Yajuu 3 von Avyr (-battles against insanity-) ================================================================================ Kapitel 15: Interlude: Das schwarze Loch ---------------------------------------- Da saß er nun also. Es regnete in Strömen und der Boden war furchtbar schlammig und kalt. Kei war bereits völlig durchnässt und doch spielte all das überhaupt keine Rolle mehr. Denn die Szene, die sich vor ihm abspielte, brannte sich so tief in sein Gedächtnis, dass es nie mehr gelöscht werden konnte. Während man ihm die Hände hinter dem Rücken gefesselt hatte und ihn zwang tatenlos zuzusehen, während er auf dem matschigen Boden am Rande der Stadt kniete, kämpfte Jade vor seinen Augen um ihr aller Leben. Ihres, dass ihres Kindes und das von Kei. Was geschehen war? Das war schnell zusammengefasst. Es waren einige Tage vergangen, seit Kei Jades Blut getrunken hatte. Sein Zustand hatte sich seitdem zwar nicht weiter verschlechtert, allerdings auch nicht gebessert. Er vegetierte den Großteil des Tages recht apathisch vor sich hin, unterbrochen von einigen lichteren Momenten, in dem es ihm relativ gut ging. Jade war so oft es ging bei ihm und versuchte ihr bestes, ihm den Alltag angenehm zu gestalten. Doch eines Tages klingelte und klopfte es plötzlich stürmisch an Tür. Es war recht spät am Abend und Kei war verwirrt. Doch ein Blick auf Jade und er hatte gesehen, dass sie offenbar ganz genau wusste, wer da vor der Tür stand. Hunter. Kei hatte nicht gewusst, dass sie Jade auf die Schliche gekommen waren. Wieso denn nur hatte sie nichts gesagt? Wieso war sie nicht rechtzeitig aus der Stadt geflohen? Doch er konnte sich die Antwort schon denken. Sie hatte es natürlich nur seinetwegen getan und sofort wünschte er, dass sie es nicht gemacht hätte. Aber nun war es zu spät. Die Hunter traten die Tür ein und nahmen Jade und ihn mit. Kei hatte nicht die Kraft sich dagegen zu wehren, er konnte ja kaum drei Meter laufen ohne außer Atem zu kommen, worauf die Hunter jedoch keine Rücksicht nahmen. Sie brachte Kei und Jade an den Rand der Stadt und schnell wurde klar, hier würden sie exekutiert werden. Jade wehrte sich nicht, aus Angst, dass die Hunter sonst Kei etwas antun würden. Ihm war es egal. Er war doch ohnehin dem Tode geweiht und er wollte sie anschreien, dass sie doch gefälligst fliehen sollte. Sie tat es nicht. Zu seiner Überraschung jedoch gab Jade letztlich nicht kampflos auf. Kaum hatten sie den Rand der Stadt erreicht, die Waffen der Hunter waren bereits gezückt, da schlug sie doch zurück. Offenbar belustigt, gingen die Hunter darauf ein und Kei wurde zu Boden gedrückt. Er musste alles mitansehen. Schnell wurde ihm klar, dass Jade keine Kämpferin war. Obwohl sie wirklich ihr Bestes gab, waren die vier Hunter, die sich ihr entgegen stellten, ihr überlegen. Es war logisch. Jade hatte seit Jahren nicht mehr gekämpft und ein ruhiges Leben als Mensch geführt. Und für die Jagd auf nichtsahnende Menschen brauchte man als Exile nun wirklich keine Kampferfahrung. Dafür reichte der Instinkt. Aber das hier war was anderes. Nach und nach setzten die Waffen der Hunter ihr zu. In Strömen floss ihr Blut zu Boden und Kei konnte den Blick einfach nicht abwenden. Er wollte schreien, aber keine Worte wollten ihn verlassen. Stattdessen brannte sich nur ein tiefer Hass auf die Hunter in sein Herz. Einen Hass, den er jahrelang nicht überwinden würde können. Es kam so, wie es kommen musste. Jade verlor. Eine tödliche Wunde, die ihr den halben Torso aufriss, beendete den Kampf. Sie sank entkräftet zu Boden und spuckte Unmengen an Blut. Jetzt schrie Kei doch. Er schrie ihren Namen und wurde dabei