Mikaela, Yūichirō und der Dolch von Writing_League ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Mikaela fluchte. Es war früh am Morgen und von seinem Mitbewohner war weit und breit nichts zu sehen. Nur seine Hinterlassenschaften zeugten davon, dass Yū vor Mika wach geworden war, das Bad benutzt hatte und beim Hinausgehen offensichtlich mal wieder vergessen hatte, das Licht zu löschen. Davon, das Fenster zum Durchlüften zu kippen, fing er gar nicht erst an. Sowohl Spiegel als auch Glasscheibe waren mit einem dicken Film Wasserdampf eingehüllt. Lediglich eine weitere schlechte Angewohnheit Yūs kam hier zupass, die Türen ständig offen stehen zu lassen. So konnte die feuchte Hitze wenigstens auf den Gang hinaus entweichen. ‚Dieser Tollpatsch...‘, dachte Mika nicht zum ersten Mal. Yū war ziemlich faul geworden, seit sie eine große Wohngemeinschaft gegründet hatten. Während Kimizuki und Yoichi sich um alles kümmerten, was mit der Küche zu tun hatte und Shinoa und Mitsuba die Wäscheberge wegwaschten und -bügelten, war es Mikas und Yūs Aufgabe neben ihrem eigenen Schlafzimmer auch die Gemeinschaftsräume sauber zu halten; Toiletten, Bad, Wohnzimmer und Flur. Eigentlich eine vergleichsweise leichte Aufgabe, denn mit Staubwischen hatte der Vampir schon als Kind kein Problem gehabt und Staubsaugen war auch nicht allzu schwer. Aber er musste eine Woche vorher anfangen, auf Yūichirō einzureden, damit dieser das entsprechende Arbeitsmaterial zur Hand nahm. Mika dachte sich manchmal, dass er ohne seinen Freund viel schneller zu Potte kommen würde, aber das würde nur dessen Faulheit unterstützen. Jetzt stand der Blondschopf im Bad und sinnierte nicht zum ersten Mal darüber, ob seine Beziehung zu dieser Ausgeburt an Unselbständigkeit von Dauer sein würde. Wie hatte er es nur geschafft, als Kind mit Yū klar zu kommen? „Hilft ja alles nichts...“ Mika ging zum Fenster hinüber und öffnete es komplett, damit die Feuchtigkeit abziehen konnte. Danach verließ er das Bad wieder und betrat das Schlafzimmer, um wenigstens das Bett zu machen. Duschen würde er dann wohl heute Abend. Der Blondschopf griff zu seiner Bettdecke, schüttelte sie einmal ordentlich durch und legte sie dann zusammengefaltet auf die Matratze. Mit Yūs Decke verfuhr er genauso; dessen Kissen musste er dann vom Boden aufsammeln. ‚Wo er nur steckt?‘ Yūichirō hatte seinen Freund offensichtlich ausschlafen lassen. Und da sich auch sonst nichts in der Wohngemeinschaft rührte, ging er davon aus, dass die Menschen alle gemeinsam irgendwo unterwegs waren. Und hatten ihm nicht Bescheid gegeben, nicht mal ein Hinweiszettel auf dem Küchentisch. Nicht, dass Mika danach gesucht hatte, aber vor allem Shinoa war immer darauf bedacht gewesen, den Vampir mit einzubinden. „Scheinbar haben sie seine schlechten Angewohnheiten unterstützt...