Bird On A Wire von yezz ================================================================================ Kapitel 6: Wochenendplanung --------------------------- "Oh yeah, Baby... genau so. Daddy mag das...", knurrte Yūri. „Bist du heute ein artiges Mädchen?“ Als Phichit um die Ecke schaute, saß sein Mitbewohner am Frühstückstisch mit Müsli, Orangensaft und der Zeitung vor ihm. Er versuchte das vulgäre Vokabular zu ignorieren, welches so einfach aus Yūris Mund kam, dass man es kaum glauben mochte, wenn man die Person kannte. Die Laute, die Yūri von sich gab, gingen ihm in Mark und Bein und er hörte noch nicht einmal einen Bruchteil von diesem verdammten Gespräch! Yuri blickte auf und winkte Phichit, fragte ihn mit einer Handbewegung, ob er in sein Zimmer verschwinden wollte. Phichit winkte ab und deutete, dass er lieber erst einmal duschen gehen würde. Die Nachtschicht war hart für ihn gewesen und er musste seine Gedanken sortieren. Seine letzte Liebschaft war auch schon eine Weile her und jetzt, überarbeitet in dieses Szenario zu platzen, ging gerade gar nicht. „Heb dein Kleidchen noch ein wenig für Daddy, ja?... Hmmm, so ist es gut... Würdest du dich für mich über den Tisch beugen, Süße?“ Das war's! Phichit warf ihm einen angewiderten Blick zu. Also wirklich, er wusste nicht ob er lachen oder das Jugendamt anrufen sollte... denn das war einfach nur so falsch... Yūri ignorierte Phichits Blick und schlug die Seite der Zeitung leise um, damit die Laute ihn nicht verrieten. Interessiert blickte er durch die Job-Anzeigen und markierte sich rot, was ihn interessieren könnte. Dabei stöhnte und keuchte er ins Telefon, während er hörte, wie Phichit davon stampfte. Kurz danach war das Telefonat beendet und er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder seinen, nun weich gewordenen Knuspermüsli zu. „Himmel. Es ist kurz nach 7 und du telefonierst schon mit Perversen“, echauffierte Phichit, der mit Bademantel und nassen Haaren in die Küche kam. „Was zum Teufel, Yūri? Kannst du deine...“, er suchte nach Worte. „Arbeit vielleicht nicht machen, wenn ich nach Hause komme? Das nächste Mal kotze ich dir bei diesem perversen Mist vor die Füße!“ „Perverse zahlen gut, Phichit“, zuckte Yūri die Schultern. „So lange ich mit dem IT-Kram nicht über die Runden komme, muss ich mir so eben auf die Sprünge helfen. Außerdem kann ich nicht riechen, wann du nach Hause kommst.“ Phichit rollte mit den Augen. „Und warum bist du so früh am Telefon?“ „Na ja, gestern war ziemlich mau und auch wenn ich einen Pauschalbetrag als Aufwandsentschädigung zusätzlich für die festen Tage bekomme, hänge ich ein bisschen hinterher“, erklärte er und steckte sich einen Löffel weiches Müsli in den Mund und verzog das Gesicht. „Geschieht dir recht“, meinte Phichit nur. „Mal was anderes. Ich habe dir doch von diesem Kongress und diesem Austausch mit der Klinik in New York erzählt, bei dem ich aufgrund meiner Forschungsgruppe mitmachen darf, oder?“ Yūri nickte, also fuhr Phichit fort. „In 4 Wochen ist es soweit. Ich werde also für 3 Monate dort sein.“ Yūri fiel die Kinnlade runter. „So lange? Das ist echt krass. Also, ich freu mich für dich, aber es wird verdammt langweilig ohne dich“, gestand er. Phichit grinste. „Kommt davon, wenn du nie vor die Tür gehst. Du hättest dich mal wenigstens mit Frau Miller von nebenan anfreunden können.“ Yūri rollte die Augen. „Nein, danke. Ich kann darauf verzichten, mit einer 76 Jahre alten Frau über Verdauungsstörungen zu sprechen. Über mich beschwerst du dich, aber du bist nicht viel besser!“, stellte Yūri klar und zeigte mit den Finger auf seinen Mitbewohner. „Was? Das sind ganz natürliche, körperliche Prozesse!“, verteidigte sich Phichit lachend. „Meins doch wohl auch!