nur noch weiter in den Schlamm gedrückt. Er war als ihr Komplize angeklagt. Die Hunter sahen es nicht gern, wenn man einem Exile Unterschlupf gewährte, ohne ihn zu melden. Und in diesem Fall war er ja sogar mit ihr verlobt und hatte zusätzlich auch noch Blut für sie geschmuggelt. Ein schweres Verbrechen. Auch ihn erwartete der Tod. Endlich ließen sie ihn aufstehen. Mit all seiner verbliebenen Kraft rappelte er sich hoch und versuchte zu Jade zu kommen. Bevor er sie jedoch erreichte, durchfuhr in ein stechender Schmerz im Bauch. Als er an sich herunter sah, erkannte er die Schusswunden, die man rücklings auf ihn abgefeuert hatte. Er hatte die Schüsse nicht einmal gehört. Und doch war es ihm egal. Er spürte den Schmerz nicht einmal mehr. Dafür hatte er die letzten Wochen über schon genug Schmerzen erlitten. Er war wohl abgestumpft. Mit letzter Kraft kam er bei Jade an, die kaum noch bei Bewusstsein war. Man musste kein Arzt sein, um zu sehen, dass sie nur noch wenige Sekunden zu leben hatte. Kei nahm eine ihrer Hände und hielt sie vor sein Gesicht. Tränen, die er selbst nicht bemerkte und vom Regen überdeckt wurden, liefen sein Gesicht herab, als er ihren Namen flüsterte. Seine Stimme zitterte dabei. „Jade… Jade? Kannst du mich hören? Ich bin´s…“ Er fürchtete schon, dass sie gar nicht mehr antworten würde, aber sie schaffte es doch ihren Blick auf ihn zu richten. Ein erschöpftes, blutverschmiertes Lächeln trat auf ihr Gesicht. Auch sie weinte. „Kei… Ich hab es wohl verbockt.“, flüsterte sie schwach zurück, „Das war´s dann wohl.“ „Nein… Du hast gar nichts verbockt.“, gab er ohne zu zögern zurück und musste dabei Blut husten. Sie sah den großen Blutfleck, der sich auf seinem Shirt immer mehr ausbreitete und blickte ihn dann voller Kummer an. „Ich wäre wirklich gerne Mutter geworden und hätte eine Familie mit dir gehabt. Dank dir hab ich erfahren, dass auch ein Exile wirklich glücklich sein kann. Das werde ich dir nie vergessen.“ Sie schluchzte kurz und meinte dann weiter: „Ich wollte so sehr, dass wenigstens du überlebst…“ Weiter kam sie nicht mehr. Mitten im Satz setzte ihr Herz endgültig aus. Einen Moment blickte sie Kei noch direkt in die Augen, dann verließ sie der Glanz und ihre Lider schlossen sich zur Hälfte. In Kei brach seine Seele entzwei. Er hatte immer auf der Sonnenseite des Lebens leben dürfen. Nun war da aber nur noch Finsternis. Er hustete erneut und dann verließ auch ihn die Kraft. Er knallte neben ihr in den Schlamm, noch immer ihre Hand haltend. Sein letzter Gedanke, bevor die Dunkelheit sich seiner bemächtigte war zweigeteilt. Einerseits war da der Schmerz über seinen Verlust. Der Gedanke, dass Jade wegen ihm gestorben war, ließ ihn zerbrechen und andererseits war in seinem Inneren dieser gleisende Zorn. Der Hass, den er auf ihre Mörder hegte, die die Szene schweigend beobachteten. Jade hatte den Tod nicht verdient gehabt. Sie war kein wildgewordener Exile gewesen, der wahllos Menschen getötet hatte. Die Existenz der Hunter war ja nicht unnötig, aber sie machten einfach keinen Unterschied zwischen Gut und Böse. In ihren Augen waren alle Yajuu und Exile böse. Aber Kei wusste, dass stimmte ganz und gar nicht. Die Finsternis verschlang sein Bewusstsein und dann spürte auch er gar nichts mehr. Die Stunden verstrichen. Aus Abend wurde tiefste Nacht und die Temperatur sank stetig weiter. Da Ende November war, ging der Regen irgendwann in leichten Schnee über und da wurde Kei wieder wach. Er hätte damit als allerletzter gerechnet. Verwirrt schlug er die Augen auf und blickte sich um. Die Hunter waren längst verschwunden. Sie hatten ihre Opfer einfach zurückgelassen, aber