Ahnungslose Augenblicke von Varlet ================================================================================ Kapitel 9: Beweislage --------------------- Auf den Hautpartikeln konnte Fremdblut sichergestellt werden. Nach aufwändiger Untersuchung wurde unter Anderem die Blutgruppe bestimmt. Die abschließenden Ergebnisse der Untersuchung der Hautpartikel unter Ambers Fingernägeln waren zum späten Abend fertig geworden. Trotzdem saßen die FBI Agenten, Black, Starling, Fries, Pierce und der Staatsanwalt, erst am nächsten Morgen zusammen. Agent Starling war der letzte, der den Raum betrat und setzte sich sofort auf den freien Platz. „Bitte entschuldigen Sie.“ Black nickte. „Schon in Ordnung.“ „Wie geht es Ihrer Tochter?“, wollte Agent Fries wissen. „Viel besser“, antwortete Starling ruhig. „Als sie gestern abgeholt und ins Krankenhaus gebracht wurde, war sie fix und fertig. Obwohl ihr Connor Wasser zum Trinken hingestellt hat, hat sie sich nicht getraut etwas davon zu sich zu nehmen und war bereits leicht dehydriert. Die Untersuchungen waren auch nicht ganz einfach, da Jodie jedes Mal ängstlich wurde, wenn sie alleine in einem Raum gelassen wurde. Meine Frau konnte leider nicht bei allen Untersuchungen dabei sein, aber jetzt hat es Jodie überstanden. Und ich kam glücklicherweise auch kurz danach im Krankenhaus an.“ Starling sah zu Fries. „Ich bin froh, dass sie vor Ort gewesen sind, als Jodie nach Hilfe rief.“ Die Agentin nickte. „Ich bin froh, dass es Ihrer Tochter gut geht. Es geht ihr doch gut oder?“ „Ja, ja“, sagte Starling. „Der Arzt hat keine Auffälligkeiten festgestellt. Wir waren über Nacht im Krankenhaus und haben auf sie aufgepasst. Der Arzt hat sie auch schon nach Hause entlassen. Meine Frau kümmert sich jetzt dort um sie.“ „Ich will nicht taktlos klingen, Starling, aber hatten Sie bereits die Möglichkeit um mit Jodie über diesen Fall zu sprechen?“ „Leider ja“, seufzte der Agent. „Ich wollte sie noch nicht so früh damit belasten, aber nachdem sie zur Ruhe kam und etwas Zeit zum Nachdenken hatte, hat sie mir erzählt, was passiert ist. Es deckt sich eigentlich mit dem, was Connor erzählte. Er fing sie auf dem Weg zu Amber ab und erzählte, dass Amber mit Chad vor gegangen ist, um etwas mehr Zeit zu haben. Sie zögerte am Anfang, entschied sich dann aber mitzugehen um nicht als Feigling oder Angsthase da zustehen. Weil im Haus Licht brannte, schöpfte sie keinen Verdacht. Connor hat ihr dann auch noch erzählt, dass die Familie im Keller einen Partyraum hat, weswegen Jodie dort rein ist. Danach hat er sie dort drinnen eingeschlossen und das Licht ausgeschaltet. Jodie rief nach Hilfe, aber Connor übertönte ihre Laute mit dem Fernseher. Sie hat die Stimmen aus dem Fernseher gehört und dachte am Anfang auch, dass noch weitere Personen da sind. Irgendwann konnte sie diese dann dem Fernseher zu ordnen. Dennoch hatte sie solche Angst, dass sie erst am Morgen einschlief. Und als sie aufwachte, rief sie sofort um Hilfe.“ „Falls Jodie Hilfe braucht um das Geschehene zu verarbeiten, stellen wir ihr gerne einen unserer Psychologen vor. Ich suche gerne ein paar Namen heraus“, entgegnete James. „Danke, das werde ich im Hinterkopf behalten. Momentan halte ich das nicht für Notwendig, aber ich will erst noch abwarten.