Null Grad Celsius von Arianrhod- ([Gruvia]) ================================================================================ 2018 | 3. Day | Journey || Food for Thought (Building Family) ------------------------------------------------------------- „Wartest du auf jemanden?” Die melodische Stimme war warm und süß wie dunkler Honig und der Duft von Jasmin und Rosen stieg in Grays Nase, noch ehe er den Kopf wenden konnte, um die Sprecherin anzusehen. Der Geruch war nur fein, dezent, doch er fühlte sich, als würde er daran ersticken. Sie war schön; hochgewachsen und schlank mit exakt der Figur, die ihr Blicke von Männern und Frauen gleichermaßen einbrachte. Ihr kurzes Schwarzes, das einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté bot, ohne zu billig zu wirken, schmiegte sich um ihre Kurven. Es entblößte gerade genug tiefgoldener Haut, um sie begehrenswert erscheinen zu lassen. Sie hatte das passende Gesicht dafür, das umgeben war von einer Wolke dunkelbraunen Haares – schmal, ebenmäßig, hohe Wangenknochen, volle Lippen und funkelnde braune Augen, die weder so schön noch so expressiv wie Juvias waren. Ihre High Heels machten sie größer als ihn, erst recht in seiner sitzenden Stellung, und ihre perfekt inszenierte Schönheit ließ sie kühl und reserviert wirken, auf Abstand bleibend, abwartend. Ihr Knie streifte seines, als sie anmutig neben ihm auf den Barhocker glitt und die ellenlangen Beine übereinanderschlug, die beinahe so wohlgeformt waren wie Juvias. Unter ihren langen, dichten Wimpern blickte sie ihn verheißungsvoll an und die tiefrot geschminkten Lippen verzogen sich zu einem einladenden Lächeln. Sie legte ihre Tasche, die zu winzig war, als dass mehr hineinpassen konnte als ein Lippenstift und zwei Schlüssel, vor sich auf den Tisch. Ihre manikürten Fingernägel schillerten im Licht der Bar. „Denn du siehst aus, als würdest du einen schönen Abend verdienen und das geht besser zu zweit. Einen Gimlet, bitte.“, wandte sie sich direkt an den Barkeeper, der sich mit einem knappen Nicken wieder abwandte. Sie lehnte sich leicht zu Gray und der zarte Duft ihres Parfüms schwebte herüber, süßlich und viel zu deutlich. „Sie haben den besten Gin hier“, vertraute sie ihm an und ihr Blick wanderte anerkennend an ihm hinauf. „Und die besten Männer.“ Sie blinzelte, ihr Lächeln jetzt spitzbübisch. Vor fünf Jahren hätte er ihr Angebot ohne zu zögern angenommen. Aber jetzt… Jetzt lag die Sache anders und er musste den Fluchtreflex unterdrücken. Dabei konnte sie nichts dafür, dass sie ihn an seine Ex erinnerte. „Ich bin nur auf einem Businesstrip hier“, antwortete er darum abweisend und hoffte, dass sie den Wink verstand. Das war nicht das erste Mal, dass er von einer Frau ungebeten angeflirtet wurde. Die meisten wurden rasch von seinem barschen Verhalten verprellt, vor allem, wenn die Auswahl so groß war wie hier. Ein anderer Mann konnte ihr sicher einen angenehmeren Abend bieten. Sie befanden sich in der Bar des crocuser Hotels, in der die Architekturtagung stattfand, zu der Makarov ein paar seiner Mitarbeiter geschickt hatte. Die halboffenen Räumlichkeiten wirkten elegant und modern gleichzeitig, beschienen von goldenem Licht, das sich auf dem Glas und dem Chrom der Bar und den Möbeln spiegelte. Durch die großen Fenster konnte man in den Garten mit seinem Teich hinaussehen, bis hinüber zu der Terrasse des hauseigenen Restaurants, die um diese Jahreszeit unbenutzt war. Von seinem Platz an der Bar aus konnte er Macao und Wakaba sehen, die – nachdem sie ihr Glück vergeblich bei ein paar weiblichen Gästen versucht hatten – jetzt in eine lebhafte Diskussion mit anderen Teilnehmern der Tagung verwickelt waren. Bisca befand sich in