Der Drache und die Nacht von Arianrhod- (OneShots) ================================================================================ [April | Rittersporn] Come all you pretty fair maids ---------------------------------------------------- Das ist der siebente Tag, seit die Christina gesunken ist. Ich werde mich mein ganzes Leben an diese Nacht und den Sturm erinnern. Aber wie lang ist ‚mein ganzes Leben‘ noch? Ich befürchte, meine Tage sind gezählt, wenn nicht noch ein Wunder geschieht und jemand mich findet. Aber wer soll das sein? Hier draußen ist niemand… Das Wetter ist unverändert und kein Lüftchen rührt sich. Gestern sind meine Essensvorräte zur Neige gegangen und ich habe nur noch Wasser für eine Woche, vielleicht ein oder zwei Tage mehr. Es ist zu wenig. Wie sich verdursten wohl anfühlt? Schon jetzt spare ich und meine Kehle ist ausgedörrt. Ich habe Kopfschmerzen von der Hitze und keinen Schutz vor der unbarmherzigen Sonne. Ich will nicht sterben. Lucy ließ den Bleistift sinken und starrte die vom Regen wellig gewordene Seite ihres Tagebuchs mit einem Seufzen an. Ihre große Ledermappe, in der sie die ihr wertvollsten Besitztümer aufbewahrte, war hervorragend gearbeitet, aber sie war nicht dicht und das Wasser war in ihn eingedrungen. Allerdings waren die Gegenstände darin nur beschädigt und nicht zerstört worden, so dass das kleine Notizbuch noch nutzbar war. Die Sonne schien heiß und unbarmherzig vom Himmel und kein Lüftchen rührte sich. Ihre Haut war rot verbrannt, so dass sie schon bei einer leichten Berührung schmerzte wie Flammen. Ihre spärlichen, zerschlissenen Kleider halfen nicht gegen den Sonnenbrand, denn der Sturm hatte sie mitten in der Nacht überrascht. Daher trug sie nur eine dünne Hose, die ihr bis zu den Knien ging, und ein ehemals weißes Leibchen, etwas, mit dem keine ehrbare Frau in der Öffentlichkeit erwischt werden sollte. Aber dieses kleine Boot war in den letzten Tagen ihr Heim gewesen und so einsam, wie sie hier war, spielte es sowieso keine Rolle. Niemand war hier, der sie in ihrer Unterwäsche sehen könnte, denn um sie herum war nur Wasser. Das weite Meer, tiefblau und still, und der weite Himmel, wolkenlos und ewig. Sie seufzte wieder und rutschte herum, um eine bequemere Position zu finden, doch das Holz war hart und sie besaß nicht einmal eine Decke. Das kleine Rettungsboot, auf das sie es geschafft hatte, als der Sturm über sie hereingebrochen war, wackelte unter ihren Bewegungen, doch sie hatte sich längst daran gewöhnt. Das eine Ruder, das sie noch hatte, lag neben ihr und drückte gegen ihren Oberschenkel, doch sie kümmerte sich nicht darum. Unter der hinteren Sitzbank befanden sich die Vorräte – ein paar Trinkflaschen mit genießbarem Wasser, das inzwischen schal schmeckte, und die nun leere Kiste, in der sich Zwieback und etwas Trockenfleisch befunden hatte. Ihr Magen knurrte lautstark bei dem Anblick, und zog sich schmerzhaft zusammen, doch es gab nichts mehr, das sie essen konnte. Sie presste ihre Hände auf den Bauch, doch es gab hier nichts, dass ihr Erleichterung verschaffen konnte. Selbst wenn sie eine Angel gehabt hätte, der einzige Fisch, den sie gesehen hatte, war vor drei Tagen ein Hai gewesen, dessen Rückenflosse die Wasseroberfläche durchschnitten hatte. Zuerst hatte sie es mit der Angst zu tun bekommen, doch er war nur einmal um sie herum geschwommen und dann wieder abgetaucht. Ich habe ja gehofft, dass das Schiff nie in Alvarez ankommt, schrieb sie in ihr Tagebuch. aber so habe ich das nicht gemeint! Einem unliebsamen Bräutigam zu entgehen, wegen dem sie diese Reise erst hatte antreten müssen, war eine Sache. Elendig zu verdursten, während sie allein und völlig hilflos über das weite, grausame Meer trieb, ohne Richtung, ohne Ahnung, ohne Gesellschaft, das war etwas völlig anderes. Sie wollte nicht so sterben! Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie mit der Besatzung und den anderen Passagieren ertrunken wäre. Aber eigentlich wollte sie überhaupt nicht sterben. Sie wollte einfach nur nach Hause… In der Nacht, in der die Christina gesunken war, hatte Lucy geglaubt, die ganze Welt würde untergehen. Blitze hatten den Himmel zerrissen und taghell erleuchtet, so dass sie immer Bruchteile des Schreckens um sie herum genau erkennen konnte. Der Donner war so laut gewesen, dass er selbst das Tosen des brodelnden Meeres übertönt hatte. Es war ein Wunder, dass ihre kleine Nussschale nicht ebenfalls einfach gesunken war, wie die große Galeone, die sie nach Alvarez hatte bringen sollen. Sie war von den Wellen herumgeworfen worden, ein Spielball der Naturgewalten, die um sie herum getobt hatten, doch irgendwie war sie immer wieder aus den Wellen aufgetaucht. Retten können hatte sie nur ihre wertvolle Tasche mit ihren Papieren, ihrem Tagebuch, Geld und einigen anderen Dingen, die ihr jetzt absolut nicht weiterhelfen konnten. Wer die Vorräte auf das kleine Boot gebracht hatte, wusste sie nicht, aber ansonsten besaß sie nur noch die Kleider an ihrem Leib, einen Eimer, ein einzelnes Ruder und ein Messer, dessen Klinge so lang war wie ihr Unterarm. Viel damit anfangen konnte sie allerdings nicht… Sie wandte sich wieder ihrem Tagebuch zu. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll., schrieb sie hinein. Mama, Papa, ich hoffe, ich werde euch wiedersehen, aber ich befürchte, der Abschied in Hargeon war unser letztes Treffen. Werdet ihr jemals erfahren, was mit mir geschehen ist? Sie blätterte die Seiten nach hinten durch, die zwei Einträge, die sie nach dem Unglück gemacht hatte, und ihre detaillierten Einträge über die Reise, die sie so unwillig angetreten hatte. Die Überfahrt nach Alvarez, die Ankunft in Hargeon, der Weg, den sie zur Hafenstadt zurückgelegt hatte, schließlich der Aufbruch von dem weitläufigen Anwesen ihrer Eltern. Ihre Schrift war sauber und geschwungen und die Texte immer wieder unterbrochen von Bleistiftzeichnungen, detailliert und so lebensecht, wie es ihr nur gelingen konnte, Landschaften, Blumen, Gebäude in Hargeon und der Hafen, diverse Details, die sie an Deck gesehen hatte, und der eine oder andere Seemann oder Passagier, der ihr aufgefallen war, eine Möwe auf der Reling… Sie lächelte über die Radierung des ausschweifenden Gebäudes, in dem sie aufgewachsen war und die sich auf der ersten Seite befand. Mit einem Mal verspürte eine solche Sehnsucht nach dem Ort, dass ihr das Herz in der Brust schmerzte. War es die Gewissheit, ihn nie wieder zu sehen? Dann wurde ihr Blick abgelenkt und sie schniefte auf bei der Erinnerung, die der Anblick in ihr weckte. Auf dem Buchdeckel lag ein gepresster Rittersporn, ein zartes Gebilde mit mehreren blauen Blüten und dem Grün von Blättern dazwischen. Lucy wagte es kaum, ihn zu berühren, so zerbrechlich wirkte er. Einige Teile waren auch schon abgebrochen und die Krümel davon lagen in dem Falz. Ihre Mutter hatte ihn ihr geschenkt, gemeinsam mit dem kleinen Tagebuch, in dem er lag, sorgfältig gepresst und zwischen die Seiten gelegt. „Ein Rittersporn, er steht für die Reise. Er soll dir Glück für deine Überfahrt bringen.“, hatte sie gesagt und ihrer Tochter dann einen sanften Kuss auf die Stirn gedrückt. „Ich weiß, du willst sie nicht antreten, aber uns bleibt keine Wahl. Sei stark.“ Lucy versuchte es, sie versuchte es wirklich. Sie war ohne Klagen aufgebrochen, hatte sich von ihren Eltern verabschiedet, die sie nicht mehr oft sehen würde, war an Bord gegangen in der Erwartung, einen Mann zu heiraten, den sie nicht kannte. Sie hatte nicht erwartet, einsam und verlassen in einem kleinen Beiboot zu enden. Doch in ihrer hoffnungslosen Situation konnte sie nichts Anderes tun als warten. Oder sich in ihr Messer stürzen, aber so weit war sie noch nicht. Ein leises Plätschern riss sie aus den Gedanken und sie fuhr erschrocken auf. Beinahe fiel das Buch von ihrem Schoß, doch sie fing es gerade noch ein, und klappte es zu. Ihr Boot wankte heftig und sie blickte sich wild um, doch weit und breit war nichts zu sehen. Kein Schiff weit und breit, nichts, nicht einmal eine Haiflosse. Bildete sie sich jetzt schon Dinge ein? So weit war es schon gekommen? Sie hätte es erwarten müssen…! Die Sonne würde sie umbringen, nicht der Durst… Erneut ertönte ein Plätschern und sie fuhr erschrocken herum, doch da war einfach nichts. Wer oder was sollte auch da sein in dieser einsamen Weite voller Wasser? „Ha-hallo?