Bird On A Wire von yezz ================================================================================ Kapitel 31: Kino ---------------- Sehr zu Victors Verwunderung ging die Woche schnell um. Zwar war auf der Arbeit viel zu tun gewesen, aber er blieb von etwaigen Katastrophen mit Autoren, Druck oder Presse verschont. Er hatte alle Abgabetermine halten können, der Probedruck von Alans neustem Werk war fehlerfrei gewesen und in dem Meeting zur Bestimmung der Auflagezahl hatte er einen neuen persönlichen Rekord aufgestellt. Auch sein Onkel hatte ihm wohlwollend zugenickt und gerade das bestätigte Victor mehr als alles andere. Immerhin war es schwer, von Yakov ein eindeutiges Lob zu bekommen. Sonst fand er immer etwas zu meckern. Da nun mehr als ein Arbeitstag zwischen dem Meeting und dem heutigen Tag lag und noch kein „Das hast du gut gemacht, Vitya, aber...“ kam, war Victor doch recht zufrieden mit sich. Und als Krönung dieser Woche sozusagen, schaute er sich heute mit Yūri Sharknado an. Schon alleine die Tatsache, dass er jemanden gefunden hatte, der diesen Film mit ihm schaute, war für ihn schon ein kleines Wunder. Dass aber gerade dieser Jemand Yūri war, erschien Victor wie ein Wink des Schicksals. Als würde ihm Amor persönlich ins Ohr flüstern: „Hier, dein perfektes Gegenstück. Schnapp ihn dir!“ Gut, das war vielleicht ein klein wenig übertrieben, aber er war Victor Nikiforov, der König der Übertreibungen. Grinsend strich er das tiefblaue, enganliegende Langarmshirt glatt und begutachtete sich kritisch im Spiegel seines Büros. Chris hatte wirklich recht, V-Ausschnitt stand ihm. Zwar fühlte er sich immer noch ein wenig nackt ohne Anzug, gerade jetzt in seinem Büro, aber einen Anzug hatte er nicht als die richtige Wahl für einen Kinobesuch angesehen. Daher hatte er sich Wechselkleidung mitgenommen und sich schnell umgezogen. Es klopfte an die Tür und bevor Victor reagieren konnte, stand Emil im Büro. „Du bist ja noch hier, solltest du nicht längst... Heiliger Bimbam, Victor! Wie siehst du denn aus?!“ Er schaute Victor mit großen Augen an, kam ins Büro und schloss die Tür hinter sich. Victor schaute irritiert an sich herunter. „Geht das nicht?“, fragte er leicht verunsichert. „Bitte, was? Da könnte ich glatt meine Frau für sitzen lassen“, scherzte er. „Nein, im Ernst. Das sieht gut aus. Aber... es ist kein Anzug“, fügte er hinzu. „Blitzmerker, das weiß ich selbst“, schmollte Victor ein wenig, auch wenn ihm das Kompliment ein wenig hatte erröten lassen. „Hast du etwa ein Date?“, ein breites Grinsen brach auf dem Gesicht seines Kollegen aus und Victor seufzte. „Ja, hab ich“, gestand er knapp, da er keine Lust auf größere Diskussionen hatte und auch keine Ausrede erfinden wollte. „Ach... mein Junge wird langsam groß“, seufzte Emil und wischte sich eine imaginäre Träne weg. Victor rollte nur mit den Augen und drehte ihm den Rücken zu, um sein Portmonee und Handy vom Schreibtisch zu nehmen und einzustecken. Danach nahm er seinen beigefarbenen Mantel vom Kleiderständer und machte Anstalten, Emil einfach stehen zu lassen. Der lachte nur noch einmal und klopfte Victor freundschaftlich auf die Schulter. „Dein Auto ist noch nicht abholbereit, richtig? Komm, ich fahr dich hin.