ihrem Zimmer, da sie noch mit ihrer Familie skypen wollte, wusste Gray, doch Loke konnte er nirgendwo entdecken. Gray hoffte für ihn, dass er nicht irgendwo eine attraktive Frau gefunden und mit ihr verschwunden war. Lucy würde es herausfinden und ihm die Hölle heiß machen, ehe sie ihn fallen ließ wie eine heiße Kartoffel. Dabei sah das, was die beiden sich da aufbauten, tatsächlich ziemlich solide aus, und sie waren beide nicht sehr erfolgreich, was länger andauernde Beziehungen anging – aus sehr unterschiedlichen Gründen natürlich. Eigentlich wusste Gray gar nicht, was er hier wollte. Vielleicht sollte er die Frau abwimmeln, seinen Whisky leeren und von hier verschwinden. Auf seinem Zimmer konnte er immer noch das Tagungsmaterial durchgehen oder den Laptop anwerfen und sich auf Wohnungssuche begeben. Das winzige Apartment, in dem er im Moment lebte, hatte er nur genommen, um endlich von Natsus Couch herunterzukommen und war nicht das, was er sich unter einem Heim vorstellte. „Oh“, machte die junge Frau neben ihm und unterbrach seine Gedanken. Sie setzte sich wieder gerader auf und zog eine fein geschwungene Augenbraue hoch. „Zu eingespannt, um Arbeit mit Vergnügen zu mischen?“ Sie klang enttäuscht, aber noch hoffnungsvoll. „So was in der Art“, wehrte Gray ab und nippte an seinem Glas. Er hatte wirklich keine Lust, mit einer Wildfremden, die ihn ausgerechnet in einer Bar angesprochen hatte, über seine Probleme zu reden. Dass es nicht die Arbeit war, die ihn abhielt, konnte er nicht einmal sich selbst vormachen. „Ah“, antwortete sie verständnisvoll. „Nicht die Arbeit, aber Frauenprobleme.“ War er so leicht zu durchschauen? Und bedeutete es einen Fortschritt, dass ihm dabei automatisch Juvia in den Sinn kam und nicht mehr seine Ex…? Immerhin war es eigentlich letztere, deren Echo bei seiner Barbekanntschaft mitschwang. Oder vielleicht sollte er eher an Erza denken, die fünf Zentimeter davor war, ihn entweder in den Wahnsinn oder einen Nervenzusammenbruch zu treiben. Erza war auf jeden Fall die sicherste, gefahrloseste Wahl, die am wenigsten Komplikationen mitbrachte. Bevor er etwas antworten konnte, wurde eine Cocktailschale mit trübweißem Inhalt vor der Brünetten abgestellt, an deren Rand ein Limettenrädchen gesteckt worden war. Sie dankte mit einem Nicken und einem Lächeln und beschäftigte sich ein paar Augenblicke damit, umständlich das Geld aus ihrer winzigen Tasche zu suchen. Als der Barkeeper sich entfernte, beantwortete Gray ihre Frage mit einem unverbindlichen Schulterzucken und einem unbestimmten Geräusch. Sollte sie daraus doch machen, was sie wollte. „Zu dumm“, erklärte sie und prostete ihm zu, ehe sie an ihrem Glas nippte. „Wir hätten viel Spaß miteinander haben können.“ Sie lächelte noch einmal und rutsche von dem Barhocker. „Schade.“ Kurz drückte sie seine Schulter, als sie an ihm vorbeiging, eine seltsam freundschaftliche Geste, vor allem für eine Frau, die gerade noch mit ihm geflirtet hatte. „Für was das auch immer gut sein mag, viel Glück mit deiner … Freundin.“ Ihre Worte klangen sogar ehrlich und mit schwingenden Hüften wanderte sie davon, den nächsten einsamen Mann ansteuernd, der ihr ins Auge fiel. Anscheinend wollte sie daran festhalten, eine aufregende Nacht zu erleben. „Weißt du“, bemerkte Loke, als er sich auf den Stuhl schwang, den sie eben verlassen hatte, und ertappt wandte Gray sich zu ihm um. Doch Loke sah an ihm vorbei zu der Frau, ehe er den Blick auf Gray richtete und fortfuhr: „Ich fühle mich beinahe ein wenig beleidigt, dass du sie einfach so abgewimmelt hast.“ Heftig wandte Gray sich ab. „Ich bin nicht in Stimmung für sowas.“ „Für was genau? Eine heiße Nacht? Eine schöne Frau?