Wolf im Schnee von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 14: Damals in Woodstock... ---------------------------------- Stiles und Miguel waren gemeinsam auf der Couch eingeschlafen; der Mensch beim DVD-schauen und der Wolf beim Genuss einer Rundum-Wohlfühl-Fellpflege-und-Massage-Kombination, mit welcher er gestern anlässlich des hohen Feiertages von seinem Herrchen verwöhnt worden war. Jedoch wurde das Tier am folgenden Morgen von einem Geräusch wach und stupste seinen Menschen daraufhin alarmiert mit der Schnauze an, um ihn zu wecken: „Hmm... Waaa...?“ beschwerte Stiles sich schmatzend, wischte sich ein wenig Speichel aus dem Mundwinkel und blickte sich mit zusammengekniffenen Augen mürrisch um: „Wieso lässt du mich denn nicht weiterschlafen?“ Der Wolf sprang vom Sofa auf, starrte in Richtung der Tür und stand dann ganz still und starr da, wie ein Jagdhund, wenn er Beute ausgemacht hatte. „Ist da draußen jemand?“ fragte Stiles, plötzlich beunruhigt und rappelte sich mühsam und unter Stöhnen vom Sofa auf. Er wurde wohl langsam alt, denn früher war er nach einer Nacht in unbequemer Position sofort herum gesprungen, wie eine neugeborene Gazelle. Gerade fühlte er sich hingegen eher wie ein altersschwaches, rheumakrankes Walross. Stiles blickte sich hektisch nach der Waffe um, welche Danny ihm dagelassen hatte und als er sie dann endlich in Händen hielt, fühlte er sich wenigstens ein kleines bisschen sicherer. Es dauerte eine Weile, bis der Mensch endlich das vernahm, was der Wolf wohl schon seit einer Ewigkeit hören konnte: Ein Motorschlitten näherte sich wieder einmal der Forschungsstation! „Geh´ ins Schlafzimmer und versteck´ dich!“ forderte Stiles und deutete in die entsprechende Richtung, doch Miguel rührte sich nicht vom Fleck. Stiles musste ihn schließlich dorthin schieben und die Tür hinter ihm verschließen: „Sei lieb und bleib hier!“ flüsterte er seinem tierischen Freund durch das Schlüsselloch hindurch zu: „Keinen Ton von dir, okay? Ich mache das schon!“ Mittlerweile war der Schlitten ganz nah und Stiles Herz raste vor Angst. Er schaltete jede Lichtquelle im Haus ab und verschanzte sich hinter der Tür. Der Schlitten wurde gestoppt und wenig später klopfte es. Stiles erwartete niemanden, also konnten es ja wohl nur wieder einmal die Jäger sein, richtig? Er verhielt sich ganz still und betete, dass sie einfach wieder gehen würden, wenn er sich nicht rührte, doch so war es leider nicht, denn nun vernahm er das Gemurmel eines Mannes und einer Frau und bald darauf, wie jemand sich am Türschloss zu schaffen machte. Stiles stand der kalte Schweiß auf der Stirn und die Hand, welche die Waffe hielt zitterte leicht. Schließlich konnte der Biologe hören, wie die Tür aufschwang, doch sehen konnte er absolut nichts, weil es draußen immer noch genau so finster war, wie bei ihm im Haus: „Kommen sie keinen Schritt näher! Ich bin bewaffnet!“ rief er also drohend und seine Stimme kippte dabei ein kleines bisschen vor Angst, so dass er beinahe wieder klang, wie damals im Stimmbruch. Nicht besonders einschüchternd! „Hey, Stiles! Beruhige dich! Ich bin es bloß! Und ich habe netten Besuch mitgebracht!“ erwiderte eine vertraute Stimme. Und da hatte Danny zum Glück auch schon den Lichtschalter gefunden. Erleichtert ließ Stiles die Pistole sinken und Danny kommentierte lachend: „Was stimmt eigentlich nicht mit dir, Kumpel? Jedes mal wenn wir uns sehen, richtest du eine Waffe auf mich! Ist das eine Penis-Analogie, oder kannst du mich einfach nur nicht leiden? Denn langsam frage ich mich, ob ich das persönlich nehmen sollte?“ Hinter Danny schlängelte sich Emma durch die Tür und versicherte: „Wir kommen in Frieden, Cowboy! Und wir haben Weihnachtsstimmung im Gepäck!“ „Tut mir leid, dass ich euch erschreckt habe, aber warum brecht ihr denn auch in mein Haus ein? Ich hätte euch erschießen können!“ erwiderte Stiles mit zitternder Stimme und immer noch kreideweiß vor Schreck: „Entschuldige Kumpel!