Hundstage von Hotepneith (Kein Hund wie jeder andere) ================================================================================ Kapitel 24: Annäherung ---------------------- Als sie nebeneinander bei der Rückfahrt im Auto saßen, von Chauffeur und Zofe durch die empor gefahrene Glasscheibe getrennt, meinte der Taishou: „Sie scheinen sich gut mit Ihrem Bruder zu verstehen.“ Izayoi wurde rot und starrte auf ihren Schoss. Was sollte sie dazu sagen? Sie musste ehrlich bleiben, es half nichts. „Nun ja, wir sind immerhin zusammen aufgewachsen. Aber ich gebe zu, dass wir durchaus unsere Differenzen hatten. Er ist eben ein Hanyou … Ich meine, er hielt mich immer für seine dumme, kleine, Schwester. Aber seit ….unser Vater meine Ehe mit Ihnen ausgemacht hatte, war Naraku stets besorgt um mich und er rief auch an, fragte, wie es mir geht. Schon auf dem Chrysanthemenball, aber auch heute und dazwischen.“ Wusste Naraku oder wusste er nicht, dass sie nicht seine Halbschwester war? Wenn nein, war es kaum verwunderlich, dass er sich mit dieser Eheschließung zumindest befremdet zeigte, allerdings nicht zu Ungehorsam gegenüber seinem Vater griff. Es klang alles plausibel. Warum nur wollte ihn ein Instinkt vor drohendem Unheil warnen? Nutzlos, weil etwas in ihm einfach den Hanyou ablehnte und es keine Gefahr gab? Oder andersherum: betrachtete er Naraku nur darum mit Misstrauen, weil ihn Onigumo gründlich hereingelegt hatte? Schloss er vom Vater auf den Sohn? Seine Ehefrau starrte auf ihren Schoss. Waren ihr Fragen nach ihrem Bruder unangenehm? Oder was war los? Izayoi beschloss, dass sie es aussprechen musste. So sachlich wie möglich meinte sie: „Ich war überrascht, wie pünktlich Sie in dem Café waren. Sie haben sicher gesehen, dass ich mich an mein Wort halte.“ Oh, dachte der Taishou. Das also war es. Sie dachte, er wolle sie im Blick haben, er vertraue ihrem Wort nicht. Dass er auch ein wenig auf ihren sogenannten Bruder eifersüchtig war … nun gut. Aber diesen Irrtum sollte er geraderücken. „Meine Liebe, ich war davon überzeugt. Mir ist nie, das kann ich Ihnen versichern, ein aufrichtigerer Mensch als Sie untergekommen. Um meinerseits ehrlich zu sein, ich hatte gerade nichts Besseres zu tun als mich in Ihrer Nähe wohlzufühlen. Naraku nahm ich dabei billigend in Kauf.“ Ihr Kopf fuhr zu ihm förmlich herum. Sie war erneut rot geworden. „Das … das ist ein sehr freundliches Kompliment. Oder eher zwei. Ich habe auch nie daran gedacht Sie anzulügen. Aber ich bin froh, wenn Sie sich in meiner Gegenwart wohl fühlen können.“ „Ich hoffe Sie sich irgendwann auch in meiner.“ Sie dachte daran, wie froh sie um den tröstenden Arm um ihre Schultern bei der Todesnachricht gewesen war, wie sicher sie sich gefühlt hatte als er sie trug, und lächelte etwas, ehe sie zum ersten Mal ihre Hand selbst auf die seine legte. „Das tue ich, Taishou. Vielleicht nicht so, wie Sie es wünschen, aber ich fürchte Sie nicht mehr.