“ Ein erneuter Blick auf seine Uhr sagte Yūri, dass er immer noch viel zu früh war. Vor lauter Sorge, er könnte sich verspäten, war er extra früh losgefahren. Immerhin hatte er keine Ahnung gehabt, ob er noch einen guten Parkplatz bekommen würde und wie viel Betrieb im Kaffeehaus war, bei dem er noch halten wollte. Eben jenes Kaffeehaus, dass er und Victor nach dem Unfall besucht hatten. Eigentlich war es erst nur eine fixe Idee gewesen, Victor einen Caramel Macchiatto mitzubringen, aber irgendwie hatte sie ihn nicht mehr losgelassen. Er hatte nicht gewusst, mit was er Victor sonst noch eine Freude machen konnte. Kurzzeitig hatte er an Karamell-Pralinen gedacht, denn er hatte erst vor Kurzem einen hervorragend Chocolatier entdeckt, aber er wusste nicht, ob Victor Schokolade mochte und wenn ja, welche. Also hatte er auf das zurückgegriffen, von dem er bereits wusste, dass es Victor mochte. Doch nun befürchtete er, dass der Kaffee bereits kalt sein würde, bevor Victor überhaupt in die Nähe des Kinos kommen könnte. In Gedanken schimpfte er über seine Nervosität, die dafür gesorgt hatte, so früh loszufahren. Und nun war er nur noch ein paar Meter von dem Kino entfernt, einen noch heißen Becher Caramel Macchiatto in der Hand und wunderte sich, ob er den Kaffee nicht lieber selbst trinken sollte. Denn wie sah das denn aus, wenn er Victor einen kalten Kaffee überreichte? „Hier, Victor. Ich habe dir den Macchiatto geholt, den du so gerne magst. Allerdings ist er schon kalt, weil ich eine halbe Stunde zu früh da war.“ Hätte Yūri eine freie Hand gehabt, hätte er sich diese vor die Stirn gehauen. Nein, das ging gar nicht. Vorsichtig trank er einen Schluck von seinem eigenen Kaffee. Er würde die ganze Situation einfach auf sich zukommen lassen, entschloss er sich, als er um die Ecke bog und das Kino auf der anderen Straßenseite sah. Er ging ein paar Schritte, doch dann erkannte er ihn und blieb wie angewurzelt stehen. Lässig war er gegen eine Laterne gelehnt, ein Bein angewinkelt, den Fuß gegen das Metall gestützt. Er hatte seinen Mantel über die Schulter geworfen und hielt sie mit einer Hand. Die blaue, ausgewaschene Jeans umschmeichelte und betonte seine Figur genauso gut, wie das fast schwarze Langarmshirt. Wieder einmal fragte sich Yūri, warum so ein gutaussehender Mann sich mit ihm abgab. Doch er verwarf den Gedanken gleich wieder. Immerhin waren sie Freunde. Nur Freunde.Er wusste nicht, ob er sich darüber freuen oder traurig sein sollte. Victor schaute in die andere Richtung, hatte ihn also noch nicht gesehen. Schnell wechselte Yūri die Straßenseite und holte Luft, um Victors Namen zu rufen, doch erstarrte mittendrin, als zwei Frauen sich Victor näherten. Yūri konnte nicht ganz verstehen, was sie sagten, doch Victor schien Spaß an der Unterhaltung zu haben, was ihm einen Stich versetzte. Das hier war ganz anders, als in der Buchhandlung, ging ihm durch den Kopf. Yūri überlegte noch, ob er einschreiten sollte, als eine von den beiden, eine braunhaarige junge Frau, zur Verabschiedung die Hand hob und sich beide umdrehten und gingen. Erleichtert machte Yūri zwei Schritte nach vorne, als eine weitere Dame auf den Plan trat. Am liebsten wäre Yūri losgestürmt und hätte seine Verabredung verteidigt, aber durfte er sich das raus nehmen? Wäre es denn nicht schön für Victor, die Frau seines Lebens kennenzulernen? Zaghaft machte er einen Schritt nach vorne. „Ach komm schon, ich lade dich auch ein“, hörte er die Stimme der Frau. „Nein. Ich habe dir schon gesagt, ich bin verabredet“, hörte er Victors wohlklingende Stimme und sah, wie er den grauen Schopf schüttelte. „Du wirst niemals so viel Spaß mit deiner Verabredung haben, wie mit mir.