Die Nacht auf der Intensivstation von GingerSnaps ================================================================================ Kapitel 1: Die Nacht auf der Intensivstation -------------------------------------------- Stiles saß ganz still und kerzengerade in seinem Stuhl und blickte ernst in das Gesicht seiner Mutter, welche tief und fest und schlief. Dies tat sie bereits seit Tagen und das läge an der Medizin, welche man ihr gab, damit sie keine Schmerzen hätte, hatte Scotts Mutter Melissa ihm erklärt. Dad hatte zuerst darauf bestanden, dass Stiles heute Nacht bei Scott und dessen Vater zuhause bleiben sollte, während er selbst Nachtdienst hatte, doch Stiles hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Im Grunde war er ein folgsames Kind und überhaupt nicht darauf bedacht, seinen Eltern das Leben schwer zu machen, aber in diesem Fall hatte er für seinen Eigenwillen einen guten Grund: "Deine Mutter wird nicht wieder gesund!" hatte sein Vater ihm vor einer Weile schon erklärt. Und Stiles war ja kein Baby mehr! Er war immerhin schon neun Jahre alt und wusste, was das bedeutete. Und er würde auf gar keinen Fall erlauben, dass seine Mutter allein wäre, wenn es so weit war! Zu Stiles eigener Überraschung hatte sein Dad tatsächlich irgendwann eingelenkt und ihm erlaubt, die heutige Nacht hier im Krankenhaus bei Claudia Stilinski zu verbringen. Sicherlich war dabei auch hilfreich gewesen, dass Melissa McCall die Nachtschicht haben würde und versprochen hatte, hin und wieder nach Stiles zu sehen. Dad hatte versichert, dass er nach seinem eigenen Nachtdienst sofort hierher kommen würde, doch bis dahin würden noch sehr viele Stunden vergehen und nun saß Stiles allein hier, betrachtete seine Mum und versuchte sich jedes Detail ihres Gesichts und ihres Körpers einzuprägen, für den Tag, an dem sie nicht mehr bei ih sein würde! Stiles wollte so gern ihre Hand nehmen, doch er wusste nicht, ob es erlaubt war? Immerhin steckte da eine Nadel mit einem Schlauch daran in ihrem Handrücken und sie hatte so eine komische Klammer am Zeigefinger. Andererseits war dies hier SEINE Mum verdammt, dachte Stiles zornig! Wieso sollte er sie da nicht anfassen dürfen? Er blickte sich also nach allen Seiten um, streckte dann seine Finger nach der Hand seiner Mutter aus und verschränkte sie sanft mit den ihren. Doch ausgerechnet in diesem Moment kam Melissa zur Tür herein. Stiles zuckte heftig zusammen und zog seine eigene Hand rasch wieder zurück. Wie hatte sie das bloß mitbekommen, fragte er sich? Hatte irgendeine dieser laut piepsenden Maschinen ihn etwa verraten? Stiles wusste ja nicht, wie das alles funktionierte, aber es war doch durchaus möglich, dass einer dieser Apparate ein Sensor war, der im Schwesternzimmer Alarm schlug, sobald jemand unerlaubter Weise die Patientin berührte? Oder gab es vielleicht versteckte Kameras irgendwo, die ihn beobachtet hatten? Stiles blickte sich verstohlen um, ob er etwas erkennen, ehe er es wagte, seinen Blick zu heben und Melissa anzuschauen: „Hey, Stiles! Ich bringe dir dein Abendessen.“ verkündete Melissa sanft. Sie wirkte überhaupt nicht, als sei sie böse auf ihn oder als habe er etwas falsch gemacht: „Schau mal! Sie hatten Curly-Fries in der Kantine! Die magst du doch so gern, oder nicht?