“ antwortete Danny reumütig: „Wir haben gedacht, du wärst vielleicht gerade unterwegs. Ich hätte ja hier auf dich gewartet, aber Emma mit ihrer kriminellen Energie und ihren chronisch kalten Händen und Füßen hat beschlossen, dein Schloss zu knacken, um ins Warme zu gelangen. Ich möchte gar nicht wissen, wo sie diese Dinge überhaupt gelernt hat?“ Die Frau lachte ein tiefes, melodisches, lautes, großartiges Lachen, welches Stiles auf der Stelle beruhigte und ließ Danny wissen: „Ich bin eine vielseitig begabte und lebenserfahrene Person. Mehr musst du nicht wissen, mein junger Freund!“ „Kommt rein!“ forderte der Biologe: „Ihr habt mich zwar zu Tode erschreckt, aber es ist trotzdem schön, dass ihr da seid! Miguel und ich sind gerade erst aufgewacht, weil er euch hat kommen hören. Wenn ihr wollt, dann können wir zusammen frühstücken. Ich hole den Schwarzen besser jetzt zu uns, denn der nimmt vor lauter Stress wahrscheinlich gerade mein Schlafzimmer auseinander. Ich will mal sehen, ob ich ihn beruhigen kann!“ So wahnsinnig gestresst wirkte der Wolf dann aber gar nicht, als Stiles das Schlafzimmer betrat. Scheinbar hatte er schon mitbekommen, dass die Neuankömmlinge keine Feinde waren. Er folgte Stiles hinüber ins Wohnzimmer, wo die beiden Gäste gerade ihre dicken Winterjacken loswurden: „Hey, Miguel!“ begrüßte Danny das Tier freundlich und erntete dafür lediglich ein desinteressiertes Schnauben. Der Wolf ließ den Lieferanten links liegen und marschierte sofort auf Emma zu. Diese musterte Miguel zunächst mit einem erstaunten Blick, ehe sie schließlich sagte: „Na, so was! Du bist ja wirklich ein Prachtstück!“ Sie beugte sich ein wenig vor und begann, den Kopf des Wolfes zu streicheln, was dieser nicht nur ohne Protest duldete, nein, er rieb sogar seine Stirn an ihrem Oberschenkel. Stiles und Danny staunten Bauklötze über dieses unvermutet schmusekatzenhafte Verhalten des Raubtiers und der Lieferant kommentierte säuerlich: „Ich dachte bisher, dein Untermieter sei einfach bloß eine Menschen hassende Pest, Stiles. Jetzt denke ich, er mag ganz einfach jeden, außer mir!“ „Nimm´s nicht so schwer, Danny-Boy! Mit Wölfen habe ich mich schon immer gut verstanden.“ erwiderte Emma lachend und kniete nun neben Miguel, der sich mittlerweile wie ein übermütiger Welpe auf dem Rücken wälzte, gurrende, zufriedene Laute von sich gab und sich den Bauch streicheln ließ. Stiles beobachtete das Schauspiel finster und spürte einen kleinen Stich der Eifersucht in seinem Inneren. Irgendwie hatte es ihm gefallen, dass Miguel bislang nur IHN an sich herangelassen hatte: „Ich gehe mich umziehen!“ verkündete er brummend und stapfte davon. Als er die zerknitterten Kleider, in denen er geschlafen hatte gegen saubere getauscht hatte, begab er sich in die Küche, um etwas zu Essen auf den Tisch zu bringen. Als es dort dann begann, nach Speck, Eiern und Zwiebeln zu riechen, folgten ihm die Anderen dort hin und Miguel gesellte sich neben Stiles an den Herd und stupste ihn an: „Ach sag´ bloß!“ schnappte der Mensch giftig: „Weil es Essen gibt, hast du mich nun also wieder lieb, ja?“ Der Wolf setzte sich auf seine Hinterläufe und schaute den Menschen unschuldig aus seinen schönen, klaren, grünen Augen an: „Du weißt, dass das unfair ist, oder? Wie soll ich dir denn da böse sein, wenn du so guckst, hm?“ Miguel hechelte freudig und schlug mit seiner Rute immer wieder auf den Fußboden und da konnte Stiles einfach nicht mehr anders: Er kniete sich vor den Wolf hin, schlang ihm fest die Arme um den Hals, gab ihm einen Kuss auf eines seiner Ohren und nannte ihn `kleiner Racker´. „Ich hab´s dir ja gesagt, Emma!“ rief Danny aus dem Hintergrund: „Stiles und dieses Viech sind wie ein altes Ehepaar, oder so!“ Emma lachte amüsiert und fand: „Das ist doch total süß!“ Eine Weile später beim Frühstück bekam jeder etwas von dem Omelett, sogar der Wolf und dazu gab es Toast und Emma fragte erstaunt: „Willst du dem Tier vielleicht auch noch ein Schälchen Milchkaffee dazustellen?