noch breiter an, offenbar nahm sie ihn nicht wirklich ernst. „Daneben, tut mir leid!~ Na komm, los, fang mich doch!“ Sie verspottete ihn, damit er unvorsichtig wurde und er wusste das. Dennoch fiel es ihm schwer, sich zusammenzureißen. Er spürte das vertraute Ziehen in seinen Ohren, Zähnen und Fingern, ein klares Indiz dafür, dass er kurz davorstand, in seine Dämonenform zu wechseln. „Warum hälst du dich zurück?! Sie hat es verdient! Töte sie! Lass sie leiden!“, tobte sein Dämoneninstinkt. „Damit würdest du allen einen Gefallen tun! Sie verdient keine Gnade!   Für gewöhnlich hatte Egyn kein Problem damit, diesen Einflüsterungen zu widerstehen. Er war alt genug und verfügte über genug Kontrolle, um diese Triebe zurückzudrängen, aber diese brennende Wut machte es schier unmöglich. Lilith hatte bereits mehr als genug Leute verletzt. Seine Familie, seine Freunde und die Bewohner Gehennas. Invidia war jedoch nicht weniger Schuld, sie hatte immerhin ihren Willen ausgeführt und verdiente es daher genauso hart bestraft zu werden.   Die Angriffe, die sie untereinander austauschten, wurden immer brutaler, sein Speer zerbrach, daher griff er auf Wasser und Eis zurück, doch auch hier gestaltete es sich schwierig, einen Treffer zu landen. Sie war einfach zu schnell. „Hast du etwa Schwierigkeiten? Na komm, gib dir mal Mühe!“, lachte Invidia und wechselte die Gestalt. Nun in Agares Form kämpfte sie weiter, doch er schaffte es, sich davon nicht ablenken zu lassen.   ‚Das ist nicht sie. Fall da nicht drauf ein.‘   Sie wechselte einige Mal die Gestalt, offenbar realisierte sie, dass es langsam eng für sie wurde, denn der Spott ließ nach. Die Situation eskalierte allerdings als sie ausgerechnet die Gestalt seiner Mutter annahm und ihm einen flehenden Blick zuwarf. „Egyn, bitte nicht!“ Ihre Stimme war eine perfekte Kopie, verdammt nochmal, sogar ihre Haltung und ihr Gesichtsausdruck waren korrekt, aber anstatt ihn zögern zu lassen, kochte die Wut hoch.   „DU. BIST. NICHT. MEINE. MUTTER!“   Es war zu spät, sich noch zusammenzureißen, sein Dämoneninstinkt hatte die Überhand gewonnen und ließ ihn seine wahre Dämonenform annehmen. Sie wollte also Spiele spielen? Gut. Er würde mitspielen und sie jeden Moment bereuen lassen.     …………………………………………………………..     Shura hätte wissen müssen, dass dieser ganze Angriff viel zu glatt lief. Früher oder später musste es Probleme geben, andernfalls wäre es ja auch ein Wunder. Ihre Gruppe wurde vollkommen von Liliths Leuten überrumpelt, überall um sie herum starben Leute wie die Fliegen. Yukio und die Adepten waren ebenfalls hier, allerdings konnte sie sie nicht entdecken, als sie sich umsah. Leider hatte sie keine Zeit nach ihnen zu suchen, ihre Angreifer waren gnadenlos und gestatten ihr keine Pause. Dafür sah sie allerdings Izumos Füchse vorbeihuschen, daher ging es wohl zumindest ihr gut.   Nur kurz darauf kam allerdings das Signal zum Rückzug und neu gruppieren. Ihr war das mehr als recht, denn es kamen immer mehr und es war kein Ende in Sicht. „Shura!“, hörte sie plötzlich und erkannte die Person als Yukio. Er hatte die Adepten im Schlepptau, die zwar etwas mitgenommen, aber unverletzt wirkten. Sofortige Erleichterung machte sich breit und sie gab ihnen ein Zeichen, ihr zu folgen.   „Kommt schon, los!“ Nicht wirklich der eleganteste Rückzug, tatsächlich waren sie wie ein aufgescheuchter Haufen Hühner, aber da die Höhlen teilweise eng waren und sie sich obendrein nicht hier auskannten, war das wohl verständlich. Ohne zu wissen, in welche Richtung sie sich bewegten, rannten sie. Glücklicherweise hatte niemand Interesse daran, sie zu verfolgen und nach einer Weile blieben sie endlich stehen. Einige andere Exorzisten und Dämonen waren mit ihnen gelaufen und atmeten nun ebenfalls durch.   „Das…ist nicht gelaufen wie es sollte…“, schnaubte einer der Dämonen. „Aber wenn wir weiter in diese Richtung gehen, sollten wir bei Egyns Gruppe landen. Das macht mehr Sinn als zurückzugehen.“   „Klingt gut.“, stimmte Shura zu und auch der Rest war einverstanden. Sie erlaubten sich noch eine weitere Minute Rast machen, dann ging es direkt weiter. Diese kurze Zeit nutzte sie, um nach Yukio und den Adepten zu sehen, glücklicherweise waren diese tatsächlich unverletzt. Hoffentlich würde das auch so bleiben. Shura selbst hatte nur einige Kratzer, aber da kein Gift oder sonstiges im Spiel gewesen war, musste sie sich diesbezüglich keine Sorgen machen, zumindest vorerst.   „Also gut, los geht’s.“, wies einer der Dämonen an und keiner der Exorzisten protestierte. Der Weg war nicht lang, schon kurz darauf hörten sie Kampfeslärm, woraufhin Shura ihre Waffe zog. Sie waren jedoch im Vorteil, sie fielen ihren Feinden direkt in den Rücken und hatten somit das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Ausnahmsweise fühlte sich Shura relativ zuversichtlich, zumindest bis aus scheinbar heiterem Himmel zwei neue Personen das Schlachtfeld betraten. Nun, erstere wurde eher mit gewaltiger Wucht darauf geschleudert.   Sie registrierte die grünen, wilden Haare, die Hörner und die riesigen Fledermausflügel, allerdings konnte sie nicht zuordnen was oder wer das war. Es war keine Furie, soviel war ihr klar. Interessanter wurde es da schon bei Person Nummer zwei. Lange, blau-weiße Haare, geschuppte Haut, Hörner und seltsam geformte Flügel machten eine Identifikation schwierig. Dennoch kam ihr dieser Dämon irgendwie bekannt vor…   Dummerweise schien sich der besagte Dämon nicht darum zu kümmern, ob er jemanden verletzte und griff immer wieder seinen (zumindest glaubte sie, dass es männlich war) Gegner an, wobei einmal beinahe Izumo getroffen, doch von Shima in letzter Sekunde beiseite gezogen wurde.  „Was zum-?!“, entfuhr es der Adeptin und erhielt damit die Aufmerksamkeit des Dämons. Mit einem markerschütternden Kreischen, hielt er auf die Adeptin zu, die langen Zähne gebleckt und die Krallen bereit zum Angriff.   ‚Scheiße!‘ Shura war zu weit weg, um etwas zu tun!   Alles geschah extrem schnell. Der Dämon griff an, Izumo schrie, doch der Angriff wurde in letzter Sekunde abgeblockt und der Dämon zurückgestoßen.   „EGYN! Was tust du da?! Hast du den Verstand verloren?!“, ertönte Iblis wütende Stimme. Er war es gewesen, der Izumo gerettet hatte, doch Shuras Erleichterung hielt nicht lange, als ihr bewusst wurde, dass der Baal mit dem Dämon vor ihm redete.   Das war Egyn?!   ‚Jetzt wo ich drüber nachdenke, die Ähnlichkeit ist da. Und sie haben gesagt, dass sie eine Dämonenform haben.‘ Dennoch konnte sie kaum fassen, was sie sah. Egyn war immer so nett und zurückhaltend, doch gerade eben hatte er ohne zu zögern Izumo angegriffen und noch dazu grundlos! Der Wasserdämon ignorierte Iblis allerdings und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seiner Gegnerin zu, die sich langsam aufrappelte. Sekunde. Grüne Haare, Egyn hatte offensichtlich einen Groll gegen sie…Invidia? Es würde Sinn machen. Verdammt nochmal, als ob Dämonen nicht schon in normaler Form stark genug waren!   Izumo war derweil zu ihnen gerannt und starrte sie noch immer schwer atmend an. „H-Habt ihr auch gehört…?“   „Ja. Das sind Egyn und Invidia.“, antwortete Shura düster. Sicherlich, sie wusste wie gefährlich die Dämonenkönige waren. Obwohl Egyn immer nett zu ihnen war, hatte sie diesen Fakt nie vergessen. Momentan erinnerte er sie eher an Rin, als er damals die Kontrolle im Wald verloren und überall gewütet hatte, nur dass das hier wesentlich schlimmer war.   Iblis versuchte derweil den rasenden Dämon zu beruhigen, doch Egyn ignorierte ihn und stürzte sich dafür weiterhin auf Invidia, welche die Angriffe allerdings kaum erwiderte und weiterhin erfolglos versuchte, vor ihm zu fliehen. Inzwischen hatten sie die Aufmerksamkeit anderer Dämonen und Exorzisten auf sich gezogen, allerdings hielten sie ausnahmslos Abstand. Nicht mal Liliths Leute machten Anstalten, Invidia zu helfen, stattdessen sahen sie nervös Egyn zu. Offenbar hatten sie Angst, dass er sie angreifen würde, wenn sie ihn versehentlich provozierten.   