My Love Is Your Love von May_Be (- Blind Date -) ================================================================================ Kapitel 17: Karma ----------------- Diskutierend verließen sie den Kinosaal und steuerten den Weg nach draußen an. Der Horrorfilm hatte Hitomi etwas aufgewühlt. Die Handlung war so bizarr, dass sie bei dem Gedanken daran, immer noch Gänsehaut bekam. „Schrecklich, was er mit ihnen gemacht hat... Ich habe mich so erschrocken, als diese gruslige Bauchrednerpuppe wie aus dem Nichts aufgetaucht ist...!“, teilte sie ihm ihre Eindrücke lebhaft mit. Iji grinste sich einen ab. „Ich hätte nicht gedacht, dass du ein kleiner Angsthase bist. Dabei hast du den Film ausgesucht!“ „Ich weiß...! Weil ich so etwas eben noch nie gesehen habe, ich war neugierig!“ Es waren bereits 2 Wochen vergangen, seit Iji sich vorgenommen hatte, mit seinem Bruder zu sprechen. Doch aus seinem Plan war nichts geworden. Entweder kam ihm ständig etwas dazwischen und er verschob es auf den nächsten Tag oder er vergaß es. Aber wenn er ganz ehrlich war, gab es da noch einen anderen Grund. Einen weitaus egoistischeren Grund. „Iji!?“ Die Stimme ließ ihn aufhorchen. Iji bekam ein ganz mulmiges Gefühl. Er sah sich suchend nach der Quelle der Stimme um und erblickte seine Mutter, die bereits eilig auf sie zukam. Ihm blieb fast das Herz stehen. Scheiße…! Zu spät, um zu flüchten, keine Möglichkeit diesem Aufeinandertreffen zu entkommen. „Was für ein Zufall, dass ich euch hier treffe!“ „Ja, tatsächlich…“, grummelte Iji und kassierte von seiner Mutter einen tadelnden Blick. „Sei nicht so frech zu deiner Mutter!“, meinte Ruriko und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Mädchen neben Iji zu. „Und du musst Ijis Freundin sein, die er vor mir versteckt!“ Iji glaubte, er hörte nicht recht. Sie war so peinlich. „Mutter!“ Ruriko hielt sich die Hand vor den Mund und kicherte wie ein kleines Mädchen. „Ja, ja. Schon gut. Ich wollte euch nicht in Verlegenheit bringen. Ich mache das wieder gut. Wie wär’s, wenn wir alle zu uns gehen und zusammen essen? Ich war grade einkaufen und habe alles für ein leckeres Curry gekauft!“ Hitomi sah kurz zu Iji und dann zu Ijis Mutter. Ihre fröhliche, aufgeschlossene Art war ihr auf Anhieb sympathisch. „Wir haben keinen Hunger“, entschied Iji kurzerhand für sie beide. Sie mussten dringend hier weg. „Sei nicht so unhöflich! Vielleicht möchte deine Freundin ja was essen!“ Ruriko sah Zustimmung heischend zu dem Mädchen. Hitomi fühlte sich etwas unbehaglich in ihrer Haut, weil sie zwischen zwei Stühlen stand. Anscheinend wollte Iji nicht, dass sie mit zu ihm nach Hause kam. Aber… warum ging seine Mutter dann davon aus, dass sie seine Freundin war? Hatte er ihr etwa von ihr erzählt? „Also… ich hätte schon ein bisschen Hunger“, sagte Hitomi vorsichtig und kassierte von Iji einen entgeisterten Blick. „Du hast doch grade so viel Popcorn verputzt. Wie kannst du Hunger haben?“ „Das war doch kein richtiges Essen! Ich hätte schon Lust auf Curry.“ „Man... Du bist klein, aber ein echter Vielfraß.“ „Hey! Ich habe nur einen gesunden Appetit!“ Ruriko sah zwischen den beiden hin und her und lachte über ihre niedliche Art, miteinander zu diskutieren. Hach, wäre sie doch noch einmal jung! „Ihr seid so süß!“  Iji und Hitomi sahen sie mit großen Augen an. „Kommt Kinder, keine Widerrede!“ Ruriko hackte sich bei Hitomi unter und zog sie mit sich, sodass Iji nichts anderes übrigblieb, als ihnen zu folgen. „Ach übrigens, mein Name ist Ruriko Kagawa. Und deiner war... hm, wie war der denn gleich? Fing mit M an…“ Iji horchte auf. Sie musste bestimmt Makis Namen im Kopf haben. Den hatte sie doch aus ihm irgendwann mal rausgequetscht. „Hitomi Higashino!