“ Sie berührte ihn freiwillig. Nicht nur, dass sie sich ihm nicht mehr entzog, sie berührte ihn selbst! Leider hatte das den Haken, dass jeder Schritt, den sie aufeinander zu machten, ihn weiter trieb. Er wollte … Nun ja. Er drehte etwas seine Klaue und verschränkte seine Finger mit den ihren, was sie nur damit quittierte, dass sie ihn ansah. Diese dunklen Augen, jetzt endlich frei von Furcht und Tränen, dazu ein Lächeln … Verdammt! Er war so nahe bei ihr und musste sich so zurückhalten sie nicht an sich zu reißen, ihr nicht zu zeigen, was er empfand, ihr zu beweisen, dass er ein ganz gewöhnlicher Mann mit allen seinen Wünschen und Träumen war. Da war plötzlich ein seltsamer Ausdruck in seinen Augen, der sie unwillkürlich in Fluchtbereitschaft versetzte. Ein Raubtier vor der Beute, dachte sie. Aber das war wohl ein Irrtum, denn seine Finger lagen durchaus locker um die ihren. Sie deutete sicher nur etwas hinein, was gar nicht existierte. „Ich freue mich morgen auf Ihren alten Freund Bokuseno. Wann brechen wir auf?“ Reden, ablenken, beschwor er sich, und blickte lieber nach vorne zu Takemaru Setsuna und Misako, um nicht doch noch über seine eigene Frau herzufallen und sie in der Halböffentlichkeit der Limousine und des Personals zu küssen. „Um neun. Und, nehmen Sie genug zu Trinken mit. Diesmal gibt es weit und breit keine Quelle.“ „Danke für die Warnung. - Wird es schneien?“ „Möglicherweise. Wie erwähnt, ich kann kein Wetter vorhersagen. Aber Stürme und anderes spüre ich.“ „Eigentlich praktisch.“ Er musste sie doch ansehen, da er lächelte. „Ich bin immer wieder erstaunt, was Menschen alles nicht können.“ „Und doch kümmern Sie sich um uns, die doch minderwertige Art.“ Sie blickte wieder auf ihren Schoss. Er konnte so viel, von dem sie keine Ahnung hatte, sie musste ihm töricht erscheinen, schwach, unerfahren. Und doch verschwendete er seine Zeit mit ihr, nur, weil er sie geheiratet hatte und zu seinem Wort stand. „Schwächer, ja. Und manchmal auch sehr verworren. Minderwertig würde ich nicht sagen, obwohl es manche gab und gibt, die diese Ansicht vertreten. Nun ja, man kann sie ja zur Ordnung rufen.“ „Dann bin ich darüber sehr froh.“ Aber sie zog behutsam ihre Hand zurück. Händchenhalten in der Öffentlichkeit schickte sich doch nicht. Er wusste das genauso, war jedoch mit seinem weiteren Fortschritt recht zufrieden. Hoffentlich würde sie morgen nicht wieder zurückzucken. Aber er hatte gesagt, er würde sich verwandeln, also musste er es auch tun.   Als der Taishou seine junge Ehefrau am folgenden Morgen abholte, stellte er zu seinem gewissen Bedauern fest, dass ihr neuer Anorak bis zu den Oberschenkeln reichte. Nun gut, aber sie benötigte wohl Wärme und sollte ja auch nicht krank werden, nur, weil er einen heimlichen Blick riskieren wollte. Sie streifte sich auch Handschuhe über. „Wir gehen wieder in das Naturschutzgebiet,“ erklärte er. „Bleiben aber links hinter dem Schloss und streifen weiter in die Wälder. Es bleibt in der Ebene, ziemlich. Keine Sorge, Sie müssen nicht wieder klettern.“ In ihrem Rucksack schien sie diesmal auch mehr zu trinken dabei zu haben. Darüber war sie wahrlich froh. „Danke.“ Sie schlug die Kapuze hinauf und stopfte, wie sie es gestern im Laden ausprobiert hatte, ihre langen Haare irgendwie dort mit hinein. Der Wind war kalt. Und der Inu no Taishou lief in einer Seidenkleidung aus Hakama und Haori herum, das Wärmste waren noch seine Fellteile, die sich im Wind bewegten. „Wie lange werden wir gehen?“ „Zunächst eine Stunde. Dann, nun, dann machen wir Pause und ich zeige Ihnen etwas.“ Mehr wollte er nicht sagen, da er sich gerade einer Doppelwache seiner Krieger näherte. Das ging niemanden etwas an. Wie vor vierzehn Tagen wich sie prompt hinter ihn. Das war also nicht der Angst vor Youkai geschuldet. Hielt sie das schlicht für höflich? Sie kam erst neben ihn, als sie sich im lichten Wald des Naturschutzgebiets befanden, und fragte: „Sie haben keine Jacke an, die Krieger auch nicht. Frieren Youkai nicht?