Du kannst weglaufen... von Maginisha (...aber du kannst dich nicht verstecken) ================================================================================ Kapitel 12: Hals über Kopf -------------------------- Schuldig hob plötzlich den Kopf, als hätte er etwas gehört. Omi sah ihn fragend an. „Nagi“, erklärte Schuldig. „Er will wissen, ob er rüber kommen kann.“ Omi blickte an sich herab und auf das zerwühlte Bett. „Vielleicht gehen wir lieber zu ihm. Außerdem müsste ich mal ins Bad.“ „Klar, zweite Tür auf der rechten Seite neben Nagis Zimmer.“ Omi zögerte. „Kann ich denn einfach so gehen? Ich meine, ohne dass mich dieser Farfarello aufschlitzt?“ Schuldig winkte ab. „Der schläft. Genauso wie Crawford. Muss wohl irgendwas im Essen gewesen sein. Ein paar Beruhigungsmittel oder so.“ Omis Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Du hast das schon vorher geplant?“ „Nein, nicht geplant“, antwortete Schuldig ausweichend. „Nur als Möglichkeit in Betracht gezogen.“ „Du bist ein hinterhältiger, manipulativer Bastard.“ „Ich weiß.“ Also Omi Nagis Zimmer betrat, waren der und Schuldig schon dabei, ihre Optionen durchzusprechen. „Es gibt eigentlich nur Kampf oder Flucht“, bemerkte Schuldig gerade. „Ich werde nicht gegen Crawford kämpfen“, stellte Nagi klar. „Bleibt also nur Flucht. Aber wohin? Crawford kennt alle unsere Verstecke.“ Omi räusperte sich. „Und wenn wir...ich meine, wir werden Hilfe brauchen.“ Schuldigs Augenbrauen wanderten nach oben. „Von Weiß? Vergiss es. Die würden sich auf Nagi und mich stürzen, sobald wir da auftauchen. Also auf mich zumindest. Außerdem ist das nicht viel besser als alle anderen Verstecke. Crawford ist bestens über Weiß informiert.“ Omi erschrak. „Wie das?“ „Weil ich ihm alle Infos fein säuberlich auf dem Silbertablett serviert habe. Er ist immerhin für alle Belange von Schwarz verantwortlich. Wenn ich nicht Meldung gemacht hätte, wäre das Spiel ganz schnell vorbei gewesen.“ „Crawford weiß vom Koneko?“ Omi sprang alarmiert auf. „Wir müssen sie warnen.“ Er suchte in seiner Hosentasche nach seinem Handy, aber es schien ihm irgendwo aus der Tasche gefallen zu sein. „Omi hat Recht“, sagte Nagi plötzlich. „Wir brauchen Hilfe und anscheinend ist Weiß momentan unsere einzige Chance.“ „Oh, na prima. Chibis aller Länder vereinigt euch oder was?“, grummelte Schuldig. „Also gut, gehen wir. Und hoffen, dass wir noch zu Wort kommen, bevor mir dein giftiger Anführer sein Schwert zwischen die Rippen rammt, weil ich sein kostbares Schwesterlein angefasst habe.“ Während der Wagen durch die Nacht glitt, fiel Omi etwas ein. „Wird Crawford uns nicht finden? Ich meine, wo er doch die Zukunft voraussehen kann. Sieht er da nicht, wohin wir gehen werden?“ Schuldig schüttelte den Kopf. „Nein, so einfach ist das nicht. Die Zukunft ist eine kniffelige Angelegenheit, auch wenn Crawford immer so tut, als hätte er den ganz großen Durchblick. Also klar, kurzzeitige Voraussagen wie die Bewegungen seines Gegners im Kampf, schafft er natürlich locker. Aber je weiter die Zukunft entfernt ist, die er zu sehen wünscht, desto mehr Verzweigungen gibt es. Das Ganze ist sehr komplex. Und auch nicht ungefährlich. Glaub mir. Crawford hat mir mal, als ich unerlaubt in seinen Gedanken rumgewühlt habe, eine volle Ladung Zukunftsvision verpasst. Dass ich danach nur ohnmächtig war und mein Kopf nicht zu blutigem Brei zerplatzt ist, hat mich selbst gewundert.“ Omi sah ihn voller Mitleid an. „Auf jeden Fall kann er uns nicht so einfach aufspüren. Dazu braucht er Ruhe und Zeit. Er muss höllisch aufpassen, dass er sich im Gewirr der Möglichkeiten nicht verliert. Deswegen ist er auch so ein penibler Arsch.