Bird On A Wire von yezz ================================================================================ Kapitel 83: Auf nach Hasetsu ---------------------------- Schnee. Schnee soweit das Auge reicht. Das Wetter außerhalb ihres Autos erinnerte ihn an Moskau und St. Petersburg. An die Zeit, die er mit seinen Eltern gehabt hatte. Nicht, dass sie jemals ein so neues Auto besessen hätten. Victor erinnerte sich an den alten, rostzerfressenen Lada Nova seiner Eltern. Das erste Auto, an das er sich erinnern konnte. Es war schon alt gewesen, als sie ihn bekommen hatten. Zum Schluss hatten sie einen Saporoshez SAS-968M aus dem Jahre 1980. Diese Autos waren damals schon bekannt dafür gewesen, einfach nur günstig zu sein. Victors Eltern hatten fast alles, was sie an Geld verdienten, in sein Hobby gesteckt. Ermöglicht, dass er gute Schlittschuhe hatte und schöne Kostüme. #Anfang | Am Ende hätte ein neueres Auto ihnen vielleicht das Leben gerettet. Oder einfach die Tatsache, dass sich Menschen, die trinken, sich einfach verdammt noch mal nicht mehr hinter ein Lenkrad setzen. Sie hatten keine Chance, dem Auto auszuweichen, das viel zu schnell plötzlich quer über die Straße geschossen kam. Der betagte Kleinwagen war kein Gegner für den nagelneuen Geländewagen. Das Leben war unfair, denn dieses betrunkene Arschloch war nur leicht verletzt worden, während seine Eltern sofort tot waren. Er selbst war gerade beim Training gewesen, das hatte ihm das Leben gerettet. Und auch danach hatte das Eiskunstlaufen sein Leben gerettet. Den Fahrer hatte keiner belangt. Das Ganze wurde unter den Teppich gekehrt, weil er die richtigen Leute kannte. ‚Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht‘ sagte einst Abraham Lincoln. Er hatte recht, denn meistens entpuppten sich diese Menschen dann als gewissenlose Arschlöcher. Kurze Zeit später wurde er, trauernd und verstört, in einen Flieger gesetzt. Als sein Onkel Yakov davon mit Verspätung gehörte hatte, stieg er sofort in einen Flieger, der ihn zum Flughafen von Victors erster Zwischenlandung brachte und hat ihn den Rest der Reise begleitet. Das war das zweite Mal gewesen, dass er Yakov getroffen hatte. Doch seitdem sah er seinen Onkel als Verbündeten, als sein Fels in der Brandung und vielleicht sogar als Vaterfigur. Daher war es für ihn nur logisch, wenn auch schmerzhaft, dass er Yakovs unausgesprochene Bitte gefolgt war und in seine Fußstapfen trat. Das und die Tatsache, dass er so zumindest Yurio das Eiskunstlaufen ermöglichen konnte. Er hatte möglicherweise sogar mehr Talent als er. | #Ende „Alles in Ordnung, Vitya?“, riss ihn Yūris Stimme aus seinen düsterwerdenden Gedanken. Victor musste ein paar Mal blinzeln, um sich gedanklich zurück in die Gegenwart, zurück nach Japan zu bringen. „Ich…“, begann er und merkte, wie belegt seine Stimme war und räusperte sich. „Ich musste gerade an die Zeit mit meinen Eltern in Russland denken. Der ganze Schnee erinnert mich ein bisschen daran.“ Yūri warf ihm einen kurzen Blick zu, das merkte Victor. Doch er hielt den Blick weiter geradeaus auf die Straße gerichtet. Vielleicht war er ein Feigling, weil er immer noch nicht darüber mit Yūri gesprochen hatte. Er wusste, dass er es ihm irgendwann erählen musste. Nicht nur ‘musste’, er wollte es ihm erzählen. Doch ihre gemeinsame Japanreise war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Ganz sicher würde er Yūri damit nicht die Laune verderben. Victor bemerkte die Stille zwischen ihnen und seufzte. „Ist so viel Schnee normal für Japan?