Katze in Not von Platan (The Reminiscence) ================================================================================ Prolog: Schwesterchen, hör mal! ------------------------------- Schwesterchen, hör mal! Ich muss dir unbedingt etwas erzählen~. ... Warte, klingt das so etwa zu bestimmend? Dabei hasse ich gebieterische Allüren eigentlich, aber ich möchte das wirklich gern mit dir teilen. Also, würdest du mir zuhören? Darf ich anfangen? Die Geschichte ist nicht zu lang, versprochen. Dafür ist sie aber richtig berührend und deswegen durchaus wert erzählt zu werden. Außerdem kennst du eine der Personen, die darin vorkommen. Noch dazu eine, für die du eine Menge Sympathie übrig hast. Das wird dir bestimmt gefallen. Pass auf, meine kleine Geschichte erzählt von einem – mehr oder weniger – ungewöhnlichen Ereignis aus der Vergangenheit und spielt sich in den Ländereien von dem widerlichen Geizkragen Herrn McNeil ab, in der Region von Yrallien. Sagt dir in dem Zusammenhang der Name Nue zufällig etwas? Richtig, diese Bestie hatte damals den Bewohnern des Dorfes und den Bauern ziemlich große Schwierigkeiten bereitet. Wie auch immer, darauf müssen wir ja nicht weiter eingehen, denn was ich dir erzählen will, ereignete sich kurz nach dem Sieg über die Nue. Da gab es diese zwei kleinen Helden, Waisenkinder, deren Heimat ein Baumhaus im Zedernwald war. Zu diesem Zeitpunkt waren sie durch ihre mutige Tat – dem Sieg über die Nue – bei den Leuten in der Umgebung reichlich beliebt, leider war es jedoch nach wie vor nicht einfach für die Menschen, über die Runden zu kommen. Erst recht nicht für Waisenkinder, wie du selbst am besten weißt. Kein Wunder also, dass jeder endlich dieses magere Jahr hinter sich lassen und den Frühling begrüßen wollte, den alle so sehr herbeisehnten. Kälte ist aber auch furchtbar deprimierend, nur der Schnee sieht ganz hübsch aus, wenn er alles in Weiß einkleidet. Oh, entschuldige, ich schweife ab. Ryu und Teepo, so heißen die Waisenkinder, hatten in dieser Geschichte das Glück, dem Frühling etwas früher als üblich begegnen zu dürfen, nur auf eine andere Art und Weise. Besonders einer von ihnen konnte dieses Erlebnis sicher nicht mehr so leicht vergessen – falls doch, wäre ich etwas beleidigt. So ein klitzekleines bisschen. Na, neugierig geworden? Wusste ich es doch~. Schön, dann mach es dir gemütlich, es geht sofort los. Und zwar direkt mit Ryu und Teepo, deren hungrige Mägen im Chor Klagelaute von sich gaben. Einer von ihnen bekam dann sozusagen eine Idee – und du weißt ja, wie so etwas bei dem einen von ihnen ausarten kann. Genau, nämlich derart chaotisch, dass Kämpfe quasi immer vorprogrammiert sind ... Kapitel 1: Miau! ---------------- Es sollte scheinbar wieder ein Tag wie jeder andere werden. Kalt, trostlos und problematisch in Sachen Essen. Und sie hatten noch einen großen Teil des Nachmittags vor sich, bevor das Elend mit dem Einbruch der Nacht vorerst von Schlaf abgelöst werden würde. Gelangweilt hockten die beiden Waisenkinder, Ryu und Teepo, im Erdgeschoss ihres Baumhauses herum, wo sie zusammen ungeduldig auf die Rückkehr ihrer letzten Hoffnung warteten: Rei. Er war bereits etwas älter als sie und trug somit die Verantwortung auf den Schultern, seine Familie irgendwie ernähren zu müssen. Tatsächlich war er so etwas wie ein großer Bruder, fand Ryu. Manchmal tat es ihm leid, dass sie Rei so viel Arbeit machten und sich stets auf ihn verließen. Teepo nahm das wahrscheinlich eher als selbstverständlich wahr, aber Ryu schämte sich dafür, Rei die meisten Aufgaben zu überlassen. Aber ich kann nicht mal richtig kämpfen, erinnerte er sich bedrückt. Nachdenklich saß Ryu auf dem Holztisch, wo sie meistens zusammen aßen, wenn denn etwas da war, und ließ die Beine baumeln, während Teepo unruhig hin und her lief, wobei er immer wieder energisch sein ellenlanges, fliederfarbenes Haar zurück über die Schulter strich. Wie er noch so viel Energie haben konnte, trotz des leeren Magens, blieb Ryu ein Rätsel. Seit einer Weile schwiegen sie vor sich hin, nur Teepos Schritte und das Knistern des Kaminfeuers waren zu hören. Ganz selten drang von draußen auch mal der Laut eines Monsters oder Tieres ins Haus. Eine trübe Stimmung war das. „Meinst du, Rei findet etwas?