“ Nagi grollte auf dem Rücksitz. „Ja ok, ein Arsch ist er auch so, aber die Pingeligkeit kommt von innen. Sie ist für ihn überlebenswichtig. Wer in seinem Kopf so ordentlich sein muss, ist es dann auch äußerlich.“ „Und was ist mit deinem Kopf?“, grinste Omi. „Mein Kopf? In meinem Kopf war es noch nie ordentlich“, lachte Schuldig. „Zu viel los, zu viele Stimmen von außen. Wenn du da aufräumen willst, kannst du auch gleich mit Nutella Zähne putzen.“ „Mit was?“ Nagi schnaubte laut auf. „Frag nicht. Irgendein pappsüßer Schokoladen-Aufstrich, auf den er total wild ist. Bete, dass du nie erlebst, wenn das Glas alle ist, bevor du neues eingekauft hast.“ „Das war einmal“, verteidigte sich Schuldig. „Und ich hab dir einen neuen Laptop gekauft.“ Omi grinste leise vor sich hin. Wie es schien, hatte Schuldig ein paar Seiten, von denen er noch nichts wusste. Er hoffte, dass er noch Gelegenheit haben würde, sie kennenzulernen. Er ahnte, dass Schuldig ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Auch wenn Crawford Zeit brauchen würde, würde er sie früher oder später finden. Omi zog die Beine an den Körper und schlang die Arme darum. Er bettete den Kopf auf die Knie, während draußen die Straßenlaternen vorbeizogen. Die Nacht schien heute finsterer zu sein als sonst. Nicht nur dunkel, sondern tiefschwarz. In den Fenstern der Wohnung des Koneko brannte noch Licht. Omi konnte sich vorstellen, was drinnen los war. Er war nicht nach Hause gekommen, war nicht erreichbar. Das Krankenhaus hatte Aya sicherlich über die Entführung seiner Schwester unterrichtet. Die drei dort drinnen waren wirklich nicht zu beneiden. Trotzdem hätte Omi gerade sehr gerne mit ihnen getauscht. „Ich denke, es wird das Beste sein, wenn ich zuerst alleine reingehe.“ Nagi wollte protestieren, aber Schuldig schnitt ihm das Wort ab. „Lass ihn gehen. Er kriegt das schon hin. Und falls hier irgendwelche wild gewordenen Kätzchen auf uns einstürmen, werden wir doch spielend mit denen fertig.“ Nagi schwieg und ließ sich wieder in den Sitz sinken. Er rückte noch ein Stück von Ayas Schwester weg und starrte aus dem Fenster. Omi holte noch einmal tief Luft und stieg aus. Er hatte die Tür noch nicht erreicht, als diese schon vor ihm aufflog und Ken ihm entgegen sprang. „Omi!“, rief er und zog Omi in eine feste Umarmung. „Wo warst du? Wir drehen hier drinnen fast durch. Du bist einfach verschwunden und Ayas Schwester wurde entführt.“ „Ich weiß“, antwortete Omi. „Du weißt?“ Ken sah verwirrt aus. „Aber wie...?“ „Lass uns reingehen. Ich erkläre es euch drinnen.“ Aya und Yoji saßen in der Küche. Ayas Gesicht schien aus Stein gemeißelt. Yoji stand am Fenster und rauchte. Allein die Tatsache, dass Aya ihm das nicht verbot, zeigte, wie ernst die Lage war. Als Omi und Ken eintraten, schnippte Yoji die Zigarette aus dem Fenster. Er sah müde aus. So müde, wie Omi sich fühlte. „Hey“, sagte er leise. „Ich bin wieder da.“ „Wo warst du?“ Ayas Stimme war ein heiseres Flüstern. Omi lief es eiskalt den Rücken hinunter. „Ich...ich war im Krankenhaus“, sagte Omi und schluckte, als Ayas Kopf nach oben schnappte. Seine Augen sezierten Omi bis auf die Knochen. Omis Stimme kam ins Stocken. „Ich...deiner Schwester geht es gut.“ „Woher weißt du das?“ Das Flüstern hatte sich in ein schneidendes Schwert verwandelt. „Aya, ich kann das erklären.“ Omis Herz klopfte bis zum Herz. Das lief überhaupt nicht so, wie er gehofft hatte. „Hey, Abyssinian. Wenn du jemand mit Blicken töten musst, versuch´s doch mal mit jemand in deiner Größe.