“ „Natürlich“, nickte James. „Was weiß Jodie über Amber?“, wollte Pierce wissen. „Wir haben ihr nicht viel erzählt. Sie weiß, dass Amber Connor anstiftete, aber nicht, dass Amber ein falsches Spiel mit ihr spielte und jetzt tot ist. Wahrscheinlich werden wir es ihr heute Abend sagen müssen, aber…“ „Aber?“ „Jodie bat mich, dass wir die Ermittlungen gegen Connor einstellen. Wenn Amber ihn dazu anstiftete indem sie log, will sie nicht, dass er bestraft wird“, antwortete Starling. Dass Jodie über ein solches Gerechtigkeitsempfinden verfügte und anderen nur ungern leid antat, machte ihn stolz. „Wie stellt sich Ihre Tochter das vor?“, wollte Pierce wissen. „Entführung zählt als Offizialdelikt und wird von Amtswegen schon verfolgt. Das Opfer muss deswegen keinen Strafantrag stellen.“ „Das hab ich Jodie natürlich auch erklärt“, entgegnete Starling. „Aber ich möchte trotzdem versuchen ihren Wünschen zu entsprechen. Auch wenn ich selber nicht davon begeistert bin, hat sie recht. Connor hat nur so gehandelt, weil er unter falschen Tatsachen dazu gebracht wurde.“ „Wenn Ihre Tochter eine offizielle Aussage macht, kann ich mit dem Anwalt des Jungen einen Deal aushandeln. Unter Anbetracht dieser Aspekte sollte er maximal Sozialstunden erhalten“, sprach der Staatsanwalt. „Es muss nur vorher geklärt werden, ob der Junge auch wegen Mord an Amber Weston angeklagt wird.“ Pierce nickte. „Die Untersuchungsergebnisse sind gestern Abend gekommen. Ich habe kurz einen Blick auf sie werfen können und es wird Sie nicht freuen“, fing er an. Pierce öffnete die Akte. „An den Partikeln unter den Fingernägeln von Amber konnten Blutspuren sichergestellt werden. Diese entsprechen der Blutgruppe von Connor Riemer. Der DNA-Abgleich ergab ebenfalls einen Treffer. Die DNA konnte eindeutig Connor zugeordnet werden.“ „Damit ist es unumgänglich. Die Beweise sprechen gegen ihn“, kam es vom Staatsanwalt. Black sah zu den Anwesenden. „Was ist mit dem Mann, den Connor gesehen haben will?“ „Wir haben nichts finden können“, fing Fries an. „Wir haben alle Nachbarn befragt, wir haben Agenten in Zivil vor das Haus der Westons positioniert, aber bisher wurde niemand gesichtet. Zur Sicherheit haben wir auch jemanden zum Krankenhaus geschickt und zum Haus der Starlings. Keine Spur. Mit den wenigen Informationen die wir von dem Jungen hatten, haben wir Leila Weston befragt. Ihr fiel niemand ein, der auf diese Beschreibung passen könnte. Aber wir sollten nicht vergessen, dass der Junge nicht viel gesehen hat und es so gut wie jeder gewesen sein kann. Oder er denkt es sich aus. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir gar nichts ausschließen. Ich kann mir, genau wie Pierce, nicht vorstellen, dass Connor den Mord begangen hat. Als wir Jodie im Keller gefunden haben, ist er sofort eingeknickt. Aber als er auf den Mord angesprochen wurde, kam nichts. Er hat sogar freiwillig eine Probe abgegeben.“ „Was aber nichts heißen muss“, entgegnete der Staatsanwalt. „Ich kenne viele Täter, die sich offiziell auf die Ermittlungen einließen und alle Proben freiwillig abgaben. Am Ende argumentierte jeder Strafverteidiger, dass man seinem Mandanten etwas unterschieben will.“ „Gut, das bringt uns an dieser Stelle nicht weiter“, warf Black ein und sah wieder zu Pierce. „Was hat die Überprüfung von Ambers Handy und Computer ergeben?