Bis zum Tod von Avarya ================================================================================ Kapitel 1: Bis zum Tod ---------------------- Ein Seufzen kam aus meinem Mund, während ich missmutig den Verkehr vor mir betrachtete, welcher eher kroch, statt floss. Zudem dröhnte der Motor meines Toyotas unvertraut in meinen Ohren, daran hatte ich mich noch immer nicht gewöhnt. Um ehrlich zu sein vermisste ich das Schnurren meines Porsches, doch der war wohl mittlerweile verschrottet worden. Eines der Opfer, das ich für meine Freiheit hatte bringen müssen. Wenn man es so betrachtete, dann hatte ich mein ganzes bisheriges Leben geopfert, um auch nur die Möglichkeit zur Rache zu bekommen. Mein geliebtes Auto, meinen Job, meine Villa, meine Identität – das alles hatte ich nach dem Tod meines Vaters aus freien Stücken aufgegeben. Nun wohnte ich in einer Wohnung im Bezirk Shinjuku, fuhr einen gefühlt uralten Toyota und arbeitete als Rechtsanwaltsgehilfin, wozu ich eigentlich viel zu überqualifiziert war. Immerhin konnte ich die Mandanten meines Chefs weitaus besser vertreten, als er. Aber gut, ich durfte nicht, denn in meinem fingierten Lebenslauf war kein Jurastudium vorgesehen gewesen – zu auffällig hatte das FBI gemeint und ich hatte dem zugestimmt. Es hätte sie darauf aufmerksam machen können, dass ich noch lebte. Abermals seufzend zog ich an meine Zigarette und verdrängte die Gedanken an früher. Es war vorbei und würde nie wieder so werden wie einst. Ich hatte damals meine Entscheidung in dem Wissen getroffen, dass es kein Zurück geben würde. Niemals. Ungeduldig stieß ich den Rauch aus, trat dann leicht aufs Gas, als sich die Autoschlange wieder ein wenig in Bewegung setzte. Es konnte sich nur noch um Stunden handeln. Nach einer geschlagenen Stunde im Stau stand das Auto endlich in der Tiefgarage, die sich unter dem Wohnblock befand, in dem meine Wohnung lag. Mit der Aktentasche in der Hand, verließ ich die Garage und stieg die Treppen hoch ins Foyer des Hauses. Ehe ich allerdings meine Wohnung aufsuchte, warf ich einen Blick in den Briefkasten, nahm die Post heraus. Dann setzte ich meinen Weg in den zehnten Stock fort. Welch‘ ein Glück, dass es Aufzüge gab! Zwar war ich recht sportlich, aber der Gedanke an die ganzen Treppen war dennoch nicht sonderlich angenehm. Mit einem Pling signalisierte der Fahrstuhl, dass er im gewünschten Stockwerk angekommen war, die Türen öffneten sich und ich trat hinaus. Die wenigen Meter zu meinem Apartment waren schnell zurückgelegt. Ich schloss die Tür auf, trat ein und schlug sie hinter mir leise zu. Hand- und Aktentasche stellte ich auf dem Küchentisch ab, während ich die Post durchsah. Werbung und Rechnungen. Dachte ich zumindest, bis ich den letzten der Briefe in Händen hielt und ihn öffnete. Bereits nach der ersten Zeile weiteten sich meine Augen und es lief mir eiskalt den Rücken herunter. Nein, das konnte doch nicht sein! Das durfte nicht sein! Sie konnten doch nicht wirklich wissen, dass ich noch lebte. Zitternd nahm ich auf einem Stuhl Platz, ehe ich mich dazu zwang, den Rest zu lesen. [align type="center"][style type="italic"]Meine liebe kleine Brandy, selbst ich muss zugeben, dass der Autounfall sehr gut fingiert wurde, als dein Porsche die Klippe hinunter gestürzt ist. Du hast