“, sagte er schnell, „sie heißt Hitomi Higashino. Du bist echt senil, Mama…“ „Ach…“, sagte Ruriko und warf ihrem Sohn einen wissenden Blick zu. Dann legte sich wieder ein Lächeln auf ihre Lippen. „Freut mich dich kennenzulernen, Hitomi-chan.“ Iji musste den Schaden begrenzen und dazu gehörte es auch, seinen Bruder zu informieren. Er holte sein Handy hervor und schrieb Ryoske eine Nachricht. Falls er zu Hause war, sollte er schnellstmöglich aus der Wohnung verschwinden, bevor sie dort ankamen. „Wie habt ihr euch denn kennengelernt?“, fragte Ruriko interessiert. „Das war so...“, fing Hitomi an und wurde von Iji unterbrochen. „Jetzt hör auf, sie so auszuquetschen mit deinen Fragen. Du bist echt unmöglich.“ Hitomi versuchte die Wogen zu glätten, indem sie sagte, es mache ihr nichts aus, aber Ruriko hielt sich nun mit ihren Fragen zurück. Warum war er denn so aufbrausend? – fragte sich Hitomi und schielte zu ihm rüber. Er sah irgendwie angespannt aus. Vielleicht wollte er wirklich nicht, dass sie seine Mutter kennenlernte, was ziemlich unfair wäre. Ihre Eltern kannte er schließlich auch.  Zu Hause bei den Kagawas machte Ruriko sich gleich daran, das Essen vorzubereiten. Ohne dass sie Hitomi darum gebeten hatte, half sie ihr beim Kochen. Hitomi freute sich riesig über die Einladung und wollte sich irgendwie nützlich machen. Endlich konnte sie seine Familie kennenlernen, seine Mama und seinen Bruder, und sich ein Bild von seinem Zuhause machen. Er hatte ihr am Anfang mal erzählt, dass der Vater die Familie verlassen hatte. Aus welchen Grund jedoch wusste sie nicht. Während die Frauen das Essen vorbereiteten, war das erste, was Iji tat, nachzusehen, ob Ryoske da war. Glücklicherweise nicht. Er musste seine Nachricht also erhalten haben. Danach begab sich Iji sofort wieder in die Küche. Er durfte die beiden nicht alleine lassen. Aber wie sollte er verhindern, dass seine Mutter sich nicht verplapperte? Oder dass Hitomi ihn Ryoske nannte? Iji war bis zum Äußersten angespannt und konnte letztendlich das so geliebte Curry nicht genießen. „Schmeckt es dir nicht?“, fragte seine Mutter ihn, „du hast das Essen kaum angerührt.“ „Ich hatte ja gesagt, ich habe keinen Hunger“, brummte Iji und schob den Teller von sich. „Bist du fertig?“ Er sah zu Hitomi, die sich gerade einen vollen Löffel in den Mund gesteckt hatte und genüsslich kaute. „Noff nifft!“ (Noch nicht!) Iji konnte sein Grinsen nicht unterdrücken. Mit den vollen Backen sah sie aus wie ein Hamster. „Man redet nicht mit vollem Mund“, tadelte er sie sanft. Sie sollte schneller essen, damit sie endlich gehen konnten, aber so etwas Unhöfliches konnte er kaum sagen. „Zeig Hitomi doch gleich dein Zimmer, wenn sie schon mal hier ist. Die beiden haben so viele Bücher. Vielleicht magst du dir eins ausleihen.“ Iji presste die Lippen aufeinander, um keine bissige Bemerkung von sich zu geben. Die Einfälle seiner Mutter machten die ganze Situation nicht grade einfacher. „Das ist sehr nett. Vielen Dank!“ Er musste sich gedulden, bis Hitomi den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte, bevor er sie in sein Zimmer führte. Hitomi sah sich neugierig um. Tatsächlich. So viele Bücher. „Das Zimmer teilst du dir also mit deinem Bruder?“ Iji nickte. „Du hast noch nie von deinem Bruder gesprochen. Zuerst dachte ich, ihr habt vielleicht ein schlechtes Verhältnis, aber dann würdet ihr euch kaum ein Zimmer teilen.