Mehrere Mal versuchte Iblis dazwischen zu gehen, schlussendlich musste er jedoch fluchend aufgeben. Egyn gab ihm keine Gelegenheit sich einzumischen. Shura sah nicht was als nächstes passierte, die folgende Hitze und Helligkeit ließ sie ihren Blick abwenden, aber es dauerte nicht lange, bis ihr klar wurde, dass Iblis seine Dämonenform angenommen hatte und nun versuchte, die beiden irgendwie voneinander zu trennen und Invidia gleichzeitig an der Flucht zu hindern. Die anderen kämpften ebenfalls wieder, hielten sich allerdings nach wie vor von den kämpfenden Dämonenkönigen und der Gestaltwandlerin fern.   Es war ein großes hin und her, aber Shura wusste beim besten Willen nicht, wie sie helfen sollten. Wahrscheinlich war es wirklich das Beste, sich dieses Mal rauszuhalten. Es gab mehr als genug Gegner und Iblis hatte wesentlich bessere Chancen seinen Bruder zu beruhigen. Yukio hatte sich ebenfalls bereits wieder in den Kampf gestürzt, sie setzte schnell nach und vertraute darauf, dass die Adepten in der Nähe blieben. Sie konnte sich jetzt nicht ablenken lassen.     ………………………………………………………………     Nachdem Iblis das Siegel an der ihm zugewiesenen Stelle platziert hatte, machte er sich auf direktem Wege zu Egyn, welcher am nächsten zu ihm war. Dies stellte sich als richtige Entscheidung heraus, denn wie er feststellen musste, war dieser vollkommen in Rage. Zunächst verstand er nicht, was los war, sein Bruder verlor sonst nie die Kontrolle. Als ihm jedoch klar wurde, dass seine Gegnerin Invidia war, konnte er sich zusammenreimen, was passiert war.   Glücklicherweise war er gerade noch rechtzeitig gekommen, sonst wäre Izumo (inzwischen hatte er sich endlich die Namen gemerkt) in Stücke gerissen worden. Allerspätestens in diesem Moment wurde klar wie ernst die Situation war. Seine folgenden Versuche den Wasserdämonen zur Vernunft zu bringen, scheiterten allesamt. Somit blieb ihm nur seine Dämonenform, anders würde er den anderen Baal wohl nicht zu Boden bekommen. Zwar widerstrebte es ihm, da dies viel Kraft brauchen würde, aber es musste sein und glücklicherweise dauerte die Verwandlung nur Sekunden.   Agares war nirgends zu sehen, daher hoffte er, dass sie sich um die Siegel kümmerte und Egyn nur nicht bei ihr war, weil Invidia sie unterbrochen hatte. Diese schien dies inzwischen zu bereuen, wahrscheinlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass Egyn so aggressiv reagieren würde. Unter anderen Umständen hätte er seinen Bruder zu gern gewähren lassen, aber die Gefahr, dass er dabei andere verletzte, war hoch und davon abgesehen brauchten sie die Sünde vielleicht. Sie könnte Informationen bezüglich Azazel haben oder sogar den Vertrag auflösen.   Er duckte sich unter einen weiteren Angriff von Egyn und wurde von ihm angefaucht. Das konnte so nicht weiter gehen. Wenn er es nicht bald beendete, würden sie Zeitprobleme bekommen. Momentan war er nicht sicher, ob es gut oder schlecht war, dass der Wasserdämon nicht länger logisch dachte, sondern rein instinktiv handelte. Das machte es zwar etwas leichter, ihn auszutricksen, aber das bedeutete auch, dass er ohne Rücksicht alles und jeden angriff.   Er täuschte einen Angriff an und der Dämon fiel darauf rein, was ihm wiederum die Gelegenheit verschaffte, hinter ihn zu kommen und anzugreifen. Natürlich versuchte der Baal seinen Bruder nicht zu verletzen, sondern einfach nur auszuknocken, doch sein Angriff schien Egyn lediglich zu benebeln. Er erholte sich schneller als erwartet, schnellte vor und bevor er reagieren konnte, hatte der andere Dämon bereits seine Zähne in seinem Unterarm versenkt. ‚Verdammt nochmal!‘   Instinktiv trat er ihm in den Magen und stieß ihn von sich, dabei warf er schnell einen Blick auf die Wunde. Glücklicherweise war sie nicht ganz so tief wie erwartet und begann bereits zu heilen. ‚Gut, dass seine Zähne nicht giftig sind…‘   Dafür hatte der Tritt den anderen Dämonenkönig aus dem Gleichgewicht gebracht, was Iblis das nötige Zeitfenster gab, um ihn endlich bewusstlos zu schlagen. Damit blieb nur Invidia, welche natürlich erneut versuchte, die Flucht zu ergreifen, aber nicht weit kam. Ohne zu zögern, rang er sie zu Boden und obwohl sie um sich trat, kratzte und biss, konnte er sie am Ende ebenfalls ausknocken. ‚Das war mehr Glück als Verstand…‘ Langsam rappelte er sich wieder auf und sah sich um. Die meisten Gegner waren erledigt, der Rest trat bereits den Rückzug an und seine Bisswunde war so gut wie verheilt. Zumindest etwas, das gut lief. Erleichtert nahm er wieder seine normale Gestalt an und streckte sich. Sein oberer Rücken verspannte sich immer, wenn er seine Flügel lange nicht benutzt hatte und sie danach wieder verschwinden ließ. Da Egyn und Invidia bewusstlos waren, konnten sie ihre Dämonengestalt nicht länger aufrechterhalten und verwandelten sich ebenfalls zurück. Ihre Wunden heilten bereits, daher hoffte er, dass sie bald aufwachen würden. Es wäre eine Katastrophe, wenn Egyn nicht bis zum Ritual wieder wach wurde. Ihre Truppen sammelten sich derweil und einige Heiler kamen zu ihm herüber. „Kümmert euch zuerst um Egyn. Ich komme schon klar.“, wies er sie an. Sie zögerten zunächst, kamen der Aufforderung dann jedoch nach.   Kurz darauf kam Agares dazu, welche sichtlich erleichtert schien, ihn zu sehen. „Ein Glück bist du hier!“ Ihr Blick wanderte zu Egyn und ihre Erleichterung wurde zu Besorgnis. „Geht es ihm gut?“   „Ja, er ist nur bewusstlos.“, versicherte er ihr schnell. „Invidia wurde gefangen genommen, sobald sie zu sich kommt, schauen wir mal, ob sie diese Verbindung auflösen kann. Hast du die Siegel fertig?“   Sie nickte. „Es ist alles bereit, ich habe auch schon eine Nachricht losgeschickt.“ Erneut wanderte ihr Blick zu Egyn, dieses Mal wirkte sie als würde sie sich schuldig führen. „Invidia hat ihn so lange gereizt, bis er ausgerastet ist. Ich konnte nichts tun…“   „Mach dir keine Gedanken. Wahrscheinlich hätte er auf mich genauso wenig gehört. Er hat jeden Grund sie zu hassen, diese Reaktion war zu erwarten.“ Die Dämonin schwieg, offenbar in ihren eigenen Gedanken versunken. Dafür kam Izumo ein wenig zögerlich auf ihn zu.   Sie hatte einige Kratzer, aber schien ansonsten unverletzt zu sein. Was sie sagte, überraschte ihn allerdings. „Danke für die Hilfe.“, sagte sie zögerlich. „Wärst du nicht gewesen…ich will nicht drüber nachdenken.“   Iblis verkniff sich den Spruch, dass er keinen Dank von einer Exorzistin erwartet hatte und nickte nur. „Kein Problem. Egyn hätte sich ewig Vorwürfe gemacht, wenn er jemanden verletzt hätte, war also ein Gefallen für euch beide.“ Das und er musste zugeben, dass er diese Adeptin irgendwie mochte. Gut, mögen war vielleicht etwas übertrieben, aber er hatte nicht vergessen, dass sie sofort bereit gewesen war, sämtliche Differenzen beiseite zu legen und obendrein war sie immer höflich geblieben. Das konnte er respektieren. Abgesehen davon wäre Rin am Boden zerstört, wenn seinen Freunden etwas passieren würde.   „Ja, mag sein, aber trotzdem.“ Sie zögerte und sah stirnrunzelnd zu Egyn, bevor sie weitersprach. „Geht es ihm gut? Die Angriffe sahen brutal aus.“   „Oh, er sollte bald wieder auf den Beinen sein. Es sah schlimmer aus als es ist.“   „Gut. Ich hätte nicht erwartet, dass er so…aggressiv werden kann. Er wirkt immer so ruhig.“   Der Feuerdämon schnaubte, allerdings war es nicht abfällig. „Dann solltest du ihn mal sehen, wenn die Sirenen Gene durchkommen. Das ist schlimmer als was gerade passiert ist.“   Da sie offenbar nicht wusste, was sie daraufhin sagen sollte, zuckte sie nur mit den Schultern und verabschiedete sich, bevor sie zurück zu den anderen Adepten ging. Die Exorzisten und ihre Truppen waren bereits dabei, sich neu zu sammeln und Gegner waren nicht mehr in Sicht. Jetzt mussten sie nur noch warten, bis sein Bruder und Invidia aufwachten.     …………………………………………………….     Manchmal hatte das Schicksal wirklich einen seltsamen Sinn von Humor. Eigentlich sollte es Samael nicht mehr überraschen, er hatte viele Zukünfte gesehen, eine abstrakter als die andere und doch erwischte manches selbst ihn im Kalten. Nachdem er seinen Teil der Siegel platziert hatte, waren sie erneut angegriffen worden, dieses Mal unter anderem von mehreren Naga. Zu seiner Schande musste er sich eingestehen, dass er unvorsichtig geworden war, darum gelang es einer der Naga tatsächlich einen Treffer zu landen und ihn zu vergiften. Zwar konnte er sie besiegen und der Kampf war inzwischen vorbei, aber es verletzte dennoch sein Ego. Nun waren sie jedoch bei der Ironie angekommen, denn es war ausgerechnet seine Mutter, die ihn versorgte. Wer hätte das kommen sehen sollen?   