Bird On A Wire von yezz ================================================================================ Kapitel 74: Ab ins Wochenende ----------------------------- Die restliche Woche ging für Yūri wie im Flug vorbei. Ehe er es wirklich realisieren konnte, stand er mit seinem Koffer vor der Haustür und wartete auf Victor. Es war ein ungemütlicher Dezembertag gewesen. Grau, feucht und kalt. Einer dieser Tage, an denen man am liebsten gar nicht aufstand, geschweige denn, vor die Tür ging. Doch Yūri war diesen Morgen mit so viel Elan angegangen, dass er sich selbst ein wenig fremd gewesen war. Nach erledigter Arbeit war er dann schnell zurückgefahren und hatte den Rest seiner Sachen für ihr Wellness-Wochenende eingepackt. Dabei war er abwechselnd furchtbar nervös und unglaublich gespannt gewesen. Er zog seine Winterjacke fester um den Körper und blickte noch einmal auf sein Handy. Er hatte in der Nachrichtengruppe von seinen Freunden gebeten, dass sich jemand um Phichits Hamster kümmern würde. Natürlich hatten sie sich dazu bereit erklärt, wobei Yūri nicht sicher war, ob seine Bitte oder Phichits Todesdrohungen, falls sie es nicht machen würden, dazu geführt hatte. Wichtig war aber auch nur, dass sich einer von ihnen um sie kümmerte. Einen Ersatzschlüssel hatten sie ja so oder so schon seit langem. Erst hatte Yūri noch überlegt, ihnen Getränke und Snacks bereitzustellen. Allerdings hatte er das ziemlich schnell verworfen, denn so, wie er die Chaoten kannte, wäre das dann schnell in einer spontanen Hausparty zwischen den Dreien ausgeartet. Und das Letzte, was Yūri im Moment brauchen konnte war, dass die alte zeternde Nachbarin wirklich einen Grund zum Meckern hatte. Nicht, wenn Phichit nicht da war, denn verzieh sie seltsamerweise alles. Aus diesem Grund hatte er dann auch kurzerhand beschlossen, auch noch ihre Konsole wegzupacken. Ja, vielleicht war das ein wenig gemein von ihm. Doch er kannte seine Freunde. Natürlich – es waren ja immerhin schon einige Jahre seine Freunde. Sie waren manchmal eben Kindsköpfe, vor allem, wenn Alkohol mit im Spiel war. Sie meinten es nicht böse, ganz im Gegenteil, aber oftmals lief es einfach aus dem Ruder. Wie das eine Mal, als JJ betrunken 2 Großpackungen Kondome gekauft hatte und der Meinung gewesen war, ihnen mit einer Banane vorzuführen, wie man kunstvoll Kondome überstreifen könne. Wobei sich Yūri im Nachhinein ärgerte, nicht besser aufgepasst zu haben, als es darum ging, ein Kondom mit dem Mund überzustreifen… Jedenfalls waren sie am nächsten Morgen in einem Raum mit 80 aufgeblasenen Kondomen wach geworden. Der Raum hatte 2 Tage lang nach Latex gestunken und noch 2 Wochen später hatte er klebrige Stellen vom eingetrockneten Gleitgel auf Boden, Möbel oder an der Wand entdeckt. Dass diese Mistdinger aber auch immer damit zugekleistert waren… Nicht unbedingt eine seiner liebsten Erinnerungen. Das Knallen einer Autotür riss ihn aus den Gedanken an vergangene Tage und als er aufblickte, sah er auch schon Victor näherkommen. Er hatte die Augenbrauen besorgt zusammengezogen und sah ihn forschend an. „Alles in Ordnung, Любимый?“, fragte er. „Ja, ich war in Gedanken und habe dich nicht kommen hören. Das ist aber auch echt eine Sache bei Elektroautos“, musste Yūri lachen. Er hatte den Eindruck, Victor musterte ihn noch für einen kurzen Augenblick, als würde er überprüfen wollen, dass er auch wirklich die Wahrheit sagte. Doch dann nickte er mit einem kleinen schiefen Grinsen und hob dann Yūris Tasche vom Bürgersteig auf. „Vitya… du musst nicht-“, begann er, doch Victor winkte direkt ab. „Ich habe dir das Wochenende geschenkt, weil ich dich mal richtig verwöhnen wollte. Und das beginnt schon mit der Fahrt“, erklärte Victor ihn mit erhobenem Zeigefinger seiner freien Hand, bevor er zum Kofferraum seines Autos ging. Yūri seufzte. „‘So richtig verwöhnen‘?