Null Grad Celsius von Arianrhod- ([Gruvia]) ================================================================================ 2016 | 2. Day | Eyes || Dark Eyes (Building Family) --------------------------------------------------- „Bitte sehr und einen schönen Tag noch!“ Mit einem breiten Lächeln überreichte Juvia dem jungen Mann vor dem Tresen seinen Latte Macchiato und die Tüte mit dem Muffin. Er antwortete mit einem zerstreuten Lächeln und wandte sich um, nur um prompt gegen einen der weißen Holzstühle mit den geschwungenen Lehnen zu rennen. „Achtung…!“, versuchte Juvia noch, ihn zu warnen, und verzog dann das Gesicht, als sein Schienbein mit der Querstrebe zwischen den Stuhlbeinen kollidierte. Doch ihr Kunde, inzwischen knallrot im Gesicht, hielt sich kaum damit auf, sondern hastete eilig davon. Er kam regelmäßig hierher und Jerome behauptete steif und fest, dass er in jemanden hier verknallt war. Vielleicht war er deswegen immer so schusselig. Kopfschüttelnd wandte Juvia sich ab und kehrte zu ihrem Geschirrkorb zurück, dessen Inhalt wieder in die Regale hinter dem Tresen aus Glas und weißem Holz geräumt werden musste. Kurz ließ sie einen Blick durch den Raum gleiten, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Doch im Moment hatten sie nicht viel Kundschaft, nur eine Handvoll Leute, so dass sie die Ruhe vor dem Nachmittagsbetrieb ausnutzen konnten. Durch die Front mit den großen Fenstern strömte das helle Licht der Nachmittagssonne und ließ die hohen Tische mit den Barhockern davor nur wie schwarze Silhouetten wirken. Es malte lange Schatten auf den Dielenbohlen, die von den Tischen und Stühlen, die sich in Gruppen beieinander standen. Jerome wischte auf dem erhöhten Bereich, den man über zwei Stufen erreichte und wo sich Couches um niedrige Tische drängten, ein paar Tische ab. Dort oben war es immer etwas dunkler als im Rest des Cafés, dank der Regale, die als Raumteiler dienten, und weil es im hintersten Eck lag. Die Wände aus dunklen Backsteinen halfen nicht, trotz der Lichterketten in Form von Sternen, die daran gehängt waren. Yukino auf der anderen Seite des Raumes kassiert gerade die drei älteren Damen ab, die immer für ihr Kaffeekränzchen herkamen. An der Backsteinwand hinter ihr hingen große, auf Leinwand gezogene Fotos von Rosen im Vintage-Look. Auch zwischen ihnen hingen lange Lichterketten herab, die winzigen Lämpchen eingebettet in pastellfarbene Blumen aus Stoff. Es roch verführerisch nach Kaffee und frischem, selbstgemachten Gebäck – Torten, Muffins, Kuchen, Cookies und dergleichen mehr. Darunter mischte sich das feine Aroma des losen Tees, den sie in bunten Metallboxen in den Regalen hinter dem Tresen aufbewahrten, die sich um die Maschinen und Geräte anordneten. Durch die halb offenstehende Tür in der Nähe konnte Juvia in die Küche sehen, wo Kinana gerade einer sahnigen Schokoladentorte den letzten Schliff verpasste. Neben ihr stand bereits die edel aussehende, dunkelblaue Box auf dem Tisch, in die das gute Stück verpackt und herausgegeben werden konnte. Leise vor sich hin summend wandte Juvia sich wieder ihrer eigenen Aufgabe zu, das bunt eingefärbte Steingut kühl in ihren Händen. Es herrschte eine angenehm ruhige Atmosphäre hier, die nur verstärkt wurde durch das heimelige Gefühl, das das gemütliche Café immer in ihr hervorrief. „Hi, was muss man tun, um hier einen Kaffee zu kriegen?“, wollte eine kultivierte, männliche Stimme hinter ihr wissen, gefolgt von dem Klatschen, als jemand eine Hand auf den Tresen schlug. Sie verdrehte unwillkürlich die Augen über diese Frage. Dieser Typ wusste genau, was er tun musste, um etwas bekommen. Trotzdem drehte sie sich jedoch mit einem freundlichen Lächeln um – nur um direkt in das verschlossene Gesicht des schönsten Mannes zu starren, den sie je gesehen hatte. Das gesamte Universum schien für diesen Moment zu erstarren. Juvia erstarb die kesse Erwiderung auf den Lippen, weil sie nur glotzen konnte, und sie spürte, wie ihre Knie weich wurden. Scharfe, schmale Augen, dunkler als die schwärzeste Nacht und genauso geheimnisvoll, fixierten sie unter zusammengezogenen Brauen und die hohen Wangenknochen verliehen ihm etwas Edles und Wundervolles. Eine harte Kieferlinie und schmale Lippen vervollständigten den Anblick zu reiner Perfektion. Ungebändigtes Haar, so schwarz, dass es schon wieder blau wirkte, bettelte geradezu darum, mit den Händen hindurchzufahren. Juvia spürte, wie ihr Herz einen Satz machte und doppelt so schnell weiterschlug. „Oh…“, hauchte sie, weil sie zu etwas anderem offensichtlich nicht mehr im Stande war. Er war ein gutes Stück größer als sie, bemerkte sie, und seine breiten Schultern füllten die Anzugjacke aus, die er über einem dunkelblauen Hemd trug. Er war einfach nur perfekt. Und sie stand hier wie ein stummer Fisch, obwohl sie eigentlich einen Job zu tun hatte! Was sollte er nur von ihr denken und sowieso, das konnte sie sich nicht leisten, und viel auffälliger konnte sie sich jetzt nicht mehr verhalten! „Wir hätten es nämlich eilig und eine recht große Bestellung“, fuhr sein Begleiter fort, der am Tresen lehnte und sie über den Rand seiner Sonnenbrille anblinzelte. Nur mit Mühe riss sie den Blick von ihrem Traumprinzen los, um ihn auf den Sprecher zu richten. Ihn kannte sie – Loke King, der vor der Arbeit und in seiner Mittagspause gerne mal vorbeikam und es sich nie nehmen ließ, mit ihr zu flirten. Oder mit Yukino oder Kinana oder jeder anderen halbwegs attraktiven Frau, die gerade ansprechbar war. Er schien es einfach nicht lassen zu können, selbst nicht, wenn er in weiblicher Begleitung unterwegs war. Auch jetzt hatte er wieder sein charmantestes Lächeln aufgesetzt, das ihr Blut jedoch nicht auch nur ansatzweise so in Wallung brachte wie der kühle Blick aus diesen schwarzen Augen, der sie alles andere hatte vergessen lassen. Sie hatte Loke komplett übersehen. Genau wie die sieben anderen Leute, die mit ihnen hereingekommen waren. „Oh, j-ja, natürlich“, riss Juvia sich zusammen, noch immer völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Arbeit im Café war schon zu ihrer zweiten Natur geworden, aber jetzt musste sie sich ernsthaft überlegen, womit sie anfangen musste. Sie fühlte sich wie am ersten Tag im Job, an dem sie aus lauter Not, weil drei Bedienungen gleichzeitig ausgefallen waren, aus der Küche hinter den Tresen zitiert worden war. Damals war sie ein nervöses Wrack gewesen und jetzt kam es ihr kaum anders vor. „Juv- Ich werde mich beeilen“, versprach sie und verfluchte sich dafür, über ihre eigenen Worte zu stolpern. Hastig stellte sie die beiden Tassen ab, die sie die ganze Zeit linkisch in den Händen gehalten hatte. „Lass mich dir helfen“, bot Yukino an, die so plötzlich neben ihr aufgetaucht war, dass sie erneut zusammenzuckte. „Dann geht es schneller.“ Ihre junge Kollegin schenkte ihr einen besorgten Blick und zog eine feine, weiße Augenbraue hoch, als ob sie fragen wollte, ob es ein Problem gab. Doch Juvia schüttelte nur den Kopf. „Danke, kannst du die Maschine bedienen?“ Damit wandte sie sich wieder zum Tresen zurück, kaum auf Yukinos zustimmendes Nicken wartend. Noch während sie einen Stapel der To Go-Becher aus einem der Schränke hervorholte, fragte sie bemüht leichthin: „Was darf es denn sein?“ Auf den ersten Becher schrieb sie groß Loki, obwohl er ihr jedes Mal neckend erklärte, dass das nicht sein Name war. Während der seine Bestellung herunterrasselte und sie automatisch die Kontrollkästchen auf dem Pappgefäß beschriftete, wanderte ihr Blick wieder unauffällig zu diesem Traum von einem Mann, der da so unverhofft vor ihr aufgetaucht war. Gajeel würde sie auslachen, wenn er sie jetzt sehen könnte. Aber große Brüder waren ja fast zu sowas verpflichtet und sowieso, das musste man ihr nachsehen! Es kam nicht alle Tage vor, dass man so unvermittelt einem … einem … echten Märchenprinz gegenüberstand! Die dunklen Augen ruhten nun auf der in der Theke integrierten Vitrine, unter der diverse Torten und Kuchen zur Schau gestellt waren, die einem schon allein durch ihr Aussehen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Darauf standen ein großes Glas mit Chocolate Chip Cookies darin und frische Apfelmuffins unter einer gläsernen Kuchenglocke. Ob er ein neuer Kollege von Loke war? Oder nur ein Mandant seines Büros? Ob er Single war? Aber bestimmt hatte so ein Mann eine Partnerin. Und sowieso, das waren ja wohl kaum angemessene Gedanken! Aber ob sie ihn hier noch öfter sehen würde? Sie hoffte es von ganzem Herzen! Sie reichte den ersten Becher an Yukino weiter und griff mit zitternden Händen nach dem nächsten. Jetzt ist aber genug!, rief sie sich selbst zur Ordnung und holte tief Luft, konzentrierte sich einen Moment auf die Kästchen, die sie gleich beschriften würde. Eigentlich benutzten sie die Checkboxen an den Bechern nur selten, anders als gewisse große Caféketten, bei denen alles wie am Fließband funktionieren musste. Aber wenn so viel auf einmal los war und es möglichst schnell gehen sollte, griffen auch sie auf diese Hilfsmittel zurück. „Und was darf es für Sie sein?“, wollte sie dann von Lokes neuem Freund wissen, als sie gefasst genug war, dass sie es wagen konnte, das Wort an ihn zu richten. Sie war stolz darauf, dass ihre Stimme kaum wankte. Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sie und sie schmolz beinahe zu einer Pfütze unter dem Blick aus diesen schwarzen Augen. „Einfach nur Kaffee, stark, schwarz, kein Zucker.“ „Du willst es heute wissen, oder was?“, zog Loke ihn freundschaftlich auf und fuhr sich mit einer Hand durch die orangeroten Haare, die immer etwas an eine Löwenmähne erinnerten. Die Kollegen der beiden unterhielten sich im Hintergrund scherzend. Sie schienen alle gut aufgelegt zu sein. Doch Juvia bemerkte sie nur am Rande, während sie automatisch die entsprechenden Markierungen auf dem Becher machte. Er sah müde aus, fiel ihr auf, mit dunklen Ringen unter den Augen und nach unten gezogenen Mundwinkeln und sie erwischte sich dabei zu hoffen, dass er ihr ein ehrliches Lächeln schenken würde. Oder vielleicht sollte er das besser bleiben lassen, bis sie sich wieder richtig unter Kontrolle hatte, ansonsten würde sie vermutlich in Ohnmacht fallen. Das wäre nicht so schlimm, wenn er sie dann auffangen würde – das wäre immerhin seine Schuld! –, aber leider stand er auf der anderen Seite des Tresens. „U-und an wen geht das, Mr…?“, wollte sie wissen und verfluchte sich dafür, dass ihre Stimme erneut derartig schwankte. Scheu senkte sie die Lider, doch sie schaffte es nicht, den Blick von ihm zu nehmen und schaute unter ihren Wimpern zu ihm hoch. Verwirrt starrte er zurück. „Gray… äh, ich meine, Fullbuster.“ Seine Stimme war tief und dunkel wie eine mondlose Nacht und ein kleines bisschen rau. Sie jagte Juvia einen angenehmen Schauer über den Rücken und unwillkürlich fragte sie sich, wie es wohl klingen würde, wenn er ihren Namen sagte. Er könnte ihr das Telefonbuch vorlesen und sie würde ihm trotzdem hingerissen zuhören. Unwillkürlich schenkte sie ihm ihr schönstes Lächeln, das leider nicht zu viel Eindruck auf ihn machte. „Einen Moment bitte.“ Mr. Gray ❀ malte sie sorgfältig mit geschwungenen Buchstaben auf den Becher, sich gerade noch fangend, ehe sie ein Herzchen aufmalen konnte. Das wäre doch etwas zu unprofessionell gewesen. „Wir machen den besten Kaffee“, versicherte Juvia ihm und versuchte, ihm tief in die Augen zu schauen. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. „Das kann ich Ihnen versprechen.“ „Das kommt mir gerade recht, ehrlich gesagt.“ Bildete sie sich das nur ein oder wurde sein Blick noch intensiver? Alle Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf und sie öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen und- „Hör auf zu flirten, Fullbuster“, unterbrach Loke sie grinsend. Wie gemein! „Sonst kommen wir heute nicht mehr an und selbst die Geduld von unserem Chef hält nicht ewig.“ „Genau, hier wollen noch andere Leute einen Kaffee“, feixte eine Frau mit langem, grünen Zopf und rot geschminkten Lippen und drängte sich nach vorne. Bedauernd wandte Juvia sich ihr zu, während sie der tatkräftigen Yukino noch den zweiten Becher nach hinten reichte. Bisca, kritzelte sie auf das nächste Gefäß, doch ihr Herz war nicht ganz bei der Sache. „Ich flirte nicht“, verteidigte Gray sich brüsk, während er Loke zur Seite folgte, um den anderen Platz zu machen. „Ach ja? Das sah für mich aber ganz anders aus“, zog Loke ihn auf. „Nein!“, wehrte Gray jedoch so heftig ab, dass Juvia zusammenzuckte und sich hastig tiefer über den vierten Becher beugte. Hatte sie den Bogen wirklich so weit überspannt? Inzwischen ging es zügig voran und gleich würde sie Yukino unter die Arme greifen können. „Für so einen Mist habe ich im Moment echt keinen Kopf. Ich kann nichts dafür, wenn die Kleine-“ Loke unterbrach ihn kühl: „Es würde dir aber vielleicht helfen, dass du nicht mehr ganz so miesepetrig aus der Wäsche schaust. So wie du aussiehst, machst du kleinen Kindern noch Angst. Und du verletzt unsere Juvia mit deinem Verhalten, nun tu mal nicht so. Es gibt keine bessere Medizin gegen deine Probleme als das Lächeln einer schönen Frau.“ Bei der Nennung ihres Namens schaute sie unwillkürlich auf und erneut traf sie seinen Blick aus diesen dunklen Augen, der bis in ihr Innerstes zu dringen schien. Als könnte er ihre Seele sehen, offen und unverfälscht und so, so verletzlich vor ihm liegend. Hastig blickte Juvia wieder weg und nahm die letzte Bestellung entgegen. „Was ist denn heute mit dir los?“, zischte Yukino, als sie neben sie trat und die Becher einen Moment nur dumpf anstarrte. „Steh nicht rum, hilf mir lieber.“ „Entschuldigung. Juvia ist einfach…“ Sie schüttelte den Kopf und machte sich an die Arbeit. Hinter sich konnte sie die Stimmen der Kunden hören, die durcheinandersummten, Scherze, Gelächter. Ein oder zweimal hörte sie Gray heraus, doch sie konnte die genauen Worte nicht mehr verstehen. Trotzdem versuchte sie immer wieder, den Klang seiner Stimme zu erhaschen, der ihr so angenehm schien. Schließlich machte Yukino sich daran, zu kassieren, während Juvia nacheinander die Becher ausgab, kaum aufblickend von der glatten Oberfläche des Tresens. „Wir warten schon mal draußen“, rief Bisca und nacheinander tröpfelten sie und ihre Kollegen wieder hinaus. Es wurde wieder still im Café und Juvia fühlte sich beinahe erleichtert. „Hier, das ist der letzte“, bemerkte Juvia unnötigerweise, als sie den Becher über die Theke reichte. Sie erhaschte noch einen kurzen Blick auf die Blume, die sie selbst vorhin darauf gemalt hatte, und schaute auf, nur um erneut in Grays verschlossenes Gesicht zu spähen. Er meinte es sicher nicht böse, sagte sie sich streng, und manchmal gab es einfach Zeiten, da war einem alles zu viel. Und woher sollte sie wissen, was ihn gerade beschäftigte? Was, wenn er einfach nur einen schlechten Tag hatte? Sich ein Herz fassend schenkte sie ihm ein kleines, unsicheres, hoffnungsvolles Lächeln. „… Mr. Gray“, fügte sie verspätet hinzu und seine Brauen zogen sich wieder zusammen – nachdenklich, wie ihr schien. „Danke“, antwortete er nach einem Moment, während er den Becher entgegennahm. Als ihre Finger sich für einen Augenblick berührten, durchfuhr es sie heiß und kalt. „Ich bin… im Moment etwas gestresst.“ Wenn das eine Entschuldigung sein sollte, so war sie ziemlich missglückt, aber Juvia wollte mal nicht so sein, also legte sie nur lächelnd den Kopf schief. Er runzelte die Stirn, als er die Aufschrift bemerkte, sagte aber nichts dazu und schon das allein nahm sie als Sieg. Ihr Lächeln wurde breiter, mutiger und spontan griff sie nach einem der Mini-Schokomuffins, die neben ihr in der Auslage standen. „Kopf hoch, das wird wieder besser. Der geht aufs Haus.“ Sie stellte ihn auf den Plastikdeckel des Kaffeebechers. „Bitte sehr und einen schöneren Tag ab jetzt!“ Ihr Gegenüber starrte sie an, als wäre ihr ein zweiter Kopf gewachsen. „Gray, jetzt komm endlich!“, unterbrach sie Loke von der Tür und der Angesprochene schaute ihn kurz über die Schulter an, ehe er sich wieder Juvia zuwandte. „Ich… ah, danke“, sagte er noch einmal und da schwang ein Unterton in seiner Stimme mit, den sie nicht ganz fassen konnte. Aber ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus und sie fühlte sich leicht und unbeschwert. Sie würde schwören, dass er ihr ein Lächeln zuwarf, nur ein winziges Zucken seiner Mundwinkel, ehe er sich umdrehte und Loke hinausfolgte. Dann schloss sich die Tür auch hinter ihm und Juvia war es, als hätte er ein Stück der Sonne mitgenommen. 2018 | 1. Day | Promise || A helping Hand (Building Family) ----------------------------------------------------------- „Hallo, Mr. Gray!“ Juvia schenkte ihm über den Tresen hinweg ein strahlendes Lächeln, das ihr gesamtes Gesicht aufleuchten ließ. Sie stellte die gläserne Servierplatte weg, auf der nur noch ein paar dunkle Krümel klebten, und wischte die Hände an ihrer blauweiß karierten Schürze ab. Gray verdrehte die Augen, aber inzwischen hatte er sich an ihre Eigenarten gewöhnt. Es war ja nicht nur er, dem sie einen Spitznamen verpasst hatte. Vielleicht half ihr das, sich ihre Stammkunden richtig einzuprägen? Zu dumm, dass ihn das auch an jemanden erinnerte. Außerdem hatte er heute einfach nicht die Energie für unnötiges Zeug wie Proteste gegen harmlose Dinge, die sowieso ignoriert werden würden. Juvia jedoch fuhr gleich fort, munter wie immer: „Das Übliche für dich oder darf es heute etwas anderes sein? Wir haben Bienenstich im Angebot.“ „Nein, danke, das ist nicht so meins. Nur einen Kaffee.“ Gray hatte sich noch nie viel aus Süßkram gemacht oder zumindest hatte er das immer angenommen. Aber da waren immer wieder besondere Dinge, die er einfach nur liebte, wie den Marmorkuchen seiner Mutter oder… Juvias Lächeln wurde breiter. „Schwarz, ohne Zucker, kommt sofort!“ Sie wirbelte herum und schnappte sich eine der bunten Tassen, die auf den Regalen bereitstanden. Mit routinierten Bewegungen brachte sie die Kaffeemaschine zum Laufen, ehe sie sich ihm wieder zuwandte. Bevor sie ihm eine ihrer Fragen stellen konnte, die für ihn immer ein wenig aus heiterem Himmel kamen, wollte er wissen: „Oh, und hast du noch einen Schokomuffin für mich?“ Ihr Lächeln fiel in sich zusammen und sie hob leicht die Platte an, die sie eben noch in der Hand gehalten hatte. „Tut mir leid, die sind eben ausgegangen und wir machen heute auch keine mehr.“ Dann richtete sie sich wieder gerader auf. „Ich kann dir aber Brownies anbieten?“, schlug sie unbeirrt vor. „Nein, danke.“ Gray kramte ein paar Münzen aus der Hosentasche. „Stimmt so. Ich setz mich da drüben hin.“ Er nickte mit dem Kopf zu einem der kleineren Tische, die gar nicht weit entfernt standen. Juvia zog wieder ein langes Gesicht und seufzte, versuchte sich dann aber gleich wieder an einem Lächeln. „Natürlich, Mr. Gray! Dein Kaffee kommt sofort. Und ich sorge dafür, dass morgen ein Muffin für dich übrigbleibt, versprochen!