2nd Season: Russian Diaries von Flokati ================================================================================ Kapitel 2: Ich in St. Petersburg – Fangirl-Alarm! Mein neues Zuhause! --------------------------------------------------------------------- Ich schaue aus dem Fenster. Das Flugzeug hat gerade die Wolkendecke durchbrochen und unter mir sehe ich wieder Land. Im Norden fällt mir direkt ein riesiger See auf, jede Menge weißer Schnee und einige vereinzelte Städte. Wir befinden uns im Landeanflug auf den Flughafen Pulkovo, der im Süden von St. Petersburg liegt und es ziept vor Aufregung in meinem ganzen Bauch. In ein paar Minuten werden die Räder auf den Boden aufsetzen und dann würde es nicht mehr lange dauern, bis ich Viktor endlich wieder hätte. Er und Yurio kommen zusammen, um mich abzuholen und ich kann es nicht erwarten, die beiden wiederzusehen. Das Flugzeug lehnt sich nach links und die Winterlandschaft unter mir verschwindet für einige Sekunden aus meinem Blickfeld, bis es zurück in seine waagerechte Position schwingt. Dann kann ich die ersten, dichteren Ansammlungen von Häusern sehen und den Fluss Newa ausmachen, der sich aus südlicher Richtung durch St. Petersburg zieht und im Meer mündet. Die Tragflächen fahren aus und ich kann die Stadt ist immer deutlicher erkennen, die bereits von hier oben so schön aussieht, als hätte man sie in diese Winterlandschaft gemalt. Ein kurzer Blick auf den Bildschirm im Sitz meines Vordermanns verrät mir, dass es noch zwei Minuten bis zur Landung dauert. Wir sinken kontinuierlich tiefer und mein Bein beginnt nervös auf- und ab zu wippen. Ich habe ihn so sehr vermisst... Dabei hatte ich in Barcelona noch geglaubt, wir könnten das einfach beenden. Wir hätten das keine Woche durchgehalten. Wahrscheinlich wäre Viktor seinem Trainer schon nach ein paar Tagen wieder ausgebüchst und in den nächsten Flieger zurück nach Japan gestiegen, um ein zweites Mal unangekündigt vor meiner Tür stehen. Und jetzt... Jetzt sitze ich im Flugzeug, habe Japan erneut den Rücken gekehrt, um mit Viktor zusammen in Russland zu leben. Wupp. Das Flugzeug setzt mit einem unsanften Ruck auf. Es ruckelt und wackelt heftig von links nach rechts und ich werde aus dem Sitz gedrückt, als die Maschine gebremst wird und die Geschwindigkeit rapide abnimmt. Sie rollt die Landebahn immer langsamer entlang, am Flughafen vorbei und überall liegt aufgetürmter Schnee, der von den Bahnen auf Seite geschoben worden ist. Der Himmel ist gräulich bewölkt, aber es ist trocken. Schnell greife ich nach meinen Handy und deaktiviere den Flugmodus. Ich hatte Viktor das letzte Mal geschrieben, bevor ich in Narita gestartet bin und ich hoffe, er hat daran gedacht, dass ich hier keine Email, iMessage oder Line-Nachricht mit meinem japanischen Netz empfangen kann, sondern auf die klassische SMS angewiesen bin. Zuerst habe ich gar keinen Empfang, dann wählt sich mein Handy in eins der russischen Netze ein und ich bekomme Nachrichten über alle möglichen Tarifoptionen... ich schaue wieder nach draußen und das Flugzeug rollt gemächlich weiter in Richtung Parkposition. Es vibriert erneut. Guten Flug! Ich erwarte dich in ein paar Stunden am Flughafen Ok, das war wohl die Antwort auf meine Nachricht vor dem Abflug. Dann vibriert es nochmal. Yuuri, es tut mir furchtbar Leid, aber schaffst du es alleine bis zu Moskovskaya (Московская)? Vor uns sind zwei Containerlaster ineinander gefahren und alles ist dicht. Vor Terminal 1 ist eine Haltestelle für die Linie 39. Öhm... ok. Das ist jetzt etwas krass? Viktor hat mich ja bezüglich des Verkehrs schon vorgewarnt, aber... Es vibiriert