“ Melissa stellte ein Tablett vor ihn hin und was sich darauf befand, hätte den kleinen Stiles an jedem anderen Tag sicherlich sehr glücklich gemacht; neben den heißgeliebten, gekringelten, frittierten Kartoffelstreifen gab es nämlich noch Chickennuggets mit einem Curry-Dip und ein wenig Salat und dazu ein Päckchen mit Schokoladenmilch! Doch heute hatte Stiles absolut keinen Appetit und keine Ahnung, wie er irgendetwas von alldem hinunter würgen sollte. Er piekste schließlich mit der Gabel in die Pommes und schob sich zwei Stück in den Mund, weil er nicht unhöflich sein wollte. Dann traute er sich zu fragen: „Ist es eigentlich erlaubt, dass ich meine Mutter anfasse?“ Die Augen der Krankenschwester wurden ganz groß vor Überraschung und ihre Gesichtszüge weich: „Natürlich darfst du das, Stiles! Du musst nur aufpassen, dass du keinen der Anschlüsse abreißt, aber das würdest du ja auch nicht tun, richtig?“ Stiles schüttelte den Kopf und schaute die Krankenschwester mit runden, viel zu ernsthaften Augen an. Melissa schluckte ein wenig. In ihrem Job war sie an jedem Tag mit dem Tod und den trauernden Hinterbliebenen konfrontiert und man musste zu seinem eigenen Wohl und im Sinne der Professionalität innerlich ein wenig Abstand zu dem Schmerz der Anderen nehmen, doch dies hier war etwas anderes. Die sterbende Frau auf dem Bett war Claudia Stilinski; eine gute Freundin! Und der verstörte Junge vor ihr war der beste Freund von Melissas eigenem Sohnes! Sie legte Stiles beruhigend und warm die Hände auf die Schultern und versicherte: „Es ist sogar sehr gut, wenn du deine Mutter anfasst. Du kannst auch mit ihr reden, wenn du willst. Wir wissen nicht, wie viel Menschen mitbekommen, wenn sie im Koma liegen, aber auch wenn sie nichts zu dir sage kann, wird sie sicherlich froh sein, deine Stimme zu hören und deine Nähe zu spüren, Stiles!“ Der Junge nickte und nahm nun wieder vorsichtig die Hand seiner Mutter: „Willst du, dass ich noch ein bisschen bei dir bleibe?“ wollte Melissa wissen. Stiles schüttelte den Kopf und behauptete, er würde klarkommen. Melissa staunte, wie tapfer der kleine Kerl diese unerträgliche Situation handhabte. Sie streichelte noch einmal zärtlich durch das hellbraune Haar, ehe sie sich zurückzog, denn hier gab es noch einen weiteren Jungen, dem sie etwas zum Abendessen bringen wollte. Es gab vermutlich keinen Menschen in Beacon Hills, der nicht mitbekommen hatte, was den Hales zugestoßen war. Sie waren immerhin eine der wohlhabendsten Familien der Stadt gewesen; so etwas wie die lokale Pominenz, auch wenn man eigentlich nicht viel über sie wusste. Der Hale-Clan war immer schon eher für sich geblieben. Niemand kannte sie im Grunde näher, aber nach allem was über sie bekannt war, hatten sie auch niemandem irgendein Unrecht getan. Dennoch hatte irgendein Unbekannter sie genug gehasst, um sie in ihrem Wohnhaus draußen im Beacon Hills Reservat einzusperren und dieses dann in Brand zu stecken. Eine unvorstellbar grausame Tat! Zwölf Personen waren dabei ums Leben gekommen, viele von ihnen Kinder und nur ein Einziger hatte es mehr oder weniger lebendig aus dieser Flammenhölle geschafft. Die Ärzte vermuteten jedoch, das Peter Hale irgendwann in den nächsten Stunden sterben würde, denn von Verbrennungen dieser Schwere konnte sich kein Mensch jemals wieder erholen, so viel stand fest. Dass er überhaupt noch am Leben war, war ein einziges, großes Wunder. Allein die ältesten Kinder der Hale-Familie hatten den Anschlag möglicherweise überlebt, weil sie sich währenddessen wohl in der Schule befunden hatten, jedoch hatte sich nur einer von ihnen bislang bei den