“ Pierce blätterte einige Seiten um. „Auf dem Handy, das sie uns freiwillig überlassen hat, konnten wir nichts Merkwürdiges finden. Wir vermuten, dass das ihr Alibi-Handy war. Bei ihrem Zweithandy sieht es schon anders aus. Es war zwar teilweise zerstört worden, aber unsere Techniker konnten einen Großteil der Daten wiederherstellen und auf ihren Computer zurück verfolgen. Diese Daten stimmen mit dem, was auf ihrem Computer gefunden wurde, überein.“ Pierce sah zu Agent Starling. „Starling, das wird Ihnen nicht gefallen.“ „Was meinen Sie?“ „Amber führte auf dem Computer eine Art Tagebuch. Sie schrieb unter anderem auf, was sie mit Jodie machte und was sie ihr sagte. Aber auch in welchen Chats sie sich unter welchem Pseudonym anmeldete und unter welchem sie sich als Ihre Tochter dort anmeldete.“ Starling schluckte und ballte die Faust. „Das ist nicht wahr…“, murmelte er leise. „Außerdem geht aus dem Tagebuch hervor, dass Amber auf Ihre Familie neidisch gewesen ist. Deswegen hat sie Ihnen im Auto das unmoralische Angebot gemacht. Sie wollte damit Ihre Familie zerstören, aber als es nicht klappte, fing sie an Jodie zum Schwänzen zu überreden und zu den Sachen im Internet.“ „Aber warum ausgerechnet uns?“, wollte Starling wissen. „Ich vermute, es war ein purer Zufall. Amber sah, wie glücklich Sie sind und hat es Ihnen nicht gegönnt. Ihr eigener Vater hat die Familie für eine andere Frau verlassen und Amber hatte nur sporadisch Kontakt zu ihm. Wir vermuten, dass sie aus diesem Grund auch auf den Flirtportalen angemeldet war. Sie wollte Männer finden, die in einer Beziehung sind und diese dann zerstören. Laut unseren Technikern hat sie sich bei einigen ihrer Bekanntschaften als Jodie ausgegeben. Einigen hat sie Fotos geschickt“, entgegnete Pierce. „Fotos von wem?“, fragte Starling nach. „War Jodie auf diesen Fotos drauf?“ „Ja.“ „Und…was heißt das jetzt?“ „Amber hat einige dieser Männer in ein Hotel gelockt und gleichzeitig ihre Ehefrauen oder Freundinnen hinbestellt. Unsere Techniker arbeiten gerade dabei jede Person über die IP Adresse ausfindig zu machen und danach zu befragen. Wir wissen noch nicht, in wie fern Ihre Tochter von diesem Treiben wusste. Es wäre vorteilhaft, wenn Jodie uns ihren Computer deswegen zur Verfügung stellt.“ „Natürlich. Sie können diesen gleich bei uns abholen. Wir haben nichts zu verbergen“, sagte Starling. „Aber wenn es so viele Männer gibt, besteht die Möglichkeit, dass einer von diesen den Mord beging.“ „Das ist zumindest nicht auszuschließen.“ „Gut“, sagte James und stand auf. „Tun Sie, was zu tun ist. Wenn es sein muss, holen Sie sich weitere Agenten ins Team und befragen so schnell wie möglich alle Männer und ihre Frauen, Freundinnen oder Ex-Partner. Wir brauchen einen wasserdichten Fall.