“ Loke zog die Augenbrauen hoch. „Oder vielleicht ein Abenteuer ohne Bindungen?“ Gray fühlte sich, als hätte sein Freund ihm in den Magen geboxt. Wie konnte er den Nagel so genau auf den Kopf treffen? Und wieso fing er jetzt auch noch damit an? Als ob Lucy und Natsu ihm nicht schon genug damit in den Ohren liegen würden. Zum Glück war Erza gerade anderweitig beschäftigt, ansonsten würde er vermutlich von einem Blind Date zum nächsten stolpern. „Ehrlich gesagt habe ich keine Lust, ausgerechnet mit dir über sowas zu sprechen“, wehrte Gray ab und leerte den Rest seines Drinks, ehe er von seinem Stuhl rutschte und seine Jacke von der Lehne nahm. „Ich verzieh mich. Wir sehen uns dann morgen, schätze ich.“ Damit wandte er sich ab und ging davon, die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Jaaaah“, antwortete Loke langgezogen und beeilte sich, zu ihm aufzuschließen. „Nein. Nein, ich glaube nicht.“ Er warf einen Arm über Grays Schultern, als sie die Lobby betraten, und dirigierte ihn in die Richtung des Ausgangs. „Da geht’s lang.“ „Manchmal frage ich mich, was Lucy in dir sieht“, bemerkte Gray und blieb stehen. Loke stoppte abrupt. „Hey, man, jetzt nicht persönlich werden, ja? Ich verhalte mich wie ein perfekter Gentleman. Und du brauchst ein wenig frische Luft, nun komm schon. Dein einsames Zimmer läuft dir nicht weg.“ Er machte eine Kopfbewegung in die Richtung der Tür, hinter der ein paar beleuchtete Treppenstufen zum Gehweg hinunterführten. „Du wirst mich nerven, bis ich nachgebe.“, stellte Gray nach einem Moment fest und Loke grinste ihn an. „Du hast es erfasst. Wer so einer schönen Frau, die keinen Hehl aus ihrem Interesse macht, einfach den Laufpass gibt, hat Redebedarf.“ „Ich werde nicht zurückgehen und mit ihr reden, ganz egal, was du mir erzählst“, stellte Gray klar. „Das meinte ich auch nicht und jetzt komm.“ Loke drehte sich um und stieß die Tür auf, um das Hotel zu verlassen. Er schien sich absolut sicher darüber zu sein, dass Gray folgen würde und genau darum war dieser einen Moment versucht, sich einfach umzudrehen und doch auf sein Zimmer zu gehen. Aber dann gab er mit einem Seufzen auf und folgte seinem Kollegen. Loke würde es ihm ewig vorhalten, wenn er ihn einfach so stehen ließ. Sie arbeiteten zwar erst ein paar Monate zusammen, aber beim Studium waren sie sich schon einige Male über den Weg gelaufen, auch wenn Loke ihm zwei Semester voran gewesen war. Darum war es leicht gewesen, die Freundschaft wiederaufleben zu lassen und schließlich auszubauen. Irgendwie passte Loke auch perfekt in seinen Freundeskreis, nicht nur, weil er und Lucy angefangen hatten zusammen auszugehen. Er verstand sich zu Grays Erschrecken sogar hervorragend mit Cana, obwohl sie ihm bei ihrem ersten Treffen den Kater meines Lebens verschafft hat, Gray, bist du sicher, dass diese Frau kein Loch als Magen hat? Die frische Nachtluft schlug Gray entgegen, als er auf den Gehsteig trat, und er war froh, dass er seine Jacke mitgenommen hatte. Die Tage waren im Moment frühlingshaft warm, doch jetzt, da die Sonne weg war, zeigte es sich deutlich, dass sie noch nicht einmal April hatten. Loke sagte nichts, als er den Weg zur Uferpromenade einschlug, die am Burggraben entlangführte, der das Mercurius umgab. Das beeindruckende königliche Schloss wurde von außen mit Scheinwerfern beschienen, so dass es selbst jetzt in der Nacht gut zu erkennen war. Ihr Licht reichte jedoch nicht in den kleinen Park der Promenade, die von altertümlichen Straßenlampen erhellt wurde, die sie sich entlang des Weges erhoben. Der Kies knirschte unter ihren Schuhen und das Wasser plätscherte leise ans das begrünte Ufer. Außer ihnen befanden sich nur noch wenige Leute