Kaze no Uta von Lady_Ocean (Das Lied des Windes) ================================================================================ Prolog: Aki ----------- Uta no kaze Prolog: Aki Eigentlich hätte er sich freuen müssen: Sein Vater hat nach über vier Jahren endlich wieder Arbeit gefunden. Und verdiente nicht mal schlecht mit seinem Job. Seit vier Jahren hatten er und seine Eltern einen Engpass nach dem anderen durchleben müssen. Vor vier Jahren saß er das letzte Mal in einem Flugzeug und machte in einem andern Land Urlaub. Vier Jahre war es her, seit er sein letztes Taschengeld bekommen hatte; wenn man es schon so nennen konnte. Er war damals erst fünf Jahre alt und ging seit wenigen Wochen in die Schule. Seine Eltern hatten ihm versprochen, dass er Taschengeld bekäme, wenn er in die Schule kommt. Leider konnten sie ihr Versprechen nur wenige Wochen halten; sein Vater verlor seine Arbeit, weil das Unternehmen bankrott ging und die Situation der Familie verschlechterte sich für vier Jahre drastisch. Daher wollten sie nun alles nachholen, worauf sie in den letzten Jahren verzichtet hatten und es wurde ein ausgiebiger Urlaub in Japan gebucht, der die gesamten Sommerferien einnahm. Seine Eltern hatten das gesamte letzte halbe Jahr von nichts Anderem gesprochen als diesem tollen Urlaub. Aber war er wirklich so toll, wie sie es immer erzählt hatten? Hier saß er nun; auf einem knorrigen Baum, dessen Geäst weit über das Meer hinausragte. Verträumt beobachtete er, wie die rote Abendsonne im Meer verschwand und dabei unzählige orangerote Lichter auf der ruhigen See zurückließ. Er saß jeden Abend hier, denn die Sonne sah zu dieser Zeit aus, als würde sie weinen, weil sie sich von der Welt verabschieden musste. Dieses Bild erinnerte ihn immer an seinen eigenen Wunsch - endlich nach Hause zurück zu kehren, wo seine Freunde auf ihn warteten. In London gab es zwar nicht so schöne Landschaften wie hier an der japanischen Küste, aber selbst die Schönheiten, die die Natur hier zeigte, konnten die Sehnsucht nach seinem Zuhause nicht stillen. Egal, wo er hinging - niemand wollte mit ihm zu tun haben. Dauernd hörte er andere Kinder hinter sich lachen und sich gegenseitig ,Ausländer' zuflüstern. Manche warfen ihm sogar böse Blicke zu, wenn er ihnen nahe kam. Selbst, wenn er auf offener Straße beleidigt wurde, griff niemand ein. Er HASSTE dieses Land mit all seinen ignoranten Menschen. Und das sollte seine zweite Heimat sein.... Er lachte säuerlich und lehnte sich auf seinem Ast zurück. Die Sonne war schon fast untergegangen, der achte Tag seit seiner Ankunft neigte sich dem Ende.... Das bedeutete, dass er es noch 33 Tage hier aushalten musste, bis er im Flugzeug Richtung Heimat sitzen konnte. Wie sollte er das nur aushalten? Er hasste die Einsamkeit.... "...ny! Danny! Komm endlich rein! Wir wollen essen und außerdem wird es draußen immer kälter. Du willst doch nicht, dass du krank wirst und wir vorzeitig zurück nach Hause müssen?" Ja... das wäre schön. Zurück nach Hause, dahin, wo meine Freunde sind.... "Nein, natürlich nicht. Ich komme gleich." Mit einem tiefen Seufzer erhob er sich von seinem Lieblingsplatz und trottete zurück zu dem kleinen Bungalow, in dem seine Familie den Urlaub verbrachte. Der Abend verlief nicht anders als die bisherigen: Seine Eltern plauderten und freuten sich, was sie an diesem Tag für aufregende Dinge gesehen hatten und Danny hörte ihnen zu, antwortete gelegentlich mit ,Ja', wenn seine Meinung gefragt war. Auch die nächsten Tage verliefen nicht anders. Tagsüber war er mit seiner Familie unterwegs und abends saß er auf seinem Baum und sehnte sich nach seinen Freunden. Gegen Ende der zweiten Woche ereignete sich allerdings etwas, was seine Meinung über das Land der aufgehenden Sonne grundlegend änderte. Seine Eltern hatten beschlossen, Tokio zu besichtigen und so machte sich die Familie bereits in aller Frühe auf den Weg, da dies ein sehr langer Tag werden würde. Die Hauptstadt war nicht nur riesengroß, sondern