Der Drache und die Nacht von Arianrhod- (OneShots) ================================================================================ [April | Bittersüßer Nachtschatten] Dropping Hints -------------------------------------------------- Wie hypnotisiert starrte Rogue die Pflanze an, die da so unschuldig vor ihm auf dem Tisch stand. Es war nur ein (relativ) kleines Ding, mit elliptischen, spitz zulaufenden Blättern von tiefgrüner Farbe und stand in einem einfachen Topf, der mit Folie umhüllt war. Die dünnen Äste waren leicht behaart und rankten sich an einigen zusammengebundenen Zweigen nach oben. Das an den Stamm gebundene Informationsblatt hatte ihm mitgeteilt, dass die Pflanze bis zu zehn Meter hochwerden konnte, wenn sie genug Platz zum Wachsen und Ranken hatte. Jetzt allerdings war sie zum Glück noch klein, höchstens fünfzig Zentimeter, trotzdem wuchsen bereits einige Blüten in kleinen Gruppen verzweigter Äste. Sie waren klein und fünfblättrig wie Sterne, allerdings von einem kräftigen Violett. Der Fruchtknoten ragte senkrecht daraus hervor und war von einem dunklen Gelb. Das laminierte Informationsblatt verkündete, dass es sich bei der Blume um einen sogenannten Bittersüßen Nachtschatten handelte, der gefälligst von Kindern fernzuhalten war, da er giftig war. Dazu kamen noch allgemeine Anweisungen, was man mit ihm tun sollte, wo er am besten wuchs und dergleichen mehr. Zu sagen, dass Rogue über diese Pflanze verwirrt war, war noch untertrieben. Es machte überhaupt keinen Sinn, dass sie überhaupt hier war. Oh, den Ablauf der Ereignisse hatte er schon verstanden. Aber eben nicht, was sie in Gang gesetzt hatte. Das war schlichtweg… Er verstand es eben nicht! Es wirkte einfach so willkürlich und aus heiterem Himmel. Das Türklingen ließ ihn erschrocken zusammenzucken und er sprang wie gestochen von seinem Sofa auf. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er seit geschlagenen fünfzehn Minuten auf diese dumme Pflanze gestarrt hatte. Dabei hatte er eigentlich schon alles vorbereiten wollen… Mit raschen Schritten ging er auf den kleinen Windfang zu, der seinen Wohnraum von der Haustür abgrenzte. Zwei weitere Türen führten in ein Schlafzimmer und das kleine Bad, und bei der offenen Küche gab es noch einen weiteren kleinen Raum, der als Vorrats- und Abstellraum diente. Größer war seine Wohnung nicht, aber etwas Größeres konnte er sich als Student auch nicht leisten, trotz Stipendium. Auf dem Weg zur Haustür schob er seinen Rucksack mit dem Fuß neben das hohe Bücherregal, damit er nicht im Weg herumging. Kurz darauf öffnete er endlich die Tür und starrte direkt auf das Logo des Starlight Palace, das auf einen dunkelblauen Karton gedruckt war. „Schau mal, was Yukino mir mitgegeben hat!“, erklang einen Moment später Stings erfreute Stimme und dann wurde die Box gesenkt, so dass Rogue endlich seinen Freund erkennen konnte. Sting grinse über das ganze, gutaussehende Gesicht und seine blauen Augen funkelten, während ihm die blonden Haare verwegen in die Stirn hingen. Rogue blinzelte verdutzt. „… Kuchen?“ Nach all dem, was heute schon passiert war, wirkte es nur wie ein weiterer Punkt auf seiner Liste der seltsamen Dinge. „Er war noch übrig, als wir geschlossen haben“, erklärte Sting und spielte auf das Café an, in dem er neben seinem Studium jobbte. „also hat sie mir gesagt, ich soll etwas mitnehmen.