hier, einige Paare auf einem romantischen Abendspaziergang, ein paar vereinzelte Jogger und natürlich Hundebesitzer, die jetzt noch eine kurze Runde Gassi gingen. Die Luft war klar und kalt, der Himmel wolkenlos, aber durch die Lichtverschmutzung war kaum der Mond zu erkennen geschweige denn irgendwelche Sterne. Tatsächlich fühlte Gray, wie er sich nach einer Weile entspannte. Die Kälte vertrieb alle Müdigkeit und der Spaziergang in einvernehmlicher Stille ließ zu, dass sich ein Gefühl von Ruhe in ihm ausbreitete, die ihm seit einigen Wochen zu fehlen schien. Hier in Crocus, weg von Magnolia, wo all seine Probleme waren – Juvia, seine Ex, sein Vater, selbst Erza. Es war ihm alles über den Kopf gewachsen, aber hier fühlte er sich, als hätte er es hinter sich gelassen, zumindest für den Moment. „Hat Lucy dich dazu angestiftet?“, eröffnete er schließlich das Gespräch, als er sich bereit dazu fühlte. „Wenn ich jetzt ‚Nein‘ sagen würde, würdest du mir glauben?“, war die lakonische Gegenfrage und Gray schmunzelte. „Nein. Nein, nicht wirklich.“ „Okay, dann lüge ich dich nicht an.“ Für einen Moment verfielen sie wieder ins Schweigen. Doch anscheinend fasste Loke diesen Gesprächsbeginn so auf, dass Gray jetzt bereit war zum Reden, denn nach ein paar Metern erklärte er: „Sie macht sich nur Sorgen.“ Gray fuhr durch die Haare. „Ich weiß.“ Tatsächlich war Lucy unter seinen Freunden die, der er die ehrliche Sorge um ihn am ehesten abnahm. Natsu meinte es zwar auch nicht böse, aber er hatte manchmal ein paar verquere Ideen dazu, wie man jemanden am besten aufmunterte. Und Erza… Erza hatte stets ihre eigenen persönlichen Vorstellungen und sie war die größte Romantikerin, die Gray kannte. Aber nur, weil sie Den Richtigen getroffen hatte, hieß das noch lange nicht, dass es allen anderen ebenso gehen würde, ganz egal, was sie verdienten oder nicht. So ein glückliches Leben bis ans Ende ihrer Tage war nur wenigen vorbehalten und Gray gehörte nicht dazu. „Vielleicht solltest du sie lassen“, schlug Loke sachte vor. „Oder vielleicht sollte sie mich einfach in Ruhe lassen und akzeptieren, dass ich zufrieden bin mit dem, was ich im Moment habe“, wehrte Gray heftig ab. Er hatte wirklich genug von Leuten, die meinten, ihre Nase in Dinge hineinstecken mussten, die sie nichts angingen! Er hatte alles unter Kontrolle, endlich wieder. „Ach ja? Bist du das wirklich?“ Gray öffnete den Mund für eine heftige Antwort, aber sie beide wussten, dass er nicht guten Gewissens ‚Ja‘ sagen konnte. Nicht, ohne zu lügen. Die Antwort war, er war immer noch am Arsch und wie konnte er jemandem wie Juvia, der glücklichen, bezaubernden, herzlichen Juvia, so etwas Kaputtes zumuten? Aber Loke beließ es zum Glück dabei. Seinen Punkt hatte er bereits klar gemacht. Gray starrte mit zusammengezogenen Brauen auf den Boden, die Hände tief in den Taschen vergraben, und sagte nichts. Er wünschte, er hätte sich nie auf dieses Gespräch eingelassen. Und er musste ein ernstes Wort mit Lucy reden. Entweder, sie hatte zu viel über Angelegenheiten geredet, die nicht die ihren waren, oder Loke war scharfsinniger, als Gray ihm zugetraut hatte. Vielleicht war es eine Mischung. „Welche Frau meinte sie eben?“, fing Loke schließlich erneut an und er klang dabei ehrlich neugierig. „Deine Barbekanntschaft, meine ich, welche Freundin meinte sie?