“, murmelte Mikaela. Er zuckte mit den Schultern, brachte das Bett endlich in Ordnung und zog sich dann an. Seit er ein Vampir war, war es für ihn selbst im tiefsten Winter nicht mehr unangenehm, nur in Unterhosen herumzulaufen. Jedoch, das konnte man schließlich auch nur machen, wenn man eine Wohnung ganz für sich alleine hatte und nicht Gefahr lief, dass jemand ohne Vorankündigung hereinplatzte. Mika atmete einmal tief ein und wieder aus. Danach öffnete er das unterste Fach der Kommode, wühlte seine Unterwäsche beiseite und holte ein kleines, längliches Päckchen daraus hervor. Es war in weißes Geschenkpapier verpackt und mit einer knallroten Schleife verziert. Irgendwie passend zum Anlass. Skeptisch blickte der Vampir auf das Geschenk hinab. Hatte er da wirklich die richtige Idee gehabt? Heute war White Day, ein Tag, der den meisten eher unbekannt war und über den Mikaela auch nur Bescheid wusste, weil er mal in einem Buch darüber gelesen hatte. Traditionell erwiderte man am White Day, jedes Jahr am 14. März, Aufmerksamkeiten, die man von seinen Lieben am Valentinstag bekommen hatte. Und nachdem der Blondschopf von seinem Freund Yū am 14. Februar unerwartet eine selbstgebastelte Papierblume geschenkt bekommen hatte, sah Mika sich in der Pflicht. Jetzt hieß es nur noch, den richtigen Moment abzuwarten und zu hoffen.   ***   „Also wirklich, Yū, musst du dich immer mit so viel Süßkram vollstopfen?“, schimpfte Mitsuba. Eine Menschentraube kam gerade zur Tür herein, bepackt mit zahlreichen Einkaufstüten. Der Gescholtene erwiderte etwas, was aber niemand verstand, weil er zeitgleich auf einem Bissen Schokoriegel herumkaute. „Wahnsinn...“, meinte Kimizuki und schleppte seine Tüten an dem Schwarzhaarigen vorbei in die Küche. Shinoa und Yoichi folgten ihm grinsend. Mitsuba ließ ihren Plastiksack direkt von Yūichirō auf den Boden plumpsen, enthielt er doch hauptsächlich Sachen ihres Teamkollegen, die er selber nicht mehr tragen konnte. „Blanke...“, grummelte er, schob sich den Rest des Schokoriegels zwischen die Lippen, nahm die Tüte zusätzlich zu seinen zwei eigenen und erklomm die Stufen ins erste Obergeschoss. Seine Lippen waren mit Schokolade verschmiert. Mika, der an der Tür zu ihrem gemeinsamen Zimmer stand, bemerkte er erst, als er direkt vor ihm stand. „Huch?!“ Warum hatte der Vampir eine leichte Rötung auf der Nase? „Wart ihr einkaufen?“ „Jap... Mika, bist du krank?“ „Nein, wie kommst du darauf?“, fragte der Blonde irritiert. „Weil du so rot bist im Gesicht...“ Warum musste er auch immer das Offensichtliche ansprechen? Wie zur Bestätigung lief Mikaela puterrot an, drehte sich auf dem Absatz herum und verschwand in ihrem Schlafzimmer. Yū folgte ihm einige Sekunden später. „Was ist nur mit dir...?“, murmelte er mehr zu sich selbst, während er die Einkaufstüten neben seiner Seite des Bettes abstellte. Ziellos fing er an, in einer von ihnen herumzuwühlen. „Ich hab‘ was für dich“, meinte Mika leise. Erst im zweiten Moment realisierte Yū, dass er gemeint war und hörte in seinem Tun auf. Wortlos drehte er sich zu seinem Freund um, der ein kleines, längliches Päckchen in den Händen hielt, verpackt in weißes Geschenkpapier und verziert mit einer blutroten Stoffschleife. „Was zum...! Ich hab doch gar nicht Geburtstag...“ „Ich weiß, aber heute ist White Day.“ „Was für’n Tag?“ Mika konnte nicht mehr. Wenn er seinem Freund jetzt auch noch haarklein den Sinn des White Days erklären musste, überlegte er es sich vielleicht doch anders. Die Situation war so schon schwierig genug für ihn, an Peinlichkeit nicht zu überbieten, aber der wirklich komplizierte Teil würde erst noch kommen. Nämlich dann, wenn er Yūichirō die Sinnhaftigkeit des Geschenks erklären musste. Denn darauf würde es unweigerlich hinaus laufen. „Tu mir den Gefallen und mach es einfach auf...