“ Die geht ja ganz schön in die Vollen, schoss es Yūri durch den Kopf und sein Magen drehte sich um. Er überbrückte die Distanz. „Das ist nicht möglich“, lachte Victor nun und Yūris Herz schlug vor Freude schneller. „Hey“, grüßte er knapp, wie es Victor immer bei ihm tat. „Selber hey“, lachte Victor und drehte sich zu ihm herum. Dass Victor wiederum seine Antwort auf die Begrüßung nachahmte, half seinem Herz nicht, sich zu beruhigen. „Hier“, Yūri hielt ihm den Becher unter die Nase. Victor legte fragend den Kopf schief, nahm den Becher jedoch ohne zu zögern an. Er führte den Becher zur Nase, schloss die Augen und roch daran. „Caramel Macchiato!“, stellte er mit funkelnden Augen und breitem Grinsen fest. „Yūri! Du bist der Wahnsinn!“, freute er sich nach einem tiefen Schluck aus dem Becher. Yūris spürte, wie seine Wangen brannten und sein Herz in seiner Brust hämmerte. Er nahm gerade Luft, um etwas zu sagen, doch die Dame von eben unterbrach seine Bemühung. „Moment mal, du servierst mich ab für ihn?! Für SO einen?“, keifte sie. Während diese Worte Yūri auf den Boden der Tatsachen zurückholten und noch weiter in ein Loch fallen ließ, wandelte sich Victors Grinsen ins Künstliche, wie er es schon einmal in der Buchhandlung gesehen hatte. „Tja, was soll ich sagen? Er weiß eben, wie er mich behandeln muss. Für Karamell mache ich eben alles“, zwinkerte er ihm zu und zuckte unschuldig mit den Achseln. Dann spürte Yūri Victors Hand auf der Schulter. Der unmissverständliche Druck nach vorne, ließ ihn wie automatisch losgehen. „Puh, danke für die Rettung, Yūri. Wieder einmal!“, lachte Victor neben ihm und holte ihn somit ein wenig aus dem Loch. Gewaltsam riss er sich zusammen und grinste, als ihm ein Konter einfiel: „Stimmt. Ich kann dich echt nicht alleine lassen“, schüttelte er mit schiefen Grinsen den Kopf und blickte Victor von der Seite an. Es war kaum merklich gewesen, doch Yūri hatte es bemerkt, da er Victors Bewegungen mittlerweile in und auswendig kannte. Er hatte kurz gestockt und es bereitete Yūri eine diebische Freude, Victor aus der Fassung gebracht zu haben. Wenn auch nur für kurz. Denn nun ertönte sein Lachen. „Ja, ich bitte doch drum“, gab er mit offenen, fröhlichen Lächeln zurück. Damit hatte er ihn kalt erwischt. Eiskalt. Sein Kopf arbeitete, doch ihm wollte keine Antwort kommen. Inzwischen war ihm wieder so warm, dass er befürchtete, sein Kopf könnte als Ampel verwendet werden. „Aber bei den beiden Damen schien es nicht so, als wärst du abgeneigt gewesen“, kam es aus ihm heraus. Sofort hätte er sich am liebsten selbst geohrfeigt. Was sollte das bitte? Victor legte den Kopf schief, zog die Augenbrauen zusammen und legte einen Finger an die Lippe. Yūri hatte diese Geste so oft schon gesehen, dass er wusste, dass Victor nachdachte. Dann hellte sich seine Miene auf. „ Ach! Das war eine Autorin, die ich betreue. Wir haben erst vor Kurzem den Vertrag unterschrieben“, erklärte er fröhlich und ging wieder den Vorraum des Kinos entlang. „Oh, das ist aber interessant. Was schreibt sie denn?“, fragte Yūri, während er versuchte, schnell zu Victor wieder aufzuschließen. Als dieser abrupt stehen blieb, wäre er beinahe in ihn hineingelaufen. „Erwachsenenliteratur“, sagte er knapp. „Und das heißt genau?“, fragte Yūri mit gehobener Augenbraue.“ „Erotik“, antwortete er wieder knapp. „Ah, so etwas wie dieses 50 Shades of Grey?“, hakte Yūri nach. Er war sich gerade nicht sicher, ob er einfach nicht über seine Arbeit reden wollte oder ob ihm das Thema nicht passte. „Ähnlich, nur mit zwei Männern“, Victor hatte sich herum gedreht und studierte nun aufmerksam Yūris Gesicht. „Oh“, konnte er nur dümmlich machen, während er bestimmt noch eine Spur röter geworden ist. „Ja, oh“, immer noch musterte Victor sein Gesicht. So viele Fragen kreisten gerade durch Yūris Kopf, doch nur eine fand den Weg hinaus: „Ist es gut?