Kei wusste aus Erfahrung, dass wohl morgen im Laufe des Tages ein Aufräumtrupp hier vorbeischauen würde. Sein Blick schweifte weiter zu Jade. Für einen Moment flackerte diese kleine Hoffnung in ihm auf, dass auch sie auf magische Weise überlebt hatte, aber ein Blick genügte, um diese zu zerschlagen. Jade lag steif und kalt vor ihm im Schlamm. Und trotzdem wirkte ihr Gesicht noch immer so friedlich, als würde sie schlafen. Wieder übermannte ihn die Trauer, dann kam die Wut und schließlich nur noch Leere. Sein Lebensmut hatte ihn verlassen und er fragte sich, wieso er überhaupt wieder aufgewacht war. Schließlich bemerkte er, dass sich die Schusswunden merkwürdigerweise geschlossen hatten. Sie waren nicht ganz verschwunden, sahen aber aus, als lägen sie schon Wochen zurück. Kei fand das befremdlich. Er fühlte sich definitiv nicht anders als vorher. Ihm ging es nur wieder besser. All die Probleme der letzten Wochen, die Erkältung, die Schmerzen, all das war fast verschwunden und kaum noch der Rede wert. Doch letztlich war ihm das völlig egal. Er wollte gar nicht mehr Leben, denn das was sein Leben lebenswert gemacht hatte, lag vor ihm auf dem Boden. Als er nach einiger Zeit, in der die Kälte bereits tief in seine Knochen gekrochen war, das Auftauchen von einigen Yajuu bemerkte, war er regelrecht erleichtert. Offenbar vom Blutgeruch angezogen, näherten sie sich Jade und ihm und beäugten ihn aufmerksam und neugierig. Der Hunger in ihren Augen war allgegenwärtig und so war Kei froh, dass er doch nicht weiterleben musste. Die Yajuu kamen langsam näher. Etwas skeptisch waren sie schon, dass er so gar keine Anstalten machte, zu fliehen, aber sie nahmen es wohl als leichte Beute hin. Doch auf einmal hielten sie inne und schreckten auf. Die beiden Yajuu blickten für einen Moment in eine Richtung hinter Kei und dann machten sie sich blitzschnell aus dem Staub. Kei konnte es nicht fassen. Wieso zum Teufel starb er heute einfach nicht? Da riss es ihn vom Boden hoch. Eine Klinge hatte sich um seinen Hals geschlungen und zerrte ihn in jene Richtung davon, vor der die Yajuu eben noch geflohen waren. Kei rang nach Luft. Seine Füße berührten den Boden nicht und nur mit einiger Anstrengung gelang es ihm, so weit nach unten zu schauen, dass er den Verursacher erkannte. Vor ihm stand ein verdammt grimmig dreinblickender Exile, durchtrainiert und tätowiert, mit kurz geschorenen Haaren und stahlgrauen Augen. Kei hatte diesen Typen noch nie zuvor gesehen, aber sein Gegenüber schien ihn zu kennen. Als dieser seine Stimme erhob, bebte der Zorn darin unüberhörbar. „Ich kann nicht fassen, dass du Ratte das Gemetzel hier überlebt hast. Und das erste war du mit deinem Leben anfängst, ist es vor ein paar Yajuu wegzuschmeißen?!“, herrschte er Kei an. Dieser war nun vollends verwirrt. Da er aber immer noch um Luft rang, konnte er nicht einmal antworten, was offenbar auch nicht gewollt war. „Nun hör mir mal gut zu.“, kam es stattdessen von dem Typen vor ihm, „Wenn es nach mir ginge, würde ich dich jederzeit selbst aufschlitzen oder noch viel Schlimmeres mit dir anstellen, aber da ich Jade versprochen habe, auf dich Acht zu geben, sollte ihr was zustoßen, kann ich das leider nicht. Also tu mir gefälligst den Gefallen und behandle das Leben das sie dir geschenkt hat, nicht wie Dreck oder ich schwöre dir, Versprechen hin oder her, ich mach dir dieses Leben zur Hölle auf Erden!“ Immerhin konnte sich Kei nun einiges Zusammenreimen. Er musste ein Freund von Jade gewesen sein. Sie hatte offenbar schon länger gewusst, dass sie wohl sterben würde. Nun knallte Kei zu Boden. Ty hatte die Klinge um seinen Hals gelöst und als erstes musste Kei mehrere Male husten, bis er wieder genügend Luft bekam, um zu antworten. „Du bist also ein Freund von Jade.