“, Yūri sah ihn herausfordernd an. „Du solltest besser los, Uni beginnt bald“, lenkte Phichit ab und deutete auf die Uhr. Victor blickte aus dem Fenster von seinem Büro. In seinen Gedanken das sinnliche Schnurren und die verführerische Stimme am anderen Ende des Telefons an den vergangenen beiden Tagen. Yūri. Die Stimme war anregend. Ich kann sein, wer du möchtest, Victor... Er konnte immer noch nicht ganz sagen, was ihn da geritten hatte, tatsächlich diese Nummer zu wählen. Neugierde? Angestauter, sexueller Frust? Er hatte sich noch nicht einmal bewusst für eine Nummer entschieden, seine Finger hatten einfach nur gewählt. Du klingst wie ein Mann, der immer alles unter Kontrolle hat... möchtest du, dass ich dir die Kontrolle abnehme? Dieser Satz hatte ihn verwundert. Victor liebte Überraschungen und liebte es, andere zu überraschen. Sei es mit Gegenständen oder Taten. Aber es war tatsächlich so, dass sein Leben mehr und mehr in eine Bahn geriet, ohne Neuerungen. Er hatte alles im Griff, aber war das nicht langweilig? Und hier war Yūri, merkte es scheinbar nur an seiner Stimme und nahm ihn die Last. Er konnte sich zurücklehnen und auf der Welle schwimmen, die Yūri ihm vorbereitete. Doch er konnte auch seine Fantasien gegenüber einer Stimme ausleben, die er nur in der Nacht hörte. Hmmmm... das war wunderbar... Ruf mich wieder an... Victor. Er war Alan schon fast dankbar, dieses ansonsten recht geschmacklose Heftchen mitzubringen. Und wenn man schon davon sprach, konnte Victor das Spiegelbild seines Erfolgautors in der Fensterscheibe ausmachen. „Na? Beobachtest du die Damen im Fitness-Studio nebenan?“, kam es zur Begrüßung. „Nein, ich versuche nur gerade ein bisschen Ruhe zu tanken, bevor ich den Termin mit einem vorlauten Widerling habe“, gab er zurück ohne sich umzudrehen. „Wie? Kommt noch jemand?“, grinste Alan zurück. Victor seufzte und legte die Hand gegen die Stirn. „Selbstreflektion gehört wohl nicht zu deinen Stärken, was?“ Das brachte das Grinsen des Autors nicht zum Wackeln. „Warum sollte ich mir ständig sagen, dass ich großartig bin? Das weiß ich doch.“ Victor drehte sich kopfschüttelnd um. Doch bevor er antworten konnte, sprach Alan wieder. „Und, hattest du Spaß mit dem Heft?“, wollte er grinsend und mit erhobenen Augenbrauen wissen. „Ich habe es weggeschmissen“, stellte Victor kühl klar. Das war nicht falsch, immerhin hatte er es heute morgen mit dem Papiermüll rausgebracht. Er wollte vermeiden, dass er es vergaß und irgendwann jemand fand, der es nicht sehen sollte. „Meinst du das ernst? Noch nicht einmal reingeguckt?“, Alan spielte den fassungslosen, doch da Victor kurz zögerte, fing er sofort wieder an zu grinsen. „Aber du hattest vorher eine schöne Nacht damit, was? Erzähl mal, was fandest du besser? Die Kerle oder die Fra...“ „Alan Aaronovitch. Kein Wort mehr oder das Manuskript geht ohne die, von mir geforderten, Änderungen nicht in den Druck“, beendete Victor entschlossen das Thema. Er hatte keinen Nerv auf die großspurige Art des Anderen und noch weniger hatte er die Zeit dazu. Er beendete in Rekordzeit das Meeting und als Emil vorsichtig seinen Kopf durch seine Bürotür steckte, hatte er bereits die E-Mail an die Kollegin fertig, die das Cover des Buches gestaltete. Natürlich hatte ihn Alan da noch einiges an Nerven gekostet, aber am Ende hatte er sich mehr oder weniger durchgesetzt. „Ach, ich sehe schon, Alan hat dir wieder graue Haare bereitet“, lachte sein Kollege und kam herein. „Aber ich kann diese Farbe wenigstens tragen“, gab Victor im gespielt beleidigten Ton zurück. „Sicher, Victor. Wenn jemand diese Farbe tragen kann, dann du“, grinste Emil zurück und setzte sich auf dem Stuhl gegenüber von Victor. „Ach, Emil. Habe ich dir schon einmal erzählt, dass du mein Lieblingstscheche bist?