Klassenfahrt von Mestchen ================================================================================ Kapitel 6: Unendlichkeit ------------------------ Sie verließ das kleine Badezimmer, als vor ihr eine durchnässte und aufgewühlte Hikari stand. „Was hast du gemacht?“, fragte Hitomi nach. Ihre Gesprächspartnerin schob sie jedoch zur Seite und verschwand in das Badezimmer. Verwundert blieb die Lockenhaarige in den schmalen Flur zurück. „Yuna und Momoko sind schon zum Frühstücken aufgebrochen. Ich warte auf dich!“, rief sie durch die abgeschlossene Tür. „Ich habe keinen Hunger“, kam es mit erstickter Stimme von der Lichtträgerin, die das Wasser in der Dusche aufdrehte. „Kari“, begann Hitomi ihre Drohung, „komm bloß nicht auf die Idee, dich einzusperren. Neben der Eingangstür ist der Stromkasten. Das Wasser wird kalt, wenn es durch den Durchlauferhitzer nicht mehr erwärmt werden kann und das kann ich mit dem Stromkasten beeinflussen. Also beeile dich. Ich warte solange auf dich.“ ~~ „Wo warst du denn?“, fragte Satoshi seinem blonden Mitbewohner, der gerade die Holzhütte betreten wollte. „Schwimmen“, antwortete der Gefragte, während er versuchte an dem Grünhaarigen, der ihm die Tür versperrte, vorbei zu kommen. „In Sportkleidung?“ Ungläubig sah Satoshi den Größeren an. „Bist du gestolpert und ins Wasser gefallen?“ „Nein, ich habe eine Abkühlung benötigt.“ „Und da ziehst du dich nicht vorher aus? Du bist verrückt!“ „So ging es schneller. Darf ich nun duschen gehen?“ Satoshi musterte sein Gegenüber skeptisch. „Zieh zumindest deine Schuhe aus.“ Takeru ließ seinen Blick über den Frühstückssaal schweifen. Von seiner besten Freundin gab es keine Spur. Er dachte an die Konversation am Morgen zuvor. Frauen brauchen doch länger im Bad, ging es ihm durch den Kopf. Dabei hatte er noch Daisuke aus dem Bett geworfen, der ebenfalls den Tag ohne alten Schweiß beginnen wollte. Takeru nahm sich am Buffet einen Youtiao, dazu einen passenden Dip und ein Glas Sojamilch. Neugierig sah er sich auch die anderen chinesischen Speisen an. Allesamt machen sie einen deftigen Eindruck. Daisuke neben ihn lud sich schamlos das Tablet voll. „Wie kann man nur so viel essen?“, fragte Takeru, als sie sich zu ihren Mitbewohnern an einen Tisch setzten. Auch Satoshi und Yuuko sahen fasziniert auf das Tablett des Igelkopfs. „Lasst mich doch“, verteidigte dieser sich. „Solange ich alles aufesse ist doch alles okay.“ „Was ist das eigentlich, was du da isst?“ Daisuke betrachtete den Teigball. „Irgendwas mit Teig und Fleisch“, fasste er zusammen. „Schmeckt auf jeden Fall lecker.“ Er ließ den Blick über den Saal schweifen. „Wo ist eigentlich Kari?“ Zur Antwort zuckte Takeru mit dem Schultern, der seinen frittierten Teigstreifen aß. „Wir waren vorhin gemeinsam joggen. Sie braucht wahrscheinlich einfach länger beim frisch machen.“ Satoshi zog die Stirn kraus. „Joggen“ – dieses Wort betonte er, indem er je zwei Finger pro Hand als Anführungszeichen missbrauchte – „nennst du das?“ Er grinste süffisant. „Sex im See trifft es wohl eher.“ Takeru verschluckte sich an dem Teigstreifen. „Was?“, schrie Daisuke auf, wodurch er die Aufmerksamkeit von allen Anwesenden im Saal auf sich zog. Takeru warf Satoshi und Daisuke einen finsteren Blick zu. „Wir hatten keinen Sex!