“, brach Ryu zögerlich die Stille – gleichzeitig stellte er diese Frage bereits zum zehnten Mal. Genervt winkte Teepo ab und schnaubte. „Natürlich! Er lässt uns doch nicht im Stich. Rei besorgt uns ganz bestimmt etwas Essbares, das ist seine verdammte Pflicht! Also hör mit der Jammerei auf, du Weichei.“ So gemein, wie er gerade klang, wollte Teepo sicher eigentlich gar nicht sein. Inzwischen kannte Ryu ihn ein wenig besser. Musste Teepo lange Zeit hungern, sank seine ohnehin oftmals schlechte Laune noch tiefer in den Keller, was im Grunde verständlich war. Darum nahm Ryu ihm seine Worte nicht übel und seufzte nur kaum hörbar über ihr Schicksal. Anschließend starrte er abwesend zum Kamin und beobachtete den Tanz der Flammen darin, das Flackern hatte etwas Beruhigendes an sich. Etwas Vertrautes. Schnell geriet Ryu in einen traumähnlichen Zustand, was Teepo offenbar nicht gefiel. „Hey! Wach auf!“, zischte dieser Ryu barsch zu und verpasste ihm obendrein mit der Faust eine kräftige Kopfnuss. „Wage es ja nicht, mir hier vor Hunger umzukippen, sondern unternehme lieber etwas! Lenk mich gefälligst ab, sonst werde ich noch verrückt.“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb Ryu sich den Kopf und sah Teepo mit dem Blick eines Welpen an, der deutlich verriet, dass er nicht wusste, was von ihm erwartet wurde. Ryu konnte sich selbst kaum auf den Beinen halten, im Gegensatz zu Teepo, dabei plagte ihn der Hunger ebenso. Deshalb hatte er momentan auch nicht sonderlich viel Lust darauf, etwas zu unternehmen. Da Ryu aber mit den wechselhaften Launen von Teepo längst Bekanntschaft gemacht hatte, wollte er es nicht riskieren, sich noch mehr Beulen einzufangen. „Okay, worauf hast du denn Lust?“ „Hm, lass mich nachdenken. Ha! Gehen wir runter ins Dorf!“, entschied Teepo sofort drängend. „Lass uns ein bisschen Ruhm ernten. Besser als gar nix und mit Glück springen dabei ein paar Geschenke für uns raus.“ Aufgrund dessen, dass Lebensmittel allgemein noch Mangelware waren, hoffte Ryu nicht auf Geschenke. Da Teepo aber so motiviert war, wollte er ihm diese Idee nicht madig machen und stimmte einfach zu. Letztendlich war es wirklich allemal besser, statt hier tatenlos zu warten und nichts zu tun. „Na gut, wie du willst. Aber nicht zu schnell, ja?“ „Warum? Bist du so kaputt?“, vermutete Teepo richtig. Ein verdächtiges Funkeln leuchtete kurz in seinen braunroten Augen auf. „Dann drehen wir erst recht auf! Im strammen Tempo zum Dorf! Wir lassen uns von der Erschöpfung nicht kleinkriegen!“ Wirkt nicht so, als hätte er darüber erst nachdenken müssen, bemerkte Ryu. Irgendwie hätte er sich so etwas schon vorher denken sollen, jetzt war es zu spät. Erst wollte er Teepo fragen, ob sie nicht lieber doch weiter auf Rei warten sollten, verkniff es sich dann aber und machte sich dafür bereit, mit seinem Freund aufzubrechen. Selbst wenn er unterwegs nicht mehr konnte, machte Teepo mit ihm garantiert die eine oder andere Pause, wenn auch widerwillig – er war eben netter, als es den Anschein hatte. Während Teepo wie gewohnt absolut davon überzeugt war, ordentlich im Dorf abräumen zu können, betete Ryu innerlich dafür, diesmal einfach nur ohne Ärger davonzukommen. Den zogen sie, zu seinem Leidwesen, geradezu magisch an. Kurze Zeit später marschierten sie bereits eilig durch den Zedernwald, wo sich nicht mal mehr allzu viele Monster herumtrieben wie sonst. Vielleicht hatte selbst sie der Hunger letztendlich in eine andere Gegend vertrieben. Jedenfalls passte Teepo dieser Frieden - natürlich - ganz und gar nicht in den Kram, im Gegensatz zu Ryu. Bald langweilte Teepo sich noch mehr als vorher. „Wo sind die feigen Waschlappen denn alle?!