auch überfüllt mit Menschen, sodass es schwierig war, den Anschluss nicht zu verlieren. Als sie gegen Abend mit der U-Bahn fuhren, um zu ihrem Auto zurückzukommen, passierte es doch, wovor Danny sich den ganzen Tag über gefürchtet hatte: Im Gedränge verlor er den Überblick und stieg an der falschen Haltestelle aus. Rings um ihn waren so viele Menschen, dass er es erst gar nicht gemerkt hatte, dass seine Eltern nicht mehr bei ihm waren. Als die U-Bahn längst weiter gefahren war und sich die Menschenmasse um ihn herum aufgelöst hatte, bemerkte er, dass er völlig allein war. Panik schnürte ihm die Kehle zu und er schaute benommen von einer Seite auf die Andere. Obwohl er seinen Kopf kaum bewegte, war ihm mit einem Mal so schwindelig, dass er nach hinten taumelte und ehe er sich versah, auf einer hinter ihm stehenden Bank saß. Dort blieb er eine Weile sitzen und wartete darauf, dass seine Eltern vielleicht mit einer entgegenkommenden Bahn zu ihm zurückkamen und ihn abholten. Die Stunden vergingen, ohne dass er einen Hinweis auf seine Eltern erhalten hatte. Letztendlich beschloss er, nach draußen zu gehen und eine Polizeiwache oder ähnliches zu suchen, damit er dort nach seinen Eltern fragen konnte. Es war mittlerweile so dunkel draußen, dass man kaum fünf Meter weit sehen konnte. Ob ich es überhaupt bis zur Polizei schaffe...? Nach den Häusern zu urteilen, befand er sich entweder am Rand Tokios oder in einem Vorort, das wusste er nicht genau, aber die Häuser und Straßen zeigten deutlich, dass es sich um eine recht arme Gegend handeln musste. Warum habe ich mich ausgerechnet hier verirrt? Wahrscheinlich gibt es hier noch nicht mal ein Polizeirevier oder so was. Auf jeden Fall werde ich hier kaum jemanden finden, der mir zuhören würde, wenn schon die Leute in der Stadt so abweisend sind. Ich wünschte, wir wären nie hergekommen! Da es bereits auf Mitternacht zuging, war keine Menschenseele mehr auf der Straße zu sehen. Auch in den Häusern brannte kaum noch Licht. Wenn sich um diese Zeit noch Leute draußen rumtrieben, dann nur ein paar heruntergekommene Banden, die im Schutz der Dunkelheit randalierten oder ihre Streitigkeiten untereinander austrugen. Danny hoffte inständig, dass ihm solch eine Begegnung erspart blieb, doch wie jedes Mal an diesem Tag wurde auch jetzt sein Wunsch nicht erhört. Schon von weitem konnte er das laute Gelächter einer Gruppe von Jungen in seinem Alter und das Scheppern von umgeworfenen Gegenständen hören. Er blieb abrupt stehen und lief ein paar Schritte rückwärts, als er plötzlich gegen etwas Großes, Weiches stieß und sich erschrocken umdrehte. Hinter ihm stand ein Junge, der fast zwei Köpfe größer und fast zweimal so breit war wie er und nun seine monströsen Pranken nach ihm ausstreckte. Danny war vor Angst wie gelähmt; er bekam kaum noch mit, was um ihn herum geschah. Alles, was er dann noch merkte, war, dass der Kerl ihn kopfüber hängen ließ und zu der grölenden Gruppe brachte. Nun ist es wirklich aus.... Ich werde meine Eltern nie wieder sehen... ... Ein schwerer Schleier legte sich um seinen Kopf. Was auch immer jetzt kommen möge... er hatte keine Möglichkeit, es zu beeinflussen. Vielleicht habe ich ja Glück und ich erwache morgen irgendwo in einer Mülltonne.... Oder sie ertränken mich irgendwo, wenn ich ihnen zu langweilig geworden bin - Er hatte den Gedanken noch nicht ganz zu Ende gedacht, da sauste die erste Faust auf sein Gesicht nieder. Sterne funkelten in seinen Augen. Er stöhnte etwas auf unter der Betäubung, die die Faust verursacht hatte. Eine Träne rann über seine gerötete Wange. Wirklich weinte er jedoch nicht, dazu fehlten ihm längst die Kraft und der Mut. Er flehte die Jungen auch nicht an mit ihren Schlägen aufzuhören, den Atem konnte er sich sparen. Wahrscheinlich würden sie ihn doch nur auslachen, wenn er eine solch lächerliche Bitte vortragen würde. Ein weiterer Tritt in die Magengrube folgte, die ihr einige Sekunden die Luft anhalten ließ. Er war noch