es tatsächlich geschafft, mich für einen gewissen Zeitraum zu täuschen. Aber hast du wirklich geglaubt, du könntest dich so einfach vor uns verstecken? Dir sollte bekannt sein, dass ich Verräter zehn Meilen gegen den Wind riechen kann – demzufolge auch dich. Da ich kein Freund von großen Reden bin, mache ich es kurz. Heute Abend um 22 Uhr wirst du dort erscheinen, wo alles seinen Anfang nahm. Du kennst die Spielregeln. Keine Polizei – und kein FBI. Ich rate dir meine Forderungen zu erfüllen, sonst ist deine Mutter dran, nachdem ich ihr erzählt habe, wie toll ihre ach so erfolgreiche Tochter wirklich war. Dies gilt auch dafür, wenn ich einen deiner sogenannten Kollegen an unserem Treffpunkt herumschnüffeln sehe. Gin[/style][/align] Der Brief fiel aus meinen kraftlos gewordenen Fingern. Verdammte Scheiße. Warum wusste er, dass ich noch am Leben war? Wie hatte er das herausgefunden? Ich hatte mich die letzten drei Jahre sehr bedeckt gehalten, war ganz sicher nicht aufgefallen. Mit einem energischen Kopfschütteln versuchte ich aus meiner Starre zu erwachen und mein Gehirn wieder zum Denken zu animieren. Doch der einzige Gedanke, den ich fassen konnte, war: Sie wissen, dass ich noch lebe. Fahrig wühlte ich in meiner Tasche herum und zog dann nach einer gefühlten Ewigkeit das Zigarettenpäckchen heraus, um mir eine anzustecken. Das Nikotin beruhigte meine Nerven zumindest ein wenig und das Zittern in meinem Körper ließ auch nach. Ich zog kräftig an dem Glimmstängel, inhalierte den Rauch, während sich mein Verstand wieder etwas klärte. Ohne zu zögern stand ich auf, ging ins Wohnzimmer und trat zur Bar, die ich eingerichtet hatte. Meine Hand griff nach einem Glas, dann wahllos nach einer der Flaschen, die im Schrank standen. Nachdem ich einen großen Schluck von der klaren Flüssigkeit getrunken hatte, blickte ich zum ersten Mal auf das Etikett. Gin. Ausgerechnet das Getränk, nach dem mein wohl zukünftiger Mörder seinen Decknamen erhalten hatte. Aber wenn ich ehrlich war, dann war er der, von dessen Hand ich sterben wollte, wenn es denn wirklich ein gewaltsames Ende nehmen musste. Wie konnte ich das Leben meiner Mutter aufs Spiel setzen? Sie hatte von alldem keine Ahnung, wusste nichts von der Organisation. Da ich ja erst vor nahezu vier Jahren meinen Vater verloren hatte, wollte ich keinen erneuten Verlust hinnehmen. Das Glas leerte ich auf Ex, ehe ich nach meinem Handy griff und eine Nummer wählte. „Hallo Yui, was gibt’s?“ hörte ich die Stimme meines Partners, nachdem er nach dem ersten Klingeln abgehoben hatte. „Schlechte Neuigkeiten Shuichi, sehr schlechte Neuigkeiten“ erwiderte ich, machte eine kurze Pause, um mich zu sammeln, ehe ich fortfuhr. Meine Entscheidung hatte ich mittlerweile getroffen. „Gin weiß, dass ich noch am Leben bin – er hat mir einen hübschen kleinen Brief geschrieben.“ Meine Stimme triefte vor Sarkasmus, während ich wieder in die Küche ging. „Scheiße!“ fluchte der sonst so ruhige Japaner am anderen Ende, hatte sich allerdings schnell wieder im Griff. „Was genau hat er denn geschrieben?“ Ohne zu zögern angelte ich nach dem Brief, der noch immer auf dem Boden lag und las ihn dann meinem Kollegen vor. Ich schätzte den ehemaligen NOC sehr und wir hatten beide so unsere persönliche Vendetta in Bezug auf die Organisation. Shu wollte sich an Gin für Akemis Ermordung rächen und ich wollte ebenfalls meine Rache, nur eben für den Tod meines Vaters. „Wirst du gehen Yui?