“, fragte er in der Absicht, das Thema zu ändern. Er bemerkte, dass sie die dünner besiedelte Gegend hinter Fukuoka hinter sich gelassen hatten und wieder eine Stadt durchfuhren. „Nein. Gerade in meiner Heimat ist es eigentlich etwas milder. Klar, es schneit auch mal. Aber diese Massen gibt es selten. Dafür musst du schon nach Honshū, da haben wir das Hida-, Kiso- und das Akaishi-Gebirge. Ich habe mal gelesen, dass es dort pro Winter über 30 Meter Neuschnee gibt. Es gibt da sogar eine Bergroute, die Tateyama Kurobe Alpine Route mit 20 Meter hohen Schneewänden. Wir nennen sie 雪の大谷*. Also Schneewände, nicht die Route“, erklärte Yūri mit einem Lächeln. Während Yūri erklärt hatte, konnte Victor doch nicht anders, als Yūri anzuschauen. Wie sich ein kleines, verträumtes Lächeln um Yūris Mund gelegt hatte, vertrieb die Kälte aus Victors Herzen. „Es hört sich schön an, wenn du japanisch redest. Du klingst dabei entspannt und natürlich“, stellte Victor fest. Yūris Lächeln wurde eine Spur breiter. „Könnte daran liegen, dass ich Japaner bin“, gab er zurück, worauf Victor mit den Augen rollte. „残りの人生をあなたと一緒に過ごしたいです。愛してます。*²“, sagte Yūri. Wieder blinzelte Victor aufgrund der plötzlichen Wortflut. „Und was hast du gerade gesagt?“, fragte er nach einem Moment. „Dass ich dich liebe“, sagte Yūri mit einem Grinsen und warf ihm einen kurzen Blick zu. „Das kam mir etwas viel für ein ‚Ich liebe dich‘ vor“, bemerkte Victor mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wir Japaner sind halt ein sehr poetisches Volk“, gab Yūri zurück und verkniff sich sichtlich das Lachen. „Warum habe ich das Gefühl, dass du mir nicht die Wahrheit sagst?“, schnaubte Victor. „Oh schau mal, Vitya. Wir fahren jetzt über die Ikedamiyazono-Brücke. Wer in der Gegend wohnt, fährt zum Hanami hierher. Die Gegend ist zwar nicht unbedingt eine Augenweide, aber der Flusslauf mit den Steinen ist ein beliebtes Motiv. Vor allem, wenn die Kirschblüten auf der Wasseroberfläche schwimmen“, erklärte Yūri. Victor schaute sich um. Tatsächlich war die Gegend jetzt nicht besonders schön, aber er konnte die Bäume und auch die Steine im Fluss erkennen. Er konnte durchaus nachvollziehen, dass das mit der richtigen Perspektive ein schöner Anblick war. „Versuchst du etwa abzulenken?“, fragte Victor, nachdem er die Gegend betrachtet hatte. „Ja, stimmt. Du hast völlig recht. Nur deswegen bin ich gerade über die Brücke gefahren. Eigentlich fahren wir gerade in die völlig falsche Richtung.“ Yūris Grinsen sagte Victor, dass er ihn aufzog. Doch dann fügte Yūri noch hinzu: „Eigentlich nicht. Es ist nichts, was du nicht schon weißt. Allerdings möchte ich dich das nächste Mal dabei angucken, wenn ich es sage.“ Das half jetzt nun mal gar nicht Victors Neugierde zu befriedigen. Er bemerkte ein aufgeregtes Kribbeln in seinem Körper. Das hatte gar nichts mehr mit den düsteren Gedanken vom Anfang ihrer Fahrt oder sogar der Nervosität und Übelkeit zu tun, die er bei dem Gedanken empfand, dass er in gut 45 Minuten Yūris Familie kennenlernen würde. Oh Mist. Er versuchte die aufwallenden Gefühle damit niederzukämpfen, indem er tief durch die Nase einatmete und durch den Mund wieder ausatmete. Natürlich merkte Yūri, dass mit Victor etwas nicht stimmte. Im Flughafen war er sich sicher gewesen, dass er so etwas wie Unruhe bei seinem Partner festgestellt hatte. Während ihrer Fahrt durch Fukuoka, hatte er fast zusehen können, wie sich sein Gesicht verdüstert hatte. Yūri konnte sich die grobe Richtung denken, aber für die Details hätte er raten müssen. Aber er wollte nicht einfach irgendetwas vermuten. Und auch, wenn dieses Geheimnis eine Art Wand zwischen ihnen darstellte, versuchte sich Yūri in Erinnerung zu rufen, dass sie immerhin noch nicht so lange zusammen waren, dass sie jedes Detail ihres Lebens vor dem anderen ausbreiteten. Sie kamen in die Richtung, ja. Yūri war sich auch sicher, dass sie diesen Punkt noch erreichen würden, aber jetzt war nicht der richtige Augenblick dafür. Denn wenn Victor bereit war, über tiefschürfende Dinge aus seinem Leben zu reden – was er ja durchaus auch schon