“, zischte er leise. „Das stimmt“, pflichtete Yuuto bei. „Sonst hätte er sich unter der Dusche keinen runtergeholt.“ ~~ Zwei braunhaarige junge Frauen saßen auf dem Doppelbett in ihrem gemeinsamen Zimmer. Hikari hatte sich ihre Bettdecke um die Schultern gelegt. Tränen liefen ihr die Wangen herunter und ihr Körper zitterte. Hitomi versuchte ihre Freundin zu beruhigen und strich ihr über den Rücken. „Er ist unglücklich verliebt“, wimmerte Hikari. „Wer ist ‚er‘? Etwa T.K.?“ Zur Antwort erhielt Hitomi ein Nicken. „Unglücklich verliebt“, wiederholte Hitomi die Worte. „Das bedeutet, er hat eine Abfuhr bekommen?“ „Er ist verliebt!“, schrie Hikari. „Dabei ist es egal, ob er glücklich oder unglücklich ist. Er ist in irgendein dahergelaufenes Mädchen verliebt, die mit uns hier ist. Er hat mir nicht einmal verraten, wer sie ist.“ Eifersucht und Verzweiflung klangen in ihrer Stimme mit. „Es ist auch egal, wer sie ist. Er liebt sie und nicht mich“, stellte sie nüchtern fest. „Es tut so weh. Und dann muss ich auch noch so tun, als würde ich nichts für ihn empfinden.“ Hitomi zog ihre Freundin an sich. „Es macht einen großen Unterschied ob er glücklich oder unglücklich verliebt ist. Aus einer erwiderten Verliebtheit kann Liebe entstehen. Dann hättest du echt die Arschkarte gezogen.“ „Aus einer nicht erwiderten Verliebtheit kann auch Liebe entstehen“, mischte sich die Lichtträgerin ein. „Ich spreche aus Erfahrung. Außerdem hat Takeru vor, weiterhin mit ihr befreundet zu sein.“ „Hat er nach deinem Rat gefragt?“ Hikari schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn gesagt, dass sein Handeln masochistisch ist. Ich bin ja auch keinen Deut besser. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.“ Takeru war die Hoffnung, ging es ihr durch den Kopf. „Warum tut das nur so weh?“ „Vielleicht würde dir ein wenig Abstand zu T.K. guttun?“ „Nein!“, rief Hikari aus. „Er hat Liebeskummer und braucht mich. Das kann ich ihn nicht antun. Außerdem würde er eins und eins zusammenzählen. Dann wäre unsere Freundschaft für immer vorbei. Warum gibt es nur in Büchern das Paradies, wo Einhörner glücklich unter dem Regenbogen galoppieren und lachende Kinder Zuckerwatte auf der Wiese essen?“ Sie atmete tief durch. „Ich mache mich eben frisch. Dann gehen wir frühstücken.“ Hitomi lächelte sie schwach an. „Eine gute Idee“, pflichtete sie bei. Ob Daisuke wohl da sein würde? ~~ Takeru blickte von seinem Buch auf, als zwei braunhaarige Mädchen sich im Bus in die Sitzreihe neben ihn setzten. „Guten Morgen, Daisuke“, begrüßte Hitomi den Igelkopf, der am Dösen war und hochschreckte. „Guten Morgen, T.K.“, fügte sie weniger liebevoll hinzu. „Hallo ihr beiden“, gähnte Daisuke. „Morgen“, kam es von Takeru. „Was liest du denn da?“, fragte Hikari ihren besten Freund und nahm ihn über den Gang das Buch aus den Händen. „‚Wovon ich rede, wenn ich vom laufen rede‘ von Murakami“, antwortete er, wobei er seine Hand bereit hielt, um das Buch wieder entgegen nehmen zu können. „Du liest auch immer langweilige Bücher“, gab Daisuke seine Meinung kund. „Ich meine, wen interessiert so etwas?