Wolf im Schnee von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 11: Kampf oder Flucht? ------------------------------ Stiles und sein tierischer Hausgast begannen immer besser, sich aufeinander einzuspielen. Sie verstanden sich großartig; der Wolf war brav, ließ Stiles in Ruhe seine Arbeit erledigen und fing erst dann damit an, das Mobiliar des Hauses auseinanderzunehmen,wenn seine Langeweile gar zu groß wurde. Jedoch geschah dies meistens genau in jenen Augenblicken, wo ohnehin eine Pause oder der Feierabend angezeigt war, insofern sorgte das Tier im Grunde genommen bloß für Ausgeglichenheit und Wohlbefinden bei seinem Menschen, richtig? Und wenn Stiles dann ansonsten nichts Sinnvolles mehr zu tun hatte, schlug endlich Miguels große Stunde: Er forderte liebevolle und ausdauernde Fellpflege für sich ein und ließ sich kraulen und schmusen, bis Stiles die Hände müde wurden. Kurz gesagt, zwischen diesen beiden herrschte Harmonie! Der Mensch hatte sich sogar damit abgefunden, dass es des nachts eben eng in seinem Bett wurde, denn der Wolf akzeptierte einfach keinen anderen Schlafplatz, als ganz dicht an seiner Seite. Dafür fror Stiles nun aber auch nie mehr, denn wenn Miguel etwas konnte, dann war es einen so richtig schön warm zu halten! Ein Problem gab es jedoch. Stiles hatte bereits seit gestern nichts mehr gegessen und seinem Wolf zum Frühstück die allerletzten Cornflakes, mit der verbliebenen Pulvermilch dazu offeriert. Das Tier hatte diese große Geste allerdings nicht im Geringsten zu würdigen gewusst und den Menschen angeschaut, als ob dieser ihn vergiften wollte. Schließlich hatte Miguel sich dann aber doch noch über diese Mahlzeit hergemacht, jedoch nicht, ohne deutlich zu signalisieren, dass es eine Zumutung war, einen stolzen Wolf mit Futter für zahnlose, erbärmliche Menschenkinder abspeisen zu wollen! Nun waren die Vorräte endgültig aufgebraucht und Danny würde frühestens morgen mit der neuen Lieferung kommen; zumindest sofern das Wetter mitspielte. Stiles hatte keine Ahnung, was er und Miguel bis dahin tun sollten? Ein Lichtblick war jedoch, dass Miguels Ringen mit dem Tod vor wenigen Tagen mittlerweile nur noch eine schaurige Erinnerung war. Das Tier humpelte nicht einmal mehr, als habe es die Schussverletzung niemals gegeben. Stiles fragte sich schon heimlich, ob sein verfressener Hausgast vielleicht so eine Art genetisches Experiment sein mochte, denn er kannte kein Säugetier, dass so schnell heilte, wie er es tat. Und dies war ja nur ein Punkt in der langen Liste der Merkwürdigkeiten in Bezug auf diesen Wolf! Seit gestern hatte Stiles damit begonnen, Miguel auf seine Exkursionen mitzunehmen. Es war ein Test. Der Mensch wollte sehen, ob es den Wolf zurück in die Wildnis zog, oder ob er wirklich gern und freiwillig bei ihm blieb. Stiles jedenfalls würde auf keinen Fall versuchen, seinen vierbeinigen Freund mit Gewalt an sich zu binden. Es war Mitte Dezember und die Tage in dieser Region Alaskas waren kurz. Nicht einmal drei Stunden Tageslicht waren ihnen vergönnt, doch die wollte der Wissenschaftler nutzen, so gut er konnte, weshalb er nun stets im Dunkeln aufbrach und auch wieder heimkehrte. Mittlerweile konnte er sich in der Gegend gut genug orientieren, um seinen Weg auch so zu finden. Die Sonne ging gerade auf. Stiles hatte seinem Wolf einen Platz auf dem Schlitten