“, fragte er dann mit hochgezogenen Augenbrauen, fuhr dann aber fort, bevor Victor antworten konnte: „Heißt das, du hast mich bisher noch nicht ‚richtig verwöhnt‘.“ Sein Ton war neckend, doch er befürchtete, dass Victor dieses Wochenende maßlos übertreiben würde. Victor kam grinsend auf ihn zu und beugte sich soweit hinunter, dass sich ihre Nasenspitzen berührten. „Ich verwöhne eben gerne den Mann meiner Träume“, sagte er gut gelaunt, bevor er Yūri küsste. Die Fahrt zum Hotel war recht still gewesen. Doch es war keines dieser unheilvollen, unangenehmen Stillschweigen gewesen. Es war viel mehr eine angenehme, entspannte und vertraute Atmosphäre gewesen. Sie genossen beide die Anwesenheit des Anderen, ohne dass viele Worte nötig gewesen wären. Hier und da machte Yūri ihn auf mögliche Gefahren aufmerksam, wie zum Beispiel der stark schwankende LKW oder der Idiot, der ohne zu blinken die Spur wechselte. Mehrfach. Ohne zu gucken. Es war schwierig für Victor gewesen, da nicht zu schimpfen wie ein Rohrspatz. Nicht zum ersten Mal hatte er sich gewünscht, dass der Straßenverkehr mehr was von Mario Kart hätte. So ein kleines Bömbchen würde ihm bei solchen fahrenden Vollspaten wirklich gefallen. Allerdings wusste er von seinen wenigen Runden mit Yurio, dass er im Gegensatz zum wirklichen Straßenverkehr bei Mario Kart eine echte Niete war. Wobei es ihm wie die Ironie des Schicksals vorkam, dass er diese Gedanken hegte, während er mit eben diesem Mann im Auto saß, dem er vor knapp 4 Monaten ins Auto gekracht war. Ok, auch das war übertrieben, aber so war er nun mal. Da er allerdings mitbekommen hatte, wie viel die Stadt für die Instandsetzung der Poller seiner Versicherung in Rechnung gestellt hatte, war er sich sicher, dass zumindest denen ein weiteres kaputtes Fahrzeug lieber gewesen wäre. Auch beim Einchecken hatten sie nur interessierte, neugierige Blicke geerntet, keine feindselige oder ablehnende. Victor hatte irgendwo mal gehört, dass manche Hotels schwule Pärchen nach Möglichkeit ablehnten. Natürlich offiziell aus ganz anderen Gründen. Mittlerweile hatte Victor so viele vollkommen gegenteilige Reaktionen erlebt, dass ihm manchmal ganz schwindelig davon geworden war. Selbst in seiner eigenen Familie: Eine völlig ablehnende Tante, einen total gleichgültigen Bruder und einen in jeder Art unterstützenden Onkel. Und einen ignorierenden Onkel. Der Mann seiner Tante ignorierte einfach alles, was zu mühselig sein könnte oder ihm potentiell Ärger mit seiner Ehefrau einbringen könnte. Er bezog höchstens einmal bei einer Diskussion über das Wetter klar Stellung. Victor seufzte innerlich, als er vor der Tür zum Hotelzimmer stand. Er hatte schon die Hand mit der Schlüsselkarte gehoben, als er sich zu Yūri umdrehte und sich mit einem Lächeln auf die Gegenwart konzentrierte. „Möchtest du?“, fragte er. Yūri blickte ihn blinzelnd an, als würde er seine Frage nicht verstehen. Doch dann nickte er. Victor streckte ihm die Karte entgegen und machte einen Schritt zur Seite, blieb aber in seiner Nähe, um Yuris Reaktion genau mitbekommen zu können. Yūri öffnete die Tür des unscheinbaren Zimmers und blickte hinein. „Vitya…“, hörte er dann leise, wusste Yūris Tonlage aber nicht ganz zu deuten. „Ja, Любимый?