“ Noch im Gehen öffnete Gray seinen Umhängetasche, um die Mappe mit den Berechnungen herauszuholen, die er letzten Abend noch erledigt hatte. Gestern schon war er sie zweimal durchgegangen und heute Morgen nach seiner zu ausgedehnten Joggingrunde erneut, aber ein weiteres Mal konnte nicht schaden. Wenn er sich in diesem Projekt richtig einbrachte und keine Dummheiten anstellte, konnte er sich wirklich etwas auf seinen Lebenslauf schreiben. Etwas Großes, Bedeutendes, das herausstach, mehr als ein paar Einfamilienhäuser oder selbst ein Einkaufszentrum. Etwas, dass ihn sogar aus dem Schatten herausbrachte, den sein Vater warf. Auch wenn er hoffte, dass er das vorerst nicht brauchen würde – bei Fairy Tail Architecture fühlte er sich wohl, verdiente gut und seine Kollegen waren in Ordnung. Kurz, er hatte dort alles, was er von einem Job wollte. Einige Jahre wollte er dort mindestens noch arbeiten. „Bitte sehr.“ Juvia stellte die blaue Kaffeetasse vor ihm ab und presste dann das Tablett gegen ihre Brust, zaudernd, abwartend. Unter ihrer Schürze trug sie einen schwingenden, dunklen Rock mit mädchenhaften Rüschen, der ihre langen Beine akzentuierte, und schlichte Maryjanes in dunklem Rot. Sie hatte ein Tattoo am linken Knöchel, bemerkte er abgelenkt, doch einer der Riemen lag darüber, so dass er nur ein paar schwarze Linien erkennen konnte. Und er wusste nur, wie diese Schuhe hießen, weil er sich noch vor nicht allzu langer Zeit mit etwa hundert Paaren davon hatte herumschlagen müssen, die in der gemeinsamen Wohnung einfach keinen Platz gefunden hatten. Verdammt noch mal, warum erinnerte ihn heute alles an seine Ex?! „Geht es dir nicht gut, Gray? Du bist so blass.“ Zwischen Juvias Brauen stand eine steile Falte und ihre Mundwinkel waren leicht nach unten gezogen. „Soll ich dir lieber einen Tee bringen?“ „Ich mag keinen Tee“, antwortete er automatisch und blickte von ihrem besorgten Gesicht weg. „Mir geht es gut.“ Tatsächlich hatte er kaum geschlafen, nicht mehr nach dem Anruf, den er um vier in der Nacht erhalten hatte. Die undeutlich lallende Stimme, dunkel und samtig, die er früher so gern gehört hatte, war ihm im Ohr geblieben, so dass er laufend gegangen war – zwei Stunden lang. Zu erwarten, dass er sie einfach vergessen konnte, war wohl zu viel des Guten. Aber das alles konnte er Juvia wohl kaum auf die Nase binden. Für einen langen Moment konnte er den intensiven, schweigenden Blick aus ihren meerblauen Augen auf sich fühlen, wie anklagend. Es war ihm, als könnte sie trotz all seiner Versuche, gleichgültig zu wirken, sehen, wie aufgewühlt er war und wie kaputt. Als könnte sie einfach in ihn hineinsehen. Das war zumindest etwas, das sie nicht mit seiner Ex gemeinsam hatte, deren Empathie im Minusbereich herumdümpelte. „O-okay“, murmelte Juvia dann und wandte sich ab. Ihre Schuhe klackerten leise auf dem Holzboden, als sie davonging und sich wieder ihrer Arbeit widmete. Gray sank erleichtert in sich zusammen und griff nach seiner Tasse, um einen Schluck von seinem Kaffee zu nehmen. Das starke Getränk beruhigte seine Nerven und ließ zu, dass er sich wieder auf die Zahlen und Buchstaben in seinem Notizbuch konzentrieren konnte. Er hatte jetzt keine Zeit für all diesen Scheiß, seine Beziehung war schon seit Monaten vorüber, aus und vorbei und nichts, mit dem er sich jetzt noch abgeben musste. Oder überhaupt wollte. Er sollte sich jetzt lieber um seine Berechnungen kümmern, seinen Kaffee trinken und dafür sorgen, dass er rechtzeitig im Büro war. Die Taktik wirkte zum Glück. Denn je länger er hier saß, sich um seine Zahlen kümmerte und seinen Kaffee trank, während die Welt um ihn herum einfach vorbeizog, desto ruhiger wurde er wieder. Der Tag war noch immer nicht gut, aber er hatte ihn zumindest unter Kontrolle. „Hi, Juvi!“ Die tiefe, männliche Stimme, die durch die morgendliche Ruhe im Café schnitt, ließ ihn unwillkürlich aufblicken. „Was für eine Überraschung!“ Sie gehörte einem hochgewachsenen, schlanken Mann mit sorgfältig gestyltem Haar und betont ausgesuchter Kleidung, der mit langen Schritten vor den Tresen trat. Er stützte sich großspurig darauf auf ab und schenkte der jungen Frau dahinter ein gewinnendes Lächeln. „Wer hätte gedacht, dass wir uns so schnell wieder treffen. Erst fast zehn Jahre lang gar nicht und dann zweimal in zwei Tagen. Wenn das kein Schicksal ist.“ „Bitte nenne mich nicht so, Bora“, antwortete Juvia, noch eine der Hefemäuse in der Hand, die sie gerade in die Ablage schichtete. Sorgfältig legte sie das Gebäck ab, ehe sie sich aufrichtete, die Hände an der Schürze abwischend. „Früher hattest du nie Probleme damit, Juvi. Und jetzt hast du für einen alten Freund nicht einmal ein Grußwort übrig?“ Juvia blinzelte ihn einen Moment an. „Willkommen im Council Café“, erklärte sie dann. „Juvia war nur überrascht. Darf sie…“ Sie unterbrach sich mit einem geschäftsmäßigen Räuspern und fuhr dann fort: „Darf ich dir etwas bringen?“ Ihr Freund lachte. „Es ist wirklich niedlich, wie du versuchst normal zu sein. Aber ja, einen Kaffee mit…“ „… drei Zucker und Milch?“, beendete Juvia den Satz, doch ihre Brauen waren eine Winzigkeit zusammengezogen, kaum bemerkbar neben ihrem geschäftsmäßigen Lächeln. Gray gab sich keine Mühe, sein eigenes Stirnrunzeln zu verbergen, doch er beugte sich wieder über seine Notizen und versuchte, das weiterplätschernde Gespräch zu ignorieren. Das ging ihn nichts an. Er kannte Juvia kaum. Das war offensichtlich ein alter Freund von ihr oder sogar noch mehr, wenn er die Anzeichen richtig las. Aber etwas an der Art, wie Bora diesen einen Satz ausgesprochen hatte, sorgte dafür, dass sich alle Härchen in Grays Nacken aufstellen. Er kannte diesen Tonfall, nur zu gut. „Was tust du hier, Bora?“, fuhr Juvia jedoch leichthin fort. „Wolltest du Juvia… mich auf meinem Arbeitsplatz besuchen?“ „Natürlich nicht, das ist nur Zufall“, winkte ihr Gegenüber ab. „Ich habe einen Termin hier in der Nähe und brauche noch meine Morgenration Kaffee. Und dann sehe ich dich hier!“ „Oh“, machte Juvia einfach. Offensichtlich hatte sie ihrem alten Freund nicht mehr viel zu sagen. Dann herrschte für einen Moment Stille, während Bora sich umsah, wie Gray aus den Augenwinkeln bemerkte. Sein abschätziger Blick glitt über die saubere Einrichtung, die blitzblanken Fenster, die Lichterketten und Bilder an den Wänden. „Hier arbeitest du also? Nett hier. Wobei ich wirklich gedacht habe, aus dir würde mehr werden als nur eine Barista.“ Gray spürte, wie sein Griff um seine Tasse fester wurde, ärgerlich. Warum redete dieser Typ so verächtlich über sie? Und warum wühlte ihn selbst so sehr auf? Juvia schien weniger Probleme damit zu haben als er! Er holte tief Luft und nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee. „Juvia arbeitet gerne hier.“ Sie wandte sich um, um die nun volle Tasse fertig zu machen und ihm zu reichen. „Dein Kaffee.“ Bora nahm das Getränk mit einem Lächeln entgegen und seufzte nach dem ersten Schluck genüsslich. „Danke, Juvi. Genau, wie ich ihn liebe, du erinnerst dich also daran!“ „… Juvia hat dir oft genug einen Kaffee gemacht“, antwortete sie trocken. „Das macht drei Jewel.“ Er reichte ihr großzügig einen Schein. „Ich brauche kein Wechselgeld, behalt den Rest.“ Gray fragte sich, seit wann er so genau hinsah, um zu bemerken, dass Juvias Stimmung von freundlich-erfreut-professionell umschlug zu diesem aufkeimenden Ärger. Ihr Gesicht, nein, ihre Augen waren wirklich ausdrucksstark und einfach zu lesen. Aber wem würde bei dieser Großspurigkeit nicht der Kragen platzen? Aber sie sagte nichts, sondern öffnete nur die Kasse, um den Schein sorgfältig einzuräumen. „Benötigst du noch etwas?“, wollte sie wissen, als sie die Schublade ein wenig zu energisch schloss. „Kuchen? Kekse?“ „Danke, ich bin doch kein Kind“, winkte Bora ihre Frage beiseite. „Aber hey, ich habe noch ein paar Minuten Zeit und muss dann nur noch die Straße hinunter, wie wäre es, wenn wir ein wenig plaudern? Gestern war ja nicht wirklich Zeit dafür, mein Termin und alles.“ „Juvia… Ich muss jetzt arbeiten“, wehrte sie ab und nahm demonstrativ die Glasplatte hoch, die sie vorhin schon Gray gezeigt hatte. „Ach, komm schon, Juvi, nun sei mal nicht so“, schmeichelte Bora. „Nach all den Jahren treffen wir uns wieder, nach allem, was wir miteinander erlebt und durchgemacht haben, und du bist so abweisend zu mir?“ Sie seufzte schicksalsergeben. „Ich muss jetzt wirklich weitermachen. Wegen der Grippewelle sind drei Leute ausgefallen und Kinana kann heute nicht in der Küche einspringen. Bitte entschuldige.“ Damit wandte sie sich ab und verschwand durch die Tür, die in die hinteren Räume des Cafés führte. Bora jedoch ließ sich davon nicht abwimmeln. Kurzerhand umrundete er den Tresen und folgte ihr, seine Kaffeetasse in der Hand. „Juvi, jetzt warte do…“ Seine Stimme wurde abgeschnitten, als die Tür hinter ihm wieder ins Schloss fiel. Gray starrte ihnen nach und fragte sich, ob er ihnen folgen und sich einmischen sollte. Juvia wollte diese Gesellschaft offensichtlich nicht, war aber zu höflich oder zu freundlich, um es ihm direkt zu sagen. Und dieser Typ war wirklich aufdringlich und rief ein schlechtes Gefühl in Gray wach, das ihm viel zu vertraut war. Dann schüttelte er heftig den Kopf und packte entschlossen seine Sachen wieder in den Rucksack. Juvia war eine erwachsene Frau, die sich um sich selbst kümmern konnte, erst recht gegen einen nervtötenden Exfreund. Er sollte aufhören, Zeichen von etwas, das gar nicht da war, in harmlosen Situationen zu erkennen! „Du siehst Gespenster“, erklärte er sich murmelnd. „Das geht dich nichts an.“ Außerdem musste er jetzt sowieso los. Sein Boss und sein Teamleiter waren beiden großzügige Leute, die über kleine Unpünktlichkeiten hinwegsahen, solange sie sich nicht häuften, doch er selbst wollte sich so etwas nicht leisten. Er kippte den Rest seines Kaffees hinunter und stand auf, sich den Riemen seiner Umhängetasche über die Schulter schlingend. Außer ihm waren jetzt nur noch ein paar vereinzelte Gäste sowie ein einzelner Keller, der gerade einen Tisch abwischte, anwesend. Keiner von ihnen hatte auf den Austausch zwischen Juvia und ihrem Freund geachtet. Das beruhigte seine wirren Gedanken noch mehr – er hatte nur überreagiert, unausgeschlafen und mit den Nerven am Ende, wie er war. Ein kurzer Blick auf sein Handy zeigte, dass er noch etwa fünf Minuten hatte, um pünktlich zum Büro zu kommen. Also setzte er sich hastig in Bewegung und verließ das Café, nur um gleich daneben in die Seitengasse einzubiegen, die ihn auf schnellstem Wege zum Gebäude von Fairy Tail Architecture bringen würde. Dabei checkte er kurz seine Nachrichtenapp, die sich während seines Frühstücks die ganze Zeit gemeldet hatte. Doch es war nur Natsu, der irgendetwas über die perfekte Konsistenz von Frühstückspfannkuchen laberte, hin und wieder unterbrochen von Lucy („Natsu, andere Leute müssen arbeiten!“) oder Erza („Sie sind nur perfekt mit frischen Erdbeeren!“), die ihren eigenen Senf dazugeben mussten. Warum nochmal war dieser Haufen seine besten Freunde? Kopfschüttelnd bog er um die Ecke, um der Gasse auf der Rückseite des Council Cafés zu folgen, doch in diesem Moment öffnete sich die Hintertür des Lokals. „…her hätte dich eine kleine gebrochene Regel nicht gestört“, drang Boras zu laute Stimme zu Gray hinüber und er stöhnte genervt auf. Hatte er nicht eben beschlossen, dass er sich da nicht einmischen und gar nichts weiter davon wissen wollte? Dann trat schon Juvia auf die Gasse, zwei große Müllsäcke in den Händen. Ihr alter … ‚Freund‘ folgte ihr gemütlich, immer noch seine Tasse in den Händen. Auf die Idee, ihr zu helfen, kam er anscheinend nicht. „Juvia ist nicht mehr die gleiche Person wie früher, Bora“, belehrte die junge Frau ihn. „Und du solltest das auch nicht mehr sein. Wir waren jung und dumm und das hätte ganz schön ins Auge gehen können. Juvia ist jetzt anders.“ „Langweilig, wolltest du wohl sagen“, zog ihr Begleiter sie auf und sah kaffeetrinkend zu, wie sie den großen Container öffnete und die Müllsäcke hineinhievte. Mit einem lauten Krachen ließ sie den Deckel wieder zufallen, ehe sie sich zu ihm umdrehte. „Ehrlich“, verbesserte sie kühl. „Und Juvia mag ehrlich.“ Sie trat zu ihm und nahm ihm die inzwischen leere Tasse aus der Hand. „Bitte lass Juvia jetzt in Ruhe.“ Er lachte und verschränkte die Arme vor der Brust, lässig gegen die Wand gelehnt. „Du bist heute wirklich ganz besonders kratzbürstig. Wir sollten nachher etwas zusammen essen gehen. Wann hast du Mittagspause?“ „Juvias Mittagspause ist zu kurz, um essen zu gehen.“ „Ach, das macht nichts. Dann heute Abend? Das passt mir eh besser.“ Er beugte sich vor, so dass sein Gesicht nur ein paar Zentimeter von Juvias entfernt war, als wollte er sie küssen. Das Lächeln in seinem Gesicht sollte wohl gewinnend sein, doch auf Gray wirkte es einfach nur blasiert und viel zu selbstgefällig. „Nur wir zwei, ein hervorragendes Essen, ein guter Wein, Kerzenschein…“ Boras Stimme klang verheißungsvoll aus. „So wie früher. Nur, dass ich dir diesmal auch wirklich etwas bieten kann.“ Juvia wirkte nicht sehr überzeugt, die steile Falte zwischen ihren Brauen war nicht mehr zu übersehen und ihr kühler Tonfall kaum zu überhören. „Juvia hat keine Zeit, sie muss ihre…“ „Man, Juvi, früher warst du echt spontaner!“, beschwerte sich Bora entrüstet. „Du musst dich nicht so zieren, ich…“ „Hey, man, sie hat dir gerade gesagt, dass sie keine Lust auf dich hat.“ Gray hätte sich am liebsten geohrfeigt. Warum mischte er sich jetzt doch ein?! Beide fuhren herum und starrten ihn überrascht an, als hätten sie ihn erst jetzt bemerkt. Die Tatsache akzeptierend, dass er jetzt nicht mehr einfach so weggehen konnte, setzte Gray sich wieder in Bewegung, die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Du solltest das respektieren.“ Boras Augen verengten sich und er machte ein paar Schritte auf Gray zu, die Schultern zurückgezogen, die Hände automatisch zu Fäusten geballt. „Was geht dich das an?!“, wollte er feindselig wissen. „Und wer ist du überhaupt?“ Gray zuckte mit den Schultern. „Ich gehe hier nur vorbei.“ Gleichzeitig rief Juvia jedoch aus: „Mr. Gray!“ Ihr Gesicht hatte seinen finsteren Ausdruck verloren, im Gegenteil, sie lächelte begeistert und hielt beide Hände um die Tasse geschlungen, als wollte sie sie falten. Ihre Augen leuchteten hingerissen. „Gray, huh?“, machte Bora und baute sich bedrohlich vor ihm auf. „Wir haben deine Meinung gehört, aber sie interessiert hier niemanden, also verpiss dich besser, bevor ich ungemütlich werde.“ Gray musste den Kopf heben, um Bora in die Augen zu sehen, der mit einem überheblichen Grinsen auf ihn herunterstarrte. Aber so ein Größenunterschied bedeutete nicht viel. „Nach dir.“, antwortete er darum ruhig. Er hatte keinen Zweifel daran, dass Bora es nicht mit ihm aufnehmen konnte, aber er hatte auch keine Lust auf eine handgreifliche Konfrontation. Der andere wich zurück, überrascht von seiner Gelassenheit. Dann verzog sich sein Gesicht wütend. „Du hast mir gar nichts zu sagen!“ Jedes Wort unterstrich er damit, indem er Gray den Zeigefinger gegen die Brust stieß. „Ich kenne Juvi schon ewig, länger als so ein dahergelaufener Wichser wie du und…!“ Genervt packte Gray seine Hand und drehte sie so abrupt um, das Bora vor Schmerz aufschrie. Zur Kompensation ging er leicht in die Knie und er verlor völlig seine überhebliche Fassade. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, obwohl Gray wusste, dass der Druck gar nicht so groß war, und sein Blick huschte besorgt von seiner Hand zu dem Gesicht seines Gegners. „Gray!“, rief Juvia im Hintergrund erschrocken aus, eine Hand über den Mund gepresst. Doch sie machte keine Bewegung, um einzuschreiten, und Gray ignorierte sie. Kalt starrte er auf Bora hinunter. „Hör zu. Du bist hier nicht erwünscht. Juvia hat keine Lust auf dich und wenn du das nicht respektieren kannst, ist das dein Problem und nicht ihres. Solltest du dich ihr noch einmal ungebeten nähern oder irgendwie sonst belästigen, dann wirst du es bereuen, das verspreche dir.“ Er schickte ein Raubtiergrinsen hinterher, bei dem er alle Zähne zeigte, und Boras Augen weiteten sich. „Haben wir uns verstanden?“ Ein hastiges Nicken folgte und Gray stieß den Mann von sich, ihn jäh loslassend. Bora landete fast auf dem Hintern, ehe er sich fangen konnte. Pikiert noch den letzten Rest seiner angeschlagenen Würde zusammenraffend richtete er sich wieder auf und zog sein Jackett zurecht. „Du bist ja irre“, knurrte er und wich einen Schritt weiteren zurück. Gray schob seine Hand wieder zurück in die Hosentasche. „Wenigstens belästige ich keine Frauen. Verzieh dich jetzt besser.“ Er machte eine Kopfbewegung die Straße hinunter. Doch Bora konnte nicht einfach verschwinden, ohne das letzte Wort zu haben. „Dein Verlust, Juvi“, warf er höhnisch über die Schulter in Juvias Richtung zurück, die ihn jedoch kaum beachtete. Ihre Augen waren fest auf Gray gerichtet und etwas tief in ihrem Inneren schien zu glühen. Bora spuckte aus und trollte sich endlich. Erst, als er um die Ecke gebogen war und außer Sichtweite verschwand, wandte Gray sich zurück zu Juvia. Doch im selben Moment warf sie schon die Arme um ihn und umarmte ihn überschwänglich. Es war, als wollte sie ihn so bald nicht mehr loslassen. Gray spürte, wie er sich versteifte. Ihr Körper war weich und anschmiegsam, ihr Haar kitzelte in seiner Nase und sie duftete nach Vanille und etwas Blumigen und völlig ungewohnt. Die Tasse, die sie noch immer in der Hand hielt, drückte sich gegen sein Kreuz. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen und wie er sich am Schnellsten wieder befreien konnte. Zögerlich ließ Juvia ihn los und wich einen Schritt zurück. „E-entschuldigung“, stotterte sie verlegen „Juvia wollte dich… nicht erschrecken.“ Sie wich einen weiteren Schritt zurück, sein Unbehagen spürend. Er war nun mal nicht der berührungsfreudigste Mensch! Und seit seiner Trennung waren die einzigen Frauen, die ihm so nahe kamen, Lucy und Erza und das war etwas völlig anderes. „Vielen Dank“, erklärte sie dann und ihre Stimme klang ein wenig gestelzt, als ob sie sich jetzt erst bewusst wurde, wie nahe sie einem beinahe Fremden getreten war. Dann holte sie tief Luft und riss sich sichtlich zusammen. Ihre nächsten Worte klangen wieder natürlicher und ihr Lächeln war klein, aber es hellte ihr gesamtes Gesicht auf. Es traf Gray tiefer als alle strahlenden Begrüßungen, die sie ihm sonst so großzügig entgegenwarf. Ihm war nie aufgefallen, wie hübsch sie eigentlich war, und wie ausdrucksstark ihre schönen Augen. „Juvia hätte das auch allein hingekriegt, aber nicht so schnell und bei weitem nicht so effektiv! Ich glaube nicht, dass er es noch einmal versuchen wird“, versicherte sie. „Juvia ist echt froh, dass du mir geholfen hast!“ „Äh, schon okay“, winkte er ab; mit Dankbarkeit konnte er noch nie sonderlich gut umgehen. Trotzdem breitete sich ein warmes Gefühl in seinem Bauch aus. Das war einfach nur schön, gut – zu wissen, dass man jemandem helfen konnte und nicht völlig defekt war. „Nein, das ist nicht!“, widersprach Juvia energisch. „Tu eine gute Tat nicht einfach so ab, Mr. Gray! Juvia ist dir sehr dankbar! Du bist ein guter Mensch.