Bird On A Wire von yezz ================================================================================ Kapitel 24: Hilfe ----------------- Für Yūri war es wirklich schwer nicht mit einem dauerhaften, dümmlichen Grinsen durch die Gegend zu laufen. Natürlich hatte er Panik. Jedes Mal, wenn er an diese atemberaubenden Augen und dem strahlenden Lächeln dachte, setzte sein Herz aus, nur um danach viel schneller weiterzuschlagen. Dabei war es sich nicht sicher, ob es wirklich ein Grund war, gut gelaunt zu sein. Einerseits hatte er das Gefühl, dass ihn Nicholas Sparks höchstpersönlich auf den Kopf gekotzt hatte, so schmalzig, wie sich ihre Geschichte anhörte, andererseits wusste Yūri, dass noch gar nichts passiert war. Natürlich schienen sie sich zumindest gut zu verstehen. Victor sah das wohl auch so, denn sonst hätte er nicht zugesagt. Oder hatte er ihn auch erkannt? Dachte er vielleicht, dass er leicht zu haben wäre? Dass er vielleicht nicht nur mit Telefonsex sein Geld verdiente, sondern auch...? Nein, das glaubte Yūri nicht. Oder vielmehr wollte er das nicht wahrhaben. Victor schien ein aufrichtiger Mensch zu sein. Er schien auch vielbeschäftigt zu sein mit seiner Arbeit, vielleicht war das der Grund, warum er seinen Ausgleich beim Telefonsex gesucht hat? Immerhin war es doch besser, als One Night Stands in der nächsten Bar abzuschleppen oder ins Bordell zu gehen?! Yūri schüttelte seinen Kopf. Er musste dringend seinen Kopf frei bekommen. Doch er saß gerade am Rechner in einem kleinen Büro bei einer übernervösen Floristin und versuchte, den PC wieder in Gang zu bekommen. „Und? Haben sie schon was gefunden?“, hörte er eine Stimme hinter sich. Wenn man vom Teufel spricht, seufzte er innerlich. „Der PC ist schon sehr alt und die Geräusche, die die Festplatte macht, klingt mehr als ungesund. Das Problem liegt aber am Mainboard. An der Taktrate vom CPU-“, begann er, doch die Floristin fiel ihm ins Wort: „Ich habe keine Ahnung davon, daher brauchst du mir das nicht so genau erklären. Bekommst du den PC wieder flott?“ Doch Yūri schüttelte den Kopf. „Ich kann das Mainboard austauschen, aber die Festplatte ist als Nächstes dran und dann sind alle Daten weg. Das ist nur noch eine Frage der Zeit“, er sah sie ernst an. „Was heißt 'eine Frage der Zeit'?“, hakte sie nach. Doch Yūri konnte nur mit den Schultern zucken. „Tage, mit viel Glück vielleicht noch ein oder zwei Monate. Aber ich weiß nicht, ob sie das Risiko eingehen wollen, ohne eine Datensicherung. Ich kann ihnen anbieten, dass ich die Daten sichere. Ich habe eine externe Festplatte dabei und kann sie ihnen auch für den Notfall hier lassen. Gleichzeitig telefoniere ich rum, ob irgendjemand ein gebrauchtes, passendes Mainboard günstig abgibt. Dann schauen wir, wie lange es dieser PC noch macht und sie können sich ggf. schon einmal nach einem geeigneten Ersatz umschauen“, bot er ihr an. Mehr fiel ihm beim besten Willen nicht mehr ein und er machte sich bereits auf Gezeter gefasst. Doch die Floristin nickte und seufzte erleichtert. „Das klingt nach einem Plan. Vielen, vielen Dank. Aber könnte ich sie darum bitten, nach etwas Geeignetem für mich zu schauen? Wie schon gesagt, ich habe keine Ahnung, was für mich ausreicht und mich könnte jeder damit über den Tisch ziehen. Natürlich können sie mir die Zeit, die sie bei der Suche benötigen, mir in Rechnung stellen. Ich vertraue ihnen da“, sie lächelte schief, wenn auch völlig hilflos. Yūri war ein wenig gerührt. Sie kannten sich gerade 20 Minuten und schon vertraute sie ihm so sehr, dass sie ihm freie Hand gab. Er zog einen Block und Kugelschreiber heraus und reichte es ihr. „Alles klar, dann schreiben sie mir doch mal auf, was für Programme sie bisher genutzt haben und behalten wollen. Falls sie noch irgendwelche anderen Programmwünsche haben, können sie das auch gerne notieren, falls sie den Namen nicht kennen, können sie es auch beschreiben. In der Zwischenzeit gehe ich mal vor die Tür und telefoniere mit der Firma, ob sie ein passendes Teil im Lager haben. Ansonsten habe ich noch ein paar Nummern von Händler für gebrauchte Geräte und Computer-Fachgeschäften.