Bird On A Wire von yezz ================================================================================ Kapitel 45: Da müssen wir uns etwas einfallen lassen ---------------------------------------------------- Makkachin hatte zwar die ganze Zeit brav auf seinem Platz neben dem Tisch gelegen, doch Victor wusste, dass es langsam Zeit zum Gehen war. Yūri war fast fertig mit seinem Cocktail, dem Vierten, und die Röte blieb offenbar nun dauerhaft in seinem Gesicht. „Wir sollten langsam los“, sprach er seine Gedanken aus. Yūri nickte und trank sein Glas leer. „Heute teilen wir uns die Rechnung aber auf“, sagte er dann. „Tut mir leid, da bin ich dir schon zuvor gekommen“, grinste Victor breit und schüttelte den Kopf. „Wann hast du denn bezahlt?“, fragte Yūri blinzelnd. „Als ich auf Toilette gegangen bin“, erklärte er und stand auf. „Victor, du kannst mich nicht ständig einladen“, Yūri runzelte die Stirn und guckte ihn etwas missbilligend an. „Das war das Dankeschön für deine Hilfe beim Autokauf“, schlug Victor vor, doch ein Blick in Yūris Gesicht zeigte, dass die Ausrede nicht half. „Das hast du schon“, bemerkte Yūri. „Hmmm...“, Victor legte überlegend einen Finger an die Lippe. „Dann als Entschuldigung, dass ich dir reingefahren bin?“ „Du warst mit mir im Bücherladen und hast mich danach zum Essen eingeladen“, konterte Yūri wieder, stand jetzt aber auch auf und zog sich den Hoodie wieder an. „Als Dankeschön, dass ich bei dir schlafen durfte?“, grinste Victor jetzt, als er in die Anzugsjacke schlüpfte. „Wenn überhaupt müsste ich dich einladen, weil du dich um mich gekümmert hast“, seufzte Yūri. „Nein, musst du nicht. Ich habe mich ja praktisch aufgezwungen“, lachte Victor leise und hielt Yūri, der Makkachin an der Leine hatte, die Tür auf. „Ja, da hast du schon recht. Aber ich war trotzdem froh drum“, lachte Yūri ebenfalls. Victors Herz machte bei diesem kleinen Geständnis einen kleinen Satz vor Freude. Natürlich hätte Yūri ihn wohl irgendwann rausgeworfen, wäre er ihm zu sehr auf die Pelle gerückt, aber die Bestätigung zu hören, dass er alles richtig gemacht hatte, war einfach viel besser. „Was hältst du davon, wenn wir jetzt heimfahren und dann noch eine Runde mit Makkachin gehen? Wir bringen dich dann heim.“ Yūri genoss die frische Luft und die warme Hand von Victor in seiner. Makkachin lief fröhlich vor ihnen auf dem Weg herum, doch nur soweit, wie die Leine reichte, die Yūri mit der anderen Hand hielt. Victor hatte ihm erklärt, dass er Makkachin im Hellen gerne mal ohne Leine laufen ließ, aber niemals im Dunkeln. Eigentlich wünschte sich Yūri, dass dieser Abend nicht so schnell vorbei gehen würde. Allerdings musste er zugeben, dass er langsam müde wurde. Außerdem wollte er am nächsten Tag wieder zur Uni. Eigentlich wollte er auch nach einem oder zwei kleinere Aufträge schauen, aber das hatte er vorerst verworfen. „Wann kommt denn morgen dein... Bruder, Cousin? Wie soll ich ihn nennen?“, fragte er und war leicht verunsichert, da Victor ihn sowohl Cousin als auch Bruder nannte. „Ach, das ist eigentlich egal. Nenne ihn am besten beim Namen, wobei das wohl auch zu einigen Missverständnissen führen würde. Mein Onkel sagte schon, dass wir uns was einfallen lassen müssen“, lachte Victor und fuhr dann fort: „Er wird so gegen 14 Uhr da sein. Ich hole ihn am Bahnhof ab.“ „Mit der Katze Bahnfahren?