Ahnungslose Augenblicke von Varlet ================================================================================ Kapitel 7: Gefunden ------------------- Er folgte ihr. Schritt um Schritt. Haus um Haus. Seit sie das Haus ihrer Eltern verließ, war er ihr auf den Fersen. Sie war das perfekte Opfer, leicht zu fassen und unachtsam. Sie lief allein durch die beginnende Dunkelheit. Er musste jedes Szenario bedenken, damit nichts schief ging. Näherte er sich ihr zu früh oder zu spät, könnte sie entkommen und wäre für die nächste Zeit unerreichbar. Sie wäre gewarnt. Andererseits war es nun ein leichtes sie sofort zu schnappen, von hinten auf den Boden zu reißen und dann zu verschleppen. Oder aber er spielte noch ein wenig mit ihr, indem er wie ein normaler Passant oder Jogger an ihr vorbei lief und dann ohne Vorwarnung stehen blieb. Allein ihr Gesicht zu sehen, wäre es Wert. Er hätte aber auch einige Straßen weiter laufen können und ihr dann entgegen kommen, sie ansehen und dann packen. Sie konnte ruhig sein Gesicht sehen, denn es wäre das letzte, was sie sah. Wie ein Löwe auf der Jagd beobachtete er die junge Gazelle. Sein Herz blieb fast stehen, als sie sich auf einmal umdrehte und umsah. Hatte sie ihn trotz aller Vorsicht bemerkt? War er sich zu sicher? Er schluckte. Noch war es nicht zu spät. Eine Handlung und sie würde sich wieder in Sicherheit wiegen. Er ließ seine Hand in seine Manteltasche gleiten und holte das Handy heraus. Was war normaler als jemand der in gebückter Haltung, starrend auf das Display den Weg entlang lief? Er sah kurz auf das Display und dann langsam wieder nach vorne. Als sich Jodie wieder in Bewegung setzte, wusste er, dass sie nicht wusste, dass es ihn gab. Er konnte sich weiter auf die Lauer legen. Sehr gut, sagte er sich und wechselte auf die andere Straßenseite. Dort beschleunigte er und zog an ihr vorbei. Voller Freude und Euphorie hatte sich Jodie auf den Weg zu Amber gemacht. Sie hatte den perfekten Zeitpunkt abgepasst und sich raus geschlichen. In wenigen Minuten wäre sie bei ihrer einzigen Freundin. Und doch war jetzt alles komisch geworden. Während Jodie die halb beleuchtete Straße weiterging, kam ein ungutes Gefühl in ihr auf. Automatisch griff sie in ihre Jackentasche um wenigstens das Handy zu umfassen. Jetzt ärgerte sie sich, weil sie dieses absichtlich zu Hause ließ. Warum musste sie ihre Eltern auch nur so gut kennen? Sie wusste, sobald ihre Abwesenheit bemerkt wurde, würden ihre Eltern sie orten. Vor Jahren hatte Jodie ihrem Vater erlaubt eine Software auf das Handy zu spielen, damit sie im Notfall geortet werden konnte. Jodie konnte ihrem Vater dafür keinen Vorwurf machen, schließlich sorgte er sich nur um sie. Wie sehr wünschte sie sich in diesem Augenblick, dass sich das Handy nun in ihrem Besitz befand. Jodie sah nach hinten. Noch konnte sie nach Hause gehen. Es würde zwar ein Donnerwetter geben, aber sie wäre nicht mehr auf der dunklen Straße. Baby, hörte sie Ambers Stimme in ihrem Kopf. Jodie seufzte leise auf. Manche Kommentare waren verletzend, aber was tat man nicht alles für seine einzige Freundin? Das junge Mädchen atmete tief ein und folgte der Straße. Aus dem Augenwinkel sah sie eine Person auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Glücklicherweise beschleunigte diese und verschwand dann aus ihrem Sichtfeld. Was sollte jetzt noch passieren? Jodie atmete tief durch und entfernte sich immer weiter von ihrem Elternhaus. Nur noch wenige Minuten und sie war bei Amber. Eine schwarze Gestalt bewegte sich auf sie zu. Jodies Schritte wurden langsamer. Ihr Herz schlug schneller und automatisch wich sie ein wenig nach Hinten. Die Person ging schneller und gerade als Jodie los laufen wollte, hielt er sie am Arm fest. Jodie stieß einen Schrei aus. „He…alles gut…beruhig dich mal.“ Seine tiefgrünen Augen starrten sie an. Jodie schluckte und zog ihren Arm zu sich. „D…u?“, wisperte das Mädchen. Connor lächelte verschmilzt. „Amber schickt mich. Sie sagt, du hast dein Handy zu Hause gelassen und warst nicht erreichbar. Ich soll dich abholen.“ „Abholen?“ „Ambers Mutter ist unerwartet nach Hause gekommen, daher haben wir entschieden, dass wir nun zu Chad und mir nach Hause gehen. Unsere Eltern kommen erst morgen Mittag wieder nach Hause, von daher haben wir solange sturmfrei.“ Jodie schluckte. Na toll, Amber…warum konntest du mir das nicht vorher sagen? Irritiert sah sich die Schülerin um. Kam sie noch aus der Sache raus? „Wo ist Amber?“, wollte sie wissen. „Die hat vorhin noch mit meinem älteren Bruder Chad telefoniert und sich von ihm abholen lassen. Die beiden sind dann auch schon vorgegangen und wollten die freie Zeit nutzen. Wahrscheinlich machen die Beiden gerade rum“, entgegnete Connor. „Typisch Amber“, murmelte Jodie. „Also?“ Connor sah sie fragend an. „Was ist jetzt? Kommst du mit oder gehst du wieder nach Hause?“ „Ja, doch…ich komm…mit…“, brachte Jodie heraus. „Gut. Hier entlang.“ Connor ging vor. Immer mal wieder sah er aus dem Augenwinkel zu Jodie, lief dabei aber Schnurrstracks zum Haus seiner Eltern. „Da sind wir“, sagte er als sie davor standen. Das Licht in der ersten Etage brannte. Connor schloss die Tür auf und führte Jodie rein. „Wir müssen nach unten.“ „Unten?“ „Dort ist unser Partyraum. Ganz kuschelig.“ Connor ging zur Kellertür. „Ich hoffe, wir finden gleich nicht Chad und Amber in eindeutiger Pose.“ Jodie nickte. „Das hoffe ich auch nicht…“, murmelte sie und trat in das Zimmer. „Wo ist der Lichtschalter?“ „Vor dem Eingang neben der Tür“, rief Connor ihr zu und hing seine Jacke auf. Jodie drückte auf den Lichtschalter. Der Raum vor ihr war nahezu kahl. An den Wänden standen Regale die mit verschiedenen Utensilien, wie Werkzeuge oder altes Spielzeug, gefüllt waren. Einzig ein kleines Fenster sorgte für einen geringen Lichteinfall. Auf dem Boden fand sie eine Decke und zwei Flaschen Wasser sowie einen kleinen Snack. Ob dass das Liebesnest von Chad und Amber war? Ehe sich Jodie aber weitere Gedanken machen konnte, wurde sie weiter in den Raum gestoßen und die Tür zu geschlagen. Jodie hörte wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde, ehe Connor das Licht ausschaltete. Instinktiv lief sie in die Richtung des Ausganges, drückte sich an die Tür und rüttelte an der Klinke. „Lass mich raus“, rief sie. „Bitte, lass mich raus…“ Sie rüttelte und rüttelte, aber im gesamten Haus rührte sich nichts. Agent Fries saß im Wohnzimmer der Familie Riemer. Connor saß neben seiner Mutter auf dem Sofa, während sein Bruder Chad und der gemeinsame Vater nahe an der Wand standen. „Bitte setzen Sie sich doch“, entgegnete die Agentin. Mr. Riemer sah zu Chad. „Tu was sie sagt.