“, rief sie trotzdem, doch die weite Leere schien ihre Stimme einfach zu schlucken. „Ist da jemand?“ Die Worte verklangen ungehört und natürlich antwortete ihr niemand. Jetzt war es also so weit, sie begann, Dinge zu hören, die gar nicht da waren! Deprimiert ließ sie sich auf die Sitzbank zurückfallen, aber tatsächlich berührte diese Erkenntnis sie kaum. War sie schon so abgestumpft von den eintönigen Tagen? „Ich habe Hunger.“, sagte sie stattdessen zu niemandem bestimmten und seufzte wieder. ~~*~~❀~~*~~ Gelangweilt das Kinn auf die Hand gestützt hing Lucy auf dem Dollbord und starrte über das weite Meer hinaus. Der Horizont war eine schimmernde Linie, wo Wasser und Himmel sich trafen und miteinander verschwammen, kaum erkennbar. Blau in Blau in Blau. Alles war eintönig und in alle Richtungen bot sich ihr der gleiche Anblick. Ihr Bauch fühlte sich hohl und leer an, ihr Kopf pochte vor Hitze und ihre Haut war unangenehm heiß und zu klein für ihren Körper. Vor ihren Augen flirrte es und alles verwischte, floss zusammen und sie konnte sich auf nichts konzentrieren. Irgendwo in ihrem Hinterkopf wusste sie, dass dies ein schlechtes Zeichen war, aber sie konnte beim besten Willen nicht herausfinden, für was. Ihre Kehle war wie ausgedörrt, doch ihre Wasserreserven neigten sich langsam auch ihrem Ende zu. Wer wusste, wie lange sie noch hielten? Ewig würde sie damit jedenfalls nicht mehr auskommen und sie wollte es so lange damit aushalten, wie es ihr möglich war. Ganz zu schweigen davon, dass der Hunger ihr immer weiter zusetzte. Vor drei Tagen hatte sie den letzten Bissen zu sich genommen, ein Stück Zwieback, und dann hatte sie alle Krümel aufgesogen. Sie wusste gar nicht, warum sie sich diese Mühe überhaupt noch machte. Es war sowieso niemand hier. Niemand würde kommen und sie retten. Sie war ganz allein auf dieser weiten, blauen Welt und sie würde allein hier sterben. Aber einfach aufgeben lag einfach nicht in ihrer Natur. Sich hinlegen und einschlafen und nicht mehr aufwachen… Es wäre so einfach. Leicht. Sich schlicht den dunklen, kühlen Armen des Todes zu übergeben… Nicht mehr brennen, keinen Hunger mehr, keine Einsamkeit… Aber alles in ihr sträubte sich gegen diesen Gedanken. Sie würde kämpfen bis zum letzten Atemzug. Auch wenn sie befürchtete, dass dieser schneller kommen würde als sie wollte. Aber inzwischen hatte sie nicht einmal mehr Angst. Es war eine Tatsache, die sie akzeptiert hatte. Oder vielleicht lag es daran, dass es hier einfach gar nichts gab, dass sie aufregen konnte. Die Tage flossen ineinander, nur unterbrochen von den Nächten, und die Eintönigkeit machte die dumpf und apathisch. Wenn es nicht der Hunger war oder der Durst oder die Sonne, dann würde die Langeweile sie umbringen. Ein leises Plätschern ließ sie überrascht aufblicken, doch sie brachte nicht mehr die Energie auf, sich aufzusetzen und umzusehen. Erneut plantschte etwas und sie wandte mit müdem Blick den Kopf. Da war es wieder, das Trugspiel. Aber der Gedanke, nicht allein zu sein, war tröstend und brachte ein schläfriges Lächeln auf ihre Lippen. Selbst, wenn alles nur Einbildung war… Wenn sie nur einen Blick auf ihren Gefährten erhaschen konnte… Mühsam, aber entschlossen setzte sie sich auf und versuchte, sich nach der Quelle der Geräusche umzusehen. Doch der plötzliche Schwindel, der sie erfasste, ließ sie taumeln. Ihr Magen rumorte, doch er war leer und sie hustete nur trocken, während sie versuchte, die Übelkeit niederzuringen. Etwas pochte gegen das Boot und sie zuckte zusammen. Ihr Atem ging noch immer schwer und sie würgte, während sie ermattet gegen das Dollbord sank. „Ha-hallo?“, brachte sie über die gesprungenen Lippen, doch ihre Stimme war nur ein Krächzen. „Bitte…“ Doch niemand antwortete ihr. Nicht einmal das Plätschern ertönte, nichts rührte sich, als ob nie etwas geschehen wäre. Sie war noch immer allein auf einem kleinen Boot mitten im Meer, mit nichts um sich herum als Wasser und der Sonne hoch über ihr, deren Hitze sie um den Verstand brachte. Die Luft flimmerte stärker vor ihren Augen und die schwere, heiße Luft schien sie zu ersticken. Über sich konnte sie nur den Himmel sehen, blau, so blau und sie fühlte sich, als würde sie darin ertrinken. Ihr Kopf pochte, stärker und schneller als zuvor und es war, als würde sich die Welt um sie herum drehen. „Ich sterbe…“, ächzte sie, aber sie war zu schwach und zu lethargisch, als dass die Worte mehr in ihr auslösten als vages Bedauern. Doch als sie die Augen schloss und in selige Dunkelheit entschwand, war ihr, als wäre da noch etwas… Ein Schatten, der über sie fiel, und zarte, kühle Finger, die ihr Gesicht berührten… ~~*~~❀~~*~~ Lucy erwachte, weil die Sonne ihr direkt in die Augen schien. Es war eine Morgensonne, erkannte, als sie sich blinzelnd aufrichtete, und Wolken zogen rasch über den Himmel. Eine erfrischende Brise fuhr über ihre trockene Haut und kühlte sie ab, dass die Schmerzen etwas nachließen. Sie fühlte sich noch immer schwach und für einen Moment schien sich die Welt um sie herum zu drehen, doch sie fing sich rasch. Ihr Magen war wie ein bodenloses Loch und das Gefühl der Leere brachte sie beinahe um den Verstand. Sie wimmerte und ihre Hände zitterten vor Schwäche. Trotzdem rappelte sie sich auf, um sich über das Dollbord zu beugen, damit sie sich Meerwasser ins Gesicht zu spritzen. Die Tropfen brannten auf ihrer heißen Haut, doch sie brachten auch noch weitere ersehnte Abkühlung. Sie musste darauf achten, ihren Kopf öfter zu benetzen, ansonsten würden sich die Geschehnisse vom letzten Tag wiederholen. Allerdings zog der Himmel gerade zu… Vielleicht würde es bald regnen, das wäre ein Segen. Oder aber ein weiterer Sturm brach über sie herein, das wäre ihr Ende. Sich das Wasser aus den Augen wischend blinzelte sie in das helle Licht, während sie überlegte, ob es klug wäre, den ganzen Kopf für einen Moment unter Wasser zu stecken. Eine Bewegung unter ihr in den Tiefen des Meeres ließen sie erschrocken zurückzucken. Was war dort?! Da war etwas Großes, Glitzerndes gewesen, sie hatte es ganz genau gesehen! Das war nur ein Fisch, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Nur ein Fisch! Nichts weiter! Mit heftig klopfendem Herzen sank sie zurück in ihr Boot. Das war der Beweis dafür, dass hier viel zu wenig geschah, wenn schon ein Fisch sie so aufregen konnte! Mit einem Seufzen ließ sie sich zurück auf ihre kleine Bank sinken und sackte in sich zusammen. Ihr war langweilig. Sie hatte Hunger. Warum hatte sie ihre Vorräte nicht besser eingeteilt! Warum… Sie stutzte, als ihr Blick auf etwas fiel, das gestern ganz sicher noch nicht dort gelegen hatte. Es war lang und stromlinienförmig. Die dunklen Schuppen glitzerten leicht schleimig im Schein der Sonne und das Maul stand offen, während das Auge blicklos in den Himmel starrte. Da lag ein Fisch in ihrem Boot. Er war tot und befand sich offensichtlich schon eine Weile dort. Jetzt fiel ihr auch der durchdringende Geruch auf, der von ihm ausging. Aber es war ein Fisch und einen Fisch konnte man essen! Hastig rutschte sie von ihrer Bank auf ihn zu. Mit zitternden Fingern griff sie danach und hob ihn hoch, er war glitschig und kalt unter ihren Fingern und entglitt ihr beinahe wieder. Aber es war ein Fisch! Ein echter Fisch, den sie tatsächlich in den Händen hielt. Es war ihr egal, ob er widerlich anzufassen war, es war ihr egal, ob er roh war und es war ihr egal, ob er so stank. Sie hatte bohrenden Hunger, wie ihn nur jemand nachvollziehen konnte, der etwas