Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 31: Die Amme -------------------- „Lady Oscar, Ihr habt Besuch.“   „Wer ist das, Sophie?“ Oscar war gerade mit André fleißig dabei, alles für die Heimreise vorzubereiten.   Sophie trat zur Seite und ließ ein junges Ehepaar in den Salon herein. Oscars Gesicht erhellte sich. „Rosalie! Bernard! Ihr seid doch gekommen!“   „Bitte verzeiht, dass wir zu Eurer Hochzeit zu spät kommen, aber...“ Rosalie schniefte, sie sah abgemagert und traurig aus. „Oh, Lady Oscar...“. Schluchzend entriss sie sich von Bernard und fiel in Oscars Arme. Sie zitterte und weinte hemmungslos.   Oscar stand vorerst perplex da, aber dann umarmte sie sachte die junge Frau und strich ihr sanft durch das blonde Haar. „Ach, meine arme Rosalie... Du brauchst doch nicht deswegen gleich weinen... Wir sind euch nicht böse und sind überhaupt froh, dass ihr gut angekommen seid...“   „Ganz recht!“, bekräftigte André ihre Aussage und kam mit Bernard nach der Begrüßung auf die beiden zu.   „Darum geht es nicht...“, sagte Bernard mit belegter Stimme.   Erst jetzt bemerkte Oscar seinen geplagten und traurigen Gesichtsausdruck. Auch André fiel das auf. „Was ist passiert?“, wollte Oscar gleich besorgt wissen.   André schaute von der schluchzenden Rosalie zu Bernard und ihn beschlich ein unwohles Gefühl. „Ist etwas mit eurem Kind?“, fragte er ganz vorsichtig und da brachen Rosalie in Oscars Armen noch mehr Tränen aus. Sie klammerte sich an ihre Schutzpatronin wie ein Ertrinkender an einem Strohhalm. „Er ist tot...“, brachte sie durch bittere Tränen heraus. „Er hat nicht einmal eine Stunde gelebt... Und ich wollte ihn so sehr nach Euch benennen, Lady Oscar...“   Oscar schluckte einen dicken Kloß und sah kreidebleich ihren Mann an. Andrés Gesichtsausdruck zeigte dasselbe Entsetzen und dieselbe Bitterkeit. „Das... das tut uns leid...“, flüsterte Oscar fassungslos. Was konnte man schon in so einer Situation sagen, wenn man keine richtigen Worte dazu fand, außer Beileid?   Sophie, die in dem Salon auch geblieben war, schlug ein Kreuz in der Luft und bettete stumm für die kleine, arme Seele. Bernard schaute von seiner Frau weg und erzählte mit angespannten Sehnen, was wirklich geschah: „Unser Kind kam Anfang August zur Welt – zwei Wochen später als es voraussichtlich sein musste... Es war ein Junge... aber er war schwach... deshalb hatte er nur eine Stunde leben können...“ Dann richtete er seinen Blick scharf auf Oscar. „Warum? Warum trifft es immer die Unschuldigsten?“   Weder Oscar, noch André konnten ihm darauf eine Antwort geben, denn die gleiche Frage schoss ihnen gerade auch durch den Kopf. Und ausgerechnet in diesem Moment der Trauer und Bitterkeit entstand das Schreien eines Kindes aus der Ferne. Oscar biss sich auf die Unterlippe - das war jetzt ein falscher Zeitpunkt! Rosalie hob hellhörig den Kopf, ihr Weinkrampf verstummte augenblicklich und ihr glasiger Blick starrte geradeaus auf die Tür, die gerade aufging. Die Hausherrin höchstpersönlich betrat den Raum und ihr auf dem Fuß folgten zwei Dienstmädchen. Aber all die staunenden, überraschten und unbehaglichen Blicke waren nicht auf sie, sondern auf zwei kleine, quengelnde Wesen auf den Armen der beiden Dienstmädchen gerichtet. „Es tut mir leid, Oscar, aber sie haben schon wieder Hunger...“ Emilie blieb mitten in ihrem Satz stehen, als ihr der Besuch auffiel. „Oh, Rosalie! Du bist doch noch gekommen...“   „Nicht jetzt, Mutter!