getan hatte – wollte Yūri, dass er auch die nötige Aufmerksamkeit dafür aufbringen konnte. Wenn er aber gleichzeitig durch dichter werdendes Schneetreiben navigieren musste, war das eben nicht so wirklich drin. Mittlerweile sah er hier und dort Autos am Straßenrand. Hier und da war offensichtlich, dass es wegen dem Wetter nicht mehr weiterging. Vor seiner Zeit in Detroit hätte Yūri vermutlich das Auto auch lieber abgestellt. Aber nach dem ein oder anderen Schneesturm, die die Stadt ab und zu vor allem im Januar heimsuchten, war er ein besserer Fahrer im Schnee geworden. Vor allem, wenn er den Luxus eines Autos mit Gangschaltung genießen durfte. „Wir haben die größeren Städte erst einmal hinter und gelassen. Jetzt kommt eine eher ländlichere Gegend. Ich hoffe, die Straßen sind halbwegs frei“, meinte er Victor. Er brauchte ihm nicht erklären, dass Regionen die Schneemassen nicht so gewohnt sind, mit solch einem Wetter eher zu kämpfen haben als Regionen, in denen solch ein Wetter ganz normal ist. Wäre das Wetter ein wenig besser, hätte Yūri ein paar Zwischenstopps eingelegt. Doch im Moment war er froh, dass er noch fahren konnte. Wer wusste schon, wie es ein paar Stunden später aussehen würde. Auch in Japan gab es Idioten auf der Straße, die sich überschätzten. Außerdem war für den Rest des Tages weiterhin Schneefall vorhergesagt. Die knapp 2 Stunden Autofahrt vom Flughafen Fukuoka bis nach Hause würden schon spannend genug werden. Mittlerweile ärgerte er sich, dass sie nicht doch mit der Bahn gefahren waren. Er hatte gedacht, so könne er Victor noch auf der Fahrt ein bisschen was von seiner Heimat zeigen. Aber so hatte er ihnen nur zusätzlich Probleme verursacht. Immerhin war das Bahnnetz auch nach Hasetsu gut ausgebaut. Kein Vergleich zu dem Bahnnetz in Amerika. „Sollen wir irgendwo halten und einen Kaffee oder so besorgen?“, fragte Yūri, nur um die Stille zu vertreiben. Sie war zwar nicht unbedingt unangenehm, aber er wollte jetzt nicht seinen eigenen Gedanken nachhängen. „Oh! Warte“, er hörte auf einmal die Aufregung in Victors Stimme und musste gegen den Drang ankämpfen, sich nach ihm umzudrehen. „Ich hatte so oft davon gehört und war neugierig“, begann Victor zu erzählen, während er in seinem Rucksack wühlte. „Diese Kaffees, die sich selbst erwärmen, wenn man sie aufmacht…“, murmelte er mehr zur Tasche, als zu Yūri. Doch der konnte es trotzdem verstehen und grinste. Yūri kannte diese Kaffeedosen und er kannte Victor. Allerdings war er auch neugierig, wie er diesen Kaffee mittlerweile finden würde, war er doch nun auch anderen Kaffee gewohnt. Wobei er zugeben musste, dass der amerikanische Kaffee teilweise doch echt wässrig war. Er erinnerte sich an den Scherz von 3 Briten, die behaupteten, amerikanischen Kaffee zu brauen und währenddessen ein Stückchen Kaffeebohne abgeschnitten und ins heiße Wasser geworfen hatten. Er hörte, wie Victor die erste Dose öffnete. „Hast du zwei Mal die gleiche Sorte geholt?“, fragte Yūri. „Sie hatten nur noch diese“, gab Victor zurück und reichte ihm die offene Dose, die sich schon warm in seiner Hand anfühlte. Ein kurzer Blick auf die Dose verriet ihm, dass er zumindest nicht die ganz fiese Variante abgestaubt hatte. Er nahm vorsichtig einen Schluck und stellte fest, dass der Kaffee jetzt gar nicht so schlecht war. Doch Victors Grunzen zeigte ihm, dass er anderer Meinung war. „Also diese selbst erhitzende Sache ist ja schon cool. Aber am Geschmack müssten die noch arbeiten“, schnaubte er. „Ich find ihn gar nicht so schlecht. Habe schon schlechtere Kaffees in einem Diner getrunken“, gab Yūri zurück. „Es gibt auch sehr wenige Diner, in denen man guten Kaffee trinken kann“, gab Victor verächtlich zurück. „Man möchte zwar meinen, die sollten das können, aber wenn sie den auf Vorrat kochen und nur warmhalten, wird es nach 2 oder 3 Stunden ekelhaft.