Sicher, sie hatten irgendwie Frieden geschlossen, aber die Situation war dennoch sehr unangenehm.  Indra versuchte zwar Konversation zu betreiben, aber das machte es nicht  wirklich besser. „Du hattest nochmal Glück gehabt.“, hörte er sie sagen. „Wäre die Klinge tiefer gegangen, hätte sich das Gift um einiges schneller verteilt und das hätte gefährlich werden können.“   „Mir wäre es lieber, wenn ich gar nicht erst vergiftet worden wäre.“, knurrte er. „Der einzige Trost ist, dass die anderen nichts davon mitbekommen haben.“   Sie summte zustimmend, nach wie vor auf die Wunde konzentriert. „Ich habe heute schon alle möglichen Dämonen und Exorzisten aller Ränge behandelt. Es gibt also keinen Grund, sich zu schämen.“   Das ließ sich so einfach sagen. Er sagte jedoch nichts, schlussendlich konnte sie auch nichts dafür. Stattdessen wanderten seine Gedanken zu seinem Vater und seinen Geschwistern. Wahrscheinlich waren manche von ihnen ebenfalls bereits mit ihren Siegeln fertig, vorausgesetzt natürlich, sie waren nicht auf Probleme gestoßen. „So, fertig. Ruhe dich noch etwas aus, es wird einige Minuten dauern, bis sich die Wunder wieder verschließt.“, wies Indra an und stand auf. „Ich muss mich noch um einige andere Verletzte kümmern, aber rufe ruhig, wenn du mich brauchst.“   Damit war sie wieder verschwunden und ließ ihn mit seinen Gedanken zurück. Er war froh darüber, dann endete immerhin dieses unangenehme Gespräch. Gelegentlich wünschte er sich fast, er hätte Rin ignoriert und sich weiterhin von seiner Mutter ferngehalten, aber natürlich war das albern. Selbst wenn es unangenehm war, er war kein Feigling.   Leider währte die Ruhe nicht lange. Ob nun ihre vorherigen Angreifer mit Verstärkung zurückgekommen waren oder es neue Gruppe war, es waren viele. Zu allem Überfluss entdeckte er unter ihnen Ira und Luxuria, welche allerdings beide nicht allzu begeistert wirkten. Hier waren sie also geblieben. Wundervoll. Gerade was er gebraucht hatte. ‚Na, da kann man wohl nichts machen.‘   Dieses Mal würde er nicht so unvorsichtig sein.     ……………………………………………………     Als Egyn zu sich kam, sah er zuerst Iblis und Agares, die neben ihm saßen und ihn besorgt ansahen. Zunächst wusste er nicht, was los war, doch dann kamen die Erinnerungen mit einem Schlag zurück. Sofort spürte er einen dicken Kloß im Hals und sein Magen verkrampfte sich. Oh, verdammt. Was hatte er in Dämonenform angestellt? „Habe ich jemanden verletzt?“, fragte er sofort, doch zu seiner Erleichterung verneinten sie. „Und Invidia?“   Dieses Mal antworteten sie nicht sofort, sondern wechselten Blicke, bevor Iblis zu sprechen begann. „Bewusstlos. Du hast sie ganz schön zugerichtet, ich musste selbst in Dämonenform dazwischen gehen.“   Also doch so schlimm. Verdammt, das hätte nicht passieren dürfen! Egal wie sehr er Invidia hasste, er hätte seinen eigenen Leuten sonst was antun können! Oder gar Iblis und Agares! Sein Kontrollverlust war unverantwortlich, ein Dämon seines Alters und Standes sollte es besser wissen. Hastig versuchte er sich zu rechtfertigen. „Es tut mir leid, ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Ich war so wütend und sie-“ Er wollte aufstehen, aber der Feuerdämon drückte ihn zurück auf den Boden.   „Schon gut, ich weiß.“, beruhigte er ihn seufzend. „Es spielt jetzt keine Rolle. Niemand wurde verletzt, Invidia wurde gefangen genommen und Agares hat die Siegel fertig gestellt. Sobald Invidia wach ist, schauen wir, ob wir etwas für Azazel tun können.“ Egyn fühlte sich immer noch schuldig, was dem anderen Baal natürlich nicht entging, daher redete er weiter. „Mach dir jetzt keine Gedanken darum. Ich wäre an deiner Stelle genauso ausgerastet. Vielleicht war es sogar ganz gut, dass du sie so aggressiv angegangen bist, sonst wäre sie wahrscheinlich wieder abgehauen. Je mehr Aveira wir erwischen desto besser.“   Zwar war hatte er damit nicht unrecht, aber es ärgerte den Wasserkönig dennoch und machte ihm sogar etwas Angst. Noch nie hatte er so sehr und so schnell die Kontrolle verloren. Dennoch wusste er, dass jetzt nicht die richtige Zeit war, sich deswegen den Kopf zu zerbrechen. Sie hatten immer noch eine Aufgabe und die war momentan wichtiger. Das Ankommen eines Heilers ließ sie alle aufsehen, sie konnten sich bereits denken, weswegen er hier war und sie sollten Recht behalten.   „Lord Iblis? Invidia ist wach.“, berichtete er. „Ihr könnt kommen, wenn ihr wollt.“   „Ja, ich komme.“ Iblis stand auf, doch Egyn hielt ihn auf.   „Ich komme auch mit. Versuche nicht, mir das auszureden. Ich kann mich dieses Mal zusammenreißen!“ Zwar zögerte der andere Dämonenkönig zunächst, aber schlussendlich nickte er. Agares wollte sie ebenfalls begleiten, somit gingen sie zu dritt in die Höhle nebenan. Invidia war gefesselt und wurde von mehreren Dämonen bewacht, die sie nicht aus den Augen ließen. Als sie den Raum betraten, warf sie ihnen einen hasserfüllten Blick zu, welches zu einem spöttischen Grinsen wurde, als sie Egyn entdeckte. „Ach, hast du dich endlich zusammengerissen? So einen Ausraster hätte ich nicht von dir erwartet. Ich bin beeindruckt.“   Trotz ihrer Worte meinte der Baal, Risse in ihrer Fassade zu sehen. Sie mochte die große Klappe haben, aber sie schien damit nur ihre Unsicherheit und Angst verstecken zu wollen. Immerhin wäre diese Situation ohne Iblis‘ Eingreifen höchstwahrscheinlich ganz anders geendet. Der Feuerkönig sah die Sache offenbar ähnlich.   „Spar dir die Show und komm zur Sache. Wir wollen wissen, was du über Liliths Vertrag mit Azazel weißt.“ Sicherlich hatte die Sünde es bereits kommen gesehen und schnaubte zur Antwort. „Inzwischen dürftet ihr doch wissen, was Sache ist. Wenn ihr Lilith tötet, wird das nichts bringen, sie muss den Vertrag und die Seelenverbindung selbst auflösen ansonsten könnt ihr euch von Azazel gleich mit verabschieden.“   „Aber du bist ein Teil von ihr. Das heißt, du kannst das wahrscheinlich auch, nicht wahr?“, warf Egyn scharf ein und sah sie erwartungsvoll an.   Die Aveira antwortete nicht und zuckte lediglich mit den Schultern, doch Iblis ließ sich davon nicht abwimmeln. Mit einem Mal hatte er sie am Hals gepackt und gegen die Wand gepresst. Invidia, die damit nicht gerechnet hatte, versuchte ihn wegzustoßen, aber ihre Fesseln verhinderten jeglichen Widerstand und sie konnte lediglich versuchen nach Luft zu schnappen.   Für einen Moment konnten sie einen Funken Angst in ihren Augen sehen, den sie schnell wieder versteckte. Iblis entging es natürlich nicht und zwang die Dämonin ihn anzusehen. „Ich habe verdammt nochmal die Schnauze voll von diesem Scheiß! Entweder, du kooperierst jetzt mit uns und sagst uns, was wir wissen wollen oder ich verspreche dir, du wirst dir wünschen, ich hätte zugelassen, dass Egyn dich zerfetzt.“ Er ließ sie wie einen Sack Kartoffeln fallen und sie schnappte nach Luft. „Also wie sieht’s aus?“   Erneut zögerte sie, wahrscheinlich wog sie ihre Optionen ab, bevor sie aufsah, der Blick voller Abneigung. „Damit ihr mich danach umbringen könnt? Ich passe!“   Natürlich ließ der Feuerdämon nicht locker und rückte ihr erneut auf die Pelle. Die Dämonin sank etwas zusammen, sagte jedoch nichts. „Entweder du kannst jetzt zustimmen oder dich weigern und Vater kümmert sich um dich. Deine Wahl.“, zischte Egyn. Zwar versuchte die Gestaltwandlerin sich nichts anmerken zu lassen, aber sie wurde sichtlich blasser und ihr Gesichtsausdruck verriet ihre Unsicherheit. Trotz ihrer großen Klappe wollte sie sich momentan lieber nicht mit dem Dämonengott anlegen, insbesondere nachdem sie Rin entführt und ihre Rolle bezüglich Salacias Schicksal zugegeben hatte. Sie hatte noch Glück, wenn der Dämonengott sie nur umbrachte.   „Okay, gut, schön! Ich mach’s! Ich trenne die Verbindung!