“ Es hatte Yūri fast eine halbe Stunde gekostet, aber er hatte ein Mainboard gefunden. Zufrieden mit sich selbst kehrte er in den Laden zurück. Hoffnungsvoll richteten sich die Augen der Ladenbesitzerin auf ihn. „10 Dollar für das neue Mainboard und im gleichen Laden gibt es eventuell noch einen guten, gebrauchten PC. Falls sie mit der Liste fertig sind, würde ich die direkt mitnehmen und dort mit den Daten des Computers abgleichen. Bis der dann allerdings aufgesetzt wäre, also mit Betriebssystem und so weiter, dauert es eventuell noch. Das kommt auf ihre Wünsche an.“ Sie nickte eifrig. „Wenn der erst einmal wieder läuft, ist das alles kein Problem. Dann können sie sich Zeit lassen. Ich brauche nur die Daten morgen für die Bestellungen“, erklärte sie ihm mit flehenden Blick. „Ja, das ist kein Problem. Lassen sie uns noch kurz über ihr Budget für den neuen PC reden und dann gehe ich zumindest das Mainboard holen.“ Als Yūri auf dem Weg war, musste er immer noch ungläubig lachen. Er hatte damit gerechnet, dass er günstig Teile zusammenstellen müsste, doch sie hat ihm genug finanziellen Spielraum gegeben, um ihr einen PC zu besorgen, mit dem man aktuellere Spiele mit moderater Grafikeinstellung spielen konnte. Da es allerdings nur ein PC zum Arbeiten sein soll, hatte Yūri noch ein wenig Spielraum und eine Idee, wie er seiner Kundin vielleicht noch ein wenig helfen konnte. Zum Laden war es nicht weit, also hatte er die Idee noch nicht bis zum Ende durchdacht, aber er konnte sich sicher noch ein wenig mit dem Verkäufer austauschen und eventuell einen Testlauf für die Floristin arrangieren. Unschlüssig stand Victor vor dem Spiegel und war langsam von der Lache im Hintergrund genervt. „Du musst mir noch einmal helfen, Victor. Wie alt bist du?“, brachte die Stimme zwischen Kichern und Schnauben hervor. Victor presste genervt die Lippen aufeinander. „Hilf mir lieber mal, bevor du mich auslachst“, brachte er mürrisch hervor, doch er täuschte seinen besten Freund mit der Tonlage nicht. Das wussten sie beide. „Helfen? Da ist Hopfen und Malz verloren! Wir gehen zusammen shoppen. Was hältst du von übermorgen Abend? Ich hole dich bei deiner Firma ab und kleiden dich richtig schön ein“, danach brach Chris wieder in Gelächter aus. Victor hingegen seufzte und legte seinen Kopf gegen seine Hand. „Muss ich erst auflegen, bevor du mich ernst nimmst?“, fragte er in Richtung seines Handys, das mit aktivierter Lautsprecherfunktion auf einem Hocker vor der Reihe Anzügen lag. „Ich nehme dich doch ernst. Du kannst unmöglich zum ersten Date im Anzug aufkreuzen. Wenn er wirklich so schüchtern ist, wirst du ihn so in die Flucht schlagen. Vor allem nach dem Spruch mit dem 'privaten Victor'“, das Zitat von Victors Nachricht an Yūri betonte Chris besonders. „Ich kann doch einfach die dunkle Jeans, ein T-Shirt und das Jackett anziehen. So sind wir letztens auch zusammen weg“, rechtfertige er sich. „Ich konnte ja auch schlecht verlangen, dass du dich noch einmal umziehen gehst. Aber damit ist jetzt Schluss, mein Lieber. Du musst mindestens drei Pullover und zwei Jeans im Kleiderschrank haben. Ich wäre auch noch dafür, dass du dir noch eine Chino und eine ordentlichen Daunenjacke zulegst? Kapuzenpullis stehen dir sicher auch gut. Ach Mensch Victor, dir steht doch eh fast alles. Gönn mir den Spaß. Bitte!