“ „Keine Ahnung.“ „Haben wohl Angst vor mir bekommen.“ Grummelnd klemmte Teepo das Langschwert samt Scheide hinter seinen Gürtel und schielte erwartungsvoll zu Ryu, der seinen Blick verwirrt erwiderte. Blinzelnd schüttelte er den Kopf. „Was ist?“ „Weißte, du könntest ruhig mal ein bisschen mehr aus dir rauskommen.“ Bevor Ryu herausfinden konnte, was er ihm damit sagen wollte, zog Teepo plötzlich das Schwert aus der Scheide. Derart fließend und schnell, dass Ryu es erst einige Augenblicke später richtig realisierte. Der Grund für Teepos Angriffsstellung war eine raschelnde Bewegung in einem dichten Gestrüpp neben ihnen, am Wegesrand. Hastig tastete Ryu ebenfalls nach seiner Waffe, schaffte es jedoch nicht, sie genauso flink, geschweige denn elegant, aus der Scheide zu ziehen wie Teepo. „Mein Schwert steckt fest!“, teilte Ryu panisch mit und zog dabei unbeholfen am Griff. „Mach hin! Es kommt!“, warnte Teepo, überaus aufgeregt, ohne auf das genannte Problem einzugehen. Auf der Stelle hielt Ryu den Atem an. Beide Augenpaare waren fest auf das wackelnde Gebüsch gerichtet, in der stillen Hoffnung, ein Kaninchen statt eines Monsters empfangen zu dürfen. Zumindest war das Ryus Wunsch, obwohl er ein solch niedliches Tier nicht essen wollen würde, doch in der Not bliebe ihm kaum eine andere Wahl. Teepo dagegen erhoffte sich vermutlich eher eine spannende Auseinandersetzung, um die Langeweile zu bekämpfen, auch wenn das alles andere als hilfreich gegen den Hunger wäre. Wieder fragte Ryu sich, woher sein Freund diese unerschöpfliche Energie nahm. Dummerweise wurden sie am Ende beide enttäuscht. Statt eines Kaninchens oder eines Monsters, lugte etwas völlig anderes unsicher aus dem grünen Geflecht hervor und blickte sie mit übergroßen stahlblauen Kulleraugen an, wobei es sogar einen Laut von sich gab: „Miau?“ Enttäuscht ließ Teepo die Waffe sinken und musterte das Geschöpf missbilligend. „Pff, nur eine Katze. Wie blöd.“ „Wie süß“, kommentierte Ryu dagegen leise, überaus erleichtert. Sofort kniete er sich zu der Katze hinunter und streichelte ihr vorsichtig über den Kopf, bevor er ihr aus dem Gestrüpp half. Ihr Fell war schneeweiß und unbeschreiblich weich. Da es noch ziemlich gepflegt aussah, konnte sie kein wildlebendes Tier sein. Eigentlich ließ ihre winzige Größe nur auf eines schließen: „Sie muss noch ein Baby sein. Oder was meinst du?“ „Ist mir ziemlich egal“, erwiderte Teepo desinteressiert. Mit einem lauten Gähnen setzte er sich wieder in Bewegung. „Lass das dämliche Vieh und komm, wir gehen weiter.“ „Warte!“, bat Ryu, ungewohnt nachdrücklich. Deswegen hielt Teepo ungläubig inne und starrte ihn fragend an. Auch ohne Worte konnte Ryu dessen Gedanken in seinem Gesicht ablesen: Warten? Worauf denn warten? Hast du etwa noch nie eine Katze gesehen, oder was? Doch, Ryu hatte schon welche gesehen. Im Dort huschten ab und zu welche herum, also war das nichts Neues für ihn. Zu einer Erklärung kam er aber nicht, weil Teepo wieder schneller darin war, seine Meinung kundzutun. „Ich sagte, lass es da“, wiederholte er fordernd. „Etwas anderes außer den lieben langen Tag zu schlafen können diese Katzen sowieso nicht. Das ist nicht gerade das, was wir brauchen.“ „Teepo!“, warf Ryu nervös ein und sprach endlich einfach aus, was los war. „Aber sie ist verletzt!“ Erneut verblüffte er Teepo mit seinem offenen Verhalten, dabei hatte er vorhin noch selbst gemeint, dass Ryu ruhig mal aus sich herauskommen könnte. Oder meinte er damit etwas ganz anderes? Egal, darum ging es jetzt nicht. „Wir müssen ihr helfen. Sie stirbt vielleicht, wenn wir sie hier alleine zurücklassen.