“, fragte Victor ohne vom Bildschirm aufzuschauen. „Kommt wahrscheinlich daher, dass ich der Einzige mit tschechischer Abstammung bin, den du kennst, was?“, lachte Emil, als Victor aufblickte. „Führt dich etwas Bestimmtes hierher?“ Emil kratzte sich am Kinnbart. „Du meinst, außer die übliche Prokrastination und um zu sehen, ob mein Lieblingsrusse sein Meeting überstanden hat?“ „Lieblingsrusse? Jetzt fühle ich mich aber geschmeichelt“, grinste Victor. „Ich streite natürlich alles ab, wenn ich deinen Onkel treffe. Und was Satan und Lilia angeht, die sind weiblich, da trenne ich strikt.“ Victor rollte mit den Augen und drehte sein Bildschirm, damit Emil einen Blick drauf werfen konnte. „Anderes Thema. Alan möchte diese Änderungen für das Cover. Meinst du, ich habe mich da verständlich genug ausgedrückt?“ Er wartete, bis Emil die Zeilen seiner E-Mail und die Markierungen auf dem Entwurf begutachtete. „An wen geht das?“, wollte dieser wissen. „Michele“, antwortete Victor und Emil nickte. „Der kriegt das auf die Kette, ansonsten kann er auch fragen. Nicht so wie diese... Eva? Nein, Ava! Ich vergesse nie, wie sie bei der Weihnachtsfeier einen Aufstand gemacht hat, weil sie nicht neben dir sitzen wollte. Das war echt schon peinlich“, Emil schüttelte den Kopf, doch Victor winkte ab. Die Szene hatte er noch allzu deutlich, als sie sich echauffiert hatte, dass eine verdiente, langjährige Angestellte neben einem Stümper sitzen sollte, der nur durch Vitamin B in die Firma gekommen ist. Um das Ganze möglichst schnell zu beenden, hatte Emil dann mit Victor den Platz getauscht. Doch im Nachhinein hatte Ava noch einen Einlauf von ihrer Vorgesetzten kassiert, was ihre Meinung über ihn natürlich nicht gebessert hatte. Im Gegenteil, wann immer sie zusammenarbeiten mussten, tat Ava immer nur genau so viel, damit es nicht auffiel und verzögerte die Arbeiten absichtlich so weit es ging. Es raubte Victor manchmal den letzten Nerv. „Hör mal, Sara hat doch morgen Geburtstag. Wir waren am Überlegen, alle gemeinsam Essen zu gehen und dann noch um die Häuser zu ziehen. Bist du mit dabei?“ Victor legte einen Finger an die Lippen und überlegte, ob er irgendetwas für das Wochenende geplant hatte. Außer einige Manuskripte lesen hatte er allerdings nichts im Kopf. Vorsichtshalber schaute er noch einmal auf seinem Handy in den Terminkalender. Dann schielte er kurz auf den Stapel Manuskripte. „Und nein, dass du dir wieder Arbeit mit nach Hause nimmst, zählt nicht als Ausrede“, stellte Emil klar. „Na, dann hast du ja schon deine Antwort“, seufzte Victor theatralisch und hob kapitulierend die Hände. „Schuldig im Sinne der Anklage. Wann muss ich wo genau sein?“ „21 Uhr bei Parks. Gil hat uns schon einen Tisch reserviert“, damit stand Emil auf. „Parks klingt tatsächlich ziemlich gut. Haben wir ein gemeinsames Geschenk für Sara?“, grinste Victor doch sein Kollege rollte nur mit den Augen und schüttelte den Kopf. „Wäre ich nicht so ein herzenguter Kerl, Victor, könnte ich dich glatt über den Tisch ziehen. Du hast mir letzte Woche einen Fuffi gegeben. Sie kriegt einen Wellnessgutschein. Klingelt da was?“ Victors Blick ging nach oben und sofort tippte der Finger wieder gegen die Lippe. „Ah! Als ich wegen dem Manuskript über die marodierenden Todesgötter bei dir war!