Der Drache und die Nacht von Arianrhod- (OneShots) ================================================================================ [April | Alpenrose] The Damsel's Secret --------------------------------------- „Ich gehe dann schon einmal vor.“ Meredy deutete zum Stall hinüber, ein weiß verputztes Gebäude mit Giebeldach und hoch angebrachten Fenstern, und machte zwei Schritte zur Seite. Wenn sie eine Antwort erwartet hätte, wäre sie enttäuscht worden, denn Juvia schien sie nicht einmal gehört zu haben. Die Blauhaarige stand mit verschränkten Fingern am Gatter und starrte mit verträumten Gesicht zu dem jungen Reiter hinüber, der in der Mitte des Korrals mit einer nervösen Falbstute arbeitete, die offensichtlich erst eingeritten wurde. Sie tänzelte und bockte leicht unter der kundigen Führung. Meredy warf ihm einen säuerlichen Blick zu und wandte sich endgültig ab. Zu Zeiten wie diesen war Juvia nicht als Hofjungfer zu gebrauchen und Zeiten wie diese waren, wann immer Gray in der Nähe war. Es reichte schon, dass er in Sichtweite war, irgendwo am Horizont. Und als eines der beiden Mündel ihrer Großmutter war das öfter der Fall, dass sie ihn zu Gesicht bekamen. Meredy seufzte. Eigentlich hatten sie vorgehabt, einen Ausritt zu machen, aber dann hatte Juvia Gray bemerkt und war schnurstracks auf den Korral zumarschiert, um sich davor aufzubauen. So bald würde niemand sie von dort wegbewegen können. Meredy verzog erneut das Gesicht und beschloss, sich nicht den Ausritt verderben zu lassen, nur weil Juvia ihre Pflichten als ihre Hofjungfer vergessen hatte. Sie duckte sich in den Stall, in dem im Moment nur eine Handvoll Pferde untergebracht war. Es war hell und roch nach Heu und Pferd und die vertrauten Geräusche der Tiere drangen ihr entgegen. Ein Apfelschimmel streckte den Kopf über seine Boxentür und schnaubte. Seine samtige Nase tätschelnd sah sie sich nach einem Stallburschen um, aber keiner war zu sehen. Sie runzelte die Stirn und stemmte die Hände in die Hüften. Sollte sie es wagen, sich selbst ein Pferd bereitzumachen? Aber wenn ihre Mutter davon erfuhr, würde es wieder Ärger geben und die Wahrscheinlichkeit dafür war recht hoch. Lady Urtear schien ihre Augen und Ohren überall zu haben. Aber was sollte ein armes adliges Fräulein tun, wenn niemand zur Hand war, der diese Aufgabe für sie übernahm? Meredy öffnete den Mund, um nach dem Verantwortlichen zu rufen, als eine tiefe, angenehme Stimme hinter ihr fragte: „Soll ich Euch ein Pferd aufzäumen, Fräulein?“ Erschrocken zuckte sie zusammen und fuhr zu dem jungen Mann herum, der so unverhofft hinter ihr aufgetaucht war, ihre Hand auf dem Griff ihres Dolches, den sie stets am Gürtel trug. Er hob beide Hände und lächelte sie entschuldigend an. „Ich wollte Euch nicht erschrecken.“ Meredy brauchte einen Moment, um sich wieder zusammen zu reißen. Sie benötigte dafür länger, als ihr lieb war, was jedoch nicht an dem Schrecken hing, den er ihr eingejagt hatte. Es war er selbst. Sein edles, schmales Gesicht mit den schmalen, onyxfarbenen Augen, in das einige Strähnen des kurzen, schneeweißen Haares fielen, brachte ihr Herz stets dazu, schneller zu schlagen und trieb eine leichte Röte in ihre Wangen. Ihr Gegenüber war hochgewachsen und muskulös und über seinen breiten Schultern spannte das schlichte, aber qualitativ hochwertige Hemd. Dazu trug er ein dunkelblaues Wams, einfache Lederhosen und hohe Reitstiefel, die alle ähnlich gut gearbeitet waren. Er war das zweite Mündel ihrer Großmutter, Lyon. Wie Gray stammte er aus einer einfachen Familie und war früh verwaist worden, ehe Ur von Milkovich sich seiner angenommen hatte. Jetzt bereitete er sich darauf vor, ein Ritter zu werden und damit offiziell in den Adelsstand einzutreten. Meredy blinzelte heftig und richtete sich gerader auf. Jetzt und vor ihm durfte sie sich keine Blöße geben! „Vielleicht solltet Ihr Euch bemerkbar machen, ehe Ihr Euch einer Dame nähert.