“ Stiles lachte und versicherte: „Miguel liebt Menschenessen und er verträgt es auch gut. Also warum sollte ich ihm etwas Anderes geben, wenn er sonst bloß versuchen würde, sich etwas von meinem Teller zu klauen?“ „So kann man das natürlich auch sehen!“ stimmte Emma kichernd zu. Nach dem Frühstück schleppten Danny und Emma mehrere schwere Taschen von draußen herein und Stiles fragte sich, was da wohl drinnen sein mochte. Er sollte es bald erfahren! Seine neuen Freunde hatten nämlich nicht gelogen, als sie bei ihrer Ankunft behauptet hatten, sie hätten Weihnachtsstimmung im Gepäck. Zum einen packte Emma grob geschätzt zwei Dutzend Tupperdosen aus, welche die Reste des gestrigen Weihnachtsfestmahls enthielten. Da waren köstlich aussehende Pastetchen, Brotaufstriche, Baguette, etwas, dass wie Kastanienauflauf aussah, fast ein ganzer Gänsebraten, Apfelmus mit Rosinen, Rotkohl und Klöße: „Deutsche Weihnachten! Emma ist eine grandiose Köchin!“ kommentierte Danny grinsend. Doch die Taschen enthielten noch mehr, nämlich eine Tannengirlande, geschmückt mit roten Bändern, mit welcher die Gäste Stiles Wohnzimmer dekorierten, dicke, rote Kerzen, die auf dem Tisch arrangiert wurden und rot-weiß-gestreifte Zuckerstangen, welche Stiles an seinen Weihnachtsbaum hängte: „Nein! Die werden nicht gefressen!“ erklärte Stiles streng, als er den gierigen Blick des Wolfes sah: „Zucker ist nicht gut für dich! Davon faulen dir die Reißzähne weg!“ Doch Miguel war nun einmal ein Rebell und kaum schaute Stiles auch nur für einen Augenblick in eine andere Richtung, da hatte der Wolf sich auch schon eine der Süßigkeiten geschnappt und trug sie hinüber in sein Nest, um sie zu verspeisen: „Was habe ich denn gerade gesagt?“ schimpfte der Biologe: „Dafür hast du dir für heute Abend Zähne putzen eingehandelt, junger Freund, ist das klar? Und wehe, du wehrst dich dagegen!“ Der Wolf zeigte sein bezauberndstes Lächeln und Emma und Danny lachten. „Nun ermutigt ihn doch nicht noch!“ murrte Stiles geschlagen: „Er macht nichts als Unsinn! Manchmal denke ich, er tut das wirklich absichtlich, um mich zu ärgern!“ „Er ist doch bloß ein Tier!“ erwiderte Danny lachend: „Und vielleicht gefällt es ihm einfach nur, wenn er auf diese Weise deine Aufmerksamkeit erlangen kann?“ Stiles schnaubte ärgerlich. Nachdem das Haus festlich geschmückt war, ließen sich die Menschen auf dem Sofa nieder, um Karten zu spielen. Emma hatte in den CD-Spieler eine Scheibe mit Weihnachtsliedern eingelegt und sie pokerten nun um einen kostbaren Einsatz, nämlich die köstlichen hausgemachte Vanillekipferl, die Emma am Vortag gebacken hatte. Miguel hatte zunächst am Boden gelegen und sich das Ganze von Ferne angeschaut. Irgendwann hatte er wohl begonnen, sich einsam zu fühlen, denn er sprang mit einem Satz zwischen Stiles und Emma, drehte sich dann ein paar Mal um sich selbst, ehe er sich schließlich mit einem seufzenden Laut niederließ; den Kopf auf Stiles Schoß geparkt und Emma sein Hinterteil entgegenstreckend. Am späten Nachmittag bekamen Mensch und Tier wieder Hunger und darum wurden die Leckereien, die die Gäste mitgebracht hatten aufgewärmt und angerichtet. Und was dann geschah, war ein echter Weihnachtsklassiker: Sie aßen allesamt viel zu viel, rieben sich hinterher die prallen Bäuche und es war ganz einfach herrlich! Die Mahlzeit war gerade beendet, als Miguel sich plötzlich erhob, sein Fell aufplusterte und leise knurrend die Eingangstür mit dem Blick fixierte. Stiles war sofort klar, dass das nur eines bedeuten konnte: „Verdammt! Das sind diese Jäger!“ rief er aus und sprang vom Tisch auf. „Wir werden sie wieder los! So wie beim letzten Mal! Keine Sorge, Stiles!“ erwiderte Danny beruhigend, als er sah, wie aufgebracht der Biologe war: „Wir verstecken Miguel wieder im Sturmkeller in Ordnung! Ihm geschieht nichts und dir auch nicht!