“, bettelte Chris nun fröhlich und Victor hatte eine böse Vorahnung. „Chris, es ist nicht notwendig, mich komplett neu einzukleiden. Ich brauche eh fast nur Anzüge. Und außerdem brauche ich keine Modeberatung. Ich wollte lediglich deine Meinung, ob das nicht zu dick aufgetragen ist für eine erste Verabredung. Es ist auch nur eine Verabredung, kein Date“, langsam wünschte er sich, er hätte Chris niemals angerufen. „Richtig und ich habe dir meine Meinung gesagt. Außerdem bin ich ein toller Freund und biete dir direkt und völlig selbstlos meine Hilfe an, die du übrigens nicht abschlagen kannst. Es ist schon viel zu lange her, dass wir mal gemeinsam shoppen waren“, klang die Stimme fröhlich aus dem Handy. Victor legte den Finger an die Lippen und überlegte. „Wir waren noch nie gemeinsam shoppen, Chris“, erklärte er dann. Chris atmete theatralisch durch. „Noch schlimmer! Also keine Widerrede. Übermorgen um 17:00 Uhr vor deiner Firma. Wenn du nicht da bist, marschiere ich in den Laden und zieh dich da eigenhändig raus.“ Victor unterdrückte ein 'Ja, Mama' und verabschiedete sich von seinem besten Freund. Er freute sich zwar schon auf einen Abend mit Chris, aber es würde auch anstrengend werden und er würde nicht nur viel Geld ausgeben müssen, sondern auch durch hunderte Läden geschleppt werden, um gefühlt tausende Kleidungsstücke anzuprobieren. Schon während ihrer gemeinsamen Zeit an der Universität wollte Chris Victor immer einkleiden und hat darauf gepocht, dass er als angehender Designer den richtigen Riecher für Victors Look hätte. Mittlerweile war Victor froh, dass Chris fast nur pompöse Kleidung designte. So würde der Kelch an ihm vorübergehen, seine Klamotten anziehen zu müssen. Immerhin wollte er beim zweiten Aufeinandertreffen mit Yūri nicht den Eindruck machen, als wäre er ein eitler Exzentriker. „Und wenn sie jetzt mit dem Finger darauf tippen – ja, genau so – dann haben sie alle Daten direkt hier auf dem Tablet“, beendete Yūri seine Erklärung. „Wow“, hauchte die Floristin fassungslos. „So einfach?“, sie schaute Yūri mit einer Mischung aus Faszination und Misstrauen an. „Ja, sie müssen nur den PC eingeschaltet haben, dann können sie jederzeit auf die Daten zugreifen.“ „Ich weiß nicht, was ich sagen soll... Das ist mehr, als ich erwartet habe. Sie sind ein Goldstück“, Yūri hatte schon gemerkt, dass sie ihn plötzlich viel höflicher ansprach, seitdem sie bemerkt hatte, dass Yūri nicht nur ein kleiner Student war, der einfach einen Nebenjob hatte, sondern ihr tatsächlich auch helfen wollte. „Gerne. Ich habe ihnen auch meine Handynummer an die Pinnwand gehängt. Wenn etwas ist, rufen sie mich direkt an, so geht es dann schneller für sie und ich kenne mich mit allem hier aus. Das Ticket können wir ja dann später erstellen“, bot Yūri an und sie nickte dankbar. „Möchten sie vielleicht noch ein paar Blumen mitnehmen?“, fragte sie dann, doch er schüttelte mit dem Kopf. „Ich bin kaum zu Hause, das wäre schade um die schönen Blumen.“ Sie nickte verstehend, ließ jedoch nicht locker: „Und für ihre Mutter zum Beispiel? Oder Partnerin?