Ähnliches ebenfalls schon gespürt hatte. Und dieser Fisch konnte ihn stillen. Ihr Vater hatte sie früher oft mit zum Angeln genommen und er hatte ihr auch gezeigt, wie man die tote Beute ausnahm. Damals hatte sie gekreischt und sich geziert, denn sie hatte die glitschigen Tiere und ihre schlaffen Körper als eklig empfunden. Sie hatte sie nicht anfassen wollen, aber ihr Vater hatte nur gelacht und sie aufgezogen und es ihr am Ende doch beigebracht. Jetzt schob sie die Gedanken an eine schönere Zeit von sich und griff nach dem Messer, dankbar für die Voraussicht ihres Vaters. Es dauerte nicht lange, bis sie die Eingeweide über Bord werfen und die Klinge wieder wegstecken konnte. Mit einem Stück ihrer Hose wischte sie die Schuppen ab ehe sie einen Teil der Flanke herausschnitt und das blasse Fleisch an die Lippen hab. Angewidert das Gesicht verziehend starrte sie es an, doch ihre Hand zitterte stark und ihr Magen knurrte vor Hunger, also biss sie zögerlich hinein. Es war glitschig und weich und widerlich. Und es war absolut wundervoll. Gierig schlang sie den Fisch in sich hinein, bis sie ihn komplett verputzt hatte ohne auf Manieren und Essetikette zu achten. Hinterher fühlte sich ihr geschrumpfter Magen unangenehm voll an und ihr war beinahe übel, doch sie fühlte sich auch satt und müde. Nur eine bohrende Frage stellte sich ihr: wo kam der Fisch überhaupt her? Er war sicher nicht von allein an Bord gesprungen! Ein weiteres Wasserplätschern ertönte und diesmal warf Lucy sich herum, in die Richtung, aus der es gekommen war, und spähte hastig über den Rand des Dollbords. Und dort unten war etwas… Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, doch was sie sah, ließ sie einen erschrockenen Schrei ausstoßen. Da war ein Gesicht im Wasser. Das Gesicht einer jungen Frau, kaum mehr als ein Mädchen, betörend schön und bestrickend, mit großen, mandelförmigen Augen so blau wie das Meer, die ihren Blick seelenvoll erwiderte. Schmerz und bittere Erfahrung standen darin, aber auch Stärke und Hoffnung. Ihre Haut wirkte perlweiß und das Lächeln, das ihre vollen Lippen nach oben zog, freundlich, einladend… geradezu verführerisch. Doch dann war es verschwunden. Aber Lucy meinte, einen glänzenden Fischschwanz gesehen zu haben… ~~*~~❀~~*~~ „Hallo? Hallo? Wasserfrau? Du brauchst keine Angst vor mir zu haben! Bitte, komm heraus.“ Lucy kam sich ungeheuer blöd vor, wie sie dort in ihrem kleinen Boot saß und über das Meer rief. Doch wer war hier, um über sie zu richten? Außer ihr gab es keine Menschenseele weit und breit. Da war nur das Mädchen im Wasser, nach dem sie rief. „Bitte? Du hast mir den Fisch gegeben, nicht wahr? Bitte, komm heraus und sprich mit mir. Ich möchte dir danken! Bis du da? Hörst du mich?“ Ihre Stimme war rau und kratzig, weil sie sie zu lang nicht mehr genutzt hatte, und weil ihre Kehlte trocken und ausgedörrt war. Das Sprechen tat ihr weh, aber sie gab nicht auf. Und das nicht nur, weil ihr dieses so filigran wirkende Gesicht nicht mehr aus dem Sinn ging… Sie hustete trocken und fragte sich, ob es überhaupt einen Sinn hatte. Eine halbe Stunde schon schien sie nach der Fremden im Wasser zu rufen, doch nichts rührte sich um sie herum. Kein Plätschern von einer großen Flosse, nur die leichten Wellen, die der Wind verursachte, und die einzigen Schatten, die sich bewegten, waren die der Wolken hoch über ihr. Das Mädchen wollte offensichtlich nicht mit ihr sprechen, da nutzte es auch nichts, wenn sie rief und bat und bettelte. Enttäuscht ließ sie sich auf ihre Sitzbank zurücksinken und faltete die Hände im Schoß. Etwas Gesellschaft wäre ihr lieb gewesen und dieser kurze Blick, den sie auf das faszinierende Geschöpf des Meeres erhascht hatte, hatte ihr den Atem geraubt. Ein inzwischen wohlbekanntes Plätschern ließ sie herumfahren, in Erwartung, erneut nur einen leeren Ozean vorzufinden. Doch stattdessen war da die junge Frau und blickte ihr mit durchdringendem Blick entgegen… Der Kopf und ihre blassen, schmalen Schultern ragten aus den Wellen und der Ausdruck in ihrem Gesicht war freundlich und offen. Unter der Oberfläche fuhren die Arme durch das Wasser, die in grazilen Händen endeten, mit langen, schlanken Fingern… Sie war so wunderschön, dass sie Herzen brechen konnte und Engel sie besingen würden, mit einem Gesicht, von dem die besten, romantischsten Poeten wünschten, sie könnten es beschreiben, ein Antlitz wie ein Traum… Endlich verstand Lucy die Geschichten über Männer in den Krieg zogen über eine Frau und ihre Schönheit… Hastig versuchtes sie, sich zu sammeln, und rutschte auf den Knien näher an das Dollbord eran, um so wenig Abstand wie möglich zwischen ihnen zu haben. Die Fremde konnte kaum älter sein als Lucy selbst und sie trug glitzernde Edelsteine in ihrem schönen, blauen Haar. Es waren Diamanten, Saphire und Silber wie Schmuck aus einer längst vergangenen Zeit, das mit den langen Strähnen verwoben war. Zahlreiche Kettchen verbanden kleine Blumen aus Edelsteinen, die sich wie eine Krone um ihren Kopf legten, so kunstvoll gearbeitet, dass sie einer kaiserlichen Prinzessin angemessen wären. Lucy versuchte, so freundlich wie möglich zu lächeln, auch wenn sie in diesem Zustand sicher keinen schönen Anblick mehr bot. „Hallo.“, sagte sie so gefasst wie möglich. „Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Vielen Dank für den Fisch.“ Die junge Frau vor ihr legte den Kopf schief und ihre Lider senkten sich langsam und öffneten sich wieder. Es waren wunderschöne Augen, umgeben von einem dichten Kranz dunkler, langer Wimpern und von einem außergewöhnlich schönen Blau. Wie das Meer um sie herum… Lucy riss sich von dem Anblick los und legte sich eine Hand auf die Brust. „Ich bin Lucy Heartphilia.“, stellte sie sich höflich vor. „Vielen Dank, dass du mir den Fisch gebracht hast. Du hast mich gerettet, ich hatte gar nichts mehr zu Essen da!“ Erneut kam keine Antwort, also fasste sie sich ein Herz. „Darf ich… Darf ich deinen Namen erfahren?“ Die junge Frau im Wasser lächelte breiter, ihre geschwungenen, rosigen Lippen zogen sich leicht nach oben und ihr Gesicht schien zu leuchten. Doch sie sagte weiterhin nichts. Vielleicht war sie stumm? Oder vielleicht verführte ihre Stimme, wie die alten Geschichten erzählten? Oder vielleicht verstand sie nichts… „Ich… ähm…“, versuchte Lucy es weiter. „Ich… Mein Schiff, die Christina, die mich nach Alvarez bringen sollte, ist vor einigen Tagen in einem Sturm gesunken. Vielleicht hast du ihn bemerkt, es kann nicht weit von hier gewesen sein. Ich glaube, dass ich die einzige bin, die den Untergang überlebt hat.“ Und war das nicht ein trauriger Gedanke! „Bitte, weißt du, wo das Land ist? Kann ich es erreichen?“ Sie hatte zwar nur ein Ruder, aber je näher sie am Land war, desto eher konnte ein Schiff sie finden. Statt einer Antwort kam die junge Frau näher, so nahe sogar, dass sie mit den ausgestreckten Fingern leicht das Boot berühren konnte, ehe sie sich rasch wieder zurückzog. Sie erinnerte Lucy an ein neugieriges und vorwitziges Tier, das seine Scheu vor dem Fremden mutig überwunden hatte und sich das seltsame Objekt, das so plötzlich in seinem Revier aufgetaucht war, ansehen musste. Sie stieß ein frustriertes Seufzen aus. „Verstehst du mich überhaupt?“ Der Kopf des Mädchens legte sich auf die andere Seite, als würde sie versuchen, ein großes Rätsel zu lösen. „Na gut, dann eben nicht.“, gestand Lucy ihr zu. Auch wenn die andere sie nicht verstand, ihre Gesellschaft war ihr trotzdem willkommen. Sie stellte eine Abwechslung dar in dieser weiten Einöde des Meeres und schon jetzt fühlte Lucy sich aufgeweckter als an den Tagen vorher seit dem Untergang der Christina. „Vermutlich sprecht ihr eine ganz andere Sprache als wir! Da kann ich es dir noch nicht einmal verübeln. Tut mir leid.“ Diesmal bekam sie ein Kichern als Antwort, ein glockenhelles Geräusch, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte. „Juvia.