“ Überrascht zog Victor die Augenbraue hoch und fing an zu lachen. „Natürlich! Sonst hätte ich sie doch nicht angenommen!“ Die kurze, gespannte Stimmung war verschwunden und Yūri fragte sich, warum das so gewesen war. Hatte Victor vielleicht befürchtet, er hätte Vorurteile gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe? Vielleicht hatte Victor Freunde, die bi- oder sogar homosexuell waren? Oder vielleicht war sogar Victor...? Nein, jetzt steigerte er sich in etwas hinein! „Ich habe schon Karten reserviert!“, verkündete Victor fröhlich und holte ihn so aus seinen Gedanken. „Moment! Ich wollte dich doch einladen!“, empörte sich Yūri. „Und ich habe gesagt, dass du das nicht musst“, antwortete Victor fröhlich und leerte seinen Becher. „Außerdem hast du mir den besten Caramel Macchiato der Stadt mitgebracht!“, lachte er. „Das ist trotzdem nicht fair. Ich lass dich jetzt nicht die Karten alleine zahlen“, stellte Yūri klar. Er hoffte, dass sein Ton dabei nicht allzu schmollend klang. Victor blickte ihn ernst an und legte wieder den Finger an die Lippen. „Ich hab's! Du holst uns einfach schon was zu Trinken und Essen!“, schlug er begeistert vor. Damit konnte Yūri leben. „Was möchtest du denn?“, fragte er. „Ein Wasser und irgendetwas zum Knabbern. Ich bin da nicht wählerisch“, lachte er und ging dann zum Schalter. Da sie noch relativ früh waren, hatten sich noch keine langen Schlangen gebildet und nur kurze Zeit später trafen sie sich im Vorraum wieder. „Ich nehme dir was ab!“, verkündete Victor, als er in Reichweite kam. „Was hast du denn besorgt? Nachos mit Guacamole und Käsedip und Popcorn?“, er beugte interessiert die Sachen in Yūris Händen. Yūri grinste triumphal. „Die haben diese Woche Karamell-Popcorn im Angebot“, erklärte er. Victors Augen strahlten. „Yūri! Dich schickt der Himmel!“ Lachend standen sie vor dem Kino. „Das ist mir noch nie passiert“, erklärte Yūri kopfschüttelnd, sein Gesicht ausnahmsweise vom Lachen und nicht vor Verlegenheit rot. Auch daran könnte er sich gewöhnen, dachte Victor. Aber auch er musste sich nicht zum ersten Mal an dem Abend die Lachtränen aus den Augenwinkeln wischen. „Doch, irgendwann mal als Teenager bin ich mit einer Gruppe von Freunden aus einem Liebesdrama geflogen. Aber da hat es länger gedauert als 20 Minuten“, erklärte er ein wenig atemlos. Er blickte auf die Uhr. „Also Yūri, was sollen wir jetzt tun? Der Abend ist noch jung und da kommen wir nicht mehr rein“, lachte Victor leise. „Und du bist schuld“, lachte Yūri. „Ich? Du warst derjenige, der den ersten Spruch raus gehauen hat. Ich wollte mich eigentlich erst einmal benehmen“, echauffierte sich Victor gespielt. „Aber du musstest ja auch unbedingt kontern“, Yūri hob die Augenbraue. „Das konnte ich ja nicht auf mir sitzen lassen“, grinste Victor zurück. Victor beobachtete, wie sich Yūri wieder aufrichtete und tief einatmete. „Wir könnten mein Auto nach Hause bringen und dann vielleicht noch in eine Kneipe um die Ecke gehen?“, schlug er vor. „Klingt gut. Wir könnten auch eventuell noch eine Runde mit Makkachin gehen, falls du Lust hast“, schlug er vor, doch sah stirnrunzelnd zu, wie Yūri auf einmal erschrocken aussah. „Ich glaube, ich habe die Hamster von meinem Mitbewohner gestern nicht gefüttert“, murmelte er. „Dann sollten wir da schnell mal nachschauen”, bot Victor an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)