“ Sie hatte keine Ahnung. Vermutlich hatte sie in diesen Wochen mehr über Youkai gelernt als in ihrem gesamten bisherigen Leben. „Nein. Youki. Unsere eigene Energie hält uns warm. Denken Sie an Schneefrauen, yuki onna. Sie kämen sonst in ziemliche Probleme.“ „Yuki onna haben früher auch Menschen … gejagt?“ Sie kannte die Märchen schließlich. Er sollte bei der Wahrheit bleiben. „Manchmal. Und manchmal Kinder im Schneesturm gerettet und selbst aufgezogen. Ebenso wie manche Youkai Menschen gejagt haben und andere nicht, oder der gleiche Youkai einmal ja und einmal nein.“ „Sie … auch?“ Das klang zittrig. Er blieb stehen und sah zu ihr. Was sollte er darauf sagen? „Ich habe getötet. Ich bin Krieger, ja, ein Kriegsherr. Dabei sind mit Sicherheit nicht nur Youkai oder Drachen gestorben, sondern auch Menschen. Es hat mich lange Zeit und viele Mühen und auch Kämpfe gekostet alle zu befrieden, damit wir die Verträge mit den Menschen überhaupt aushandeln konnten. Wenn Sie allerdings wissen wollten, ob ich einmal einen Menschen gefressen habe, nein, das habe ich nicht.“ Sie wurde rot. Es war ziemlich unschicklich seinen eigenen Ehemann sich für seine Vergangenheit rechtfertigen zu lassen – zumal einer, die Jahrzehnte vor ihrer Heirat mit ihm passiert war. „Entschuldigen Sie. Das geht mich nichts an.“ Immerhin hatte er sie bei dem Zwischenfall mit seinem Sohn auch darauf aufmerksam gemacht, dass sie das nichts anzugehen habe. „Ausnahmsweise gebe ich Ihnen unrecht. - Sie haben zwar keine solche Angst mehr vor mir, aber ich fürchte, fürchte sehr, dass Sie sich bei einem Kuss immer fragen würden, ob ich einen Menschen gefressen habe.“ Er dachte an einen Kuss? Sie sah lieber zu Boden. Er hatte Fangzähne, das wusste sie und irgendwie … Nun ja. Als er jetzt zwei Mal ihren Nacken geküsst hatte, war er weich und behutsam gewesen. Aber dennoch … Der Taishou beschloss lieber weiter zu gehen. „Kommen Sie nur. In wenigen Minuten erreichen wir die Stelle, an der ich Pause machen möchte. Sie werden dann auch sehen, warum.“   Das tat sie. Vor ihnen dehnte sich ein See aus, die Bäume wichen hier zurück und gaben Wiesen frei, die im Sommer sicher wunderbar blühten. Rechter Hand endete der See. Hügel, ebenfalls bewaldet, bildeten den Rand eines breiten Tales, durch das ein Bach, ja, ein kleiner Fluss, in den See mündete. Es sah sehr friedlich aus. Wie schon bei der ersten Wanderung konnte sie kein größeres Tier, ja, nicht einmal einen Vogel, entdecken. Ihm war das darum wohl auch gar nicht aufgefallen. Niemand wagte sich in seine Nähe. „Das ist wunderbar. So friedlich.“ Sie flüsterte es unwillkürlich fast. „Setzen wir uns dort drüben hin, dann können Sie essen und sich erholen. Die Steine dort werden Sie gegen den Wind schützen.“ Er deutete einen Abhang hinunter, wo große Steine fast etwas wie ein nach oben offenes Zimmer bildeten, und machte sich auf den Weg hinunter. Sie folgte ihm, etwas erstaunt, dass er an Windschutz dachte, obwohl er doch gar nicht fror. Hier außerhalb des Waldes war der Wind wieder deutlicher zu spüren, ja, er zog ihr sogar Haare aus der Kapuze. Unwillkürlich strich sie sie zurück und passte für diesen kurzen Moment nicht auf, wohin sie trat.   