“ Ihr Gesicht war ernst und voller Entschlossenheit und sie sah ihm dickköpfig die Augen, als wollte sie ihn nur dazu herausfordern, ihr zu widersprechen. Die Worte das hätte doch jeder gemacht blieben ihm im Hals stecken und er starrte sie an. Für einen Moment wusste er nicht, was er jetzt tun würde. Schreien? Wegrennen? In Tränen ausbrechen? Stattdessen wich er noch einen weiteren Schritt zurück. „Ich… ich muss jetzt wirklich gehen, ich bin schon zu spät. Ich… Man sieht sich.“ Er war sich bewusst, dass er nun eine eigene Flucht antrat, aber im Moment konnte er sich nicht mit ihr auseinandersetzen. Oder dem, was sie gesagt hatte, so aufrichtig und bestimmt, als könnte es keinen Zweifel an der Wahrheit ihrer Worte geben. Hastig lief er davon, ohne sich umzudrehen. Ihre Stimme hallte hoffnungsvoll hinter ihm her: „Bis morgen, Mr. Gray!“ Und trotz all der aufgewühlten Emotionen schafften ihre Worte es, dass dieses warme, gute Gefühl zurückkehrte. ~~*~~☕~~*~~ „Guten Morgen, Mr. Gray!“ Juvias freudestrahlendes Gesicht war ein wohlbekannter Anblick, aber heute kam er nicht umhin, die Geste zu erwidern. Nachdem er letzte Nacht auch noch so gut geschlafen hatte, dass er jetzt tatsächlich fit war, war das nicht einmal eine Anstrengung. Im Gegenteil, das kleine Lächeln kam natürlich und einfach. Es war ein schöner Morgen, sonnig und beinahe warm, der Himmel klar. Der Frühling kündigte sich an, wie man nicht nur an den Miniaturosterglocken erkennen konnte, die in bunten Körbchen auf den Tischen und dem Tresen standen. „Kaffee wie immer?“, wollte Juvia wissen und griff bereits nach einer Tasse. „Ja, aber ich muss gleich los.“ „Kein Problem!“, versprach sie und wechselte ohne hinzusehen zu einem der Pappbecher, um dann kurz an der Maschine zu hantieren. Während diese klackend ansprang, wandte sie sich wieder zu Gray und nahm das Geld entgegen. „Du siehst heute besser aus“, bemerkte sie beiläufig. „Juvia ist froh!“ Er zuckte mit den Schultern, die Hände in die Hosentaschen geschoben. „Und du, keine nervigen Exfreunde mehr da?“, versuchte er nonchalant zu bleiben und die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. Kichernd schüttelte sie den Kopf. „Nein, weit und breit keine in Sicht!“, beteuerte sie. „Anscheinend hast du ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt.“ Erneut zuckte er mit den Schultern, als wäre das keine große Sache. Was sollte er auch darauf sagen? Jeder hätte in dieser Situation so gehandelt, er war nichts Besonderes, auch wenn sie etwas anderes behauptete. Aber wenigstens hatte er heute seine Selbstbeherrschung wieder. „Hier ist dein Kaffee“, riss sie ihn aus den Gedanken und schob ihm den Becher über die Theke zu, während sie noch den Plastikdeckel darauf drückte. Er nahm ihn mit einem Nicken entgegen und hob die Hand zum Gruß, sich bereits abwendend. „Juvia hat noch etwas für dich, Mr. Gray“, hielt sie ihn auf. „Hä?“ Überrascht drehte er sich wieder zu ihr um. Sonnig strahlte sie ihn an, einen kleinen Korb vor die Brust haltend, der mit einer dunkelblauen Serviette abgedeckt war. Von wo hatte sie den hergezaubert? „Hier.“ Geradezu brüsk streckte sie ihm die Gabe mit beiden Händen entgegen. „Juvia hat sie nur für dich gemacht!“ Verwirrt nahm er den Korb entgegen, eher aus Reflex denn einer bewussten Entscheidung, und versuchte ungelenk, hinein zu spähen. In einer Hand den Korb und in der anderen den Kaffeebecher haltend war das gar nicht so einfach, okay! Doch der vertraute, himmlische Duft, der ihm entgegenschlug, ließ ihn den Inhalt bereits ahnen. „Du hättest das nicht machen müssen“, versuchte er es trotzdem. Juvia wollte nichts davon hören: „Du hast Juvia geholfen. Das ist das Mindeste, was ich für dich tun konnte. Und es hat mir Freude bereitet.“ „A-also gut.“ Er stellte den Becher ab und schlug die Serviette für einen kurzen Blick zurück. Tatsächlich stapelten sich die Schokomuffins darin, die er so gerne aß und die Juvia ihm erst gestern versprochen hatte. Juvias Lächeln hatte nichts von seiner Intensität verloren, bemerkte er, als er aufblickte, doch es war wieder kleiner, ruhiger, schöner… Wie gestern und erneut verfehlte es nicht seine Wirkung. Doch ihre Finger waren nervös in ihrer Schürze verkrampft und ihr Blick flackerte einen Moment, unsicher. Sein Widerstand fiel in sich zusammen. „Danke. Die werden mir den Tag versüßen.“ Sofort hellte sich ihr Gesicht wieder auf und das allein war den Besuch im Café wert, auch wenn er vorhin gezögert hatte, überhaupt hereinzukommen. „Ich werde dir den Korb morgen wieder vorbeibringen“, versprach er. „Schönen Tag noch.“ Er nahm seinen Kaffee wieder auf, schenkte ihr ein Lächeln und machte sich endgültig daran, das Café zu verlassen. Erst nach einigen Augenblicken erscholl hinter ihm ihre Stimme: „Bis dann, Mr. Gray!“ Und zum ersten Mal machte ihm der Spitzname nichts aus. Das war ein guter Tag. 2018 | 3. Day | Journey || Food for Thought (Building Family) ------------------------------------------------------------- „Wartest du auf jemanden?” Die melodische Stimme war warm und süß wie dunkler Honig und der Duft von Jasmin und Rosen stieg in Grays Nase, noch ehe er den Kopf wenden konnte, um die Sprecherin anzusehen. Der Geruch war nur fein, dezent, doch er fühlte sich, als würde er daran ersticken. Sie war schön; hochgewachsen und schlank mit exakt der Figur, die ihr Blicke von Männern und Frauen gleichermaßen einbrachte. Ihr kurzes Schwarzes, das einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté bot, ohne zu billig zu wirken, schmiegte sich um ihre Kurven. Es entblößte gerade genug tiefgoldener Haut, um sie begehrenswert erscheinen zu lassen. Sie hatte das passende Gesicht dafür, das umgeben war von einer Wolke dunkelbraunen Haares – schmal, ebenmäßig, hohe Wangenknochen, volle Lippen und funkelnde braune Augen, die weder so schön noch so expressiv wie Juvias waren. Ihre High Heels machten sie größer als ihn, erst recht in seiner sitzenden Stellung, und ihre perfekt inszenierte Schönheit ließ sie kühl und reserviert wirken, auf Abstand bleibend, abwartend. Ihr Knie streifte seines, als sie anmutig neben ihm auf den Barhocker glitt und die ellenlangen Beine übereinanderschlug, die beinahe so wohlgeformt waren wie Juvias. Unter ihren langen, dichten Wimpern blickte sie ihn verheißungsvoll an und die tiefrot geschminkten Lippen verzogen sich zu einem einladenden Lächeln. Sie legte ihre Tasche, die zu winzig war, als dass mehr hineinpassen konnte als ein Lippenstift und zwei Schlüssel, vor sich auf den Tisch. Ihre manikürten Fingernägel schillerten im Licht der Bar. „Denn du siehst aus, als würdest du einen schönen Abend verdienen und das geht besser zu zweit. Einen Gimlet, bitte.“, wandte sie sich direkt an den Barkeeper, der sich mit einem knappen Nicken wieder abwandte. Sie lehnte sich leicht zu Gray und der zarte Duft ihres Parfüms schwebte herüber, süßlich und viel zu deutlich. „Sie haben den besten Gin hier“, vertraute sie ihm an und ihr Blick wanderte anerkennend an ihm hinauf. „Und die besten Männer.“ Sie blinzelte, ihr Lächeln jetzt spitzbübisch. Vor fünf Jahren hätte er ihr Angebot ohne zu zögern angenommen. Aber jetzt… Jetzt lag die Sache anders und er musste den Fluchtreflex unterdrücken. Dabei konnte sie nichts dafür, dass sie ihn an seine Ex erinnerte. „Ich bin nur auf einem Businesstrip hier“, antwortete er darum abweisend und hoffte, dass sie den Wink verstand. Das war nicht das erste Mal, dass er von einer Frau ungebeten angeflirtet wurde. Die meisten wurden rasch von seinem barschen Verhalten verprellt, vor allem, wenn die Auswahl so groß war wie hier. Ein anderer Mann konnte ihr sicher einen angenehmeren Abend bieten. Sie befanden sich in der Bar des crocuser Hotels, in der die Architekturtagung stattfand, zu der Makarov ein paar seiner Mitarbeiter geschickt hatte. Die halboffenen Räumlichkeiten wirkten elegant und modern gleichzeitig, beschienen von goldenem Licht, das sich auf dem Glas und dem Chrom der Bar und den Möbeln spiegelte. Durch die großen Fenster konnte man in den Garten mit seinem Teich hinaussehen, bis hinüber zu der Terrasse des hauseigenen Restaurants, die um diese Jahreszeit unbenutzt war. Von seinem Platz an der Bar aus konnte er Macao und Wakaba sehen, die – nachdem sie ihr Glück vergeblich bei ein paar weiblichen Gästen versucht hatten – jetzt in eine lebhafte Diskussion mit anderen Teilnehmern der Tagung verwickelt waren. Bisca befand sich in ihrem Zimmer, da sie noch mit ihrer Familie skypen wollte, wusste Gray, doch Loke konnte er nirgendwo entdecken. Gray hoffte für ihn, dass er nicht irgendwo eine attraktive Frau gefunden und mit ihr verschwunden war. Lucy würde es herausfinden und ihm die Hölle heiß machen, ehe sie ihn fallen ließ wie eine heiße Kartoffel. Dabei sah das, was die beiden sich da aufbauten, tatsächlich ziemlich solide aus, und sie waren beide nicht sehr erfolgreich, was länger andauernde Beziehungen anging – aus sehr unterschiedlichen Gründen natürlich. Eigentlich wusste Gray gar nicht, was er hier wollte. Vielleicht sollte er die Frau abwimmeln, seinen Whisky leeren und von hier verschwinden. Auf seinem Zimmer konnte er immer noch das Tagungsmaterial durchgehen oder den Laptop anwerfen und sich auf Wohnungssuche begeben. Das winzige Apartment, in dem er im Moment lebte, hatte er nur genommen, um endlich von Natsus Couch herunterzukommen und war nicht das, was er sich unter einem Heim vorstellte. „Oh“, machte die junge Frau neben ihm und unterbrach seine Gedanken. Sie setzte sich wieder gerader auf und zog eine fein geschwungene Augenbraue hoch. „Zu eingespannt, um Arbeit mit Vergnügen zu mischen?“ Sie klang enttäuscht, aber noch hoffnungsvoll. „So was in der Art“, wehrte Gray ab und nippte an seinem Glas. Er hatte wirklich keine Lust, mit einer Wildfremden, die ihn ausgerechnet in einer Bar angesprochen hatte, über seine Probleme zu reden. Dass es nicht die Arbeit war, die ihn abhielt, konnte er nicht einmal sich selbst vormachen. „Ah“, antwortete sie verständnisvoll. „Nicht die Arbeit, aber Frauenprobleme.“ War er so leicht zu durchschauen? Und bedeutete es einen Fortschritt, dass ihm dabei automatisch Juvia in den Sinn kam und nicht mehr seine Ex…? Immerhin war es eigentlich letztere, deren Echo bei seiner Barbekanntschaft mitschwang. Oder vielleicht sollte er eher an Erza denken, die fünf Zentimeter davor war, ihn entweder in den Wahnsinn oder einen Nervenzusammenbruch zu treiben. Erza war auf jeden Fall die sicherste, gefahrloseste Wahl, die am wenigsten Komplikationen mitbrachte. Bevor er etwas antworten konnte, wurde eine Cocktailschale mit trübweißem Inhalt vor der Brünetten abgestellt, an deren Rand ein Limettenrädchen gesteckt worden war. Sie dankte mit einem Nicken und einem Lächeln und beschäftigte sich ein paar Augenblicke damit, umständlich das Geld aus ihrer winzigen Tasche zu suchen. Als der Barkeeper sich entfernte, beantwortete Gray ihre Frage mit einem unverbindlichen Schulterzucken und einem unbestimmten Geräusch. Sollte sie daraus doch machen, was sie wollte. „Zu dumm“, erklärte sie und prostete ihm zu, ehe sie an ihrem Glas nippte. „Wir hätten viel Spaß miteinander haben können.“ Sie lächelte noch einmal und rutsche von dem Barhocker. „Schade.“ Kurz drückte sie seine Schulter, als sie an ihm vorbeiging, eine seltsam freundschaftliche Geste, vor allem für eine Frau, die gerade noch mit ihm geflirtet hatte. „Für was das auch immer gut sein mag, viel Glück mit deiner … Freundin.“ Ihre Worte klangen sogar ehrlich und mit schwingenden Hüften wanderte sie davon, den nächsten einsamen Mann ansteuernd, der ihr ins Auge fiel. Anscheinend wollte sie daran festhalten, eine aufregende Nacht zu erleben. „Weißt du“, bemerkte Loke, als er sich auf den Stuhl schwang, den sie eben verlassen hatte, und ertappt wandte Gray sich zu ihm um. Doch Loke sah an ihm vorbei zu der Frau, ehe er den Blick auf Gray richtete und fortfuhr: „Ich fühle mich beinahe ein wenig beleidigt, dass du sie einfach so abgewimmelt hast.“ Heftig wandte Gray sich ab. „Ich bin nicht in Stimmung für sowas.“ „Für was genau? Eine heiße Nacht? Eine schöne Frau?“ Loke zog die Augenbrauen hoch. „Oder vielleicht ein Abenteuer ohne Bindungen?“ Gray fühlte sich, als hätte sein Freund ihm in den Magen geboxt. Wie konnte er den Nagel so genau auf den Kopf treffen? Und wieso fing er jetzt auch noch damit an? Als ob Lucy und Natsu ihm nicht schon genug damit in den Ohren liegen würden. Zum Glück war Erza gerade anderweitig beschäftigt, ansonsten würde er vermutlich von einem Blind Date zum nächsten stolpern. „Ehrlich gesagt habe ich keine Lust, ausgerechnet mit dir über sowas zu sprechen“, wehrte Gray ab und leerte den Rest seines Drinks, ehe er von seinem Stuhl rutschte und seine Jacke von der Lehne nahm. „Ich verzieh mich. Wir sehen uns dann morgen, schätze ich.“ Damit wandte er sich ab und ging davon, die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Jaaaah“, antwortete Loke langgezogen und beeilte sich, zu ihm aufzuschließen. „Nein. Nein, ich glaube nicht.“ Er warf einen Arm über Grays Schultern, als sie die Lobby betraten, und dirigierte ihn in die Richtung des Ausgangs. „Da geht’s lang.“ „Manchmal frage ich mich, was Lucy in dir sieht“, bemerkte Gray und blieb stehen. Loke stoppte abrupt. „Hey, man, jetzt nicht persönlich werden, ja? Ich verhalte mich wie ein perfekter Gentleman. Und du brauchst ein wenig frische Luft, nun komm schon. Dein einsames Zimmer läuft dir nicht weg.“ Er machte eine Kopfbewegung in die Richtung der Tür, hinter der ein paar beleuchtete Treppenstufen zum Gehweg hinunterführten. „Du wirst mich nerven, bis ich nachgebe.“, stellte Gray nach einem Moment fest und Loke grinste ihn an. „Du hast es erfasst. Wer so einer schönen Frau, die keinen Hehl aus ihrem Interesse macht, einfach den Laufpass gibt, hat Redebedarf.“ „Ich werde nicht zurückgehen und mit ihr reden, ganz egal, was du mir erzählst“, stellte Gray klar. „Das meinte ich auch nicht und jetzt komm.“ Loke drehte sich um und stieß die Tür auf, um das Hotel zu verlassen. Er schien sich absolut sicher darüber zu sein, dass Gray folgen würde und genau darum war dieser einen Moment versucht, sich einfach umzudrehen und doch auf sein Zimmer zu gehen. Aber dann gab er mit einem Seufzen auf und folgte seinem Kollegen. Loke würde es ihm ewig vorhalten, wenn er ihn einfach so stehen ließ. Sie arbeiteten zwar erst ein paar Monate zusammen, aber beim Studium waren sie sich schon einige Male über den Weg gelaufen, auch wenn Loke ihm zwei Semester voran gewesen war. Darum war es leicht gewesen, die Freundschaft wiederaufleben zu lassen und schließlich auszubauen. Irgendwie passte Loke auch perfekt in seinen Freundeskreis, nicht nur, weil er und Lucy angefangen hatten zusammen auszugehen. Er verstand sich zu Grays Erschrecken sogar hervorragend mit Cana, obwohl sie ihm bei ihrem ersten Treffen den Kater meines Lebens verschafft hat, Gray, bist du sicher, dass diese Frau kein Loch als Magen hat? Die frische Nachtluft schlug Gray entgegen, als er auf den Gehsteig trat, und er war froh, dass er seine Jacke mitgenommen hatte. Die Tage waren im Moment frühlingshaft warm, doch jetzt, da die Sonne weg war, zeigte es sich deutlich, dass sie noch nicht einmal April hatten. Loke sagte nichts, als er den Weg zur Uferpromenade einschlug, die am Burggraben entlangführte, der das Mercurius umgab. Das beeindruckende königliche Schloss wurde von außen mit Scheinwerfern beschienen, so dass es selbst jetzt in der Nacht gut zu erkennen war. Ihr Licht reichte jedoch nicht in den kleinen Park der Promenade, die von altertümlichen Straßenlampen erhellt wurde, die sie sich entlang des Weges erhoben. Der Kies knirschte unter ihren Schuhen und das Wasser plätscherte leise ans das begrünte Ufer. Außer ihnen befanden sich nur noch wenige Leute hier, einige Paare auf einem romantischen Abendspaziergang, ein paar vereinzelte Jogger und natürlich Hundebesitzer, die jetzt noch eine kurze Runde Gassi gingen. Die Luft war klar und kalt, der Himmel wolkenlos, aber durch die Lichtverschmutzung war kaum der Mond zu erkennen geschweige denn irgendwelche Sterne. Tatsächlich fühlte Gray, wie er sich nach einer Weile entspannte. Die Kälte vertrieb alle Müdigkeit und der Spaziergang in einvernehmlicher Stille ließ zu, dass sich ein Gefühl von Ruhe in ihm ausbreitete, die ihm seit einigen Wochen zu fehlen schien. Hier in Crocus, weg von Magnolia, wo all seine Probleme waren – Juvia, seine Ex, sein Vater, selbst Erza. Es war ihm alles über den Kopf gewachsen, aber hier fühlte er sich, als hätte er es hinter sich gelassen, zumindest für den Moment. „Hat Lucy dich dazu angestiftet?“, eröffnete er schließlich das Gespräch, als er sich bereit dazu fühlte. „Wenn ich jetzt ‚Nein‘ sagen würde, würdest du mir glauben?“, war die lakonische Gegenfrage und Gray schmunzelte. „Nein. Nein, nicht wirklich.“ „Okay, dann lüge ich dich nicht an.“ Für einen Moment verfielen sie wieder ins Schweigen. Doch anscheinend fasste Loke diesen Gesprächsbeginn so auf, dass Gray jetzt bereit war zum Reden, denn nach ein paar Metern erklärte er: „Sie macht sich nur Sorgen.“ Gray fuhr durch die Haare. „Ich weiß.“ Tatsächlich war Lucy unter seinen Freunden die, der er die ehrliche Sorge um ihn am ehesten abnahm. Natsu meinte es zwar auch nicht böse, aber er hatte manchmal ein paar verquere Ideen dazu, wie man jemanden am besten aufmunterte. Und Erza… Erza hatte stets ihre eigenen persönlichen Vorstellungen und sie war die größte Romantikerin, die Gray kannte. Aber nur, weil sie Den Richtigen getroffen hatte, hieß das noch lange nicht, dass es allen anderen ebenso gehen würde, ganz egal, was sie verdienten oder nicht. So ein glückliches Leben bis ans Ende ihrer Tage war nur wenigen vorbehalten und Gray gehörte nicht dazu. „Vielleicht solltest du sie lassen“, schlug Loke sachte vor. „Oder vielleicht sollte sie mich einfach in Ruhe lassen und akzeptieren, dass ich zufrieden bin mit dem, was ich im Moment habe“, wehrte Gray heftig ab. Er hatte wirklich genug von Leuten, die meinten, ihre Nase in Dinge hineinstecken mussten, die sie nichts angingen! Er hatte alles unter Kontrolle, endlich wieder. „Ach ja? Bist du das wirklich?“ Gray öffnete den Mund für eine heftige Antwort, aber sie beide wussten, dass er nicht guten Gewissens ‚Ja‘ sagen konnte. Nicht, ohne zu lügen. Die Antwort war, er war immer noch am Arsch und wie konnte er jemandem wie Juvia, der glücklichen, bezaubernden, herzlichen Juvia, so etwas Kaputtes zumuten? Aber Loke beließ es zum Glück dabei. Seinen Punkt hatte er bereits klar gemacht. Gray starrte mit zusammengezogenen Brauen auf den Boden, die Hände tief in den Taschen vergraben, und sagte nichts. Er wünschte, er hätte sich nie auf dieses Gespräch eingelassen. Und er musste ein ernstes Wort mit Lucy reden. Entweder, sie hatte zu viel über Angelegenheiten geredet, die nicht die ihren waren, oder Loke war scharfsinniger, als Gray ihm zugetraut hatte. Vielleicht war es eine Mischung. „Welche Frau meinte sie eben?“, fing Loke schließlich erneut an und er klang dabei ehrlich neugierig. „Deine Barbekanntschaft, meine ich, welche Freundin meinte sie?