Findest du das richtig? von Futuhiro (Die Story von Karlo K.) ================================================================================ Kapitel 1: Findest du das richtig? ---------------------------------- „Diese blöden Sacktreter. Ihre Rechte kennen sie ganz genau. Aber sich mal an die Gesetze halten? Nie im Leben.“, maulte einer der Polizisten schlecht gelaunt, als sie durch die Gänge des Haftgebäudes trabten. Sie hatten gerade einen Anruf vom Anwalt eines Tatverdächtigen erhalten, der sie einfach mal ganz vorsorglich – und einfach mal ganz überflüssig – auf die Gesetzeslage hatte hinweisen wollen. „Reg dich doch nicht auf.“, gab der andere fast gelangweilt zurück. Es war immer wieder das gleiche Spiel mit seinem Kollegen. „Findest du das denn okay? Ich meine, wir wissen ganz genau, daß er es war. Und trotzdem müssen wir ihn wieder laufen lassen. Das kann doch nicht im Sinne des Gesetzgebers sein!“ „Die maximale Zeitdauer für die U-Haft ist nunmal ausgeschöpft. Unsere Ermittlungen haben bisher leider nichts hinreichendes ergeben, um ihn weiter festzuhalten. Dafür kannst du nicht das Gesetz verantwortlich machen, sondern unsere lahmen Gerichtsmediziner.“ „Aber findest du das okay?“, wollte der erste wieder säuerlich wissen. „Durchaus. Was wäre denn, wenn der arme Kerl gar nicht der Täter ist und wir ihn unschuldig festhalten? Soll er monatelang hier schmoren, bis wir gnädigerweise endlich mal auf die Idee kommen, daß es auch jemand anderes gewesen sein könnte? Jemanden bloß auf Verdacht festzuhalten, ist einfach. Wenn man jemanden einmal in Haft gesteckt hat und dann keinen Zeitdruck mehr hätte, bestünde ja keine Notwendigkeit, den Fall zeitnah aufzuklären. Dann würde bei uns nie irgendwas fertig werden, glaub mir.“ Sein Kollege nörgelte etwas unverständliches in sich hinein, aber es ging sowieso im Geklapper des Schlüsselbundes unter. „Ich behalte dich im Auge, du ...“ Der Polizist deutete drohend mit dem Finger auf den soeben freigelassenen Typen und musste sich arg beherrschen, nicht noch einen netten Titel wie oder oder einen von den noch kreativeren anzuhängen, von denen in seinem Wortschatz noch etliche zur Auswahl gestanden hätten. Aber als Beamter übte er sich ja in gepflegter Ausdrucksweise, soweit es ihm möglich war. „Ich weiß genau, daß du schuldig bist. Und das werde ich dir auch noch nachweisen, verlass dich drauf. Lass dir bis dahin bloß nichts Neues mehr zu Schulden kommen!“ „Ich wüsste nicht, seit wann wir per-Du wären, Herr Polizist.“, entgegnete der schmierige, arrogante Zuhälter-Verschnitt mit einem süffisanten Grinsen, das voll und ganz von abwertender Überheblichkeit troff. Dann tippte er sich zum Abschied an eine nicht vorhandene Hutkrempe und spazierte pfeifend davon. Karlo K. Der Polizist schluckte die Beleidigung herunter, die ihm auf der Zunge lag und sah ihm nur sauer nach. „Findest du es richtig, daß wir ihn gehen lassen?“, wollte er wieder wissen und schob unwillig die Hände in die Hosentaschen. „Nein.“, gestand sein Kollege missmutig. „Aber was will man machen? ... Und frag mich doch nicht dauernd, ob ich irgendwas richtig finde! Wenn du mit unseren Dienstvorschriften nicht klar kommst, dann kündige doch!“, zischte er schlecht gelaunt und verschwand wieder in der Polizeiwache. Er war unzufrieden mit sich und der Welt. Vor einer halben Stunde hatte er es in der Tat noch völlig okay gefunden, jemanden aus der U-Haft freizulassen. Aber jetzt, wo er dem Kerl nochmal gegenübergestanden hatte, kamen ihm doch Zweifel. Gegen Karlo K. lief eine Ermittlung wegen schwerer Körperverletzung in mehreren Fällen, und mit einer durchschnittlich geschulten Menschenkenntnis traute man das dem Typen auch wirklich zu. Er sah die Schlagzeile in der Zeitung schon wieder bildlich vor sich: „Die Polizei wusste Bescheid und tat nichts!