Ahnungslose Augenblicke von Varlet ================================================================================ Kapitel 3: Verschwunden ----------------------- Jodie war euphorisch und aufgeregt. Die Freude über die gelungene Flucht aus ihrem Elternhaus stand ihr ins Gesicht geschrieben. Jodie war überglücklich, dass sie es dieses Mal geschafft war. Im Nachhinein war es schon fast zu einfach. Nach der Ohrfeige ihrer Mutter blieb sie in ihrem Zimmer und schmollte. Immer wenn ihre Mutter an die Tür klopfte, schwieg sie. Nachdem ihr Vater von der Arbeit nach Hause kam, stattete er ihr im Zimmer einen Besuch ab. Sobald er aus dem Zimmer ging, hatte sie lange genug Zeit um sich aus dem Haus zu schleichen. Jodie schnappte sich ihr Handy und lauschte an der Tür. Sie strich leicht unsicher über das Display des Handys und tippte eine Nachricht an Amber. Darf nicht rüber kommen, ich schleich mich raus, lasse meine Handy zu Hause. Jodie legte ihr Handy auf ihren Schreibtisch und öffnete das Fenster in ihrem Zimmer. Von dort hatte sie einen guten Blick auf die Terrasse. Oft arbeitete ihr Vater wenn er zu Hause war. Dazu setzte er sich entweder in sein Arbeitszimmer oder auf die die Terrasse. Jodie hatte Glück. Von ihrem Zimmer aus konnte sie ihn sehen und hören. Wenn alles gut ging, telefonierte er noch eine ganze Weile. In dieser Zeit ging Jodie zurück zur Zimmertür und öffnete sie ganz leise. Sie verharrte einen Moment, hörte aber weder ihre Mutter noch ihren Vater. Jodie stieg leise die Treppe hinab, nahm ihre Jacke von der Garderobe und schlüpfte in ihre Schuhe. Jetzt oder nie, sagte sie sich und ging zur Haustür. Ehe sie sie öffnete, lauschte sie nach Anzeichen ihrer Eltern. Wenige Sekunden später, öffnete sie die Haustür und trat nach draußen. Sobald sie die Tür schloss, lief sie los. Jetzt wo sie draußen war, wollte sie sich nicht noch einmal erwischen lassen. Draußen zog sich Jodie ihre Jacke an. Für den Herbst war es bereits recht kühl geworden und die Straße wurde nur noch durch die Laternen beleuchtet. Glücklicherweise war der Weg zu Amber nicht allzu weit. Mit dem Auto oder dem Fahrrad dauerte die Fahrt maximal zehn Minuten, zu Fuß waren es je nach Schnelligkeit zwanzig bis dreißig Minuten. Normalerweise hatte Jodie kein Problem damit auch mal abends alleine durch die Straßen zu gehen, aber an diesem Tag war alles anders. Wieder überkam sie ein ungutes Gefühl. Jodie versuchte es abzuschütteln und ging weiter. Ihre Euphorie ebbte ab. Die Aufregung wich und ihr Adrenalinspiegel sank in den Keller. Wenn Jodie ehrlich zu sich selbst war, wollte sie wieder nach Hause, zurück zu ihren Eltern. Natürlich wären ihre Eltern wütend, wenn sie wussten, dass sich ihre Tochter raus schlich. Würde sie sich entschuldigen, würde die Sache fast ausgestanden sein. Selbst mit weiterem Hausarrest konnte sie leben. Obwohl sich Jodie schon nahezu entschied, trugen sie ihre Beine immer weiter von zu Hause weg. Angela kam langsam die Treppen nach unten. Fast apathisch bewegte sie sich in das Wohnzimmer. Agent Starling kam durch die Terrassentür rein. „Jodie ist weg“, sagte Angela leise. „Was?“ Starling hob die Augenbraue. „Was soll das heißen?“ „Was wohl?“, kam es von Angela. „Unsere Tochter ist nicht mehr in ihrem Zimmer. Sie hat es wirklich getan und ist abgehauen.“ „Hast du im Badezimmer nachgesehen?“, wollte der Agent wissen. „Natürlich hab ich das. Jodie ist weg und sie hat ihr Handy auf dem Schreibtisch liegen gelassen.“ Starling knurrte leise. Auf Jodies Handy befand sich eine Software zur Ortung. Er hatte sie damals mit Jodies Einverständnis installiert. Gerade als FBI Agent rechnete Starling mit allem und die Sicherheit seiner Familie besaß immer höchste Priorität. „Jodie kriegt was zu hören“, sagte er und ging in den Flur. „Ich fahr sofort zu Amber und hol Jodie ab.“ „Ich komm mit.“ Angela folgte ihm und zog sich im Flur Schuhe und Jacke an. „Wenn ich sie nicht geohrfeigt hätte, wäre sie noch da“, murmelte sie. „Red dir das bitte nicht ein“, antwortete ihr Mann. „Wahrscheinlich wäre Jodie so oder so abgehauen. Das einzige, was in der Situation geholfen hätte, wäre ihr den Abend zu erlauben. Und das kam nie in Frage.