angeboten, doch der brauchte offensichtlich Bewegung, denn er rannte lieber nebenher. Und als der Biologe kurz anhielt, um ein paar Proben einzusammeln, lief Miguel einfach weiter und war mit einem Mal verschwunden. Das war´s dann wohl, wie? Irgendwie hatte Stiles die Hoffnung gehabt, wenn es schon einen Abschied geben musste, dass dieser wenigstens etwas romantischer zelebriert werden würde, doch Sentimentalität war nun einmal Menschensache. Er wartete dennoch eine halbe Stunde, ob Miguel vielleicht doch noch zu ihm zu ihm zurückkehren würde, doch als das nicht geschah, fuhr Stiles schließlich schweren Herzens weiter und ging seiner Arbeit nach. Er traf auf eines der Wolfsrudel aus dieser Gegend, Stiles genoss den kurzen Moment Tageslicht und spürte beinahe so etwas wie Furcht vor dem Sonnenuntergang in zwei Stunden. Als jemand, der unter der kalifornischen Sonne groß geworden war, war es ihm nie bewusst gewesen, welche Bedeutung eine einfache Sache wie Licht für das Lebensgefühl haben konnte. Natürlich kannte der Wissenschaftler in ihm die biologische Seite des Problems, wusste, wie Sonnenlicht, oder die Abwesenheit desselben die Körperchemie beeinflusste, doch wie es sich anfühlte, das erfuhr er erst jetzt. Er fühlte sich furchtsamer und schwermütiger als sonst und selbstverständlich trugen die weite, karge, verschneite Landschaft und das Isolation ihren Teil dazu bei. Sicherlich war es schön hier draußen in der Wildnis, doch es war eine unerbittliche, spröde und manchmal auch grausame Schönheit. Sie glich einer fernen Gottheit, welche die Sterblichen von ihrem himmlischen Thron aus zwar sehen mochte, ihre Gebete jedoch unerhört ließ. Und nun hatte Stiles auch noch sein einziger Freund hier draußen im Stich gelassen! Fröstelnd schlang er die Arme um den eigenen Körper, beobachtete das Wolfsrudel aus sicherem Abstand, in dessen sozialen Miteinander sich angesichts der bevorstehenden Ranzzeit bereits jetzt einiges verändert hatte und er wusste nicht, ob an den Tränen, die ihm gerade über das Gesicht liefen der eiskalte Westwind oder seine düstere Stimmung Schuld war. Da tauchte wie aus dem Nichts doch Miguel wieder auf. Er scheute ein wenig, als er der fremden Wölfe gewahr wurde, machte einen großen Bogen um sie, doch er näherte sich dennoch mutig Stiles Standort. Und er hatte etwas im Maul: „Hey, mein Großer! Ich dachte schon, du hättest mich verlassen. Was bringst du denn da mit?“ Miguel legte dem Menschen ein totes, schneeweißes Kaninchen vor die Füße und blickte ihn erwartungsvoll an. Stiles Augen wurden kugelrund: „Soll… soll das etwa für mich sein? Uhm…danke?“ stotterte er, doch da war der Wolf schon wieder verschwunden. Mit spitzen Fingern legte der Mensch das gruselige Geschenk auf seinen Schlitten und wartete ab. Eine Dreiviertelstunde später hatte Miguel ihm dann ein weiteres Kaninchen und überdies noch drei Lemminge besorgt, weil er offensichtlich fand, dass er jetzt mal dran sei, für das Abendbrot zu sorgen. Stiles kniete sich vor seinen Vierbeiner hin, kraulte ihm die Ohren und flüsterte: "Das hast du ganz toll gemacht, Großer! Du bist ein guter Versorger! Aber jetzt fahre ich heim, bevor es dunkel wird. Kommst du mit mir?" Und tatsächlich trottete der Wolf nun auf den Schlitten zu. Dann jedoch hielt er schlagartig inne, starrte in eine bestimmte Richtung, legte die Ohren an, stellte