nochmal, diesmal von Yurio. Oi Katsudon, vergiss den Bus, der kommt auch nicht durch. Superhirn hat vercheckt, dass wenn es in die eine Richtung nicht geht, es auch nicht in die andere geht. Keine Ahnung, was wir jetzt machen. Das wird ja immer besser... Das Flugzeug hat mittlerweile seine Postition erreicht und die ersten Mitreisenden stehen von ihren Sitzen auf und holen ihre Taschen aus den Gepäckfächern. Ich beginne, Viktor eine Nachricht zurück zu tippen und hoffe, dass das russische Netz besser funktioniert als der Straßenverkehr. Ich bin gelandet, Flugzeug steht. Wo seid ihr? Soll ich versuchen, den Bus zu nehmen? Und Senden. Das Handy lasse ich am besten griffbereit in meiner Jackentasche und ich fange an, meinen Mantel, Schal und Mütze anzuziehen. Laut Wetteranzeige auf dem Bildschirm sind es -4 Grad. Ich seufze. Irgendwie hab ich mir die Ankunft hier ganz anders vorgestellt. Brrrzzz. Oh, Yurio. Schreib' mir und nicht dem Alten, der muss fahren und ich will dieses Auto lebend wieder verlassen!!! Was?! Viktor fährt? Bevor ich weiter überlegen kann, ob ich mir jetzt Sorgen machen soll oder nicht, kommt noch eine Nachricht von Yurio: Versuch' doch, den Bus zu nehmen. Es ist uns grad einer aus Richtung Flughafen entgegen gekommen. Offenbar ändern die spontan die Route. Wir drehen jetzt und fahren zu Moskovskaya. Die Passagiere im Gang setzen sich in Bewegung und auch ich stehe von meinem Platz auf. Ich schätze, Willkommen in Russland, Yuuri. Die Busse zwischen Flughafen und St. Petersburg haben, wie Yurio vermutete, aufgrund des Unfalls tatsächlich die Route geändert. Allerdings bin ich nicht in einem Citybus der Linie 39, sondern in einem roten, mit bunten Koffern beklebten Shuttlebus K33 gestiegen. Statt der angegebenen Zeit von etwa 30 Minuten war ich etwa eine Dreiviertelstunde bis zu Moskovskaya unterwegs und bin heilfroh, als ich das Gefährt wieder verlassen kann und festen Boden unter den Füßen habe. Zu meiner linken Seite stehen dicht an dicht bräunliche Backsteingebäude und zu meiner Rechten ersteckt sich ein gigantischer Platz mit einem großen, säulengesäumten Gebäude, das über dessen gesamte Länge reicht. Um mich herum herrscht eiliges Gewusel der anderen Passagiere und das beunruhigende Rangieren der Busse bei Schnee und Glatteis, sodass ich mich tummele, schnell die Straßenseite zu wechseln und dorthin zu gehen, wo wir uns treffen wollen. Bei der Größe dieses Platzes, dessen Ende man nicht mal sehen kann, bin ich erleichtert, dass ich sofort die große Statue in der Mitte erkennen kann, zu der ich mich begeben soll. Laut Yurios letzter Nachricht würden sie mir von der anderen Seite aus entgegenkommen, da Viktor wohl erst vor ein paar Minuten einen Parkplatz gefunden hat, von dem aus sie ihn nicht abschleppen würden. Die Sorge scheint nicht unbegründet, denn ich sehe zwei Polizeiautos, die die sechsspurige Straße zwischen Platz und Backsteingebäuden beobachten. Der frische Schnee knarzt unter meinen Schuhen und es ist verdammt kalt. Sicher, dass das nur -4 und nicht -14 Grad sind? Oder -24? Und der Koffer ist schwer... als ich in Japan aufgebrochen bin, kam er mir gar nicht so schwer vor, aber nach gut 16 Stunden, die ich jetzt unterwegs bin... oder es liegt daran, dass der Koffer sich im Schnee einfach nicht gut ziehen lässt und ständig stecken bleibt. Gleich ist es soweit... Ich bin nicht mehr allzu weit von der Statue entfernt und der Gedanke an Viktor lässt mich die Müdigkeit vergessen. Mit meinen Augen suche ich unablässig nach den beiden bekannten Gesichtern; Yurio sicherlich mit einer Kapuze auf dem Kopf, Viktor in seinem dunkelblauen Mantel... mein Herz klopft wie verrückt. Und dann entdecke ich sie. Meine Schritte beschleunigen sich. Sie bleiben kurz stehen, dann hebt Yurio die Hand, winkt und dreht sich um, sodass ich nur noch seinen Rücken sehen kann. Auf der Rückseite der Jacke ist ein Tigerkopf. Jetzt bin ich mir tausend Prozent sicher, dass sie es sind. Ich winke zurück, beginne zu rennen. Viktor fängt auch an zu rennen. Dieser blöde Koffer...! „Yuuri...!