“, ließ sie Oscar nicht weiter reden. „Geht bitte mit ihnen noch eine Runde um das Haus! Ich komme gleich nach!“   „Aber wieso...“ Emilie verstand es nicht, aber sie spürte die angespannte und bedrückte Atmosphäre ganz deutlich, die in dem Raum hing. „Was ist geschehen?“   „Rosalies Kind ist vor ein paar Wochen gleich nach der Geburt verstorben...“, erklärte Sophie, aber so leise, dass Emilie sie kaum hörte. Dennoch verstand Emilie sie und schlug ihre Hand vor den Mund. „Es tut mir aufrichtig leid... Das wusste ich nicht...“   Rosalie machte einen Ruck. Wie ein Geist ging sie auf den blondgelockten Säugling zu. „Er hatte das gleiche Haar gehabt... aber glatt... wie meines...“ Sie streckte nach ihm ihre Arme aus. „Darf ich ihn halten?“ Das Dienstmädchen schaute fragend zu Oscar und nach ihrem zustimmenden Nicken, gab sie den Jungen an Rosalie. Diese wiegte das Kind sachte in den Armen und begann ein leises Lied zu singen. Das Quengeln der Zwillinge verstummte – vorerst das des Jungen und dann das des Mädchens. Wie verzaubert standen alle Anwesenden da und lauschten Rosalies heller Stimme.   Emilie erwachte als erste aus ihrer Starre. Sie nahm behutsam ihre Enkeltochter aus den Armen des Dienstmädchens und kam mit ihr zu Oscar. „Du kannst sie derweilen stillen und danach deinen Jungen.“   „Ja, das könnte ich...“ Oscar nahm Andrée an sich und Emilie scheuchte die Männer diskret aus den Gemächern. „Und ihr, meine Herren, kommt mit mir in meinen Salon. Oscar und Rosalie kommen schon alleine zurecht, denke ich.“ Sie drehte sich noch kurz um. „Sophie, bereite bitte für uns alle einen Tee.“       Als Oscar alleine mit Rosalie und den Zwillingen in ihrem Salon blieb, setzte sie sich auf die Loge, knöpfte ihr Hemd auf und legte ihre Tochter an die Brust. Andrée saugte begierig, dass es beinahe schmerzte, aber noch mehr schmerzte Oscar das Herz beim Anblick auf die junge Frau und welch ein grausames Schicksal ihr widerfahren war. Rosalie schwebte langsamen Schrittes vor ihr auf und ab, wirkte ganz versunken in sich selbst und auf ihren Wangen glänzten die Spuren von stummen Tränen. Dann endete das Lied und sie setzte sich neben Oscar hin. „Das war ein wunderschönes Lied...“, fand Oscar ihre Stimme wieder, aber hielt ihren Blick noch immer gesenkt auf ihre Tochter.   „Danke, Lady Oscar...“ Rosalie sah dabei auf den Jungen in ihren Armen. „Ich habe mir das Lied erdacht, als ich bei Euch das Klavier spielen durfte... Ich hatte das meiner Schwester Jeanne damals gewidmet... aber sie ist schon lange tot... Und dann habe ich es meinem Sohn vorgesungen, bis er entschlafen war... für immer...“   „Rosalie...“ Oscar hob schlagartig ihren Blick und konnte nicht verhindern, dass auch ihre Wimpern feuchter wurden.   „Warum bringe ich immer allen nur Unglück?“, wisperte Rosalie und drückte etwas fester das Kind an sich.   „Das stimmt nicht!“, protestierte Oscar und im selben Moment begann ihr Sohn zu weinen – er fühlte sich ein wenig zu fest gedrückt.   Rosalie lockerte sofort ihre Arme. „Verzeiht, das wollte ich nicht...“ Sie wiegte ihn wieder, aber er hörte nicht mehr mit dem Weinen auf.   „Hab Geduld, du bist gleich dran.“, sprach Oscar in seine Richtung. „Deine Schwester ist mit dem Trinken so gut wie fertig...“   „Darf ich ihn stillen?“, fragte Rosalie etwas schüchtern und Oscar weiteten sich verdattert die Augen. Rosalie sah sie gleich flehend an. „Bitte, Lady Oscar... Der Milchstrom hört bei mir immer noch nicht auf... Ich weiß nicht, was ich damit tun soll... Nur dieses einziges Mal...