“ „Nein, nicht in Ordnung! Ich mache jetzt ein für alle Mal Schluss mit dem Blödsinn!“ rief Stiles zornig aus: „Ich hasse diese Typen! Sie machen Jagd auf Tiere! UND sie wollen meinen Freund töten! Ich gehe jetzt da hinaus und beende das!“ Er hatte sich in Windeseile seine Jacke übergezogen, sich Dannys Waffe geschnappt und stapfte auf die Tür zu. Noch bevor er sie allerdings erreicht hatte, hatte der Lieferant ihn bereits eingeholt und hielt ihn an den Schultern zurück: „Sei kein Idiot, Stiles! Diese beiden da draußen sind Profis! Ich habe ihre Waffen gesehen. Die besitzen genug, um einen Krieg anzuzetteln! Und kannst ja noch nicht einmal schießen. Denkst du, die hätten auch nur den geringsten Skrupel, dich einfach so über den Haufen zu schießen und es später als tragischen Jagdunfall auszugeben?“ „Ich werde meinen Freund verteidigen, koste es was es wolle!“ beharrte Stiles stur und versuchte sich loszureißen: „Ich werde diese Arschlöcher jetzt von hier vertreiben!“ „Nun sei doch nicht so unvernünftig!“ mischte sich nun auch Emma ein: „Mit Wilderern ist wirklich nicht zu spaßen! Das ist ein richtig skrupelloses Pack!“ Doch für rationale Argumente war Stiles momentan ganz und gar nicht offen. Er war wütend und hatte es satt in Angst zu leben! Und schließlich gelang es ihm auch, sich aus Dannys Griff zu befreien. Er erreichte die Tür und wollte gerade aufschließen, als eine unbekannte männliche Stimme hinter ihnen rief: „Nein, Stiles! Nicht!“ Stiles, Danny und Emma drehten sich um, wie eine Person und an der Stelle, wo sich zuvor der große, schwarze Wolf befunden hatte stand nun ein nackter Mann; groß, muskulös, mit einem Vollbart, langen, verfilzten, schwarzen Haaren und wildem, gehetztem Blick. Stiles Kehle entkam ein kleiner, erstickter Schrei. Danny stieß einen verblüfften Pfiff aus. Emma sagte kopfschüttelnd, mit einem kleinen Lachen: „Ich hab´s doch gewusst!“ Der nackte Fremde blickte nervös in die Gesichter der Anwesenden. Stiles wollte fragen, was zum Teufel hier los sei und wer der Mann war, doch im Grunde genommen wusste er es selbst. Es war zwar unmöglich und er hatte das Gefühl, ihm würde gleich der Kopf platzen, aber ein Blick in diese grünen Augen ließ keinen Zweifel zu: Vor ihm stand Miguel! „Ich habe seit den siebziger Jahren keinen Werwolf mehr gesehen. Ich habe wirklich gedacht, die hätten euch mittlerweile alle ausgerottet!“ erklärte Emma. Sie hatte inzwischen eine Wolldecke zur Hand, legte sie behutsam um die Schultern des Nackten und versicherte: „Hab´ keine Angst mein Freund! Wir beschützen dich, in Ordnung?“ „WERWÖLFE?“ rief Stiles aufgebracht: „Was ist denn das für ein Wahnsinn?“ Der Nackte senkte den Kopf, als habe man ihn geschlagen, doch Emma legte ihm mütterlich und tröstend eine Hand an die Wange: „Nun bleib doch mal ein bisschen aufgeschlossen, Stiles! Ja, Werwölfe gibt es wirklich. Das ist echt keine so große Sache! Und es gibt nicht nur die, sondern noch allerhand andere Kreaturen. Herausgefunden habe ich das damals in Woodstock. Denn dort habe ich einen von ihnen getroffen! Einen jungen, wunderschönen Werwolf mit Namen Jesse!“ Emma lächelte versonnen bei der Erinnerung. Und anstatt etwas Sinnvolles zu sagen wie: `Bist du irre? Werwölfe gibt es doch gar nicht!´ oder vielleicht auch: `Hast du etwa Fieber, Emma?´ sagte Danny bloß: „Echt? DU warst damals in Woodstock dabei?“ Und da wurde es Stiles einfach zu viel. Das war mehr, als sein armes Nervenkostüm vertrug. Irgendwie geriet der Raum um ihn herum ins Wanken und dann ging ganz einfach das Licht aus! Wie sich in dieser Minute zeigen sollte, hatten Werwölfe wahnsinnig gute Reflexe, denn ehe Stiles bewusstlos auf dem Boden aufschlagen konnte, war Miguel zur Stelle, um ihn aufzufangen. Der Biologe wurde gerade rechtzeitig wieder wach, um zu hören, wie sich zum zweiten Mal an diesem Tag jemand an seinem Türschloss zu schaffen machte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)