“ Die Stimme war samtig weich und schmeichelte im Ohr, eine Stimme gemacht zum Singen und Betören. „Juvia?“, wiederholte Lucy verwirrt und die junge Frau lächelte und nickte. „Ist… ist das dein Name?“ Erneut nickte die Frau. „Juvia hat dir den Fisch gebracht.“ ~~*~~❀~~*~~ Juvias Arme, weiß wie Porzellan und zart und kühl wie Seide, lagen auf dem Dollbord des Bootes, an der sie sich hochgestemmt hatte. Dünne Rinnsale von Wasser liefen aus ihrem herrlichen Haar, das ihr in Locken über die Schultern und den Rücken fiel und über ihre Front. Es bedeckte ihre nackten Brüste, die sich voll und wohlgeformt darunter abhoben. Lucy hatte es das Blut ins Gesicht getrieben, als sie bemerkt hatte, dass die andere Frau nackt war. Doch für Juvia schien es normal zu sein, denn sie hatte Lucys zerschlissenes Leibchen und die ehemals weißen Hosen gleich am ersten Tag neugierig beäugt, als hätte sie dergleichen nie zuvor gesehen. Vielleicht war es normal für Meerjungfrauen, nackt zu sein? Nackt bis auf den langen, schlanken Fischleib, der an ihrer Hüfte begann. Glitzernde Schuppen, die im Sonnenlicht funkelten wie Juwelen, zogen sich über den kräftigen Schwanz. Sie waren blau und aquamarin und türkis und komplimentierten das blaue Haar, die leuchtenden Augen und die elfenbeinweiße Haut. Eine Rückenflosse, zart durchsichtig und von einem dunklen Meeresgrün, wuchs aus Juvias Kreuz und zog sich ein Stück nach unten. Sie war bewehrt mit gefährlich aussehenden Stacheln und zuckte hin und wieder. Zwei weitere kleine Flossen befanden sich etwas unterhalb und bewegten sich leicht mit der Strömung. Danach verjüngte sich der Fischschwanz zu einer großen Schwanzflosse, wie Lucy sie von Bildern kannte. „Zeig Juvia noch eines!“, verlangte die Meerjungfrau und riss Lucy damit aus der faszinierten Betrachtung. Sie streckte ihre Finger nach dem Tagebuch aus und verteilte Wassertropfen im Boot. Hastig brachte Lucy das kleine Notizbuch in Sicherheit. Es stimmte schon, dass das Papier bereits wellig und fleckig war vom Regen, aber sie brauchte ja nicht noch mehr zu beanspruchen! „Pass auf, Wasser macht es kaputt.“, schalt sie ihre neue Freundin, die so neugierig gegenüber allem war, das Lucy ihr zeigte. Es war, als hätte sie so etwas noch nie gesehen. Hatte sie noch nie Kontakt mit Menschen gehabt? Das Notizbuch mit seinen Bildern hatte es ihr am meisten angetan, also blätterten Lucy es langsam für sie durch. Juvia konnte nicht genug kriegen von den Bildern und das strahlende, erfreute Lächeln auf ihrem Gesicht war betörend schön in seiner Einfachheit. Sie schien einfach nur glücklich darüber zu sein, das Buch sehen zu dürfen. Hin und wieder fragte Lucy sich, ob das alles Wahrheit war. Ob es nicht doch ihr Verstand war, der ihr Bilder vorgaukelte, diese wunderschöne junge Frau, die doch nicht echt sein konnte. Lucy Blick zuckte wieder ins Wasser, hinter Juvia, wo die glitzernde Flosse ihres Fischschwanzes knapp unter der Oberfläche trieb und sich manchmal in Winkeln bewegte, die menschlichen Beinen unmöglich waren, zu der stachelbewehrten Dorsale und den Bewegungen ihrer kleineren Flossen. Manchmal durchbrach der Schwanz die Wellen und tauchte auf, ein leises Plätschern, das Lucy inzwischen allzu gut kannte. Aber Meerjungfrauen gab es nicht… Sie waren nur Geschichten, von wunderschönen Frauen, die verführerisch sangen, Märchen, die von einsamen Matrosen erzählt wurden, Seemannsgarn, der leichtfertige Seeleute zur Vorsicht ermahnen sollte und untergegangene Schiffe erklärte… Entschlossen verdrängte diese Gedanken und konzentrierte sich wieder auf Juvia. „Hier, schau.“, sagte Lucy und blätterte die erste Seite auf. „Das ist das letzte, das ich habe.“ Sie drehte das Notizbuch so, dass Juvia einen guten Blick auf die Skizze des Heartphilia-Anwesens werfen konnte. „Das ist das Haus meiner Eltern.“, erklärte sie und fragte sich, ob es unter Wasser etwas Ähnliches gab. Lebten Meerleute auch in Dörfern zusammen? Hatten sie Familien? Vielleicht sogar Königreiche wie in manchen Geschichten, die ihre Mutter ihr als kleines Mädchen erzählt hatte, mit großartigen Palästen und funkelndem Gold. Juvias volle Lippen bildeten ein kleines ‚o‘ und sie starrte das Bild fasziniert an. Dann rutschte ihr Blick auf die andere Seite. Der gepresste Rittersporn lag noch immer dort und weitere Krümel der Pflanze rieselten aus dem Falz, als Lucy das Buch leicht bewegte. Sie rutschte ihn vorsichtig in die Mitte der Seite zurück und wünschte sich, ihn festgeklebt zu haben, als sie noch die Gelegenheit dafür hatte. Sie wollte ihn nicht verlieren, es war eine letzte Erinnerung an ihre Mutter. „Was ist das?“, wollte Juvia neugierig wissen und beugte sich noch weiter vor. Ihre langen Haare fielen auf den Boden des kleinen Bootes und hinterließen nasse Flecken auf dem Holz. „Ein Rittersporn.“, erklärte Lucy und wandte errötend den Blick von dem nackten Oberkörper der Frau ab. „Eine Blume, die in unserem Garten wächst. Meine Mama hat sie mir geschenkt.“ Diesmal sagte sie nichts, als Juvia erneut ihre Hand ausstreckte. Hauchzart berührte sie die Blume, ehe sie die Finger wieder zurückzog, als hätte sie sich verbrannt. Sie warf Lucy einen verwundert-begeisterten Blick zu, ehe sie erneut die Blume betrachtete. „Sie ist schön… Aber so flach!“ „Sie ist gepresst.“, erklärte Lucy und lächelte über den kindlichen Enthusiasmus, den die Meerjungfrau über diese einfache Blume zeigte. Aber was für ein Wunder musste es sein, wenn man so etwas vorher noch nie gesehen hatte…! „Damit ich sie mit mir herumtragen kann.“ Erneut streckte Juvia die Hand aus und berührte die Blume leicht, beinahe ehrfürchtig. Sie ließ die Fingerspitzen über die Blätter gleiten und schließlich eine Blüte, die noch immer kräftig blau war. „Gibt es viele Blumen bei euch? Juvia hat davon gehört, sie wollte sie schon immer einmal sehen! Aber die Alten sagen, dass es unmöglich ist…“ Lucy nickte. „Zumindest jetzt um diese Jahreszeit. Im Winter gibt es allerdings nur ganz wenige. Sie haben alle möglichen Farben und Formen. Es gibt große und kleine, manche wachsen an Bäumen und andere sind winzig klein und…“ Juvia schien nicht müde zu werden, darüber zu hören, also erzählte Lucy noch etwas über Blumen und was sie über sie wusste. Schließlich skizzierte sie sogar eine Rose ihr Notizbuch, was die Meerjungfrau bewundernd beobachtete. Lucy genoss dieses Gefühl, selten bekam sie Lob für diesen Zeitvertreib, der angeblich so nutzlos war. Erst, als die junge Meerjungfrau sich abrupt wieder weiter ins Wasser sinken ließ, verstummte sie und blickte ihre neue Freundin verwirrt an. „Was ist? Ist etwas geschehen?“ „Nein. Aber Juvia muss jetzt gehen.“, erklärte diese. „Sie wird dir morgen noch einen Fisch bringen, Lucy.“ Damit ließ sie sich von der Bordkante gleiten und sank ins dunkle Wasser zurück. Für einen Moment trieben ihre Haare auf dem Wasser wie ein Schleier. Lucy beugte sich vor, doch sie sah nur noch, wie Juvia tiefer in das Meer tauchte, und dann war sie verschwunden. ~~*~~❀~~*~~ Ist es wahr, dass der Kuss einer Meerjungfrau einen Menschen in der Tiefe des Meeres atmen lässt? Die verräterischen Worte standen unschuldig auf dem beinahe vollgeschriebenen Blatt Papier, auf dem Lucy ihre kunterbunten Gedanken niedergeschrieben hatte. Sie sinnierte über ihre wundersame Begegnung mit einem phantastischen Geschöpf wie Juvia, das es eigentlich nicht geben dürfte. Drei Tage war es schon her, dass Juvia sich ihr offenbart hatte, drei Tage lang, an der die Meerjungfrau ihr Fisch und Algen zum Essen brachte und manchmal auch Muscheln, drei Tage, die Lucy in einen waren Sturm an verwirrenden Gefühlen gestürzt hatten, die sie nicht benennen konnte – oder wollte. Juvia war so seltsam und so fremd und doch fühlte Lucy sich ihr so nahe wie noch nie jemandem zuvor. Trotz ihrer so unterschiedlichen Herkunft, die ungleicher nicht sein könnte, war es, als wäre sie eine verwandte Seele, eine Schwester, die sie niemals gehabt hatte, eine