“ Starling seufzte. „Ab Montag werde ich sie selbst zur Schule fahren und nach dem Unterricht zu Hause absetzen. Das hat sie sich selbst zuzuschreiben, auch wenn es in ihren Augen peinlich ist.“ Angela nickte. „Das wird wohl besser sein“, murmelte sie und ging nach draußen zum Wagen. „Ich erkenne unsere Jodie nicht wieder.“ Starling öffnete die Tür und stieg ein. „Ich weiß, was du meinst. Jodie ist in einer Phase in der sie alles ausprobiert. Das geht vorbei.“ Er wünschte es sich so sehr. Er startete den Motor und fuhr los. Die ganze Zeit über schwirrten seine Gedanken um Jodie und was er ihr alles sagen würde. Ihm war egal, wenn er seine Tochter nun vor ihren Schulkameraden bloß stellen musste. Die zehn Minuten Fahrt zu Amber kamen ihm wie eine Ewigkeit vor. Jede Ampel arbeitete gegen ihn und sprang auf rot um. Ungeduldig tippte er auf dem Lenkrad und war erleichtert, als er der Einfahrt der Westons immer näher kam. Sobald sein Wagen parkte, schnallte er sich ab und stürmte auf die Haustür zu. Starling klopfte und klingelte. Seine Tochter würde gleich was erleben. Es dauerte einen Moment ehe die Tür aufging. Leila Weston – die Mutter von Amber – sah ihn an. „Mister Starling…oh und Ihre Frau ist auch da. Was kann ich für Sie tun?“ Agent Starling stürmte an ihr vorbei. „Jodie?“, rief er durch das Haus. „Jodie, komm sofort hier her.“ „He, Starling.“ Leila folgte ihm. „Sie können hier doch nicht einfach so rein stürmen.“ Angela kam zu den beiden. „Bitte entschuldigen Sie unser plötzliches Auftreten hier. Wir möchten Jodie abholen. Sie ist ohne unsere Erlaubnis hier.“ Leila sah sie irritiert an. „Es tut mir leid, aber Jodie ist nicht hier.“ „Aber…das kann nicht sein…“, murmelte Angela leise. „Sie wollte heute zu Amber…sie wollten sich doch hier mit anderen Schulkameraden treffen…“ „Davon weiß ich nichts. Ich hab heute einen freien Tag und bin seit dem frühen Nachmittag zu Hause. Amber ist alleine oben in ihrem Zimmer.“ „Das kann nicht sein“, entgegnete Starling und ging die Treppe nach oben. Er hatte Jodie schon so oft in dem Haus abgeholt, dass er mittlerweile wusste, welches Zimmer von Amber bewohnt wurde. Ohne Vorwarnung trat er in das Zimmer des Mädchens. Er sah sich um. „Wo ist sie?“ Amber sprang von ihrem Bett auf. „Was soll das? Sie können hier doch nicht einfach reinplatzen.“ „Wo ist meine Tochter?“ „Nicht hier. Oder sehen Sie sie irgendwo?“ Agent Starling ging an ihren Kleiderschrank und öffnete die Tür. Danach kniete er sich auf den Boden und sah unter dem Bett nach. Von Jodie gab es keine Spur. Er stand auf und fixierte Amber mit den Augen. „Wo ist sie?“ „Woher soll ich das wissen?“, kam es von Amber. „Wahrscheinlich zu Hause. Haben Sie dort schon nachgeguckt?“ „Du hältst dich für sehr witzig. Wenn sie zu Hause wäre, meinst du ich wäre dann hier?“ Amber zuckte mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen? Vielleicht ist Ihnen langweilig.“ Leila und Angela kamen die Treppen hoch. „Amber, Schatz, weißt du wirklich nicht, wo Jodie ist?“ Amber verdrehte die Augen. „Ich sagte das doch schon. Ich hab keine Ahnung. Sie wollte sich raus schleichen und herkommen, aber sie kam nicht. Ich hab mir dabei nichts gedacht und ihr auch eine Nachricht geschickt, dass der heutige Abend nicht stattfindet.“ Amber sah ihre Mutter an. „Ich hab Jodie und zwei Jungs hier eingeladen, aber beide haben abgesagt. Daraufhin hab ich Jodie abgesagt.“ „Wieso glaub ich dir nur nicht?“, wollte Starling wissen. „Was weiß ich, weil Sie pessimistisch sind?“, antwortete Amber. „Ich kann Ihnen gerne mein Handy mit der Absage zeigen.“ Starling verengte die Augen. „Sag mir lieber wo du Jodie versteckst.“ Amber seufzte. „Ich verstecke Jodie nicht. Sehen Sie sich doch hier um oder noch besser, stellen Sie hier ruhig alles auf den Kopf. Sie werden sehen, dass Jodie nicht da ist.“ Starling ballte die Faust. „Sag ihr, sie soll wieder nach Hause kommen.