“ Ich lasse den Griff einfach los und der Koffer plumpst in den Schnee, aber nur einen Schritt weiter kann ich endlich wieder die Arme um meinen geliebten Viktor schlingen. Ich habe ihn so sehr vermisst. Ich bin angekommen in meinem neuen Zuhause St. Petersburg. Nach der ersten Welle der Wiedersehensfreude macht sich ein Gefühl des Unglaubens in mir breit. Es ist so unwirklich, hier zu sein, auch wenn ich weiß, dass ich wach bin und alles um mich herum real ist. Gerade haben wir Yurio bei Herrn Feltsman abgesetzt und rollen die Einfahrt rückwärts auf die Straße hinunter und ich hoffe, ich habe ein nur halb so dämliches Grinsen im Gesicht, wie ich es mir gerade vorstelle. Bisher haben Viktor und ich uns entweder in meinem Zuhause in Hasetsu oder auf neutralem Boden im Ausland bewegt, aber seit etwa zwei Stunden befinde ich mich in Viktors gewohnter Umgebung und die Eindrücke überrennen mich. Dabei sitze ich bisher nur mit ihm im selben Auto. Seinem Auto. Ein roter Alfa Romeo Guiletta, gerade mal ein Jahr alt. Das Auto hat er nach dem letzten Sieg bei den Europameisterschaften gekauft, unter anderem, um Makkachin besser transportieren zu können, sollte dieser zum Tierarzt müssen. Viktor meint, er habe gerade mal fünf- oder sechs Mal in dem Auto gesessen, bevor er nach Hasetsu aufgebrochen ist. Das Auto hat folglich seit fast neun Monaten nur in der Garage gestanden und ist quasi wie neu. Es riecht sogar noch etwas so. Abgesehen von der Aufregung, die ich angesichts der Tatsache verspüre, dass wir uns auf dem Weg zu Viktors Wohnung befinden, kann ich nicht anders, als meine ersten Eindrücke aus dem Flugzeug über St. Petersburg bestätigt zu sehen: Die Stadt ist so wunderschön, dass ich regelrecht an der Fensterscheibe klebe. Die vielen historischen Gebäude, die Kirchen, die Prunkbauten der früheren Herrscher und Zaren, die vielen Ausläufer der Newa mit ihren Brücken... Wahnsinn. Wenn ich das hier in Gedanken mit Detroit vergleiche... Eigentlich ist es überhaupt keinen Vergleich wert. Und hier würde ich ab sofort wohnen. Nicht Tourist sein oder nur zu Besuch bleiben. Wohnen. Mit Viktor zusammen. Oh Gott... mein Puls erhöht sich gerade nicht nur wegen dem russischen Verkehr. Wir schlängeln uns durch die Straßen und ich gewinne weitere bemerkenswerte Eindrücke, wie das Autofahren hier funktioniert. Nicht weil Viktor ein schlechter Fahrer ist, sondern weil zum Beispiel einige Autos, die wir passieren, interessante Parkplätze gefunden haben. Solange ein Rad auf der Parklücke steht, gilt das offensichtlich als ‚geparkt‘. Und Straßenmarkierung hin oder her, wenn irgendwo noch Platz zum Reinfahren ist, dann stehen auch mal drei Autos auf zwei Spuren nebeneinander an einer Ampel oder rauschen trotz rotem Signal noch drüber... Ob Viktor gerade weniger russisch fährt, weil ich daneben sitze? Vielleicht will ich es gar so genau nicht wissen... In Japan wäre sowas undenkbar; von dem Rechtsverkehr mal abgesehen, der mich auch ohne individuell interpretierte Verkehrsregeln ganz schön irritiert. Wir biegen schließlich in eine Sackgasse ein und ich meine hinter den Bäumen zu meiner Linken ein großes Gebäude gesehen zu haben, das vielleicht die Eishalle