Wie man es noch sagen kann von Yosephia ([Romance OS-Sammlung/ Prompt-Liste]) ================================================================================ 12. “Take my jacket, it’s cold outside.” (Rugura) ------------------------------------------------- Die Aula summte wie ein Bienenstock und war auch genauso geschäftig. Die Leute standen dicht an dicht und konnten sich nur mit Trippelschritten fortbewegen. Wer einen Sitzplatz hatte ergattern können, traute sich gar nicht mehr, diesen zu verlassen. Und wer nicht so glücklich war, suchte nach einem bequemen Stehplatz im hinteren Bereich und an den Seiten, von dem aus man dennoch einen guten Blick auf die Bühne hatte. Trotz der Bemühungen des Hausmeisters hatten viele Zuschauer sich auf die hohen Fensterbretter geschwungen und sahen von dort aus Beine baumelnd dem munteren Treiben zu. In all dem Getümmel sah man immer wieder Leute, die sich verzweifelt nach denjenigen umsahen, mit denen sie verabredet waren. Aus dem Gesumm der Menge drangen immer wieder einzelne Laute hervor. Hier ein lautes Lachen, dort ein Ruf oder ein Pfiff, zuweilen auch ein Fluch. Und immer wieder die Probetöne des Orchesters im Graben vor der Bühne. Von einem Spalt im Vorhang aus beobachtete Kagura das bunte Treiben und war trotz des Stress’, der ihr im Nacken saß, dankbar dafür, dass sie hier war und nicht dort in diesem Gedränge. Schon allein, weil ihr der Platz vor der Bühne vollkommen reizlos erschien. Auf der Bühne bekam sie es mit der Angst zu tun, aber hinter der Bühne war sie voll in ihrem Element. Selbst wenn ein halbes Dutzend Leute gleichzeitig etwas von ihr wollte, hier gehörte sie einfach hin. Hier wusste sie immer, was zu tun war. Hier liefen ihr Verstand und Körper auf Hochtouren. „Das sieht aus, als wäre ganz Magnolia hier“, rief Millianna aufgeregt, die am Boden zu Kaguras Füßen hockte, um aus demselben Spalt im Vorhang lugen zu können. Mit leuchtenden Augen blickte sie zu Kagura auf. „Das wird super!“ Kagura runzelte skeptisch die Stirn. „Es sollten nicht so viele sein. Die Ordner werden ständig lüften müssen, damit die Leute überhaupt noch atmen können.“ „Das lässt sich nicht mehr ändern“, mischte sich Lisley mit der ihr eigenen Gemütsruhe ein und klopfte Kagura auf die Schulter. „Der Druckfehler bei der Kartenanzahl wurde ja für die nächsten Auftritte behoben. Da wird es dann ruhiger.“ „Aber ist es nicht faszinierend, dass es so viele Leute geworden sind?“, zwitscherte Millianna und richtete sich geschmeidig auf, um ihr Kostüm glatt zu streichen. „Na ja, wenn einige der bestaussehenden Jungen der Schule in den Hauptrollen sind…“, meinte Lisley vage und zwinkerte Kagura zu. Sofort stieg dieser die Hitze ins Gesicht. Lisley war ein Goldstück, es war unvorstellbar, dass sich irgendwo eine bessere Freundin als sie finden ließe, aber sie konnte auch so ein richtiges Biest sein! Zum Glück hatte Millianna nichts bemerkt. Sie hüpfte bereits zu einem der anderen Schauspieler und erzählte ihm aufgeregt, wie voll es draußen wäre – dass ihr Kollege bei dieser Schilderung langsam grünlich anlief, schien sie in ihrem Überschwang nicht zu bemerken. Die meisten der Schauspieler hatten offensichtlich mit den Nerven zu kämpfen. Ganz in der Nähe tigerte Erza auf und ab und stotterte ihren Text vor sich hin, ihre Schritte steif wie bei einem Roboter, während Jellal mit dem Taktstock an der kleinen Treppe stand, an deren Fuß eine Tür in den Orchestergraben führte, und seine langjährige Freundin mit einem besorgten Stirnrunzeln bedachte. Während sie sich durch die Leute schlängelte, um überall noch mal nach dem Rechten zu sehen, machte Kagura einen großen Bogen um die Rothaarige, die zwei Jahrgänge über ihr in der Klasse ihres Bruders war. Normalerweise kam sie gut mit Erza zurecht, hatte ein beinahe schwesterliches Verhältnis zu ihr, aber heute war Erza das reinste Nervenbündel. Kaguras Blick fiel auf Lisleys Freund Orga, der mit seiner bulligen Statur und den wilden, grünen Haaren mühelos aus der Menge aufragte und gerade beruhigend die zierlichen Schultern der jüngeren Yukino tätschelte. Die Weißhaarige saß auf einem Stuhl und hatte die Hände wie für ein Gebet gefaltet, was ihr Zittern jedoch kaum verbergen konnte. Daneben tänzelte einer der Hauptdarsteller mit einem noch breiteren Grinsen auf der Stelle herum, als Millianna es vorhin gezeigt hatte, und schwatzte munter auf seinen Freund ein, der jedoch nervös die Lippen aufeinander gepresst hatte. Zu Yukinos anderer Seite lehnte Rufus, der Star des Stücks an der