Schwach von Goetterspeise (Sakura-centric) ================================================================================ Kapitel 1: Alkohol ------------------ Schwach In der Kneipe war es laut, voll und stickig. Wenn man schlau war, atmete man durch den Mund – oder gar nicht. Am besten trank man einfach, redete mit keinem und ging dann wieder. Sakura starrte auf das nun mehr dritte Glas Whiskey in ihrer Hand und sie spürte langsam den Alkohol in ihrem Kopf. Aber es reichte noch nicht. Sie hob es an ihre Lippen und ließ die beißende, warme Flüssigkeit einfach in ihre Kehle fließen. Es schmeckte scheußlich und trotzdem bestellte sie ein Viertes bei dem jungen Barkeeper, dessen mitleidigen Blick sie ignorierte. Irgendwann würde sie an den Punkt kommen, an dem es ihr egal war, wie der Whiskey schmeckte, solange er stärker war als das, was in ihrem Herzen schlummerte und ihre Gedanken vergiftete. Sie war intelligent, eine der besten in ihrem Jahrgang, und wusste, dass ein solcher Rausch nicht von Dauer sein würde, dass er die Probleme, die sie hatten, nicht lösen konnte. Nur im Augenblick war ihr das wirklich egal. Der Barkeeper stellte ihr wortlos ein neues Glas gefüllt mit bernsteinfarbener Flüssigkeit hin. Nach einem kurzen Nicken umfasste sie auch dieses mit ihrer rechten Hand und starrte gedankenverloren hinein. Sakura wusste, dass sie nun nicht hier sitzen würde, wenn sie auch nur einmal auf ihren eigenen, gesunden Menschenverstand gehört hätte. In Selbstmitleid zu schwelgen und sich am besten bis zum Black-out zu betrinken, brachte sie nicht weiter. Aber was sollte sie sonst tun, wenn sie für die richtige Lösung zu schwach war? Wenn es ihr einfach nicht möglich war, die Reißleine zu ziehen, obwohl sie ganz genau wusste, dass es am Ende ihr Herz sein würde, das mit 200 Stundenkilometern auf dem Boden aufschlagen und in tausend Teile zerspringen würde. Oder war es das schon längst? Vielleicht, oder vielleicht konnte sie deswegen noch weiter leiden, weil es sich irgendwie in der Luft halten konnte. Am Ende machte es wahrscheinlich aber sowieso keinen Unterschied mehr. Sakura, die langsam Schwierigkeiten hatte auf dem harten Holzhocker zu sitzen, griff mühselig in ihre Hosentasche und fischte die Scheine, die sie seit dem Besuch des Supermarkts heute morgen dort mit sich herumtrug, heraus, um ihren Schnaps zu bezahlen. Sie rutschte schwerfällig hinunter und brauchte die Hilfe der Theke, an welcher sie sich mit der linken Hand festhielt, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Aber nicht einen Moment lang lockerte sich ihr fester Griff um das Glas. Zumindest ihre Hand besaß noch Kraft, Stärke. Genau wie ihre Füße, die sie nun langsam, aber relativ sicher durch die Menschentraube führten, bis sie schließlich an der breiten Eisentür ankam, welche sie mit einem Ruck zu sich zog und dann hindurch nach draußen ging. Der kalte Wind schlug ihr regelrecht ins Gesicht und bei den ersten Atemzügen der frischen Luft, bemerkte sie zum ersten Mal an diesem Abend den Schwindel. Sie war niemand, der regelmäßig trank, aber nach dem Streit heute, den Beschimpfungen und Schuldzuweisungen, war es ihr wie eine gute Idee vorgekommen, spontan in die Kneipe zu gehen, an der sie tagtäglich vor und nach den Vorlesungen vorbei ging. Ihr Blick glitt nach links, der Weg, der sie