“, fragte Yūri entgeistert. „Ja, er wollte wohl nicht warten, bis mein Onkel oder ich ihn abholen kann. Aber ich denke, mit Potya geht das. Auch wenn es ihm nicht in den Kram gepasst hätte, hätte er gewartet, wenn das zu viel Stress für seine Katze gewesen wäre“, sagte Victor und klang auch so, als wäre er davon überzeugt. Das beruhigte Yūri ein wenig. Er hätte eher gedacht, dass das eine Qual für ein Tier wäre, aber das ist auch sicherlich von Tier zu Tier unterschiedlich. „Wenn ich morgen irgendwie helfen kann, sag mir Bescheid. Ich helfe gerne“, bot Yūri an. Victor drückte seine Hand. „Vielen Dank, Yūri. Es kann gut sein, dass ich darauf zurückkomme. Ich wollte mit Yūri Möbel aussuchen gehen und zumindest das Bett müssten wir noch aufbauen, bevor es Abend wird“, lachte Victor. „Möbel aussuchen? Wie lange bleibt er denn? Ich dachte, das wäre nur vorübergehend“, fragte Yūri verwirrt. „Ja, das stimmt schon. Aber ich dachte, dass ich das eine Zimmer dann als richtig eingerichtetes Gästezimmer verwenden könnte. Zurzeit steht ja nur viel Zeug von mir herum und eine alte Schlafcouch. Das ist vielleicht mal ein guter Grund, den Raum sinnvoller zu nutzen. Außerdem soll er sich ja auch wohlfühlen, egal für wie lange es ist“, erklärte Victor. Und du fragst dich allen Ernstes, ob du ein guter Bruder bist, nur weil du dich nicht vollständig darüber freuen kannst, dass er vorbeikommt?, fragte sich Yūri. Victor war ganz offensichtlich jemand, der alles für seine Familie oder Freunde tat. Yūri fragte sich, wie der andere Yuri wohl sein würde. Ob die Verwandtschaft mit Victor augenscheinlich war? Vielleicht war die Haarfarbe eine erbliche Sache? Hatte er auch so eine offene Art? Wobei Victor ihn ja schon vorgewarnt hatte, dass er momentan in so etwas wie einer Trotzphase sei. „Vermutlich wird Otabek auch noch helfen kommen, also sollten wir zumindest das Bett aufgestellt bekommen“, riss ihn Victor aus den Gedanken. Kurz musste Yūri überlegen, wo er den Namen schon einmal gehört hatte. Als er die Verbindung zu Katya machen konnte, nickte er. Sie blieben vor der Haustür stehen. Victor nahm ihm behutsam die Leine aus der Hand, jedoch nicht ohne möglichst viel Körperkontakt dabei aufzunehmen. „Gute Nacht, Victor“, lächelte Yūri zu ihm hinauf, schlang seine Arme um seinen Hals und stellte sich auf die Zehenspitzen. Victor ließ sich nicht lange bitten. Yūri hätte noch Stunden so verbringen können, doch nach einer Weile löste er sich ein wenig widerwillig von ihm. „Gute Nacht, Любимый“, lächelte Victor. Hatte seine Stimme ein wenig heiser geklungen? „Das war es soweit, Sara", erklärte Victor und legte ein paar Briefe auf ihren Schreibtisch. „Wenn etwas ist, rufe ich an, ich weiß“, sagte Sara mit einem Lächeln. Sie beide wussten, dass sie nur anrufen würde, wenn das Büro in Flammen stehen würde. Oder Alan aufkreuzen würde, was allerdings fast gleichbedeutend zu einem brennenden Büro war. Victor würde nie ihr Gesicht vergessen, als er ihr erzählt hatte, dass Alan die vollen zwei Stunden signieren würde und sogar Fotos erlaubt hatte. Doch wie er das geschafft hatte, würde er für sich behalten. Das hatte nichts damit zu tun, dass er sie nicht einweihen wollte, aber je mehr Mitverschwörer, desto höher war auch die Gefahr, dass sich einer verplapperte. Und diese Methode funktionierte einfach zu gut, als dass er sie fahrlässig zum Scheitern bringen wollte. Als der Fahrstuhl in der Tiefgarage hielt und sich die Türen öffnete, war er nicht sonderlich überrascht, seinen Onkel dort anzutreffen. „Ah, Vitya! Da bist du ja“, grüßte er ihn mit seinem typischen, grummeligen Lächeln. „Schön, dass du dir die Zeit verschaffen konntest, Yuri am Bahnhof abzuholen“, sagte Victor ehrlich. Immerhin konnte Yakov Yuri nun jeden Tag sehen und der Onkel, den er noch aus seiner Jugend kannte, war zwar immer nett und in einem gewissen Maße auch liebevoll gewesen, aber war immer nur selten zu Besuch gekommen. Oftmals gab es zum Geburtstag nur ein Paket von ihm und nur zu zwei oder drei Feiertagen hatte er sich zu ihnen bemüht. Doch das hatte vermutlich auch mehr an seiner Tante gelegen, da für sie die Religion sehr wichtig war. Mehr