nicht richtig zu sich gekommen, als einer der Jungen ihn an den Haaren packte und ihm ins Gesicht rotzte. Alle umstehenden lachten laut auf und schon war der nächste da, der diese tolle Vorführung nachmachen wollte. Er hatte bereits Luft geholt und wollte gerade seinen Mund auf Dannys Gesicht entleeren, als dieser plötzlich wie ein Stein zu Boden sackte und sich an seiner eigenen Spucke verschluckte. Den Rest hatte er nicht mehr richtig mitbekommen; er spürte nur noch, wie er plötzlich zu Boden fiel und hörte, wie alle Jungen plötzlich in einem wilden Durcheinander aufkreischten, dann war alles still und er spürte, wie er sanft von zwei Händen aufgerichtet wurde. Danny hob - so weit er dazu noch in der Lage war - das Gesicht und erkannte schemenhaft eine Gestalt, deren Kopf von einem langen Pferdeschwanz umweht wurde und eine Hand, die sich langsam seinem Gesicht näherte, um mit einem kühlen, weichen Tuch vorsichtig sein Gesicht abzutupfen. Ohne weiter nachzudenken, schlang er sich um den Körper dieser fremden Person und weinte aus voller Kehle. Als die Gestalt, die ihn gerettet hatte, seine Umarmung erwiderte und ihn noch näher an sich heran drückte, war Danny überhaupt nicht mehr in der Lage, seine Gefühle zu kontrollieren und weinte, während er seine Finger immer stärker in die Jacke seines Gegenüber krallte, bis sein Kopf vollständig vernebelt und er eingeschlafen war. Der Duft von frisch gebrühtem Tee mit Honig... Eine weiche Decke, die sanft meinen Körper umhüllt... Etwas Kaltes auf meiner rechten Wange... ...! Plötzlich fielen Danny die Ereignisse vom vorigen Tag wieder ein: Wie er seine Eltern verloren hatte; wie er mitten in der Nacht durch die Straßen lief und wie er von den Straßenjungs verprügelt worden war, bis er von dieser fremden Gestalt gerettet wurde. Aber was war danach geschehen? Vorsichtig hob er den Kopf und versuchte, sich umzusehen um herauszufinden, wo er jetzt war, doch schon bei der kleinsten Bewegung durchfuhr ein stechender Schmerz seinen Körper. Es hatte ihn wohl schlimmer erwischt, als er es zunächst angenommen hatte.... Doch dies war nicht der richtige Moment, um über sowas nachzudenken. Er musste einen Weg finden, wie er zu seinen Eltern zurückkam; und das am besten ohne den Straßenjungs noch einmal zu begegnen. Also biss er die Zähne zusammen und richtete sich langsam auf. Erst als saß, bemerkte er, dass jemand neben ihm an der Bettkante kniete und mit dem Gesicht auf dem Bettrand schlief. Er erkannte sofort, dass es sich um dieselbe Person handelte, die ihn gestern gerettet hatte. Sie hatte die langen schwarzen Haare noch immer zum Zopf gebunden und die einzelnen Strähnen fielen ihr wie schwarze Seide über das hübsche Gesicht. Verzaubert von diesem Anblick strich Danny ihr ganz vorsichtig eine der Strähnen aus dem Gesicht. Ihr Haar ist so wunderbar weich... Er hätte noch ewig so dasitzen und seinen Retter betrachten können, wäre das Mädchen von dieser sanften Geste nicht wach geworden. Als Danny dies bemerkte, zog er beschämt seine Hand zurück und sah wieder auf das Bett, wobei er sah, dass der Arm des Mädchens die ganze Zeit über auf seiner Hüfte gelegen hat. Wieder versank Danny in seinen Gedanken... "Good morning!", vernahm er in gebrochenem Englisch. "O-hayo gozaimas", gab er zurück. Er erntete einen verwunderten Blick. Dann sprach das Mädchen in ihrer Muttersprache weiter. "Du sprichst Japanisch?" "Ja... ein bisschen. Meine Mutter kommt aus Japan. Sie hat es mir beigebracht." "Dann bist du Halbjapaner! Wie heißt du?" "Danny Willis." "Hast du auch einen japanischen Namen? "...Ja. Aki." Das war das erste Mal, dass er jemandem seinen japanischen Namen gesagt hatte, seit er in der ersten Klasse deswegen ausgelacht und als ,Schlitzauge' beschimpft wurde. "Also Aki.... Ein schöner Name. Ich bin Kohaku Yuki." ,Ein schöner Name...'