“ „Die, mit der ich Probleme habe“, grummelte Gray kurz angebunden. Loke hatte gerade den Finger nicht nur auf die Wunde gelegt, sondern ihn gleich hineingesteckt und gedreht. Außerdem war es Gray immer noch nicht recht, darüber ausgerechnet mit ihm über solche Dinge zu reden. Mit Loke, dessen Erfolgsgeschichte bei Frauen sehr zu wünschen übrigließ und der auf der Uni einen weitreichenden Ruf gehabt hatte. Auf der anderen Seite schaffte er es doch immer wieder, sich eine neue Freundin zu angeln und keine trug ihm besonders lange etwas nach. Außerdem schien Lucy wirklich glücklich mit ihm zu sein und Lucy war jemand, auf den man sich verlassen konnte. Trotz ihrer romantischen Anwandlungen stand sie mit beiden Beinen fest im Leben, hatte einen vernünftigen Kopf auf den Schultern und ließ sich von niemandem etwas gefallen. Loke gab ein unverbindliches Brummen von sich und fragte nach einigen Metern: „Und wen genau hat sie damit gemeint?“ Gray warf ihm einen Seitenblick zu und antwortete dann kurz angebunden: „Erza.“ Das war nicht einmal gelogen, auch wenn es natürlich auch nicht die Wahrheit war. Erza war ein vorübergehendes Problem, nach der Hochzeit würde sie wieder ganz die Alte sein. Ungläubig starrte Loke ihn an. „Erza? Stellst du dich gerade dumm oder was ist mit dir los?“ Gray zuckte entschuldigend mit den Schultern. Aber tatsächlich war die Person, die ihn gerade am meisten stresste, seine beste Freundin – nicht Makarov, nicht Capricorn, nicht irgendwelche Unternehmer oder Auftraggeber, nicht Juvia und nicht einmal seine Ex. Nur war das eben eine Art von Stress, der auf einer ganz anderen Ebene lief, und es gab ein Datum, an dem alles vorbei sein würde. „Ich hätte einfach ablehnen sollen, ihr Trauzeuge zu sein“, erklärte er, obwohl er wusste, dass er das nie getan hatte. Trotz allem war Erza seine beste Freundin. Er kannte sie seit der ersten Klasse, als sie ihn verprügelt hatte, weil er eine dumme Bemerkung gemacht hatte, an die er sich nicht einmal erinnerte. Seitdem waren sie Freunde und sie war immer für ihn da gewesen. Immer – nicht nur während der Kleinigkeiten, die sich bei Teenagern und Studenten so anhäuften und aus irgendwelchem Ärger über Noten, Mädchen, Liebeskummer, Streit mit Natsu und solchem Mist bestanden. Sondern auch während der langen Krankheit seiner Mutter, die in Mikas Tod geendet hatte, auch während dem immer tiefer werdenden Zwist mit seinem Vater, obwohl sie diesen missbilligte, und vor allem während seiner letzten Beziehung, die in so einem Fuck-up geendet hatte. Das Mindeste, was er jetzt und konnte, war ihr zu helfen, ihre Hochzeit zu organisieren. „Gray, ich will dies, Gray, mach das, Gray, stell sicher, dass das so und so ist und wehe, das ist nicht ganz genau so, wie ich mir das vorstelle!“, ahmte er sie übertrieben nach und verdrehte die Augen. „Allein heute hatte sie mir zehn Nachrichten zu Dingen geschrieben, an die ich denken soll, und in drei davon hat sie sich selbst widersprochen. Erza ist Bridezilla.“ Er fasste sich an den Kopf. „Sie ist Romantikerin und Perfektionistin in einem und hat ganz genaue Vorstellungen. Wenn dieser Tag nicht ganz genau so wird, wie sie das will, wird die Welt untergehen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum Jellal sich das antun will.“ Loke hatte dem Wortschwall mit weit aufgerissenen Augen zugehört, doch jetzt lachte er laut los. Gray starrte ihn säuerlich an, ehe er seine Hände heftig in seine Jackentaschen schob und weiterging. Er wusste, die Situation war irgendwie absurd, aber auf der anderen Seite steckte er mittendrin fest. Und wenn Erza ein Talent hatte, dann war es das, absurd zu etwas zu machen, das funktionierte. Hinter ihm brauchte Loke eine ganze Weile, ehe er sich so weit beruhigt hatte, dass er wieder aufschließen konnte. Er kicherte immer noch, als er wieder neben Gray in den Schritt fiel. „Wie schön, dass du das witzig findest“, murrte dieser finster. Loke schlug ihm auf die Schulter. „Kein Wunder, dass du so schlechte Laune hast, wenn du alles mit so einer ernsten Einstellung nimmst. Vielleicht hättest du das Angebot gerade annehmen sollen, ich habe gehört, dass Sex ohne Bindungen auflockern und dich das Leben von der positiveren Seite nehmen lassen soll.“ „Du bist echt der Letzte, mit dem ich über Sex reden will.“ „Glaub mir, du bist auch nicht gerade mein bevorzugter Gesprächspartner für dieses Thema, aber anscheinend muss jemand es anschneiden oder du wirst bis an dein Lebensende im Zölibat bleiben und du hast Besseres verdient. Was hat denn mit der eben nicht gestimmt? Oder besser, was hält dich ab?“ Gray starrte ihn für einen Moment an, dann wandte er sich heftig ab. „Midnight White“, presste er schließlich hervor. „Was?“ Loke verstand offensichtlich gar nichts mehr. „Das Parfüm, das sie trug“, klärte Gray auf. „Jasmin und Rosen. Briar hat es ebenfalls benutzt. Ich…“ Er fuhr sich durch die Haare. Das hatte ihn am meisten mitgenommen. Ihm war schlecht. Verdutzt blieb Loke stehen. „Deine Ex?“ Er beeilte sich, um wieder neben Gray in Schritt zu fallen. „Ungünstig.“ „Ja. Sie… Ich hab einfach keine Lust darauf, okay?“ Keine Lust zu reden, kein Lust, erinnert zu werden, keine Lust auf seine Ex, die ihn so durch den Fleischwolf gedreht hatte. Loke wusste nicht wirklich, was zwischen Gray und seiner Ex vorgefallen war, den Scheiß, den Briar abgezogen hatte, und all das, auf das Gray sich ein- und was er zugelassen hatte. Er hatte nur eine gekürzte Version der Geschichte gehört, dass Briar sich ein paar unerfreuliche Sachen erlaubt und Gray es wie ein dummer Junge einfach akzeptiert hatte. Aber es war nicht so schlimm, wie Lucy behauptete. Es hatte nichts mit… mit Missbrauch oder sowas zu tun. Gray war nicht so schwach, dass er das zulassen würde, und nicht so dumm, dass er das nicht erkennen würde. So etwas passierte anderen Leuten, nicht ihm. Er war einfach nicht dieser Typ von Mann, okay?! „Okay, das verstehe ich“, gab Loke zu, unwissend über Grays interne Leugnung. „Aber was hält dich davon ab, Juvia endlich auf ein Date zu fragen? Die Leute werden langsam ungeduldig, dass keiner den Wetteinsatz gewinnt.“ „Wie kommst du jetzt ausgerechnet auf Juvia? Sie hat mit all dem gar nichts zu tun.“ Ach nein?, flüsterte eine kleine, gemeine Stimme in Grays Hinterkopf. Hast du die Frau eben nicht die ganze Zeit mit ihr verglichen und gar nicht mit Briar? Schaust du sie nie länger an als nötig? Freust du dich nicht jeden Morgen darauf, sie im Café zu sehen? Wartest du nicht immer darauf, dass sie dir wieder dieses Lächeln schenkt? Tu nicht so, als ob deine Laune sich nicht hebt, nur weil sie dich begrüßt, du Idiot. „Du flirtest mit ihr“, antwortete Loke trocken, als würde das alles beweisen. „Tue ich gar ni-“ Gray unterbrach sich abrupt und er runzelte misstrauisch die Stirn. „Was meinst du mit Wetteinsatz?“ „Ups, habe ich das gesagt? Du musst dich verhört haben.“ Loke wandte sich ab und schaute in der Gegend herum, als ob alles interessanter wäre als Gray, die Bäume und Büsche, die außerhalb des Lichtscheins nur Silhouetten waren, das Wasser, der gekieste Weg. Er war sogar dreist genug, dass er anfing zu pfeifen. „Nimmt dir irgendwer diese Unschuldsnummer ab?“ Loke lachte leise. „Nein. Aber so schlimm ist es mit dir. Alle – und damit meine ich wirklich alle, selbst Makarov und sogar Capricorn – im Büro haben darauf gewettet, wann du endlich klein beigibst und Juvia nach einem Date fragst. Frag Bisca, sie spielt Schriftführerin.“ Ungläubig starrte Gray ihn an. War es jetzt schon so weit gekommen? Dass seine eigenen Kollegen Wetten auf sein Liebesleben abschlossen?! „Wir drücken dir alle die Daumen“, beteuerte Loke ihm. „Ganz egal, wann du es machst.“ Darauf konnte Gray nichts sagen, also wandte er sich mit einem abfälligen Geräusch ab und der Kies knirschte unter seinen Schuhen, als er heftiger auftrat. „Ihr wisst nicht einmal, ob sie interessiert ist.“ Das brachte ihm nur ein belustigtes Schnauben ein. „Entweder steht sie auf dich oder sie ist Kannibalin und hat dich als ihr nächstes Opfer auserkoren.“ Grays Kopf schnellte herum, dass sein Nacken knackte. „Was?“ Was war denn das für ein seltsamer Gedankensprung?! „Du solltest dein Gesicht sehen.“ Loke kicherte. „Nein, im Ernst, die Frau mästet dich mit ihren Muffins und Cookies, da könnte man fast neidisch werden. Da ist es nicht sehr schwer zu erraten, dass sie dich mag. Mehr als den Rest von uns.“ „Das ist nur, weil ich ihr mit ihrem Ex geholfen habe“, wehrte Gray ab und stützte sich mit den Armen auf dem Geländer ab, das davon abhalten sollte, in den Burgraben zu fallen. Auf dem Wasser glitzerte das Licht der Straßenlampen. So musste er Loke wenigstens nicht ansehen. Er wusste selbst, dass es nur eine Ausrede war, dass Juvias Gefühle tiefer gingen als nur pure Dankbarkeit. Dass er sich schlichtweg weigerte, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, weil er sich dann ein paar unangenehmen Fragen stellen musste. Zumal Bora kaum eine ernstzunehmende Gefahr dargestellt hatte. „Das habe ich dir bei dem ersten Korb abgenommen“, schlug Loke die Worte in den Wind. Er lehnte sich neben Gray mit dem Rücken an die Brüstung. „Vielleicht noch bei dem zweiten, aber sie bringt dir alle drei Tage wieder etwas mit. Du kannst nicht ernsthaft glauben, dass sie das wegen so einem kleinen Zwischenfall macht.“ „Tu nicht so, als ob ihr alle nicht Nutznießer davon wäret“, knurrte Gray und zog den Kragen seiner Jacke höher, als ob ihn das davor bewahren könnte, etwas zu sagen. Vermutlich wirkte er so allerdings eher wie ein schmollendes Kind. „Jetzt kommst du mit Ablenkung“, erkannte Loke sofort. „Gute Taktik, aber das wird dir hier nichts bringen.“ Gray brummte nur und stopfte sich die Hände wieder in die Jackentaschen. Vielleicht half ihm das ja, diese nervige Klette endlich loszuwerden, die ihn so mit ihren Worten und überraschend genauen Beobachtungen traktierte? „Das Gleiche gilt dafür, mich einfach anzuschweigen.“ Gray wandte sich ab und ging weiter, seine Schritte schneller als unbedingt nötig, noch immer schweigend. „Das auch nicht.“ Jetzt klang Loke eindeutig belustigt. Er hatte keine Mühe dabei, mit Gray Schritt zu halten. „Sag mir, was das Schlimmste ist, was passieren könnte, wenn du Juvia auf ein Date fragst?“ Überrascht hielt Gray inne. Warum musste sein Gesprächspartner eigentlich immer solche Sprünge machen und das Problem von neuen Seiten angehen? Das half ihm wirklich nicht, alles einfach zu verdrängen und den Status Quo so zu belassen, wie er jetzt war. Nicht perfekt, aber … gut. In Ordnung. „Sie wird nicht ablehnen, falls es das ist, um das du dir Sorgen macht.“ Aber vielleicht verbarg sich hinter Juvias lächelndem Gesicht etwas ganz anderes, etwas, das man ihr auf den ersten, den zweiten und auch den dritten Blick gar nicht zutraute. Es war nicht so, als hätte er mit Briar nicht exakt diese Erfahrung gemacht, verdammt noch mal! Damals war am Anfang auch noch alles toll und aufregend gewesen. Aber er wollte das nicht glauben. Er wollte, dass Juvia weiterhin diese herzliche, gütige Person blieb, für die er sie hielt, etwas aufdringlich vielleicht, aber liebenswürdig und charmant auf eine arglose, ehrliche Art. Was, wenn er sie näher kennenlernte und dieses Bild zerstörte? Wenn alles durcheinandergeworfen wurde, was sie sich aufgebaut hatten, das morgendliche Ritual, wenn er seinen Kaffee und vielleicht einen Schokomuffin holte? Was, wenn wieder alles in sich zusammenbrach? Was, wenn sie noch viel besser ist als das, was du dir da ausmalst?, wollte die kleine Stimme in seinem Hinterkopf wissen. Seit wann bist du so ein Feigling? „Und was ist das Beste, das passieren könnte?“, echote Loke seine Gedanken. Dann runzelte er die Stirn und starrte auf den Boden. Mit den Schuhen scharrte er leicht im Kies, ehe er sich selbst wieder davon abhielt. „Ich… ich weiß, ich bin nicht so wirklich der Typ für einen Rat für längere Beziehungen. Ich habe nie daran geglaubt, dass so etwas funktionieren kann.“ Das klang ja nicht sehr ermutigend. Gray zog skeptisch die Augenbrauen hoch, immerhin betraf das auch Lucy, die ihm wichtig war. Und sie glaubte definitiv an das Happy End. Doch Loke war noch nicht fertig. „Aber ich glaube, Lucy ist diejenige welche. Für mich. Und ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Das ist alles neu für mich. Aber ich will es versuchen. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde das schon herausfinden und Lucy hat glücklicherweise Geduld mit mir.“ Er blickte auf und sein Gesicht war ernst. „Du solltest es auch versuchen. Und mit Juvia stehen deine Chancen gar nicht so schlecht.“ „Du wirst nicht aufhören mich zu nerven, bis ich zustimme, oder?“ Gray beschloss, Lucy keine Tipps zu geben, wie sie ihre Beziehung vorantreiben konnte. Noch war nichts zwischen den beiden offiziell, aber Loke musste das schon selbst klären. „Nope.“ Der grinste ihn jetzt nur herausfordernd an. „Tu nicht so, als ob du das nicht willst.“ „Nein, will ich nicht“, bestätigte Gray sofort, aber gleichzeitig stellte er überrascht fest, dass diese Worte nicht der Wahrheit entsprachen. Vor seinem inneren Auge erschien Juvia, ihr stilles Lächeln, ihr strahlendes Gesicht, das so expressiv war, ihre lebhafte Gestik. Er konnte ihre neckenden Worte hören, die doch immer mit einem herzlichen Tonfall gesprochen wurden, niemals boshaft; Bist du heute morgen aus dem Bett gefallen, Mr. Gray? Oder die Geste, wenn sie ihm mit beiden Händen ein kleines Körbchen überreichte, vollgepackt mit Leckereien; Ich habe etwas für dich mitgebracht, Mr. Gray! Da war immer Hoffnung in ihren Augen und Zuversicht. Es traf Gray wie einen Schlag ins Gesicht. Er wollte mit ihr ausgehen. Er wollte sie näher kennen lernen. Er wollte wissen, wohin das führen konnte. „Wenn du das sagst“, gab Loke nach. Sein skeptischer Tonfall zeigte deutlich, dass er kein Wort geglaubt hatte. Als Gray ihn anblickte, wackelte er mit den Augenbrauen und grinste, aber er verkniff sich jeden weiteren Kommentar. Gray warf die Arme hoch. „Also schön, du hast gewonnen. Aber wenn das nicht funktioniert, schiebe ich alles auf dich.“ So ganz einfach klein beigeben konnte er auch nicht, oder? Loke würde ihm das ewig unter die Nase reiben. „Okay, das kannst du gerne tun. Ich bin nur froh, dass du endlich nach vorne blicken willst.“ Lokes Worte waren ernst und er drückte Gray kurz ermutigend die Schulter, ehe er den Spaziergang wieder aufnahm. Dieser brauchte einen Moment, ihm zu folgen. Er fühlte sich gut, ganz anders als zu dem Zeitpunkt, als sie vom Hotel aufgebrochen waren und der Geruch des Parfüms nach Jasmin und Rosen noch immer seine Nase verstopft hatte. Sicherer und ein wenig leichter. Die Luft war rein und kühl, der Abend schön und die Nacht klar. Er hatte wieder ein Ziel vor den Augen und … er freute sich drauf, Juvia wiederzusehen und auf das Strahlen in ihrem Gesicht, wenn er es irgendwie geschafft hatte, die Einladung auszusprechen. Auf ihr Lächeln. Dann klopfte Loke ihm grinsend auf den Rücken. „Aber lass dir nicht zu viel Zeit damit, sonst verliere ich meine Wette.“ 2018 | 2. Day | Misunderstanding || He loves me, he loves me not (Building Family) ---------------------------------------------------------------------------------- Nervös zupfte Juvia den Saum des blauweiß gestreiften Pullovers zurecht, für den sie sich nach langem Überlegen entschieden hatte. Der dünne Stoff war weich und lag locker an, nicht zu eng, denn davor hatten alle Ratgeber, die sie im Internet gefunden hatte, gewarnt. Mach beim ersten Date nicht gleich auf supersexy – es sei denn, Sex ist das Einzige, das du willst. Zeig aber trotzdem, was du hast! Sie ließ den Blick über die Fassade des River Mermaid Restaurant gleiten, das in einem der Neubauten untergebracht war, die sich harmonisch in das historische Straßenbild Magnolias einfügten. Es war ein hohes Gebäude aus hellem Stein mit großen Fenstern, aus denen freundliches Licht drang. Stuck und Vorsprünge erzeugen die Illusion von Alter. Auf einer hölzernen Veranda davor waren Tische und Stühle aufgebaut worden, überdacht von einer dunkelblauen Markise und vage eingegrenzt von langen Blumenkästen, in denen es trotz der frühen Jahreszeit bereits kräftig grünte und blühte. Viele Leute saßen freilich nicht draußen, dazu war es einfach noch zu frisch, vor allem, wenn die Sonne verschwand. So wie es auch jetzt geschah, immerhin war es schon spät. Das Restaurant lag noch in der Fußgängerzone, etwas abseits, so dass der allgemeine Verkehrt von Passanten nicht direkt daran vorbeizog. Der Fluss machte hier eine scharfe Biegung, geleitet von dem Kanal, der schon im Mittelalter gebaut worden waren. Es gab sogar eine Terrasse hinten hinaus, die auf Stelzen in den Fluss hineinragte. Das River Mermaid war als eines der besten Restaurants der Stadt und das sah man ihm und seinen schick gekleideten Gästen auch an. Ein paar der Damen trugen sogar Abendgarderobe! Gourmetzeitschriften schwärmten von den vorzüglichen Gerichten und sogar Stars gingen hier ein und aus. Juvia fühlte sich fehl am Platz in ihrem Pullover, dem dunkelblauen Faltenrock und der leichten Jacke, die sie darüber trug. Die hohen Markenstiefel aus weichem Leder, die sie trotz Preisreduzierung ein halbes Vermögen gekostet hatten, kamen ihr auf einmal billig vor. Am liebsten wäre sie umgedreht und wieder weggelaufen. Aber das würde bedeuten, ein Date mit Gray zu verpassen. Ihr wurde noch immer heiß und kalt bei dem Gedanken daran, dass er sie auf ein Date gefragt hatte. Sie! Mit ihm! Gray hatte sie eingeladen! Sie! Die Aufregung hatte bewirkt, dass sie ihm kaum hatte zuhören können, und während der Woche war sie immer wieder zurückgekommen und hatte sie abgelenkt. Genug, dass es sogar Gajeel aufgefallen war und ihr großer Bruder war in etwa so feinfühlig wie ein Klumpen Eisen, vor allem wenn es um Romantik ging. Ihre Hand schloss sich fester um den Riemen ihrer Handtasche und sie holte tief Luft. Als Gray ausgerechnet das River Mermaid vorgeschlagen hatte, hatte sie nicht daran gedacht, dass sie noch niemals ein Fünf-Sterne-Restaurant betreten hatte und schon gar keines wie dieses. Sie lief immer nur daran vorbei und beäugte neidisch die Leute, die darin saßen, und insbesondere die Frauen, die in ein solches Lokal ausgeführt wurden. Bei allen ihren Exfreunden war ein ‚besseres‘ Restaurant die Pizzeria um die Ecke gewesen anstatt die Lieblingskneipe oder sogar der nächste Imbiss, wie sie es sonst gewohnt war. Gray war eine ganz andere Liga als sie alle zusammengenommen und mit einem Mal fragte sie sich, ob sie überhaupt gut genug für ihn war. Gray selbst denkt das, oder?, schalt sie sich selbst. Immerhin war das Date seine Idee gewesen, das alles beruhte auf seiner Einladung. Und er war einfach nicht der Typ dafür, der so etwas aus Spaß machte. Ganz zu schweigen davon, dass sie längst aus dem Alter für solche kindischen Streiche herauswaren. Aber Gray weiß auch nicht sonderlich viel über dich, flüsterte die gemeine, aber realistische Stimme ihres Unterbewusstseins. Was, wenn er enttäuscht von ihr sein würde? Wenn er jemanden mit mehr Bildung erwartet hatte oder jemanden aus der Mittelschicht oder jemanden, der Fiore zumindest einmal verlassen hatte? Jemand, der einfach klüger und weltgewandter und … und … gebildeter war als Juvia? Ärgerlich runzelte sie die Stirn und schob diese niederschmetternden Gedanken energisch beiseite. Seit Tagen schon sagte sie sich, dass sie sich nicht damit aufhalten durfte. Wie konnte sie die Antwort herausfinden, wenn sie sich nicht darauf einließ, sondern wegrannte wie ein Feigling? Entschlossen setzte sie sich wieder in Bewegung und ging auf die Doppelflügeltür mit den Glaseinsätzen zu, die ins Innere des Restaurants führte. Durch einen Windfang und eine zweite Tür gelangte sie in den großen Hauptraum, der geschickt so aufgeteilt war, dass er kleiner und privater wirkte, als er eigentlich war. In der Mitte befand sich eine Bar, die sich rings um einen mit Holzwänden kreisförmig abgetrennten Bereich zog, vermutlich einen Vorratsraum, wie Juvia mit ihrer eigenen Erfahrung im Gastronomiebusiness vermutete. Alles wirkte modern, angefangen bei den Möbeln über die abstrakten Bilder an den Wänden, die in beruhigenden Blau- und Grüntönen gehalten waren, bis hin zum Geschirr, das mitunter seltsame Formen besaß. Pflanzen brachten etwas Leben herein, gemeinsam mit den phantasievollen Raumteilern, die moderne Kunst und Aquarien beinhalteten, und dem Holzboden aus schweren Eichenbohlen. Eigentlich fand Juvia den modernen Stil, der gerade überall so in zu sein schien, gar nicht schön, eher unpersönlich und kühl. Sie bevorzugte etwas Heimeligeres, Niedlicheres. Doch das River Mermaid wirkte einladend und freundlich. Das schienen auch noch genug andere Leute zu denken, denn das Restaurant war gut besucht – nicht überfüllt, aber das konnte gut und gerne einfach daran liegen, weil es so groß war. „Guten Abend“, begrüßte die junge Frau hinter dem kleinen Empfangstresen sie mit einem professionellen Lächeln. Sie war klassisch hübsch, mit einem geschmackvollen schwarzen Kleid, das ihre schlanke Figur betonte, ohne sie dabei zu sehr hervorzuheben. „Willkommen im River Mermaid! Haben Sie eine Reservierung?