“ Im Gegensatz zu Sting hatte Yukino im Starlight Palace keinen kleinen Nebenjob, sondern arbeitete Vollzeit als Konditorin. Sie war Stings beste Freundin und die beiden kannten sich schon seit dem Sandkasten, gingen durch dick und dünn und vertrauten sich jegliche Geheimnisse an. Sie war ein hübsches Mädchen, das zu allen freundlich war und gegen das niemand etwas sagen konnte. Alle schienen sie zu lieben, einschließlich Sting. Aber wie immer, wenn es um sie ging, stieg in Rogue ein gewisser Unwille auf. Er kam einfach nicht klar mit ihr und er wusste dummerweise genau, woran das lag. Oder besser, an wem. „Ist das nicht toll!“, fuhr Sting aufgeregt fort und drückte ihm die Box mit dem Kuchen in die Hand, die erstaunlich schwer war. „Das war nett von ihr…“, murmelte Rogue, konnte aber keine rechte Begeisterung dafür aufbringen. Das lag nicht am Kuchen, denn er hatte eine gewisse Schwäche für das süße Gebäck. Das lag an Yukino. Dabei hatte sie ihm gar nichts getan. Er trat zurück, um Sting endlich einzulassen, der seine Schuhe einfach von den Füßen trat, während die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Dann gingen sie zur Küchenzeile hinüber, um ihre Lasten abzustellen, Rogue die Box mit den Kuchen, Sting die Tasche mit den anderen Zutaten für ihr Abendessen. Den Rucksack, den er halb über der Schulter getragen hatte, schleuderte er nachlässig in Richtung des Schlafzimmers. „Hast du alles bek-“, begann Rogue mit einem Blick auf die Tasche, doch Sting zog ihn mit einem Ruck zu sich und presste ihm die Lippen auf den Mund. Rogue schmolz automatisch in die Umarmung und erwiderte den zärtlichen Kuss, der rasch tiefer wurde. Sie waren jetzt schon ein paar Monate zusammen und hatten einen angenehmen Rhythmus miteinander gefunden, doch Sting so nahe zu sein, ihn zu spüren, zu berühren war jedes Mal aufs Neue berauschend. Seine Arme glitten wie automatisch um Stings Hüften und zogen den Anderen näher an sich. Am liebsten würde er ihn nicht mehr loslassen. Doch der Moment, als sie sich wieder voneinander lösten, kam trotzdem und Sting blinzelte ihn mit einem Lächeln im Gesicht an. „Erstmal Hallo, du.“ Rogue war ziemlich sicher, dass die Begrüßung frech klingen sollte, stattdessen war sie ein atemloser Hauch und er überbrückte noch einmal die wenigen Zentimeter, um Sting ein zweites Mal zu küssen. Diesmal dauerte der Kuss jedoch nur ein paar Augenblicke. „Hi.“, antwortete er dann und ließ Sting zögerlich los. Wer brauchte schon essen, wenn er Sting küssen konnte? Aber nach dem langen Tag hatten sie beide Hunger, wie das Loch in seinem Bauch ihm versicherte. Küssen konnten sie sich nachher noch, versicherte er sich selbst, immerhin würde Sting über Nacht bleiben. „Bist du gut hergekommen?“, wollte er wissen, während er begann, die Tasche auszupacken. „Du hättest mich ruhig vorwarnen können, dass die schon wieder Schienenarbeiten durchführen. Ich hätte fast den blöden Bus verpasst.“, war die miesgelaunte Antwort. Rogue zog eine Augenbraue hoch und warf seinem Freund einen Seitenblick zu. „Habe ich…? Gestern.“ Sting starrte ihn für einen Moment verdutzt an, dann färbte er sich leicht rot und murmelte etwas vor sich hin, das wie „was kann ich dafür, dass du mich immer so ablenkst“ klang. „Fang schon mal an, ich muss mal kurz.“, lenkte er dann rasch das Thema um und verschwand im Bad. Rogue starrte ihm kurz nach, dann wandte er sich wieder kopfschüttelnd seiner Aufgabe zu. Irgendwann hatten sie sich angewöhnt, einmal die Woche gemeinsam etwas zu kochen und meistens etwas, das etwas aufregender war als die üblichen Mahlzeiten, die sie sich so zusammenmixten. Heute würde es Zander mit Gemüsereis nach bosconischer Art geben und Rogue freute sich nicht nur deswegen auf diesen Abend. Dieser seltsame Besuch am Morgen, der ihn um eine Kletterpflanze bereichert hatte, hatte ihm allerdings den ganzen Tag etwas versaut. Vielleicht sollte er Sting gegenüber die Sache ansprechen. Oder vielleicht das Ganze unter den Tisch kehren, bis er wusste, was es zu bedeuten hatte und- „Hey, was ist das?