“ „Agent Starling“, fing Leila an. „Ich verstehe, dass Sie aufgebracht sind, weil Sie nicht wissen, wo Ihre Tochter ist. Aber wir kommen so nicht weiter und wenn Sie weiterhin versuchen meine Tochter unter Druck zu setzen, bringt es Keinem etwas. Ich kann Ihnen versichern, dass Jodie nach der Schule nicht zu uns gekommen ist. Sollte sie doch noch hier her kommen, fahre ich Ihre Tochter persönlich nach Hause. Ich schlage vor, dass Sie jetzt auch nach Hause fahren und gucken, ob Jodie nicht dort ist. Vielleicht musste sie einfach nur frische Luft schnappen und sitzt jetzt in ihrem Zimmer, wo sie Hausaufgaben macht. Sollte Amber doch noch etwas von Jodie hören, informieren wir Sie natürlich unverzüglich.“ Starling verengte die Augen. „Ich nehme Sie beim Wort.“ Er sah sich im Zimmer um und dann zu seiner Frau. „Komm, wir gehen.“ Angela saß im Wohnzimmer und drückte den Lieblingsteddybären ihrer Tochter an sich. Jodie saß natürlich nicht in ihrem Zimmer und auch sonst war das Haus leer. „Hoffentlich geht es ihr gut“, murmelte sie leise. Die Sorge ließ sie beinahe verrückt werden. Obwohl es normal war, dass Kinder nicht ununterbrochen zu Hause waren und manchmal für einige Stunden verschwanden, passte dieses Verhalten nicht zu Jodie. Angela konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Tochter ihnen diese Sorge bereitet hätte. Agent Starling nickte. „Amber versteckt sie irgendwo, aber das kann sie nicht für immer machen“, sprach er. „Morgen ist Jodie bestimmt wieder zu Hause.“ „Hoffentlich hast du Recht…“ Er lächelte gezwungen. „Du wirst sehen…und jetzt Kopf hoch.“ Wenn er aber ehrlich war, nagten die ersten Zweifel an ihm. Wo war Jodie? Und warum kam sie nicht nach Hause? War ihr doch etwas Geschehen und sie ließen jetzt nur wichtige Zeit verstreichen? Agent Starling hatte in der Vergangenheit viel gesehen. Zu viel. Angela nickte. „Wenn sie doch nur ihr Handy mitgenommen hätte…du hättest sie orten können und dann wäre sie wieder zu Hause. Ich wäre ihr nicht einmal böse gewesen.“ Angela sah ihn an. „Wenn sie jetzt durch die Tür käme, ich würde sie nur in meine Arme drücken…sie wäre ohne Strafe davon gekommen, aber sie soll einfach nur wieder nach Hause kommen.“ Angela wischte sich die aufkommenden Tränen aus dem Gesicht. Starling setzte sich zu seiner Frau und nahm sie in den Arm. „Liebes, unsere Tochter kommt sicher bald nach Hause. Du musst dich nur noch etwas Gedulden.“ Angela lehnte sich an ihn. „Ich weiß nicht, ob ich heute Nacht schlafen kann.“ „Das geht mir genauso. Ich bleibe wach und warte auf Jodie.“ „Ich auch. Aber wir schalten das Licht aus, damit sie sich auch traut reinzukommen. Ich will gar nicht wissen, was ihr Amber noch über uns erzählt.“ „Jodie wird bald merken, dass sie Amber nicht vertrauen kann“, murmelte Starling. Auch am nächsten Morgen kam Jodie nicht nach Hause. Jedes Mal wenn es draußen nur annähernd raschelte, sprangen sie auf und begaben sich zur Haustür. Trotz aller Sorgfalt und des Wartens gab es keine Spur von ihrer Tochter. Kurz nach acht Uhr rief er bei den Westons an. Ein weiteres Mal versicherte ihm Leila, dass Jodie nicht bei ihnen war. Es wusste keiner, wo sich das Mädchen aufhielt. Wieder konnte es Agent Starling nicht lassen und sprach ein mahnendes Wort mit Amber. „Falls du doch weißt, wo Jodie ist, fahr zu ihr und schick sie nach Hause.“ „Wie oft denn noch?“, wollte Amber wissen. „Ich hab immer noch keine Ahnung wo Jodie ist. Sie war die Nacht über nicht hier. Außerdem bin ich nicht ihr Kindermädchen.“ „Amber, wenn du weißt…“, begann Leila. „Mom!“, fuhr Amber dazwischen. „Wie oft muss ich es noch sagen? Ich habe keine Ahnung. Ich schrieb ihr ein paar Nachrichten, aber es kam keine einzige Reaktion. Sie können gern mein Handy nehmen und es überprüfen.“ „Jodie ließ das Handy zu Hause.“ „Das weiß ich auch, aber es hätte sein können, dass sie wieder zu Hause ist. Das kann ich doch nicht wissen.“ Amber sah Starling an. „Aber es würde mich nicht wundern, wenn Jodie abgehauen wäre. Sie war die ganze Zeit über unglücklich. Sie waren immer so streng zu ihr.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)