“ Hätte Schuldig eine Bombe in die Küche geworfen, hätte die Wirkung nicht verheerender sein können. Aya sprang auf und warf dabei den Küchentisch um. Die Zeitung, die auf dem Tisch gelegen hatte, verbreitete sich in einem Papierregen auf dem Boden und Ayas noch fast volle Teetasse zerschellte mit lautem Klirren an einer Tür der Küchenzeile. Ken wirbelte wie von der Tarantel gestochen herum, rutschte auf der Mischung aus lauwarmen Tee und Zeitungspapier aus und fiel Omi direkt vor die Füße. Yoji fegte bei dem Versuch, vom Fensterbrett aus in Kampfhaltung zu springen, die zwei dort stehenden Blumentöpfe herunter und ergänzte den Papiermatsch um eine Flut aus Blumenerde und grünen Blättern. Es war das reinste Chaos. „Was?“ „Warum?“ „Aua!“ Schuldig grinste in bester Cheshire-Cat-Marnier. „Freut mich auch euch zu sehen. Ich hätte ja Blumen mitgebracht, aber ich dachte mir, ein schlafendes Dornröschen tut´s auch.“ Er hob demonstrativ seine Arme, in denen das bewusstlose Mädchen lag. „Nimm deine Finger von meiner Schwester!“, fauchte Aya und sah sich nach einem Messer um. Er würde diesen grinsenden Gaijin umbringen. Notfalls auch mit einem Teelöffel. „Aya, hör doch bitte erst mal zu.“ Omi sah verzweifelt zwischen Aya und Schuldig hin und her. Wie sollte er denn jetzt noch irgendetwas erklären, wenn Schuldig hier rein platzte und alles ruinierte? „Sorry, Bishounen, aber wir haben für den langsamen Schmuse-Kuschelkurs keine Zeit mehr. Mein Handy hat gerade geklingelt. Crawford war dran. Muss wohl doch was von dem Beruhigungsmittel geahnt haben. Er war sehr ungehalten. Es kann sich nur noch um Stunden handeln, bis er hier aufkreuzt. Und zwar eher um weniger, als mehr Stunden. Wir müssen hier weg.“ Ken, der das Ganze nur mit offenem Mund verfolgt hatte, schielte jetzt an Schuldig vorbei in den Flur. „Moment, dich kenne ich doch“, sagte er verblüfft. „Du warst letztens schon mal im Laden.“ Nagi verbeugte sich. „Naoe. Nagi Naoe.“ „Omi, warum hat der Kerl meine Schwester entführt?“ Aya schien den ersten Schreck überwunden zu haben. „Und was noch viel wichtiger ist, warum steht er jetzt in unserer Küche?“, ergänzte Yoji. „Mir scheint, du hast uns eine Menge zu erklären, Omi. Der Kerl hätte Ken und mich fast umgebracht.“ „Ich hab mich eben nicht genug angestrengt, ok?“, äzte Schuldig. Yoji ließ sich davon nicht beirren. „Er hat dich entführt, hat gedroht uns alle zu töten. Warum in aller Welt bringst du ihn hierher?“ „Er hat versprochen, euch nichts zu tun“, wisperte Omi. Er merkte selbst, wie lächerlich das klang. „Du hast noch was vergessen“, sagte Ken. „Er arbeitet für Takatori.“ „Takatori!“ Aya Wut hatte durch den verhassten Namen neue Nahrung bekommen. Schuldig schnaubte belustigt. „Also was das angeht, kann ich euch beruhigen. Ich glaube, das mit der Anstellung hat sich heute Nacht irgendwie erledigt. Ich bin wieder ein freier Mann.“ „Omi, sag uns jetzt endlich, was hier los ist!“ Omi hatte Yoji noch nie so ernst gesehen. Er schloss die Augen und holte tief Luft. „Schuldig wollte Aya-chan als Austausch für euer Leben. Ich habe eingewilligt und ihn hingeführt. Im Krankenhaus sind wir von Schreient angegriffen worden und zum Versteck von Schwarz geflüchtet. Und jetzt bin ich mit den beiden hier, während der Rest von Schwarz uns auf den Fersen ist, um uns alle umzubringen.“ Schweigen breitete sich in der Küche aus. Vom Schrank tropfte der Tee. Ken war der erste, der reagierte. Er rappelte sich vom Boden hoch und sah von einem seiner Freunde zum anderen. „Ich hab zwar nur die Hälfte verstanden, aber der letzte Teil mit dem Umbringen klingt, als sollten wir schleunigst von hier verschwinden.“ Schuldig rollte die Augen zur Decke. „Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich das mal sage, aber: Siberian hat den Durchblick. Also was ist? Gehen wir?