sein Fell auf und begann leise zu knurren. Stiles versuchte auszumachen, was sein Freund entdeckt hatte, doch seine menschlichen Sinne waren dafür nicht scharf genug, weshalb er ein Fernglas zu Hilfe nahm und da sah er sie! Es waren dieselben zwei Menschen, die bereits einmal vor seiner Kamera aufgetaucht waren und Stiles war sicher, dass dies die Jäger waren, die für die Verletzungen von Scott, dem Polarfuchs, Miguel, ihm selbst und höchstwahrscheinlich noch einem Dutzend anderer Kreaturen verantwortlich waren. Wie der Biologe bereits zuvor angenommen hatte, handelte es sich um eine Frau und einen Mann. Ein paar blonde Strähnen schauten aus ihrer Kapuze heraus und sie war recht groß. Ihr Begleiter war nicht mehr ganz jung, wie Stiles an seinem Gesicht erkennen konnte und dennoch bewegte er sich geschickt und entschlossen durch den Schnee. Die beiden hatten Stiles und Miguel noch nicht entdeckt. Stiles war klar, dass er sich schnell etwas einfallen lassen musste, damit dies auch so blieb. Er blickte sich hektisch in seiner Umgebung um und entschied dann, den Schlitten hinter einer Schneeverwehung in einer Senke zu verstecken, nur konnte er es nicht wagen, den Motor zu starten, um nicht gehört zu werden, was bedeutete, dass er ihn dort hin schieben musste. Dies war nur leichter gesagt als getan, denn das Ding war schwer! Er schaffte es mit Ach und Krach und nun versuchte er, den Wolf davon zu überzeugen ihm in ein kleines Koniferenwäldchen in der Nähe zu folgen, um sich dort im Unterholz zu verstecken. Bedauerlicherweise schien Miguel hingegen erpicht darauf, gegen ihre Widersacher zu kämpfen, wie seine Körperhaltung und seine Weigerung, sich vom Fleck zu bewegen eindrücklich bewiesen. Stiles zerrte an dem Tier, doch nichts tat sich! Erst als der Mensch verzweifelt flehte: „Bitte Süßer! Wir müssen uns verstecken, sonst tun sie dir wieder weh und mir ebenso! Komm´ doch bitte mit mir, sonst verliere ich dich!“ setzte Miguel sich in Bewegung und sie verbargen sich hinter dem Wurzelwerk eines umgestürzten Baumes. Keine Sekunde zu früh, wie Stiles erkannte, denn als er einmal kurz über den Rand seines Verstecks lugte, konnte er die Wilderer bereits mit bloßen Augen erkennen. Wenigstens hatte der scharfe Wind inzwischen sämtliche ihrer Spuren verweht, welche Kufen, Schuhe und Pfoten hinterlassen hatten, so dass nichts darauf hindeutete, dass sie hier waren oder wo sie sich versteckt hielten, jedoch kamen die Fremden immer noch direkt auf sie zu. Ängstlich hielt Stiles dem Wolf mit einer Hand die Schnauze zu, während er ihm mit der anderen beruhigend den Nacken kraulte. Mittlerweile waren die beiden Jäger so nah, dass der Wind sogar ihre Stimmen zu ihnen herübertrug. Stiles konnte jedoch nichts davon verstehen außer dem Fragment eines einzigen Satzes, welches da lautete: „... Hales Kopf endlich als Trophäe an meiner Wand!