“, war das erste, was er emotionslos von sich gab, „Offenbar kannst du mich nicht ausstehen, aber lass dir versichern, dass ich am liebsten auch nicht mehr aufgewacht wäre. Dann hätte ich dir diese Arbeit gerne erspart.“ Ty schnaubte nun wütend und genervt. „Ganz Recht, Mensch. Seit Jahren muss ich mir die Geschichten über dich anhören. Ich habe nie verstanden, wie Jade sich für ein Leben mit dir entscheiden konnte. Du warst ihr Todesurteil und deswegen würde ich nichts lieber tun, als dir eigenhändig den Hals umzudrehen. Da ich das aber nun einmal nicht kann, rate ich dir nur, ihr Andenken nicht mit Füßen zu treten.“ Kei musste kurz gequält auflachen. Es war so surreal, dass er es nicht fassen konnte. „Das ist wohl fair.“, meinte er nüchtern zurück. Zwar wollte Kei nicht wirklich weiterleben. Nicht ohne sie und doch verstand er, dass es wohl ihr Blut gewesen war, dass ihm das Leben gerettet hatte. Ty hatte Recht. Er konnte dieses Geschenk nicht einfach wegwerfen. So sehr ihn die Trauer auch quälte, er musste wohl weitermachen. Also tat er das, was er immer machte, wenn er mit seinen Emotionen nicht mehr zurecht kam und wurde rational. Mühsam rappelte er sich hoch und blickte dem Exile fest in die Augen. „Ich bin Kei, aber das wusstest du ja schon.“, meinte er emotionslos. „Ty.“, kam es kurz und knapp zurück. Der Exile blickte ihn noch immer grimmig an, aber Kei ließ sich davon nicht abschrecken. Immerhin war klar, dass Ty nicht wirklich vorhatte, ihn zu töten. Das hätte er längst tun können. „Vielleicht kannst du mir ja dann eine Sache erklären.“, Kei strich dabei über die fast verheilten Schusswunden von vorhin, „Wie ist das hier überhaupt möglich?“ Ty zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung. Hab das auch noch nie zuvor gesehen. Fakt ist, du riechst eindeutig nach Mensch mit einem kleinen Hauch Exile. Was auch immer Jades Blutaktion mit dir gemacht hat, ist dafür verantwortlich.“ Kei wurde klar, was das für ihn bedeutete. Er war noch immer zum Großteil ein ganz normaler Mensch, aber dieser kleine Anteil Exile hatte nicht nur die Schusswunden heilen lassen, sondern hatte auch die ganzen Symptome abebben lassen. Ihm wurde bewusst, dass er wohl nicht mehr daran sterben würde und doch konnte er sich nicht darüber freuen. Schließlich seufzte Ty genervt und meinte: „Genug geplaudert. Ich sag dir, wie das jetzt laufen wird. Morgen früh kommt der Aufräumtrupp der Hunter und wird euch abholen. Wenn du nicht mehr da bist, wirst du jedoch gesucht werden. Sicher nicht mit hoher Priorität, aber das bedeutet trotzdem, dass dein altes Leben hiermit vorbei ist. Da gibt es auch kein Zurück, hast du verstanden?“ Kei nickte nur. Ihm war das auch klar. „Ich hab einen Ort an dem du unterkommen kannst. Als Gegenleistung wirst du für mich arbeiten.“, erklärte Ty nun weiter, „Ich hab gehört, du bist Arzt. Das trifft sich ganz gut.“ „Ich soll als Arzt arbeiten?“, fragte Kei perplex nach. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. „Genau. Ein Arzt für Exile könnten wir gebrauchen. Nicht alle von uns haben eine gute Regenerationsfähigkeit und wären auf medizinische Hilfe angewiesen. Bisher haben sich da ein paar Leute drum gekümmert, die mal in der Medizin tätig waren, aber keiner von denen war auch Arzt. Die Praxis ist eine umgebaute Werkstatt im Innenhof hinter meiner Bar. Dort kannst du auch wohnen und ich kann ein Auge auf dich haben.