sein könnte. Viktor sagte, zu Fuß seien es etwa zehn bis fünfzehn Minuten, um von seiner Wohnung zur Halle zu kommen. Die Sackgasse ist nicht länger als einen halben Kilometer und auf beiden Seiten liegen moderne, weiß gestrichene Wohneinheiten mit Balkonen, gepflegten Zufahrten als auch Vorgärten, die gerade von mindestens zehn Zentimeter fluffigem Neuschnee bedeckt sind. Viktor fährt auf eine der Zufahrten und gibt einen Code auf einem Tastenschloss ein, ähnlich wie das Ziehen eines Parktickets. Vor uns öffnet sich das Garagentor und wir rollen nach unten in eine Tiefgarage. Die Bewohner dieses Hauses haben offenbar private Parkplätze. Wenn ich mich so umschaue, dann stehen hier entweder sehr große oder sehr teure Autos oder sehr große und teure Autos, sodass mir Viktors Alfa Romeo dagegen schon wieder sehr bescheiden vorkommt. Wir halten bei Nummer 4.2 und steigen aus. „Wie viele Leute wohnen hier?“, frage ich und lasse meinen Blick durch die Garage schweifen. Fast jeder Parkplatz ist belegt. „Es gibt zehn Wohnungen hier“, erklärt Viktor, während er aussteigt. „Bis zur vierten Etage jeweils zwei Wohnungen auf einem Stockwerk, Etage fünf und sechs haben jeweils nur eine Wohnung.“ „Wo wohnst du?“ „Wo wohnen wir, Yuuri.“ verbessert er mich und in meinen Kopf schwirrt alles nur so durcheinander. „Im vierten Stock, vom Eingang aus gesehen auf der rechten Seite. Deinen Koffer lassen wir noch im Auto. Es sei denn du brauchst irgendwas sofort?“ „Nein, erstmal nicht.“ Viktor nimmt meinen Rucksack von der Rückbank und ich folge ihm, während mein Blick noch einmal in stiller Ehrfurcht über die Autos wandert, die hier stehen. Die Leute, die hier wohnen, müssen verdammt viel Geld haben... Wir steigen eine Treppe nach oben ins Erdgeschoss und betreten einen ansprechenden, stilvollen Flur mit weißen Wänden, glänzend schwarzem Marmorboden und großen Strahlern an der Decke. Ein großer, dunkelroter Teppich liegt auf dem Boden, der wie ich finde wohl eher als Fußabtreter benutzt wird, so durchnässt ist er von dem Schnee, den man von draußen unweigerlich mit hereinbringt. Mit dem Fahrstuhl geht es anschließend in den vierten Stock und mir ist schlecht vor Nervosität, so aufgeregt bin ich, Viktors - stopp - unsere Wohnung zu sehen. Gemein wie er ist, hat er mir natürlich kein einziges Foto in den ganzen anderthalb Wochen Trennung geschickt. Wenn wir per Facetime oder Skype telefoniert haben, hat er immer am gleichen Platz gesessen und ich habe jedes Mal die gleiche, hell tapezierte Wand im Hintergrund gesehen. Beschwert habe ich mich nicht, weil ich weiß, dass er meine Reaktionen sehen will, wenn er neben mir stehen kann, aber ein bisschen weniger Überraschung wäre für meinen Blutdruck sicherlich nicht das Schlechteste gerade. Der Fahrstuhl hält und wir treten hinaus. Vor uns liegt das Treppenhaus mit einem großen Fenster, von dem aus ich hinunter auf die Straße und die Wipfel der Bäume sehen kann, hintern denen, ihrer Teilung nach zu urteilen, ein Ausläufer der Newa fließt. Auf der anderen Seite steht das Gebäude, dass ich beim Vorbeifahren für die Eishalle gehalten habe. Links und rechts von uns befinden sich zwei identisch weiße Türen. Viktor wendet sich zur Linken und ich folge ihm. Meine Augen fallen auf das Klingelschild, dass ich versuche zu lesen statt zu erraten. В. Никифоров steht dort und mein Herz klopft wie verrückt. V. Nikiforov. Vor einem Jahr wäre ich nicht mal auf die Idee gekommen, überhaupt einen Fuß nach St. Petersburg zu setzen, geschweige denn, Viktors Adresse zu kennen oder jemals vor seiner Tür zu stehen. Und doch bin ich hier. Ich hatte mir fest vorgenommen, den