nachhause führen würde, zu ihm, zu dem ganzen Chaos. Dorthin, wo sie schmerzlich daran erinnert werden würde, dass sie nicht stark genug war, etwas an dieser ausweglosen Situation zu ändern. Wie sollte sie auch den Mut aufbringen, ihre Schwäche überwinden, wenn sie ihn doch liebte? Sie blickte auf das Glas in ihrer Hand, das sie unerlaubterweise entwendet hatte, und hob es an ihre Lippen. Dieses Mal schmeckte der Alkohol bei Weitem nicht mehr so schrecklich wie noch beim vorherigen Schluck – ganz zu schweigen vom ersten. Schließlich setzte sie es ab und ging langsam nach rechts – weg von ihm. Warum es ihr wie ein guter Einfall erschienen haben mochte in die Kneipe zu gehen, konnte sie nicht mehr sagen. Vielleicht hatte sie gehofft, sich Mut anzutrinken oder alles für ein paar Stunden zu vergessen; den Schmerz zu ertränken. Natürlich erfolglos. Vielleicht brauchte sie auch einfach mehr Alkohol. Wieso war sie überhaupt aufgestanden und rausgegangen? Ein leises Kichern über dieses dumme Verhalten entwich ihrer Kehle. Sie war schon wirklich dämlich. Hier draußen war es kalt und ungemütlich. Mit jedem neuen Schritt löste sich der Nebel in ihrem Gehirn nur mehr und sie fühlte sich an der nächsten Ecke schon fast wieder nüchtern. Es war eindeutig zu wenig Alkohol gewesen. Sakura blieb stehen, nahm einen kräftigen Schluck, wodurch sie das Glas leerte, und stellte es einfach auf die Bank der Bushaltestelle, die plötzlich neben ihr auftauchte. Komisch. Vielleicht war es doch schon genügend Hochprozentiges gewesen? Aber warum fühlte sich ihr Inneres dann immer noch so zerbrochen an? Wieso sah sie nach wie vor sein Gesicht vor sich und erinnerte sich an jedes einzelne Wort, das jemals zwischen ihnen zum Streit geführt hatte? Frustriert entwich Sakura ein leiser Schrei, der eine Katze auf der anderen Straßenseite aufschreckte. Sie brauchte eindeutig mehr Alkohol. Wenn sie sich nicht irrte, befand sich irgendwo hier in der Gegend ein 24-Stunden Supermarkt, in dem sie sich Nachschub besorgen konnte. Also streckte sie ihren Rücken durch und ging mit großen, bestimmten Schritten weiter. Sie musste das alles irgendwie aus ihren Gedanken bekommen oder aber am Ende dieser Nacht in der Lage sein, es zu beenden. Wenn sie nur nicht selbst zu schwach dafür wäre, einfach ihre Sachen zu packen und zu gehen. Vorübergehend bei einer Freundin einzuziehen oder sich irgendwo ein Zimmer zu mieten. Nicht einmal für einen solch feigen Abschied hatte sie genug Mut. Weil sie nicht stark genug war, um ohne ihn leben zu können. Er war wie eine Droge. Sie wusste ganz genau, dass ihr Körper und Geist daran zerbrechen würden, bloß in den Momenten, in denen er durch ihren Blutkreislauf und in ihr Herz schoss, fühlte sie sich großartig. Das Leid kam immer dann, wenn diese euphorischen Augenblicke vorbei waren – ein regelrechter Absturz. Tränen sammelten sich in ihren Augen und so nahm sie nur verschwommen das Licht der Leuchtreklame wahr, die auf der anderen Straßenseite über dem Eingang des kleinen, schmutzigen Supermarkts hing. Sakura machte einen weiteren Schritt darauf zu. Wurde von ihm angezogen wie eine Motte vom Licht. Plötzlich ertönte ein Hupen. Es wurde hell, irgendwo in der Ferne schrie eine Frau erschrocken auf und Sakura blieb wie angewurzelt stehen. Sie konnte nur gebannt auf die näher kommenden