“ Eigentlich war Kei nicht sonderlich erpicht darauf, dieses Angebot anzunehmen. Doch in Ermangelung an Alternativen, blieb ihm gar nichts anderes übrig. Und so willigte er schließlich ein und folgte Ty. Bevor sie diesen furchtbaren Ort aber verließen, verharrte Ty noch einen Moment und ging zu Jade hinüber. Kei blieb zurück und schaute voller Trauer zu seiner Verlobten, die nun von dem fremden Exile verdeckt wurde. Ty schien irgendetwas zu Jade zu sagen, was Kei aber nicht verstand und dann kehrte er zu dem Menschen, den er so sehr verachtete, zurück und nahm ihn mit. Ty hatte nicht gelogen, was die Praxis betraf. Man sah deutlich, dass es sich einst um eine recht große Werkstatt gehandelt hatte, aber man hatte das Beste daraus gemacht und alle wichtigen medizinischen Hilfsmittel konnte Kei dort finden. Für eine solide Grundversorgung reichte es allemal. Einen Warteraum oder eine Rezeption gab es nicht, aber man hatte einen Raum als eigentliche Praxis hergerichtet, in der man auch leichtere Operationen durchführen konnte und daneben befand sich ein Raum mit fünfzehn Betten, sodass man auch stationär behandelt konnte. In einem Lagerraum befanden sich noch ein paar Betten mehr, die notfalls auch noch hätten aufgebaut werden können. Vor dem Behandlungsraum war noch ein halbes Zimmer, dass als Flur diente und der Ersatz für einen Warteraum darstellte und hinter dem Praxisraum lag noch zwei private Zimmer plus Bad, die Keis neue Wohnung werden würden. Eingerichtet waren diese Zimmer bereits und da Kei ohnehin nichts mehr besaß, war er da auch nicht böse drum. Als Ty ihm alles gezeigt hatte, ließ er Kei erst einmal eine Weile allein, um sich duschen und ausruhen zu können. Morgen würde Ty dann alles Weitere klären, hatte dieser angekündigt und war dann ohne weitere Worte verschwunden. Es war offensichtlich, dass er nicht viel von Kei hielt, sich aber sich anstrengte, sein Versprechen zu halten und diese Gefühle dabei zu unterdrücken. Kei war das egal. Er hatte nichts gegen Ty, konnte aber durchaus nachvollziehen, wieso dieser ihn nicht sonderlich mochte. Kei hasste sich ja im Grunde aus denselben Gründen selbst, wie hätte er es Ty da übel nehmen können? Trotz allem war das warme Wasser der Dusche doch ganz angenehm. Mittlerweile waren die Schusswunden völlig verschwunden. Nur die Haut schimmerte noch etwas heller, als der Rest. Daran musste sich Kei erst einmal gewöhnen. Als er einige Zeit später erschöpft ins Bett fiel, erwartete ihn eine unruhige Nacht. Von Alpträumen mit den Geschehnissen der Nacht geplagt, immer wieder Jades Tod durchlebend, schlief er einen unruhigen Schlaf, bis er irgendwann gegen Mittag völlig erschöpft erwachte. Letztlich fühlte er sich nun sogar noch müder, als zuvor. Trotzdem rappelte er sich auf und trottete in den Küchenbereich. Der Magen hing ihm in den Kniekehlen du das erste Mal seit Wochen war sich Kei sicher, dass er das Essen auch drin behalten konnte. Seine Stimmung jedoch war auf dem Tiefpunkt. Er vermisste Jade schrecklich. Ihr Tod nagte noch immer an ihm und der tiefen Trauer wich langsam einfach nur eine nicht enden wollende Leere, die fast noch schwerer zu ertragen war. Irgendwann kam Ty vorbei und brachte Kei ein paar saubere Klamotten mit. Außerdem gab er ihm einen Bündel Geld mit den Worten, dass er sich davon den Rest selbst einrichten solle. Zum Schluss gab er Kei noch den Rat, vielleicht etwas an seinem Aussehen zu ändern, damit die Hunter ihn nicht so leicht wiedererkennen würden und dann nahm er Kei mit in die Bar. Für normale Besucher war sie geschlossen und trotzdem war sie gut gefüllt. Kei ahnte, dass alle Gäste hier Exile waren. „Das ist er also?