“, sagte sie plötzlich, offenbar fertig mit den Nerven. All ihre angestaute Frustration schien rauszukommen, denn sie war noch nicht fertig. „Lilith kann mich mal! Egal, was ich tu oder wie sehr ich mich abrackere, sie ist sowieso nicht zufrieden und gibt nie irgendwas zurück! Ich will, dass dieses Miststück endlich bekommt, was sie verdammt nochmal verdient und wenn ich dafür Azazel befreien muss, dann gut!“   Das war…unerwartet. Die Dämonen wechselten verunsicherte Blicke, bevor Egyn zu sprechen begann. „Du hast deine Meinung ziemlich schnell geändert.“   „Weil ich einfach die Schnauze voll habe!“, kam die gefauchte Antwort. „Ihr habt keine Ahnung wie es ist, ihr zu dienen. Nicht nur hat sie Gula ohne zu zögern zum Sterben weggeschickt, sie verliert immer mehr ihren Verstand! Sie ist völlig durchgedreht!“ Das fiel ihr jetzt erst auf? Wirklich?!   „Ich habe nicht vor, die nächste zu sein, inzwischen will ich sie nur noch am Boden sehen und wenn ich dafür ausgerechnet euch dafür helfen muss, dann gut! Ist mir scheiß egal, sie hat es nicht anders verdient!“   Sie wirkte aufrichtig, aber natürlich wussten sie wie hinterhältig und manipulativ sie sein konnte, daher zögerten sie. Es würde sie zwar nicht überraschen, wenn sie inzwischen tatsächlich genug hatte, aber konnten sie das wirklich riskieren? Andererseits gab es keine Garantie, dass sie eine andere Aveira lebend erwischen würden und bei Lilith hätten sie erst recht keine Chance. Eher heiratete Satan sie nochmal als das die Dämonengöttin freiwillig den Vertrag mit Azazel beendete. Sie hatten keine große Wahl. „Gut, ich schicke einen Boten, um den Spiegel herzuholen.“, entschied Iblis. „Brauchst du sonst noch was?“   „Nur den Spiegel, Kreide, Aglaophotis Tinte, Papier und etwas, um mich zu schneiden.“, antwortete Invidia knapp.   „Ich gebe dir nichts Scharfes. Ich mache es selbst.“   „Ja, ja, was auch immer.“   Iblis wandte sich zum Gehen, Egyn griff ihn jedoch an Arm. „Sollen wir es wirklich riskieren? Ich traue ihr nicht.“   „Ich auch nicht, aber haben wir eine Wahl?“   Der Wasserdämon verzog das Gesicht und schaute zu Invidia, diese machte keine Anstalten einen Fluchtversuch zu starten. Tatsächlich schien sie in ihren eigenen Gedanken versunken zu sein, denn sie starrte nur mit einem leeren Gesichtsausdruck vor sich hin. Kopfschüttelnd wandte er sich ab, er wollte sie nicht länger ansehen als nötig, sonst würde er wahrscheinlich wieder die Kontrolle verlieren. „Noch ist es nicht zu spät. Wenn du es jetzt machst, werden sie keine Zeit zum Reagieren haben. Töte sie!“ ‚Ach, halt die Klappe!‘   Nochmal würde er sich nicht dazu hinreißen lassen, sich seinem Dämoneninstinkt hinzugeben. Auch wenn er die Gestaltwandlerin zu gern getötet hätte, er musste sich zusammenreißen, zumindest fürs erste. Sie würde ihre Strafe bekommen, bis dahin konnte er sich gedulden. Ihr unausweichliches Ende würde dann umso zufriedenstellender sein. Agares schien zu wissen, was er dachte, denn sie sagte zwar nichts, doch sie nahm seine Hand, drückte sie sanft und lächelte ihm aufmunternd zu.   Überraschenderweise half dies ziemlich gut, er beruhigte sich beinahe sofort, auch wenn einiges an Frustration blieb. Nur noch etwas mehr Geduld, dann würde sie bekommen, was sie verdiente. „Tut sie das aber wirklich? Nach allem, was sie getan hat, ist sogar der Tod zu gut für sie. Du solltest sie genau das durchmachen lassen, was sie Mutter angetan hat! Wie sagen die Menschen so schön? Auge um Auge, Zahn um Zahn!“   Frustriert schüttelte er den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Für gewöhnlich hatte er seine Dämoneninstinkte sehr gut im Griff, doch wenn sie dann richtig rauskamen, waren sie extrem nachdrücklich und nur schwer wieder unter Kontrolle zu bringen. Hoffentlich würde ihm diese Stimme nicht den gesamten restlichen Kampf über auf die Nerven gehen.   Glücklicherweise kehrte kurz darauf Iblis zurück, in einem Beutel hatte er den Spiegel sowie sämtliche Gegenstände um die die Sünde gebeten hatte. „Das ist besser kein Trick.“, warnte er knapp, während er ihr alles überreichte. „Ich mache jetzt deine Hände los, aber wenn du versuchst, uns anzugreifen oder dich zu verwandeln, bist du tot. Verstanden?“   „Ja, ja, ich weiß!“, fauchte sie gereizt. „Bringen wir’s einfach hinter uns!“   Iblis nickte und schnitt die Fesseln durch. Beinahe erwartete Egyn, dass die Gestaltwandlerin ihr Wort brechen würde, stattdessen griff sie nach der Kreide und begann schnell die nötigen Symbole auf den Boden zu zeichnen. Sie sahen ihr für eine knappe Minute zu, bevor Egyn das Wort ergriff. „Welche Symbole brauchst du? Wir helfen dir.“ Natürlich war dieses Angebot keineswegs nett gemeint, er wollte einfach nur Zeit sparen. Die Aveira zögerte, antwortete schlussendlich jedoch. Iblis, Egyn und Agares griffen daher die restliche Kreide und halfen.   Anschließend schrieb Invidia mit der Aglaophotis Tinte etwas auf das Papier, dann wandte sie sich an Iblis. „Mein Blut muss auf den Spiegel und das Papier.“   Der Feuerdämon nickte, griff seinen Dolch, setzte ihn an ihrer offenen Handfläche an und zog die Klinge durch. Invidia zuckte nicht einmal zusammen und ließ das Blut mit einem teilnahmslosen Gesichtsausdruck auf das Papier und den offenen Spiegel tropfen. Sie legte das Papier in die Mitte des gezeichneten Symbolgeflechtes, darauf kam der Spiegel. „Zünde das Papier an.“   Iblis schien es nicht zu passen, dass sie ihm Anweisungen gab, tat aber wie ihm geheißen wurde. Invidia hatte sich derweil hingekniet, die Augen geschlossen und atmete einige Male durch, bevor sie mit den gemurmelten Beschwörungen begann. Innerlich seufzend lehnte sich Egyn gegen eine der Wände und beobachtete das Geschehen stumm. Jetzt konnten sie nur abwarten und hoffen. Natürlich spitzte er die Ohren und hörte genau zu, was die Todsünde sagte, doch sie schien sich tatsächlich an ihr Wort zu halten.   Agares, Iblis und die Wachen beobachteten Invidia ebenfalls ganz genau, nur darauf wartend, dass sie etwas versuchte. Sie wussten nicht, wie viel Zeit am Ende vergangen war. Für Egyn fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Das Papier war inzwischen verbrannt und doch brannte die Asche noch immer, ein klares Zeichen dafür, dass das Ritual bisher erfolgreich verlief. Das war zwar noch kein Grund zum Aufatmen, doch eins nach dem anderen.   Endlich war Invidia am Schluss angekommen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, nahm sie den Spiegel und schmetterte ihn zu Boden. Das Glas zerbrach augenblicklich, gefolgt von einem lauten, kreischenden Geräusch aus dem Spiegel und die Papierreste verbrannten endgültig in einer Stichflamme. Die Gestaltwandlerin hielt inne und wartete ab, ob noch etwas geschah, dann nickte sie grimmig. „Es ist erledigt. Der Vertrag ist beendet und das Seelenteil befreit.“, verkündigte sie knapp. „So einfach?“, hakte Egyn nach, der dem Frieden nicht wirklich traute.   „So einfach. Sie hat das Ritual, das sich Satan ausgedacht hat, nur leicht abgewandelt, aber da sie nicht riskieren wollte, das etwas schief geht, hat sie den Prozess einfach gehalten. Ist aber keine Garantie, dass sich Azazel jemals davon erholen wird.“, bestätigte sie.   Das machte durchaus Sinn. Iblis griff nach den Fesseln und begann diese erneut um ihre Hände zu wickeln. „Jetzt ist es so oder so vorbei, kein Zurück mehr.“, knurrte er und wandte sich an die Wachen nachdem er sie gefesselt hatte. „Schafft sie weg. Wir kümmern uns um sie, wenn der Kampf vorbei ist.“   Die Dämonen nickten und zogen Invidia auf die Füße. Diese wehrte sich nicht, wandte sich den Dämonenkönigen jedoch ein letztes Mal zu. „Lilith wird nicht einfach aufgeben. Sie hat plant etwas, ich weiß nur nicht was.“ Ihr Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, doch es wirkte gequält. „Selbst wenn ihr Plan fehl schlägt, sie zu versiegeln wird euch auf Dauer nichts bringen.“   „Das ist nur eine Übergangslösung.“, antwortete Iblis knapp. „Sobald alles vorbei ist, lassen wir sie raus und erledigen sie endgültig.“   „Wenn ihr meint. Hauptsache, ihr lasst leiden.