“ „Meine Familie lebt in Japan. Also nein. Und eine Partnerin habe ich nicht“, antwortete er. „Oh je, das ist sicher schwer für sie. Familie ist so wichtig“, seufzte die Floristin. „Ich telefoniere oft mit ihnen, vor allem übers Internet, also ein Videochat. Manchmal ist es komisch, gerade an besonderen Festtagen, Geburtstagen oder so etwas. Aber ich glaube dennoch, dass der Schritt, hierher zu kommen, der Richtige war“, sagte Yūri und war überrascht, wie fest seine Stimme dabei klang. Immerhin fragte er sich im Schnitt mindestens einmal in der Woche, ob seine Entscheidung tatsächlich die Richtige war. Doch seine Worte schienen die Floristin, Yūri schätzte sie auf Mitte bis Ende 30, zu beruhigen. „Wenn ich mich irgendwie doch noch erkenntlich zeigen kann, lassen sie es mich wissen“, sagte sie, als sie ihn zum Ladenausgang begleitete. „Nun ja, in erster Linie bezahlen sie mich ja für diese Arbeit“, lachte Yūri verlegen und rieb sich mit einer Hand über den Hinterkopf. „Ja, das mag schon sein, aber bisher hat sich noch nie jemand so Gedanken darüber gemacht. Bisher wurde der PC immer irgendwie repariert und ich wurde belächelt. Ich weiß, dass ich keine Ahnung davon habe, deswegen wende ich mich ja an Spezialisten. Ehrlich gesagt, wollte ich ihrer Firma eine letzte Chance geben, da das alles so einfach ist. Man ruft an, die netten Damen nehmen das Problem auf und dann kommt jemand. Aber bisher... Na ja, jetzt sind sie ja für mich da. Das werde ich auch im Feedback-Fragebogen so weitergeben“, sie lächelte ihn breit an und Yūri fiel ein Stein vom Herzen. Fröhlich stieg er in seinen Wagen. Heute war noch der Termin mit einer Werkstatt, die ein Gutachten seines Schadens erstellen sollten. Yūri glaubte nicht, dass sonderlich viel kaputt war, aber die Versicherung beharrte darauf. Zusätzlich hatte Yūri Glück, dass die Werkstatt nur knappe 10 Minuten Fahrt entfernt war, sodass er schnell auf dem Gelände angekommen war. Kaum war er ausgestiegen, kam ihm ein Mitarbeiter entgegen. „Sie sind Herr Katsuki und das ist das gute Stück?“, fragte er, zog einen Handschuh aus und hielt ihm seine Hand hin. Yūri schlug ein und versuchte sein Gesicht nicht zu verziehen, als der Gutachter übertrieben fest zupackte. „Ja“, antwortete er knapp und fragte sich, wie ernst er 'das gute Stück' meinte. „Na, dann wollen wir ihn mal auf die Hebebühne fahren, was? Sie können schon einmal in die Werkstatt gehen, wenn sie möchten“, er deutete hinter sich und Yūri nickte. Natürlich hatte Yūri vermutet, dass er eine Weile dumm rumstehen würde. Dass er sich aber dermaßen Fehl am Platz fühlte, hatte er nicht erwartet. Immerhin hat er mittlerweile herausgefunden, dass er kein unabhängiger Gutachter war, sondern Mechaniker der Werkstatt. Das reichte wohl den meisten Versicherungen. „Also, ich bin ehrlich zu ihnen“, kam der Gutachter/Mechaniker nach guten 20 Minuten zurück und Yūri musste schlucken. „Da kann man nicht viel rausholen, der hat sie ja kaum berührt. Ich könnte ihnen die ganze hintere Partie neu machen. Bezahlt ja eh die Versicherung und der Unfallverursacher“, er sprach mit solch einer Gleichgültigkeit, dass Yūri sich zusammenreißen musste, um nicht unfreundlich zu werden. „Wie lange müsste ich dann auf das Auto verzichten?“, wollte er wissen. „Zwei bis drei Tage, mehr nicht“, gab der Fachmann zurück. „Kann ich ihnen dann morgen sagen, ob ich das annehme? Ich müsste mich in der Zeit um ein Ersatzfahrzeug kümmern und das sollte mir die Versicherung auch zahlen“, gab er zurück. „Sicher, sicher“, nickte er verstehend und lächelte. „Ein bisschen Geld rausschlagen ist immer eine feine Sache. Immerhin sind sie ja der Leidtragende von dem Unfall“, er zwinkerte ihm verschwörerisch zu und Yūri hoffte inständig, dass sein Grinsen so schelmisch wirkte, wie er wollte. „Richtig. Ich rufe sie dann morgen früh an“, verabschiedete er sich, stieg ins Auto und schaffte es gerade noch so bis um die nächste Ecke, bevor er mit diversen Beschimpfungen auf den Lippen die Nummer von Victors Versicherung wählte, um einen drohenden Betrug zu melden. Er würde einen Teufel tun und Victor ausnutzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)