“, fragte jemand skeptisch, als Ty Kei vorgestellt hatte. Die Skepsis war allgegenwärtig. Immerhin war Kei trotz allem ein Mensch und das war für die Exile nicht so leicht zu akzeptieren. Immerhin durften sie Kei ja auch nicht jagen. Das war strengstens von Ty untersagt. Auch darüber machte sich unterschwellig Unmut breit. Kei verübelte es ihnen nicht. Angst hatte er dennoch keine. Sein Herz schlug die ganze Zeit über völlig ruhig, als ginge ihn das alles nichts an. Immerhin das schienen die Exile mit Anerkennung zu betrachten. Ihren Respekt musste er sich letztlich durch Taten verdienen. Das war klar. Und so begann für Kei ein neues Leben, an das er sich schneller gewöhnte, als er gedacht hätte. Er war überrascht, wie viele Patienten er zu betreuen hatte. Schon am ersten Tag wurden mehrere recht akute Fälle eingeliefert. Meistens waren es Exile, die nur knapp Huntern entkommen waren, manchmal waren es aber auch Kämpfe untereinander, die sie hierher brachten. Und immer wieder sah er Fälle wie bei Jade. Exile, die eigentlich friedlich unter den Menschen zu leben versuchten, welche auf brutalste Weise exekutiert wurden. Manchmal konnte er solche Fälle retten, meistens nicht, denn oft wurden sie zu spät gefunden. Das nagte an ihm mehr, als er sich eingestehen wollte, denn mit jedem neuen Fall, spielte sich Jades Tod wieder und wieder vor seinen Augen ab. Die Wochen vergingen. Rasch verschaffte sich Kei Respekt unter den Exile, denn an seinen Fähigkeiten als Arzt zweifelte schnell niemand mehr und auch Kei fand eine gewisse Erfüllung darin. Immerhin hatte er immer gerne als Arzt gearbeitet. Dass er nun Exile statt Menschen behandelte, störte ihn dabei gar nicht. Außerdem folgte er Tys Rat und begann sich die Haare zu färben. Nach mehreren Farben blieb er schließlich bei blaugrün hängen. Er hatte selbst nicht vermutet, dass er ein Typ für sowas gewesen wäre, aber es gefiel ihm. Er begann eine besonders lange Strähne zu flechten und wachsen zu lassen. Den Rest der Haare hielt er jedoch kürzer und kämmte sie immer nach hinten weg, damit sie ihm nicht ins Gesicht fielen. Außerdem begann er aus Spaß farbige Kontaktlinsen zu tragen. Was mit nur einer Farbe begonnen hatte, wandelte sich bald in einen Tick um, dass er jeden Tag die Farbe wechselte. Schon bald wusste keiner mehr so genau, was seine originale Augenfarbe mal gewesen war. Aber obwohl es grundsätzlich irgendwie mit seinem Leben voranging, blieb die Leere bestehen. Jede Nacht quälten ihn dieselben Bilder jener schrecklichen Nacht und jede Nacht wachte er schweißgebadet auf und verfluchte die Hunter für alles. Erst kamen daher die Zigaretten, dann der Alkohol. Was mit nur einer Zigarette am Abend und einem Drink begann, artete schnell aus und Kei verkam regelrecht zum Kettenraucher und abendlichen Alkoholiker. Tagsüber, wenn er arbeitete, war er immer nüchtern, aber abends schoss er sich jeden Tag ab, um in einen traumlosen Schlaf zu fallen. Alles nur, damit er diese Bilder nicht mehr sehen musste. Auch Ty bemerkte dieses selbstzerstörerische Verhalten natürlich, aber konnte nichts daran ändern. Immerhin hielt sich Kei an seinen Teil des Deals und durch die beachtliche Regenration die er nun besaß, schien der Alkohol spurlos an ihm vorbeizuziehen, wenn er morgens aufwachte. Es war faszinierend und erschreckend zugleich, wie sehr sich Keis Charakter veränderte. Einst war er ein lebensfroher Mensch gewesen. Meistens gut gelaunt, hilfsbereit und immer zu Späßen bereit. Doch nun war er meist in sich gekehrt, wurde ein perfekter Schauspieler, wenn es darum ging, die Gefühle zu verstecken und schien das Leben als solches als langweilig zu erachten. Meistens trank Kei für sich allein in seiner Wohnung, aber