“ „Guten Abend, uh…“, machte Juvia unsicher und ihr Lächeln wackelte. Dann gab sie sich einen Ruck. Was sollte diese Frau nur von ihr denken, wenn sie hier so herumstotterte? Eigentlich war sie doch viel souveräner! Immerhin war sie schon lange keine achtzehn mehr, auch wenn sie sich schon seit ein paar Tagen wie ein Teenager vor dem ersten Date fühlte und – laut Gajeel und Meredy – ebenso aufführte. „Ja, Juv… meine Verabredung hat einen Tisch reserviert. Auf den Namen Fullbuster?“ Unwillkürlich krampften sich ihre Finger um den Riemen ihrer Tasche. Was, wenn Gray es sich anders überlegt oder es vergessen oder einen anderen Namen benutzt hatte oder…! Sie würde dastehen wie ein Idiot. Doch die Empfangsdame warf nur einen kurzen Blick in das edel wirkende Buch, das aufgeschlagen vor ihr lag, und schenkte Juvia dann ein weiteres, zuvorkommendes Lächeln. „Bitte folgen sie mir.“ Mit einer dienstbereiten Geste bedeutete sie Juvia in den hinteren Teil des Raums zu treten. Sie führte sie an der Bar vorbei zu der großen Fensterfront, von der man einen hervorragenden Blick auf die hölzerne Terrasse und den Fluss hatte. Auch draußen hatten sich bereits Gäste eingefunden, die teilweise eingemummelt in den vom Restaurant gestellten Decken gemütlich auf ihren Stühlen und Bänken saßen und das Essen, die Unterhaltung und das Ambiente genossen. Während des kurzen Wegs nach hinten, musste Juvia sich halten, um nicht zu starren. Sie fühlte sich ein wenig, als hätte sie eine andere Welt betreten, wie Cinderella im Märchen, als sie auf den Ball gegangen war. Alle Leute hier wirkten so schick und kultiviert und erneut kam sie sich schlicht und unbedarft vor. Was, wenn Gray enttäuscht sein würde? Nur war das völliger Blödsinn, es war ja nicht so, als ob sie nie aus dem Haus kommen würde! Sie war schon in Crocus gewesen und in Clover Town und sogar in Dawn City auf der anderen Seite des Landes. Belno, ihre Chefin, lud die ganze Belegschaft jedes Jahr in ein schickes Restaurant zum Weihnachtsessen ein, wenn auch nicht ganz so gehoben wie das River Mermaid. Aber trotzdem erschien es ihr jetzt völlig anders. Vielleicht lag es daran, dass sie ein Date hatte und zwar mit dem Mann, dessen Aufmerksamkeit sie seit Monaten versuchte, auf sich zu ziehen. Und jetzt, da sie sie endlich hatte, wollte sie einfach keine dummen Fehler machen, die dazu führten, dass er sich wieder abwenden würde. „Danke“, beeilte Juvia sich zu sagen, als die Empfangsdame sie zu einem Tisch für zwei führte, der etwas versteckt hinter Pflanzen und einem Raumteiler mit Aquarium lag – behaglich, verborgen, perfekt für ein Date. Zu spät bemerkte sie, dass sie sich hätte helfen lassen sollen, ihre Jacke auszuziehen, doch die Frau schenkte ihr nur ein weiteres Lächeln. „Ihre Kellnerin wird sich gleich um Sie kümmern. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.“ Damit kehrte sie zu ihrem Tresen zurück und Juvia rutschte auf die gemütliche Eckbank, die mit blauen Kissen dekoriert war. Auf dem Tisch stand ein silberner Halter mit zwei blauen Kerzen darin und zwei Gedecke waren bereits angerichtet, sogar mit mehreren Gabeln und Messern, wie sie es sonst nur selten sah. Die weißen Servietten auf den obersten Tellern waren in Seerosenform gefaltet. Alles schrie nach Professionalität und Vornehmheit. Juvia schob wie gewohnt ihre Jacke und die Handtasche in die Ecke und kam sich gleich darauf blöd vor. Vermutlich hätte sie zumindest ein Teil davon an der Garderobe abgeben sollen. Erneut fühlte sie sich wie eine echte Proletarierin, die sich verlaufen hatte. „Guten Abend und willkommen im River Mermaid!“ Die heitere Stimme ließ sie wie ertappt aufblicken zu der jungen Frau in schwarzweißer Kellneruniform, die sich neben dem Tisch aufgebaut hatte. Sie war pummelig-gemütlich und hatte ein rundes, offenes Gesicht, das perfekt zu ihrer Statur passte. Ihre braunen Augen strahlten wie alles andere an ihr Freundlichkeit aus und sie konnte kaum größer sein als Juvia selbst. Ihre schwarze Lockenmähne hatte sie zu einem Zopf zusammengefasst, doch auch auf diese Art ließ sie sich kaum zähmen. Unter dem Arm hielt sie eine hölzerne Speisekarte, doch sie machte keine Anstalten, sie Juvia zu reichen. Stattdessen lächelte sie gutmütig auf ihren sitzenden Gast hinunter und fuhr fort: „Ich bin Risley und werde Sie heute Abend bedienen. Darf ich annehmen, dass Sie vor der Bestellung noch auf Ihre Begleitung warten möchten?“ „Ähm… j-ja…“, stotterte Juvia überrumpelt und setzte sich gerader hin. Sie hatte kaum Zeit, alles zu verarbeiten, da kamen schon die nächsten Eindrücke auf sie zu, so dass sie sich noch unbeholfener fühlte als vorher schon. „Danke. Ich… ich bin ein wenig zu früh.“ „Keine Sorge, wir verstehen das hier alle.“ Risley zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Es ist nicht so, als hätten wir nie in so einer Situation gesteckt. Lassen Sie mich raten, erstes Date?“ Juvia fühlte, wie sich ein Teil ihrer Nervosität in Luft auflöste. Wie konnte man aufgeregt-angespannt bleiben, wenn man so natürlicher Herzlichkeit gegenüberstand? Gleichzeitig huschte ein unwillkürliches Lächeln über ihr Gesicht, das sich plötzlich heiß anfühlte. „Ist das so offensichtlich?“ Erneut ein Zwinkern, begleitet von einem herzlichen Lächeln. „Nur für erfahrene Leute wie mich“, versicherte Risley ihr und fügte gleich darauf noch beruhigend hinzu: „Keine Sorge, wenn Ihre Begleitung Sie zu eins einlädt, dann kann es nur gut laufen!“ Juvia lächelte dankbar und versuchte hastig, sich eine passende Antwort zusammenzukratzen. Doch Risley schien erstaunlich einfühlsam zu sein, denn ohne ihrem Gast die Gelegenheit zu geben, sich stotternd zum Affen zu machen, sprach sie bereits weiter: „Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen? Oder wollen Sie doch schon eine Vorspeise aussuchen?“ „Ähm, nur ein Wasser bitte“, wehrte Juvia ab, immerhin war sie ja hergekommen, um mit Gray zu essen. Da konnte sie sich keine Vorspeise leisten, ansonsten hätte sie nachher vielleicht keinen Hunger mehr. „Natürlich. Falls Sie noch weitere Wünsche haben, sagen Sie mir nur Bescheid. Und jetzt entspannen Sie sich, das läuft schon.“ Erneut schenkte die Kellnerin ihr ein ermutigendes Lächeln und wandte sich dann ab, um davonzugehen. Juvia holte tief Luft und versuchte, ihre Nervosität nicht zurückkommen zu lassen. Das war gar nicht so einfach, weil ihre Gedanken immer wieder um die gleichen Dinge kreisten – Gray und dass er sie tatsächlich auf ein Date eingeladen hatte! – wie edel das River Mermaid war und wie wenig sie hierher passte, die Fragen, ob sie wirklich den Anforderungen und Erwartungen entsprechen würde, die Gray in sie hatte, ob sie ihn nicht enttäuschen würde und wie das weitergehen sollte, ob sie nicht zu unterschiedlich waren und ob es trotzdem funktionieren konnte. Ob Gray wirklich der perfekte Traumprinz war, den sie sich die ganze Zeit ausgemalt hatte. Selbst Risley, die mit dem Wasser und ein paar beruhigenden Worten zurückkam, konnte da nicht viel ändern, zumal sie nur einen kurzen Moment blieb. Immerhin war das ihr Job und sie würde sich sicher ungern die hirnrissigen Ängste und Befürchtungen eines Gastes anhören wollen. Nervös rang Juvia die Hände. Wie sollte sie es nur schaffen, so lange auszuhalten, bis Gray endlich kam? Zuerst zupfte sie ihren Rock und dann ihren Pullover zurecht. Dann versuchte sie in den Fensterscheiben zu erkennen, ob ihre Haare richtig saßen. Danach wischte sie sich einen Fleck von ihren Stiefeln – oder sie versuchte es, denn er war erstaunlich hartnäckig. Schließlich kramte sie in ihrer Tasche herum und holte den kleinen Handspiegel mit dem blauen Wellenmuster hervor, um ihr Make-up zu überprüfen. Aber die Smokey Eyes und der leichte rosa Lippenstift sahen noch genauso aus, wie zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Wohnung verlassen hatte. Mit einem Seufzen schob sie den Spiegel wieder in das selbstgenähte Mäppchen zurück, in dem sie ihren Handtaschen-Kleinkram transportierte, und setzte sich gerade hin. Sie sollte zur Ruhe kommen und nicht gleich den Teufel an die Wand malen. Meredy hatte sie die letzten Tage mehr als einmal daran erinnert, wie unwahrscheinlich das schlechteste Ergebnis war, selbst wenn sich ihre Gedanken gerade dabei überschlugen, es auszumalen. Bedächtig faltete sie die Hände in ihrem Schoß und erwischte sich gleich darauf dabei, wie sie den Hals reckte, um nach Gray Ausschau zu halten. „Beruhig dich, Juvia“, flüsterte sie sich selbst zu. „Mach dich nicht verrückt. Das wird ein toller Abend. Du wirst ihn genießen. Gray wird ihn genießen. Und vielleicht könnt ihr ihn sogar wiederholen. Wen stört es, dass du nicht hierher passt?“ Sie holte tief Luft, ein, zwei, drei Mal. Ihre Nervosität ließ nach, wenn auch nur minimal. Abrupt hielt sie sich davon ab, noch weiter auf ihrer Unterlippe herum zu kauen und zog ihr Handy aus der Handtasche. 18:12 zeigte es ihr und sie hätte den Kopf auf den Tisch geknallt, wenn dort neben all dem Geschirr noch Platz gewesen wäre. Halb sieben hatten sie ausgemacht und sie saß hier, zwanzig Minuten zu früh. Zum Glück schienen die Mitarbeiter des River Mermaid das nicht so eng zu sehen. Für ein paar Augenblicke spielte sie mit ihrem Phone herum, ehe sie dem Drang nachgab und die Sperre löste, um ihre Nachrichtenapp zu öffnen. Wenn sie schon die Zeit hatte, würde sie sie nutzen und wichtige Fragen stellen. Ihre erste Nachricht ging an ihren jüngeren Bruder, der für den heutigen Abend den Babysitterdienst übernommen hatte. Wie geht es meiner Kleinen? Weil sie nicht davon ausging, sofort eine Antwort zu bekommen, switchte sie zu den Kontakten zurück und schickte eine Nachricht an ihre beste Freundin. Ist es schlecht, dass ich viel zu früh bin? Nach kurzem Zaudern schickte sie noch hinterher: Ich will nur, dass alles perfekt ist. Ich bin so nervös. Zögerlich legte sie das Gerät kopfüber auf die weiße Tischdecke und stierte für einen Moment die kleinen, süßen Schildkröten an, die in verschiedenen Grün- und Brauntönen auf der Hülle abgebildet waren. Würde es seltsam aussehen, wenn Gray ankam und sie saß mit dem Handy in der Hand da? Das war nämlich das Einzige, das ihr einfiel um sich davon abzuhalten, ständig den Sitz ihrer Haare oder ihr Make-up zu checken, ob auch ja noch alles so gut aussah wie eine Minute vorher. Doch zu ihrem Glück hatte Meredy ihr Handy anscheinend direkt neben sich liegen, denn ehe Juvia den Gedanken beendet hatte, kündigte ihr Phone mit einem Zwitschern eine neue Nachricht an. Hastig schnappte sie sich das Gerät und öffnete die Nachricht, doch es war nicht die erhoffe Ermutigung. Gaji: Hast du Thor 3 noch? Juvia: Ich bin auf einem Date. >.< Stör mich nicht! Gaji: Offensichtlich nicht, ansonsten würdest du mir nicht antworten, vor allem nicht so schnell. Juvia verzog missmutig das Gesicht. Da hatte er natürlich recht, zumindest im Moment noch. Es war wohl kaum ein Date, wenn die eine Hälfte des Pärchens noch fehlte. Trotzdem wollte sie das ihrem Bruder nicht so direkt auf die Nase binden, also klickte sie in das Nachrichtenfeld, um etwas zurückzuschreiben. Und der Gedanke, dass sie bald, vielleicht, hoffentlich bald ein Pärchen mit Gray sein würde, ließ ihr Herz höher schlagen. Das half ihr dummerweise nicht gerade, eine angemessen bissige Antwort zu finden. Gaji: Und, hast du Thor? Ich will ihn sehen. Stirnrunzelnd starrte Juvia auf den Bildschirm hinunter, noch immer unsicher, was sie antworten sollte. Als ob es nicht größere Probleme gäbe als so ein blöder Film! Gajeel hatte noch genug andere, die er sehen konnte, bei seiner beeindruckenden Sammlung. Doch ehe sie es auch nur schaffte, einen Buchstaben zu tippen, trudelte die nächste Nachricht ein. Gaji: Und warum babysitte ich nicht meine Nichte! Juvia: Sie ist bei Motte. Er war dran, also hab ich zuerst ihn gefragt. Juvia: Ich hab den Film noch nicht geschaut. Hoffentlich bestand er jetzt nicht darauf, ihn trotzdem sofort haben zu wollen. Wäre nicht das erste Mal, dass er wegen so einer Kleinigkeit zu ihrem Apartement fuhr. Aber in der Regel war sie dann anwesend, so dass er keine Gelegenheit hatte, ihre Wohnung auf den Kopf zu stellen. Nicht, dass sie weit entfernt voneinander lebten. Doch ehe die drei Punkte, die andeuteten, dass er noch etwas schreib, verschwinden konnten, zwitscherte das Handy erneut. Erleichtert erkannte sie, dass es diesmal tatsächlich ihre beste Freundin war, die antwortete. Halleluja, Ablenkung von nervigen großen Brüdern! Meredy: Mach dich nicht verrückt, Süße. Wenn der nicht sieht, was für ein Fang du bist, ist das sein Verlust. Du findest jemand Besseren. Am liebsten hätte Jvuia sie darauf hingewiesen, dass es niemanden besseren als Gray gab, doch sie zügelte sich. Erneut rief sie sich in Erinnerung, dass sie Gray gar nicht so gut kannte, wie sie dachte. Immerhin hatte sie ihn bis jetzt stets in Zusammenhang mit dem Council Café getroffen. Auch wenn sie sich einbildete, eine Verbindung mit ihm aufgebaut zu haben und ihn gut zu verstehen, wer wusste schon, wie viel davon sich nur in ihrem Hirn abspielte? Es wäre nicht das erste Mal, dass sie auf ein hübsches Gesicht und eine tolle Front hereinfiel und sich alles andere dazu dichtete. Sie kannte sich und ihren Hang zu Phantastereien inzwischen gut genug. Aber Gray ist nicht so, rief sie sich energisch in Erinnerung. Sie durfte nur nicht zu viel von ihm erwarten, sondern offen für alles sein, dass er ihr von sich zeigen wollte. Auf ihn eingehen, anstatt ihn mit ihren Annahmen zu konfrontieren. Dann würde das schon irgendwie funktionieren. Und sie trafen sich ja auch hier, damit sie sich besser kennenlernen konnten. Juvia: Du hast gut reden, du sitzt zuhause vor dem Fernseher und nicht in einem der schicksten Restaurants der Stadt, allein und viel zu früh. Sie lehnte sich zurück, um auf eine Antwort zu warten. Tatsächlich halfen die Gespräche ihr, sich zu sammeln und runterzukommen. Als ‚ruhig‘ würde sie sich zwar noch nicht bezeichnen, aber wenigstens hatte sie nicht mehr das Bedürfnis, ständig ihr Aussehen zu überprüfen. Stattdessen schielte sie noch einmal auf die Uhr, die inzwischen kurz nach halb sieben anzeigte. Gespannt reckte sie den Hals, ob Gray jetzt sofort in der Tür auftauchen und sie anlächeln würde, doch natürlich geschah nichts dergleichen. Vielleicht stand er im Stau oder war ein paar Minuten zu spät losgekommen. In ihrem Bauch kribbelte es wieder vor Aufregung und sie musste sich davon abhalten, nicht unruhig auf ihrem Sitz herumzurutschen. Stattdessen griff sie nach der Flasche, um etwas von dem Inhalt in ihr Glas zu leeren. Beinahe hätte sie ihr Wasser verschüttet, als sie zusammenzuckte, weil ihr Handy wieder zwitscherte, gleich mehrmals hintereinander. Gaji: Erinnere mich daran, dir nie wieder etwas auszuleihen. Was soll ich denn jetzt machen? Meredy: Wer hat, der kann. Motte: [Bild] Nach kurzem Zögern entschied sie sich, sich um das Wichtigste zuerst zu kümmern, und klickte das Foto an, das ihr kleiner Bruder geschickt hatte. Ihre Tochter, stolze dreieinhalb Jahre alt, lachte ihr mit leuchtenden Augen entgegen. Sie stand auf dem dunklen Sofa, über das ganze, runde Gesichtchen strahlend und vor lauter Begeisterung die Arme in die Höhe gerissen. Das grüne Haar hatte sie zu zwei unordentlichen Rattenschwänzchen gebunden, die schon auseinanderfielen, und sie trug bereits den lila Schlafanzug mit kleinen Fröschen darauf. Motte: Sie will noch nicht ins Bett. Juvia: >////< Sie ist einfach so süß. >////< Gib ihr ein Küsschen von mir! Juvia: Sie kann heute etwas länger aufbleiben, morgen ist ja Samstag. Motte: Das sagst du mir jedes zweite Mal, wenn sie bei mir ist. Inzwischen kenne ich mich aus im Frosch-Sitten. Juvia verdrehte die Augen, beließ es aber dabei. Er hatte ja recht, aber sie kam nun einmal nicht darum, jeden zu belehren, wie er mit ihrer Tochter umzugehen hatte. Sie wusste es immerhin am besten. Wobei ihre Brüder beide ganz auf ihre eigene Art ein gutes Händchen mit der Kleinen hatten und sie innig liebten. Aber sie ließ das Thema jetzt großzügig auf sich beruhen. Stattdessen klickte sie die nächste Nachricht an und tippte: Er ist noch nicht da T__T Und was, wenn er es sich anders überlegt hatte? Wenn er doch nicht kommen würde? Wenn er… Juvia holte tief Luft und drängte diese ungebetenen Gedanken beiseite. Hatte sie nicht beschlossen, das sein zu lassen? Und selbst wenn er Bedenken gekriegt hatte, Gray war viel zu anständig um sie einfach zu versetzen! Meredy würde schon die richtigen Worte finden, um ihre wilden Gedankenspiele einzuschränken. Meredy: Aber ich meine das ernst, das wird schon! Und warum bist du überhaupt zu früh? Konntest du es nicht mehr aushalten? :P Juvia blinzelte erstaunt, weil die Nachricht gar nicht auf ihre vorherigen Worte einging. Doch als ihr Blick einige Zentimeter nach oben wanderte bemerkte sie sofort, warum und ihr Herz blieb stehen. Sie hatte sie gar nicht an Meredy geschickt und die Reaktion von dem Empfänger ließ nicht lange auf sich warten. Gaji: Soll ich ihm eine Abreibung verpassen? :D Gajeel war der letzte, dem sie davon hatte erzählen wollen. Zumal Gray noch gar nicht so spät war, erst ein paar Minuten und sie holte tief Luft, ehe sie sich wieder ihrem Handy zuwandte. Diesmal ging sie doppelt sicher, dass sie die richtige Nachricht an die richtige Person schickte. Juvia: Es hat sich einfach so ergeben und jetzt ist es nicht mehr zu früh und er ist noch gar nicht da und ich habe das aus Versehen Gaji gesagt. Juvia: Wehe, du vergraulst meinen zukünftigen, Gajeel! Das hätte ihr gerade noch gefehlt, dass ausgerechnet Gajeel sich einmischen wollte! Ihre Beziehungen gingen irgendwie immer den Bach runter, sobald er auf der Bildfläche erschien und bedrohlich die Knöchel knacken ließ. Kein Wunder, immerhin war ihr muskulöser, wild aussehender Großer BruderTM eine ziemlich beeindruckende Gestalt, zumindest für jemanden, der ihn nicht so gut kannte wie Juvia. Wer mit angesehen hatte, wie er zerschmolz, nur weil eine Katze mit ihm kuscheln wollte, oder wie er seine Nichte nach Strich und Faden verwöhnte, ließ sich nicht mehr so leicht von seiner harten Rocker-Fassade täuschen. Außerdem hatte sie so das Gefühl, dass Gray sich nicht ganz so einfach beeindrucken lassen würde wie ihre Ex-Freunde. Nicht nach dem Zusammenstoß mit Bora. Gaji: Deinen Zukünftigen, so weit planst du also schon? XP Weiß er schon von seinem Glück? Erschrocken scrollte Juvia zu ihrer vorherigen Nachricht zurück und hätte am liebsten den Kopf gegen den Tisch geschlagen. Wieso unterliefen ihr gerade ständig solche dummen Fehler, die alles nur noch schlimmer machten?! Juvia: *Freund. Freund sollte das heißen! Hoffentlich ließ er das Thema damit auf sich beruhen! Aber sie kannte ihn doch, als ob er sich diese Gelegenheit entgehen lassen würde. Meredy: Komm mal runter, der steckt nur an jeder roten Ampel, die sich zwischen dem Restaurant und seiner Wohnung befinden. Meredy: >:) Ist dein Brüderchen schon im Beschützer-Modus? Oder lästert er noch? Juvia: Er lästert. :( Juvia: Naja, eigentlich beides. Sie verzog das Gesicht. Nun ja, im Moment antwortete er noch gar nicht, aber das lag sicher daran, dass er sich noch eine zufriedenstellende Gemeinheit überlegen musste. Was hatte sie getan, um mit jemandem wie Gajeel als Bruder gestraft worden zu sein? Meredy: Ist er also doch zum Multitasking fähig, hätte ich ihm gar nicht zugetraut. :P Juvia: Jetzt hör schon auf! Was mache ich, wenn Gray nicht kommt? Gaji: Und das soll ich dir glauben? Meredy: Eier gegen sein Haus werfen. Motte: Wie läuft es eigentlich bei dir? So gut wie erhofft? Erneut sorgte sie Flut von Nachrichten dafür, dass sie einen Moment innehalten und ihre Gedanken sortieren musste. Eigentlich ganz gut. Dann tippte sie die letzte an, weil sie am einfachsten zu beantworten war. Juvia: Nein Juvia: Er ist noch nicht da. Sie holte tief Luft, ehe sie Meredys Nachricht anklickte. Für einen Moment schwebten ihre Finger zögernd über dem Tastenfeld, ehe sie antwortete. Juvia: Und sowas schimpft sich Polizistin! Ich kann sowas doch nicht machen! Vielleicht nahm sie das alles zu ernst. Meredy: Nicht mehr meinst du wohl. Tu nicht so, als hätte dir das keinen Spaß gemacht, du Spießer. Juvia: Als wir Teenager waren und keine erwachsenen Frauen! Meredy: Ich bin ziemlich sicher, das würde uns heute auch noch sehr aufheitern. Meredy: Außerdem benimmst du dich schon seit Tagen wie ein verliebter Teenager, da kann schon mal was außer Kontrolle geraten. Nicht, dass Meredy damit Unrecht hatte… Trotzdem würde sie behaupten, sich inzwischen besser unter Kontrolle zu haben. Damals war so einiges schief gelaufen, mit Meredy zusammen oder ohne ihre beste Freundin. Sie konnte sich auch ganz allein in dumme Schwierigkeiten bringen. Ehe sie jedoch versuchte, sich die passende Antwort darauf zu finden, wandte sie sich Gajeel zu, der sich sicher schon langweilte. Hoffentlich nicht genug, um sich auf den Weg zu machen, seinen Film doch zu holen. Juvia: Ich kenne ihn noch nicht sehr gut. Es ist viel zu früh, um über Hochzeit zu sprechen! Sie sagte das jetzt so einfach daher, aber das lag eher daran, dass sie vor ihrem großen Bruder, der über alles Romantische eh nur lästerte, unter keinen Umständen zugeben würde, dass sie bereits überlegt hatte, wie wohl ein Kind von Gray und ihr aussehen würde. Natürlich verbot sie sich jeden Gedanken daran, sobald sie sich dabei erwischte – es war viel zu früh dafür, das brauchte ihr niemand zu erzählen. Aber in den langen Abenden, wenn Frosch sich an sie kuschelte, noch nicht tief genug im Schlaf, als dass sie es wagen konnte, aufzustehen, und ihre Gedanken schweiften, wurde sie einfach schwach. Wer konnte es ihr verübeln? Sie und Gray würden absolut wundervolle Babys machen. Gaji: Was glaubst du eigentlich, mit wem du sprichst? Ich kenne dich viel zu gut, als dass du mir etwas vormachen könntest. Gaji: Hat er wenigstens ein anständiges Date angeleiert, wenn er schon nicht da ist? Juvia: Er wird schon noch kommen. Und ich bin in einem schicken Restaurant, nur dass du’s weißt! Nicht, dass ihr Bruder das wirklich zu schätzen wüsste. Gray hatte sich wirklich nicht lumpen lassen – oder zumindest wäre das so, wenn er endlich aufkreuzen würde! Irgendwer hatte ihm zumindest die Grundlagen der Date-Kultur beigebracht und er bemühte sich, sie einzuhalten, ein echter Gentleman eben. Aber Gajeel dachte, ein Burger mit Pommes und ein Bier in seiner Lieblingskneipe oder eine Motorradtour über das Land wären romantisch genug für ein Date. Oder was auch immer ihm sonst Schräges einfiel. Dieser Banause! Sie erinnerte sich noch gut an diesen einen Besuch im Krankenhaus, als er sich während seines Treffens mit der neuesten Eroberung auf eine Schlägerei eingelassen hatte. Wobei, fügte der vernünftige Teil ihres Hirns hinzu, das natürlich an der Frau lag. Sue hatte das voll und ganz gereicht und bei einer Schlägerei hätte sie ihn entweder laut angefeuert oder sogar selbst mitgemischt. Tatsächlich hatte Juvia immer den Verdacht gehabt, dass es ihr sehr viel lieber gewesen war als traditionellere Romantik. Kein Wunder, bei Sues Wildfang-Auftreten, die über ihr eigenes Motorrad etwa tausend Mal mehr wusste als von Make-up und High Heels. Jenny und x andere Frauen auf der anderen Seite hatte sich wohl eher von seinem Bad Boy Charme angezogen gefühlt, was bei weitem nicht genug für eine länger anhaltende Beziehung gewesen war. Kein Wunder, dass er im Moment Single war und es nie lange hielt. Gaji: Langweilig gähn Die Augenbrauen zornig zusammengezogen starrte Juvia auf die Worte hinunter. Zum Glück kündigte ihr Handy in diesem Moment eine weitere Nachricht an, ansonsten hätte sie ihm eine gepfefferte Antwort geschickt. Motte: Oh, das ist blöd. Motte: Frosch will einen Elefanten streicheln. Und eine Alvarische Vogelspinne. Das brachte Juvia sofort in eine besänftigtere Stimmung und die Aussage lockte ein Lächeln auf ihr Gesicht. Der erste Wunsch war sicher gar nicht so ungewöhnlich, aber mit Spinnen hatten die meisten Leute doch eher weniger am Hut, vor allem wenn sie groß und haarig waren. Frosch aber liebte alles, was kreuchte und fleuchte, und Juvia hatte schon mehr als einmal ungebetenen Besuch gehabt, der ihr schrille Schreie entlockte. Denn sie jedenfalls ekelte sich vor … nun ja, allem, was kreuchte und fleuchte. Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt und ein paar Strategien entwickelt, um mit diesen Problemen fertig zu werden, wenn ihre Tochter sie im wahrsten Sinne des Wortes anschleppte. Doch als Frosch damit angefangen hatte, hatte des Öfteren einer ihrer Brüder antanzen müssen, um es zu entfernen. Vor allem Gajeel hatte sich jedes Mal königlich darüber amüsiert. Juvia: Das wird sich kaum einrichten lassen. Wie kommt sie jetzt darauf? Motte: In dieser Kinder-Tierserie kamen heute Vogelspinnen dran. Und der Elefant liegt ihr wohl schon länger auf der Seele. Das machte Sinn. Frosch war manchmal etwas sprunghaft und schnell von etwas zu begeistern, das ihr ins Auge fiel, aber manche Dinge trug sie lange mit sich herum, ehe sie die richtigen Worte fand, um ihre Wünsche zu nennen. Wobei noch niemand ein Schema dabei gefunden hatte. Nicht, dass das tatsächlich wichtig war. Juvia: Du kannst ihr sagen, dass wir bald in den Zoo gehen können, aber aus dem Streicheln wird vermutlich nichts. Und bring sie bald ins Bett, da gehört sie jetzt hin! Motte: Zoo reicht ihr doch schon. :) „Alles in Ordnung bei Ihnen? Darf ich Ihnen schon etwas bringen?“ Überrascht blickte Juvia von ihrem Handy auf in das freundliche Gesicht der Kellnerin. Diese lächelte fragend auf sie hinunter. „Ihr Begleiter scheint sich zu verspäten. Hat er schon Bescheid gegeben, wann er kommt?“ Automatisch schüttelte Juvia den Kopf und wagte es kaum, in die dunklen Augen zu blicken, die besorgt auf sie hinabblinzelten. Die Worte waren gut gemeint, doch sie fühlte sich, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggerissen werden. Über den Gesprächen mit Meredy und ihren Brüdern hatte sie ganz vergessen, auf die Uhr zu sehen, die bereits 18:51 anzeigte. Sie blinzelte heftig und kniff sich in das Knie, um sich von den plötzlich aufwallenden Gefühlen abzulenken. Doch trotzdem musste sich irgendetwas auf ihrer Mimik widerspiegeln, denn Risley wirkte mit einem Mal bestürzt. „Oh, hat er sich doch etwa noch gar nicht gemeldet?“ Sie blies die Backen auf. „Na, der muss aber mit einer guten Entschuldigung kommen!“ Wenn er überhaupt kam… Hastig setzte Juvia ein positives Gesicht auf und schüttelte den Kopf. „Er hat viel Stress. Sicher ist er nur etwas spät losgekommen oder hat sich verfahren oder so etwas.“ Wie denn, wenn er das River Mermaid besser kannte als sie? Und noch dazu lag es in der Innenstadt, einen Weg, den jeder kannte. „Na, das ist ja wohl das Mindeste.“ Missbilligend schnalzte Risley mit der Zunge. Dann fragte sie besorgt: „Aber bei Ihnen ist sonst alles in Ordnung?“ „Ja, kein Problem.“ Juvia schenkte ihr ein breites Lächeln, das sich jedoch eher wie eine Grimasse anfühlte. Zumindest das Personal war überdurchschnittlich freundlich hier! Doch der Gedanke half ihr nicht viel. „Vielen Dank!“ „Gut“, sagte Risley, aber es klang nicht sehr überzeugt. Dennoch drang sie nicht weiter in Juvia ein. „Falls doch etwas ist, müssen Sie nur nach mir rufen.“ Sie schenkte Juvia noch einen besorgten Blick, ehe sie sich wieder entfernte, um sich um einen weiteren Gast zu kümmern. Juvia setzte sich wieder gerader hin und holte tief Luft. Sie versuchte an nicht zu denken, bis sie sich weit genug unter Kontrolle hatte, um nicht doch loszuheulen oder so einen Quatsch. Mit mechanischen Bewegungen holte sie erneut ihren Taschenspiegel heraus, um ihr Make-up darin zu checken. Ihre Schminke war nicht verwischt, stellte sie zufrieden fest, und beachtete ihr Handy kaum, als es erneut zwitscherte. Kein Mann ist deine Tränen wert, pflegte Meredy ihr immer zu sagen, wenn sie sich in Liebeskummer erging, hatte es schon immer gesagt, seit damals, als Juvia vierzehn gewesen war und von ihrem ersten Freund mitten in einer Eisdiele verlassen worden war. Daran musste sie sich halten, vor allem, wenn es um einen Typen ging, den sie noch nicht einmal kannte. Auch wenn es um Gray ging. Sie holte tief Luft und griff erneut nach dem Handy, das eine Nachricht von Meredy anzeigte. Doch bevor sie sie öffnete, tippte sie die Konversation mit Gajeel an und antwortete ihm zuerst. Es gab doch nichts Besseres als eine leichte Plänkelei mit ihrem Bruder. Juvia: Du bist ja nur neidisch :P Dabei gab es gar keinen Grund, neidisch zu sein. Nicht, wenn die Begleitung eine halbe Ewigkeit auf sich warten ließ! Doch statt Gajeel das auf die Nase zu binden – der kam sonst noch auf irgendwelche blöden Ideen und noch hatte sie die Hoffnung nicht aufgegeben, so lang wartete sie jetzt auch wieder nicht! – wandte sie sich der nächsten Nachricht zu. Meredy: Machst du dir wirklich solche Sorgen, dass er nicht auftauchen könnte? Juvia seufzte tief auf. Es gab noch einige gute Gründe, warum Gray noch nicht hier war. Vielleicht hatte es einen Notfall in seiner Familie gegeben. Vielleicht hatte er einen Unfall gehabt. Vielleicht war sein Wagen nicht angesprungen und er hatte es weiter versucht und dann doch die Bahn genommen und das konnte dauern. Vielleicht hatte er unterwegs einer alten Dame über die Straße geholfen. Juvia: Ja. Nein. Ich weiß auch nicht. Sie wollte das Gray noch auftauchte. Auch wenn er ihr die dümmste Entschuldigung der Menschheitsgeschichte für seine Verspätung auftischte, das war ihr egal, solange er kam und ihr dieses Lächeln schenkte, das ihr ganz warm werden ließ. Solange er immer noch mit ihr ausgehen wollte. Juvia: Ich will nur, dass es funktioniert. Ihr Handy zwitscherte, als eine Nachricht von Gajeel eintrudelte, aber Juvia klickte sie weg, ohne sie anzusehen. Sie wollte erst Meredy antworten und sich von der Seele reden, was sie so bedrückte. Vielleicht hatte ihre beste Freundin einen Rat für sie, der mehr als aus warten bestand. Juvia: Er ist der Richtige für mich, das kann ich fühlen. Er ist einfach nur… Sie schickte die Nachricht ab, ohne sie zu beenden. Meredy würde schon verstehen, was sie sagen wollte, so waren sie einfach. Sie kannten sich schon immer, ihre Eltern hatten nebeneinander gewohnt und Meredy war die einzige, zu der der Kontakt nicht abgebrochen war, als sie zu ihrem Onkel gezogen war. Meredy war einfach ihre Beste Freundin. Daran gab es nichts zu rütteln. Sie verstanden sich ohne Worte. Trotzdem schien es ihr inadäquat, den Satz einfach so in der Luft hängen zu lassen. Gray verdiente besseres als so ein halber Satz. Auch wenn er sich gerade ein wenig zu viel Zeit ließ. Das konnte sie ihm verzeihen. Juvia: Vom ersten Moment an, als ich ihn gesehen habe, da hab ich es gewusst. Wie eine Verbindung zwischen uns, die nur wir spüren können. Er ist einfach nur der Richtige. Ich weiß es einfach. Sie konnte sich vorstellen, wie Meredy jetzt aussah. In ihre Sofaecke gekuschelt, nur in Jogginghose und einem T-Shirt mit einem süßen Motiv darauf, das volle, pinke Haar nachlässig zu einem Knoten hochgesteckt. Sie würde nachsichtig den Kopf schütteln, aber mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Meredy: Sowas nennt man Liebe auf den ersten Blick, Süße. Und viele würden behaupten, das gibt es nur im Märchen. Juvia: Die haben alle keine Ahnung. Das klang jetzt gedankenlos und selbstsicher, aber Juvia hatte sich diese Frage auch schon gestellt. Sie kannte Gray kaum. Er hatte ihr auch nicht die Gelegenheit gegeben, ihn näher kennenzulernen, seine kühle, distanzierte Art machte es ihr nicht einfach, ihm näherzukommen. Und er hatte sie auf Abstand gehalten, als hätte er Angst, sie würde ihn beißen. Bis jetzt zumindest. Manchmal fragte sie sich auch, was für ein Irrsinn sie gepackt hatte, dass sie ihr Herz derartig an ihn gehängt hatte. Sollte sie nicht verantwortungsbewusster sein? Sie hatte an ihre Familie zu denken, an ihre Tochter und ihr eigenes Leben. Sie war eine erwachsene Frau und kein Teenager mehr, der von der Großen Liebe, einem Ritter auf einem weißen Pferd und dem ‚Und wenn sie nicht gestorben sind…‘ träumte. Juvia: Denkst du, das wird nicht funktionieren? Weil Meredy nicht sofort antwortete, vermutlich weil sie die richtigen Worte finden und gut darüber nachdenken wollte, wandte Juvia sich der nächsten Nachricht zu. Gaji: Auf was? Ich hab keine Lust auf schnieke Restaurants. Juvia schnaubte; sie hatte nichts anderes erwartet, so kannte sie ihren Bruder. Er würde sich hier hochgradig unwohl fühlen und dabei vermutlich einen Streit vom Zaun brechen, weil das sein Abwehrmechanismus war. Allein die Vorstellung, wie Gajeel mit einem dieser geschniegelten Typen in ihren schicken Anzügen eine Prügelei anfing, hob ihre Stimmung wieder etwas an – wenn auch nur marginal. Ein Teller mit fünf Obstspießen wurde vor ihr abgestellt, die in kleinen Käsewürfeln steckten. Überrascht blickte sie zu Risley auf, die ihr zuzwinkerte, und Anstalten machte, sich wieder umzudrehen um wegzugehen. „Aber Juvia hat gar nichts bestellt“, wehrte diese ab und versuchte, den Teller wieder von sich zu weisen. Doch die Kellnerin wollte davon nichts wissen und schob ihn ihr wieder zu. „Das geht aufs Haus“, erklärte sie leichthin. „Eine kleine Aufmerksamkeit, die nicht zu schwer im Magen liegt. Damit die Zeit sich ein wenig leichter vertreiben lässt.“ „A-aber Juvia…“, stotterte diese und fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Jetzt bemerkte auch noch das Personal, dass sie alleine hier saß, eine halbe Stunde, nachdem sie sich eigentlich mit ihrem Date hatte treffen wollen! Wie peinlich. Am liebsten würde sie im Boden versinken und sie wusste, dass ihr Kopf knallrot war. Aber ihr Gegenüber schien das gar nicht so zu sehen. „Keine Sorge, der kreuzt schon noch auf – und dann hoffentlich mit mehr im Gepäck als nur einer mickrigen Entschuldigung.“ Juvia senkte den Blick und zog die Schultern hoch. „Da-danke“, murmelte sie und starrte für einen Moment auf den Teller hinunter. „Aber das ist nicht nötig.“ „Oh, das sehen wir hier anders“, erklärte Risley aufgeräumt. „Dieser Teller heißt bei uns nicht umsonst Le Passe-Temps [franz. der Zeitvertreib] und Sie sind auch nicht die Erste, die wir auf ihn einladen. Genießen Sie ihn.