“ Dem konnte Yūri nur zustimmen. „Hast du schon mal Kaffee von der Rösterei getrunken, die Anfang des Jahres ein paar Blocks weiter geöffnet hat?“, fragte Yūri. Er hatte sich das einmal vorgenommen, aber als er dann die Kilopreise gesehen hatte, hatte er sich das anders überlegt. Er war zwar wirklich dafür, lokale Anbieter zu stärken, aber bei um die 30 Dollar das Kilo hörte bei ihm der Spaß auf. Sie selbst kauften dann meist den günstigsten Kaffee im Walmart oder wo auch immer sie gerade ihren Einkauf erledigten. Wenn löslicher Kaffee oder Cappuccino im Angebot war, holten sie auch manchmal den. Yūri erinnerte sich mit grauen an einen sehr künstlich schmeckenden Caramel-Pecan-Cappuchino. „Ja, natürlich. Du auch schon. Ich kaufe nur noch da. Ich habe mich durch das ganze Sortiment probiert und hole einen namens ‚Tunki‘. Das ist ein Projektkaffee aus Peru. Er wird in kleinen Familienplantagen von den Quechua und Aymara angebaut. Das sind indigene Völker, die aus der Gegend stammen. Er wird direkt gehandelt, sodass sie auch tatsächlich mehr Gewinn aus dem Anbau erzielen und seit 2010 erhält er regelmäßig Bestnoten und gehört zu den besten Kaffees“, erklärte Victor mit Enthusiasmus. Eigentlich hätte das Yūri klar sein müssen. Wobei er es Victor auch zugetraut hätte, dass er diesen völlig abgefahrenen Kaffee trinken würde, den diese Katzenaffen erst essen und dann wieder ausscheiden. Alleine den Gedanken fand Yūri befremdlich. Dafür dann auch noch 100 Dollar oder mehr zu zahlen… Auf was für Ideen Menschen kamen, wenn sie nur genug Geld hatten. Einmal mehr war er überrascht, wie einfach er mit Yūri reden konnte. Ihr Gespräch fing mit Kaffee an, ging dann über zu Kopi Luwak, dem halb verdauten Kaffee von Schleichkatzen über deren furchtbare Behandlung, um eben jenen Kaffee zu ‚ernten‘. Dann generell zu Nutztierhaltung und dann auf eines seiner Lieblingsthemen: Makkachin. Victor erzählte gerade von einer seiner Lieblingserinnerungen, als Makkachin im Welpenalter Yakov den Hut geklaut und vollkommen zerfetzt hatte, sodass sie im Haus seiner Tante noch Wochen später Hutfetzen gefunden hatten – was allerdings auch dazu geführt hatte, dass seine Tante Makkachin nicht mehr im Haus hatte haben wollen und er daher seitdem gezwungen war, ihn bei Aida und Katya zu lassen – als Yūri ihn plötzlich unterbrach: „Wir sind da. Da vorne ist Hasetsu!“ Victor hatte genau die Freude in Yūris Stimme hören können und auch wenn er immer noch furchtbar nervös war, war Yūris Freude einfach ansteckend. Außerdem bot Hasetsu einen tollen Anblick. Ein altes Schloss schien schon fast über der Stadt zu thronen und Victor war bereits jetzt schon neugierig darauf, Details zu all diesen besonderen Orten dieser Stadt zu erfahren. Wo hat sich Yūri in seiner Jugend die Zeit vertrieben? Wo war die Eiskunsthalle? Wie war das Meer und gab es einen Sandstrand? Bei diesem Gedanken vermisste er Makkachin. Makkachin liebte Strände. Ob er ihn irgendwann einmal mit nach Japan bringen kann? Vielleicht, wenn sie mal einen ausgedehnten ‚Heimatbesuch‘ für Yūri machten? Durfte er solche Gedanken überhaupt schon haben, wenn sie noch nicht einmal ein Jahr lang zusammen waren? Gerade diese Fragen versuchte Victor immer ganz schnell wegzuschieben. Denn manchmal fand er es beängstigend, wie sehr er sich schon an ein Leben mit Yūri gewöhnt hatte und wie natürlich es sich anfühlte, sich eine Zukunft mit ihm vorzustellen. Sein Herz klopfte bis zum Hals, als sie schließlich auf einen Hof fuhren und auf dem notdürftig geräumten Parkplatz ihr Auto abstellten. „Lass uns die Koffer später reinholen“, schlug Yūri fort, nahm seine Hand und zog ihn direkt in das Gebäude. Sie hatten kaum ihre Schuhe ausgezogen, da kam ihnen eine Frau entgegen gelaufen, die