Der Taishou hörte das Stolpern, das unwillkürlich erschreckte Atemholen, und fuhr herum, um sie aufzufangen. Dabei landete sie nicht nur in seinen Armen, sondern auch an seiner Brust, und, da sie oberhalb stand und kleiner war, mit Mund und Nase an seinem Hals, seiner Kehle. Ihm entkam ein scharfer Atemzug, ehe er ohne weiter Nachzudenken mit der einen Hand ihre Kapuze abstreifte, ihr langes Haar befreite, und sie mit der anderen fester an seinen Körper drückte. Seine Haut war so warm, so weich, dachte sie, und sie war bei Weitem nicht ahnungslos genug, als dass sie nicht gewusst hätte, was sie plötzlich selbst durch den Anorak an ihrem Bauch, ihrer Hüfte, spürte. Aber sie brauchte schlicht Luft und versuchte den Kopf zu wenden. Sofort wurde sie freigegeben. „Sie sind eine Versuchung,“ gab er zu, bemüht sich wieder zusammenzureißen. Eine Entschuldigung hätte er nicht über die Lippen gebracht. Sie war immerhin seine Frau und nach dem Recht der Youkai konnte er sie nehmen, wann und wo es ihm passte. Dass er es nicht tat, war auch sein Recht – aber es fiel ihm zugegeben immer schwerer seinen Fehler nicht zu wiederholen. So blieb es ihr überlassen zu sagen: „Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen nicht lästig fallen.“ Närrin, dachte er, als er sich wortlos abwandte und weiter zu den Steinen ging. Lästig war etwas ganz anderes als ihren Körper in seinen Armen zu finden.   Während sie aß und trank, dachte Izayoi nach. Eindeutig begehrte er sie. Und doch forderte er nicht sein Recht von ihr, sondern nahm auf ihre Angst, ihre Befürchtungen, seit Wochen Rücksicht. Und sie zauderte, verweigerte ihm sogar den Kuss, den er deutlich haben wollte? Es war doch angenehm gewesen in seinen Armen, oben auf der Aussichtsstelle hatte sie in seinem Fell geschlafen, was wollte sie denn noch mehr? Sie war ein Feigling, ja, das war sie einfach. Vielleicht würde sie den Mut aufbringen, wenn sie seine wahre Gestalt gesehen hatte? Obwohl, ein riesiger Hund hatte sicher auch ein passendes Maul? Und Mononoke besaßen oft rote Augen, das hatte sie in der Schule gelernt. Oh, ja, sie hatte sich nicht getäuscht. Auf Vaters Beerdigung hatten die sonst golden schimmernden Augen des Taishou rot geleuchtet, als der Priester sie berührt hatte. War er da etwa versucht gewesen sich zu verwandeln? Reagierte er so, wenn er zornig wurde? Warf er dann die menschliche Hülle ab und zeigte sein wahres ICH? Sinnlos, dachte sie dann und packte zusammen. Es gab nur eine Möglichkeit das Herumraten zu beenden und das war diesem ungewissen Monster zu begegnen. So erhob sie sich, ohne ihre Handschuhe wieder anzuziehen. Stattdessen schob sie sie in die Jackentaschen.   Der Taishou stand mit dem Rücken zu ihr am Beginn des Steinkreises und schien den Eingang zu bewachen, wandte sich jedoch um, als er sie hörte. „Sind Sie noch immer willens meine dämonische Form zu sehen?“ Sie nickte. Aufregung schnürte ihr die Kehle zu, aber es wäre sinn- und zwecklos jetzt erneut einen Rückzieher zu machen, ihn wieder zurück zu weisen. Er war nun einmal ein Youkai, damit musste sie leben, mit Youki und allem, was dazu gehörte. „Dann bleiben Sie hier stehen.“ Er ging einige Schritte von ihr weg.   