Vertraute ihres Herzens. Nein, keine Schwester… Lucys Blick huschte zu ihren Worten zurück, dem letzten Satz, der am Ende eines langen, schwafelnden Textes über Meerjungfrauen stand. Fragen und Vermutungen reihten sich aneinander, wie viel stimmte von den alten Geschichten? Waren sie wirklich so gefährlich, wie man ihnen nachsagte? Gab es denn auch männliche Meerjungfrauen – wie auch immer man sein nannte? Waren ihre Stimmen so betörend, verzaubernd im wahrsten Sinne des Wortes? Lebten sie in Städten und Palästen aus Koralle und Stein? Ist es wahr, dass der Kuss einer Meerjungfrau einen Menschen in der Tiefe des Meeres atmen lässt? Sie wurde rot allein bei dem Gedanken an einen Kuss, so unschuldig dieser auch sein konnte. Die sanfte Berührung von Lippen auf ihren… Leichte Bewegungen gegen ihren eigenen Mund… Vielleicht eine vorwitzige Zunge, die vorantastete und einer anderen begegnete… Ungebeten tauchte das Bild von Juvias vollen, rosigen Lippen vor ihrem inneren Auge auf, geradezu dunkel gegen die blasse Porzellanhaut. Lucy schlug die Hände vor das Gesicht, doch nichts konnte das Sehnen unterdrücken, das sie bei den anrüchigen Gedanken verspürte. Aber sie konnte sie nicht unterdrücken, nicht gänzlich, nicht wenn sie hier so völlig ohne Ablenkung saß und wartete. Sie konnte sich nicht einmal auf den Hunger konzentrieren, denn sie hatte nun genug zu essen, oder den Durst. Vor ein paar Tagen war ein Regenguss heruntergekommen, der ihr erlaubt hatte, ihre Flaschen wieder aufzufüllen. Sie hatte genug Wasser, um anständig zu trinken und wenn sie nicht verschwenderisch damit umging. Das einzige Problem, dass sie gehabt hatte, war ihre Papiere und vor allem ihr Tagebuch trocken zu halten, aber irgendwie hatte sie es geschafft, nicht zu verlieren. Nur etwas Tinte war verschwommen. Ein Plätschern ließ sie zusammenzucken und ihre Schultern versteiften sich, als könnte Juvia irgendwie erahnen, was sie über sie gedacht hatte. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen und dem anderen Mädchen ins Gesicht zu sehen, aus Angst und Scham über ihre eigenen, sündigen Vorstellungen. Als könnte Juvia ihre Gedanken lesen. Sie hörte, wie die Meerjungfrau näher schwamm, und spürte es, als sie sich am Boot hochzog. Es wackelte ein bisschen und Lucy hielt sich an der Sitzbank fest, neben der sie hockte. Dann ertönte ihre freudige, silberhelle Stimme: „Du hast Juvia gemacht!“ Lucys Blick zuckte unwillkürlich zu dem Notizbuch, das aufgeschlagen neben ihr lag, den Bleistiftstummel in dem Falz liegend. Eine Seite war vollgeschrieben mit ihren Gedanken und Ragen, auf der anderen jedoch befand sich eine Skizze von Juvia, wie Lucy sie sah. An dem Dollbord hochgestemmt, ihren langen Fischschwanz hinter ihr aus dem Wasser ragend, die Krone aus Juwelenblumen im Sonnenlicht funkelnd, das lange Haar, durch das sich vorwitzig die Spitzen ihrer Brüste abzeichneten, wie ein Schleier über sie fallend, ihr schönes Lächeln und die großen, blauen Augen, die so faszinierend waren… „Äh… J-ja.“, stotterte Lucy verschämt, erschrocken, dass Juvia das unzüchtige Bild überhaupt gesehen hatte. Wie konnte sie das erklären, ohne sie zu verschrecken? Sie wollte sie auf keinen Fall verlieren, nicht nur, weil sie sonst kein Essen mehr bekam. Nicht einmal, weil sie nicht mehr alleine sein wollte… Aber die Nixe schien es nicht anstößig zu befinden, im Gegenteil, sie wirkte erfreut darüber. Eine leichte Röte bildete sich auf ihren Wangen und ihr Blick huschte glücklich und schüchtern zugleich zur Seite, als Lucy sie anblickte. „Juvia i-ist froh darüber.“, flüsterte sie und die Röte in ihrem Gesicht verstärkte sich. Sie war so hinreißend und wirkte gleichzeitig unschuldig niedlich, dass Lucy der Mund trocken wurde. Juvia stellte Dinge mit ihr an und ließ sie Gedanken haben, von denen sie nicht wusste, dass sie zu ihnen fähig war… Sie schluckte. „I-ich hatte Zeit“, erklärte sie dann. „u-und du bist sehr schön.“ Am liebsten hätte sie sich die Zunge abgebissen, kaum dass sie diese Worte gesagt hatte. Was würde Juvia denn nun von ihr denken! Sie konnte auch gleich mit der ganzen Wahrheit herausplatzen! Doch diese starrte sie nur überrascht an und dann legte sich ein kleines, glückliches Lächeln auf ihre Lippen, das ein warmes Gefühl in Lucy wachrief. „Juvia ist… Ju-Juvia…“ Sie verstummte und blickte zur Seite, während sie sich auf die Lippen biss, die dadurch noch röter wirkten. Lucy schluckte. „Juvia hat dir einen Fisch gebracht.“, riss die Meerjungfrau sie dann aus den Gedanken und hievte das tote Tier in das Boot. „Da-danke.“, antwortete Lucy und riss sich abrupt von dem verführerischen Anblick los. All die Geschichten, die sie über Nixen gehört hatte, und keine hatte davon gesprochen, dass die Macht, die sie über Männer hatten, auch die gleiche Auswirkung auf Frauen entfaltete! Doch der Anblick des toten Tieres half, auf andere Gedanken zu kommen. Sie war Juvia wirklich dankbar für alles, was diese für sie tat. Ohne sie wäre sie längst verhungert. Aber roher Fisch hing ihr inzwischen zum Hals heraus. Vorsichtig bugsierte sie das Tier in ihre Vorratskiste und setzte sich dann neben Juvia auf die kleine Bank. All die Tage, die sie nun schon miteinander verbracht hatten, hatte die Meerjungfrau ihr nicht erzählt, in welcher Richtung das Land lag und ob es überhaupt erreichbar für sie war. Jedes Mal, wenn sie aus dem Wasser auftauchte, versuchte Lucy, sie danach zu fragen, doch Juvia ließ sie gar nicht zu Wort kommen oder lenkte das Gespräch rasch in eine andere Richtung. „Erzähl Juvia mehr über das Land!“, verlangte die Nixe auch jetzt mit einem hoffnungsvollen Lächeln. „Erzähl ihr eine Geschichte. Sie hört so gern von deinen Leuten, Lucy.“ „Aber…“, begann diese und runzelte die Stirn. Ob Juvia sie absichtlich von dem Thema ablenkte? Wollte sie gar nicht erzählen, in welcher Richtung das Land lag? Aber warum? Um Lucy die Enttäuschung zu ersparen, weil es zu weit weg war… Oder, weil sie nicht wollte, dass Lucy wegging? Sie hatte schon bemerkt, dass Juvia hier draußen ebenfalls einsam war. Anscheinend war sie die einzige Meerjungfrau weit und breit und sie schien sich von den anderen fern zu halten, von denen sie schon erzählt hatte. Wollte sie Lucy bei sich behalten, damit sie jemanden hatte, der ihr Gesellschaft leistete…? Lucy holte tief Luft und versuchte es einfach: „Wa-warum zeigst du mir nicht, in welcher Richtung das Land liegt? Dann kannst du mit mir kommen und es dir selbst ansehen?“ Sie konnte einfach nicht länger warten! Juvias Gesichtsausdruck wurde unglücklich. „Es ist uns verboten, in die Nähe von Land zu kommen, vor allem wenn dort Menschen sind.“ Verdutzt runzelte Lucy die Stirn. „Aber warum?“ „Weil Menschen gefährlich sind. Sie fangen uns ein und töten uns und sind grausam zu uns…“ Juvias traurige Stimme verklang und Lucy zog sich das Herz zusammen. Sie konnte aber nicht verhindern, dass sie dem in Gedanken zustimmen musste. Sie konnte sich gut vorstellen, wie eine Meerjungfrau gefangen, als Wunderwesen herumgezeigt und dann wie ein Tier im Zoo gehalten wurde. Vielleicht würde sie auch untersucht und schließlich getötet werden, um ihren Körper zu untersuchen. Nein, dieses Schicksal wollte sie Juvia nicht aufbürden. „Aber du hast mit mir gesprochen…“ „Weil Lucy ebenfalls allein ist. Und Juvia war so einsam…“ Juvia senkte den Blick traurig auf ihre Arme. Mit gesenktem Kopf wirkte sie wie ein Bild des Kummers, die Schultern hochgezogen, die Augen von den Ponysträhnen überschattet, der Mund zu einer unglücklichen Linie nach unten gezogen. „Ich war auch einsam.“, gab Lucy zu. „Ich bin sehr froh, dass du mit mir gesprochen hast.“ Das erfreute Lächeln, das sie drauf erhielt, ließ ihr Herz aufgehen. Eine Geschichte, sagte sie sich, eine kurze Erzählung, danach konnte sie noch einmal nach dem Land fragen… „Ich erzähle dir die Geschichte die meine Mutter mir schon als Baby erzählt hat.