Behörden gemeldet. Derek Hale hielt nun bereits seit Tagen am Bett seines verwundeten Onkels Peter Wache. Seine Schwestern Cora und Laura hingegen waren seit dem Tag des Feuers verschwunden. Die Polizei vermutete darum, dass sie ebenfalls den Mördern ihrer Familie zu Opfer gefallen sein könnten und man suchte gegenwärtig nach ihren Leichen. Melissa klopfte an die Tür des Krankenzimmers und als sie eintrat, wirbelte Derek blitzschnell herum und gab etwas von sich, das beinahe wie ein Knurren klang: „Ganz ruhig, Junge! Ich bin es bloß!“ erklärte Melissa besänftigend. Vor ihr saß ein magerer, zorniger, siebzehnjähriger Teenager, der sie misstrauisch aus schönen, ernsten, hellgrünen Augen anfunkelte. Dieser Bursche hatte einfach alles verloren; sein Zuhause und seine gesamte Familie. In seiner verzweifelten Wut, welche die überwältigende Trauer noch ein wenig zu überdecken und zu dämpfen vermochte, glich dieser Junge einer Handgranate ohne den Sicherheitsstift, schoss es Melissa durch den Kopf. `RACHE´ stand quer über sein Gesicht geschrieben. „Du musst was essen!“ befand Melissa und zog ein verschweißtes Käse-Schinken-Sandwich aus der großen Tasche ihres Schwesternkittels: „Kein Hunger!“ murrte der Junge und wandte seinen Blick wieder von der Krankenschwester ab und seinem verwundeten Onkel zu. Doch so leicht würde Melissa sich natürlich nicht abschütteln lassen: „Das ist mir egal, Junge! Du wirst nun dieses Sandwich essen und hiermit wirst du es herunterspülen!“ Sie zog ein Päckchen Schokoladenmilch aus ihrer anderen Tasche: „Kakao?“ höhnte Derek: „Sehe ich aus, wie ein Fünfjähriger?“ „Du siehst aus, wie ein sehr unglücklicher, junger Mann!“ erwiderte Melissa seufzend und stellte die Mahlzeit, die sie eigens für Derek aus der Kantine geschmuggelt hatte vor dem Jungen ab. „Gehen sie jetzt wieder! Ich will mit meinem Onkel allein sein!“ forderte Derek zu gleichen Teilen abweisend und hochherrschaftlich und Melissa bemühte sich, sich daran zu erinnern, dass das undankbare, kleine Arschloch vor ihr sich nur deshalb so unmöglich aufführte, um die Mauer aufrecht zu erhalten, die er so mühsam zum Selbstschutz um sich herum errichtet hatte. Dennoch würde sie ihn nicht einfach so damit durchkommen lassen: „Ich glaube, die Worte, nach denen du suchst sind `Danke, Ma´ am!´ und nun iss´ dein Sandwich, ehe ich böse werde, junger Mann! Und wenn du noch etwas brauchst, sag´ Bescheid und sei es bloß, dass du reden möchtest!“ erwiderte sie mit wohldosierter Schärfe in der Stimme. Der Jugendliche sah tatsächlich ein kleines bisschen schuldbewusst aus und bedankte sich kleinlaut. Melissa verließ das Krankenzimmer mit einem kleinen, mitfühlenden Lächeln, welches sie den Jungen jedoch nicht sehen ließ. Derek starrte auf seinen Onkel hinab, welcher mit seinen Verbänden und unter seiner verschmorten Haut kaum noch zu erkennen war. Von dem gutaussehenden jungen Mann, der er gewesen war, gab es keine Spur mehr. Es sah aus wie ein Stück Holzkohle! Peter war gerade mal zehn Jahre älter als Derek selbst und war ihm darum auch schon immer mehr wie ein großer Bruder, als wie ein Onkel vorgekommen. Als Kind war Derek Peter ständig hinterhergelaufen, denn es hatte ganz einfach Spaß gemacht, mit ihm zusammen zu sein. Peter war lustig, charismatisch, unkonventionell und hatte dieses gewinnende Lächeln, mit dem er es schaffte, einfach jeden um den Finger zu wickeln. Die Mädchen liebten ihn und einige Jungen liebten ihn