“, erklärte sie spitz. „Und eine höfliche Begrüßung wäre ebenfalls angebracht.“ Lyon nahm ihr den Tonfall offensichtlich nicht übel, denn seine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln, das ihr die Hitze in die Wangen trieb. Dann nahm er ihre Finger mit einer formvollendeten Bewegung und beugte sich darüber, um einen galanten Kuss auf den Handrücken zu hauchen. Meredy erschauderte bei der leichten Berührung. Am liebsten würde sie ihn gegen den nächsten hölzernen Pfeiler drücken, um ihm für einen richtigen Kuss die Lippen auf den Mund zu pressen. Wie sehr sehnte sie sich danach, in seinen Armen zu liegen, von ihm gehalten zu werden und ihm einfach nahe zu sein. „Verzieht mir, mein Fräulein.“, antwortete er neckend, ohne ihre Gedanken zu erahnen, und blickte sie von unten her an. Sie konnte seinen Atem auf ihrer Haut spüren. „Und seid willkommen in den Ställen. Darf ich Euch Euer Pferd aufzäumen?“ „Ihr dürft.“, antwortete Meredy hoheitsvoll, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken. Leicht bedauernd entzog sie ihm ihre Hand und er richtete sich endlich wieder auf. Auf der einen Seite bedauerte sie dies, da sie den Kontakt zu ihm verlor, auf der anderen machte seine Nähe sie fahrig und wie berauscht. Aber vielleicht war es besser so, ehe jemand sie in dieser beinahe verfänglichen Situation bemerkte. Gemeinsam gingen sie die Stallgasse hinunter, um ein passendes Pferd für sie zu finden. „Wird Juvia Euch nicht begleiten? Ich dachte, ich hätte sie vorhin gesehen?“, wollte er wissen, während er auf eine schöne Fuchsstute mit schmaler Blässe zusteuerte. „Sie hat auch jemanden gesehen.“, murrte Meredy und sah zu, wie er das Pferd aus seiner Box holte. Die Stute schnaubte erfreut, die Ohren waren gespitzt und sie tänzelte leicht auf der Stelle. „Also reite ich allein aus.“ Lyon warf ihr einen Blick zu. „Wenn Ihr das für eine gute Idee haltet…“ Er runzelte die Stirn. „Versucht nicht, mich aufzuhalten. Was soll schon passieren?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wandte sich ab. Hinter sich hörte sie sein Seufzen und dann das Klappern der Hufe, als er die Stute wegführte. Sie wandte den Blick wieder zu ihm und sah ihm nach. „Ich bringe sie zu Euch raus.“, warf er über die Schulter zurück. „Ihr solltet Juvia zumindest Bescheid sagen, ansonsten wird sie sich noch Sorgen machen.“ Damit führte er das Pferd durch den steinernen Torbogen zu dem Unterstand, wo die Tiere vorbereitet wurden. „Das habe ich schon gemacht.“, grummelte Meredy, auch wenn das nicht ganz die Wahrheit war und er sie nicht einmal hören konnte. Sie hatte ihrer Hofjungfer nicht gesagt, dass sie alleine losziehen würde, ansonsten hätte Juvia sich doch losgerissen. Aber so sehr Meredy sich auch immer in Gedanken über darüber lustig machte oder ärgerte, wenn Juvia wieder einmal Gray anhimmelte, so missgönnte sie ihrer Freundin es doch nicht. Juvia hatte das Glück, ihre Liebe offen zeigen zu dürfen, und wie Meredy inzwischen schmerzlich wusste, war dies nicht jedem vergönnt. Sie seufzte und warf einen Blick zu dem Apfelschimmel, der sie noch immer interessiert anblickte. Seine sanften Augen wirkten verständnisvoll und seine Ohren zuckten aufmerksam. „Du hoffst wohl, dass ich dich mitnehme, was?“, sagte sie und streichelte sein langes Gesicht. „Es tut mir leid, aber das ist leider nicht möglich.“ Wie so vieles andere auch nicht möglich war. Sie warf einen Blick über ihre Schulter zu dem Durchgang, durch den Lyon verschwunden war, aber natürlich war ihm nichts mehr zu sehen. Sie konnte allerdings seine tiefe Stimme hören, jedoch zu leise, als dass sie die Worte verstehen konnte. Aber allein der angenehme Klang löste eine unstillbare Sehnsucht in ihr aus. Mit einer heftigen Bewegung wandte sie sich wieder dem Apfelschimmel zu. „Deine Probleme lassen sich wenigstens leichter aus der Welt schaffen.