“, fragte er daher ein wenig zögernd. „Du sagtest, du hättest ein Hotelzimmer reserviert. Das hier ist eine Suite“, seufzte Yūri. Inzwischen war Victor der Meinung, Belustigung sowie Resignation in Yūris Stimme zu hören. „Die Studio Suite, um genau zu sein“, erklärte er schulterzuckend. „Aber das war nicht das, was wir abgemacht haben“, Yūri schaute ihn ernst und auch eine Spur fassungslos an. „Aber das ist doch ein Hotelzimmer!“, erwiderte Victor so unschuldig, wie er konnte. Doch auch ohne sich in einem Spiegel zu sehen, wusste er, dass seine Mundwinkel verräterisch zuckten. „Ich habe doch gesagt, ich möchte dich verwöhnen. Also lass dich auch bitte verwöhnen, sonst muss ich mir dich eben gefesselt und geknebelt über die Schulter werfen und in den Spa-Bereich zwingen“, grinste er. Yūri schien etwas antworten zu wollen, aber man sah förmlich, dass ihm kein passender Konter einfiel. Victor war so verzückt von dem Anblick, dass er fast vor Schreck zusammenfuhr, als sich jemand hinter ihnen räusperte. „Ihr Gepäck, meine Herren.“ Yūri blinzelte noch ein paar Mal, ging dann aber vorsichtig in das ‚Hotelzimmer‘ hinein. Eigentlich hätte er sich das denken müssen und er hätte sich innerlich ohrfeigen können, dass er Victor nicht kontrolliert hat. Er ahnte bereits Böses. Halbwegs geduldig wartete er ab, bis der Concierge wieder den Rückzug angetreten hatte. Natürlich erst, nachdem er sich versichert hatte, dass sie nichts mehr benötigen. „Was für Überraschungen erwarten mich noch?“, fragte er, sobald die Tür wieder geschlossen war. Er hoffte, dass seine Stimme ausdrückte, dass er das Wort ‚Überraschung‘ nicht unbedingt positiv meinte. Victor hatte wieder diesen übertriebenen unschuldigen Blick aufgesetzt, als er antwortete: „Was meinst du damit, Любимый?“ Yūri seufzte und fuhr sich kurz durch die Haare. „Ich meine noch etwas Übertriebenes“, damit deutete er auf das Zimmer und die Flasche Champagner in einer Kühlschale voller Eis, auf dem großen Couchtisch vor dem großen LED-TV an der Wand. Yūri schätzte den Fernseher mindestens 55 Zoll. „Was davon ist denn so übertrieben?“, Victor schien seine unschuldige Haltung noch nicht aufgeben zu wollen. „Och, ich weiß nicht… Vielleicht, dass wir in Niagara-on-the-falls, in Kanada, sind? Dass wir ihm 124 Queens sind, einem 5-Sterne-Hotel? Dass du eine Suite, statt einem Hotelzimmer, gebucht hast? Dass der Champagner auf dem Tisch bestimmt mindestens 300 Dollar kostet…?“, Yūri wusste nicht, wo er anfangen und aufhören sollte. „100“, antwortete Victor. „Was?“, fragte Yūri verwirrt. „Die Flasche kostet knapp 100 Dollar. Ist aber ein Geschenk des Hauses“, Victor zwinkerte und grinste übermütig. Yūri atmete tief durch und schüttelte dann nur den Kopf. Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. „Vitya, das ist zu viel“, beharrte er aber dennoch und ging zu ihm herüber. Sofort schlang Victor seine Arme um ihn. „Gefällt es dir denn, Любимый?“, fragte dieser leise als er seinen Kopf auf Yūris Schulter legte. „Es ist unglaublich! Ich meine…“, er deutete fassungslos mit einer Hand wieder in den Raum hinein. Seine andere Hand lag auf Victors Schulter. „Dann ist doch alles gut“, auch ohne es zu sehen, wusste Yūri, dass Victor dabei lächelte. „Aber das muss doch alles ein Vermögen gekostet haben“, seufzte Yūri wieder. Natürlich gefiel es ihm und er würde einen Teufel tun, diesen Urlaub nicht zu genießen. Aber dennoch fühlte er sich schlecht. Zum einen war ein solches Geschenk vermutlich auf Ewigkeiten außerhalb seines Budgets und er würde sich daher niemals bei Victor revanchieren können. Zum anderen hatte er nicht wirklich das Gefühl, ein solches Geschenk verdient zu haben. Er spürte, wie sich Victor ein wenig von ihm löste, um ihn anzuschauen. „Yūri. Ich wollte uns einfach einen schönen Kurzurlaub gönnen. Ich habe versucht, meine Versprechen and dich und meine Wünsche unter einen Hut zu bekommen und dann ist das hier dabei rausgekommen. Ja, vielleicht ist es übertrieben, aber du kennst mich“, er grinste schief, bevor er fortfuhr. „Und jetzt mal ehrlich. Die Niagara Fälle! Ich wollte sie schon immer von der kanadischen Seite sehen!