. Sie ist die erste, die das zu mir sagt. "Schön, dich kennen zu lernen, Yuki-san." "Du kannst das ,san' ruhig weglassen", kicherte sie. "Na gut,... Yuki." In diesem Moment meldete sich eine weitere Stimme zu Wort. "Bist du endlich wach?" Bei diesen Worten lief Yuki zur Tür, um sie für einen alten Mann zu öffnen. "Opa, das ist Aki. Aki, das ist mein Opa." Danny verbeugte sich so gut es ging und bedankte sich bei beiden dafür, dass sie sich um ihn gekümmert hatten, obwohl er dabei mehr an Yuki als an ihren Großvater dachte. Der alte Mann verbeugte sich ebenfalls leicht und fragte dann, warum er gestern zu so später Stunde noch auf der Straße war. Danny erzählte ihm, wie er sich verlaufen und dann nachts in dieser Straße gelandet war. Er schämte sich etwas, vor Yukis Ohren diese Geschichte erzählen zu müssen. Jetzt hielt sie ihn sicher für einen Schwächling. Aber wenn dem so war, dann konnte sie dies gut verbergen. "Wo liegt denn dein Hotel? Wir könnten dort anrufen, damit sich deine Eltern keine Sorgen mehr machen müssen." "Wir haben ein kleines Ferienhaus in der Nähe von Hakone gemietet, aber dort gibt es kein Telefon." Während Danny dies sagte, begannen Yukis Augen zu leuchten. "Ich weiß, wo das ist! Ich wohne nämlich in Hakone und gehe dort öfters vorbei. Ich bringe dich hin, wenn ich nach Hause fahre." Eine unheimliche Last fiel Danny vom Herzen. Er konnte endlich zurück zu seinen Eltern... und wohnte noch 4 Wochen in der Nähe von Yuki. Vielleicht war ein so langer Urlaub in Japan doch nicht so schlecht.... Gleich nach dem Frühstück brachen die beiden Richtung Hakone auf. Jetzt war Danny endlich wieder allein mit Yuki und konnte wieder freier sprechen. Vor ihrem Großvater wollte er nicht einfach so drauf los reden. "Wie hast du es eigentlich geschafft, die ganzen Jungs zu vertreiben?" Sie lächelte etwas. "Nun... mein Großvater lehrt mich seit fünf Jahren Karate. Jeder von den Jungs gestern hat sich schon mit mir angelegt, aber sie beherrschen keine Kampfkunst. Sie haben mich noch nie besiegen können und es irgendwann aufgegeben, mir irgendwo aufzulauern und sich für die letzte Niederlage zu ,rächen'. Eigentlich habe ich gestern gar nicht viel gemacht. Ich glaube, sie haben sich erschrocken und sind deshalb so schnell weggelaufen." "Ich bin dir echt dankbar. Jetzt hast du etwas gut bei mir." "Nicht doch! Ich wollte dir nur helfen." "Doch! Sonst ich komme mir blöd vor, wenn ich dich ansehe und weiß, dass ich dir nicht mal für deine Hilfe danken konnte. Oder möchtest du, dass ich dir nie mehr in die Augen sehen kann?" Ihr Lächeln wurde noch breiter. "Na gut. Ich werde irgendwann darauf zurückkommen. Versprochen." Als er ihre Lippen auf seiner Wange spürte, wurde er augenblicklich rot und wandte schnell das Gesicht ab. "Du bist süß!" Der Satz hallte noch lange in Dannys Kopf nach... ,Du bist süß' Plötzlich war alles andere um ihn herum egal. Den ganzen Weg über konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen. Da war nur noch dieses Gefühl in seinem Bauch... Dieses Kribbeln... irgendwie komisch... aber angenehm warm. Seine Eltern reagierten genau, wie er es sich vorgestellt hatte: Seine Mutter stürzte unter Tränen aus dem Haus und musterte ihn am ganzen Körper, um zu sehen, ob noch alles dran war. Die blauen Flecke, die er überall hatte, sorgten sie sehr und so war sie umso glücklicher, als sie erfuhr, dass Yuki ihm geholfen hatte. Sie schien die kleine Japanerin sofort ins Herz geschlossen zu haben. Dannys Vater verhielt sich wesentlich sachlicher als seine stürmische Mutter, doch auch ihm standen Sorge und Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Yuki wartete noch ein paar Minuten und verbeugte sich dann. "Ich muss jetzt gehen. Meine Eltern erwarten mich." Als Danny dies hörte, verschwand seine Freude schlagartig. "Kannst du nicht noch ein paar Minuten bleiben? Wir sind doch gerade erst angekommen." Sie überlegte kurz und antwortete dann: "Sie warten sicher schon auf mich. Ich muss jetzt wirklich los. Aber ich werde mich beeilen und meine Eltern fragen, ob ich wiederkommen darf." "... Na gut." Danny wollte trotzdem nicht, dass