“ erklang es nach einer Weile des Schweigens am anderen Ende der Leitung. „Ja, ich habe keine andere Wahl. Um ehrlich zu sein habe ich eine Scheißangst, aber ich kann nicht zulassen, dass Mutter auch noch draufgeht. Wenn einer unschuldig ist, dann sie.“ Ich schloss die Augen und lehnte mich an den Türrahmen zum Wohnzimmer. „Über den Peilsender in meinem Wagen könnt ihr meine Position bestimmen. Aber wagt es ja nicht, einzugreifen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde ich sowieso nicht überleben.“ Dann legte ich auf. Es gab nicht mehr zu sagen und Abschiede waren einfach nicht mein Ding. Allerdings hatte die Sache etwas Tröstliches – wenn ich schon erschossen werden musste, dann sollte der Abzug wenigstens von dem gedrückt werden, den ich über alles liebte. Nach einem Blick auf die Uhr ging ich in mein Schlafzimmer, um mich fertig zu machen – für die letzte Fahrt in diesem verdammten Toyota. Eine halbe Stunde später saß ich in meinem Wagen und machte mich auf dem Weg zum Treffpunkt – dem Lagerhaus, in dem meine Ausbildung damals begonnen hatte. Das Kostüm hatte ich mittlerweile gegen schwarze Hose, rote Bluse und meinen Ledermantel getauscht, in dessen Innentasche meine Beretta M9 steckte. Ein vertrautes Bild, fast so wie früher. Wenn man von Auto und Haarfarbe absah, dann hätte man meinen können ich fuhr zur Ausführung eines Auftrags und nicht zu meinem Mörder. Krampfhaft zwang ich mich dazu, mein Denken auf den Verkehr zu richten. Um Punkt 22 Uhr parkte ich meinen Wagen vor der Halle neben Gins Porsche 456a. Schrottkoffer neben Schrottkoffer, irgendwie passend. Zumindest meiner Meinung nach. Mein ehemaliger Boss würde das in Bezug auf sein Auto um einiges anders sehen. Es gab nur einen Gegenstand, für den er Gefühle empfand und das war sein Wagen, den liebte er aber heiß und innig. Sollte ich also meine Gedanken in seiner Gegenwart wiederholen, würde ich sofort eine Kugel im Kopf stecken haben und ein Teil von mir hoffte wohl immer noch, dass ich mit heiler Haut hier rauskommen würde. Das war aber trotzdem verdammt unwahrscheinlich. Für einen Moment schloss ich die Augen, atmete tief durch, ehe ich möglichst selbstbewusst auf den Eingang zuging. Schwäche durfte ich mir keine erlauben, wollte zudem meine Angst nicht zeigen. Er sollte mir nicht vorwerfen können, dass das FBI mich weich gemacht hatte. Seine Meinung war mir noch immer extrem wichtig. Ohne zu zögern trat ich durch die Tür und blickte mich flüchtig im Raum um. Soweit ich erkennen konnte, hatte sich nichts Nennenswertes verändert. Die zahlreichen kleinen Löcher in den Wänden waren noch immer die, an die ich mich erinnerte – hie und da konnte ich sogar Patronenhülsen erkennen. Für wirkliche Scharfschützenübungen, war das Gebäude nicht lang genug, aber um mit einer Pistole zu üben war es ausreichend. Die meisten der Fenster waren zerbrochen. An einer Wand stand ein riesiges dunkelbraunes Ledersofa, das bereits bessere Tage gesehen hatte. Darauf saß er und  fixierte mich mit seinen kalten grünen Augen, während ich ihn musterte. Mantel, Hose, Stiefel und Hut waren schwarz. Das einzig Helle an seiner