auch. Und Peter? Der liebte sie beide! Derek hatte seinen Onkel immer bewundert und gelegentlich auch versucht, ihm ein wenig nachzueifern, denn wo Derek die Dinge immer viel zu schwer nahm, lachte Peter das Schicksal aus und sah es gelassen! Der Bruch zwischen ihnen beiden war vor zwei Jahren gekommen, als die Sache mit Paige passiert war. Da hatte Derek die Kehrseite der Persönlichkeit seines Onkels erkannt: Peter übernahm einfach keine Verantwortung und dachte immer als erstes bloß an sich selbst! Und Derek hatte sich einen leichtsinnigen Moment lang von ihm anstecken lassen, hatte auf ihn gehört und deswegen war das allererste Mädchen, das er je geliebt hatte heute tot. Und es war nicht nur das; Derek selbst hatte Paiges Leben beenden müssen, um sie vor weiterem Leid zu bewahren. Dies war vielleicht ein Akt der Gnade gewesen, doch Derek war sich dennoch schmerzhaft bewusst, dass er große Schuld auf sich geladen hatte, indem er es überhaupt so weit hatte kommen lassen. Er hatte damals einen kleinen Teil seiner Selbst verloren, den er niemals zurückerhalten würde. Damals hatte Derek noch gedacht, dass er sich niemals furchtbarer, oder aber schuldiger fühlen würde, als an jenem Tag. Da hatte er noch nicht gewusst, wie es sein würde, seine gesamte Familie zu verlieren. Und der Einzige, der ihm nun noch geblieben war, war Peter. Die Ärzte sagten zwar, sein Onkel könne diese Verletzungen nicht überleben, doch die wussten ja auch nicht, was Peter war. Was sie beide waren! Eines Tages würde Peter wieder aufwachen, das wusste Derek mit Sicherheit. Er fragte sich, ob Peter wohl IHM die Schuld am Tod ihrer Familie geben würde, weil er Kate verraten hatte was sie waren, ohne zu ahnen, dass jenes Mädchen, von dem er gedacht hatte, es würde ihn lieben eigentlich eine Jägerin und kaltblütige Mörderin war? Natürlich war Kate längst über alle Berge und Derek hatte keinen Schimmer, wo er mit der Suche nach ihr beginnen sollte, um seine Familie zu rächen. Warum zum Teufel konnte Peter nicht jetzt aufwachen und ihm sagen, was er tun sollte? Doch im Grunde wünschte Derek sich nicht Peter herbei. Die Person, die er gerade am liebsten bei sich gehabt hätte war seine Mutter, Talia Hale, die Alpha! Die große, weise Anführerin! Seine Mutter hatte immer gewusst, was zu tun ist. Sie war sein Halt, seine Stärke und sein Licht gewesen. Nun war da nur noch Dunkelheit! Er war ein dummer, schwacher, magerer Junge in einer Welt voller Feinde. Und er war ganz allein! In Dereks Mund breitete sich ein metallischer Geschmack aus, seine Brust wurde eng und ihm war, als müsse er gegen ein Stahlkorsett atmen und Hände und Kiefer schmerzten, weil er beides so fest angespannt hatte. Eigentlich hätte er sich auch auf den Marktplatz setzen und darauf warten können, dass irgendein gnädiger Jäger ihm den Gnadenschuss verpasste, so nutzlos war er! Und er bildete sich allen Ernstes ein, hier im Krankenhaus zu sitzen würde seinen Onkel beschützen? Er war für seine Gegner doch bestenfalls eine Lachnummer! Derek atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Er schloss die Augen und lauschte auf die Geräusche hier auf der Intensivstation: Da waren die unterschiedlichen Maschinen in den Zimmern, welche die Menschen am Leben hielten, das Personal, dass seinen unterschiedlichen Aufgaben nachging, Toilettenspülungen, die gezogen wurden und die verkalkte Kaffeemaschine im Schwesternzimmer. Aber dann hörte Derek noch etwas anderes