sie ging, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als erst mal abzuwarten und zu hoffen, dass sie bald wiederkommen würde. Yuki verbeugte sich noch einmal und lief Richtung Stadt davon. Danny sah ihr noch lange nach; selbst als sie längst außer Sichtweite war, machte er keine Anstalten, ins Haus zurückzugehen. Seine Eltern betrachteten den Jungen vom Haus aus, ließen ihn allerdings in Ruhe. Er hatte sich gegen die Hauswand gelehnt und ließ sich dabei immer wieder Yukis Worte durch den Kopf gehen. ,Aki... ein schöner Name.' ,Du bist süß...' Er spürte, wie er erneut errötete, als er an diese Worte dachte. Rund anderthalb Stunden später kam Yuki zurück. Danny stand immer noch draußen und erwartete sie bereits. "Warst du die ganze Zeit hier?" "Na ja..." Wieder musste Yuki lachen. Danny mochte ihr Lachen. Es hatte etwas ganz besonderes an sich. Was das war, wusste er nicht, aber immer, wenn er sie lachen oder lächeln sah, war auch er glücklich. "Komm!" Mit diesen Worten nahm ihn die Japanerin an der Hand und lief mit ihm den Strand entlang. Bei einem kleinen Boot, das an einem Pfahl im Sand befestigt war, ließ Yuki Dannys Hand los und begann, das Tau von dem Pfahl zu lösen. "Wessen Boot ist das?" "Meins. Hast du Lust auf eine kleine Seefahrt?" "Dein eigenes Boot? Kannst du es steuern?" "Ja. Mein Vater ist Fischer. Er hat mir alles beigebracht, was man wissen muss: Steuern, Navigieren - ich fahre oft allein hinaus aufs Meer um Fische zu fangen." Inzwischen schob sie das kleine Holzboot ins Meer. Dann drehte sie sich noch einmal zu Danny um. "Willst du nun Boot fahren oder nicht?" Noch einmal ließ er sich nicht auffordern und stieg ein. Während Yuki weiter ins Meer hinausruderte, bewunderte Danny das türkisblaue Wasser um sich herum. Von hier aus wirkte es sogar noch schöner als nachmittags auf seinem Baum. Aber abends war es doch am schönsten.... "Hast du schon mal geangelt?" "Nein. Ich bin das erste Mal am Meer." "Wirklich? Du siehst das Meer zum ersten Mal? Wo kommst du her?" "Aus London. Kennst du das?" "Nein. Nie gehört...." "Und England?" "Ja! Das kenn ich! Das ist doch eine Insel in Europa, oder?" So ähnlich.... "Ja. London ist die Hauptstadt." "Du kommst von einer Insel und hast noch nie das Meer gesehen?" Sie sah ihn ungläubig an." "Nein. Echt nicht. London liegt nicht am Meer. Und dies ist mein erster Urlaub seit vier Jahren." "Ich bin auch noch nicht sehr weit gereist. Von Japan habe ich zwar schon recht viel gesehen; ich war auch schon auf Hokkaido, aber das Land habe ich noch nie verlassen.... Oh, ich wollte dich fragen, ob du Lust hast zu angeln!" "J...Ja, warum nicht. Zeigst du mir, wie es geht?" Yuki hatte mittlerweile die Angelsehne entknotet und den Köder - ein Stück Mais - befestigt. Sie gab Danny die Angelrute und erklärte ihm, was er zu tun hatte: "Zuerst wickelst du die Sehne ein Stück auf.... Ja, genau so. Nun holst du Schwung und wirfst die Rute aus. Dabei musst du aufpassen, dass du die Kurbel festhältst. Wenn die Angel 50 bis 45° über dem Wasser ist, lässt du die Kurbel los. Bei dem Winkel fliegt die Schnur am weitesten." Er warf die Schnur wie sie es ihm beschrieben hatte aus. Es war gar nicht so leicht, den richtigen Winkel zu finden, aber Yuki war der Meinung, er habe das ganz gut gemacht. "Jetzt müssen wir ein bisschen warten. Wenn du merkst, dass ein Fisch angebissen hat, zieh mit einem Ruck an der Angel, damit der Haken stecken bleibt, sonst verlierst du ihn." Danny war ziemlich aufgeregt. Was für einen Fisch er wohl fangen würde? WENN er einen fangen konnte.... Yuki lehnte sich zurück, spielte mit einer Hand im Wasser und beobachtete verträumt die kleinen Schleierwolken, die den blauen Himmel zierten. Auch Danny entspannte sich etwas, hielt die Angel dabei jedoch fest in der Hand, denn man konnte ja nie wissen, wann vielleicht ein Fisch anbeißt. Der Köder musste mehrmals erneuert werden, bis Yuki plötzlich aufmerksam wurde und zum Schwimmer am Ende der Angelschnur