Erscheinung waren der blaue Pullover sowie sein langes hellgraues Haar, welches ihm bis zum Hintern reichte. „Ah, Brandy. Pünktlich wie immer“ begrüßte Gin mich mit einem Grinsen auf den Lippen, deutete dann neben sich. Die unmissverständliche Aufforderung, sich zu setzen. „Hallo Gin“ erwiderte ich, beeilte mich dann seiner Anweisung nachzukommen. Also umrundete ich den Tisch und ließ mich auf dem Sofa nieder. Die Örtlichkeit war nicht einmal schlecht gewählt, immerhin verband ich viele gute Erinnerungen mit dieser Halle und vor allem dieser Couch. Er beugte sich vor, schenkte die Flüssigkeit in die beiden Gläser, die auf dem Tisch standen, reichte mir dann eines. Schon wieder Gin, wie ich dem Etikett entnehmen konnte. Noch immer grinsend prostete er mir zu. Ihm schien das ganze ja einen unglaublichen Spaß zu machen – mir definitiv nicht. Mich im Ungewissen zu lassen, war eines der schlimmsten Dinge, die man mir antun konnte. Mittlerweile war ich dazu bereit zu sterben, hatte mich zu einem gewissen Grad damit abgefunden, aber ich wollte wissen, wie es passieren würde. „Auf unser Wiedersehen Brandy. Auch wenn es mir scheint, dass du dich nicht freust mich zu sehen.“ Ich nippte an meinem Glas, stieß dann ein hohles Lachen aus und blickte meinen einstigen Vorgesetzten an. „Wer freut sich denn bitte auf ein Treffen mit seinem Mörder? Vor allem wenn besagter Mörder dann auch noch seine Spielchen spielt, statt es hinter sich zu bringen. Seit wann betreibst du Smalltalk mit Verrätern, die dir doch so zuwider sind? Normalerweise machst du mit denen doch kurzen Prozess.“ Meine Stimme klang so kalt und emotionslos, wie ich gerade noch sein konnte. Innerlich lagen meine Nerven jedoch blank, dennoch zwang ich mich zur Ruhe. Durchzudrehen würde mir gerade absolut nichts nützen. Grüne Augen blickten mich an, funkelten amüsiert. Hass und Liebe lagen so nahe beieinander. „Du bist allerdings keine gewöhnliche Verräterin. Im Hinblick auf unsere gemeinsame Vergangenheit, hast du es verdient, stilvoll abzutreten und einen solchen Abgang werde ich dir verschaffen.“ Gins Stimme waren keinerlei Emotionen anzuhören, aber ich musste ihm wohl noch irgendetwas bedeuten, sonst hätte er mich einfach auf der Stelle erschossen. Für Verräter gab es in der Regel keinen stilvollen Abgang. Anscheinend sollte ich nun die Ausnahme sein. „Oh was für eine Ehre“ bemerkte ich mit sarkastischem Unterton, um nicht zu zeigen, dass ich diese Geste durchaus zu schützen wusste. Wenn ich schon sterben musste, dann mit Stolz, ohne vorherige Erniedrigungen. „Bevor du mich umbringst, hätte ich gerne noch eine Antwort.“ Fest sah ich Gin in die Augen, ehe ich weitersprach, die eine Frage aussprach, die ich mir bereit seit so vielen Jahren stellte. „Hast du den Befehl gegeben, meinen Vater zu ermorden? Und waren es wirklich Chianti und Korn, die ihn erschossen haben?