“ Selbst Monate später war der Fall noch immer wasserdicht und für Connor sah es alles andere als gut aus. Das FBI konnte fast alle Männer und die dazu gehörigen Frauen ausfindig machen und befragen. Zwei Männer waren wie vom Erdboden verschluckt. Einer besaß eine wechselnde IP-Adresse und war seit seinem Treffen mit Amber nicht mehr im Internet gesichtet. Die andere Person schien überall auf der Welt zu sein, mal führte sie die Spur in ein Hotel, dann wieder in ein Internetcafe. Wer immer es war, wollte nicht mehr gefunden werden und war seit dem Tag von Ambers tot nicht mehr im Internet aktiv. Obwohl sich die Agenten unter den Pseudonymen von Amber im Internet anmeldeten, schafften sie es nicht, einen Verdächtigen hervorzulocken. Da die Beweise aber gegen Connor sprachen, hatte die Staatsanwaltschaft keine andere Wahl als einen Prozess vorzubereiten. Die Geschworenen sowie die Zeugen wurden sorgfältig ausgesucht und die Verhandlung selbst der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht. Dennoch waren Reporter gekommen, die draußen nur auf ihre große Chance warteten. Jodie hatte ihre Aussage am ersten Tag des Prozesses gemacht und wurde dann von ihrer Mutter nach Hause gefahren. Auch Leila Weston und Tom – der Vater von Amber – wurden zu dem Verhalten ihrer Tochter befragt. Anders als Jodie kamen sie die vollen drei Prozesstage ins Gericht und warteten verzweifelt das Urteil ab. Und doch würde ihnen keiner ihre Tochter wieder zurück bringen. Nachdem Connor seine Aussage machte, wirkten die Geschworenen verunsichert. Er bestritt vehement etwas mit der Tat zu tun gehabt zu haben, gab aber die pseudo-Entführung von Jodie zu. Bei einigen Geschworenen brachte es ihm Sympathiepunkte ein, aber als die Beweise und die Aussagen der FBI Agenten, Forensiker und Techniker zum Fall dazu kamen, schien es für den Jungen aussichtslos. Alle hatten sich ein Urteil gebildet und der fremde Mann sowie die vielen Chatbekanntschaften von Amber rückten in Vergessenheit. Nach einem Tag zur Beratung, kamen die Geschworenen schließlich zu dem Schluss, dass Connor den Mord an Amber beging. Und auch der Richter zeigte kein Mitleid mit dem Jungen. Obwohl dieser noch nicht vorbestraft war, zeigte seine Bereitschaft zur Entführung von Jodie bereits ein dunkles Potential, welches nicht in Vergessenheit geraten durfte. Auch wenn es für die Eltern von Connor und dessen älterem Bruder Chad ein Schlag ins Gesicht war, wurde der Junge zu sieben Jahren ohne Bewährung verurteilt. Connor sank auf seinem Stuhl zusammen. Er hatte mich dem Schlimmsten gerechnet, aber als es dann eintrat, zog es ihm den Boden unter den Füßen weg. Obwohl keine Fluchtgefahr bestand, ordnete der Richter die sofortige Überführung ins Gefängnis an. Connor blieben nur wenige Minuten um sich von seiner Familie zu verabschieden. „Ich bin es nicht gewesen…“, murmelte er leise. „Connor, wir werden das Urteil anfechten“, begann Dr. Mutschke. „Du wirst sehen, im Laufe der Zeit werden neue Beweise zu Tage gebracht und du wirst wieder ein freier Mann sein.“ „Mom…“, wisperte Connor und umarmte sie. „Ich hab Angst…“ „Es wird alles gut“, behutsam strich sie ihm über den Rücken. „Wir holen dich raus“, fügte sein Vater an. „Bitte verabschieden Sie sich.“ Ein Beamter stellte sich zu der Familie. Connor schluckte und löste sich von seiner Mutter. „Ich hab euch lieb“, sprach er, ehe der Beamte in abführte. Tom Weston sah zu seiner Ex-Frau. „Es ist jetzt vorbei“, sagte er ruhig und verließ den Saal. Leila sah ihm mehrere Sekunden nach und seufzte. Auch wenn der Mord an ihrer Tochter nun bestraft und der Täter hinter Gittern gebracht wurde, verspürte sie keine Genugtuung. Nur der Schmerz war ihr geblieben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)