schaute. Danny folgte ihrem Blick und bemerkte sofort, dass sich im Wasser etwas bewegte. Keiner von beiden sagte ein Wort, sie starrten nur gebannt auf den Fisch, der gemütlich den Köder umschwamm und hin und wieder daran pickte, bis er ihn endlich verschluckte. In diesem Moment sprang Danny auf und zog mit einem kräftigen Ruck an der Angel. "Ja!! Sehr gut! Du hast ihn! Zieh ihn langsam ran, aber lass ihn zappeln, damit er müde wird", rief Yuki freudig. Der Fisch schien stärker zu sein, als es zuerst aussah. Danny hatte alle Mühe, das Gleichgewicht zu halten. So konnte er ihn unmöglich einholen. Durch diesen wilden Kampf hatte er gar nicht mitbekommen, dass Yuki bereits hinter ihn getreten war und so hätte er um ein Haar die Angel losgelassen, als das Mädchen ihre Arme um ihn herumschlang und ihre Hände stützend um seine legte. "Halt gut fest! Das muss ein Riesenbrocken sein." Danny versuchte, sich wieder auf den Fischfang zu konzentrieren, doch es gelang ihm nicht wirklich. Der Gedanke, dass Yuki so nah bei ihm war, ließ sein Herz schneller schlagen. Er wusste, dass sein Gesicht knallrot war und dass Yuki dies mit Sicherheit sehen würde, wenn der Fisch im Boot war, aber es fiel ihm nichts ein, was diese Röte verschwinden lassen könnte. Im Endeffekt war es eher Yuki, die den Fisch aus dem Wasser gezogen hatte. Dies bedeutete jedoch nicht, dass sich der Gefangene schon geschlagen gab - im Gegenteil - jetzt wehrte er sich erst recht. Es dauerte noch knapp fünf Minuten, bis der Fisch tot war und auf dem Boden hinter Yuki landete. "So einen riesigen Lachs sieht man selten. Du wärst ein guter Angler", sagte Yuki, nachdem sie sich einen Moment ausgeruht hatte. "Ach was. Das war nur Glück." "Die ersten paar Fische zeigen meist, wie tauglich man als Angler ist. Ich bin gespannt, was wir heute noch so fangen." Im Prinzip war es Danny egal, was für Fische sie fingen. Hauptsache, er konnte mit Yuki zusammen sein. Über sein Gesicht hatte sie nichts gesagt, was Danny sehr begrüßte. Er steckte erneut einen Köder an den Haken und warf die Angel wieder aus. Ein paar Stunden später - sie hatten insgesamt fünf Fische gefangen - fuhren sie zum Strand zurück und zeigten Dannys Eltern, was sie gefangen hatten. Diese bereiteten gleich darauf eine Feuerstelle vor, an der sie später zu viert die Fische aßen. Es war nun schon ziemlich spät, die Sonne stand bereits knapp über dem Meer. Danny wollte diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen und zeigte seiner neuen Freundin seinen Lieblingsplatz. Auch ihr schien der Anblick der untergehenden Sonne sehr zu gefallen. Sie saßen lange schweigend da und genossen dieses Bild, bis die Sonne vollständig im Meer versunken war. "Hast du schon eine Idee, was du mal machen willst, wenn du groß bist?", fragte Yuki nach einer Weile. "Nein... darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Mal sehen, was kommt. Und du?" "Nach der Schule gehe ich auf die Budo-Uni in Osaka. Ich weiß, das ist ein ziemlich ausgefallenes Lebensziel, aber ich möchte Japans bester Karatemeister werden; wenn ich es schaffe, sogar der beste der Welt." "... Dann gehe ich auch auf diese Uni." Bei diesen Worten musste Yuki so herzhaft lachen, dass sie fast vom Ast gefallen wäre, hätte Danny sie nicht am Arm festgehalten. "Du beherrschst doch noch nicht mal eine Kampfkunst! Wie willst du es da auf die Uni schaffen?" "Das war kein Witz! Ich meine es absolut ernst! Es gefällt mir hier. Ich hätte kein Problem damit, in Japan zu leben. Außerdem habe ich dir schon gesagt, dass ich eh keine Ahnung hab, was ich später mal machen will. So habe ich zumindest ein Ziel, für das ich lerne. In London gibt es genug Orte, an denen ich eine Kampfsportart lernen kann." Er schaute wieder hinaus aufs Meer und fügte dann leise hinzu: "Außerdem kann ich dich dann wieder sehen." Es war ihm wirklich ernst, was er gerade gesagt hatte, dass begriff Yuki sofort, als er seine Worte ausgesprochen hatte. Sie zog ihn näher an