“ „Die, mit der ich Probleme habe“, grummelte Gray kurz angebunden. Loke hatte gerade den Finger nicht nur auf die Wunde gelegt, sondern ihn gleich hineingesteckt und gedreht. Außerdem war es Gray immer noch nicht recht, darüber ausgerechnet mit ihm über solche Dinge zu reden. Mit Loke, dessen Erfolgsgeschichte bei Frauen sehr zu wünschen übrigließ und der auf der Uni einen weitreichenden Ruf gehabt hatte. Auf der anderen Seite schaffte er es doch immer wieder, sich eine neue Freundin zu angeln und keine trug ihm besonders lange etwas nach. Außerdem schien Lucy wirklich glücklich mit ihm zu sein und Lucy war jemand, auf den man sich verlassen konnte. Trotz ihrer romantischen Anwandlungen stand sie mit beiden Beinen fest im Leben, hatte einen vernünftigen Kopf auf den Schultern und ließ sich von niemandem etwas gefallen. Loke gab ein unverbindliches Brummen von sich und fragte nach einigen Metern: „Und wen genau hat sie damit gemeint?“ Gray warf ihm einen Seitenblick zu und antwortete dann kurz angebunden: „Erza.“ Das war nicht einmal gelogen, auch wenn es natürlich auch nicht die Wahrheit war. Erza war ein vorübergehendes Problem, nach der Hochzeit würde sie wieder ganz die Alte sein. Ungläubig starrte Loke ihn an. „Erza? Stellst du dich gerade dumm oder was ist mit dir los?“ Gray zuckte entschuldigend mit den Schultern. Aber tatsächlich war die Person, die ihn gerade am meisten stresste, seine beste Freundin – nicht Makarov, nicht Capricorn, nicht irgendwelche Unternehmer oder Auftraggeber, nicht Juvia und nicht einmal seine Ex. Nur war das eben eine Art von Stress, der auf einer ganz anderen Ebene lief, und es gab ein Datum, an dem alles vorbei sein würde. „Ich hätte einfach ablehnen sollen, ihr Trauzeuge zu sein“, erklärte er, obwohl er wusste, dass er das nie getan hatte. Trotz allem war Erza seine beste Freundin. Er kannte sie seit der ersten Klasse, als sie ihn verprügelt hatte, weil er eine dumme Bemerkung gemacht hatte, an die er sich nicht einmal erinnerte. Seitdem waren sie Freunde und sie war immer für ihn da gewesen. Immer – nicht nur während der Kleinigkeiten, die sich bei Teenagern und Studenten so anhäuften und aus irgendwelchem Ärger über Noten, Mädchen, Liebeskummer, Streit mit Natsu und solchem Mist bestanden. Sondern auch während der langen Krankheit seiner Mutter, die in Mikas Tod geendet hatte, auch während dem immer tiefer werdenden Zwist mit seinem Vater, obwohl sie diesen missbilligte, und vor allem während seiner letzten Beziehung, die in so einem Fuck-up geendet hatte. Das Mindeste, was er jetzt und konnte, war ihr zu helfen, ihre Hochzeit zu organisieren. „Gray, ich will dies, Gray, mach das, Gray, stell sicher, dass das so und so ist und wehe, das ist nicht ganz genau so, wie ich mir das vorstelle!“, ahmte er sie übertrieben nach und verdrehte die Augen. „Allein heute hatte sie mir zehn Nachrichten zu Dingen geschrieben, an die ich denken soll, und in drei davon hat sie sich selbst widersprochen. Erza ist Bridezilla.“ Er fasste sich an den Kopf. „Sie ist Romantikerin und Perfektionistin in einem und hat ganz genaue Vorstellungen. Wenn dieser Tag nicht ganz genau so wird, wie sie das will, wird die Welt untergehen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum Jellal sich das antun will.“ Loke hatte dem Wortschwall mit weit aufgerissenen Augen zugehört, doch jetzt lachte er laut los. Gray starrte ihn säuerlich an, ehe er seine Hände heftig in seine Jackentaschen schob und weiterging. Er wusste, die Situation war irgendwie absurd, aber auf der anderen Seite steckte er mittendrin fest. Und wenn Erza ein Talent hatte, dann war es das, absurd zu etwas zu machen, das funktionierte. Hinter ihm brauchte Loke eine ganze Weile, ehe er sich so weit beruhigt hatte, dass er wieder aufschließen konnte. Er kicherte immer noch, als er wieder neben Gray in den Schritt fiel. „Wie schön, dass du das witzig findest“, murrte dieser finster. Loke schlug ihm auf die Schulter. „Kein Wunder, dass du so schlechte Laune hast, wenn du alles mit so einer ernsten Einstellung nimmst. Vielleicht hättest du das Angebot gerade annehmen sollen, ich habe gehört, dass Sex ohne Bindungen auflockern und dich das Leben von der positiveren Seite nehmen lassen soll.