“ „Mich“, antwortete Takeru trocken. „Ich halte Murakami für einen sehr talentierten Schriftsteller. In dem Buch schreibt er über seine beiden Leidenschaften: Laufen und schreiben.“ Er warf Daisuke einen Blick zu, als dieser etwas erwidern wollte. „Er läuft nicht, um beim Laufen Ideen für seine Bücher zu entwickeln, sondern um die Leere zu erlangen. Er sieht das Laufen als ideales Training für seine Schriftstellerei. Denn Konzentration und Kondition benötigt man für beide Tätigkeiten.“ „Du versuchst also aus dem Buch etwas für deine eigene Karriere mitzunehmen?“, fragte Hikari und reichte ihm das Buch zurück. „So ist es. Wir sind uns gar nicht so unähnlich. Ich spiele Basketball, um meinen Kopf frei zu bekommen.“ „Aber du gehst dafür nicht laufen?“, fragte Hikari nach, die an ihre gemeinsamen Joggingtouren dachte. „Jein.“ Takeru lächelte die junge Frau an. „Zum Kopf frei bekommen ist laufen schon gut. Aber in der Regel gehe ich doch lieber mit guten Freunden joggen und genieße die Konversationen.“ „Wohin fahren wir eigentlich?“, wechselte Daisuke das Thema, nachdem der Motor gestartet wurde und der Bus pünktlich um zehn Uhr losfuhr. Takeru nahm sein Buch von Hikari entgegen. „Du hast das Programm so gar nicht gelesen?“, fragte Hitomi mit einem Kichern nach. „Nein“, gestand Daisuke. „Wir fahren nach Donggangcun.“ „Und was machen wir da?“ „Wir sehen uns ein Museum an. Danach haben wir noch die Möglichkeit, Kleinigkeiten einzukaufen“, antwortete Hikari. Nachdem der Jahrgang an einer Stadtführung teilgenommen hatte, ging es hinein in ein historisches Museum. Bis zur Rückfahrt danach hatten die Schüler im Anschluss noch eineinhalb Stunden Zeit. „Die Stadt ist echt klein. Es gibt hier keine richtigen Hochhäuser“, stellte Daisuke fest. „Tokio ist eine Metropole. Es gibt wenig Städte, die dieses Treiben überbieten können“, meinte Takeru, der sich lässig an einem Gebäude gelehnt hat, während Hikari und Hitomi die Auslage eines Schaufensters von einem Juwelier bewunderten. „Das ist so hübsch“, hörten die jungen Männer Hitomi schwärmen. „Oh ja“, bestätigte ihre Freundin. „Frauen“, murmelte Daisuke. „Diamonds are a girl’s best friend“, zitierte Takeru lachend ein Lied aus dem Musical Blondinen. Daisuke zog die Stirn kraus und sah zu den Mädchen hinüber. „Können wir weiter oder sollen wir hier Wurzeln schlagen?“, fragte er genervt nach. „Kommen ja schon“, kam es beleidigt von Hitomi. „Da vorne ist ja auch direkt ein Supermarkt“, stellte Takeru fest. „Ich finde es voll blöd, dass wir selber kochen müssen“, maulte Daisuke. „Kochst du nicht gerne?“ Hitomi sah den Igelkopf an. „Doch. Sehr gerne sogar.“ „Cool! Aber was stört dich daran?“ „Es stört ihn weniger“, erwiderte Takeru. „Nur haben wir keine Lust, jeden Tag Nudelsuppe zu essen und so kommt jeder einmal mit dem Kochen dran.“ Er sah Daisuke kritisch an. „Willst du mir etwa sagen, dass dir mein Essen gestern nicht geschmeckt hat? Obwohl du geschlungen hast, als würdest du kurz vor dem Hungertod stehen?“ Daisuke grinste seinen Freund frech an. „Von dir weiß ich ja, dass man es essen kann. Aber von Yuuto? Oder Satoshi? Ich kann mir bei beiden nicht vorstellen, dass sie kochen können.