sich heran und flüsterte ihm dann etwas ins Ohr: "Ich will nicht, dass du wieder gehst...." Nachdem sie dies ausgesprochen hatte, legte sie ihren Kopf auf seine Schulter und schaute wieder hinaus aufs Meer. Danny legte schweigend seinen Arm um ihre Hüfte und lehnte seinen Kopf an ihren. Er wollte nicht mehr weg. Am liebsten hätte er die Zeit angehalten, sodass sie für immer hier zusammen sein konnten. Aber das ging nicht; das wussten sie beide. Also versuchten sie, die vier Wochen, in denen Danny noch in Japan war, so schön wie möglich zu gestalten, damit sie für beide in ewig in guter Erinnerung blieben. Yuki kam jeden Tag sehr früh zu Danny und holte ihn zum Fischen oder spazieren gehen ab. Wenn Dannys Eltern einen Ausflug machten, war seine Freundin jedes Mal herzlich eingeladen. Danny begleitete Yuki sogar, wenn sie zwei Mal die Woche zu ihrem Großvater ging, um mit ihm zu trainieren. Sie hatte mit ihren Eltern ausgehandelt, dass der Karateunterricht für die nächsten vier Wochen nicht so oft stattfand, was sie allerdings später nachholen musste. Obwohl sie sich täglich sehen konnten und die Zeit zusammen bestmöglich nutzten, waren die vier Wochen viel schneller rum, als sie erwarteten. Der Tag der Abreise kam immer näher. Danny musste schon sehr früh aufstehen. Eigentlich hätte er gestern schon packen müssen, aber er wollte sich den letzten Tag, an dem er mit Yuki zusammen sein konnte, nicht durch so etwas verderben. So saß er bereits kurz nach drei mit halb geschlossenen Augen vor seiner Reisetasche und räumte seine Sachen ein. Es dauerte ziemlich lange, bis er alles verstaut hatte. Immer wieder fiel ihm ein, dass er noch etwas vergessen hatte, nachdem er die Tasche bereits geschlossen hatte. Es kam auch nicht selten vor, dass er aufstand, weil ihm etwas eingefallen war, was er noch nicht eingepackt hatte, und im nächsten Moment im Raum herumstand und nicht mehr wusste, was er holen wollte. Er konnte seine Gedanken einfach nicht ordnen. Egal, was er tat; dauernd dachte er an Yuki und daran, dass er sie diesen Morgen zum letzten Mal sehen konnte. Als es bereits nach um sechs war, hatte er es schließlich geschafft, die Reisetasche vollständig zu packen. Er ging zurück zu dem Tisch in seinem Zimmer und setzte sich dort hin. Dann öffnete er das Schubfach an der Tischunterseite und nahm den einzigen Gegenstand, der sich noch darin befand - eine kleine Schachtel - heraus. Er nahm den Ring, den sein Großvater bereits von seinem Vater bekommen hatte und der nun, zwei Generationen später, ihm gehörte, vom Finger und legte ihn in die schwarze Plastikschachtel. Diese umwickelte er mit weißem Seidenpapier und band dies dann mit einem weißen Band zusammen. Danach steckte er die Schachtel in seine Hosentasche und stellte seine Reisetasche in den Flur, wo bereits das Gepäck seiner Eltern wartete. Er hatte noch etwas Zeit, bis sie gehen mussten. Also beschloss er, nach draußen zu seinem Lieblingsplatz zu gehen und dort auf Yuki zu warten. Als er dort ankam, saß seine Freundin bereits auf dem Ast des alten Baumes und wartete auf ihn. Er kletterte wortlos zu ihr hinauf. Heute war ihm nicht nach Sprechen zumute. Ein dicker Kloß hatte seinen Hals verschnürt. Auch Yuki sagte eine Weile nichts; sie ergriff nur wortlos seine Hand und starrte weiter hinaus auf das orangerote Meer. Danny war der erste, der nach langem Schweigen das Wort ergriff: "Ich habe noch etwas für dich." Mit diesen Worten zog er sein Geschenk aus der Hosentasche und reichte es seiner Freundin. Sie schaute ihn erst erstaunt an und nahm dann mit einem leisen ,danke' das winzige Päckchen entgegen. Vorsichtig wickelte sie es aus und öffnete die Schachtel. "Aber das ist doch...! Dieser Ring ist ein altes Erbstück deiner Familie. Du kannst ihn nicht einfach weggeben." "Ich gebe ihn auch nicht EINFACH weg. Ich möchte ihn niemandem außer dir schenken." Wieder trat eine kurze Pause ein. "Ich wollte dir auch etwas zum Abschied geben." Mit diesen Worten nahm Yuki