“   Egyn biss die Zähne zusammen, um keinen Kommentar abzugeben. Sie war fürs erste kein Problem mehr, Lilith war jetzt wichtiger. „Wir sollten uns auf dem Weg zur Haupthöhle machen und Vater wissen lassen, dass wir uns um das Seelenteil gekümmert haben. Hoffen wir nur, dass es wirklich funktioniert hat.“   Iblis nickte und verwischte noch die Spuren der Zeichnungen, die Invidia angefertigt hatte, um ganz sicher zu gehen, dass es nicht in den Konflikt mit dem Versieglungsritual kam. „Dann mal los. Ich habe schon Leute abgestellt, die die Siegel bewachen werden.“ Damit verließen sie die Höhle, um zu ihrem Vater aufzuschließen.     ………………………………………………………………….     Azazel war am Schlafen gewesen, als die Schmerzen kann. Zunächst begann es schleichend, es war genug, um ihn aus dem Schlaf zu reißen und blieb zunächst bei leichten Kopfschmerzen. Mit einem genervten Stöhnen drehte er sich auf die andere Seite, um weiterzuschlafen, stattdessen wurde der Schmerz allmählich schlimmer. ‚Verdammt nochmal, warum schon wieder?!‘ Er setzte sich auf, den Kopf in den Händen vergraben. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, seine Tante und seine Onkel zu rufen, entschied sich dann jedoch dagegen. Selbst wenn es ihm nicht gut ging, es war nicht so schlimm wie am Anfang, er konnte das aushalten und er wollte sie momentan wirklich nicht sehen. Zumindest dachte er das, dann wurde es ohne Vorwarnung schlimmer. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich explodieren, gleichzeitig hatte er Schwierigkeiten Luft zu holen. Schnell wurde seine Genervtheit zu Panik, hier stimmte etwas ganz und gar nicht!   „V-Viduus…S-Seker…K-K-Keres-“, krächzte er hervor, leider war es natürlich zu leise, als dass sie es hören konnten. Dafür stand nur kurz darauf seine Mutter neben ihm, sichtlich panisch. „Azazel?! Was ist los?!“ Sie streckte die Hand nach ihm raus, erinnerte sich dann allerdings, dass sie nur ein Geist war und folglich nichts tun konnte. „VIDUUS, SEKER, KERES, KOMMT SOFORT HER!“ Er hörte wie die Tür aufging und einige panische Stimmen, jedoch verstand er kaum, was sie sagten. Jemand berührte ihn am Arm, er wollte denjenigen wegschieben, jedoch erfolglos. Eine Stimme fuhr die anderen an, dass sie einen Heiler holen sollten, woraufhin sich ein paar Schritte hastig entfernten. „Ganz ruhig, es wird alles gut, tief durchatmen…“, hörte er jemanden sagen, aber das war das letzte, was er mitbekam, bevor er endlich das Bewusstsein verlor.     …………………………………………………………………….     Yukio und die Adepten waren gerade noch dabei gewesen, sich auszuruhen, als Shura an sie herantrat. Der letzte Kampf hatte sie mehr Kraft gekostet als erwartet, entsprechend dringend war die Pause gewesen. Die Dämonen hatten Recht gehabt, je mehr Zeit sie in Gehenna verbrachten, desto mehr schwächte es sie. Immer wieder musste er andere Exorzisten und Mitglieder von Hexenzirkeln verarzten, manche von ihnen konnten bereits nicht mehr weiterkämpfen.   „Alles in Ordnung bei euch?“, erkundigte sich Shura und erhielt von allen ein stummes Nicken. „Gut. Es geht gleich weiter, wir sollen uns auf den Weg zur Haupthöhle machen. Die Aveira lassen sich kaum blicken und niemand weiß, wo Lilith ist. Das sollte also interessant werden.“   „Wie sollen wir aber Lilith in die Haupthöhle locken, wenn wir nicht mal wissen, was sie ist?“, fragte Izumo. „Sie könnte sonst wo oder sogar längst weg sein!“   „Satan meinte, er kann sie immer noch hier spüren, wahrscheinlich hat sie sich in den tieferen Höhlen verschanzt.“   Keiner war sonderlich begeistert davon, immerhin gab es so viel das schief gehen konnte. Wahrscheinlich hatte die Dämonengöttin ihren Plan sogar schon erkannt, dann würde es richtig interessant werden. „Gibt es zumindest irgendwelche guten Nachrichten?“, seufzte Yukio und zu ihrer Überraschung nickte Shura.   „Iblis konnte Egyn am Ende beruhigen und es ist ihnen gelungen, Invidia gefangen zu nehmen. Bleiben also nur noch fünf Todsünden übrig.“   „Nur ist gut.“, murmelte Bon. „Was wenn sie irgendwo lauern, um uns aus dem Hinterhalt zu  überfallen?“   „Wenn dann werden sie eher Satan oder einen Baal überfallen.“, hielt Shura dagegen. „Wenn einer von ihnen ausscheidet, ist das ganze Ritual gelaufen. Rin sollte mit Satan recht sicher sein, beim Rest wird es dann schon kritisch.“ Sie seufzte kurz und schüttelte den Kopf. „Spielt jetzt eigentlich keine Rolle. Packt eure Sachen zusammen und los geht’s.“   Niemand protestierte, nur Shiemi schaute etwas unglücklich drein und Yukio wusste sofort warum. Sie hatte kaum noch Heilpflanzen und Nee eigentlich schon überbeansprucht. Früher oder später würde sie gar nichts mehr haben und Nee nicht mehr beschwören können. „Shiemi, du kannst etwas von mir haben.“, bot er daher an. „Du brauchst die Pflanzen dringender als ich.“ Es war keine Lüge, auch wenn er bereits einige Leute verarzten musste, war sein Verbrauch im Vergleich zu Shiemi recht gering. Die junge Adeptin zögerte zunächst, stimmte dann allerdings verhalten zu.   „Danke, Yuki.“, sagte sie, während sie die Pflanzen in ihren Taschen verstaute.   Er nickte lediglich und überprüfte zum letzten Mal seine Pistolen, bevor er Shura folgte. „Weißt du wie lange wir zur Haupthöhle brauchen werden?“   „Keine Ahnung, niemand hat was gesagt. Aber hoffentlich nicht allzu lange, uns läuft immer mehr die Zeit davon.“   Der jüngere Exorzist wusste nicht, was er dazu sagen sollte, daher er schwieg er. Hin und wieder hörten sie Kampfeslärm, doch sie ignorierten es und liefen weiter. Es war offensichtlich, dass sich die anderen ebenfalls unwohl fühlten. Eine seltsame Spannung lag in der Luft. Immer wieder sahen sie sich nervös um und horchten. Sie alle erwarteten jeden Moment angegriffen zu werden, aber abgesehen von einigen kleineren Gruppen, stellte sich ihnen niemand in den Weg. Ob das nun ein Fluch oder ein Segen war, würde sich wohl noch zeigen.   Kurz darauf trafen sie auf Mephistos Gruppe. Shura verschwendete keine Zeit und begann direkt den Zeitkönig mit Fragen zu löchern, doch dieser unterbrach sie. „Ich nehme an, ihr seid ebenfalls auf dem Weg zur Haupthöhle?“   „Japp. Solltet ihr nicht längst dort sein?“ Eine durchaus berechtigte Frage, immerhin war der Clown einer relativ nahen Höhle zugeordnet worden. Fast schon rechnete er mit irgendeiner dramatischen Reaktion, stattdessen seufzte der Baal nur kopfschüttelnd.   „Eigentlich schon, wir wurden allerdings von zwei Angriffen überrascht. Beim letzten waren Ira und Luxuria dabei, sie sind allerdings recht schnell wieder verschwunden nachdem sie mich gesehen haben. Ich nehme an, sie versuchen sich einen von uns rauszupicken und im Kalten zu erwischen, damit das Ritual nicht vollzogen werden kann.“ Also hatte Shura mit ihrer Vermutung recht gehabt. Sie hoffte wirklich, dass die anderen Baal aufpassten, sonst hatten sie ein großes Problem. „Weißt du schon, was mit Egyn passiert ist?“   Der Baal versteifte und runzelte die Stirn, dennoch versuchte er seine offensichtliche Sorge für Egyn zu verstecken. „Nein, der Bote muss mir entgangen sein. Was ist passiert?“   „Er hat bei einem Kampf mit Invidia durchgedreht. Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber er hat die Kontrolle verloren und sogar Izumo attackiert, Iblis ist gerade noch rechtzeitig aufgetaucht und hat sie gerettet. Es hat eine Weile gedauert, aber er konnte ihn am Ende ruhigstellen und sie habe Invidia gefangen genommen. Soweit ich weiß wollte er sie dazu bringen, Azazels Vertrag mit Lilith aufzulösen, ich weiß allerdings nicht, ob das funktioniert hat.“   Äußerlich zeigte der Baal keine Regung, doch Yukio konnte sich vorstellen, dass ihn diese Nachricht überraschte und zugleich. „Aber beiden geht es gut?“   „Soweit ich weiß ja.“   Dieses Mal sah er Erleichterung, auch wenn der Dämon es schnell versteckte. „Gut. Hoffen wir, dass Invidia tatsächlich den Vertrag beenden kann. Wir sollten jetzt keine Zeit verlieren und uns auf dem Weg machen.“ Er wechselte einige Worte mit mehreren Dämonen, natürlich verstand Yukio nicht was er sagte, doch nahm an, dass es Befehle waren, da sie sich daraufhin wieder in Bewegung setzten.   