“, riss Sting ihn aus den Gedanken und er drehte sich um, um zu sehen, was Sting meinte. Der stand neben dem Wohnzimmertisch und betrachtete die Pflanze darauf mit schief gelegtem Kopf, als könnte er dadurch eine Antwort auf seine Frage bekommen. Er blickte auf und zeigte belustigt auf sie. „Was willst du denn damit?“ Jetzt gab es wohl kein Drumherum mehr und eine Erklärung musste her. Dummerweise hatte er keine, er war so schlau wie zuvor. „Das war ein Geschenk…“, antwortete er darum langsam und legte die Paprika auf die Arbeitsfläche, um herüberzukommen. Stings Grinsen wurde breiter. „Muss ich mir Sorgen machen, dass dir jemand Blumen schenkt?“ Das offensichtliche Amüsement in seiner Stimme zeigte, dass er nichts dergleichen tat, im Gegenteil, er schien das Ganze lustig zu finden. (Nicht, dass Sting tatsächlich Angst um ihre Beziehung haben musste; Rogue war ihm ganz und gar verfallen.) Nicht wie Rogue, der Dinge sah, die gar nicht da waren… Er hätte sicher nicht so entspannt darauf reagiert, wenn Sting von jemand anderem Geschenke bekommen hätte. „… von Yukino.“, beendete Rogue seinen Satz. Das Grinsen rutschte von Stings Gesicht und seine Haltung war plötzlich starr. Für einen Moment starrte er Rogue nur einen Moment sprachlos aus, sein Gesicht unleserlich und in Rogues Bauch ballte sich ein beinahe schmerzhafter Knoten zusammen. Was sollte diese Reaktion? Wollte Sting etwa nicht, dass Yukino jemandem Blumen schenkte? Dann wanderten Stings Augenbrauen in die Höhe. „Wie kommt‘s?“, wollte er wissen. „Ich meine… Du… ah… Ihr zwei mögt euch nicht besonders?“ Seine Worte waren sorgfältig gewählt und außerdem war Rogue sicher, dass er eigentlich sagen wollte Du magst sie nicht besonders. Yukino war von Anfang an nichts als freundlich zu dem neuen Partner ihres besten Freundes gewesen. Es war Rogue, der ein Problem mit ihr hatte. Sting hatte das stets ziemlich verwirrt und auch ein wenig gekränkt. Er wollte, dass die beiden Personen, die ihm so wichtig waren, miteinander auskamen. „Rogue…?“, hakte Sting vorsichtig nach und trat einen Schritt vom Tisch zurück. Der runzelte die Stirn und starrte angestrengt auf den Bittersüßen Nachtschatten, der da so unschuldig auf dem Tisch stand, um seinem Freund nicht in die Augen blicken zu müssen. Dabei hatte er sich gar nichts vorzuwerfen, verdammt noch mal! Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung. Was denkst du, wie verwirrt ich war, als sie heute Morgen hier auftauchte und mir das Ding in die Hand gedrückt hat. Sie hat kaum etwas gesagt und ist dann zur Arbeit gegangen.“ Er war immer noch verwirrt über diesen Besuch, der nach wie vor einfach keinen Sinn machte. Was sollte das? Was sollte er mit dieser Pflanze und warum ausgerechnet eine, von der er vorher noch nie gehört hatte? Rogue stahl einen Blick auf Stings Gesicht, das zeigte, dass er tief in Gedanken versunken war. Anscheinend konnte er sich auch keinen Reim auf Yukinos seltsames Geschenk machen. „Oh.“, sagte er plötzlich und blickte auf. „Hast du geschaut, was sie dir damit sagen will?“ „… Sagen?“ „Ja, im Internet. Du weißt doch, Blumensprache und so? Yukino hat total einen Fimmel damit und so. Manchmal, wenn sie nicht weiß, wie sie etwas sagen soll, greift sie darauf zurück.“ Er lächelte und sein Blick war träumerisch in die Ferne gerichtet. Der Knoten in Rogues Magen zog sich enger zusammen und er verfluchte sich für seine unkontrollierbaren Gefühle. Dann richtete Sting sich abrupt auf und angelte sein Handy aus der Hosentasche, während er schon nach dem Namen der Pflanze auf dem Infoblatt schielte. „Warte, ich schau mal kurz nach.