Scheinwerfer eines Autos starren, bevor dieses im nächsten Moment mit all seiner Masse und Geschwindigkeit ihren Körper erfasste und sie einen unbeschreiblichen Schmerz verspürte. Sie schrie auf. Doch dann wurde die Luft aus ihren Lungen gepresst und ihr blieb der Atem weg. Irgendetwas in ihrem Körper – die Rippen, das Rückrat oder ihre Hüfte – krachte laut, bevor sie auf die Kühlerhaube knallte, sofort wieder herunter gestoßen wurde und der kalte, nasse Asphalt ihr das Gesicht aufschürfte. Tränen liefen über ihre Wangen, als sie bewegungslos auf dem Rücken lag und darauf wartete, dass der Schmerz wiederkehrte, in ihr explodierte wie eine Bombe. Dass es sich so anfühlte wie noch vor wenigen Sekunden. Doch er kam nicht zurück. Sie bemerkte nur wie ihre Lider schwer wurden und zufielen. In diesem Moment kam ihr die wohl unpassendste Erinnerung ihres Lebens in den Sinn. Hitze, ein stickiger Vorlesungssaal und das Warten darauf, dass es bald vorbei war. Sie konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, wer alles da gewesen war, ob sie sich Notizen gemacht hatte und wer dieses Mal zu laut auf den Tasten seines Laptops getippt hatte. Nur an das Gefühl der Müdigkeit und diesen einen Satz, den sie nicht hatte nachvollziehen können: »Sobald man keine Schmerzen mehr verspürt, hat der Körper aufgehört zu kämpfen.« Wenn sie noch die Kontrolle über ihre Nerven gehabt hätte, wäre ihr nun wohl ein ironisches Kichern entwichen, doch sie spürte gar nichts mehr. Sie war einfach zu schwach um sich zu wehren, ihren Körper anzuspornen weiter zu kämpfen, sich nicht hängen zu lassen und zu zeigen, was sie eigentlich für eine toughe, junge Frau war. Doch es kam nichts. Nicht einmal das kleinste Aufbäumen. Nur das Realisieren, dass es wohl bald vorbei sein würde. Wie lange es dauerte, bis sie diesen Gedanken beendet hatte und er langsam in ihrem Kopf verblasste, war nicht klar. Vielleicht nur einige Sekunden oder ganze Jahre. Doch sie vernahm durch die Watte, die in ihren Ohren stecken musste, von weit weg eine Autotür, welche sich öffnete und schnelle Schritte, die in ihre Richtung kamen. »Sakura!« Sie kannte diese Stimme, selbst durch die Watte war sie unverkennbar. Doch eine solche Panik hatte sie darin noch nie vernommen. Ehrlich gesagt, hatte sie bisher selten überhaupt eine Emotion in seiner Stimme hören können. Sie spürte wie jemand ihre Hand in die eigene nahm und fest drückte. Sie öffnete schwerfällig ihre Lider und sah verschwommen sein Gesicht vor sich. Er sah aus als hätte er Angst. Das sollte er nicht haben. Sie wollte ihn aufmuntern, ihm zeigen, dass bald alles besser sein würde. Vergessen waren die vielen Streits und das Unglück, welches ihre Beziehung so oft in ihr weckte. Das sie fast an den Rand des Wahnsinns trieb. Sie liebte ihn und er liebte sie. Und mehr zählte nicht. Sie wollte ihm genau das sagen, ihre Hand gegen seine Wange legen und sich von ihm küssen lassen. Doch kein Ton kam über ihre Lippen. Stattdessen kroch langsam diese überwältigende Mündigkeit ihren Körper weiter hinauf, der sie sich nicht länger widersetzen konnte und wollte. Dafür fühlte es sich einfach zu gut an, zu einfach. Sakura gab sich ihr bereitwillig hin und die Schwärze umschloss sie wie ein Kokon. Sie war einfach zu schwach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)