Ihm entging nicht, dass sie ebenfalls angespannt wirkten, viele hatten sogar die Waffen gezogen und sahen sich immer wieder in der Dunkelheit um. Dabei achteten sie jedoch kaum auf den Boden und bevor Yukio wusste was los war, stolperte er plötzlich. Gerade so schaffte er es noch, sich aufzufangen und er war nicht der einzige, den es so entging. Schnell begriff er, warum er gefallen war. Überall lagen Leute, sowohl Menschen als auch Dämonen. Sie schienen nicht tot zu sein, er konnte sehen, dass sie atmeten. Die Szene wirkte erschreckend vertraut, hatten sie ein ähnliches Bild während des Kampfes um den Vatikan vor sich gehabt?   „Acedia.“, hörte er Mephisto seine Vermutung bestätigen. „Wir können fürs erste nichts für sie tun, geht einfach weiter.“ Zunächst wollte Yukio protestieren, doch der ernste Gesichtsausdruck des Baal änderte seine Meinung und er ging widerwillig weiter, bis sie eine große Höhle erreichten. In der Mitte kniete eine einzelne Person, die offenbar ihr Ankommen bemerkt hatte und sich langsam aufrichtete. In ihren langen, blauen Haaren und ihrem Gesicht klebte Blut, allerdings schien es nicht ihr eigenes zu sein. Falls sie von ihrem plötzlichen Auftreten überrascht war, ließ sie sich nichts anmerken. Sie sagte etwas in Gehennisch, es war offenbar nur ein Wort oder ein sehr kurzer Satz, der bereits genug war, dass die Dämonen in Angriffsposition gingen. Derweil realisierte Yukio endlich wen sie vor sich haben musste. ‚Sie muss Acedia sein.‘   Mephisto wechselte einige Worte mit ihr, er klang ruhig, sie schüttelte lediglich den Kopf. Weigerte sie sich, sich zu ergeben oder eine Frage zu beantworten? Höchstwahrscheinlich war dem so, allerdings hatten sie andere Sorgen, denn mehrere von Lilith Truppen betraten nun die Höhle. Ob das nun geplant war oder nicht, ein Kampf ließ nicht lange auf sich warten. Acedia schien dagegen kein Interesse an einer direkten Konfrontation zu haben, sie wandte sich um und rannte. ‚Verdammt!‘   Satan und die Dämonenkönige hatten mehr als einmal erwähnt wie wichtig und gefährlich die Aveira waren, sie gefangen zu nehmen, würde ihnen einen Vorteil bringen. ‚Ich muss verrückt sein…‘ Scheinbar färbte Rin auf ihn ab, denn er plante etwas dummes zu tun.   „Shura! Sie rennt weg!“, rief er der älteren Exorzistin zu, welche für einige Sekunden verwirrt schien, dann aber seinem Blick folgte und begriff, was er meinte. Sofort nahmen beide die Verfolgung auf, was den Adepten nicht entging. Izumos Füchse blockierten der Aveira den Fluchtweg, diese versuchte daraufhin eine andere Route zu nehmen, doch dieses Mal stellte sich ihr Shura in den Weg und griff an. Erneut rief die Dämonin etwas, wahrscheinlich war es ein Ausruf der Frustration, aber sie versuchte dennoch weiterhin dem Kampf aus dem Weg zu gehen. Sie war keine gute Kämpferin, die Dämonenkönige hatten dies einmal erwähnt, erinnerte sich Yukio.   Natürlich würde er sie nicht so einfach entkommen lassen und gab einige Schüsse ab, einer traf sie im Arm. Sie wich zurück während sie sich panisch umsah. ‚Ich habe mich richtig erinnert. Sie ist keine Kämpferin, darum ist sie mit der Situation überfordert.‘ Dummerweise hatten nun einige von Liliths Dämonen begriffen, dass die Todsünde in Bedrängnis geraten war und versuchen ihr zur Hilfe kommen. Shura zögerte allerdings nicht lange und rief „Hey!“ in die Richtung einiger Dämonen, die zu ihnen gehörten, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Diese erkannten ebenfalls, was los war und stürzten sich auf Liliths Anhänger, um sie von Acedia fernzuhalten, welche das erneute Chaos genutzt hatte, um weiter vom Kampfgeschehen wegzukommen.   Shura war ihr bereits auf den Fersen und nur mit Mühe konnte die Aveira ausweichen. Für einen Moment war Yukio zuversichtlich, dann tauchte jedoch die Person auf, mit der keiner gerechnet hatte. Mit einem Mal loderten überall Flammen auf, die sich schnell durch die Höhlen zogen und sie somit zwangen, sich in kleinere Gruppen zu teilen. Die Flammen waren nicht blau, Satan fiel somit raus, Iblis konnte es aber ebenfalls nicht sein, er war in eine ganz andere Richtung gegangen und die Flammen waren so groß und intensiv als dass sie von irgendeinem zufälligen Feuerdämonen stammen konnten.   Das Feuer versperrte ihm die Sicht auf andere Gruppen, bei ihm waren nur noch Shura und die Adepten. Acedia hatte dummerweise nicht lange gefackelt und war abgehauen, aber das wurde schnell zweitranging, als stattdessen eine andere Dämonin mit langen, roten Haaren und goldenen Augen vor ihm stand. Er hatte sie bisher nur einmal getroffen und zu diesem Zeitpunkt war sie nicht in ihrem eigenen Körper gewesen, dennoch erkannte er sie sofort. „Lilith.“, knurrte er.   Die Dämonin grinste zur Antwort und verschränkte die Arme, ihre Lippen zu einem spöttischen Grinsen verzogen. Die Beschreibungen stimmten, sie war wirklich extrem schön, aber schon allein ihre Haltung und ihr Gesichtsausdruck lösten eine unbeschreibliche Abneigung in ihm aus. Sie sah auf ihn herab, daran bestand kein Zweifel. „Du weißt also wer ich bin, sehr gut. Dann muss ich mich nicht vorstellen. Du musst Satans jüngster Bastard sein. Was für eine Schande, einen Menschen als Nachkommen zu haben, aber das macht es wohl zumindest einfacher dich los zu werden.“   Yukio antwortete nicht und schoss, verfehlte jedoch. Shura und die Adepten hatten ebenfalls Eins und Eins zusammengezählt und griffen an. Zu ihrem Entsetzen wischte sie die Dämonengöttin beiseite als wären sie nichts weiter als ein paar Fliegen, gefolgt von einer Handbewegung, welche eine weitere Feuerwand bildete, um sie zu trennen. Yukio war somit vollkommen auf sich gestellt. Sichtlich zufrieden mit sich, wandte sie sich wieder an ihn. „Warum bist du überhaupt hier? Ich dachte, du hasst Dämonen, vor allem deinen Bruder. Besitzt du gar kein Schamgefühl?“   „Ich hasse Rin nicht!“, fauchte Yukio und schoss erneut, wieder ging es daneben. Sie war verdammt schnell, das musste er ihr zugestehen. Natürlich waren andere Dämonen das ebenfalls, nur hatte er es hier mit einer Dämonin zu tun, die fast so gefährlich wie Satan war, wenn nicht sogar gefährlicher.   „Ach, wirklich? Da habe ich aber ganz andere Sachen gesehen, während ich seinen Körper übernommen hatte. Wusstest du, dass wir teilweise die Erinnerungen unserer Wirte sehen können?“ Bevor der Exorzist antworten konnte, stand sie plötzlich hinter ihm, die Arme nach wie vor verschränkt, obwohl er immer noch die Waffen gezogen hatte. Offenbar nahm sie ihn absolut nicht ernst und zeigte es offen. „Eure Kindheit war nicht einfach, allerdings aus verschiedenen Gründen und du hast eindeutig den Kürzeren gezogen. Immer war dein Bruder im Mittelpunkt, der Paladin hat sich viel mehr um ihn gekümmert als um dich und dann hat er dich ohne ein Wort allein gelassen. Er hat immer nur in Rins Interesse gehandelt, nie in deinem und dann hat er es dir nicht einmal gedankt.“   „Halt den Mund!“   Wieder daneben, sie stand nun vor ihm und grinste ihn weiterhin an, bevor sie plötzlich mit den Fingern schnippte und ihn ein brennender Schmerz durchfuhr. Es hielt nicht lange an, doch war plötzlich genug, dass er seine Waffen fallen ließ und zu Boden sank. Die Dämonengöttin trat die Pistolen achtlos beiseite und lachte. „Die Wahrheit tut weh, oder nicht? Du hast deine ganze Kindheit geopfert, während dein Bruder ahnungslos aufgewachsen ist und was war der Dank? Er hat euch immer nur Ärger gemacht und schlussendlich dem Paladin das Leben gekostet. Trotzdem hat er sich nicht verändert, oder? Er hat die Exorzistenausbildung nie ernst genommen, er hat sich nur beschwert und deine Anstrengungen nicht mal ansatzweise zur Kenntnis genommen. Er ist nichts weiter als eine undankbare, kleine Göre.“   Ihre Worte trafen ihn härter als er zugeben wollte. Er versuchte sie zu ignorieren und sah sich stattdessen nach seinen Waffen um, was Lilith natürlich nicht entging. „Augen auf mich, Sterblicher.