und es kam ganz aus der Nähe. Es war die Stimme eines Kindes und er sprach offenbar zu seiner Mutter. Diese antwortete jedoch nicht und als Derek genauer hinhörte, begriff er auch wieso: Die Mutter des Jungen lag im Koma und hörte den Kleinen, der unaufhörlich auf sie einplapperte höchstwahrscheinlich gar nicht. Gerade berichtete das Kind seiner Mutter zum Beispiel von seinem Naturwissenschaftsprojekt in der Schule, bei dem er Kaulquappen in einem kleinen Aquarium von Hand aufzuziehen versuchte. Dann erzählte der Kleine davon, wie er seinen besten Freund bei einem kleinen Fahrradrennen besiegt hätte, was aber angblich gar nicht daran gelegen habe, dass dieser einen Asthmaanfall bekommen hatte. Der Junge sprach über dies und das und Derek spürte, wie es ihn ein klein wenig ruhiger werden ließ, ihm zuzuhören, auch wenn er nicht hätte sagen können wieso. Es machte den jungen Werwolf beinahe ein wenig schläfrig. Dann mit einem Mal änderte sich die Stimmung im Nebenzimmer. Die Maschinen, an welche die Patientin angeschlossen war schlugen Alarm und der Junge begann verzweifelt nach seiner Mutter zu rufen und zu weinen. Ärzte und Schwestern kamen herbeigeeilt, um die Patientin wiederzubeleben und ihr Sohn wurde unter Schreien und Weinen aus dem Krankenzimmer geschleppt. Aus irgendeinem Grund schien Peter etwas von dem Tumult von der Tür mitzubekommen. Zwar erwachte er nicht wirklich, doch er begann sich ein wenig zu regen und vor Schmerzen zu Wimmern und zu Stöhnen. Da wurde es Derek zu viel. Er würde jetzt da hinausmarschieren und den Jungen zum Schweigen bringen, ganz gleich auf welche Weise! Wütend stapfte er los, riss die Tür auf, betrat den Krankenhausflur und da sah er ihn. Der Junge war viel jünger, als Derek sich das vorgestellt hatte. Er war höchstwahrscheinlich noch nicht einmal zehn Jahre alt, winzig, mager, stupsnäsig, mit weichen, runden Gesichtszügen und karamallfarbenen Augen, welche in Tränen schwammen. Die aufdringliche Krankenschwester, welche Derek Abendessen gebracht hatte, hielt den weinenden Jungen fest und flüsterte beruhigend auf ihn ein. Derek hatte den Eindruck, dass die beiden sich kennen würden. Als er der Verzweiflung des Jungen gewahr wurde, verrauchte Dereks Wut. Er beobachtete die Szene noch einen Augenblick, ehe er sich wieder zu Peter ins Krankenzimmer zurückzog. Er lauschte allerdings weiterhin auf das Geschehen nebenan und bekam auf diese Weise mit, dass es dem medizinischen Personal offenbar gelungen war, die Patientin noch einmal ins Leben zurückzuholen. Nach und nach beruhigte sich die Situation wieder und die Ärzte und Schwestern zogen sich einer nach dem anderen wieder zurück. Am Ende durfte der Sohn sogar wieder den Platz an der Bettseite seiner Mutter einnehmen. Melissa wollte von Stiles wissen, ob sie noch bleiben sollte, doch dieser winkte ungeduldig ab. Er wollte einfach nur schnell wieder mit seiner Mum alleine sein. Mit sorgenvoller Miene verabschiedete sich Scotts Mutter schließlich wieder und Stiles atmete auf. Er wusste, dass die Zeit knapp wurde, also beeilte er sich: „Da ist noch so viel, was ich dir sagen muss, Mommy!“ erklärte er mit zitternder Stimme: „Ich hab´ dich so lieb! Ich will, dass du bei mir bleibst und ich bin so wütend darüber, dass das nicht geht, auch wenn du nichts dafür kannst! Ich weiß nicht, ob Dad und ich das alles ohne dich schaffen können. Und ich weiß nicht...“ seine Stimme brach: „...ich weiß nicht, ob du noch irgendwo sein wirst, wenn...