“ „Du bist echt der Letzte, mit dem ich über Sex reden will.“ „Glaub mir, du bist auch nicht gerade mein bevorzugter Gesprächspartner für dieses Thema, aber anscheinend muss jemand es anschneiden oder du wirst bis an dein Lebensende im Zölibat bleiben und du hast Besseres verdient. Was hat denn mit der eben nicht gestimmt? Oder besser, was hält dich ab?“ Gray starrte ihn für einen Moment an, dann wandte er sich heftig ab. „Midnight White“, presste er schließlich hervor. „Was?“ Loke verstand offensichtlich gar nichts mehr. „Das Parfüm, das sie trug“, klärte Gray auf. „Jasmin und Rosen. Briar hat es ebenfalls benutzt. Ich…“ Er fuhr sich durch die Haare. Das hatte ihn am meisten mitgenommen. Ihm war schlecht. Verdutzt blieb Loke stehen. „Deine Ex?“ Er beeilte sich, um wieder neben Gray in Schritt zu fallen. „Ungünstig.“ „Ja. Sie… Ich hab einfach keine Lust darauf, okay?“ Keine Lust zu reden, kein Lust, erinnert zu werden, keine Lust auf seine Ex, die ihn so durch den Fleischwolf gedreht hatte. Loke wusste nicht wirklich, was zwischen Gray und seiner Ex vorgefallen war, den Scheiß, den Briar abgezogen hatte, und all das, auf das Gray sich ein- und was er zugelassen hatte. Er hatte nur eine gekürzte Version der Geschichte gehört, dass Briar sich ein paar unerfreuliche Sachen erlaubt und Gray es wie ein dummer Junge einfach akzeptiert hatte. Aber es war nicht so schlimm, wie Lucy behauptete. Es hatte nichts mit… mit Missbrauch oder sowas zu tun. Gray war nicht so schwach, dass er das zulassen würde, und nicht so dumm, dass er das nicht erkennen würde. So etwas passierte anderen Leuten, nicht ihm. Er war einfach nicht dieser Typ von Mann, okay?! „Okay, das verstehe ich“, gab Loke zu, unwissend über Grays interne Leugnung. „Aber was hält dich davon ab, Juvia endlich auf ein Date zu fragen? Die Leute werden langsam ungeduldig, dass keiner den Wetteinsatz gewinnt.“ „Wie kommst du jetzt ausgerechnet auf Juvia? Sie hat mit all dem gar nichts zu tun.“ Ach nein?, flüsterte eine kleine, gemeine Stimme in Grays Hinterkopf. Hast du die Frau eben nicht die ganze Zeit mit ihr verglichen und gar nicht mit Briar? Schaust du sie nie länger an als nötig? Freust du dich nicht jeden Morgen darauf, sie im Café zu sehen? Wartest du nicht immer darauf, dass sie dir wieder dieses Lächeln schenkt? Tu nicht so, als ob deine Laune sich nicht hebt, nur weil sie dich begrüßt, du Idiot. „Du flirtest mit ihr“, antwortete Loke trocken, als würde das alles beweisen. „Tue ich gar ni-“ Gray unterbrach sich abrupt und er runzelte misstrauisch die Stirn. „Was meinst du mit Wetteinsatz?“ „Ups, habe ich das gesagt? Du musst dich verhört haben.“ Loke wandte sich ab und schaute in der Gegend herum, als ob alles interessanter wäre als Gray, die Bäume und Büsche, die außerhalb des Lichtscheins nur Silhouetten waren, das Wasser, der gekieste Weg. Er war sogar dreist genug, dass er anfing zu pfeifen. „Nimmt dir irgendwer diese Unschuldsnummer ab?“ Loke lachte leise. „Nein. Aber so schlimm ist es mit dir. Alle – und damit meine ich wirklich alle, selbst Makarov und sogar Capricorn – im Büro haben darauf gewettet, wann du endlich klein beigibst und Juvia nach einem Date fragst. Frag Bisca, sie spielt Schriftführerin.“ Ungläubig starrte Gray ihn an. War es jetzt schon so weit gekommen? Dass seine eigenen Kollegen Wetten auf sein Liebesleben abschlossen?! „Wir drücken dir alle die Daumen“, beteuerte Loke ihm. „Ganz egal, wann du es machst.