“, begann sie. „Sie handelt von der Sternenprinzessin… ~~*~~❀~~*~~ Der Himmel war schwarz und dunkel und so wolkenlos und klar wie an den ersten Tagen nach dem Sturm. Der Mond, beinahe voll, war rund und hell wie eine Silbermünze, und so groß, dass Lucy vermeinte, ihn greifen zu können, wenn sie sich nur noch ein bisschen mehr anstrengte und die Hand danach ausstreckte. Hunderte und abertausende von Sternen waren über das Firmament verstreut wie Perlen auf einem schwarzen Samttuch. Lucy kannte ihre Sprache, erkannte die Bilder, die in dem scheinbaren Gewirr verborgen waren, und wusste um die Geschichten, die dahinter standen. Geschichten voller Mord und Blut und Tod – der Skorpion, der den Jäger verfolgte, der Löwe mit dem undurchdringlichen Fell und der schöne Junge, der das Wasser trug… Sanfte Töne von Blau und Violett durchbrachen das Schwarz der Nacht wie zarte Schleier, ein unbeschreiblicher Blick auf die Nebel des Universums. Um das Boot herum breitete sich das ruhige, schwarze Meer aus wie ein weiter Spiegel, auf dem sich das Abbild des Himmels ein zweites Mal abzeichnete. Es war still, stiller als ein Tag es je sein könnte, und friedlich, als könnte nichts dies stören. Ein lauer Wind kitzelte das Meer, so dass sich leichte Wellen kräuselten und das Abbild des Himmels verzerrten. Lucy hatte sich ganz vorne in den Bug gekuschelt, die Arme auf dem Dollbord gestützt, die Beine angezogen. Von hier aus hatte sie einen hervorragenden Blick auf die atemberaubende Schönheit des Himmels, der sich über ihr erstreckte. Selten hatte sie das Firmament in einer solchen Pracht erleben dürfen. Zuhause in ihrem Anwesen, mit der Sternenwarte und seinem Teleskop, hatte sie niemals ein solch schönes Bild vor sich gehabt und sie konnte es noch immer nicht glauben, was sich vor ihr abspielte. Aber nicht nur das, auch die Gesellschaft… Zuhause war sie meistens von ihrer Mutter begleitet worden, aber so sehr sie diese auch liebte, diese Situation jetzt war so ganz anders. Juvias Arme lagen neben ihren auf dem Dollbord, so nah, dass sie sich an manchen Stellen berührten. Ihre völlig haarlose Haut war kühl und weich, aber sie fühlte sich auch seltsam an, nicht ganz normal – nicht ganz menschlich. Sie hatte den Kopf auf ihre Hände abgelegt und folgte Lucys Blick verträumt gen Himmel. Das Sternenlicht fing sich in ihrer Blumenkrone und ihre blauen Augen schienen leicht im Dunkeln zu leuchten. Das kleine Lächeln, das ihre Lippen umspielte, war zufrieden und Lucy wünschte sich, dieses Bild einfangen zu können. Aber sie wusste, selbst wenn sie jetzt das Notizbuch herausholen und es versuchen würde, sie würde dem Model niemals Recht tun. „Gibt es Meer…männer?“, wollte Lucy plötzlich wissen. Damit setzte sie das kleine Fragen-und-Antwort-Spiel fort, das sie vor zwei Tagen begonnen hatten und bei dem sie sich abwechselnd eine Frage stellten. Juvia blickte von ihrem Platz auf dem Dollbord zu ihr auf, doch sie drehte nur leicht den Kopf. Der Schein des Mondes warf unglaublich tiefe Schatten über ihr Gesicht und ließ ihre langen Wimpern kohlschwarz wirken, was ihre seelenvollen Augen noch blauer machte. „Manchmal.“, antwortete sie dann und ihre klare Stimme trug weiter über das Wasser. „Ganz, ganz selten werden sie unter uns geboren. Manchmal nehmen wir sie auch bei uns auf, wenn wir denken, dass sie zu uns gehören. Juvia hat nur zwei gekannt.“ Die Sterne spiegelten sich in ihren Augen und es war Lucy, als könnte sie direkt in das Universum sehen. Das Blau ihrer Iriden leuchtete in der Nacht, wie ein Fluoreszieren, faszinierend schön. „Und…“ Lucy schluckte und musste sich gewaltsam von dem Anblick losreißen. „Und wie ist das mit den Liedern? Rauben sie uns Menschen tatsächlich den Verstand?“ Juvia lachte leise und hob den Kopf. „Juvia ist dran.“, antwortete sie schelmisch lächelnd, ohne auf die Frage einzugehen. „Sind alle Männer grausam, dort, wo du herkommst?“ „Nein.“ Lucy legte den Kopf zurück und dachte nach. Hier, unter dem weiten Himmel, den Blick in das Universum gerichtet, war es leicht, losgelöst zu sein von allem anderen. Ihre Probleme schienen klein und nichtig zu sein und keine Rolle mehr zu spielen. Irgendwie hatte es etwas Tröstliches zu wissen, dass auch ohne ihr alles seinen geregelten Lauf ging. „Es sind… Wir sind alles Menschen. Manche Männer sind grausam, ja, aber das können Frauen auch sein. Aber die meisten Menschen sind gut, daran glaube ich aus tiefstem Herzen.“ „Aber sie waren immer grausam uns gegenüber.“, wandte Juvia ein und Lucy rieb sich die Nase. „Ich glaube, es lag daran, dass sie Angst hatten.“ Sie nickte, wie um ihre eigenen Worte zu bekräftigen. „Menschen sind nicht böse, aber sie können sehr dumm sein. Und wenn sie Angst vor etwas haben, dann reagieren sie mit Gewalt. Das hat mein Vater mir einmal erklärt. Außerdem…“ Sie runzelte die Stirn. Alles schien mit einem Mal klar zu sein und so logisch. Damals, als er es ihr erklärt hatte, hatte sie nicht verstanden, aber jetzt lag alles klar vor ihr. „Ja?“, hakte Juvia nach, als sie nicht antwortete. „Oh… Ich… ich denke, die grausamen Leute… Ich denke, sie stehen oft hinter all dem Bösen. Sie wissen, wie man Menschen manipuliert, wie man sie ausnutzt und in die Richtung lenkt, die sie wollen. Wie sie die Angst vor dem Fremden nutzen müssen. Lämmer, sagen wir, die zur Schlachtbank gehen.“ Lucy verstummte und schüttelte dann lachend den Kopf. „Jetzt rede ich über solche philosophischen Sachen! Ignorier mich.“ „Juvia hört dir aber gerne zu.“, widersprach die Nixe mit einem Lächeln und Lucy fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Sie war froh um die Dunkelheit, die sie umgab, so konnte Juvia es zumindest nicht sehen. Nach einem Moment stupste sie die andere mit dem Finger vorsichtig an. „Aber jetzt bist du dran mit Reden. Sag schon. Wie ist das mit den Liedern?“ „Es sind nicht die Lieder.“, antwortete Juvia. „Es ist die Stimme. Juvia weiß nicht, wie es funktioniert, sie tut es einfach.“ Sie lächelte Lucy an, doch die starrte nur ungläubig zurück. Sie wusste es nicht? „Aber…“, begann sie. „Was für eine Wirkung hat sie? Wie kannst du sie benutzen?“ Juvia zuckte mit den Schultern. „Juvia tut es einfach und wenn sie daran denkt, was sie will, dann funktioniert es. Es ist Magie!“ „Das hätte ich jetzt nicht gedacht…“, murmelte Lucy missmutig. „Wir singen“, erklärte Juvia dann und ihre Stimme klang mit einem mal sanfter, ruhiger, tiefer. „und die Männer hören uns zu. Sie hören uns so sehr zu, dass sie alles darüber vergessen. So sehr, dass unsere Stimmen sie nach Hause begleiten, an Land, überallhin. Und dann… Dann kommen sie zurück zu uns.“ Juvia ließ sich in das Meer zurücksinken und schwamm rückwärts, nur mit zwei, drei Schlägen ihres Schwanzes. Ihr Haar trieb um sie herum auf der Meeresoberfläche, wie ein blauer Schleier, der erahnen ließ, was darunterlag. Das Mondlicht fing sich in ihrer Diamantenkrone, so dass es wirkte, als wäre ihr Haupt von einem hellen Schein umgeben. „Sie können uns nicht vergessen. Sie essen nicht und trinken nicht und sie können nicht mehr schlafen. Sie verzehren sich nach uns und können uns doch nicht haben.“ Ihr Gesicht lag im Schatten, nur die Linie ihres Kinns wurde noch beschienen und ihr weicher, süßer Mund und Lucy konnte verstehen, warum sich jemand nach ihr sehnen würde. Ihre Augen schimmerten geheimnisvoll, blau und hell. „Frauen kommen uns näher, wenn sie uns zuhören.“, flüsterte Juvia und ihre Stimme war nur ein Wispern, das über die Wellen zu Lucy trieb und beinahe unterging im Plätschern des Wassers an den Planken des Bootes. „Will Lucy Juvias Stimme lauschen?