manchmal kam er auch in die Bar rüber. Monate waren inzwischen ins Land gegangen und auch wenn Ty Kei anfangs regelrecht gehasst hatte, hatte er ihn mittlerweile mögen gelernt. Dies schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen, denn er war der einzige mit dem Kei halbwegs normale Unterhaltungen führte, ohne seine Gefühle völlig zu verbergen. Und so kam es manchmal, wenngleich sehr selten vor, dass Kei durchblicken ließ, wie sehr die vergangenen Ereignisse ihn immer noch quälten. Der Hass auf die Hunter fraß ihn innerlich auf und Ty wusste nicht Recht, wie er damit umgehen sollte. Irgendwann würde Kei explodieren, dass wusste er, aber gleichzeitig wusste er nicht, was man dagegen hätte machen können. Eines Nachts jedoch kam ein Notfall rein. Ein schwer verletzter Exile, der gerade so den Huntern entkommen war, wurde von zwei weiteren Leuten in die Praxis getragen, während Ty zu Kei lief, um diesen zu holen. Ty hatte Keis Wohnung bisher nicht betreten, seit dieser hier eingezogen war. Sie war auch nach wie in tadellosen Zustand, doch was Ty etwas verstörte, war eine spezielle Wand, an der eine große Dartscheibe hing. Diese wiederrum war gespickt mit Fotos von Huntern und Ty nahm stark an, dass dies wohl jene waren, die damals bei der Jagd auf Jade beteiligt gewesen waren. Kei saß einige Meter entfernt auf einer kleinen Couch. In der einen Hand hatte er eine Flasche Hochprozentigen, mit der anderen warf er mit tödlicher Präzession Pfeile auf die Scheibe. Darunter stand zwar der Fernseher, der auch lief, aber Ty war sich sicher, das Kei nicht mal wusste, welche Sendung gerade kam. Außerdem fiel ihm die beachtliche Menge an leeren Alkoholflaschen auf, die auf dem Tisch vor dem Sofa standen. Es war wild durcheinander, eigentlich alles vertreten. Wodka, Rum, Whisky, Schnaps, Tequilla und noch mehr. Wie viele davon wohl auf heute Nacht zurückgingen, konnte Ty nur erahnen. Aber so wie er Kei kannte, der Müll nicht gerade lange rumliegen ließ, waren das höchstens die Bestände der letzten drei Tage. „Wir haben einen Notfall.“, meinte Ty nun, während all diese Eindrücke auf ihn einprasselten. „Geht klar, bin gleich da.“, kam es gelangweilt zurück. Kei lallte nicht einmal, was Ty schon fast gruselig fand. Stattdessen warf Kei nun den Pfeil auf die Scheibe, traf eines der Hunterbilder mitten ins Schwarze und erhob sich dann elegant vom Sofa. Er stellte den Tequilla, den er gerade noch getrunken hatte, auf den Tisch, aber nicht ohne vorher noch einen ordentlich Schluck daraus zu nehmen. Dann kam er kerzengerade auf Ty zu. „Bist du denn nüchtern genug dafür?“, fragte dieser skeptisch nach, obwohl er ja sehen konnte, dass Kei nicht sonderlich betrunken schien. Wenn überhaupt, war dieser leicht angetrunken. „Sicherlich.“, kam es mit einem halbherzigen Lachen zurück und dann ging Kei in die Praxis. Kei klang fast schon deprimiert über diese Tatsache und Ty ahnte, dass Kei deswegen so große Mengen Alkohol trinken konnte, weil sein Körper sich so schnell regenerierte und er begann sich wundern, welche Ausmaße das wohl noch annehmen würde, wenn nichts geschah. Immerhin schien die Menge die Kei zu sich nehmen konnte, bevor er einen Effekt spürte, fast täglich zuzunehmen. Ty folgte Kei argwöhnisch in die Praxis, während er sich weiter darüber wunderte. Der verletzte Exile keuchte vor Schmerzen. Mehrere tiefe Wunden zogen sich Torso und Rücken entlang. Das Shirt hatte man ihm bereits ausgezogen und so konnte Kei auf den ersten Blick schon sehen, dass es nicht gut um ihn stand. Trotzdem schätzte er, dass der Exile es wohl überleben würde. Ein Mensch wäre bei diesen Wunden längst gestorben. „Was ist passiert?