Wand, seine Körperhaltung und Miene vollkommen gelassen, als müsste er nicht gleich vor hunderten Menschen auf die Bühne treten und abnorm viel Text aufsagen. Seine langen, blonden Haare waren entsprechend seiner Rolle geflochten. So hatte Kagura ihn außerhalb der Proben noch nie gesehen und heute war es auch das erste Mal, dass sie ihn in voller Kostümierung sah. Um die Kleider hatte sich ihre Freundin und Klassenkameradin Araña gekümmert und sie hatten alle viel zu viel um die Ohren gehabt, als dass Kagura sich mal die Zeit hätte nehmen können, Mäuschen spielen – nicht dass sie sich das jemals getraut hätte, dafür war sie noch immer viel zu verlegen, wenn es um ihn ging. Als hätte er ihren Blick bemerkt, sah der Blonde auf. Auf seine beherrschten, edlen Züge schlich sich ein warmes Lächeln, das Kagura das Gefühl gab, als stünde ihr Herz kurz vor dem Kollaps. Ein Teil von ihr wollte schreiend weg laufen, ein anderer verspürte den Drang, den Kopf gegen irgendetwas Hartes zu hämmern. Aber gleichzeitig war es so ein gutes Gefühl, im Zentrum von Rufus’ Aufmerksamkeit zu stehen… „Kagura, wir haben einen Notfall!“ Die Schwarzhaarige wirbelte überrascht herum, als auf einmal Lucy neben ihr auftauchte. Die Blondine sah reichlich aufgelöst aus, die Haare zerzaust, die Arme voll mit mehr Unterlagen, als man es für ein simples Schultheaterstück für nötig erachten sollte, und das Gesicht von heller Panik gezeichnet. „Die Krone fehlt!“ „Das kann nicht sein“, widersprach Kagura und straffte die Schultern. „Ich habe sie gestern nach der Generalprobe selbst eingepackt und den Karton zu den anderen Sachen gestellt, die hierher sollten.“ „Irgendjemand“, rief Lucy viel zu schrill und die Art, wie sie dieses Wort betonte, ließ Kagura ahnen, wer der Missetäter sein könnte, „hat sie sich heute früh ausgeliehen und jetzt liegt sie… keine Ahnung, wo!“ Lucy sah aus, als wäre sie kurz davor, zu hyperventilieren, und wenn Kagura ehrlich war, ging es ihr einige Schrecksekunden lang ähnlich. Die Krone war so ziemlich die wichtigste Requisite des Stücks und Kagura hatte sie bei den Proben wie ihren Augapfel gehütet! Kagura zwang sich, tief durch zu atmen und ihre geballten Fäuste zu entspannen, dann legte sie Lucy beruhigend die Hände auf die Schultern. „Ganz ruhig! Wir haben noch zehn Minuten, bis der Vorhang aufgeht, und die Krone wird erst in der zweiten Szene gebraucht. Ich renne rüber zu unserem Probenraum und nehme ihn auseinander, wenn es sein muss. Du hältst hier die Stellung!“ „Du bist eine Lebensretterin!“, rief Lucy, den Tränen nahe. Hastig winkte Kagura ab und schlängelte sich wieder durch die herumstehenden Schauspieler hindurch, um die Seitentür der Aula aufzureißen. Sofort kam ihr ein Schwall eiskalter Winterluft entgegen. In der vollgepackten Aula war es schon so warm, dass Kagura nur ihr schwarzes Crew-Shirt und dazu passend schwarze Jeans trug, aber sie hatte jetzt auch keine Zeit dafür, sich noch einmal an all den Leuten vorbei zu quetschen und ihre Jacke zu holen, zumal die wahrscheinlich unter tausend anderen Sachen begraben lag. „Nimm meine Jacke. Es ist kalt draußen.“ Warmer, schwerer Stoff legte sich um ihre Schultern, der geradezu betörend duftete. Durch den Stoff hindurch spürte Kagura schlanke Hände auf ihrer Schulter. Als sie sich herum drehte, blickte sie in Rufus’ dunkelgrüne Augen. „Ich habe zufällig mitgekriegt, was Lucy gesagt hat. Da ich deine Jacke auf die Schnelle nicht finden konnte, kriegst du eben meine“, erklärte er. Auf den Lippen des Blonden lag ein nachsichtiges Lächeln, als er sah, wie Kagura errötete. Er sah sich einen Moment lang um, dann beugte er sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Und sei vorsichtig draußen. Es ist bestimmt glatt.“ Mit nun noch heißeren Wangen nickte Kagura langsam und drehte sich mit steifen Bewegungen um. Als sie die kurze Metalltreppe hinunter gestiegen war, drehte sie sich noch mal um. Rufus stand noch an der Tür, obwohl er selbst frieren musste, und beobachtete sie vertrauensvoll. Kagura wäre am liebsten noch mal nach oben gestiegen, um ihn richtig zu küssen, aber sie rief sich selbst zur Ordnung. Er verließ sich auf sie. Lucy verließ sich auf sie. Das ganze Team verließ sich auf sie! Wild entschlossen wirbelte sie herum und eilte über den riesigen Schulhof, um ihre Mission zu erfüllen. Ob es an Rufus’ Jacke oder an dem Prickeln lag, das der Kuss auf ihrer Wange hinterlassen hatte – von der schneidenden Kälte spürte sie kaum noch etwas. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)