“ Juvia, die den Namen des Gerichts nur vage als stellanisch identifizieren konnte, da sie in der Schule Hausarbeiten gehabt hatte, nickte lächelnd, als wüsste sie, worum es ging. Aber anscheinend war sie nicht die Einzige, die dem Personal genug Mitleid für eine solche Geste abgerungen hatte, und das war kurioserweise eine Erleichterung. Risley jedenfalls trat wieder den Rückzug an und Juvia sah ihr nach, wie sie zurück zum Tresen trat, um mit der dort eingesetzten Kollegin zu plaudern. Mit einem Seufzen riss sie den Blick los und musterte erst einmal das so unverhofft aufgetauchte Gericht, das kunstvoll auf einem tropfenförmigen Tellerchen angerichtet war. Auf jedem der Spieße steckte ein Stück von einer Kiwi, eine Traube, eine Erdbeere und ein Teil eines Apfels. Am Rand lagen zusätzlich noch eine Physalis und ein paar Himbeeren. Allein der Anblick ließ ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen und sie griff nach einem der metallenen Spieße. Dann legte sie ihn wieder weg und schoss ein Foto, um es an Gajeel zu schicken. Juvia: Schau, das geht aufs Haus. Weil Gray immer noch nicht da ist. Inzwischen war sie bei einem Punkt angelangt, an dem sie nicht wusste, ob sie in Tränen ausbrechen oder wütend bei Gray anrufen sollte. Warum ließ er sie so lange warten? Eine Dreiviertelstunde war es ganz sicher schon! Sie kratzte die ersten Funken des Zorns zusammen, allein aus dem Grund, weil sie nicht wollte, dass ihr Make-up ruiniert wurde. Sie hatte lang genug daran gesessen! Trotzdem blieb ihr nichts anders übrig als zu warten. Sie schaffte es nicht einmal, ihm eine Nachricht zu schicken. Wo bist du? waren nur drei kleine Worte, neutral, unverfänglich, aber trotzdem konnte sie sich nicht dazu durchringen, sie in die kleine Box der Nachrichtenapp zu tippen. Solange sie keine Antwort hatte, konnte sie immer noch so tun, als wäre alles gut, als ob er gleich auftauchen würde, um ihr davon zu berichten, dass sein Auto auf der Straße einfach stehen geblieben war und er darum den halben Weg laufen musste. Sie zuckte zusammen, als ihr Handy zwitscherte, und klickte die Nachricht hastig an, ohne nachzusehen, von wem sie kam. Motte: Ist er immer noch nicht da? Wann wolltet ihr euch denn treffen? Juvia: Um halb. Sie schielte auf die Uhr – 19:07. Das war … gar nicht so spät, wie sie erwartet hatte. Trotzdem war es eine halbe Stunde später, als Gray hier hätte auftauchen sollen! Juvia: Ich fühle mich fehl am Platz. Das war nicht mehr das große Problem hier. Aber manchmal half es, sich auf die kleinen Dinge zu konzentrieren, damit die großen nicht zu überwältigend wurden. Und … sie kam nicht umhin zu denken, dass es direkt mit dem anderen verknüpft werden konnte. Motte: ? Juvia: Hier ist alles so schick und edel und teuer. Und all die anderen Gäste sind irgendwelche Manager und Banker und so, schick in Anzug und Kostüm. Und ich sitze hier mit meinem Pullover und fühle mich unbedeutend und klein wie ein Mädchen, das keine Ahnung von Welt und Geld hat. Sie hielt inne, den Finger über dem Screen schwebend. Wie sollte sie in Worte fassen, wie inadäquat sie sich fühlte? Dass sie sich Sorgen machte, dass sie auch für Gray nicht genügte und dass er das erkannt hatte und deswegen nicht kam? Und dass sie all diese Gedanken mit einem aber Gray ist nicht so! von sich weisen wollte, es aber nicht konnte, weil sie ihn noch nicht gut genug kannte. Weil … weil er sie einfach nicht an sich heranließ? Juvia war nicht dumm. Sie konnte sehen, dass er zögerte, sich auf sie einzulassen. Dass er Angst davor hatte, verletzt zu werden – weil es schon einmal geschehen war. Und jetzt hatte er Angst, dass es wieder passieren würde, darum hielt er sie so auf Abstand. Was … was wenn er es überhaupt nicht mehr versuchen wollte? Motte: okay Das war der Grund, warum sie es liebte, mit ihrem kleinen Bruder zu reden. Er urteilte nicht, stellte keine Fragen und fuhr nicht aus der Haut, sondern wartete ab, bis sie fertig gesprochen hatte, auch wenn es mal etwas länger dauerte. Juvia: Was, wenn Gray das auch so sieht? Gaji: [Bild] Um sich von ihrer eigenen Misere abzulenken, öffnete sie die Datei und verzog angewidert das Gesicht. Auf der Fotographie war sein Teller mit einer halb gegessenen Pizza aus der Tiefkühltruhe zu sehen. Er stand auf Gajeels billigen Wohnzimmertisch, neben einer Bierflasche und einer offenen Tüte Chips, die vermutlich schon seit ein paar Tagen dort lag. Außerdem hatte jemand ein Kartenspiel über die dunkle Oberfläche verteilt; Juvia konnte die Pikdame, die Kreuz-Acht und den Herzbuben erkennen. Nicht, dass sie etwas anderes von ihm erwartete, er war noch nie der beste Koch gewesen. Aber sie hoffte doch, dass er irgendwann anfing, sich gesünder zu ernähren. Juvia: Das sieht eklig aus. Gaji: Es ist essbar. Gaji: Dein Typ immer noch nicht aufgetaucht? Juvia: Nein. T__T Jetzt fühlte sie sich wirklich den Tränen nahe und sie wollte, dass ihr großer Bruder neben ihr saß und sie in den Arm nahm. Gajeel war der Beste, wenn es um Umarmungen ging. Vielleicht, weil er so groß und stark war und sie sich immer auf ihn verlassen konnte. Gaji: Soll ich rüberkommen und so tun, als wäre ich dein Date? Gaji: Du zahlst aber. Sie stieß ein abgehacktes Lachen aus. Dieses Angebot sah ihm ähnlich! Und sie war versucht, es anzunehmen. Aber was, wenn Gray doch noch kam? Und dann würde er sie hier mit einem anderen Mann sitzen sehen und vermutlich überhaupt nicht zu ihr kommen und dabei war Gajeel nur ihr Bruder. Das Risiko konnte sie nicht eingehen. Juvia: Nein. Ich will, dass Gray kommt! Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, das trotzig mit den Füßen aufstampfte und schmollte. Aber sie saß hier und tat gar nichts, auch wenn sie gleichzeitig aufspringen und losrennen wollte, um Gray zu finden. Die Chance, die sie für sich und ihn gesehen hatte, glitt ihr zwischen den Fingern durch und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Mit einem Seufzen griff sie endlich zu und begann, den ersten der Obstspieße zu vernichten. Es war nur ein simples Gericht, doch die Früchte waren süß und saftig und der Käse bildete ein würziges Gegenstück dazu. Der Teller vor ihr leerte sich erstaunlich schnell. Oder vielleicht auch nicht so erstaunlich, wenn sie daran dachte, wie hungrig sie inzwischen war. Motte: Dann ist er ein Idiot. Juvia blinzelte auf die Aussage hinunter. Sie brauchte einen Moment, um sie der richtigen Unterhaltung zuzuorden – vielleicht waren drei auf einmal doch zu viel. Aber konnte es wirklich so einfach sein? Motte: Hat er dir jemals dieses Gefühl gegeben? Hast du dich in seiner Gegenwart jemals so gefühlt? Denn wenn, dann hat er dich nicht verdient. Motte: Nicht umgekehrt. Sie lehnte sich zurück und blickte an die Decke hinauf, die in verschiedenen Blautönen gestrichen war. Nach einigen Augenblicken stellte sie fest, dass die Farben ineinanderliefen und vage an Wellen erinnerten. Sie dachte an Gray, an seine kühle, lässige Art und sein manchmal schroffes Verhalten. Doch sie wusste, dass sich darunter eine wunderbare Seele verbarg, die nur ein Mal zu oft verletzt worden war, einmal zu sehr, und nun versuchte, sich selbst zu schützen. Und sie dachte an seine kleinen, versteckten Lächeln, die Halbgrinsen, die er ihr schenkte, und wie er sich stets über ihre Cookies und Muffins freute. Sie dachte an die langsame Art, wie sie sich im Laufe der Monate nähergekommen waren, die Anziehungskraft zwischen ihnen, der nicht einmal er sich hatte entziehen können. Die kleinen Informationshäppchen, die sie ihm abgerungen hatte, einfach, weil er nicht anders konnte, als ihr zu antworten. Daran, wie seine dunklen Augen aufleuchteten, wenn er sie anblickte. Juvia: Nein. Niemals. Sie holte tief Luft. Jetzt, da sie alles so ausgebreitet vor sich sah, konnte sie wieder leichter atmen. Es wirkte klarer, das Bild, und endlich konnte sie sagen: Gray ist nicht so. Gray würde sie nicht einfach hier sitzen lassen, nicht ohne guten Grund, nicht ohne Entschuldigung, nicht einfach so. Gray war besser als das. Meredy: Es ist egal, was ich denke. Wichtig ist, was DU denkst. Du bist es, um die es geht, du und dein Gray. Ich kenne ihn natürlich noch nicht, aber ich kann sehen, wie viel er dir jetzt schon bedeutet. Lass dich also nicht davon beeinflussen, was andere Leute denken. Dein Gray. Juvia holte tief Luft. Dein Gray. Das klang himmlisch. Wenn es nur jemals so weit kommen würde… Sie seufzte schwer und tippte in das Nachrichtenfeld, um zu antworten. Doch inzwischen reifte langsam ein Entschluss in ihr heran. Egal, ob er heute kam oder nicht, so einfach wollte sie es nicht enden lassen. Meredy: Ich denke übrigens, es kann funktionieren. ;) Mach dir keinen Kopf. Diese kleine Bestätigung ließ alles nur noch ein wenig besser aussehen. Aber ein kleines Bisschen Optimismus konnte sie jetzt echt gut vertragen! Juvia: Ich hoffe nur, wir bekommen überhaupt die Chance, es auszuprobieren. Ob mit Gray irgendetwas passiert war? Vielleicht hatte er tatsächlich einen Unfall gehabt. Oder es war wirklich etwas mit seiner Familie oder seinen Freunden passiert? Es gab sicher tausend andere Sachen, die geschehen sein könnten, nur spielte ihr Hirn den ganzen Abend schon den größten Pessimisten. Gaji: Sag mir Bescheid, wenn er nicht aufkreuzt. >:D Juvia zog die Augenbrauen hoch. Das klang verdächtig nach einer Drohung, auch wenn er keine direkten Worte gebraucht hatte. Aber sie kannte doch Gajeel! Der löste Dinge gern auf diese Art. Aber es beruhigte sie auch, zeigte es ihr doch, wie sehr sie sich auf ihn verlassen konnte. Alles, was er brauchte, war ihr Wort. Juvia: Er hat bestimmt einen guten Grund dafür. Und jetzt saß sie hier und erzählte Gajeel das Gleiche, das andere Leute ihr auch schon gesagt hatten, um sie zu beruhigen. Weil es das Vernünftige ist, bestätigte der realistische Teil ihres Verstandes. Alles andere machte überhaupt keinen Sinn und passte schlichtweg nicht zu Gray. Wenn sie nur wüsste, was los war! Vielleicht sollte sie sich jetzt doch einen Ruck geben und ihn entweder anrufen oder ihm zumindest eine Nachricht schicken, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. 19:18 zeigte ihr Handyuhr bei einem Blick darauf an und sie verzog unglücklich den Mund. Über eine Stunde saß sie nun schon hier und wartete. Was sollte denn jetzt noch aus ihnen werden? Als ihr Handy plötzlich zu vibrieren begann, ließ sie es beinahe fallen. Gray ❤ – Eingehender Anruf meldete es und sie friemelte so hastig danach, dass ihr das flache Gerät tatsächlich aus der Hand rutschte und auf ihren Teller knallte. Rasch griff sie wieder danach und riss beinahe ihr Glas um, doch dann schaffte sie es endlich den Anruf anzunehmen. „Ja!“, rief sie so laut, dass sich vom Nebentisch jemand in ihre Richtung drehte. Sie zog den Kopf ein und fuhr gemäßigter fort: „Gray? Hier ist Juvia!“ Würde er ihr jetzt absagen? Würde er ihr jetzt erklären, dass er es sich anders überlegt hatte und das Date doch keine so gute Idee gewesen war? Oder würde er ihr einen fadenscheinigen Grund vorspielen? Ihre Gedanken überschlugen sich. Oder war es gar nicht Gray? Rief ein Sanitäter an oder einer von Grays Freunden oder sonst jemand um ihr mitzuteilen, dass er einen Unfall gehabt hatte oder…? Wie konnte sie am Bestens ins Krankenhaus kommen, welche U-Bahnlinie fuhr dort vorbei und wann ging die nächs- „Juvia?“ Grays dunkle Stimme brachte ihre sich überschlagenden Gedanken zum Stillstand. Dafür schlug ihr Herz plötzlich höher und ihr Bauch kribbelte vor Aufregung und auch nach der Wartezeit und all dem Frust hatte sich ihre Reaktion auf ihn kein Stück verändert. „Wo bist du?“ „Juvia ist…“, begann sie, doch ihr Hirn kam nicht mehr hinterher. Völlig verwirrt wollte sie wissen: „Was.“ Sie blinzelte. Was meinte er? War nicht er der, der am falschen Ort war, ganz egal, wo er sich gerade aufhielt? Warum war er nicht im River Mermaid, war hier eher die Frage? „Wo sollte Juvia schon sein?“ Für einen Moment herrschte Schweigen und ihr überreagierender Verstand sprang sofort zu der Möglichkeit, dass er einfach aufgelegt hatte, ohne etwas zu sagen. Doch das wäre Blödsinn, das hätte selbst sie mitgekriegt. „Wir wollten uns doch beim Café treffen?“, fragte Gray vorsichtig. „Ich warte seit einer ganzen Weile hier. Ich meine, wenn du es dir anders überlegt hast oder dir etwas dazwischen gekommen ist, dann bin ich dir nicht böse? Wir können es gern noch ein andermal probieren oder gar nicht. Ich will nur einen klaren Stand der Dinge. Wir sollten-“ „Am… am Café“, wiederholte Juvia verdutzt, die den auf den einleitenden Satz folgenden Wortschwall nur am Rande mitgekriegt hatte. Ihr Verstand war wie leergefegt. Am Café?! Aber… aber…? Warum am Café?! „Ja“, antwortete Gray „weil ich hier besser parken kann? Im River Mermaid ist der Parkplatz immer so überfüllt.“ „Oh“, machte Juvia und für einen Moment fühlte sie sich hohl. Dann fühlte sie sich blöd. Sie dachte an den Mittwoch zurück, als er sie nach der Arbeit abgefangen hatte. Das Wetter war schön gewesen, so dass es ihre sowieso schon gute Laune noch etwas angehoben hatte, und dann war auch noch Gray aufgetaucht um mit ihr zu reden. Hätte der Tag noch besser sein können? Offensichtlich schon, denn er hatte sie zur U-Bahn-Haltestelle begleitet und es nach einigem Herumdrucksen sogar geschafft, die Frage zu stellen. Vor der Treppe, die hinunter zur Bahn führte, hatten sie Termin und Ort ausgemacht und dann war ihre U-Bahn längst weggewesen, aber nicht einmal das hatte sie gestört. Sie meinte sich daran zu erinnern, dass Gray dabei über sein Auto geredet hatte. Doch noch immer auf dem Hoch, von ihm auf ein Date eingeladen worden zu sein und nicht nur irgendwo, sondern im River Mermaid, einem der besten Restaurants der Stadt, hatte sie seine Worte nur vage realisiert. Sie musste ihn missverstanden haben! Oh nein! Wie hatte das nur passieren können?! Was sollte er denn jetzt von ihr denken? Warum machte sie immer solche dummen Fehler? Und warum konnte sie sich einfach nicht richtig konzentrieren, wenn er seine Aufmerksamkeit auf sie richtete? Ihr Herz schlug auch jetzt so heftig, dass er es sicher auch über das Telefon noch hören konnte. „-via? Juvia, bist du noch dran?“ Grays Stimme riss sie aus den Gedanken und sie sank unwillkürlich in sich zusammen, auch wenn er sie gar nicht sehen konnte. „J-ja“, stotterte sie, nur um gleich darauf kleinlaut zuzugeben: „Juvia… Juvia ist schon im Restaurant. Sie dachte, wir wollten uns hier treffen.“ „Oh“, antwortete Gray und er schien nicht zu wissen, was er darauf antworten sollte. Juvia hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Wie sollte er auch? Er war sicher noch nie mit einer Frau ausgegangen, die ihm nur mit halbem Ohr zuhörte und dann alles falsch machte! Warum passiert immer ihr sowas Dummes? Trotzdem fühlte sie sich plötzlich wieder besser, als ihr langsam klar wurde, was das bedeutete. Gray hatte sie nicht versetzt und war immer noch bereit für dieses Date! Alle Frustrationen und Sorgen der letzten Stunde waren völlig überflüssig gewesen. Ein Stein fiel ihr vom Herzen. Hastig griff sie nach ihrer Jacke und ihrer Tasche. „Juvia kommt dich abholen!“, versprach sie und die Erleichterung blubberte in ihr hoch. Plötzlich fühlte sie sich leicht und beschwingt und sie könnte hüpfen und tanzen vor Freude. Gray hatte nicht versetzt! Gray wollte immer noch mit ihr auf ein Date gehen! Gray hatte ebenso gewartet wie sie! „Das ist doch Blödsinn“, antwortete er kurz angebunden und Juvias Herz rutschte ihr in die Hose. Sagte er es jetzt doch ab? Nur, weil sie zu blöd gewesen war, ihm richtig zuzuhören und das mieseste Missverständnis der Weltgeschichte aufgetan hatte? Doch ehe sie etwas sagen konnte, redete Gray schon weiter: „Du musst jetzt nicht herkommen, nur um gleich darauf wieder zurückzulaufen. Ich bin schon unterwegs und gleich da.“ „O-okay!“ Sie konnte das Lächeln nicht unterdrücken, das sich unwillkürlich auf ihrem Gesicht ausbreitete. Vermutlich strahlte sie jetzt wie eine Bekloppte, aber was ging das all die Leute an! „Juvia wird hier warten.“ „Gut. Fang nicht ohne mich an.“, antwortete er und sie konnte sein neckendes Grinsen selbst durch das Telefon hören. „Niemals!“, versprach sie und ihr rann ein Schauer über den Rücken, als er antwortete, seine Stimme tief und rau: „Gut.“ Und damit legte er auf. Juvia ließ das Handy langsam sinken und starrte für einen Moment blicklos auf den Screen, während sie versuchte, ihre aufschäumenden Gefühle wieder unter Kontrolle zu kriegen. Gray würde gleich hier sein! Und wenn es auch etwas verspätet war, sie würden ein tolles Date haben. Ein tolles Essen genießen und noch viel wichtiger, eine tolle Gesellschaft! „Sie sehen aus, als hätten Sie eine gute Nachricht erhalten.“ Risleys Stimme ließ sie von ihrem Handy aufblicken, auf dem immer noch Grays Kontaktseite offen war. „Kommt er doch noch?“ „Ja!“, antwortete Juvia begeistert und ihr Lächeln wurde noch breiter. Aber sie war einfach nur so glücklich! Alle Sorgen und aller Ärger waren wie weggeblasen. Ganz egal, was jetzt noch geschah, schlimmer konnte es kaum werden! „Er hat auch gewartet“, erklärte sie der Kellnerin aufgeregt. „Nur an einer anderen Stelle. Juvia war dumm und hat alles falsch verstanden.“ Sie setzte sich gerader hin und zappelte nervös herum. Über Risleys Gesicht huschte ein ehrliches Lächeln und Juvia schwärmte erneut: „Er hat auch auf Juvia gewartet.“ Das bedeutete etwas. Dass er gewartet hatte, nervös und besorgt wie sie selbst. Ob er auch mit jemandem gesprochen hatte, der so rückhaltlos hinter ihm stand und ihn ermutigt hatte? Juvia hoffte es für ihn, er verdiente es. Risleys Lächeln wurde mütterlich-nachsichtig. „Das freut mich für Sie. Dann geht das ja doch noch gut aus, sehen Sie? Ich bringe Ihnen schon einmal die Speisekarten.“ Risley nahm den leeren Teller auf und wandte sich wieder ab. „Danke!“, rief Juvia hinter ihr her, der die herzliche Kellnerin ans Herz gewachsen war. Sie würde ihr ganz sicher ein großzügiges Trinkgeld dalassen. Dann beugte sie sich wieder über ihr Handy, auf dem sich inzwischen die Nachrichten angesammelt hatten. Meredy: Das liegt wohl an dir, oder? Mach das Beste draus! ;) Motte: Und er ist es doch, um den es geht, oder? Nicht um irgendwelche Banker, die dich beim Essen beobachten, wenn sie sich auf ihr eigenes konzentrieren sollten. Lass dich nicht so schnell unterkriegen. Gaji: Das will ich ja wohl hoffen! Ansonsten kann er was erleben. Niemand lädt ungestraft meine kleine Schwester ein und lässt sie dann einfach sitzen! Motte: Ich muss jetzt einen müden Frosch ins Bett bringen. Ruf an, wenn du noch etwas brauchst. Mit einem Lächeln las sie die Nachrichten durch und fühlte sich mit einem Mal noch mehr gesegnet als gerade eben schon. Was hatte sie in ihrem früheren Leben getan, um diese wundervollen Leute zu verdienen, die ihre Familie waren? Das warme Gefühl in ihrem Bauch jedenfalls sagte, dass es etwas sehr, sehr Großes gewesen sein musste. Sie antwortete ihnen allen mit einer kurzen Entwarnung, während Risley die versprochenen Speisekarten brachte, und setzte sich dann gerader hin. Sie schlug die Beine übereinander und stellte sie dann wieder nebeneinander flach auf den Boden, ehe sie sie lang ausstreckte. In ihrem Bauch kribbelte es aufgeregt und sie zupfte an ihren Haaren und fummelte mit ihrem Handy herum. Gray würde gleich hier sein und plötzlich schien sie wieder zu viel Energie zu haben, die sie irgendwie loswerden musste. Krampfhaft weigerte sie sich, nach ihrer Tasche zu greifen und erneut den Spiegel herauszuholen, obwohl sie das jetzt vermutlich nötig hatte. Stattdessen spielte sie mit dem Rücken ihrer Speisekarte. Sollte sie sich schon etwas heraussuchen? Gray kannte das Menü sicher schon, er würde schneller etwas finden als sie… Aber das erschien ihr nicht richtig, vor allem nicht, da sie ihm vorhin erst versprochen hatte, nicht ohne ihn anzufangen. Natürlich war ihr klar, dass das nur ein Scherz war, aber trotzdem kam es ihr falsch vor. Schließlich gab sie doch auf und schnappte sich ihre Tasche, um den Spiegel herauszuholen. Doch wider Erwarten war ihr Make-up noch immer perfekt und die wenigen verirrten Haare, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten, waren rasch wieder an Ort und Stelle verfrachtet. Sie hoffte, dass es Gray gefallen würde. Entschlossen setzte sie sich so hin, dass sie die Tür im Blick hatte, und wartete. Gleich würde Gray durch diese Tür kommen und sie konnten bestellen und essen und die Gesellschaft des jeweils anderen genießen, während sie sich näher kennenlernen würden. Sie hatte so viele Fragen und wollte so viel erzählen und einfach nur bei ihm sein und ihn kennenlernen und noch so vieles andere. Das Kribbeln in ihrem Bauch wurde intensiver und sie konnte nicht aufhören zu lächeln. Ihre Geduld wurde schon bald gelohnt, als die Tür sich erneut öffnete und endlich, endlich Gray hindurchtrat. Er wirkte ein wenig unordentlich, sein dunkles Haar in alle Richtungen abstehend, die Wangen leicht gerötet von der Kälte und dem raschen Fußmarsch vom Café hierher. Das weiße Hemd hing über seine dunkle Jeans und sein Jackett war über die Ellbogen hochgekrempelt. Doch trotzdem konnte Juvia sich keinen perfekteren Anblick vorstellen. Für einen Moment sprach er mit der Dame am Empfang, die nach hinten deutete, und dann war Juvia schon auf den Beinen und hob Aufmerksamkeit heischend eine Hand. Freudig strahlend grinste sie über das ganze Gesicht und am liebsten wäre sie auf ihn zugeeilt um ihm um den Hals zu fallen. Doch sie raffte gerade noch genug Selbstbeherrschung zusammen, um das nicht zu tun. Zum einen war dies nicht der richtige Ort dafür und zum anderen – viel wichtiger – würde sie Gray durch so ein Verhalten eher abschrecken als für sich gewinnen. So viel hatte sie schon über ihn gelernt. Stattdessen blickte sie ihm entgegen, als er in ihre Richtung kam, und sie konnte genau den Moment erkennen, als er sie endlich entdeckte. Für einen winzigen Moment kam er aus dem Tritt, kein wirkliches Stolpern, nur ein Zögern. Sein ganzes Gesicht hellte sich auf und dann breitete sich ein Lächeln darüber aus – nicht sein übliches Grinsen, das ihr Herz höher schlagen ließ, und auch kein Strahlen, denn dafür war er einfach nicht der Typ. Es war ein kleines Lächeln, ehrlich und glücklich, als könnte er sich keinen besseren Anblick vorstellen. Ein Lächeln, das nur für sie war. Juvia spürte, wie ihre Kehle trocken und ihre Knie weich wurden, und sie ließ ihre Hand langsam wieder sinken, während er auf sie zukam mit diesem glück beglückten Ausdruck im Gesicht. Für einen Moment schien es nur sie beide zu geben und alle anderen Leute hier waren ihr völlig egal. Sie würde noch einmal eine Stunde und länger allein an einem Tisch in einem schnieken Restaurant sitzen, nur um dieses Lächeln erneut geschenkt zu bekommen. ~~*~~☾~~*~~ Das Knallen der Autotür, als Juvia sie zuschlagen ließ, klang ungewöhnlich laut in der nächtlichen Stille, die sich über die Welt gelegt hatte. Der Wind strich kühl über ihr erhitztes Gesicht und jagte eine Gänsehaut über ihre Arme und es roch frisch und klar. Auch wenn sie sich mitten in der Stadt befanden, ganz in der Nähe der gut befahrenen Straße, die auch jetzt noch belebt war, so kurz nach Mitternacht, war es dunkel um sie herum. Die Straßenlaternen befanden sich am Gehsteig, weit weg von der Parklücke, zu der Juvia Gray dirigiert hatte. In der anderen Richtung befand sich der hohe Eisenzaun, der den Twilight Park begrenzte und an vielen Stellen bereits überwuchert war mit Pflanzen, so dass er in der Dunkelheit eher wirkte wie eine schwarze Masse. Kein Licht drang durch diese Absperrung. „Bist du sicher, dass ich dich nicht zur Haustür fahren soll?