“ Yū sah seinen Freund perplex an, dann überwand er die wenigen Meter, die sie voneinander trennten. Mika sah verschämt auf dem Boden, als Yū das Geschenk entgegennahm, scheinbar überfordert darauf hinabblickte und dann andächtig die Schleife löste. ‚Himmel, wenn er noch länger braucht, geh ich raus...‘, dachte der Vampir. Endlich war der Mensch bei den Klebstreifen des Geschenkpapiers angekommen. Es kam Mikael vor, als würde sein Freund sie in Zeitlupe abziehen, unschlüssig darüber, was ihn erwarten würde. Nach einer gefühlten Ewigkeit war das Geschenk befreit. „Ein... Küchenmesser...?“, stellte Yū fest. Er warf einen letzten zweifelnden Blick auf das fragwürdige Geschenk und sah dann seinen Freund an. Der starrte immer noch mit hochrotem Gesicht zu Boden. „Es ist kein Küchenmesser...“ „... Ah...“, zweifelte Yūichirō. „Es sieht aber wie eines aus.“ „Es ist ein magischer Dolch...“ „Ein... magischer Dolch... Was kann er denn?“, fragte Mikas Freund skeptisch und fing an, den Gegenstand von allen Seiten zu betrachten. „Du weißt hoffentlich, dass ich mit meinem Katana geübter bin...“ Mikaela betrachtete Yū schweigend, was diesem jedoch völlig entging. Konnte, sollte er es ihm wirklich sagen, wozu der Dolch gemacht war? So grenzdebil, wie Yūichirō sich häufig benahm, war es nicht auszuschließen, dass er völlig ausrasten und ein Donnerwetter über den Vampir hereinbrechen würde. Wobei Yū die Gefühle seines Freundes natürlich völlig außer Acht lassen würde. „Also? Wozu ist der?“ Der Blondschopf blickte verwirrt auf. Er schien so in Gedanken versunken gewesen zu sein, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie sich Yūichirōs Aufmerksamkeit auf ihn richtete. Ernst sah er ihm ins Gesicht. Mikaela gab sich einen Ruck. „Mit diesem Dolch kann man Vampire töten...“, presste er mit einem Kloß im Hals hervor. Sein Gegenüber sah ihn schweigend an. „Also eine verfluchte Waffe...“, schloss er. „Ja... Nein...! Himmel...“ „Was denn nun?“ „Das ist keine verfluchte Waffe im eigentlichen Sinn. Sie ist weder von einem Dämon besessen, noch wurde sie von Menschen erschaffen.“ „Und wer hat sie geschmiedet?“ Yū hielt den Dolch wie ein Küchenmesser. „Vampire...“ „Ah... Also eine spezielle Vampirwaffe, wie dein Schwert?“ „Nein...“ „Nein?“ Mikaela sah verzweifelt zu Boden. Wieso musste sein Freund auch so ein Hornochse sein, um nicht selber darauf zu kommen. „Der Dolch ist geschmiedet, um damit Vampire zu töten...“, sagte er leise. „Um... Vampire zu... töten...“, schloss Yū. Fast fünf Minuten schwiegen sie sich nur an. „Und ich soll für dich einen gewissen Vampir aus dem Weg räumen oder sowas? Dafür ist der Dolch?“, fragte der Mensch. „Was? Nein!? Mann, Yū, hast du es denn immer noch nicht kapiert?!“ Und wieder war es ihm passiert. Der Blondschopf war aus der Haut gefahren, eine Eigenschaft, die er sich erst als Vampir angeeignet hatte. „Damit sollst du mich töten, wenn ich meinen Verstand verliere...“ „Wenn du... deinen Verstand verlierst...“ Weiter kam Yūichirō nicht. Er war sich nicht sicher, ob er Mika richtig verstanden hatte. Es kam zwar äußerst selten vor, dass der Vampir Schwachsinn faselte, aber man konnte schließlich nie wissen. Vielleicht war er heute mit dem falschen Fuß aufgestanden. Yū war schließlich nicht dabei gewesen, sondern war mit den anderen im Supermarkt einkaufen gegangen. Gut möglich, dass dem Vampir also etwas über die Leber gelaufen war, von dem sein Freund nichts mitbekommen hatte. „Geht es dir gut?