Fan in mir im Zaum zu halten, aber mit der Aussicht, Viktors Wohnung zum ersten Mal zu betreten, ist das unsagbar schwierig. Das Schloss klickt, Viktor öffnet die Tür und lässt mich eintreten. Doch bevor ich mich überhaupt irgendwie der Wohnung zuwenden kann, hat Makkachin mich fast umgeworfen. Er bellt vor Freude, wedelt mit seinem Schwanz und springt aufgeregt zwischen Viktor und mir hin und her, unschlüssig wen er zuerst begrüßen soll. Ihn so aufgedreht und munter zu sehen erleichtert mich sehr und ich beuge mich hinunter, um seinen Kopf zu streicheln. Ich hab das große Fellknäuel echt vermisst, das mir zur Begrüßung direkt die Zunge einmal kräftig durchs Gesicht zieht. „Ruhig, Makkachin. Lass' Yuuri erstmal reinkommen“, lacht Viktor und versucht seinen Hund zu beruhigen. „Wenn du nicht still hältst, musst du auf deinen Platz. Sitz.“ Haha, eins der wenigen russischen Wörter, die ich bereits kenne, denke ich und versuche meine Brille von Hundeliebe zu befreien. Im letzten Jahr haben wir vergeblich versucht, Makkachin Kommandos auf Japanisch beizubringen. Folglich mussten ich und meine Familie dann Kommandos auf Russisch lernen und so kennt jeder von uns Sitz, Platz, Bleib, bei Fuß und Aus. Makkachin hält schließlich bei Viktor still und gibt sich damit zufrieden, von ihm gekrault zu werden. So kann ich mich endlich meiner neuen Umgebung zuwenden. Es gibt einen kleinen Flur, links eine Garderobe mit Spiegel und ein Schuhregal, rechts ist eine Tür und dahinter befindet sich einen Herrendiener. Die Wände sind weiß tapeziert und der Boden besteht gänzlich aus Parkett in Fischgrätenoptik. Der Flur geht ohne weitere Tür in den Wohnraum über und an der Wand fällt mir noch flüchtig ein gemaltes Landschaftsbild auf. Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und bemerke erst jetzt, dass es warm genug ist, auch die Jacke auszuziehen. Es riecht seltsam vertraut, obwohl ich hier noch nie war. Nach Viktor und nach Makkachin. Vorsichtig hänge ich die Jacke auf einen der freien Haken und gehe ein paar Schritte. Ich spüre Viktors Blick auf mir ruhen, er ist bestimmt genauso nervös wie ich. Der Wohnraum ist sehr groß. In der Mitte seht ein Sofa mit blauen Polstern und Holzbeinen, sowie ein passender Hocker dazu. Bettzeug in dunkelblauen Laken liegt zusammengefaltet auf einer Seite. Stimmt ja, fällt es mir wieder ein, Viktor hat die ganze Zeit über auf dem Sofa geschlafen, weil er sein Bett in Hasetsu gelassen hat. Weiter links in der gegenüberliegenden Ecke sehe ich eine weiß-graue Wohnwand mit einem Fernseher und eine große Fensterfront mit langen, gräulich-braunen und weißen Gardinen. Die Länge der Gardinen überrascht mich und erst mit einem Blick zur Decke bemerke ich, wie hoch diese ist. Dahinter sehe ich eine Glasschiebetür, die auf einen Balkon führt. Makkachins Hundekorb liegt neben der Wohnwand sowie einer seiner Knauknoten. Der Raum wirkt durch die Deckenhöhe und die Gestaltung in schlichten Farben mit einigen elegant ausgewählten Akzenten sehr offen. Viktor hat sich hauptsächlich für verschiedene Blau- und Grautöne bei seinen Möbeln entschieden und irgendwie bringt es mich zum Schmunzeln. Zusammen mit den hellen Wänden wirkt es schon ein bisschen wie ein kleiner Eispalast, in dem der König residiert. Nur ohne jeglichen Pomp, so wie ich aufgrund seiner Einrichtung in Hasetsu schon vermutet habe. Es sind wieder nur die Materialien, die den Unterschied machen: Das Sofa ist mit Wildleder überzogen, der Parkettboden scheint echter Parkett zu sein und auf dem Holz, das bei den Möbeln verwendet wurde, erkennt man noch deutlich die Maserung, sodass es aller