“ Lucy schluckte und ihre Kehle war trocken. Juvias Frage klang schwerwiegend, als würde noch so viel mehr dahinterstecken, als würde sie etwas anbieten, etwas versprechen und etwas anbieten. Doch Lucy verstand nicht, von was sie sprach. Stattdessen nickte sie einfach nur. Auf diese Frage gab es nur diese eine Antwort, sie befand sich schon zu tief in Juvias Netz, wollte zu viel von ihr und zu sehr. Aber es war ihr recht so, sie wollte es gar nicht mehr anders. Und Juvia hob die Stimme zu einem Lied mit Worten, die Lucy nicht verstand, die uralt und ewig waren und eine ursprüngliche, unvergängliche Art von Magie in sich trugen. Es klang süß und hell über das Wasser, eine harmonische Melodie, die von Sehnsucht sprach, von Freiheit und von Hoffnung, doch darunter lag Schmerz, lag Leid, lag Verderben. Und sie sprach zu Lucys Seele. ~~*~~❀~~*~~ „Juvia hat Lucy etwas mitgebracht!“ Die Stimme ließ Lucy erschrocken auffahren und sie schloss ihr Notizbuch mit einem Knall. Unbehaglich das Gesicht verziehend klappte sie es noch einmal kurz auf, um einen Blick auf den Rittersporn zu werfen. Doch er war noch heil, trotz der Wucht, mit der sie das Buch geschlossen hatte. Sie hatte die kleine Pflanze angesehen und vor sich hingebrütet. Ihre Reise würde sie wohl nicht mehr bis zum Ziel führen, nicht einmal mit Juvias Hilfe. Bedächtig legte sie das Buch weg und drehte sich zu ihrer Freundin um, deren Kopf aus dem Wasser ragte. Juvia strahlte über das ganze Gesicht und wirkte sehr zufrieden mit sich selbst. „Du hast mir doch schon einen Fisch für heute gebracht.“, bemerkte Lucy erstaunt und kam herüber. Tatsächlich war Juvia nur kurz zu ihr gekommen und dann bald darauf wieder verschwunden. Zwei Besuche an einem Tag waren selten. Allerdings blieb sie in der Regel auch einige Stunden… „Es ist kein Fisch!“, erklärte Juvia frohgemut und schwamm näher. Dann zog sie einen alten Lederbeutel aus dem Wasser. Er war brüchig und fleckig und vermutlich einige Zeit dem Meer ausgesetzt gewesen. „Was ist das?“, wollte Lucy wissen, als sie danach griff. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, aber ihr Herz schlug schnell und freudig bei dem Gedanken, ein Geschenk von Juvia zu erhalten. Der Beutel wog erstaunlich schwer in ihrer Hand und etwas klimperte darin. „Ein Geschenk von Juvia.“ Die Nixe strahlte und griff nach dem Dollbord, um sich daran hochzuziehen und aufzustützen. Aufgeregt wedelte sie mit der Hand. „Mach es auf. Gefällt es Lucy?“ „Ich… Danke.“ Lucys Lippen zogen sich unwillkürlich zu einem erfreuten Lächeln nach oben. Sie nahm den Beutel auf den Schoss und nestelte an den Schnüren herum, die ihn zusammenhielten. Doch das Leder war hart und hatte sich zusammengezogen und das einzige, das sie erreichte, war, dass sie sich einen Fingernagel abbrach. Frustriert griff sie schließlich nach ihrem Messer und schnitt das Lederband einfach durch. Juvia ließ sie währenddessen nicht aus den Augen und als sie jetzt den Beutel öffnete, wippte sie aufgeregt auf und nieder, so dass Wellen plätschernd an das Boot stießen. Lucy drehte den Beutel vorsichtig um und ließ den Inhalt auf ihren Schoß gleiten, der ihr ein erstauntes Keuchen entlockte. Es war Gold. Erst nach einem Moment erkannte sie Struktur darin, einen Reif, dünne Ketten und kleine Plättchen und dazwischen eingefasste reine Amethyste in klarem Violett, die in der Sonne geheimnisvoll schimmerten. Lucy blieb beinahe das Herz stehen. Sie konnte nicht glauben, was sie da in den Händen hielt. Allein der Preis des Metalls und der Edelsteine musste unermesslich sein, aber die Kunstfertigkeit, die in dieses Schmuckstück geflossen war, erhöhte den Wert noch um ein Vielfaches. Sich wiederholende Muster waren auf den kleinen Plättchen zu erkennen und die in Facetten geschliffenen Amethyste waren von geschwungenen Ranken umgeben. Die Kettenglieder waren unermesslich klein und es waren so viele… Das Gold gleißte im Sonnenlicht, hell und freundlich, etwas dunkler als Lucys Haar, und die Edelsteine funkelten. Beinahe ehrfürchtig hob Lucy das feine, aber komplizierte Gebilde hoch um es genauer zu betrachten. „Juvia wird dir helfen, es aufzusetzen.“, riss die Stimme der Nixe sie aus der versunkenen Betrachtung. Lucy blickte auf und hielt sich dann erschrocken an dem Sitz fest, als das Boot heftig wackelte. Juvia stemmte sich nach oben, hievte sich aus dem Wasser und über das Dollbord. „Ju-Juvia!“, rief Lucy erschrocken aus und ließ den Goldschmuck in ihren Schoß fallen, um das kleine Boot wieder auszugleichen. Doch Juvia lachte nur und drehte sich um, um schwer am Boden zu landen. Ihre Schwanzflosse platschte im Wasser und spritzte Lucy nass, die ein erschrockenes Kreischen stieß. Aber gleichzeitig lachte sie laut heraus. „Pass auf, sonst machst du das Buch nass!“, rügte sie trotzdem und brachte den genannten Gegenstand rasch in Sicherheit. Juvia, der noch mehr an dem Notizbüchlein lag als ihr, erstarrte erschrocken. Doch Lucy wandte sich bereits wieder dem Gold in ihrem Schoß zu. „Das ist wunderschön.“, sagte sie zu der Nixe. „Vielen Dank. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Was es ihr jetzt bringen sollte, wusste sie auch nicht, aber sie sagte nichts dazu. Es war ein Geschenk, das von Herzen kam, und allein das zählte. „Juvia wird dir helfen, es aufzusetzen.“, wiederholte die Nixe und schob sich näher. Im Sitzen war sie etwas kleiner als Lucy, also glitt diese von ihrem Sitzplatz auf der Bootsbank herunter, um sich neben ihrer Freundin im Schneidersitz niederzulassen. Der Fischschwanz berührte beinahe ihr Knie und strahlte Kühle aus. Die vielfarbigen Schuppen funkelten ihrerseits in der Sonne wie Juwelen, ein faszinierender Anblick. Beinahe hätte sie die Hand ausgestreckt, um ihn zu berühren. Stattdessen ballte sie die Hände im Schoß zu Fäusten und wandte scheu den Blick ab. Sie hatte ihn noch nie von so nahem gesehen, meistens nur unter Wasser, was ihn immer zu etwas Abstraktem gemacht hatte, ungreifbar, als wäre er nicht wirklich. Ihn so nahe zu sein, machte noch einmal deutlich, wie unterschiedlich sie und Juvia tatsächlich waren. Dass sie niemals wirklich beisammen sein konnten außer in diesem Niemandsland zwischen Land und Meer. „Lass Juvia dir damit helfen.“, verlangte die Nixe und griff nach dem Goldschmuck. Vorsichtig entwirrte sie ihn und lockte Lucy dann mit den Fingern. „Beug dich vor, damit Juvia deinen Kopf erreichen kann.“ Nach kurzem Zögern folgte Lucy der Aufforderung und neigte ihr das Haupt entgegen. Auf einmal war sie sich bewusst, wie nahe sie sich waren, nur Zentimeter voneinander entfernt. Sie konnte Juvias Duft riechen, nach Meer und Wind und etwas Süßem, das ganz und gar Juvia war. Die blauen Haare waren das einzige, das ihr den Blick auf die elfenbeinweiße Haut verdeckten und auf die beiden Hügel, die sich darunter erhoben. Sie wollte die Hand ausstrecken und sie berühren, streicheln und liebkosen mit Händen und Lippen und… Beschämt über ihre eigenen Gedanken wandte sie den Blick ab, während sie kaum bemerkte, wie Juvia sich an ihrem Kopf und ihrem Haar zu schaffen machte. Anscheinend hatte sie von irgendwoher einen Kamm genommen und ließ ihn jetzt durch die langen Strähnen gleiten. Doch Lucys Gedanken wirbelten wild durcheinander, während sie versuchte, ihre wirren Emotionen wieder in den Griff zu kriegen. Seit jener Nacht, in der Juvia zu ihr gesungen hatte, waren ihre Gefühle stärker geworden, intensiver und intimer. Sie wusste, was sie wollte, aber sie konnte es sich kaum gegenüber ihr selbst eingestehen. Sie bemerkte kaum, wie Juvia ihren grazilen Kamm wieder weglegte, und den goldenen Schmuck aufnahm. „Halt still!“, schalt sie lächelnd, als Lucy zu ihr aufblicken wollte, und legte es ihr dann vorsichtig über den Kopf, wob es ihr in die Haare und befestigte es an ihrem Haaransatz, damit es nicht rutschte. Schließlich gestattete sie ihr, sich wieder aufzusetzen. Für einen Moment betrachtete sie Lucy einfach, die funkelnden Augen weit geöffnet, als könnte sie nicht genug kriegen von dem Anblick, ein kleines Lächeln auf den Lippen und ihr Atem stockte leicht. „Du bist so wunderschön!“, flüsterte sie und klang beinahe ehrfürchtig dabei. Auf ihren Wangen lag ein leichter Rosenschimmer. „Es passt so wunderbar zu dir!