“, fragte er daher, auch weil Mikaela ein ziemlich blasses Gesicht bekommen hatte. „Mir ging es nie besser“, log Mika. Yū kannte ihn offenbar besser, als ihm lieb war, denn er sah wenig überzeugt aus. „Also du möchtest von mir, dass ich dich umbringe, wenn du durchdrehst...? Verstehe ich das richtig?“ Der Vampir nickte ernst. „Findest du nicht, dass du etwas übertreibst?“ „Mann, Yū! Begreifst du denn nicht? Ich werde vielleicht nicht ewig bei klarem Verstand bleiben, selbst, wenn wir jetzt alle zusammenleben. Wenn es soweit ist, möchte ich... möchte ich, dass du derjenige bist, der...“ „... Der was?“ „Mir den Dolch ins Herz stößt“, konterte Mikaela inzwischen leicht genervt. „Muss man denn alles haarklein vor dir ausbreiten?“ Doch anstatt etwas Trotziges darauf zu erwidern, sah Yūichirō ihn nur stumm an. „Das klingt so dramatisch, wenn du es so formulierst...“, meinte er einige Minuten später leise. „Entschuldige...“ Der Vampir ließ die Schultern hängen. Irgendwie hatte Yū gar nicht so reagiert, wie er es von ihm erwartet hatte. Okay, dass er manchmal schwer von Begriff war, war keine Seltenheit. Aber Mikaela hatte erwartet, einen Einlauf von ihm zu bekommen, angeschrien zu werden, dass das gar nicht in die Tüte komme und dass er sich stattdessen lieber jemand anderen suchen solle. Und dass er ihn dann für den Rest der Woche anschweigen würde. Stattdessen hatte Yūichirō angefangen, zwischen seinem Freund und der Waffe hin- und herzuschauen. „Ich weiß nicht, ob ich das hin kriege...“ Der Blondschopf seufzte erleichtert. Yū schien sich nicht groß gegen die Wünsche seines Partners sperren zu wollen. Dass es für ihn eine reine Kopfsache sein würde, ob er Mikaela den Dolch ins Herz stoßen könne oder nicht, das war dem Vampir von Anfang an klar. Aber er zweifelte nicht daran, dass Yūichirō es schaffen würde. „Ich weiß...“, antwortete er daher nur leise. „Mir würde es nicht anders ergehen. Allerdings kann ich diese schwerwiegende Aufgabe nur dir anvertrauen, das verstehst du hoffentlich.“ Yū legte den Dolch weg. „Weil du den anderen nicht vertraust?“ „So meine ich das nicht...“, verteidigte Mika sich. „Die anderen würden wahrscheinlich weniger Probleme damit haben, mich umzubringen, als du.“ „Und? Hast du nicht Angst, dass ich im letzten Moment kneifen könnte?“, fragte Yū. „Doch, natürlich. Aber mir fällt es sicher auch leichter, wenn du derjenige bist, der mir den Todesstoß versetzt...“ „Du meinst, du wehrst dich dann nicht?“ „Exakt!“, rief der Vampir aus. Endlich hatte es sein Freund begriffen. „Okay, aber nur, wenn du ab sofort wieder lächelst“, meinte Yūichirō. Der Blondschopf wich einen halben Schritt zurück, als sein Partner ihm die Lippen zu einem Lächeln auseinanderzog. „Hochn guht! Lach mich loch!“ „Nächstes Mal schenkst du mir was anderes! Etwas, wo ich selber auch was von habe. ... Willst du dir die Palme ansehen, die wir gekauft haben?“ Mikaela lief knallrot an, folgte seinem Freund dann aber, um besagtes Gewächs in Augenschein zu nehmen.   ~ FIN ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)