“, erklärte sie ihm, als er suchend seine Nüstern gegen ihre Hand presste. „Etwas zu Essen habe ich dir auch nicht mitgebracht.“, bemerkte sie amüsiert. Eine Weile blieb sie noch bei ihm stehen, ehe sie sich doch losriss und endlich den Stall verließ. Der warme Schein der Frühlingssonne begrüßte sie, so dass ihr das schwere Reitkleid beinahe zu mollig wurde. Aber draußen, wenn sie erst einmal unterwegs war, würde es gerade das Richtige sein. Überall um sie herum sprossen die Pflanzen in die Höhe und reckten ihre bunten Blüten dem Himmel entgegen, die Bäume waren frisch in grün gekleidet und die Vögel zwitscherten laut. Frühling war ihr die liebste Zeit im Jahr, wenn nach einem langen Winter alles erwachte und wieder lebendig und warm wurde. Ein sanfter Wind strich ihr durch die langen, dunkelrosa Haare, die Juvia ihr vorhin kunstvoll nach hinten geflochten hatte, und die beiden Haarsträhnen, die ihr auf die Brust fielen. Mit geschlossenen Augen reckte sie ihr Gesicht der Sonne entgegen und genoss einfach den Moment. Sie musste nicht lange warten, da hörte sie Lyon schon mit dem Pferd um die Ecke kommen. Nach einigen Augenblicken drehte sie sich zu ihm um, um das Tier in Empfang zu nehmen. Auf Lyons Gesicht lag ein seltsamer Ausdruck, den sie nur schwer deuten konnte, doch in seinen dunklen Augen glomm ein Funke. „Hier ist Euer Pferd, mein Fräulein.“, bot er ihr die Zügel an und seine Stimme klang belegt. „Vielen Dank.“, antwortete sie spröde und wartete, bis er zurückgetreten war, ehe sie sich mit einer geübten Bewegung in den Sattel schwang. Es mochte nicht sehr schicklich sein, aber sie hielt nichts vom Damensitz, also bestand sie auf einen normalen Sattel, egal, wie sehr ihre Mutter protestierte. Die Füße in die Steigbügel schiebend nahm sie die Zügel auf und- Verwirrt hielt sie in der Bewegung inne und blinzelte überrascht, als sie die Beigabe bemerkte, die nicht zum Zaum gehörte. In dem metallenen Ring des Halfters, direkt unter dem rechten Ohr der Stute steckte ein kleiner Ast mit einigen dunkelgrünen, ovalen Blättern und einer eng stehenden Gruppe von länglichen Blüten, die dieselbe Farbe wie ihre Haare hatten. Sie warf einen Blick zu Lyon hinüber, doch der tat so, als wäre alles so, als wäre nichts Ungewöhnliches an einer Blume im Halfter ihres Pferdes. Meredys Blick wanderte wieder zu der Pflanze und nach einem Moment zog sie sie zögerlich aus dem Halfter. Mit den Fingerspitzen strich sie vorsichtig über die zarten Blätter. Es war eine Alpenrose, erkannte sie, und dank Juvia und ihren romantischen Anwandlungen wusste sie auch um die Bedeutung dahinter. Wann werden wir uns wieder sehen? Sie konnte das feine Lächeln nicht unterdrücken, aber eigentlich wollte sie es gar nicht. Er konnte und sollte sehen, wie sehr sie diese Geste berührte. Natürlich, Lyon und sie sahen sich Tag für Tag, spätestens zum Abendmahl, da Großmutter Ur darauf bestand, dass die ganze Familie diese Mahlzeit gemeinsam einnahm. Da sie ihre beiden Mündel dazuzählte, waren sie natürlich auch anwesend, ebenso wie Juvia als Meredys Hofjungfer. Aber das war nicht das, was er meinte. Nach einer kurzen Überlegung zog sie ihren Zopf über die Schulter und schob die Pflanze durch das Flechtwerk, bis sie nicht mehr befürchtete, dass sie wieder herausrutschte. Dann nahm sie die Zügel auf und wendete die Stute, so dass sie zum Stahl hinübersehen konnte. Von hier aus konnte sie den hellgrauen Pferdekopf sehen, der ihr sehnsüchtig entgegenblickte. Zumindest bildete sie sich das ein. „Der da.“, sagte sie und deutete auf den Apfelschimmel. „Der braucht auch noch Bewegung. Warum kümmert Ihr Euch nicht darum?