Sie war überrascht, noch erstaunter, als sich um ihn etwas wie erst kleine, dann immer größere schimmernde Wirbel bildeten, die selbst den Wind beiseite drückten, immer heftiger um ihn wehten, seine Gestalt verschwimmen ließen. DAS war seine Energie, das war Youki? Instinktiv hob sie die Arme schützend vor ihr Gesicht und ließ sie erst sinken, als nur noch der normale Wind wehte. Für einen Moment war sie irritiert nichts zu sehen, ehe sie begriff, dass die weiße Säule vor ihr ein Bein eines riesigen Lebewesens war. Davon gab es noch drei andere. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück und blickte vorsichtig empor. Sie erreichte kaum die Höhe der Knie des Riesenhundes. Er hatte weiße Haare, zusätzlich bauschten sich Fellreifen förmlich um Schultern und Brust. Das waren die Felle, die in Menschenform an seinen Schultern hingen – und auf denen hatte sie geschlafen … Das Maul war riesengroß, erschreckend, ebenso wie die leuchtend roten Augen. Jetzt nur nicht in Panik aufschreien, dachte sie, als sich der Kopf zu ihr drehte. Es war immer noch ER. Und sie sollte ihn nicht beleidigen. Er gab sich Mühe und er durfte sie strafen. „Sie sind wirklich groß,“ brachte sie irgendwie mit einem Lächeln hervor. „So riesig habe ich Sie mir nicht vorgestellt.“ In das Maul passte ja ein ganzer Elefant hinein, nun vielleicht nicht, aber ein Ochse sicher. Auf dem Fell hatte sie schon geschlafen, es war noch immer ihr Ehemann, wiederholte sie sich. Und ein Hund. Ihre Mutter hatte einmal einen besessen, allerdings deutlich kleiner, einen Schoßhund, der dann leider überfahren worden war. Der hatte es geliebt, wenn man ihn hinter den Ohren gekrault hatte … Ob der Herr der Hunde das auch mochte? „Würden Sie mir einen kleinen Gefallen tun, Taishou? Legen Sie sich nieder? So muss ich an Ihnen wie an einem Berg hinaufblicken – und ich würde gern Ihr Fell streicheln.“ Der Daiyoukai hatte eher mit Panik und sogar einem Fluchtversuch gerechnet als mit dieser Bitte. Sie hatte Angst, ja, das war nur zu deutlich zu wittern, aber sie nahm sich zusammen. Von der Furcht in der ersten Nacht war sie weit entfernt. Und immerhin – sie wollte ihn streicheln. Das hatte sie ihm noch vor einer Stunde in Menschenform verwehrt. Verstehe einer die Frauen, dachte er, aber er legte sich vorsichtig nieder, um sie nicht durch die Erschütterung umzuwerfen, und bettete seinen mächtigen Kopf auf die Vorderpfoten. Seine Ohren hingen herab, waren aber immer noch ziemlich weit oben. In einem Entschluss, den ihr jeder andere Mensch und sehr viele Youkai als tollkühn bescheinigt hätten, legte sie ihren Rucksack ab und kletterte auf die Pfote, den Vorderlauf, sich dabei im Schulterfell festhaltend.   Neugierig, was das werden sollte, hielt er still. Dann spürte er, wie sie sich, noch immer auf seinem Vorderlauf stehend und mit der Linken sich in seine Haare verkrampfend, hoch langte, sich streckte, um ihn hinter dem Ohr zu kraulen. Sie machte das tatsächlich? Keinen Meter neben einem Gebiss, das jeden Drachen zurückzucken ließ, wenn der nicht gerade Ryuukossusei hieß? Sie fürchtete sich vor ihm in seiner Menschenform mehr als in dieser Gestalt? Schön. Er hatte es mit Sicherheit schon auf diverse Arten begonnen eine Frau zu verführen, die er begehrte – sich in seine dämonische Erscheinung zu verwandeln, war bislang eigentlich nicht dabei gewesen. Unglücklicherweise würde eine Vereinigung so absolut unmöglich sein. Sie bemerkte, dass sich die roten Augen schlossen. Das gefiel ihm, dachte sie, plötzlich seltsam vergnügt. Hunde waren alle gleich, ihre Neuerwerbung eben nur ziemlich, nun ja, groß. Sie musste sich strecken, aber eine Weile würde sie schon durchhalten. Hauptsache, er merkte, dass sie sich Mühe gab, auf ihn eingehen wollte.   