“ Der ältere Sohn setzte sich auf das Sofa und sah die Agentin an. „Können Sie uns sagen, weswegen Sie hier sind?“, wollte Mr. Riemer wissen. „Es geht um eine Mitschülerin Ihres Sohnes Connor. Jodie Starling. Das Mädchen hat sich gestern Abend auf den Weg gemacht um ihre Freundin Amber Weston zu besuchen. Aber sie kam dort nie an.“ „Und was hat das mit meinem Sohn zu tun?“ „Genauer gesagt sind es Ihre beiden Söhne. Wir wissen, dass sowohl Chad als auch Connor ebenfalls bei Amber eingeladen waren. Laut Aussage von Amber haben Beide abgesagt“, erzählte Agent Fries. „Dann ist die Sache doch klar. Meine Söhne waren zu Hause als das Mädchen verschwunden ist.“ Fries versuchte die Ruhe zu bewahren. „Chad, Connor, bitte erzählen Sie mir, was an diesem Abend vorgefallen ist.“ Connor sah zu seinem Bruder Chad. „Sie haben Recht“, fing dieser an. „Amber hat uns eingeladen und wir haben auch zugesagt. Erst im späteren Verlauf hat uns Amber erzählt, dass Jodie auch kommt. Wie Sie wissen ist Jodie die Tochter eines FBI Agenten…nichts gegen Sie Agent Fries, aber wir waren in Sorge, dass Starling uns danach im Visier hat. Daher haben wir Amber auch abgesagt. Sie hat versucht uns zu überreden, aber wir wollten dann partout nicht.“ „Ich verstehe. Und an dem Abend hat sie keiner von euch gesehen?“ „Nein“, kam es sofort von Chad. „Wir waren die ganze Zeit zu Hause. Ich war oben im Zimmer und Connor hat unten DVD geguckt.“ „Nicht oben in seinem eigenen Zimmer?“ Fries sah sofort zu dem Jungen. „Ich hab keinen DVD-Player und auf Dauer am PC sitzen und schauen wird mir zu unbequem. Mom und Dad waren gestern Abend nicht da, daher konnte ich es mir unten gemütlich machen.“ „Das kann ich bestätigen“, sprach Mr. Riemer. „Ich war mit meiner Frau nicht in der Stadt. Wir sind erst heute Vormittag wieder gekommen. Die Jungs haben uns vom Bahnhof abgeholt. Das können Sie gern überprüfen.“ Fries nickte nur und machte sich eine Notiz in ihrem Notizbuch. „Chad, Connor, wie war euer Verhältnis zu Amber Weston?“ Chad zuckte mit den Schultern. „Wir kennen sie aus der Schule. Amber war mal in meinem Jahrgang, aber dann musste sie wiederholen. Viel Kontakt hatten wir nicht mit ihr. Es war auch merkwürdig, dass sie uns jetzt eingeladen hat, aber da Amber immer ein wenig sprunghaft ist, haben wir uns nichts dabei gedacht.“ „Ja…genau…so ist es…“, murmelte Connor. „Ich verstehe“, sagte die Agentin. „Meinen Informationen zufolge diente der gestrige Abend auch zum rummachen.“ „Wahrscheinlich hat sich Amber das so gedacht. Dazu kann ich nichts sagen“, sprach Chad. „Und wie war euer Verhältnis zu Jodie?“ Chad zuckte die Schultern. „Wir hatten eigentlich gar keines. Ich kannte sie nur vom Hörensagen.“ „Amber hat erzählt, dass Jodie zu Hause…unglücklich ist“, fing Connor an. „Ihr Vater würde sie…kontrollieren und ihr nichts…erlauben…“ „Und sie glauben, was Amber gesagt hat?“, wollte Fries wissen. „Warum sollte sie lügen…Amber und Jodie sind doch befreundet“, entgegnete Connor. „Wir ermitteln noch in alle Richtungen“, sagte die Agentin ruhig. „Mein Partner hat mich vor wenigen Minuten informiert, dass Amber Weston tot aufgefunden wurde.