“, zischte sie, bückte sich und griff ihm in die Haare. Er versuchte ihre Hand wegzuziehen und unterdrückte einen Schmerzensschrei als sie seinen Kopf hochriss und ihn zwang sie anzusehen. „Du weißt, dass ich recht habe. Du hast alles für ihn und den Paladin gegeben doch keiner von beiden hat sich jemals wirklich erkenntlich gezeigt. Der Paladin hat dich ignoriert und als ein Mittel zum Zweck gesehen, während sich Rin schlussendlich gegen dich und die Menschen gewandt hat. Er hat dich und alle anderen verraten und trotzdem bist du willens, ihm zu helfen? Klingt als hätte der Paladin alles richtig gemacht. Du bist ein guter, kleiner Schoßhund der Exorzisten geworden, der Befehlen bedingungslos folgt anstatt selbst nachzudenken.“   Die Pistolen waren zu weit weg und sie war zu schnell. Er wäre tot bevor er auch nur die Hälfte des Weges hinter sich hatte. ‚Rede einfach mit ihr, schinde die Zeit.‘   „Hör schon auf damit. Ich weiß, dass du mich nur manipulieren willst. Das wird nicht passieren!“ Mephisto sollte früher oder später Liliths Anwesenheit bemerken, wenn er es nicht sogar schon wusste. Er musste nur irgendwie durchhalten!   Dummerweise schien die Dämonin ihn zu durchschauen. Von einer Sekunde zur nächsten knallte er gegen die Felswand und die Luft blieb ihm weg. Liliths Gesicht war seinem plötzlich ziemlich nah, ihre Augen glühten rot und eine Hand drückte ihm den Hals zu, doch ihr Lächeln bestand weiterhin. Gerade so bekam er noch genug Luft, um nicht das Bewusstsein zu verlieren und ihr weiterhin zuhören zu können.   „Süß von dir, dass du glaubst, du würdest mit deinem dummen Plan Erfolg haben. Aber kommen wir zurück zur Sache. Ich weiß du bist der schlauere Zwilling, also werde ich direkt sein. Dein Bruder wird der Anfang vom Ende sein. Du bist ihm egal. Eure kleinen Priester und der Paladin sind ihm egal. Eure Menschenfreunde und Assiah sind ihm egal. Er hat seinen Platz in Gehenna gefunden, er genießt seine Rolle als Prinz und er sieht keinen Grund nach Assiah zurückzukehren. Das ändert aber nichts an den Taten der Exorzisten. Wir Dämonen hassen sie und auch wenn Satan und seine Gören momentan auf nett tun, wird sich das ändern sobald dieser Kampf hier vorbei ist. Du hast die Größe ihrer Armeen gesehen und weißt, was sie können. Sie werden Assiah überrennen und dein kostbarer Zwilling wird keinen Finger krumm machen, um sie aufzuhalten. Ihr schaufelt hier nur euer eigenes Grab.“   Yukio wollte protestieren, sie log! Rin würde das niemals zulassen! Zu seiner Schande musste er sich allerdings eingestehen, dass ihre Worte nicht ganz wirkungslos waren. Natürlich hatte er immer wieder darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn sie Lilith endlich besiegt hatten. Beide Seiten würden Zeit zur Erholung brauchen, aber war das wirklich eine Absicherung gegen eine Dämoneninvasion? Schlussendlich gab es so viel mehr Dämonen als Exorzisten und Lilith hatte selbst demonstriert wie schnell diese Eroberungen passieren konnten. Wenn es wirklich so weit kommen sollte, auf welche Seite würde sich Rin stellen?   Man konnte es nicht schön reden, die Exorzisten fürchteten und hassten ihn, zumindest die meisten. Er hatte selten Güte von ihnen erfahren und schlussendlich hatten sie sogar seinen Tod verlangt. Von den Dämonen war er dagegen mit offenen Armen empfangen worden und er sah Satan und die Dämonenkönige als Familie. Man konnte es nicht leugnen, aber nach allem, was er bisher gesehen hatte, schienen die Baal bessere Brüder für Rin gewesen zu sein als er. Vielleicht würde sich der Halbdämon einfach raushalten und die Dämonen zumindest bitten ihn und ihre Freunde nicht zu verletzen, aber das machte sie dennoch zu Feinden. Verdammt nochmal!   Lilith schien seinen inneren Zwiespalt zu bemerken und lachte. Es war offensichtlich, dass sie seine Unsicherheit genoss und genau darauf abgezielt hatte. „Die Wahrheit tut weh, nicht wahr? Du könntest das allerdings noch verhindern. Rin ist nicht mehr zu retten. Der Paladin ist bereits seinetwegen gestorben, was glaubst du, wer als nächstes dran ist? Einer dieser Priester aus eurem Stift? Diese rothaarige Frau mit den Schlagen? Oder doch das süße blonde Mädchen?~“   Insbesondere die Erwähnung von Shiemi ließ Wut in ihm aufsteigen. Wie konnte sie es wagen?! Trotzdem zwang er sich, sich zu beruhigen und sie nicht anzufahren. Sein erster Gedanke war, einfach mitzuspielen und so zu tun, als würde er darauf eingehen, doch er war sich beim besten Willen nicht sicher, ob er sie täuschen konnte. Am Ende würde er sie nur noch wütender machen. „Rin würde das niemals tun!“, fauchte er daher. „Du kennst ihn nicht-“   „Oh, Schätzchen, ich kenne ihn wahrscheinlich sogar noch besser Satan. Er ist ein Tier im Käfig, das wartet auszubrechen. Denk dran, er ist immer noch versiegelt und es würde mich nicht wundern, wenn sich aus seinem Dämonenherzen eine separate Identität gebildet hätte. Sobald diese herausgelassen wird und zu Rin zurückkehrt, wird er nicht mehr die Person sein, die du kanntest. Höchstwahrscheinlich würde er dich und deine nervige Bande ohne zu zögern angreifen. Also wie-“   „Ehrfürchtig spreche ich zu dir Gottheit Inari, es gibt kein Begehr, das sich so nicht verwirklichen ließe!“   Lilith hatte gerade noch genug Zeit, um ihn fallen zu lassen und eine weitere Barriere aus Flammen zu errichten, damit die Füchse sie nicht erreichen konnten. Wutentbrannt wandte sie sich an Izumo, welche bereits ihren nächsten Angriff vorbereitete. Sie war allerdings nicht allein, das Kyoto Trio war ebenfalls bei ihr, welche sie offenbar nicht ganz sicher waren, was sie rezitieren sollten. Yukio schnappte derweil nach Luft und hustete. Endlich hatte sie los gelassen!   „Ihr verdammten, kleinen Gören!“, zischte Lilith erbost. „Wisst ihr überhaupt mit wem ihr es zu tun habt?!“   „Eine Dämonin, die für immer Single sein wird, weil sie über nicht über ihren Ex hinwegkommt?“, fragte Shima.   Für einen Moment meinte Yukio sich verhört zu haben. Sicherlich war Renzo nicht so dumm jemanden wie Lilith zu reizen. Schnell wurde jedoch klar, dass er tatsächlich richtig gehört hatte. Trotz der wütenden Flammen senkten sich sofort die Temperaturen und die Luft wurde eisig, bevor es plötzlich ins Gegenteil umschlug und die Hitze ihnen den Schweiß auf die Stirn trieb.   „Du wagest es?!“, kreischte sie, die Augen rot. Shima schien seine Aussage bereits zu bereuen, doch das Feuer, dass Lilith ihnen entgegenschickte, prahlte an einem goldenen Symbol ab. Ryuji hatte eine Barriere beschworen, nur kurz darauf landete ein zweiter Angriff, dieses Mal in der Form von Erde, was ihn beinahe zurückstolpern ließ. Die Dämonengöttin setzte zum nächsten Angriff an und genau darauf hatten die Adepten nur gewartet.   „Moriyama, JETZT!“, rief Bon, Lilith wirkte für eine Sekunde verwirrt, aber es war zu spät, um zu reagieren. Ranken schossen aus dem Boden und wickelten sich um die Dämonin. Mit einem wütenden Aufschrei ließ sie Flammen hervorbrechen, die mehrere der Ranken verbrannten, sie wuchsen allerdings schneller nach als sie sie verbrennen konnte. Endlich wurde ihm bewusst, dass dies alles Teil eines Plans war.   Shura hatte derweil nur auf den richtigen Moment gewartet und hielt mit gezogenem Schwert auf Lilith zu. Die Dämonin erkannte schnell die Situation in der sie sich befand und erholte sich schnell von dem Schock. Innerhalb von Sekunden hatte sie sich endlich aus den Ranken befreit und sprang aus dem Weg, sodass Shura verfehlte. Das Kyoto Trio rezitierte derweil, leider wurde schnell klar, dass sie nichts tun konnten, tatsächlich schenkte Lilith ihnen keinerlei Beachtung. Hatte sie überhaupt einen Todesvers?!   Yukio schnappte sich seine Pistolen, zielte und drückte ab, aber dieses Mal erwartete sie es bereits und wich aus. „Was für ein erbärmlicher Versuch!“, knurrte sie.   Izumo ließ sich davon nicht beeindrucken und hetzte erneut Uke und Mike auf die Dämonin, welche sich allerdings schnell durch weitere Barriere schützte.    „Lass mich raten, du bist eine Nachfahrin dieses Miststücks Inari. Ich hatte gehofft, dass eure Brut längst ausgestorben wäre!“   Izumo antwortete nicht, Shura versuchte erneut ihr Glück, Lilith wich mühelos aus und zwang die Exorzistin zurück. Einer ihrer Angriffe mit Erde saß schlussendlich und schleuderte Shura gegen die Wand. Mit einem selbstzufriedenem, doch immer noch wütendem Gesichtsausdruck ging die Dämonenherrscherin auf die am Boden liegende Exorzistin zu. „Wertloser Abschaum…“, fauchte sie und wollte Shura mit Feuer endgültig erledigen, aber hielt inne, als Samaels spöttische Stimme ertönte. „Problemchen mit den Sterblichen, Lilith~?