als das sogar, in Victors Augen ging es teilweise schon in Richtung Fanatismus. Auch ein Grund, warum er lieber einen Bogen um das Haus von seiner Tante machte. Doch Yakov hatte sich ein wenig geändert, seit seine Frau sich von ihm getrennt hatte. Lilia arbeitete immer noch als seine Sekretärin im Unternehmen und sie schätzten sich auf einer beruflichen Ebene, doch die Liebe sei verblasst, da er sich nie Zeit für seine Liebe genommen hatte. Vermutlich war es die Sache, die er am meisten an seinem Leben bedauerte, vermutete Victor. Denn jedes Mal, wenn das Gespräch in Richtung Beziehung ging, war der Sinn hinter Yakovs Aussagen immer gleich: Die Arbeit ist nicht das Wichtigste im Leben. Und das aus dem Mund des Gründers eines erfolgreichen Verlags. Schweigend waren sie in Victors Auto eingestiegen. „Das war eine sehr gute Wahl“, nickte Yakov anerkennend und fuhr mit seiner Hand über das Eschenholz-Dekor. „Aber dunkelblau metallic? Ich hätte eher mit schwarz gerechnet“, fragte er, als Victor losfuhr. „Ich hatte die Wahl zwischen schwarz und dunkelblau. Dunkelblau hat mich irgendwie an Yūri erinnert“, gestand Victor. „Yuri?“, wiederholte Yakov irritiert. „Ja“, gab Victor zurück und fokussierte sich auf die Straße. „Ist das seine Lieblingsfarbe?“, fragte Yakov nachdenklich. „Gut möglich. Er trägt oft blau“, gab Victor zurück. „Ach, wirklich? Ich hätte jetzt eher schwarz mit ihm in Verbindung gebracht. Oder blau-grün, wie seine Augen“, erklärte Yakov nachdenklich. Victor hätte beinahe vor Überraschung auf die Bremse getreten. „Nein! Ich meine... ähm... meinen Yūri. Nicht unseren Yuri“, die Bezeichnung fand selbst er ein wenig komisch, aber er wusste nicht, wie er es besser ausdrücken sollte. „Achso!“, Yakov schien ein Licht aufgegangen zu sein und er lachte leise. Sein Kopfschütteln konnte er aus dem Augenwinkel sehen. „Da müssen wir uns etwas einfallen lassen. Das geht auf Dauer wirklich nicht gut“, schnaubte er danach. Da konnte Victor nur zustimmen. Es zahlte sich früher als erwartet aus, dass sein Auto einen zweiten Kofferraum hatte. Auf dem Weg vom Bahnhof zu Victors Wohnung hatten sie bei der Tierhandlung seines Vertrauens Halt gemacht, da Yuris Katze noch allerlei Zubehör benötigte. Daran hatte Victor auf die Schnelle nicht gedacht gehabt. Sein Fehler war gewesen, dass er mit Potya im Wagen geblieben war, während sein Bruder und sein Onkel sich um den Einkauf kümmerten. Nun kamen sie nicht nur mit jeder Menge Spielzeug und Futter aus dem Laden, sondern hatten auch noch einen riesigen Kratzbaum gekauft. Victor vergrub das Gesicht in seinen Händen. Seine schöne Wohnung! Wo sollte dieses Monstrum nur hin? Und der Kratzbaum war noch nicht einmal aufgebaut. Der Karton alleine war ungefähr so groß wie Victor. Die große Schrift wies ihn als 'Naturkratzbaum' aus und das Bild zeigte tatsächlich einen Kratzbaum, der wohl einem echten Baum nachempfunden sein sollte. Was aber in Victors Augen gar nicht ging, waren die Bezüge der Sitzflächen. Wie konnte es auch anders sein: Tigerstreifen. Eines war sicher, das Ding würde sie in Yuris Zimmer aufstellen. Wie konnte ein junger Mann wie Yuri so wenig Modebewusstsein haben?, fragte sich Victor nicht zum ersten Mal. Vor einigen Jahren hatte er ihm an den Kopf geworfen, dass er aussah, als wäre er in einen Müllcontainer von H&M gefallen. Das hatte ihm Yuri lange übel genommen. Doch vermutlich verstand Victor diesen Kleidungsstil einfach nicht. Immerhin war er jemand, der sich eher stundenlang beim Schneider für einen neuen Maßanzug aufhalten konnte, statt durch irgendwelche Läden zu bummeln. Die letzte Einkaufstour mit Chris hatte ihm schon gereicht, wobei er wahrscheinlich durchaus gefallen daran finden konnte, wenn Yūri an seiner Seite war. Allerdings