“ Ich hoffte inständig, dass er endlich Klarheit schaffen würde. Das Erfahrene würde ich sowieso mit ins Grab nehmen, daher bestand für die Organisation keinerlei Gefahr. „Der Befehl zur Liquidation deines Vaters, kam von ganz oben. Ich habe ihn lediglich an Chianti weitergeleitet“ seine Stimme klang so emotionslos, als würde er über das Wetter reden, nicht über einen Mord. Aber ich war ja auch so gewesen. Solange es keine nahen Angehörigen oder Freunde waren, war es mir egal, wen ich umbrachte. Ich schloss die Augen. Von ganz oben. Über Gin in der Hierarchie der Organisation gab es nur noch eine Person – der Boss, den die meisten nur als Anokata kannten. Ich selbst war ihm weder begegnet, noch wusste ich wie sein Deckname lautete. Lediglich derart hochrangige Mitglieder wie Gin oder Vermouth kannten ihn persönlich. Was Chianti anbelangte … es war schade, dass ich die Scharfschützin nicht mehr vor den Lauf meiner Beretta bekommen hatte. „Wusstest du eigentlich, dass dein Vater einen Deal mit uns hat platzen lassen? Er wollte dich freikaufen, hat seinen Teil jedoch nicht erfüllt. Weil er darüber hinaus zu viel wusste, hat man seine Liquidation befohlen“ Ich schluckte, wandte den Blick ab und sah an die gegenüberliegende Wand, die mit Löchern übersäht war. Das kam unerwartet. Ich hatte niemals gedacht, dass mein Vater überhaupt von meiner Zugehörigkeit zur Organisation wusste. Unwillkürlich ballte ich die rechte Hand zur Faust. Für ihn wäre es definitiv besser gewesen, wenn er seine Nase aus meinen Angelegenheiten rausgehalten hätte – und für mich auch. Dann wäre ich nämlich womöglich gar nicht in dieser Situation. Doch es lag nicht wirklich in meiner Macht etwas daran zu ändern. „Ich verstehe – und nein, das wusste ich nicht“ bemerkte ich tonlos, ohne meinen einstigen Boss anzusehen, weswegen mir auch sein Kopfschütteln entging. Dann war Vaters Tod also auch meine Schuld. Es war wohl besser, wenn ich sterben würde. Dann musste ich mich wenigstens nicht mit den Schuldgefühlen herumschlagen. „Wo ist eigentlich dein Kampfgeist geblieben? Früher hättest du niemals aufgegeben“ Es hörte sich fast schon an, als würde Gin meine derzeitige Haltung nicht besonders toll finden. Sollte er sich nicht freuen, dass er mich leichter abknallen konnte? Aber er war schon immer jemand gewesen, der Herausforderungen liebte. Ja, ich hatte aufgegeben, aber auch nur weil es die Umstände mit sich brachten, weil ich mittlerweile auch keinen Bock mehr hatte, auf der Flucht zu sein, mich verstecken zu müssen. Das war mir auf der Fahrt klar geworden. „Der hat sich irgendwann zwischen dem Lesen deines Briefes und der Fahrt hier her verabschiedet“ erwiderte ich und blickte ihn nun wieder an. Der Grauhaarige beugte sich in meine Richtung vor, seine Finger fuhren über meinen Oberschenkel, dann zum Knie, wo sie verharrten. Je intensiver die Nähe zwischen uns wurde, desto heftiger pumpte mein Herz Blut durch meine Adern. Mein Atem beschleunigte sich zudem. Das war doch zum Verrücktwerden! Wie konnte es sein, dass er nach so vielen Jahren noch immer eine derartige Wirkung auf mich hatte? Gins Lippen streiften die meinigen, eine flüchtige, hauchzarte Berührung, ehe sie zu meinem Ohr weiterwanderten. „Wie schade. Immerhin habe ich deinen Kampfgeist einstmals sehr geschätzt. Ach übrigens – blond steht dir nicht“ hauchte er, wollte sich schon zurückziehen, allerdings war das gerade nicht das, was ich wollte. Ohne zu zögern legte ich die Hände an Gins Wangen, küsste ihn dann im Wissen, dass es der letzte meines Lebens sein würde. Normalerweise hatte ich ihm die Führung überlassen, doch nun ging das eben nicht. Ich blickte ihm in die Augen und durfte zum ersten Mal so etwas wie einen