“, wollte Gray wissen und warf einen wenig überzeugten Blick zum Eingang der Grünanlage, kaum mehr als eine breite Lücke zwischen zwei Hecken. „Das ist so umständlich, da wieder rauszukommen, vor allem, wenn du wieder in die andere Richtung musst“, erklärte Juvia und streifte sich die Handtasche über den Kopf. „Da musst du einen riesigen Bogen fahren, Gaji schimpft auch immer.“ Sie winkte ab und schenkte ihrer Begleitung über das Dach seines Autos hinweg ein Lächeln. „Juvia geht immer hier lang, die Straßenbahn ist auch ganz in der Nähe. Das sind nur ein paar Minuten durch den Park.“ Gray furchte die Stirn, etwas, das sie in der Dunkelheit kaum erkennen konnte, und wirkte überhaupt nicht glücklich mit ihrer Behauptung. Aber er sagte nichts, also vergewisserte sie sich, dass ihre Tasche geschlossen war und richtig saß. Überrascht blickte sie auf, weil das Auto leise piepste, als Gray die automatische Verriegelung aktivierte. „Na schön. Aber ich bringe dich trotzdem zu deiner Haustür.“ Juvia öffnete den Mund um abzulehnen, doch kein Ton drang über ihre Lippen. Stattdessen lächelte sie ihn an. „Wenn Mr. Gray das wirklich möchte!“ Sie kicherte und hoffte, dass sie es auf den Alkohol schieben konnte. So viel hatte sie eigentlich gar nicht getrunken; sie war einfach high von seiner Gegenwart. Er rollte mit den Augen, doch ein nachsichtiges Grinsen umspielte seine Lippen. „Ich kann dich doch nicht alleine durch einen Park gehen lassen, nicht diese Uhrzeit.“ „Juvia kommt schon klar“, versicherte sie ihm, hängte sich aber trotzdem glücklich bei ihm ein, als er zu ihr aufschloss, die Hände in die Hosentaschen geschoben. Er protestierte jedoch nicht, sondern ließ sie gewähren. Hoffentlich bedeutete all das, dass sie bald noch ein zweites Date hatten und dann ein drittes und so weiter, denn sie würde das wirklich, wirklich gern tun. Sie ballte eine Hand zur Faust und boxte in die Luft. „Jeder, der sie für wehrlos hält, wird eine böse Überraschung erleben.“ „Schön zu hören“, antwortete Gray und sein Ton war so neutral, dass sie nur raten konnte, ob er sie aufzog oder ihr glaubte. Auf die meisten Männer, mit denen sie ausgegangen war, traf ersteres zu; der eine oder andere hatte sich bereits königlich über diese Behauptung amüsiert. Natürlich war sie kein zweites Mal mit diesen ausgegangen. Aber niemand wuchs mit einem Bruder wie Gajeel auf und kannte nicht den einen oder anderen Trick. Sie beließ es dabei, schon, um den schönen Abend nicht zu zerstören, den sie bis jetzt gehabt hatten. Denn der katastrophale Start war nur der Auftakt für das beste Date gewesen, das Juvia je gehabt hatte. Das Essen im River Mermaid Restaurant war besser, als sie es sich hätte vorstellen können, die Atmosphäre romantisch und intim. Danach hatten sie noch einen Spaziergang durch die hell erleuchtete Fußgängerzone gemacht, zur Kardia Kathedrale hinüber, wo sie sich noch einen Drink – oder auch drei, in Juvias Fall – in einer gemütlichen Bar gegönnt hatten, ehe sie einen Bogen durch den Kardia Park geschlagen hatten, Magnolias botanischen Garten, um zurück zu Grays Auto zu gekommen. Und natürlich Gray… Gray, der noch so viel perfekter und toller und besser war, als sie es sich je hätte vorstellen können. Ja, er war zurückhaltend und etwas distanziert und manchmal wusste er nicht so recht, wohin mit seinen sentimentalen Emotionen, denn er war viel zu cool, um sie einfach so auszudrücken. Aber er war auch humorvoll und witzig und einfühlsam und klug und auf eine spröde Art romantisch. Und kein einziges Mal hatte er sie belächelt, auch nicht, als sie zugegeben hatte, Fiore noch nie verlassen zu haben, oder weil sie verwechselt hatte, welches Besteck sie zuerst nehmen musste. Wenn auch drei Paar davon auf dem Tisch lagen! Wer blickte da noch durch? Sie hatten viel geredet – über belanglose Sachen wie Filme, Bücher und Musik, über Hobbys, über dieses und jenes. Aber auch über wichtigere Themen wie enge Freunde, die für Gray etwas wie eine Familie darstellten, über große Träume und kleine Wünsche. Das Gespräch war einfach dahingeflossen, ohne großes Stocken oder peinliche Pausen, als würden sie sich schon ewig kennen. Gemeinsam bogen sie in den Park ein, der finster und verlassen vor ihnen lag. Der Kiesweg schlängelte sich zwischen Mauern, Büschen und Grünflächen entlang; er war das einzige hier, das beleuchtet war. Außerhalb des Lichtscheins konnte man noch vage ein paar Bäume ausmachen, einen Brunnen auf einem kleinen Platz und die Geräte des Spielplatzes, der Juvia vertraut war und jetzt doch wirkte wie unförmige Gestalten, die jeden Moment zum Leben erwachen würden. Bei Nacht sah einfach alles anders aus. Der Weg quer durch den langgezogenen Park war tatsächlich nicht sehr weit, nur ein paar hundert Meter. In der Mitte kamen sie an einem Pavillon vorbei, der unter den Teenagern seit jeher ein beliebter Treffpunkt war, wie Juvia aus eigener Erfahrung wusste. Wie oft hatte sie sich hier mit Meredy und ihren anderen Freundinnen herumgetrieben oder einen Jungen getroffen. Jetzt war er leer und Juvia wünschte sich, sie wäre noch jung und unreif genug, um Gray einfach auf eine der steinerne Bänke zu ziehen, damit sie ein wenig herumknutschen konnten. Wäre nicht das erste Mal, dass sie so etwas machte. Sie kicherte bei dem albernen Gedanken daran und vertröstete sich darauf, dass das schon noch früh genug kommen würde. „Was ist?“, wollte Gray wissen und sie schüttelte den Kopf. Sie konnte ihm das wohl kaum anvertrauen, oder? Stattdessen lenkte sie ab: „Lass uns noch ein Foto machen!“ Bereits ihr Handy aus der Handtasche angelnd zog sie ihn am Arm zum Pavillon hinüber zu einer der Bänke. Hier war das Licht von den Laternen gut genug, ohne zu grell oder direkt im Bild zu sein, die perfekten Bedingungen also. „Ein Foto?“ Er klang nicht besonders begeistert bei dem Gedanken daran, wehrte sich aber nicht. Zumindest noch nicht. Juvia blickte halb begeistert von ihrer Idee und halb enttäuscht, dass er nicht wollte, zu ihm hoch. „Ja, bitte?“, flehte sie und versuchte, in seinen dunklen Augen zu lesen. Doch sie konnte den Ausdruck darin nicht erkennen; lag es am schwachen Licht oder an ihm? Sie versuchte es trotzdem: „Juvia möchte etwas, um sich an diesen Abend zu erinnern.“ Für einen Moment dachte sie, er würde ablehnen, doch dann nickte er. „Also gut.“ Sie stieß einen kleinen Freudenlaut aus und bugsierte ihn an die Stelle, an der sie ihn wollte, ehe sie kurz mit ihrem Handy herumfummelte, um die Kameraapp zu öffnen. „Ich schicke sie dir dann“, versprach sie ihm eifrig und lächelte zu ihm hoch. „Nicht nötig“, wehrte er ab. „Ich bin nicht so der Typ für Fotos.“ Sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu. Doch sie wollte jetzt auch nicht unbedingt über dieses Thema diskutieren, nicht, dass er jetzt doch noch die Flucht ergriff. Aber ein kleines Erinnerungsstück sollte er doch an ihr erstes Date haben. Also versprach sie ihm nur: „Aber das Beste kriegst du doch!“ „Wie du willst“, gab er nach und ließ zu, dass sie ihn zu sich herunterzog, so dass ihre Köpfe fast auf einer Höhe waren, damit sie ein Bild schießen konnte. Er roch leicht nach einem herben Aftershave und er war warm neben ihr und dann schlang er einen Arm um ihre Schultern, so dass ihr herz einen Hüpfer machte. Das Handy gab ein Klicken von sich, als sie auf den Auslöser rückte. „Du musst schon lächeln!“, rügte sie ihn und versuchte es erneut und dann noch einmal. Dann drehte sie den Kopf und presste ihm einen Kuss auf die Wange, während sie erneut auf den Auslöser drückte. Und dabei war ihr egal, ob das eine furchtbar kitschige Geste war! Auf dem nächsten Bild sah Gray furchtbar überrascht aus, während sie selbst spitzbübisch in die Kamera grinste. Auf dem danach lächelte er wirklich, nur klein und versteckt, aber das reichte ihr schon. Überfordern musste sie ihn ja auch nicht. Trotzdem versuchte sie es noch einmal, bis Gray schließlich bestimmte: „Okay, genug!“ Doch sie konnte das Lachen in seiner Stimme hören, auch wenn er es nicht offen zeigte. „Sonst stehen wir noch morgen früh hier.“ „Wenn du meinst“, gab sie zögerlich nach und ließ zu, dass er sie aus dem Pavillon führte. Stattdessen packte sie ihr Handy wieder weg und schlang beide Arme um seinen. Am liebsten hätte sie ihn noch einmal geküsst, diesmal aber richtig. Doch er blickte sie nicht einmal an, sondern konzentrierte sich auf den Weg, der vor ihnen lag, also riss sie sich zusammen. Nach einem weiteren kurzen Fußmarsch erreichten sie den Ausgang des Parks und von da mussten sie nur noch zwei Straßen hinuntergehen um den Apartmentkomplex zu erreichen, in dem sie wohnte. Die Fassade war dunkel, nur noch hinter ein paar wenigen Fenstern brannte Licht, und auch die Straße war nicht befahren, kein Wunder bei der Uhrzeit. Nur jede Menge Autos reihten sich am Straßenrand aneinander und von der Hauptstraße drang der Verkehrslärm herüber. „Da wären wir“, sagte sie, als sie vor der Haustür standen, und löste sich zögerlich von ihm, um die einzelne Stufe hinaufzusteigen. Jetzt war sie beinahe auf gleicher Höhe mit ihm, so dass sie kaum den Blick heben musste, um ihm in die Augen sehen zu können. Sie wollte noch nicht gehen, aber das war das Ende ihres schönen Abends. Am liebsten hätte sie ihn mit hineingenommen auf einen Kaffee, wie man immer so schön sagte, doch sie biss sich stattdessen auf die Unterlippe und blickte an ihm vorbei auf den Boden. „Ich hoffe, du hattest Spaß“, begann er schließlich und rieb sich dann verlegen den Nacken. „Trotz des eher … missglückten Anfangs.“ „Das war Juvias Schuld“, belehrte sie ihn und schenkte ihm ein sanftes Lächeln, ehe sie ihm versicherte: „Juvia hat es sehr gefallen. Vielen Dank für diesen wundervollen Abend. Und das Essen und… ach, einfach alles!“ Sie ließ zu, dass die Begeisterung ihre Stimme ungehindert färbte, und umarmte ihn spontan. „Und es tut ihr auch leid, dass sie so dumm war und nicht an den vereinbarten Treffpunkt gekommen ist.“ Er erwiderte ihre Umarmung zögerlich und sie löste sich rasch wieder von ihm. So gut, wie es heute gelaufen war, wollte sie ihn nicht mit ihrer Überschwänglichkeit doch noch verschrecken! Stattdessen ließ sie zu, dass er ihre Hände in seine nahm und erwiderte den Händedruck. Von Gray stammend sagte diese Geste mehr als jedes Wort. „Wenn du nicht mehr darüber redest, tu ich das auch nicht mehr“, sagte er grinsend. „Wir tun so, als wäre dieses Missverständnis nie passiert.“ „Juvia kann gut damit leben!“, versicherte sie ihm und für einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen. Es war ein einvernehmliches Schweigen und Juvia hatte das Gefühl, dass ihre Herzen im gleichen Takt schlugen. Seine Finger waren warm in ihren und ihr Griff fest und sicher, aber nicht hart, und seine dunklen Augen wirkten unergründlich. Doch sie meinte, einen Funken in ihren Tiefen zu erkennen, und er sah sie auf eine Art an, die sie mit Wärme erfüllte und ihr gleichzeitig einen Schauer über den Rücken jagte. Zögerlich warf sie ihm unter den Wimpern einen Blick zu. „Und du? Hat es dir auch gefallen?“ „Ja… Ich…“ Er zuckte mit den Schultern. Das klang zwar nicht sehr überzeugend, aber Juvia kannte ihn inzwischen gut genug um zu ahnen, wie viel die Aussage tatsächlich bedeutete. Und als er fortfuhr, wurde ihr warm vor Glück. „Ich bin nicht sehr gut in sowas. Also, all diesem Zeug, vor allem am Anfang, aber mit dir war es einfach. Ich… Also… Wir…“ Er räusperte sich unbeholfen und versuchte es erneut: „Ich bin…“ Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Juvia versteht schon, du musst nichts sagen, wenn du nicht bereit dafür bist.“ Sie schenkte ihm ein verschwörerisches Lächeln, ehe sie ihn offen anstrahlte. „Noch einmal viel Dank. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.“ „Ganz sicher“, versprach er ihr spontan und machte einen Schritt zurück, ohne ihre Hände loszulassen, ehe er unverfroren hinzufügte: „Ich brauche ja meinen Montagskaffee.“ Sie stieß ein erstauntes Lachen aus und verstärkte den Griff um seine Finger. Sie wollte ihn noch nicht loslassen, sich noch nicht von ihm trennen. Wäre es wirklich so schlimm, wenn sie ihn mit hochnahm? Würde er sie dann für ein Flittchen halten, obwohl das das erste Mal wäre? „Ich sollte jetzt gehen“, unterbrach er ihre Überlegungen und entzog ihr nun doch seine Hände. Da ging ihre Chance dahin… Aber es war vermutlich besser so. Sie mussten es langsam angehen lassen. Da war noch etwas, das verhinderte, dass er sie ganz an sich heranließ. Juvia musste Geduld haben. „Ich… ich melde mich bei dir“, versprach er ihr allerdings und schob die Hände in die Jackentaschen. „Du hast hoffentlich demnächst wieder Zeit?“ „Auf jeden Fall!“, versicherte sie ihm etwas zu laut, vor allem für diese nächtliche Stille, die jedes Geräusch noch einmal zu vervielfachen schien. Er grinste und beugte sich dann vor, um ihr einen verweilenden Kuss auf die Wange zu pressen. Seine Lippen waren kühl und weich und sie wollte den Kopf drehen und ihn richtig küssen, während ihr Körper gleichzeitig vor Überraschung versteinerte. Was auch immer sie erwartet hatte, das sicher nicht! Doch dann löste er sich schon wieder von ihr und sie vermeinte zu erkennen, dass sein Blick für einen Moment zu lang auf ihren Lippen verharrte. Dann räusperte er sich. „Also. Bis Montag. Schlaf gut.“ Seine Stimme klang rau und ihr wurde heiß. Wie sie wohl klingen würde, wenn er gerade erst erwacht war? Oder während… Sie verbot sich den Gedanken, ehe er in sinnlichere Gebiete abrutschte. „Du auch! Komm gut nach Hause“, erwiderte sie automatisch, noch immer zu perplex über die unerwartete Geste um sich zu rühren. Doch sie schaffte trotzdem noch ein strahlendes Lächeln, das sich einfach nicht unterdrücken ließ. Wie auch, sie war einfach so glücklich! In ihm arbeitete es, das konnte sie sehen, während er gleichzeitig noch einen Schritt zurückwich. Gleich würde er sich umdrehen und gehen. Vielleicht würde er ihr noch einmal zuwinken und- „Ach, Scheiß drauf“, murmelte er wie zu sich selbst und trat entschlossen wieder nach vorne, so dass sie sich beinahe berührten. Erneut konnte sie ihn riechen, seine Wärme spüren, wie zu dem Zeitpunkt, als sie die Fotos gemacht hatten, und sie wollte die Arme um seinen Nacken schlingen und ihn zu sich ziehen. Überrascht blickte sie zu ihm auf. Scheiß auf wa- Er überbrückte den Abstand zwischen ihnen und küsste sie, diesmal richtig und ihr Verstand setzte aus. Oh. Oh! Ihre Welt schien auf diesen Moment zusammenzuschrumpfen und auf diesen Mann und dieses wunderbare, elektrisierende Gefühl, das sie erfüllte. Er war ein fantastischer Küsser und als er ihr Gesicht zart und fest zugleich in die Hände nahm, fühlte sie sich wie das Wertvollste auf dieser Welt. Sie seufzte hingerissen gegen seine Lippen und drängte sich ihm entgegen, erwiderte den Kuss mit aller Leidenschaft und fuhr mit den Händen in sein wirres Haar, wie sie es schon von Anfang an hatte tun wollen. Es war so weich, wie es ausgesehen hatte, und sie wollte ihn festhalten und nie wieder loslassen. Als sie sich schließlich voneinander lösten, atmeten sie schwer und sein Lächeln ließ ihr Herz noch höher schlagen und sie war sich sicher, ein bescheuertes Grinsen auf den Lippen zu haben. Er hatte sie geküsst! Gray hatte sie geküsst! Sie fühlte sich wieder wie ein Teenager, nervös und hippelig und wunderbar. Und Meredy konnte lästern, so viel sie wollte, das hier war besser als alles andere! Doch als sie ihn erneut küssen wollte, trat er wieder zurück und löste sich von ihr, die Hände erneut in den Jackentaschen vergrabend. Da war etwas in seinem Gesicht, das sie nicht lesen konnte, aber seine Augen glühten und ihr wurde ganz heiß unter diesem Blick. Diesmal wusste sie, dass es endgültig war – zumindest für diesen Abend. „Ich… ich muss jetzt wirklich gehen“, bemerkte er und schwieg dann, obwohl Juvia das Gefühl hatte, dass er noch so, so viel mehr sagen wollte. Doch kein weiterer Ton dran über seine Lippen. Stattdessen schenkte er ihr noch ein Lächeln, das ihre Knie weich werden ließ, und wandte sich ab. Er hob nur noch eine Hand zum Gruß und warf beinahe nachlässig über die Schulter: „Gute Nacht, Juvia. Bis Montag.“ Schwach hob sie eine Hand und winkte ihm, während sie zusah, wie er die Straße hinunterging. „Gute Nacht, Mr. Gray…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)