“ Hitomi sah ihn mit ihren klugen Augen an. Da hatte sie nicht ganz Unrecht. „Lerne ich ihn irgendwann mal kennen?“ Iji fuhr sich durchs Haar und wandte seinen Blick ab. Sie hatte ihn noch nie mit Fragen über seinen Bruder konfrontiert. Irgendwie fiel es ihm schwer, ihr dabei in die Augen zu sehen. „Bestimmt.“ Ganz sicher würde sie ihn kennenlernen, schließlich ging es bei diesem Spiel nur darum, sie für Ryoske warmzuhalten. Iji sah erst wieder in ihre Richtung, als sie ihren Blick von ihm abwandte und sich wieder im Zimmer umschaute. Wenn sie je diese Lüge, die er und sein Bruder um sie gesponnen hatten, durchschaute, und das würde sie irgendwann, dann würde sie ihn gewiss hassen. Hitomi tänzelte durch den Raum. Dabei fiel ihr Blick zufällig auf den Schreibtisch. War das nicht...? Sie blieb stehen und starrte unentwegt darauf. „Was ist?“, fragte Iji. „Ach, nichts... Sag mal, wie spät haben wir's?“ Iji holte sein Handy aus der Hosentasche, da es keine andere Uhr im Zimmer gab. „Kurz nach sieben. Wieso?“ Doch sie schwieg und gab ihm keine Antwort. Ihr nachdenklicher Blick irritierte ihn. „Musst du los?“ Unter anderen Umständen hätte Iji ihr angeboten länger zu bleiben, aber das ging nicht. „Komm. Ich begleite dich nach Hause.“ Hitomi leistete keinen Widerstand, sondern folgte ihm, obwohl sie noch gar nicht losmusste. Sie verabschiedete sich noch von Ruriko, die es sich bereits im Wohnzimmer gemütlich gemacht hatte. „Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen!“ „Ganz meinerseits, Liebes! Komm uns bald wieder besuchen! Und wenn Iji nicht will, kannst du trotzdem gerne vorbeikommen.“ Die letzten Worte flüsterte sie ihr grinsend zu. Iji... Selbst seine Mutter nennt ihn Iji... Sie gingen auf den Flur und zogen sich ihre Schuhe an, als plötzlich ein Schlüsselgeräusch zu vernehmen war. Die Tür wurde von außen geöffnet und ein Junge stand vor ihnen, der genauso aussah wie... Hitomi starrte ihn mit offenem Mund an, sah dann zu Iji und wieder zu dem Jungen. Träumte sie?  Iji sah ein wenig entsetzt zu seinem Bruder. Warum zum Teufel war er denn schon hier? Er hatte ihm doch geschrieben! Ijis Herzschlag beschleunigte sich, die Aufregung stieg. Doch die Situation war nicht mehr zu ändern. „Hito... das ist mein Bruder“, erklärte er zögernd. „Oh!“, Hitomi starrte den Braunhaarigen immer noch fasziniert an, „sorry, dass ich so starre... ich habe nur nicht erwartet, dass ihr Zwillinge seid. – Ich bin Hitomi Higashino, freut mich dich kennenzulernen.“ Sie verneigte sich höflich, während Iji und Ryoske einen ratlosen Blick austauschten. „Mich… auch“, brachte ihr Gegenüber zögernd hervor. Da er keine Anstalten machte sich vorzustellen, fragte Hitomi ihn direkt danach. Doch keiner der beiden Zwillinge antwortete ihr. Scheiße – dachte Iji verzweifelt. Das war heikel. Nun gab es kein Zurück mehr. Sie konnten sie nicht länger belügen. Das Spiel war aus. Iji seufzte resigniert und war bereit zu beichten. Doch Ryoske kam ihm zuvor. „Kato“, sagte er plötzlich und Iji fiel aus allen Wolken „ich heiße Kato.“ Iji starrte seinen Bruder fassungslos an. Kato? Hieß nicht so der Detektiv aus dem Roman Mitternachtsdinner? Anscheinend wollte Ryoske die Lüge aufrechterhalten. Iji fühlte sich unwohl in seiner Haut, aber da es letztendlich seine Entscheidung war, mischte er sich nicht ein. Da stand sie also vor ihm und sah ihn mit ihren großen, lebendigen Augen an. Eine ganze Weile hatte er es geschafft, ihr aus dem Weg zu gehen und jetzt hatte das Karma sie direkt in seine Wohnung verschlagen. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Unvorbereitet wurde Ryoske ins kalte Wasser geworfen und drohte zu ertrinken. Er war noch nicht bereit für diese Begegnung. Sie sollte gar nicht hier sein! Er war... offensichtlich überfordert mit der Situation. Er warf seinem Bruder einen hilfesuchenden Blick zu. Ijis ratloser Gesichtsausdruck und sein resigniertes Seufzen machten ihn ganz nervös. Sein Bruder wollte doch nicht etwa die Wahrheit sagen? Doch nicht jetzt! Ryoskes Gehirnzellen arbeiteten auf Hochtouren. Wie sollten sie aus diesem Dilemma wieder rauskommen? Hitomis Frage nach seinem Namen ließ ihn innerlich zusammenzucken. Sein Name... Ryoske schluckte und spürte, wie Iji etwas sagen wollte. „Kato“, erwiderte er und kam seinem Bruder zuvor, „ich heiße Kato.“ Der Name war ihm ganz spontan eingefallen. Es war der Meisterdetektiv aus einem seiner Lieblingsbücher. Zwei Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Doch nur Hitomis Blick verursachte einen heftigen Herzschlag in seiner Brust. Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Selbst wenn er es wissen würde, es würde nicht über seine Lippen kommen. Er war wie erstarrt. „Schöner Name“, schmeichelte Hitomi und ihr sanftes Lächeln, das er so sehr vermisst hatte, schnürte ihm die Kehle zu. Ryoske ging wortlos an den beiden vorbei und ließ sie verdutzt zurück. Er musste hier weg, sonst... sonst... In seinem Zimmer angekommen, schloss er die Tür ab und lehnte sich dagegen. Sein Puls raste wie verrückt. Scheiße...   Hitomi sah fragend zu Iji. „Hab‘... ich etwas Falsches gesagt?“ „Nein. Er ist manchmal... etwas schüchtern. Er meint es nicht böse. Warte kurz, ich habe etwas vergessen.“ Iji ließ Hitomi im Flur warten und ging auf sein Zimmer. Die Tür war verschlossen und Iji klopfte. „Ich bin's!“ Es dauerte eine Weile, bis Ryoske ihm die Tür geöffnet hatte und Iji hineinkommen konnte. „Was machst du hier?!“, fuhr Iji ihn an. „Was ich hier mache? Die Frage ist doch eher, was ihr hier macht!“ „Ich hatte dir doch geschrieben, dass wir kommen!“ Ryoske sah ihn mit großen Augen an und trat dann zum Schreibtisch. „Ich habe mein Handy vergessen...“, sagte er und griff danach. Der Hundeanhänger baumelte daran. Iji schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und fuhr sich dann mit den Fingern durchs Haar. „Scheiße…“, fluchte er und sah zu Ryoske, der genauso ratlos schien wie er selbst. „Wie fühlst du dich?“ Ryoske setzte sich auf den Schreibtischstuhl und ließ seine Schultern hängen. „Ich weiß es nicht... Ich konnte kein Wort rausbringen...“ Das hatte Iji gesehen. „Was machen wir denn jetzt?“, murmelte Ryoske und sah Hilfe suchend zu seinem Bruder auf. Iji wollte ihm Mut zusprechen, aber das fiel ihm das erste Mal in seinem Leben schwer. „Wenn wir es ihr jetzt sagen, ist alles vorbei. Sie wird uns hassen“, meinte Ryoske und Iji stimmte ihm mit einem Nicken zu. „Vor allem mich, weil es meine Scheißidee war.“ „Vielleicht... sollten wir noch ein wenig so weitermachen, bis wir eine Lösung haben?“, schlug Iji vorsichtig vor und beobachtete die Reaktion seines Bruders. „Ja, vielleicht...“, gab er kläglich von sich und spielte geistesabwesend mit dem Handyanhänger, den er immer noch in seinen Händen hielt. „Ich geh dann mal. Sie wartet“, sagte Iji nach einer kurzen Weile des Schweigens und wartete das OK seines Bruder ab. Danach verließ er mit einem sehr bedrückenden Gefühl das Zimmer, das ihn noch lange danach verfolgte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)