“ Victors Augen strahlten dabei wie die eines Kindes. Unwillkürlich musste Yūri lachen. Es erleichterte ihn ungemein, dass er auch seine Wünsche in den Urlaub hatte einfließen lassen. Er zog Victor wieder zu sich heran und küsste ihn. Verlor sich ein wenig im Gefühl seiner weichen Lippen auf seinen Eigenen. Vermutlich hätte er noch Stunden so verbringen können, wenn sich Victor nicht nach einer Weile von ihm gelöst und geräuspert hätte. „Sollen wir uns noch eine Kleinigkeit zu essen besorgen und dann zu unserer Massage?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. „Du hast eine Massage gebucht?“, seufzte er und fragte sich gleichzeitig, was noch so alles auf ihn zukommen würde. „Natürlich. Immerhin habe ich dir einen Wellnessurlaub versprochen! Außerdem sind wir nicht zum Spaß hier!“, verkündete Victor, verschränkte seine Hand in Yūris und zog ihn aus dem Zimmer. Warm eingepackt lagen sie im Wellness-Bereich. Nach einer ausgiebigen Massage hatten sie noch eines dieser Hamam-Erlebnisse, wie sie es im Hotel bewarben. Victor hatte keine Ahnung von so etwas, aber es war durchaus entspannend gewesen. Nun fielen sie wie die Heuschrecken über einen Teller voller geschnittenem Obst her, während sie jeder ein Glas Champagner schlürften. Für beide das Dritte an diesem Abend. „Ich wusste gar nicht, dass Wellness so hungrig macht“, grinste Victor und nahm sich ein Stück Apfel vom Teller. „Ich auch nicht, aber so lässt es sich definitiv aushalten“, kicherte Yūri leise. Er hatte schon einen leichten Rotschimmer auf den Wangen, vermutlich vom Alkohol. Kurzentschlossen streckte Victor seine Hand aus, um Yūri mit dem Apfel zu füttern. Dieser hatte die Scheu offensichtlich schon vor einem Glas des alkoholischen Getränks über Bord geworfen und angelte mit seiner Zunge nach dem Stück, ohne dabei Victors Finger auszulassen. Überrascht blickte Victor ihn an, spürte aber bereits ein leichtes Prickeln in seinem Körper. Mit einem lasziven Grinsen griff er nach einer Traube und führte sie wieder zu Yūris Mund. Doch dieses Mal saugte er Victors Zeigefinger mit ein und umspielte ihn mit seiner Zunge. Mit Mühe und Not unterdrückte Victor ein Stöhnen, das Prickeln breitete sich in seinem ganzen Körper aus und sein Herz begann schneller zu schlagen. In einer halben Minute hatte ihn Yūri soweit, dass er nicht weiter auf dem Bauch liegen konnte, sondern sich aufsetzen musste. „Yūri, wir sind hier in einem halbwegs öffentlichen Bereich…“, mahnte Victor leise. Ihr Urlaub hatte gerade erst angefangen, er wollte nicht gleich rausgeworfen werden. Auch wenn es vielleicht später eine lustige Anekdote bei einem Gespräch mit Chris sein würde. „Dann bring mich irgendwo hin, wo wir unter uns sind“, Yūri schnurrte schon fast. Schnell blickte sich Victor um und sah einen Stapel Badetücher. Er schnappte sich zwei, hielt eines vor sich, um die verräterische Beule unter seinem Bademantel zu verbergen und zog Yūri dann auf die Füße. „Du bist noch der Tod für mich, Любимый“, flüsterte er ihm ins Ohr, als er vor ihm stand. Dann zog er Yūri mit sich, erleichtert, dass die Behandlungen bereits auf seine Zimmernummer gebucht worden waren. Denn nun stand ihm wirklich nicht der Sinn danach, irgendwelche Bezahlungen zu regeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)