Funken des Erstaunens in den grünen Iriden entdecken. Schließlich lösten sich unsere Lippen voneinander, ich ließ die Hände sinken und wich minimal zurück, sah ihn allerdings noch immer unverwandt an. Es gab nur noch eines, das gesagt werden musste. Ein einziges Mal wollte ich ihm sagen, was ich fühlte, auch wenn mir klar war, dass es ihn wohl nicht interessieren würde. Schließlich bewegten sich meine Lippen, um die Worte auszusprechen. „ich liebe dich“ Zunächst einmal tat sich gar nichts. In Gedanken hatte ich mir so viele Möglichkeiten ausgemalt, wie er reagieren könnte, aber nichts, gar nichts. Keine einzige Reaktion. Er sagte nichts, wurde nicht offensichtlich wütend, strafte mich nicht mit Verachtung oder Hass. Wie viel Zeit vergangen war, konnte ich nicht sagen, meine Gedanken drehten sich immerzu im Kreis. Schließlich erhob sich Gin so überraschend, dass ich erschrak. Wie so oft fixierte er mich mit seinen grünen Augen, denen ich wie üblich nur Kälte entnehmen konnte. „Gefühle sind lediglich Schwäche. Das FBI hat dich verweichlicht Brandy – und nun steh auf!“ Er klang nicht einmal sonderlich aufgebracht, sondern gänzlich ruhig. Letzteres war ein klarer Befehl, dem ich Folge leistete. Natürlich waren Gefühle für jemanden wie ihn oder mich Schwäche, vor allem wenn es sich um Mitleid oder Skrupel handelte. Trotzdem konnte ich mich mancher davon nicht verwehren, wollte das auch gar nicht. Gin trat in die Mitte des Raumes, etwa dreißig Meter von mir entfernt. Abwartend sah ich zu meinem einstigen Vorgesetzten. Was da wohl noch kommen würde? Waren das die letzten Sekunden in meinem Leben? „Nun nimm deine Waffe, zeige mir noch einmal, was du alles von mir gelernt hast. Beweise mir, dass du deinen Namen zurecht trägst Brandy. Nachdem ich bis drei gezählt habe, werden wir beide versuchen den anderen zu erschießen Ich werde ganz sicher nicht verfehlen“ Ein Grinsen machte sich nun wieder auf seinen Lippen breit. Das war also sein Plan. Ein Duell auf Leben und Tod – und der meinige war bereits besiegelt. Ohne es wirklich wahrzunehmen beobachtete ich, wie er die Beretta aus der Innentasche seines Mantels zog. Eine M9, das gleiche Modell wie auch ich sie führte. Ich griff nach meiner Waffe zog sie ebenfalls hervor und richtete sie auf mein Gegenüber. Ich wollte ihn nicht abknallen, aber trotzdem erwachte in meinem Innern nun wieder der Drang, mich meinem einstigen Lehrer zu beweisen. Die Welt fühlte sich wie in Watte gepackt an, während ich mich nun noch auf mein Ziel konzentrierte – das ich eigentlich gar nicht treffen wollte. Aber mehr Zeit darüber nachzudenken blieb mir gar nicht. Schon verließ die Zahl Drei Gins Mund, kam in meinem Ohren an. Wo waren Eins und Zwei gewesen? Ich hatte es nicht einmal mitbekommen. Automatisch betätigte mein Finger den Abzug, wie er es schon so viele Male getan hatte. Gezielt hatte ich nicht sonderlich, hatte ich eigentlich noch nie wirklich, wenn ich nicht mit einem Gewehr schoss. Die Kugel verließ den Lauf meiner geliebten Waffe – und dann passierten zwei Dinge gleichzeitig. Zum einen sah ich, wie Gin fiel und zum anderen spürte ich einen sengenden Schmerz, irgendwo im Bereich meines Oberkörpers. Nur wenige Sekunden später, wurde die Welt schwarz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)