“ Es war die Stimme der Frau. Jeden Augenblick würden die beiden Personen unweigerlich den Schlitten sehen, wenn sie weiterliefen, doch es geschah tatsächlich ein Wunder. Die Dämmerung setzte langsam ein und so entschieden die Wilderer offensichtlich, dass es Zeit wurde umzukehren. Als er es endlich wieder wagte zu atmen, gab Stiles ein erleichtertes Seufzen von sich. Sie harrten noch beinahe eine halbe Stunde in ihrem Versteck aus, ehe Stiles sich endlich sicher genug fühlte, zum Schlitten zurück zu laufen und heimzufahren. Inzwischen war es bereits finstere Nacht. Zum Glück war in ein paar Tagen Vollmond und es war sternenklar, so dass er seinen Weg fand. Wieder an der Forschungsstation angekommen folgte Miguel Stiles nicht sofort ins Haus, sondern verschwand als erstes in der Schlafhöhle, die er sich gegraben hatte. Verdutzt wartete der Mensch ab, was dies nun wieder werden sollte und ob es dem Tier wohl nicht mehr gefiel, ein Haus-Wolf zu sein, jedoch tauchte Miguel kurze Zeit später wieder auf und in seinem Maul trug er das Mädchen-T-Shirt, welches den Biologen vor einer Weile in sein Beinahe-Verderben gelockt hatte. Der Wolf nahm das steifgefrorene Kleidungsstück mit ins Haus und verkroch sich damit in eine Ecke, wo er damit begann, es liebevoll und ausgiebig abzuschlecken, als sei es ein Welpe, oder so. Für dieses merkwürdige Verhalten fand Stiles nur eine einzige Erklärung: Das T-Shirt musste Miguels früheren Besitzern gehört haben! Und die Jäger hatten es benutzt, weil sie den Wolf auf diese Weise in die Falle locken wollten! Perfide! „Ist dein wirklicher Name vielleicht `Hale´, mein Großer?“ fragte der Mensch nachdenklich: „Bist du derjenige, dessen Kopf diese Bitch als Trophäe will?“ Der Wolf horchte auf und legte den Kopf schief, als würde er angestrengt über diese Frage nachdenken. Stiles schüttelte den Kopf: „Das ist ein blöder Name für einen Wolf. Ich bleibe bei Miguel, in Ordnung?“ Das Tier schnaubte lediglich und wandte sich wieder dem T-Shirt zu. Stiles zog sich kuschelige Stubenkleidung an und benötigte trotzdem ewig, um wieder warm zu werden, zumal er ja bereits seit einer kleinen Ewigkeit nichts mehr gegessen hatte. Darum machte er sich nun auch widerwillig daran, die Nagetiere, welche Miguel für sie beide erlegt hatte zu häuten und auszunehmen, um sie zum Abendessen zu kochen. Schon im Studium hatte Stiles es gehasst, wenn er einmal ein Tier sezieren musste und daran hatte sich bis heute nichts geändert, aber was sollte er machen? Er musste nun einmal essen. Er wollte gerade die Reste wegwerfen, als Miguel in die Küche kam, und ihn dafür anbellte, denn wie es schien, waren Köpfe, Füße und Innereien das Beste von allem: „Wie du meinst, Kumpel!“ sagte Stiles und verzog das Gesicht, als er dem Wolf das blutige Zeug in eine Schüssel füllte und an den Boden stellte, welcher sich sogleich darüber hermachte. Stiles würzte und kochte derweil die ausgenommenen Tiere und als sie gar waren, teilten Mensch und Wolf dann geschwisterlich. Es war nicht unbedingt schmackhaft, doch immerhin bekam Stiles nun endlich wieder etwas in den Bauch. Später am Abend fiel dem Wissenschaftler etwas ein. Auf der Patrone, die er aus Miguels Rücken herausoperiert hatte, war doch eine Gravur gewesen und die wollte er sich nun noch einmal genau anschauen. Vielleicht gab das Motiv ja Aufschluss über die Identität der Jäger? Wie der Stiles erkannte, handelte es sich um eine stilisierte Blüte und er verbrachte anschließend den gesamten Abend mit seinen Laptop auf dem Schoß und Miguel kuschlig-warm und schnarchend an seiner Seite, mit dem Studium biologischer Datenbanken, um zu ermitteln, um welche Pflanze es sich handeln mochte. Am Ende war er sich sicher, dass es wohl Wolfswurz sein musste. Ein seltsamer Zufall, nicht wahr? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)