Yūri verdächtig ähnlich war. Victor wurde es heiß und kalt, doch das Lächeln, das er Yūris Mutter Hiroko schenkte, war ehrlich. Mit gebrochenem Englisch und leuchtenden Augen hieß sie ihn willkommen, als er sich etwas unbeholfen zur Begrüßung verbeugte. Mit einem strahlenden Lächeln sprach sie schnell auf Yūri ein und knuffte ihm mit den Ellbogen kurz in die Rippen. Yūri machte daraufhin einen etwas entrüsteten Laut. Während sich Victor noch fragte, was sie gesagt haben könnte, wurde Yūri knallrot und Hirokos Augen wanderten noch einmal kurz zu Victor, ihr Blick aufmerksam und neugierig. Oh. Könnte es sein, dass sie über ihn geredet hatten? Einmal mehr wünschte er sich, dass er die App zum Japanisch lernen, die er heruntergeladen hatte, nachdem er den Flug gebucht hatte, mehr benutzt hätte. Als sie weiter in das Gasthaus der Katsukis hineingingen, erschienen zwei weitere Personen, von denen Victor annahm, dass sie Toshiya, Yūris Vater, und Mari, seine Schwester waren. Ihre Ähnlichkeit war nicht so offenkundig, wie die zwischen Yūri und seiner Mutter. Mari erinnerte Victor mit ihrer etwas schroffen Art sogar ein wenig an Yurio. Sie beäugte ihn kritisch von oben bis unten, als wäre sie bereit, ihn jeden Moment mit einem Arschtritt vor die Tür zu setzen. Er wusste, dass er sich lächerlich machen würde, versuchte es aber trotzdem mit seiner mühsam einstudierten Grußformel und Vorstellung. Auch wenn er sich bis auf die Knochen blamieren würde, könnte er zumindest so ein wenig das Eis brechen. Zu seiner Überraschung war es Yūri, der losprustete. Entsetzt guckte er Yūri an, dessen Vater scheinbar tadelnd auf ihn einsprach. „War das so schlecht? Bitte sag mir, dass ich nicht gerade ausversehen jemanden beleidigt habe!“, alleine der Gedanke sorgte für blankes Entsetzen bei Victor. Yūri musste immer noch über Victor schmunzeln, als sie ihre Koffer in Yūris altes Zimmer brachten. Seine Eltern hatten es zwischenzeitlich auch zu einem Gästezimmer umgebaut. Yūri hatte damals darauf bestanden, als er nach Amerika ist. Doch er musste feststellen, dass jemand – vermutlich seine Mutter – einen Karton mit alten Habseligkeiten in die Ecke gestellt hat und ein paar seiner alten Sachen in dem Raum verteilt hatte. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mich nicht einfach gebeten hast, mit dir zu üben“, er drehte sich zu Victor um, der immer noch an der Tür stand und seinen Blick durch den Raum gleiten ließ. „Ehrlich gesagt, ist mir der Gedanke gar nicht gekommen“, gestand er und verzog ein wenig den Mund. „Es hat aber definitiv das Eis gebrochen“, lachte Yūri. Natürlich hatte Victor niemanden beleidigt. Es war nur sehr steif gewesen, ziemlich altbacken und mit jede Menge Akzent garniert. Urkomisch und auch irgendwie unglaublich süß. Hätte Victor nicht schon längst sein Herz gewonnen, es wäre jetzt soweit gewesen. Doch Yūri entging Victors kritischer Blick nicht. „Was ist los, Vitya?“, fragte er besorgt und runzelte die Stirn. „Die Wände sind ganz schön dünn, oder?“ Er klang besorgt und vielleicht sogar enttäuscht? Kurz fragte sich Yūri, warum. Doch als ihm der Grund in den Sinn kam, schoss ihm sofort die Hitze ins Gesicht. Er hat überhaupt nicht daran gedacht, dass sie hier… in seinen alten Zimmer… wenn seine Eltern nur ein paar Räume weiter… Er erinnerte sich an die Nachricht seiner Schwester vor ein paar Tagen, dass nicht viele Gäste während ihres Aufenthalts da sein würden und sie alle in Zimmern auf der anderen Seite des Hauses einquartiert hatte. Mit einem Zwinkersmiley. Wie peinlich ihm das gewesen war und wie peinlich ihm gerade diese Situation war. Er wollte zu einer Antwort ansetzen, doch Victor kam ihm mit einem kleinen Grinsen zuvor: „Dann musst du wohl versuchen, leiser zu sein.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)