Weiter nach links, dachte der Taishou. Du liebe Güte, wann hatte das das letzte Mal jemand getan? Er konnte sich an seine Mutter erinnern. Danach – niemand. In der Männerwelt der Krieger galten andere Regeln. Und jetzt seine Frau, seine zweite Frau, die noch vor einem Monat fast aus Angst vor ihm in seiner menschlichen Form in Ohnmacht gefallen war. Der langsame Weg zahlte sich eben auch langsam aus. Er musste nur noch etwas Geduld aufbringen, irgendwie. Er klappte sein Ohr nach vorne. Ja, genau da … Das wurde allerdings schwierig. Wenn er sich hier weiter so verwöhnen ließ, kam er nicht nur auf recht amüsante Gedanken, sondern auch für Izayoi zu spät zu Bokuseno und wieder zurück. Es wurde doch rasch dunkel um diese Jahreszeit. Warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?   Als sie hinuntersprang und ihren schmerzenden Arm schüttelte, hörte sie etwas wie ein tiefes Dröhnen hinter sich. Sie benötigte einen Augenblick um zu begreifen, dass das die Stimme de Riesenhundes war – und er ihren Namen sagte. „Ja, Taishou?“ Er konnte in dieser Gestalt auch sprechen? Aber anscheinend recht dumpf. Sie verstand etwas von „Rucksack“ und legte ihn sich eilig wieder um, eigentlich in der Erwartung, dass er sich zurück verwandeln würde. Statt dessen streckte er seinen Vorderlauf etwas anders. „Setzen Sie sich auf mich.“ Das … das meinte er nicht ganz ernst, oder? Sollte sie etwa auf ihm reiten? Sein Rücken war viel zu breit, er war zu hoch und überhaupt! Er sah, dass sie einige Schritte zurück machte. Dann eben nicht. Immerhin hatte er ihr ein Privileg zugestanden, dass wahrlich noch niemand erhalten hatte. Das war auch Izayoi gerade klar geworden. Mit einem etwas verkrampften Lächeln kam sie näher. „Ich muss klettern. Ich hoffe, es ziept nicht.“ Und mit ziependen Haaren kannte sie sich aus. Sie bemühte sich nicht hinunter zu gucken, als sie es bis in das Schulterfell schaffte, sich festhielt und hochzog. Der Hals war breit, aber es ging mit den Jeans. Sie musste nur den Anorak höher ziehen. Aber das Fell war bestimmt warm genug, und so hielt sie sich in der Mähne fest. Darin hatte sie geschlafen … Daran dachte sie immer wieder, beruhigte sich damit. „Ich sitze fest, werter Taishou.“ Langsam stand der riesige Hund unter ihr auf. Drei Meter oder wie hoch schwebte sie jetzt über der Wiese und dem See? Die ganze Gegend wirkte plötzlich anders. Warum erlaubte er ihr das? Sie war sicher, dass das noch niemand gedurft hatte, kein Youkai und erst recht kein Mensch. Er setzte sich langsam in Bewegung, schaukelte sie. Sie hielt sich verkrampft im Fell fest, lernte jedoch rasch, wie sie das ausgleichen konnte, zumal er den Weg entlang des kleinen Flusses einschlug und bald gleichmäßig dahin trabte, natürlich viel schneller, als sie zu Fuß vorangekommen wäre. Sie erkannte hohe Bäume, Wälder rechts und links, aber der Herr der Hunde folgte dem Tal. Es war ein berauschendes Gefühl, sie fühlte sich so sicher, geradezu unbezwingbar. Nun, sicher war sie in der Gegenwart des Taishou vermutlich immer. Die einzige Gefahr, die ihr da drohte, ging von ihm aus – und das hatte er noch an keinem der Tage ausgenutzt.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)