“   „Also gut...“ Oscar konnte diesem Blick einfach nicht widerstehen.   „Danke.“ Geschickt öffnete Rosalie ihr Mieder und legte den Jungen an. Der Kleine verstummte abrupt und saugte genüsslich an der Brust. Anscheinend gefiel ihm die fremde Milch genauso gut, wie die von seiner Mutter oder er merkte keinen Unterschied darin – Hauptsache er konnte seinen Hunger stillen und musste nicht erst warten, bis seine Schwester gesättigt war.   Das war ein ganz anderes Gefühl, ihr Kind beim Saugen von der Seite zu betrachten und doch spielte sich ein leises Lächeln um Oscars Mundwinkeln. „Siehst du, Rosalie, du bringst niemanden Unglück. Mir hast du immer Glück gebracht... und jetzt machst du den Kleinen glücklich...“   „Da könntet Ihr recht haben, Lady Oscar...“ Zum ersten Mal huschte bei Rosalie auch so etwas wie ein Lächeln. „Ich habe gleich gewusst, dass es Eure Kinder sind... und auch Andrés...“   „Ist es denn so offensichtlich?“ Oscar war leicht überrascht.   „André liebte Euch schon seit immer und als ich vor vier Monaten bei Euch einen gewölbten Bauch bemerkt habe, ahnte ich sofort, dass Ihr guter Hoffnung seid... und dass André der Vater ist.“   Oscar schmunzelte wieder. „Ach, Rosalie...“   „Ich freue mich sehr für Euch und Euer Familienglück, Lady Oscar.“   „Ich danke dir, Rosalie.“ Oscar entfernte ihre eingeschlafene Tochter von der Brust und knöpfte schnell das Hemd zu. „Die kleine heißt Andrée und der Junge... er heißt... Oskar...“   Rosalie schimmerten kurz die Augen, aber dann fasste sie sich zusammen. „Es sind sehr schöne Namen, Lady Oscar... und passen sehr gut zu Euren Kindern...“   Oscar legte mitfühlend die freie Hand auf den Oberarm der jungen Frau. „Rosalie, du weißt, meine Türen stehen für dich immer offen...“, weiter kam sie nicht. Als wollte die Tür zu ihrem Salon ihre Worte unterstreichen, ging sie auf und die Hausherrin trat herein.   Emilie war ganz gerührt bei dem sinnlichen Bild, das sich vor ihren Augen abspielte. „Oscar, ich wollte nur nachschauen, ob alles bei euch in Ordnung ist und euch in meinen Salon zu bitten. Der Tee ist bereits vorbereitet.“   „Danke Mutter, wir kommen gleich.“ Oscar stand auf und brachte ihre Tochter in die Wiege. Als sie aus dem Schlafzimmer in den Salon zurückkehrte, saß ihre Mutter neben Rosalie und sie hörte nur wie die junge Frau mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen sagte: „Es wird mir eine Ehre sein, Madame.“   „Was wird dir eine Ehre sein?“ Oscar runzelte missverstanden die Stirn – sie verabscheute Gespräche hinter dem Rücken.   „Rege dich nicht gleich so auf, Liebling.“ Emile erhob sich von der Loge und fasste sachte ihre Tochter bei der Schulter. „Ich habe ihr nur erklärt, dass du im Gegensatz zu ihr bald keine Milch zum Stillen mehr hast und ihr angeboten, Amme für deine Kinder zu sein.“   „Mutter!“, empörte sich Oscar fassungslos.   „Was ist schon dabei? Du wolltest sowieso nach einer Amme Ausschau halten, sobald wir auf dem Anwesen sind.“   „Ja, aber Rosalie hat...“, weiter sprach Oscar nicht, um die junge Frau nicht zu verletzen.   Rosalie stand mitsamt dem Säugling auf und kam lächelnd auf Oscar zu. „Das würde mir nichts ausmachen, Lady Oscar, macht Euch um mich keine Sorgen... Es würde mir sogar helfen, über den Verlust hinwegzukommen...“   Oscar zweifelte noch etwas. „Bist du dir sicher?“   „Ich bin mir ganz sicher, Lady Oscar. Bei Euch war ich doch immer so glücklich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)