“ Er ließ sich auf das Sofa fallen und tippte rasch auf dem kleinen Gerät herum. Als sich ein erfreutes Lächeln auf seine Gesichtszüge schlich, wusste Rogue, dass er eine passende Seite gefunden hatte. Konzentriert scrollte er nach unten und einen Moment später hellte sich seine Mimik noch weiter auf. „Deine Eifersucht ist unbegründet…“ Seine Stimme ließ allmählich nach und Rogue fühlte, wie ihm Hitze ins Gesicht stieg. Die Worte fühlten sich an wie ein Schlag in den Magen. Nicht, weil er sich um diese dummen Gefühle nicht bewusst war, sondern weil er nicht wollte, dass Sting davon erfuhr, verdammt! Dessen Mund formte sich zu einem ‚o‘ und dann blickte er forschend auf, bereits eine Frage auf den Lippen. „Ich weiß, dass es blöd ist, okay?“, versuchte Rogue sich zu verteidigen und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wusste es. Wirklich. Aber er konnte sich einfach nicht helfen und dabei war gar nichts passiert und Yukino hatte ihm absolut nichts getan und er wusste einfach nicht, was er mit all diesen Gefühlen für Sting anstellen sollte, die viel zu groß und zu tief für ihn waren. „Du bist eifersüchtig?“, fragte Sting dann, seine Stimme aufs Höchste verwirrt, als könnte er es nicht glauben. Rogue spürte, dass sein Unterkiefer arbeitete, aber er schaffte es einfach nicht, etwas zu sagen. Stattdessen hörte er seine Zähne knirschen. Er bekam es nicht einmal hin, seinem Freund direkt in die Augen zu sehen. „Aber… Warum? Und auf wen? Ich…“ Stings Blick wanderte zu dem Bittersüßen Nachtschatten hinüber und zuckte dann wieder zurück, während die ersten Anzeichen von Erkennen sich auf seinem Gesicht abzeichneten. „Auf Yukino? Häää?“ Sting starrte ihn befremdet an; das war alles offensichtlich völlig unverständlich für ihn. Rogue konnte nicht einfach, es platzte einfach nur aus ihm heraus. „Ihr zwei seid euch einfach nur so nahe! Manchmal wirkt es, als sei sonst niemand anwesend oder ihr wechselt Blicke, als würde sonst niemand euch verstehen, und als hätte sonst niemand Platz, wenn ihr zusammen seid, und…“ Er brach ab und holte tief Luft. „Ich will dir das nicht kaputt machen.“, erklärte er und das war die absolute Wahrheit. „Aber selbst, wenn ich dabei bin, halten die Leute euch beide für ein Pärchen.“ Das stimmte – bei dem dritten oder vierten Mal, als er Yukino getroffen hatte, gemeinsam mit Sting irgendeinem Café hatte eine Kellnerin eine dumme Bemerkung fallen lassen, dass die beiden so ein süßes Pärchen wären und so ein Blödsinn. Sting und Yukino hatten es beide lachend abgewiegelt, aber auf eine Art, die zeigte, dass sie das nicht das erste Mal hatten tun müssen. Währenddessen war Rogue nur stumm danebengesessen und hatte die Hand unter dem Tisch zur Faust geballt. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte Sting an Ort und Stelle geküsst um der ganzen Welt zu zeigen, zu wem er gehörte. Damit da absolut niemand Zweifel hatte. Rogue wusste, dass es dumm war und völlig irrational. Sting war nicht der Typ, um seinen Partner zu betrügen. Das war einfach nicht seine Art. Aber Gefühle wie Eifersucht ließen sich nicht einfach durch logische Gedanken bekämpfen. „Ihr seid so… vertraut miteinander und… und jeder kann sehen, wie intim und eng eure Beziehung ist und… Ich bin blöd.