“ Stiles wischte sich mit dem Ärmel über die Augen: „Ich glaube nicht an den Himmel, Mum! Es tut mir leid!“ erklärte er und schluchzte laut auf. Stiles sprach seine Abschiedsworte, aber da waren weder Trost noch Halt und ihm war einfach bloß kalt! Sein Dad würde nicht mehr rechtzeitig kommen, um seine Frau noch einmal lebend zu sehen, war Stiles klar und es würde auch kein Happy-End in letzter Minute geben. Stiles würde zu einem Jungen ohne Mutter werden. Punkt! Er würde schnell ein großer Junge werden müssen. Er küsste die Stirn seiner Mutter, streichelte ihren Arm, hielt ihre Hand und sprach über alles, was ihm noch einfiel, erfüllt von der Angst, dass er am Ende doch noch etwas vergessen könnte, was dann auf ewig ungesagt bleiben würde. Derek hatte sich mittlerweile die Finger in die Ohren gesteckt, um nicht mehr hören zu müssen, wie der fremde Junge sich von seiner Mutter verabschiedete. Das Problem dabei war bloß, dass er dank seiner Wolfsohren dennoch alles mitbekam und dass jedes einzelne Wort wie ein Messer in sein Fleisch schnitt. All´ das was Derek überhaupt nicht denken, oder fühlen wollte suchte, sich nun scheinbar gewaltsam einen Weg nach draußen! Um kurz nach drei Uhr am Morgen war es schließlich so weit. Das Herz von Claudia Stilinski hörte ein zweites Mal auf zu schlagen. Diesmal war Melissa nicht gleich zur Stelle, um Stiles aus dem Zimmer zu schaffen, doch das war auch nicht nötig. Der Junge verließ den Raum diesmal freiwillig. Er wusste, dass die Anstrengungen des medizinischen Personals vergeblich sein würden. Seine Mutter war fort und dieses Mal für immer; das spürte er. Er setzte sich auf die Bank im Krankenhausflur und begann damit, still zu weinen. Derek hörte den Alarm aus dem Nebenzimmer und wie beim letzten Mal verließ er Peters Zimmer, um nach dem Jungen zu sehen. Und ehe er selbst begriff was er da überhaupt tat, hockte er sich neben das fremde Kind, zog den bebenden, kleinen Körper auf seinen Schoß und hielt ihn fest. Eigenartigerweise ließ der Junge sich das gefallen. Er blickte lediglich einmal auf, warf einen prüfenden Blick in Dereks Augen, beschloss dann offensichtlich, dass von diesem keine Gefahr ausging, legte den Kopf an die Schulter des wildfremden Älteren und durchweichte dessen Shirt mit seinem Rotz und seinen Tränen. Eigentlich hatte Derek den Kleinen lediglich trösten wollen, doch wie er den warmen, schmächtigen Körper so hielt und eingehüllt war in dessen Aura aus Traurigkeit, kamen unvermittelt und ungebeten auch ihm selbst die Tränen. Die beiden kannten einander nicht, wussten nichts voneinander, hatten nicht einmal jetzt, wo sie einander in den Armen hielten auch nur ein einziges Wort miteinander gewechselt, doch das spielte in diesem Moment auch keine Rollen. Was bei Derek als ein leises, verstohlenes Tropfen begonnen hatte, wurde nach einer Weile zu einem ausgewachsenen Schluchzen und nach einer Weile war nicht mehr auszumachen, wer hier eigentlich wen tröstete. Stiles verstärkte seinen Griff um den Körper des älteren Jungen und fuhr nun mit den Fingern einer seiner Hände durch dessen schwarzes, kräftiges Haar. Melissa McCall kam in diesem Moment um die Eckegeeilt, weil sie nach Stiles sehen wollte, doch sie erkannte sofort, dass sie nicht gebraucht wurde. Zwei trauernde Jungen hatte einander im Moment der größten Verzweiflung gefunden. Und es war gut! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)