blieb ihm nicht mehr Zeit, diesen überraschend erfreulichen Gedanken nachzugehen, denn das Auto war fertig beladen und so konnten sie die letzten Meter zur Wohnung zurücklegen. Als er auf seinen Parkplatz in der Tiefgarage unter dem Wohnkomplex fuhr, stellte er erfreut fest, dass bereits die Ladestation für sein Auto installiert worden war. Manchmal war es von Vorteil, wenn es eine Hausverwaltung gab, die sich um all das kümmerte. Sie luden die Sachen vom Auto in den Lastenaufzug und gingen in die Wohnung. Potya schien langsam unruhig zu werden, daher richteten sie erst einmal das Katzenklo her und setzten sie hinein, damit sie wusste wo sie ihr Geschäft erledigen konnte. „Schau dir am besten Mal die beiden Zimmer an, Yuri. Such dir eins aus“, bot Victor freimütig an, hoffte jedoch, dass er nicht sein Trainingszimmer nahm. Er hatte nicht wirklich Lust, die Gerätschaften durch die halbe Wohnung zu schieben. Murrend ging Yuri zuerst in das Gästezimmer/Abstellraum. Es waren keine 10 Sekunden vergangen, da kam er schon hinaus. „Das nehme ich“, sagte er. „Du hast das andere noch gar nicht gesehen“, gab Victor zurück. „Das verschissene andere Zimmer kann wohl kaum besser sein, oder?“, blaffte er dann. Victor hob die Hände, als Zeichen seiner Kapitulation. „Ist ja gut, deine Entscheidung“, sagte er dann. Er blickte zu Potya, die langsam durch die Wohnung lief. Makkachin lag danach müde auf dem Sofa und blickte dem Treiben verschlafen zu. Man merkte, dass zu dieser Uhrzeit normalerweise niemand zu Hause war, denn sonst wäre Makkachin beim Anblick von Yakov und Yuri ausgeflippt. So wedelte nur der Schwanz träge und er gähnte lautstark. „Meinst du, wir können die beiden später alleine lassen oder sollen wir Makkachin zum Möbelkaufen mitnehmen?“, fragte Victor Yuri. Natürlich würde er ihn lieber mitnehmen, aber Möbelkaufen mit Yuri versprach eine heikle Angelegenheit zu werden, daher war er sich nicht sicher, ob er es ihm vielleicht ersparen sollte. „Der Raum muss noch eingerichtet werden?“, fragte Yakov. „Ja, bisher steht nur eine alte Schlafcouch drin. Also dachte ich mir, wenn das Zimmer neu eingerichtet werden muss, dann kann Yuri auch die Sachen mit aussuchen“, erklärte Victor seinen Plan und sein Onkel nickte zustimmend. „Ich darf die Möbel aussuchen?“, hakte Yuri nach. „An sich ja, aber ich habe das letzte Wort“, stellte Victor mit erhobenem Zeigefinger klar. „Pah“, schnaubte Yuri und verschränkte die Arme vor der Brust. „Kommt ihr klar mit Allem?“, fragte nun Yakov und blickte sich um. Endlich streckte sich Makkachin und sprang von dem Sofa, um schnurstracks zu Yakov zu laufen. Der beugte sich hinab und tätschelte lächelnd den Kopf des Hundes. „Ja, klar. Der Nachbar hilft uns sicher beim Aufbauen der Möbel und Yūri hat sich ja auch schon angeboten“, winkte Victor ab. „Was hab ich?“, keifte Yuri während Yakov überrascht aufblickte. „Also... der andere Yūri“, gab Victor entnervt zurück. „Grundgütiger, wir müssen uns da wirklich was einfallen lassen. Da blickt doch keiner mehr durch“, Yakov grummelte und lachte gleichzeitig. Yuri stand nur da und war sichtlich verwirrt. Victor legte den Kopf schief und berührte mit dem Finger seine Lippe, während er überlegte. Dann hatte er eine Idee. Er zeigte auf Yuri. „Ab heute nennen wir dich einfach Yurio!“, verkündete er fröhlich, als wäre das die Lösung aller Probleme dieser Welt. Er war mächtig stolz auf sich. „Das ist nicht mein Name!“, keifte Yurio zurück. „Ältestenrecht. Yūri ist älter als du“, beschloss Victor einfach. „Dann wäre das ja erklärt und ich kann wieder zur Arbeit“, lachte Yakov dröhnend, sichtlich amüsiert darüber, wie Yurio wegen seinem neuen Spitznamen förmlich vor Wut schäumte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)