“ Er hatte Sting niemals einen Vorwurf machen wollen. Yukino war Stings beste Freundin und Rogue wollte das akzeptieren, wollte Sting nicht vorschreiben, mit wem er sich treffen und befreundet sein konnte. Das war nicht sein Recht und er hatte nie etwas zu Sting deswegen gesagt. Natürlich hatte er sich immer fern gehalten von Yukino, war selten zu den Treffen der beiden mitgekommen, egal, wie oft Sting auch gefragt hatte, hatte sie immer kühl behandelt und sie auf Abstand gehalten, so sehr sie versucht hatte, auf ihn einzugehen. Da waren immer die nagenden Gedanken gewesen, dass das, was alle Leute in Sting und Yukino gesehen hatten, irgendwann wahr werden würde – das perfekte Pärchen. Eine Sandkastenliebe, die irgendwann in einer Hochzeit, zwei Komma fünf Kindern und einem Haus mit Apfelbaum enden würde. Nur, dass es eben nicht so war. Sting und Yukino waren nur Freunde. Das wusste Sting, das wusste Yukino, das wussten alle ihre Freunde und ihre Familie und das wusste auch Rogue. Aber er konnte den Gedanken einfach nicht verbannen und er tauchte immer wieder auf und nagte an ihm. Eifersucht war einfach ein fürchterliches Gefühl. „… das denkst du wirklich?“ Stings Augen waren weit aufgerissen und Rogue bemerkte erst jetzt, dass all das in einem Wortschwall aus ihm herausgebrochen war, anstatt dass er es nur gedacht hatte. Stings Verwirrung zeigte eindeutig, dass er von all dem nichts mitbekommen hatte. Yukino dagegen hatte offensichtlich sehr wohl gemerkt, was in Rogue vorgegangen war. Ansonsten hätten sie die Dinge wohl kaum selbst in die Hand genommen, wenn auch nur mit einem seltsamen Hinweis anstatt mit klaren Worten. Aber konnte er es ihr verübeln? Rogue hatte sich immer bemüht, sich von ihr fern zu halten, und sie war kein sonderlich aufgeschlossener und energischer Mensch, der fremden Leuten einfach Vorwürfe machte. Er schloss die Augen und fühlte sich, als würde ihm alles entgleiten. „Ich weiß, dass es blöd ist, okay…?“, murmelte er und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bringen, die Arme immer noch defensiv vor der Brust verschränkt. Würde Sting ihn jetzt auslachen? Oder ihn verlassen? Oder einfach alles mit einer leichtfertigen Handbewegung wegwischen? Er zuckte zusammen, als Sting seine Hände nahm, und blickte unwillkürlich ihn hinunter. Stings Gesicht war untypisch ernst und er zog Rogues Arme auseinander, so dass er in ihren Ring treten und die eigenen Arme um Rogues Hals gleiten lassen konnte. Dessen Hände legten sich automatisch auf seine Hüften, wie um ihn festzuhalten. Bitte geh nicht weg. Doch Sting reckte sich nur und presste ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen, ehe er ihm ernst in die Augen sah. „Verzeih mir, dass ich das nicht früher bemerkt habe.“, erklärte er. „Aber du hättest ruhig auch etwas sagen können, dass du so fühlst.“ Rogues Blick huschte zur Seite. „… sorry. Ich wollte dich damit nicht belasten.“ Sting versetzte ihm eine beinahe schmerzhafte Kopfnuss. „Sind wir nun in einer Partnerschaft oder nicht?“, grummelte er und fügte gleich darauf hinzu: „Also, erstens bin ich schwul und das solltest du eigentlich wissen. Yukino gibt mir in dieser Hinsicht also nichts.“ Er grinste und sein Tonfall war unbeschwert, wie um zu zeigen, dass das eher eine Nebensache war. Doch sein Gesicht wurde rasch wieder nüchtern. „Sie ist wie eine Schwester für mich.“ Er senkte kurz den Kopf und sein Daumen strich unbewusst über die Haut in Rogues Nacken, was diesem einen unwillkürlichen Schauer über den Rücken jagte. „Ich meine, es stimmt schon, dass wir uns ziemlich nahestehen und dass wir fast alles übereinander wissen und viele Insider haben und… Okay, ich sehe, was du meinst.“ Sting verzog entschuldigend das Gesicht. Rogue schnaubte, doch er sagte nichts, denn Sting war offensichtlich noch nicht fertig. Dessen Blick huschte kurz nach unten auf ihre Füße und er holte tief Luft. Als er wieder aufsah, lag etwas Entschlossenes in seinen blauen Augen und etwas sehr, sehr Verletzliches. „Aber ich verspreche dir, dass du der Einzige für mich bist.