“ „Bei der Rallye sind wir an einem Grillplatz vorbei gekommen“, unterbrach Hitomi. „Warum grillen wir heute Abend nicht gemeinsam? Euer Haus und unseres. Ich wäre sowieso mit kochen dran. Daher würde es passen.“ „Klingt gut“, stimmte Hikari zu. „Und lustig“, warf Takeru ein. „Also abgemacht.“ Daisuke strahlte. „Dann lasst uns Grillgut kaufen.“ „Und Salate!“, fügten die Mädchen im Chor hinzu. „Frauen“, murmelte Daisuke erneut. Die beiden jungen Frauen machten sich auf den Weg um sich frisch zu machen. Daisuke und Takeru hatten versprochen, auf sie zu warten. Als sie aus der Sichtweite verschwanden, ergriff Daisuke Takerus Hand und zog ihn mit sich. „Hey!“, protestierte der Blonde. Erst vor dem Juwelier ließ der Igelkopf ihn los. „Was willst du hier?“ „Du hast doch selber gesagt ‚Diamonds are a girl’s best friend‘“, klärte Daisuke auf. „Also. Was hat sich Hitomi hier angesehen?“ „Hitomi?“ Verwundert sah Takeru seinen Freund an. „Ja. Hitomi“, sagte Daisuke überzeugt. „Du bist doch der Frauenkenner. Was haben sich die Mädels hier angesehen?“ „Ähm … also …“, stammelte Takeru. Er hatte von Schmuck genauso wenig Ahnung wie Daisuke. Daisuke seufzte. „Sie standen ja in etwa hier“, begann Takeru seine Detektivarbeit. „Hier liegen Armbänder aus. Das ist gut. Einen Ring sollte man wohl nicht verschenken. Außerdem kennen wir ihre Ringgröße nicht.“ Auch Daisuke betrachtete die Armbänder genauer. „Verschenkt man Armbänder?“, fragte der Braunhaarige nach. Takeru zuckte mit den Achseln. „Kari habe ich mal eins zum Geburtstag geschenkt“, erinnerte er sich. „Ihr seid ja auch beste Freunde. Du dürftest ihr wahrscheinlich auch einen Ring schenken, ohne das ihr euch dabei verlobt.“ „Wahrscheinlich“, bestätigte Takeru, dessen Herz sich bei den Gedanken an eine Verlobung zusammenzog. Soweit würde es nicht zwischen ihm und Hikari kommen. Sie würde irgendwann einen Mann finden, den sie im Gegensatz zu ihm lieben, heiraten und mit diesem gemeinsam Kinder bekommen würde. Takeru versuchte den Gedankengang durch Kopfschütteln zu vertreiben. „Hast du mal auf Hitomis Armbänder geachtet. Welchen Stil mag sie?“ Ratlos sah Daisuke von Takeru zu den Armbändern. „Keine Ahnung. Darauf habe ich noch nie geachtet.“ Der Igelkopf kratzte sich am Kopf. „Aber Kari hat doch zugestimmt, dass ihr das Armband gefällt. Was mag Kari denn?“ „Filigranen Schmuck aus Silber“, antwortete Takeru prompt. „Und was davon ist ‚filigran‘?“ Sie sahen beide die Auslage an. „Ähm. Ich würde jetzt bei Kari auf das Armband mit dem Infinity-Symbol tippen.“ „Das mit den drei Herzen in der Schleife?“, fragte Daisuke zweifelnd nach. „Ist das nicht ein wenig gewagt?“ „Wahrscheinlich. Ihr seid noch nicht einmal ein Paar.“ Takeru konnte sich gut in Daisukes Situation hineinversetzen. Hikari würde das Armband auch gut stehen. Nur diese Herzen … ‚Ich mag T.K. als Freund. Mehr ist da nicht‘ ging dem jungen Mann wieder durch den Kopf. Er schüttelte diesen, um den Gedanken zu verdrängen. Nein. Die Situation von Daisuke und ihm war unterschiedlich. Daisuke hatte bei Hitomi noch Chancen. „Du kannst es ja jetzt kaufen und es ihr bei passender Gelegenheit geben“, schlug Takeru vor. „Das klingt nach einer guten Idee!“, pflichtete Daisuke bei und betrat den Laden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)