“ Chad weitete seine Augen, Connor wurde bleich. „Das…das kann nicht…wie…was ist…“, stammelte der Jüngere. „Was genau passiert ist, können wir nicht sagen. Wir schließen zum jetzigen Zeitpunkt nicht aus, dass der Mörder auch Jodie entführt hat.“ Connor schluckte und sah sie an. „Und…wenn er…sie nicht hat?“ „Dann müssen wir Jodie so schnell wie möglich finden“, sagte Fries. Mr. Riemer nickte. „Wenn wir das Mädchen sehen, geben wir Ihnen Bescheid. Die Jungs werden sie sicher erkennen.“ „Vielen Dank.“ Fries stand auf und zog zwei Visitenkarten raus. „Wenn euch noch was einfällt, ruft mich an.“ „Machen wir.“ Mr. Riemer stand auf. „Ich bringe Sie nach draußen.“ Jodie öffnete ihre Augen und blickte sich verwirrt um. Durch das Fenster schimmerte ganz wenig Licht hinein. Sie erinnerte sich wieder. Es war alles schief gegangen, was hätte schief gehen können. Die ganze Nacht hatte sie sich wach gehalten, aus Angst vor dem, was die Jungs mit ihr vor hatten. Irgendwann wurde sie aber von der Müdigkeit übermahnt und gab ihr nach. Langsam stand das Mädchen auf und versuchte den Weg zur Tür zu finden. „Hilfe“, rief sie voller Hoffnung, auch wenn ihre Rufe am Abend zuvor unbeantwortet blieben. Jodie tastete sich weiter vor, bis sie vor der Tür stand. „Hallo…ist da jemand? Bitte…helft mir…“, sie klopfte gegen die Tür. Fries schaute irritiert in den Flur. „Haben Sie das auch gehört?“ „Was meinen Sie?“, wollte Mr. Riemer wissen. „Sch…seien Sie leise“, wies ihn die Agentin an. „…lfe…“ Fries hörte das Klopfen und drehte den Kopf in diese Richtung. „Was ist hinter der Tür?“, wollte sie wissen und verengte die Augen. „Nur der Keller.“ Chad, Connor und ihre Mutter kamen zu den beiden Anwesenden. „Aufmachen, sofort.“ „Da unten ist nichts“, kam es sofort von Connor. „Davon überzeuge ich mich gerne selbst“, entgegnete die Agentin. „Soll ich lieber Verstärkung rufen oder kooperieren Sie?“ Mr. Riemer trat an die Tür und drehte den Knauf, sodass die Tür entriegelt wurde. „Jodie? Bist du da drin? Ich bin vom FBI, hörst du? Es ist alles gut, ich mach jetzt die Tür auf.“ Fries öffnete die Tür und erblickte das verängstigte Mädchen. Jodie machte einige Schritte nach hinten. „Jodie? Du bist doch Jodie, nicht wahr?“ Die Gefragte nickte. „Ich bin Agent Fries, dein Vater hat uns eingeschaltet um nach dir zu suchen. Du kannst raus kommen, dir tut keiner was. Ich verspreche es.“ Jodie schluckte und kam langsam nach vorne. Sie sah in den Flur und machte wieder einen Schritt nach hinten. Die Angst war ihr ins Gesicht geschrieben. Konnte sie der Frau vor ihr trauen? Oder gehörte es zum bösen Spiel des Jungen? „Jodie? Ganz ruhig…dir tut keiner was.“ Agent Fries trat zu ihr heran und legte ihre Hand auf ihren Oberarm. „Es wird alles gut.“ Jodie schluchzte und ließ sich in die Arme der Agentin fallen, ehe sie anfing zu weinen. Fries strich ihr über den Rücken und sah aus dem Augenwinkel nach hinten. „Ich hoffe, Sie können das erklären.“ „Ich…hab…“, fing Connor leise an. „Das…ist…ganz…anders…ich…“ „Halt den Mund, Connor“, raunte sein Vater. „Du sagst jetzt nichts ohne deinen Anwalt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)