Schlichtheit zum Trotz ein rundes, gefülltes und vor allem stilsicheres Bild ergibt. Diese Wohnung trägt eindeutig Viktors Handschrift. Ich gehe ein paar Schritte weiter in den Raum und wende mich zur linken Seite des Wohnraums. Es gibt eine weitere Tür und ich entdecke Viktors Matroschkas auf dem Sideboard zu meiner Linken. Darüber an der Wand (mein innerer Fan quiekt schrecklich) sehe ich fein säuberlich aufgehängt einige der Goldmedaillen, die Viktor in seiner Karriere gewonnen hat. Abgesehen von den Medaillen, die er in den letzten Jahren beim Grand Prix und den Weltmeisterschaften gewonnen hat, befinden sich hier auch einige aus seiner frühen Seniorzeit, sowie eine olympischen Medaille. Ich muss einmal tief Luft holen, um nicht irgendwie in Ohnmacht zu fallen. Vielleicht wäre es besser, den Blick in die andere Richtung zu lenken, beschließe ich, und laufe rechts hinter dem Sofa vorbei und wende mich der Küche zu. Wieder rauscht ein Gefühl von Ehrfurcht durch mich durch. Entweder ist Viktors Küche ungewöhnlich groß für einen Ein-Personen-Haushalt oder die in unserem Onsen ist einfach kleiner, als ich bisher angenommen habe. Denn wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass diese Küche unserer professionellen in irgendetwas nachsteht. Links an der Wand befinden sich Kühlschrank und Backofen und der Herd ist in den freistehenden Arbeitsblock integriert. Die Fronten sind aus mattem Edelstahl, die Korpusse türkisfarben und die angeschlossene Arbeitsfläche mit Spüle in dunklem Grau. Hinter dem Arbeitsblock sind noch einmal zwei große Fenster mit den gleichen Gardinen wie an der Balkontüre gegenüber. Ich trete noch einen Schritt näher heran und meine Finger berühren die Oberfläche des Arbeitsblocks. Über mir hängt eine große Abzugshaube und darunter sollte doch eigentlich der Herd sein... ich stutze etwas. Da ist etwas und es hat Markierungen für Töpfe, aber es ist einfach nur flach, schwarz und viereckig. Irritiert stelle direkt davor. Hinter mir höre ich Makkachin, der von Viktor losgelassen wurde und ehe ich mich versehe, habe ich wieder viel Hund um die Beine herum, der gestreichelt werden will. „Was fasziniert dich?“, fragt Viktor, nachdem er seine Jacke ausgezogen hat und zu mir gekommen ist. Sogleich werde ich von hinten liebevoll umarmt. Sein Blick folgt meinem. „Das Kochfeld?“ „Ich habe sowas bisher nur im Fernseh gesehen.“ „Gibt es das in Japan nicht?“, fragt er erstaunt. „Bestimmt, aber üblicher ist ein Gasherd... Wir haben auch einen zuhause.“ „Ich weiß. Was hattest du in Detroit?“ „Einen elektischen mit Platten und Knöpfen.“ „Ist dieser hier auch, nur statt der altmodischen Kochplatten mit Drehknöpfen ist das hier ein Kochfeld und funktioniert per Fingerdruck. Schau.“ Viktor streckt die Hand aus und berührt einige auf dem unteren Rand des Feld aufgedruckte Felder und das kleine, rechte Kochfeld leuchtet rot auf. Danach schaltet Viktor es wieder aus. „Ist das das Einzige, was dich beschäftigt?“, will er amüsiert wissen und vergräbt sein Gesicht zwischen meiner Schulter und meinem Hals. Seine Hände gleiten meine Brust hinunter und wandern tiefer zu meinem Bauch. Ich ziehe die Luft ein, als er meinen Nacken küsst und eine seiner Hände unter meinem Pullover verschwindet. „Yuuri...“, flüstert er. Unweigerlich entfährt mir ein leises Stöhnen. Ich spüre seine Wärme, seine Atem... mit einem Mal wird mir wieder bewusst, wie sehr ich ihn und seine Nähe vermisst habe. Ich löse mich aus seiner Umarmung, drehe mich um und sehe ihm in die Augen. Der Rest der Wohnung würde wohl noch etwas warten müssen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)