“   Mit einem hasserfüllten Fauchen wandte sich Lilith an den Dämonenkönig und ihr Gesicht verzog sich, als sie erkannte, wer noch bei ihm war.    „DU!“   Indra lächelte lediglich selbstgefällig. „Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Lil. Du hast dich kaum verändert. Wirklich eine traurige Existenz.“   Lilith bleckte die Zähne, die Hände zu Fäusten geballt. „Sagt die enterbte Hure. Dir ist nichts mehr geblieben! GAR NICHTS!“   Die Zeitdämonin zeigte sich von ihrem Geschrei wenig beeindruckt und zuckte lediglich mit den Schultern. „Getroffene Hunde bellen, nicht wahr?“   Samael lachte gehässig auf, ließ sich allerdings überraschenderweise nicht auf weitere Sticheleien ein. „Es ist vorbei Lilith, du hast verloren. Gib auf.“   Wie erwartet lehnte die Dämonin sofort ab. „Das hättest du wohl gern. Wir sind noch lange nicht am Ende.“ Sie schnippte mit den Fingern und die Flammenwände versperrten erneut die Sicht, gefolgt von einem hellen, roten Licht, einem lauten Knall und einer gewaltigen Hitze. Kurz darauf war es vorbei und Yukio konnte gerade noch eine Gestalt mit roten Haaren und Flügeln davonfliegen sehen. Offenbar hatte sie wie schon die Aveira kein Interesse an einem längeren Kampf.   „Alles in Ordnung bei dir?“, hörte er Shura fragen. Sie sah ihn sichtlich besorgt an, weswegen er schnell antwortete. „Ja, alles gut.“ Die Wahrheit war, dass ihm Liliths Worte ihm noch immer im Kopf widerhallten. ‚Wir Dämonen hassen sie und auch wenn Satan und seine Gören momentan auf nett tun, wird sich das ändern sobald dieser Kampf hier vorbei ist. Du hast die Größe ihrer Armeen gesehen und weißt, was sie können. Sie werden Assiah überrennen und dein kostbarer Zwilling wird keinen Finger krumm machen, um sie aufzuhalten. Ihr schaufelt hier nur euer eigenes Grab.‘   Verdammt. Das hatte ihn doch härter getroffen als erwartet. Konnte man ihm da allerdings Vorwürfe machen? Er war immer noch Exorzist, das Misstrauen gegenüber Dämonen war ihm seit Jahren eingebläut worden, natürlich konnte er das nicht einfach vergessen. Abgesehen davon hatte Lilith nicht ganz unrecht. Rin war immer noch versiegelt und niemand wusste, was passieren würde, wenn das Siegel endgültig brach. Bisher hatte er versucht nicht darüber nachzudenken, doch jetzt konnte er kaum an etwas anderes denken. Kein Wunder, dass sogar jemand willensstarkes wie Rin da eingeknickt war. Dummerweise wirkte Shura nicht überzeugt und wollte ihn ganz offenbar darauf ansprechen, jedoch kam Samael ihr zuvor.   „Yukio, auf ein Wort.“ Seine Stimme klang ruhig, aber ließ keinen Widerspruch zu. Yukio nickte stumm und sie traten einige Schritte beiseite, die besorgten Blicke von Shura und den Adepten ignorierend.  Der Baal kam direkt zur Seite. „Lass mich raten, sie hat versucht dir einzureden, dass du Rin nicht mehr trauen kannst und wir Assiah angreifen werden, sobald unsere Zusammenarbeit vorbei ist,“   Der Gesichtsausdruck des jungen Exorzisten schien Antwort genug zu sein, denn der Dämon verdrehte die Augen. „Natürlich hat sie das. Und du bekommst ihre Worte nicht mehr aus dem Kopf.“   Erneutes Schweigen, gefolgt von Nicken. Lügen würde nichts bringen, das wusste er. Glücklicherweise wirkte der Baal weder wütend noch enttäuscht. „Dir darüber den Kopf zu zerbrechen, wird weder dir noch Rin helfen, im Gegenteil. Konzentriere dich auf das, was jetzt wichtig ist, um den Rest kannst du dich kümmern, wenn es vorbei ist. Verstanden?“ „Aber-“   „Kein aber.“, kam die strenge Antwort. „Du hattest Rin versprochen, dich nicht von Vorurteilen leiten zu lassen, also halte dein Wort. Wir werden keinen zweiten Versuch bekommen.“     Sagte ausgerechnet der Dämon, der dafür berüchtigt war, Leute über den Tisch zu ziehen und sogar seine eigene Familie in seine Wetten mit reinzog. Dummerweise änderte das nichts daran, dass er recht hatte, auch wenn es leichter gesagt war als getan. Er konnte sich diese Zweifel allerdings nicht leisten und er wollte seine Beziehung mit Rin nicht endgültig wegen den Einflüsterungen einer größenwahnsinnigen Dämonin ruinieren. „Ja, ich weiß. Es wird nicht wieder vorkommen.“, antwortete er steif.   Die verengten Augen des Zeitdämonen machten deutlich, dass er seine Zweifel hatte. Natürlich wusste er ganz genau, was Yukio dachte, glücklicherweise gab er sich damit zufrieden. „Gut. Jetzt konzentrier dich. Ich will Rin und Vater nicht erklären müssen, dass du wegen Unaufmerksamkeit ums Leben gekommen bist.“   Yukio verkniff sich die Frage, ob es Satan wirklich allzu sehr kümmern würde, immerhin hatte er den Dämonenherrscher bei jeder Gelegenheit zurückweisen. Andererseits schien Satan nie wirklich wütend deswegen zu werden, er wirkte vielmehr enttäuscht. Nein. Er würde darüber jetzt nicht nachdenken. Die Situation war momentan zu kompliziert und sein unbestreitbarer Groll gegen den Dämon wegen Shiros Tod machte es nicht wirklich einfacher. Sobald das hier alles vorüber war, konnte er seine Gedanken in Ruhe ordnen, nochmal mit Rin reden und irgendwann vielleicht mit Satan. Fürs erste war allerdings das hier und jetzt wichtig. „Ich habe nicht vor zu sterben.“, versicherte er knapp. „Also machen wir weiter.“   Scheinbar endlich zufrieden, nickte der Baal und ging wortlos davon. Shura sah ihn immer noch an, ihrem Gesichtsausdruck konnte er entnehmen, dass sie zumindest Teile des Gespräches mitgehört hatte, aber er schüttelte nur kurz den Kopf. „Später.“   Sichtlich widerwillig nickte sie und gemeinsam gingen sie weiter. Die Adepten waren bereits voraus gegangen, doch auch sie warfen ihm hin und wieder Blicke zu. Er holte sie schnell ein, ignorierte allerdings ihre fragenden Blicke. Schlussendlich unterbrach Izumo die Stille. „Lilith ist nicht wie ich sie mir vorgestellt habe. Nach allem, was die Dämonen uns über sie erzählt haben, dachte ich sie wäre…monströser? Wenn das Sinn macht.“ Er war offensichtlich, dass sie nur die Anspannung überbrücken wollte, sie sprach allerdings leise genug, damit es nicht ablenkte und man weiterhin auf verdächtige Geräusche achten konnte. „Na ja, sie hatten ja gesagt, dass sie als schönste Dämonin Gehennas gilt.“, warf Shima ein. „Und übertrieben war das nicht. Man kann Satan echt keine Vorwürfe machen, sie ist-“   „Nein, wage es ja nicht ihr jetzt noch Komplimente zu machen.“, zischte Bon, woraufhin der andere Adept mit den Schultern zuckte.   „Ich sage nicht, dass ihr Aussehen ihre Taten entschuldigt! Und Satan hat selbst zugegeben, dass er auf sie stand!“   „Mir ist egal, wie sie aussieht oder warum sie was tut. Ich kann ihr nicht verzeihen, was sie Rin und allen anderen angetan hat!“, meldete sich Shiemi zu Wort, bevor sie sich besorgt aussehend an Yukio wandte. „Ist wirklich alles in Ordnung? Wir sind so schnell gekommen wie wir konnten, aber es war schwer durch das Feuer zu kommen!“   „Macht euch keine Sorgen, mir geht es gut.“ Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er sich noch immer nicht bedankt hatte. „Danke. Ohne euch wäre ich wahrscheinlich tot.“ Es war ungewohnt das zu sagen, nicht weil er der Meinung war, besser als alle andere zu sein und niemanden Dank zu schulden, sondern weil er im Kampf gegen Dämonen sonst so gut wie immer allein zurecht kam. Ganz offenbar eine weitere Sache in der sich gern überschätzte.   „Natürlich, wir sind doch Freunde!“, antwortete Shiemi, welche die Anspannung für einen Moment vergaß und ihn fröhlich anlächelte. „Ich wünschte nur, unser Plan hätte funktioniert.“   „Hat es ja.“, mischte sich unerwartet Shura ein, welche plötzlich neben ihnen lief. Yukio hatte sie bis jetzt nicht bemerkt, war sie schon die ganze Zeit hier? „Brillenschlange hier lebt noch, wir leben und sie wurde etwas gedemütigt. Gut genug für mich.~ Da hatte sie wohl nicht unrecht. Niemand protestierte und sie setzten ihren Weg stumm fort. Was immer sie erwartete, sie waren bereit.   Hoffentlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)