“, fragte Kei geradezu beifällig, während er sich an die Arbeit machte, um den Patienten wieder zusammen zu flicken. „Die Hunter haben ihn gefunden.“, erklärte einer der Helfer, während der Exile selbst die Zähne zusammenbiss, um nicht laut loszuschreien, während Kei die Wunden säuberte. „Dabei hat er doch nur gejagt, wenn er wirklich musste.“, beschwerte sich der andere Helfer und Kei kniff dabei unmerklich die Augen zusammen. Das alte Leid. Ein unauffälliger Exile, der nur des Überlebens Willen Menschen jagte und trotzdem auf der Abschussliste gelandet war. Wann immer er solche Geschichten hörte, kochte der Zorn aufs Neue in ihm hoch und verdrängte die Leere, die er sonst meist fühlte, für einen Moment. „Die scheinen gerade nicht ausgelastet zu sein, wenn die Zeit haben, jeden noch zu ungefährlichen Exile zu jagen.“, meinte der erste Helfer nun wieder, woraufhin der Zweite zustimmend nickte. „Wäre echt mal wieder an der Zeit, dass mal ein hohes Tier hier auftaucht, dass die elenden Hunter auf Trab hält. So kann es doch nicht weitergehen. Ist doch so nur eine Frage der Zeit, bis wir alle tot sind. Dann musst du deine Praxis wohl dicht machen, was Kei?“ Kei blickte kurz auf und rang sich ein halbherziges Lächeln ab. „Ich würde sie jederzeit dicht machen, wenn ich nicht so viele Patienten hätte. Solange sich da aber nichts tut, hab ich noch offen.“ Zwanzig Minuten später war er fertig. Er hatte die Wunden zusammengeflickt und dem Exile Schmerzmittel gegeben, die erfahrungsgemäß nicht sehr lange wirkten, aber für diese Nacht wäre der Exile über den Berg. Die Helfer und Kei brachten ihn in eines der freien Betten, wo bereits zwei weitere Exile lagen und dann kümmerten sich die Helfer um den Rest, während Kei sich eine Zigarette anzündete und nach vorn zu Ty trottete. „Wird er es schaffen?“, fragte dieser leise nach. „Ich denke schon. Wird wohl ne Weile dauern, aber der wird wieder.“, gab Kei nickend zurück. „Wir können froh sein, dass wir dich haben.“, meinte Ty nun und das überraschte Kei. Ty war eigentlich nicht der Typ dafür, solch ein Lob auszusprechen. Verwundert blickte er zu ihm herüber und dieser zuckte nur mit den Schultern. „Nun, ich meine, eigentlich war das nur Mittel zum Zweck am Anfang, aber hätte nicht gedacht, dass die Exile so auf dich zählen würden. Wäre eine Schande, wenn verschwinden würdest.“ Jetzt wurde Kei klar, worauf Ty hinaus wollte und er lachte lieblos auf. „Mach dir keine Sorgen. So schnell trete ich schon nicht ab. Daran können auch die Zigaretten und der Alkohol nichts ändern.“ Ty brummte nur zur Antwort. Offenbar war er mit dieser Reaktion nicht wirklich zufrieden, beließ es aber dabei. Er verabschiedete sich noch kurz und kehrte dann in seine Bar zurück, während Kei noch einen kurzen Blick auf die Patienten warf, um die sich die beiden Helfer kümmerten und verschwand dann ebenfalls wieder in seiner Wohnung. Ein Stechen ging durch seine Magengrube, als er eintrat und er zuckte kurz zusammen. Seit einigen Wochen hatte er dieses Problem wieder. Es fühlte sich fast so an wie damals, als er am Verhungern gewesen war und sein Magen deswegen rebelliert hatte. Aber auch wenn es sich so anfühlte, die Übelkeit und auch sonst keines der anderen Symptome war zurückgekehrt. Er vertrug Essen ganz ohne Probleme und begann sich fragen, ob es vielleicht doch Folgen von seinem exzessiven Alkoholkonsum waren. Während das krampfhafte Stechen langsam abebbte, trottete er leicht zusammengekrümmt zurück zu der Couch. Ein letztes Mal meldete sich sein Magen, dann beließ er es für dieses Nacht sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)