“ Rogue brauchte einen Moment, um die Worte zu realisieren, die Gesten, den Blick… Um wirklich zu verstehen, was Sting damit sagte. Dann war es, als würde die Welt stehen bleiben, und sein Herz stolperte und eine Flut von Gefühlen drang auf ihn ein, so viele und so intensiv, dass er nichts tun konnte, als sich von ihr mitreißen zu lassen. Es war einfach so überwältigend. „Rogue…?“ Stings Stimme zog seine Aufmerksamkeit auf ihren Besitzer und diese blauen Katzenaugen starrten ihn besorgt an und ein Daumen fuhr über seine Wangen und Stings Gesicht war seltsam verschwommen. „Weinst du etwa…?“, murmelte Sting und stieß ein leises Lachen aus, als hätte er keine Ahnung, wie er sonst darauf reagieren konnte. Rogue blinzelte überrascht und nahm zögerlich eine Hand von Stings Rücken, um sich mit dem Ballen die Feuchtigkeit aus den Augen zu wischen. „Nein.“, behauptete er dann kindisch. Sting lachte erneut. „Okay.“, antwortete er einfach und reckte sich erneut, um Rogue einen kurzen Kuss auf den Mundwinkel zu drücken. „Wenn du das sagst.“ Statt einer Antwort presste Rogue das Gesicht gegen Stings Nacken und zog ihn enger an sich. Sting war wie ein Anker für ihn, etwas, an dem er sich festhalten konnte. „Gib mir einen Moment.“, bat er und sog tief den vertrauten Geruch ein. „Was immer du brauchst.“, versicherte Sting ihm und seine Hände, die durch Rogues Haare fuhren, waren beruhigend und halfen noch mehr. Nachher wusste Rogue nicht mehr, wie lange Sting ihn einfach nur gehalten hatte und gewartet, bis er sich endlich wieder unter Kontrolle hatte, die Gefühle niedergekämpft und so weit geordnet, wie es ihm möglich war. Sie waren immer noch zu viel und zu groß für ihn und so, so tief. Aber etwas in ihm hatte sich gesetzt, beruhigt. Als wäre er endlich zu einem Ergebnis gekommen, als hätte er Frieden mit etwas geschlossen. Sein Blick wanderte zu dem Bittersüßen Nachtschatten hinüber und er dachte, dass es vielleicht auch so war. Sting bemerkte die Veränderung und löste sich langsam von ihm. „Alles wieder gut?“, wollte er wissen und seine Hände glitten aus Rogues Haaren, der sie sofort vermisste. „Ja.“, antwortete der und starrte auf seine Füße hinunter. „Danke.“ Er blickte wieder auf und sah seinem Freund direkt in die Augen. Ein zaghaftes Lächeln zuckte an seinen Mundwinkeln und er beugte sich vor, um einen Kuss von Sting zu stehlen, so zart, dass sich ihre Lippen kaum berührten. Der lächelte. „Gut. Und wenn du wieder von einem Eifersuchtsanfall übermannt wirst, dann rede mit mir, in Ordnung?“ Er boxte ihm leicht gegen die Schulter. „Hör auf, alles in dich reinzufressen.“ „Versprochen.“ Rogues Stimme klang beinahe ein wenig zu feierlich, aber es war ihm absolut ernst. „Gut.“ Sting löste sich ganz von ihm und trat an ihm vorbei. „Und jetzt lass uns Essen machen, ich hab echt Kohldampf!“ Schmunzelnd folgte Rogue ihm zur Küchenzeile hinüber und eine Weile arbeiteten sie nebeneinander, erstaunlich schweigsam. Normalerweise redeten sie über ihren Tag oder die Woche, aber heute unterbrachen nur Anweisungen, vorgelesene Zeilen aus dem Rezept und andere, aufgabenbezogene Sätze die Stille und Rogue war es ganz recht so. Im Moment war es ihm ganz recht, weder zuhören noch reden zu müssen. Als sie schließlich kurz davor waren, den Fisch in die Pfanne zu packen, holte er tief Luft und begann: „Hey, Sting…“ „Hm?“ Der Angesprochene blickte auf, schenkte ihm ein unwillkürliches Lächeln um den Paprikastreifen herum, den er im Mund hatte. „Lass uns zum nächsten Essen Yukino einladen.“ Plötzlich wirkte irgendwie alles leichter und für das strahlende Lächeln, das Sting ihm schenkte, würde Rogue so gut wie alles tun. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)