“, erinnerte er sich. „Natürlich erinnerst du dich an das Buch. Manchmal frage ich mich, ob wir dir als Kollegen irgendetwas bedeuten, es geht immer nur um Bücher bei dir, such dir mal ein anderes Hobby“, lachte Emil und ging in Richtung Tür. Er winkte noch einmal zum Abschied über die Schulter und war dann verschwunden. Victor legte den Kopf schief. Ein anderes Hobby außer Bücher? Er machte doch etwas Crossfit und las ab und an mal einen Manga. Und ansonsten nahm er sich so viel Zeit wie möglich für Makkachin. Reichte das nicht? Schulterzuckend drehte er den Monitor wieder zu sich und versendete die E-Mail. Emil hatte recht, falls Michele Fragen hatte, würde er schon auf ihn zukommen. „Ja, der Film war wirklich grottig“, lachte Phichit und streckte sich im dunklen Wohnzimmer. „So schlecht, dass er wieder gut war“, nickte Yūri und schob sich noch eine Handvoll Chips in den Mund. Doch Phichit schüttelte vehement den Kopf. „Nein. Das ist faktisch gar nicht möglich. Schlecht bleibt schlecht. Da helfen auch deine blöden Kommentare nicht mehr. Wobei, doch. Die waren eigentlich ziemlich unterhaltsam. Aber wer kommt auf so eine bescheuerte Idee? Haie die durch einen Tornado nach Los Angeles gebracht werden?“, Phichit konnte immer noch nicht fassen, was er da gesehen hatte. „Vergiss das Meerwasser nicht! Sonst hätten die Haie nicht überlebt!“, lachte Yuri. „Und die Motorsäge!“ „Ohja“, Phichit rollte mit den Augen. „Die Motorsäge war besonders wichtig.“ Yūri streckte sich und sammelte Gläser und die Schalen mit den verbliebenen Chips-Krümeln ein. „Sag mal, wollen wir uns morgen mal mit ein paar Leuten treffen? Leo ist wieder in der Stadt und Guang Hong kann seit Anfang des Jahres auch abends in eine Kneipe. Vielleicht bekommen wir auch JJ dazu überredet, mit den uncoolen Kids abzuhängen“, schlug Phichit lachend vor. „Du sabotierst meinen Gehaltszettel, das ist dir schon bewusst, oder?“, antwortete Yūri ihm „Ach komm schon. Ich hab das erste Mal in diesem Jahr ein Wochenende frei! Das will ich mit meinen Freunden genießen!“, entgegnete sein Mitbewohner. „Ich schaue, wie es morgen läuft und komme dann nach, ok?“, schlug er vor, doch Phichit schob seine Unterlippe schmollend vor. „Ohne dich ist es nicht das Gleiche!“ „Ja, ich weiß. Aber ich komme gegen 22 Uhr nach. Versprochen“, antwortete Yūri über die Schulter, während er zur Spüle ging um den Abwasch zu machen. „Gut, aber dann geht die erste Runde nach deinem Eintreffen auf dich“, beschloss Phichit eigenmächtig. „Moment mal. Ich komme später, weil ich meine Finanzen für nächsten Monat aufbessern möchte und du schröpfst mich noch weiter?!“, fassungslos blickte Yuri von der Küche ins Wohnzimmer. „Deine Wahl, mein Freund. Du hast noch bis morgen Abend Zeit dich zu entscheiden. Ansonsten musst du bluten“, grinste Phichit böse. „Fein, was auch immer. Hilf mir lieber mal beim Abtrocknen, wenn ich mich bald für 3 Monate um deine Hamsterplage kümmern muss!“, rief Yūri aus der Küche. „Plage!? Das nimmst du zurück, Katsuki! Ich verkupple dich morgen mit dem hässlichsten Mädchen im ganzen Lokal!“, drohte Phichit, der blitzschnell in die Küche geeilt war und drohte ihm nun mit dem Handtuch, während er eine der gespülten Schüsseln nahm. „Oder noch besser: Ich verkupple alle mit süßen Mädels, nur du kriegst keine ab“, grinste er. Yūri zuckte mit den Achseln. „Kein Problem, dann such ich mir halt einen knackigen Kerl. Guter Sex ist eben guter Sex“, scherzte er. „Sagt die Jungfrau unter uns“, Phichit streckte ihm die Zunge raus. „Aber trotzdem geht der Punkt an dich“, lenkte er ein, als er es förmlich in Yūris Gesicht sah, dass er das, doch mehr peinliche, Intermezzo mit einer abendlichen Errungenschaft hervor kramen wollte. Alle hatten ihn gewarnt, doch er wollte einfach nicht hören. Nun ja, am Ende war es glücklicherweise nur sein Portemonnaie und ein Teil seines Vertrauens in die Ehrlichkeit der Menschen, das bei der Nummer verloren gegangen war. Immerhin war er schlau genug gewesen, zu verhüten. Wer weiß? Vielleicht hätte es später als Andenken an diesen einen Abend irgendeine exotische Geschlechtskrankheit oder ein Brief mit Forderung für Alimente erhalten? Da waren die 200 Dollar noch verkraftbar gewesen, die dabei draufgegangen waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)