“ Lucy fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss und verlegen strich sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Ein solches Kompliment hatte sie nicht erwartet! Nicht hier, nicht jetzt, nicht von Juvia. Doch es ließ ihr Herz schneller schlagen und erfüllte sie mit glückseliger Wärme. Juvias Lächeln wurde breiter. „Schau es dir an!“, forderte sie sie auf und holte etwas hinter dem Rücken hervor. „Gefällt es Lucy?“ Sie hielt ihr einen Spiegel hin, eingefasst in mit Rosen verziertes Silber. Er war an einer Stelle gesprungen, doch trotzdem konnte Lucy ihre Reflektion deutlich erkennen. Was sie sah, ließ ihr ein erstauntes Keuchen über die Lippen schlüpfen. Große braune Augen, umgeben von einem Kranz feiner, goldener Wimpern blickten ihr entgegen, in denen tiefer Schmerz und bittere Erfahrung standen, aber auch Stärke und Hoffnung. Ihre Lippen waren voll und geschwungen, nicht mehr rissig und spröde vom Wassermangel, und ihre Haut war golden, nicht mehr rot und verbrannt durch die Sonne. Ihr Haar war glänzend und von einem hellen Blond, das ihr in sanften Wellen über die zierlichen Schultern fiel. Der goldene Schmuck hob sich etwas dunkler davon ab. Ein verzierter Reif lag wie ein Diadem um ihren Kopf und eine einzelne Kette führte über ihren Scheitel nach hinten. Beginnend über ihrer Schläfe zogen sich weitere Ketten in Bögen um ihren Kopf, immer mehr und immer tiefer, je weiter nach hinten sie kamen, so dass sie ein grobmaschiges Netz bildeten. Die Ketten waren an den Plättchen und den Amethysten befestigt, die auf ihrem Haar lagen und in der Sonne funkelten. „Das ist wunderschön.“, flüsterte sie und blickte zu Juvia mit ihrer silbernen und diamantenen Blumenkrone hinüber und ihren seelenvollen Augen, in denen so viel Gefühl stand. Vorsichtig ließ sie ihre Hand über ihren Kopf gleiten, ihre Haare, den Schmuck. „Wo ist es her?“ Langsam ließ sie den Spiegel sinken und legte ihn auf die Sitzbank hinter sich. „Aus einem Schiff, das vor ein paar Jahren gesunken ist.“, erklärte Juvia sonnig. „Es war ein Schatzschiff und liegt gar nicht weit von hier.“ Sie machte eine Handbewegung in die entsprechende Richtung und ihre Schwanzflosse zuckte leicht. „Oh.“, machte Lucy, doch sie bemerkte selbst, wie abgelenkt sie klang. Ihr Blick ruhte wieder auf dem Fischleib, der ihr so nahe war, nur ein paar Zentimeter entfernt, sie brauchte nur die Hand auszustrecken und… „Du kannst ihn anfassen, wenn du möchtest.“, bemerkte Juvia und rutschte näher an sie heran. „Aber…“, begann Lucy, doch warum widersprach sie? Juvia schien es nichts auszumachen und sie… sie wollte es doch. Sie wollte Juvia berühren. Ihre Hand zitterte, als sie sie nach dem Fischschwanz ausstrecke, der Juvias Unterkörper war. Vorsichtig legte sie sie darauf, spürte die kühlen, glatten Schuppen unter den Fingern. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, vielleicht ein Gefühl, wie wenn sie einen der Fische berührte, die Juvia ihr immer brachte. Aber es war ganz anders, denn Juvia war lebendig. Sie konnte es fühlen, die Bewegung der starken Muskeln unter den Schuppen, die Wärme ihres Körpers, das Erschaudern, das Juvia durchfuhr, als Lucy die Fingerspitzen darüber gleiten ließ, und ihren ganzen Leib erzittern ließ… Sie blickte auf, direkt in Juvias Augen, die ihr so nahe waren. Auch ihre verführerischen Lippen waren nur wenige Zentimeter entfernt und standen leicht offen; sie luden geradezu dazu ein, sie zu küssen. Ihr Atem ging schneller und ihre Augen flackerten. Dann senkten sich ihre Lider und sie drehte den Kopf, strebte ihr entgegen, verlockend, einladend. Lucy hob ihre freie Hand und legte sie an Juvias Wange, die sich unwillkürlich hineinschmiegte, ein seliger Ausdruck im Gesicht. Vorsichtig beugte Lucy sich vor und dann berührten sich ihre Lippen, zart, wie der Schlag eines Schmetterlingsflügels oder ein Blütenblatt, das über ihre Haut streifte. Doch diese einzelne, sanfte Berührung war wie elektrisierend, jagte durch ihren Körper wie ein Blitz. Sie seufzte leise, als ihre Sehnsucht endlich gestillt wurde, und beugte sich weiter vor, um Juvias Lippen energischer zu liebkosen, sie zu küssen und zu kosten. Sie schmeckte salzig nach dem Meer, doch darunter lag die ihr eigene Süße, die so völlig fremd war, aber doch vertraut, wie etwas, das Lucy vor langer, langer Zeit einmal gekannt hatte. Die Meerjungfrau reckte sich ihr entgegen, aufgestützt auf den Händen, und erwiderte den Kuss mit winzigen Bewegungen ihrer Lippen. Ihre Berührungen waren scheu, wie tastend, aber rasch mutiger werdend. Offensichtlich hatte sie noch weniger Erfahrung als ihre Partnerin. Lucy ließ streichelnd ihre Hand über ihren Schwanz nach oben gleiten, über ihre Hüfte und die zarte Haut ihrer Taille. Sie zögerte einen Moment, als sie die Haare unter den Fingern spürte, doch Juvia drängte sich ihr nur noch mehr entgegen, ihr Kuss fordernder und dann stahl sich eine vorwitzige Zunge zwischen ihren Lippen hervor. Lucy öffnete leicht den Mund, gefällig und bereitwillig, und erwiderte die Berührung mit der eigenen Zunge. Sie streichelte weiter nach oben, über die seidigen Haare und die sanfte Wölbung der Brust, über Juvias Hals und in ihr Haar hinein, um sie näher zu sich zu ziehen, als würde sie sich ihr nicht schon entgegendrängen. Juvia seufzte leicht, ein berauschendes Geräusch, und öffnete den Mund einladend und willig. Es war, als würde sie Leben in Lucy hauchen und Glück und Liebe. Dies war es, beschloss Lucy, wie der Himmel sich anfühlen musste. ~~*~~❀~~*~~ „Warum sagst du mir nicht, wo das Land ist?“, wollte Lucy betrübt wissen, die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen. Sie hielt den Rittersporn zwischen ihren Fingern und sah Juvia nicht an, die neben ihr im Wasser schwamm. Das Gewicht des Goldschmucks schien schwer auf ihr zu wiegen. Für einen Moment blieb es still, dann plätscherte es leise, als die Meerjungfrau näherkam. Lucy hob den Kopf und blickte die blauhaarige Frau an. „Warum?“ Juvia wandte den Blick ab. „Es ist sehr weit weg. Juvia kann dich dort nicht hinbringen und sie kann dich nicht belgeiten.“ Lucy seufzte tief. Das hatte sie sich fast gedacht. „Aber was soll ich denn tun? Ich kann nicht ewig hier bleiben…“ Auch wenn ich es vielleicht will. Denn Juvia war hier, Juvia, bei der sie sein wollte, in deren Nähe sie bleiben wollte, die sie so gefangen genommen und verzaubert hatte. An Land, was erwartete sie dort? Ein Bräutigam, den sie nicht kannte und auch nicht wollte… Ihr Blick senkte sich wieder auf den Rittersporn hinunter. Sie hörte Juvias stilles Seufzen und dann legten sich die Hände der Nixe über den Bootsrand. „Lucy…“, flüsterte sie und ihre Stimme klang silberhell und bestrickend. Unwillkürlich blickte diese sie wieder an, rutschte beinahe unwillig näher. Juvias Augen waren riesig und dunkel in ihrem blassen Gesicht, das umgeben war von blauen Locken und dem Silber ihrer Krone. Die vollen Lippen, deren Süße so verführerisch war, zogen sich zu einem sanften Lächeln nach oben. „Willst du mit Juvia kommen? Komm mit Juvia…“ Sie streckte einladend die Hand aus, die Handfläche erhoben, bittend. „Mi-mit dir?“, stotterte Lucy und irgendetwas in ihrem Hinterkopf schien sie warnen zu wollen. Doch sie konnte sich nur auf diese wunderschöne Frau vor ihr konzentrieren, auf ihr liebreizendes Lächeln und den Glanz in den blauen Augen. Und das Angebot war so verführerisch… „Wir werden für immer zusammen sein.“, versprach Juvia und oh, war es nicht das, was sie wollte? „Niemand wird uns dort erreichen und wir glücklich und zusammen sein. Komm mit Juvia? Sie wird dir alles zeigen…“ Einladend bewegte sie die Finger. Lucy griff nach der angebotenen Hand, die sie sanft zu sich zog, weiter und weiter. Der Rittersporn fiel unbeachtet in das Boot und Lucy glitt ohne Widerstand über das Dollbord ins tiefe, weite Meer. Juvias Arme umfingen sie fest und sicher und zogen sie mit sich in die Tiefe… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)