ihre silberne Kette mit dem zierlichen Drachenanhänger vom Hals und hängte sie Danny um. Er wusste, wie viel sie Yuki bedeutete: Es war das Hochzeitsgeschenk eines lange verstorbenen Verwandten an dessen Frau. Die Kette war - wie Dannys Ring - bereits über 100 Jahre alt. Seither wurde sie immer als Hochzeitsgeschenk an den Geliebten oder die Geliebte verschenkt und dann dem erstgeborenen Kind vererbt. Danny war von dieser Geste so gerührt, dass er keine Worte finden konnte, um sich zu bedanken. Stattdessen umarmte er Yuki und versprach ihr: "Ich werde regelmäßig schreiben und irgendwann komme ich wieder und besuche dich." "Nein.... Als nächstes bin ich dran. ICH komme irgendwann nach London und besuche DICH. Und bis es so weit ist, werde ich dir immer schreiben." "Na gut. Aber ich komme trotzdem wieder. Ich möchte ja in Osaka studieren, schon vergessen?" "Ich freu mich schon drauf!" Sie saßen noch eine Weile schweigend da und genossen die letzten Minuten, die sie gemeinsam verbringen konnten. Es dauerte nicht mehr lange, da hörten sie von weitem Dannys Eltern rufen, die bereits ungeduldig auf ihren Sohn warteten. Als dieser gerade vom Baum klettern wollte, hielt Yuki ihn zurück und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange. "Wenn wir uns wieder sehen, bekommst du einen richtigen Kuss von mir." Er lächelte verlegen und erwiderte nach kurzem Zögern diese Geste. "Ich freu mich schon drauf." Sie gingen gemeinsam zu Dannys Eltern, die nun schon ungeduldig auf die Uhr sahen und am Auto auf und ab liefen. "Da bist du ja endlich! Wir müssen uns beeilen, sonst kommen wir zu spät zum Flughafen." Er warf Yuki noch einen letzten Blick zu und stieg dann widerwillig in den Wagen. Die Scheiben waren abgedunkelt, sodass man ihn nun nicht mehr sehen konnte. Während sich seine Eltern noch von Yuki verabschiedeten, umklammerte Danny die Kette, die sie ihm geschenkt hatte und richtete seinen Blick zu Boden. Stumme Tränen liefen ihm über die Wangen, als seine Eltern einstiegen und sich der Wagen in Bewegung setzte. Er wagte nicht, noch einmal aufzusehen, weil er befürchtete, seine Gefühle würden ihn überwältigen, wenn er noch einen weiteren Blick auf Yuki warf. Mit Mühe gelang es ihm während der Autofahrt, weitere Tränen zu unterdrücken und sein Gesicht zu trocknen, sodass man beim Aussteigen nicht mehr sehen konnte, dass er geweint hatte. Der Rückflug war nicht angenehmer für ihn. Hätte man ihm auf dem Hinflug gesagt, dass er nicht mehr weg wollen würde, Danny hätte ihn mit Sicherheit ausgelacht. Zu diesem Zeitpunkt konnte er sich nichts Schöneres vorstellen, als wieder nach Hause zu kommen und seine Freunde wieder zu sehen, doch nun... nun hatte sich seine Lage geändert. Er wäre gern für immer in Japan geblieben, wenn es möglich gewesen wäre, doch noch war das nicht möglich. Es würde noch sehr lange dauern, bis er für immer nach Japan zurückkehren konnte. Bis dahin blieb ihm nichts anderes übrig, als viel zu lernen, damit er den hohen Anforderungen in Japan gerecht werden konnte. Und er musste eine Kampfschule besuchen, denn wenn er keine Kampfkunst beherrschte, konnte er niemals auf die Budo-Uni gehen. Noch bevor Danny seine Sachen auspackte, nahm er sich Stift und Zettel und schrieb einen Brief an Yuki, den er sofort darauf abschickte. Eine Woche wartete er auf eine Antwort seiner Freundin, doch es kam keine aus Japan. Er dachte sich, dass der Brief vielleicht bei der Post weggekommen ist und Yuki ihm deshalb nicht antworten konnte und schrieb ihr erneut. Doch auch diesmal erhielt er keine Antwort. Langsam machte er sich ernsthafte Sorgen, was wohl in Japan los war, dass sie ihm nicht schrieb. Er wollte ihr nicht auf die Nerven gehen, also schrieb er Yuki einen dritten Brief, in dem er erklärte, dass er sie nicht belästigen wolle und daher nicht mehr schreiben würde, wenn er auch diesmal keine Antwort erhielt. Wieder keine Antwort.... to be continue... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)