“ Darauf konnte Gray nichts sagen, also wandte er sich mit einem abfälligen Geräusch ab und der Kies knirschte unter seinen Schuhen, als er heftiger auftrat. „Ihr wisst nicht einmal, ob sie interessiert ist.“ Das brachte ihm nur ein belustigtes Schnauben ein. „Entweder steht sie auf dich oder sie ist Kannibalin und hat dich als ihr nächstes Opfer auserkoren.“ Grays Kopf schnellte herum, dass sein Nacken knackte. „Was?“ Was war denn das für ein seltsamer Gedankensprung?! „Du solltest dein Gesicht sehen.“ Loke kicherte. „Nein, im Ernst, die Frau mästet dich mit ihren Muffins und Cookies, da könnte man fast neidisch werden. Da ist es nicht sehr schwer zu erraten, dass sie dich mag. Mehr als den Rest von uns.“ „Das ist nur, weil ich ihr mit ihrem Ex geholfen habe“, wehrte Gray ab und stützte sich mit den Armen auf dem Geländer ab, das davon abhalten sollte, in den Burgraben zu fallen. Auf dem Wasser glitzerte das Licht der Straßenlampen. So musste er Loke wenigstens nicht ansehen. Er wusste selbst, dass es nur eine Ausrede war, dass Juvias Gefühle tiefer gingen als nur pure Dankbarkeit. Dass er sich schlichtweg weigerte, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, weil er sich dann ein paar unangenehmen Fragen stellen musste. Zumal Bora kaum eine ernstzunehmende Gefahr dargestellt hatte. „Das habe ich dir bei dem ersten Korb abgenommen“, schlug Loke die Worte in den Wind. Er lehnte sich neben Gray mit dem Rücken an die Brüstung. „Vielleicht noch bei dem zweiten, aber sie bringt dir alle drei Tage wieder etwas mit. Du kannst nicht ernsthaft glauben, dass sie das wegen so einem kleinen Zwischenfall macht.“ „Tu nicht so, als ob ihr alle nicht Nutznießer davon wäret“, knurrte Gray und zog den Kragen seiner Jacke höher, als ob ihn das davor bewahren könnte, etwas zu sagen. Vermutlich wirkte er so allerdings eher wie ein schmollendes Kind. „Jetzt kommst du mit Ablenkung“, erkannte Loke sofort. „Gute Taktik, aber das wird dir hier nichts bringen.“ Gray brummte nur und stopfte sich die Hände wieder in die Jackentaschen. Vielleicht half ihm das ja, diese nervige Klette endlich loszuwerden, die ihn so mit ihren Worten und überraschend genauen Beobachtungen traktierte? „Das Gleiche gilt dafür, mich einfach anzuschweigen.“ Gray wandte sich ab und ging weiter, seine Schritte schneller als unbedingt nötig, noch immer schweigend. „Das auch nicht.“ Jetzt klang Loke eindeutig belustigt. Er hatte keine Mühe dabei, mit Gray Schritt zu halten. „Sag mir, was das Schlimmste ist, was passieren könnte, wenn du Juvia auf ein Date fragst?“ Überrascht hielt Gray inne. Warum musste sein Gesprächspartner eigentlich immer solche Sprünge machen und das Problem von neuen Seiten angehen? Das half ihm wirklich nicht, alles einfach zu verdrängen und den Status Quo so zu belassen, wie er jetzt war. Nicht perfekt, aber … gut. In Ordnung. „Sie wird nicht ablehnen, falls es das ist, um das du dir Sorgen macht.“ Aber vielleicht verbarg sich hinter Juvias lächelndem Gesicht etwas ganz anderes, etwas, das man ihr auf den ersten, den zweiten und auch den dritten Blick gar nicht zutraute. Es war nicht so, als hätte er mit Briar nicht exakt diese Erfahrung gemacht, verdammt noch mal! Damals war am Anfang auch noch alles toll und aufregend gewesen. Aber er wollte das nicht glauben. Er wollte, dass Juvia weiterhin diese herzliche, gütige Person blieb, für die er sie hielt, etwas aufdringlich vielleicht, aber liebenswürdig und charmant auf eine arglose, ehrliche Art. Was, wenn er sie näher kennenlernte und dieses Bild zerstörte? Wenn alles durcheinandergeworfen wurde, was sie sich aufgebaut hatten, das morgendliche Ritual, wenn er seinen Kaffee und vielleicht einen Schokomuffin holte? Was, wenn wieder alles in sich zusammenbrach? Was, wenn sie noch viel besser ist als das, was du dir da ausmalst?, wollte die kleine Stimme in seinem Hinterkopf wissen. Seit wann bist du so ein Feigling? „Und was ist das Beste, das passieren könnte?