“ Lyon blickte überrascht zu ihr auf. „Ich habe noch einiges zu tun.“, wandte er ein, doch sie grinste nur herausfordernd zu ihm hinunter. „Ich finde, Ihr solltet mindestens zum Maguilty Stein reiten.“ Das war ein einzelner Menhir, der größte in der Gegend, der auch noch ziemlich abseits lag. Zu Pferd war er von der Burg aus jedoch gut zu erreichen. Die Bauern mieden ihn in ihrem Aberglauben, doch Meredy liebte ihn und seine Abgeschiedenheit. Dort konnte man ungestört sein. Sie warf Lyon ihr schönstes Lächeln zu, wendete ihre Stute und ritt vom Hof. ~~*~~❀~~*~~ Ungeduldig hockte Meredy auf einem der niedrigen Felsbrocken, die hier überall aus der Erde ragten, und stützte missmutig die Ellbogen auf die Knie, den Kopf auf den Händen abgestützt. Von hier aus hatte sie einen hervorragenden Blick über die herrliche, wilde Landschaft ihrer Heimat. Rollende Hügel, die mit saftig grünem Gras und Heidekraut bewachsen waren, erstreckten sich bis zum Horizont. Über dem Land erstreckte sich der weite Himmel, der sich heute in strahlendem Blau und nur von wenigen Wolken bedeckt zeigte. In der Ferne konnte sie einen Schäfer mit einer Herde Schnucken erkennen und hoch über ihr zog ein Adler seine Kreise. Doch Meredy hatte keinen Blick übrig für diese wilde Schönheit des Landes, sondern wippte nur ungeduldig mit dem Fuß. Hoffentlich hatte Lyon ihre Botschaft verstanden! Oder war sie doch zu ungenau gewesen? Er ließ jedenfalls schon einige Zeit auf sich warten! Oder war er aufgehalten worden? Ganz in der Nähe erhob sich der Maguilty Stein, dessen scharfe Kanten von Wind und Regen abgeschliffen worden waren, eine weithin sichtbare Landmarke, die sich scharf vom Himmel abhob. Im oberen Drittel des Menhirs befand sich ein großes, beinahe perfekt rundes Loch, um das sich viele Legenden und Geschichten rankten. Feen sollten es gemacht haben oder Trolle. Ein Gott oder ein Dämon. Niemand wusste es genau, aber manchmal blies der Wind genau so hindurch, dass ein lauter, heulender Ton entstand, der wirklich schaurig war. Im Moment jedoch war es still um sie herum, so dass sie den Schrei des Adlers über sich hören konnte und das Krächzen der Raben, die ganz in der Nähe in einem Busch hockten. Ihre Stute graste friedlich ein kleines Stück entfernt, nur hin und wieder hob sie den Kopf. Meredy überlegte, ob sie doch wieder aufbrechen sollte. Wenn Lyon schon nicht kam, wollte sie wenigstens einen langen Ritt genießen. Das hatte sie immerhin ursprünglich vorgehabt, denn mit Juvia im Schlepptau konnte sie sich kaum mit ihrem heimlichen Geliebten treffen. Doch ehe sie zu einem Entschluss kommen konnte, hörte sie den vertrauen Klang von Hufschlägen. Sich aufsetzend drehte sie sich in die Richtung, wo der Weg sich zwischen den Hügeln hindurchschlängelte, und nach einem Moment tauchte er auch schon in ihrem Sichtfeld auf. Er ritt tatsächlich den Apfelschimmel, dessen lange Mähne im Wind wehte, als sein Reiter ihn mit sicherer Hand den Hügel hinauflenkte. Meredy sprang auf und ihr Herz schlug plötzlich schneller, während sie den Blick nicht von ihm lösen konnte. Er sah so stattlich und eindrucksvoll aus! Als Lyon sie entdeckte, hellte sich sein Gesicht auf und unwillkürlich breitete sich ein Lächeln darüber aus, das eine wohlige Wärme in ihr aufsteigen ließ. Dieses Lächeln schenkte er nur ihr und in ihm lag alles, was er nicht aussprechen durfte – Liebe und Hoffnung und Sehnsucht. Er zügelte sein Pferd und rutschte schon aus dem Sattel, ehe es überhaupt vollständig zum Stehen gekommen war, um ihr entgegenzueilen. Mit einem Ruck löste sie sich aus ihrer verzauberten Starre und rannte ihm entgegen, um die Arme um seinen Hals zu werfen. „Endlich bist du da!“ Er stolperte unter ihrem Schwung, aber er fing sie auf, und endlich konnte sie ihn küssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)