“ „Zuerst gibst du mir meine Schwester zurück.“ Aya ging zu Schuldig und wollte ihm das Mädchen aus den Armen nehmen, doch der hielt es noch einen Augenblick lang fest. „Hör mir genau zu, Abyssinian“, knurrte er leise. „Ohne mich wäre deine kostbare Schwester jetzt in der Gewalt von Schreient. Also zeig dich ein bisschen dankbar und hör auf darüber nachzudenken, bei welcher Gelegenheit du mir dein Buttermesser in den Rücken rammen kannst. Wenn du dich später noch mit mir rollen willst, bitte. Aber dafür haben wir jetzt keine Zeit. Wir brauchen ein Versteck.“ Schuldig stieß Aya seine Schwester in den Arm und trat einen Schritt zurück. Aya sah auf das bewusstlose Mädchen hinunter und schwieg. Nach einer halben Ewigkeit sagte er: „Ich kenne da jemanden. Packt eure Sachen und dann nichts wie raus hier.“ Er verließ die Küche und ging mit Aya-chan in sein Zimmer. Omi starrte die leere Türöffnung an „Aya kennt jemanden?“, fragte er schließlich. „Ich glaube, schräger kann der Tag nicht mehr werden.“ Das Haus in der ruhigen Wohngegend lag bereits in völliger Dunkelheit da. Es war bereits weit nach Mitternacht. Omi kletterte aus dem Auto, in dem er und Ken mit Schuldig und Nagi unterwegs waren. Er drehte sich zu Schuldig um und sagte: „Ich glaube, es ist besser, wenn du im Wagen bleibst.“ „Wird gemacht. Wollen wir hoffen, dass Abyssinians Kontakt zu gut ist, wie er glaubt. Ich meine, das hier sieht nicht gerade nach einer Gegend für gute Unterweltkontakte aus, aber man kann ja nie wissen.“ „Ihr wartet hier“, sagte Aya, schwang sich über den Zaun und machte sich daran, den Balkon des Hauses zu erklimmen. Er sprang über die Brüstung und klopfte leise an die große Glastür. Als niemand öffnete, kloppte er noch einmal etwas lauter. Er wollte sich gerade daran machen, das Schloss aufzubrechen, als von innen die Vorhänge beiseite gezogen wurden. Das Mädchen auf der andere Seite erschrak. Sie beeilte sich, die Tür zu öffnen. „Aya! Was machst du denn hier? Ich hab mich zu Tode erschreckt.“ „Sakura.“ Aya hatte sofort an das Mädchen denken müssen, dass seiner Schwester so ähnlich sah und mit dem ihn wohl so eine Art Freundschaft verband, wenn man es so nennen wollte. „Sakura, ich brauche deine Hilfe.“ „Meine Hilfe?“ Sakura zog ihren Morgenrock enger um die Schultern. „Gerne. Aber wie könnte ich dir behilflich sein?“ „Du hast mir doch erzählt, dass du früher oft am Strand laufen warst, wenn du mit deinen Eltern in ihrem Ferienhaus warst. Würdest du mir den Schlüssel für das Haus geben?“ Sakura sah ihn aus großen Augen an. „Ich kann dir nicht mehr erzählen. Ich bitte dich nur um den Schlüssel und die Adresse. Ich bringe ihn dir so schnell zurück, wie ich kann.“ Sakura nickte langsam. „Wenn du es sagst, Aya, dann vertraue ich dir. Meine Eltern werden in der nächsten Zeit ohnehin keinen Urlaub dort machen.“ Sie drehte sich um und verschwand im dunklen Zimmer. „Wisst ihr, wer hier wohnt?“, wollte Ken wissen. „Offensichtlich ein Mädchen“, antwortete Yoji. „Ich hab ja nicht geahnt, dass Aya eine Freundin hat. Ob er in der letzten Zeit bei ihr war? Und ob wir wohl noch erfahren werden, wo Omi sich in der letzten Zeit rumgetrieben hat? Die Geschichte, wie du an den Schwarz geraten bist, würde mich doch mal sehr interessieren.“ Omi war dankbar dafür, dass es so dunkel war. Sein Gesicht brannte. Wenn sie erst mal in Sicherheit waren, würde er seinen Freunden eine Menge erklären müssen. Eine ganze Menge sogar. Aya sprang über den Zaun zu ihnen auf die Straße. In seiner Hand klirrte ein Schlüssel. „Ich habe ein Versteck. Fahren wir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)