“, echote Loke seine Gedanken. Dann runzelte er die Stirn und starrte auf den Boden. Mit den Schuhen scharrte er leicht im Kies, ehe er sich selbst wieder davon abhielt. „Ich… ich weiß, ich bin nicht so wirklich der Typ für einen Rat für längere Beziehungen. Ich habe nie daran geglaubt, dass so etwas funktionieren kann.“ Das klang ja nicht sehr ermutigend. Gray zog skeptisch die Augenbrauen hoch, immerhin betraf das auch Lucy, die ihm wichtig war. Und sie glaubte definitiv an das Happy End. Doch Loke war noch nicht fertig. „Aber ich glaube, Lucy ist diejenige welche. Für mich. Und ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Das ist alles neu für mich. Aber ich will es versuchen. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde das schon herausfinden und Lucy hat glücklicherweise Geduld mit mir.“ Er blickte auf und sein Gesicht war ernst. „Du solltest es auch versuchen. Und mit Juvia stehen deine Chancen gar nicht so schlecht.“ „Du wirst nicht aufhören mich zu nerven, bis ich zustimme, oder?“ Gray beschloss, Lucy keine Tipps zu geben, wie sie ihre Beziehung vorantreiben konnte. Noch war nichts zwischen den beiden offiziell, aber Loke musste das schon selbst klären. „Nope.“ Der grinste ihn jetzt nur herausfordernd an. „Tu nicht so, als ob du das nicht willst.“ „Nein, will ich nicht“, bestätigte Gray sofort, aber gleichzeitig stellte er überrascht fest, dass diese Worte nicht der Wahrheit entsprachen. Vor seinem inneren Auge erschien Juvia, ihr stilles Lächeln, ihr strahlendes Gesicht, das so expressiv war, ihre lebhafte Gestik. Er konnte ihre neckenden Worte hören, die doch immer mit einem herzlichen Tonfall gesprochen wurden, niemals boshaft; Bist du heute morgen aus dem Bett gefallen, Mr. Gray? Oder die Geste, wenn sie ihm mit beiden Händen ein kleines Körbchen überreichte, vollgepackt mit Leckereien; Ich habe etwas für dich mitgebracht, Mr. Gray! Da war immer Hoffnung in ihren Augen und Zuversicht. Es traf Gray wie einen Schlag ins Gesicht. Er wollte mit ihr ausgehen. Er wollte sie näher kennen lernen. Er wollte wissen, wohin das führen konnte. „Wenn du das sagst“, gab Loke nach. Sein skeptischer Tonfall zeigte deutlich, dass er kein Wort geglaubt hatte. Als Gray ihn anblickte, wackelte er mit den Augenbrauen und grinste, aber er verkniff sich jeden weiteren Kommentar. Gray warf die Arme hoch. „Also schön, du hast gewonnen. Aber wenn das nicht funktioniert, schiebe ich alles auf dich.“ So ganz einfach klein beigeben konnte er auch nicht, oder? Loke würde ihm das ewig unter die Nase reiben. „Okay, das kannst du gerne tun. Ich bin nur froh, dass du endlich nach vorne blicken willst.“ Lokes Worte waren ernst und er drückte Gray kurz ermutigend die Schulter, ehe er den Spaziergang wieder aufnahm. Dieser brauchte einen Moment, ihm zu folgen. Er fühlte sich gut, ganz anders als zu dem Zeitpunkt, als sie vom Hotel aufgebrochen waren und der Geruch des Parfüms nach Jasmin und Rosen noch immer seine Nase verstopft hatte. Sicherer und ein wenig leichter. Die Luft war rein und kühl, der Abend schön und die Nacht klar. Er hatte wieder ein Ziel vor den Augen und … er freute sich drauf, Juvia wiederzusehen und auf das Strahlen in ihrem Gesicht, wenn er es irgendwie geschafft hatte, die Einladung auszusprechen. Auf ihr Lächeln. Dann klopfte Loke ihm grinsend auf den Rücken. „Aber lass dir nicht zu viel Zeit damit, sonst verliere ich meine Wette.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)