“ Wie dem auch sei. Jetzt hieß es, möglichst schnell Beweise gegen ihn ranzuholen. Karlo K. schmunzelte amüsiert in sich hinein, als er die Straße hinunterspazierte und die Polizeiwache hinter sich zurückließ. Er hatte schon fast damit gerechnet, jetzt endgültig eingebuchtet zu sein, und plötzlich ließen die ihn wieder frei. Nichtmal gegen Kaution, sondern einfach so. Die Menschenrechte hatten ihm noch nie viel bedeutet, vor allem nicht die Rechte anderer Menschen. Und schon gar nicht die Rechte anderer, ausländischer Menschen. Aber jetzt kam er gerade doch nicht umhin, Rechte mal toll zu finden. Er und seine Kumpels waren schließlich alles Rechte, dachte er und musste über diesen Wortwitz direkt lachen. Ach, man musste ja auch mal Glück haben. Das Leben war schön. Er überlegte, wo er seine rechtsradikalen Kamerados jetzt wohl am wahrscheinlichsten finden würde, um zu ihnen zu stoßen. „Hey, hast du heute Abend schon was vor?“, hörte er eine dunkle, in äußerst gebrochenem Dialekt sprechende Stimme. Klang südländisch, vielleicht türkisch oder so. Karlo K. merkte auf und suchte den Besitzer der Stimme. „Lass mich in Ruhe.“, verlangte eine Mädchenstimme daraufhin. „Aber ich möchte mit dir ausgehen!“ „Ich sagte, lass mich in Ruhe!“, zeterte das deutsche Mädchen ungehalten. Karlo K. drehte sich um, als ihm klar wurde, daß die Stimmen von hinten kamen. Da machte sich doch tatsächlich so ein türkischer Sack mit Lederjacke an ein blondes Mädchen ran. Ob der Typ nun Afghane war, oder Pakistani oder weiß der Geier, für Karlo waren das alles Türken. Allein die Tatsache, daß diese arroganten Typen immer diese ach so coolen Lederjacken trugen, machte ihn schon rasend. Aber dann noch deutsche Mädels behelligen, das war zu viel! Karlo grollte, ballte das Gesicht zur Faust und ging die drei Schritte zurück zu den beiden. „Hast du ein Problem?“, wollte er von dem Türken wissen und schubbste ihn demonstrativ einen Schritt weit davon. Das Mädchen wurde schlagartig mucksmäuschenstill. Sie spürte, daß hier gerade Ärger im Gange war und sie wollte sich da ganz sicher nicht einmischen. Am besten gleich weitergehen. „Ey, hast DU Problem, oder was?“, blaffte der Türke selbstsicher und deutlich angepisst und schubbste Karlo seinerseits. Karlo holte aus und stempelte ihm die Faust auf die Nase, so daß der Südländer auf der Stelle zu Boden ging. Karlo begann, in Rage auf den am Boden liegenden Typen einzutreten und immer wieder mit seinem ganzen Gewicht auf ihn zu springen. Er spürte eine Rippe knacken, das bereitete ihm Genugtuung und bestärkte ihn nur darin, weiterzumachen. Das Mädchen, das schon schreiend weggerannt war, zerrte hinter der nächsten Hausecke mit zitternden Fingern das Handy hervor und rief die Polizei. „Herzlichen Glückwunsch, verdammter Shit.“, maulte der Polizist am nächsten Tag, als er den Anruf aus dem Krankenhaus bekam, daß der Türke in der Nacht seinen Verletzungen erlegen war. „Keine ganze Stunde war er aus der U-Haft draußen! Ich hab doch gesagt, wir sollen Karlo nicht gehen lassen, aber auf mich hört ja keiner. Das wäre alles nicht passiert, wenn wir ihn hätten eingebuchtet lassen können.“ Sein Kollege am Schreibtisch gegenüber holte Luft, um wie üblich zu sagen. Aber er unterließ es doch und ließ die Luft nur mit einem Seufzer wieder entweichen. Diesmal musste er seinem Partner wirklich und vorbehaltlos Recht geben. Sicher waren die auf den Menschenrechten basierenden Dienstvorschriften richtig und notwendig, manchmal hatten sie jedoch auch Schattenseiten. So wie heute. Aber ... gab es schon irgendwas in der Welt, worauf das nicht zutraf? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)