“ Seufzend kam Teepo näher zu ihm und beugte seinen Oberkörper etwas vor, um sich die Katze genauer anzusehen. Ihr rechtes Hinterbein blutete. Es sah verdächtig danach aus, als wäre sie von etwas gebissen worden, von dem sie gejagt worden sein musste. Tragisch, aber für Teepo offensichtlich weiterhin nichts, was sie zu interessieren hatte. „Na toll, Ryu. Und was willst du nun tun? Sollen wir sie mit nach Hause nehmen und gesund pflegen?“ Der ironische Tonfall in seiner Stimme sollte verdeutlichen, dass er diese Worte alles andere als ernst meinte, doch Ryu ließ nicht so einfach locker. Nicht bei so etwas. Besorgt zupfte er an einem blauen Halsband, das die Katze trug, in ihrem Fell jedoch leicht übersehen werden konnte. Auf einem silbernem Anhänger stand ihr Name. „Hier steht Nana“, las Ryu laut vor. „Die Katze heißt Nana.“ „Also gehört sie jemandem“, schloss Teepo daraus. „Soll ihr Besitzer sich um sie kümmern. Wer sich eine Katze leisten kann, sollte damit keine Probleme haben.“ Ryu warf ihm einen flehenden Blick zu. „Kümmern wir uns um sie, bis sie wieder aus eigenen Kräften nach Hause gehen kann. Bitte, Teepo.“ Nana nahm sich an ihm gleich ein Beispiel und starrte Teepo mit ihren riesigen, funkelnden Augen hilflos an. Gegen diese Art von Gewalt konnte nicht mal Teepo sich länger wehren, sehr zur Freude von Ryu. „Argh, gegen so etwas kommt doch nicht mal ein Mann an“, murrte er angespannt und gab nach. „Schön, wie du willst, nehmen wir sie halt mit. Aber echt nur so lange, bis das Vieh wieder gesund genug ist. Kapiert?“ Beruhigt breitete sich ein Lächeln auf Ryus Gesicht aus. „Verstanden. Vielen Dank.“ „Miau!“, stimmte das Kätzchen, Nana, mit ein. So nahm ihr geplanter Ausflug ins Dort vorzeitig ein unerwartetes Ende. Gemeinsam kehrten sie zum Baumhaus zurück, mit einem kleinen Fellknäuel im Gepäck, das Ryu behütend im Arm trug. Laufen könnte Nana mit ihrem verletzten Bein sowieso nicht richtig. Den Rückweg verbrachte Teepo überwiegend damit zu schmollen und so zu tun, als hätte er immer noch keinerlei Interesse an Nana. Diese wirkte dennoch mehr als dankbar und schmiegte sich schnurrend an Ryu. Das musste so furchtbar niedlich aussehen, dass sogar Teepo nicht anders konnte, als das, beinahe neidisch, zu beobachten. Seine Blicke blieben bei Ryu auf jeden Fall nicht unbemerkt, wodurch er sich darin bestärkt fühlte, genau das Richtige getan zu haben. Jedes Mal, wenn Nana den Blick neugierig zu Teepo lenkte und herzlich miaute, wandte dieser sich schnaubend ab. Irgendwie verstand Ryu nicht so recht, was für ihn so schlimm daran war, seine Gefühle zu zeigen. War das nicht anstrengend? Auslachen würde Ryu ihn sowieso niemals, dafür gäbe es keinen Grund. Nur, weil man Kätzchen mochte, war man nicht automatisch weniger männlich. Oder? „Hör auf damit“, brummte Teepo ihm auf einmal von der Seite zu. Ratlos sah Ryu ihn an. „Womit?“ „Du grinst so komisch vor dich hin.“ „Ich freue mich eben.“ „Worauf denn? Statt Essen haben wir jetzt ein Maul mehr zu stopfen, wie Rei sagen würde.“ „Aber Rei hat damals auch mich trotzdem mitgenommen“, konterte Ryu unschuldig und lächelte. „Richtig?“ Zwar sagte er damals, aber so lange war das gar nicht her. Inzwischen hatte Ryu sich so gut bei Rei und Teepo eingelebt, er fühlte sich wohl bei ihnen. Obwohl er nicht gut kämpfen konnte und sie wegen ihm noch weniger Essen hatten, boten sie ihm ein Zuhause. Dafür war Ryu heute noch dankbar. Mit Nana wurde der restliche Tag bestimmt noch interessant und lustig, erst recht mit Teepos Versuch, so zu tun, als hätte er nichts für sie übrig. Darum konnte Ryu es kaum erwarten, wieder zu Hause anzukommen. In ihrem gemeinsamen Zuhause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)