Der Drache und die Nacht von Arianrhod- (OneShots) ================================================================================ [Januar | Weiches Fell] Finding Home ------------------------------------ Der Wind zerzauste Weißlogias Fell und fuhr durch seine Federn, als er mit weit ausgebreiteten Schwingen durch den abendlichen Himmel glitt. Die Thermik hielt ihn auch ohne viel Kraft und Bewegung in der Höhe, so dass er den ruhigen Flug genießen konnte. Unter ihm zog die weite Fläche des Wilden Waldes dahin, grün und braun und manchmal sogar rot oder weiß. Im Süden wurde er begrenzt durch das kultivierte Land Fiores, Ostnordost wuchs das Herzwindgebirge empor, ummantelt von grünen Wäldern, und fern im Norden erkannte man die Anfänge der Wilden Einöde. Direkt unter ihm schlängelte sich die Ferne Handelsstraße dahin, die die kürzeste Verbindung zwischen Fiore und Athosvea darstellte und hier die äußersten Ausläufer der Wildlande durchquerte. Sie zu umgehen wäre einfach zu weit gewesen, zu zeitraubend, weswegen man sich dazu entschlossen hatte, den Weg durch dieses gefährliche Gebiet führen zu lassen. Weißlogias Blick glitt aufmerksam über die Landschaft, doch das Blätterdach der Bäume war so dicht, dass es ihm keinen Blick auf den Boden gestattete. So boten ihm eigentlich nur die Lichtungen und die breite, gepflasterte Straße die Gelegenheit, die er brauchte, um Beute zu schlagen. Es würde ihm nicht viel Mühe bereiten, hinüber zur Einöde zu fliegen, wo das Land offen und weit war. Doch die Wahrheit war, dass Rentier ihm zum Hals heraushing. Hier im Wald war die Jagd mühsamer, doch er hatte die Hoffnung, eine andere Beute zu schlagen. Die andere Möglichkeit wäre natürlich, nach Süden zu fliegen und sein Glück dort zu versuchen, doch eine Kuh von einer Weide zu stehlen stellte keine Herausforderung dar. Außerdem hielt er nicht viel von solcherlei Diebstahl. Er drehte den gehörnten Kopf und sog tief die Luft ein, um vielleicht einen Hauch von einem Ort zu erhaschen, wo eine gute Gelegenheit zu Jagen war, doch das einzige, das ihm in die Nase steig, war der Gestank von Feuer. Überrascht horchte er auf und sein langer Körper schwang herum, als er die Flügel schräg stellte, während er den Blick aufmerksam über das Land gleiten ließ. Es dauerte bloß Augenblicke, bis er die schwarzen Rauchsäulen entdeckte, nur wenige Meilen von ihm entfernt und bei weitem zu groß, um von Kochfeuern oder Herdstellen zu rühren. Häuser vielleicht? Die Menschen der Wildländer waren harte, unabhängige und misstrauische Leute, doch Brände in solchem Ausmaß kamen selten vor. Unwillkürlich veränderte er seine Flugbahn und der kräftige Schlag seiner Schwingen ließ ihn über den Wald schießen, so dass er die Entfernung in nur wenigen Sekunden zurückgelegt hatte. Er mochte sich aus den Angelegenheiten der Menschen heraushalten, zu viel Leid und Unglück hatten sie ihm bereits gebracht, doch ein solches Unglück – oder eine solche Untat – würde er nicht unbeteiligt ignorieren. Aber es waren keine Häuser, die brannten, sondern Fuhrwerke. Die Handelsstraße kam in einem großen Bogen hierher zurück und sie war ein einziges Schlachtfeld. Leichen von Menschen und Pferden lagen verstreut auf den Pflastersteinen, gespenstig beleuchtet von den tanzenden Flammen. Fünf der sieben Wagen waren in Brand gesteckt worden, nachdem man sie geleert hatte, ein weiterer stand etwas abseits, die Pferde davor sinnlos erschlagen, so dass ihr Blut den Boden rot färbte. Der letzte war die edle Reisekutsche einer adeligen Dame, zu Kleinholz geschlagen. Das Fräulein entdeckte er nur einen Moment später, etwas entfernt auf der Straße liegend – die Bluse aufgerissen, die Röcke über die Hüfte hochgeschoben, das Gesicht in einem Ausdruck von Angst erstarrt und der Blick gebrochen in den Himmel gerichtet. Diese bedauernswerte, junge Frau hatte einen schrecklichen Tod gehabt. Doch auch ihre Krieger und Bediensteten waren ausnahmslos gefallen unter den Klingen der Feinde, vermutlich Banditen, wie sie hier zu hohen Zahlen ihr Unwesen trieben. Die Wegelagerer hatten keinen entkommen lassen, hatten sie abgeschlachtet wie Vieh, selbst die wehrlosen Diener, die Frauen und sogar die Kinder. Die Soldaten waren im Kampf gefallen, doch die Zivilisten hatten versucht zu fliehen, manche lagen im Gras, das die Straße links und rechts vom Wald trennte. Offensichtlich waren sie dabei gewesen, davonzurennen, nur um von Pfeilen und Speeren dahingerafft zu werden oder von Krieger eingeholt, die ihren Spaß daran gehabt hatten, sie zu jagen. Weißlogia verschloss einen Moment die Augen vor dem schrecklichen Bild und schüttelte den Kopf. Das war der Grund, warum er geschworen hatte, sich von ihnen fern zu halten. Menschen taten einander immer und immer wieder die schlimmsten Dinge an und sie lernten nicht aus vergangenen Taten. Verabscheuenswürdig. Doch hier gab es nichts mehr, was er tun konnte. Sollte sich die Natur um den Rest kümmern oder vielleicht Wanderer, die mehr Mitleid mit den Toten hatten. Er wandte sich ab und spannte die Muskeln, um sich wieder in höhere Ebenen zu befördern, als eine Bewegung seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Dort, nur wenige Meter von dem unbeschädigten Fuhrwerk entfernt, kauerte eine winzige Gestalt neben einer Leiche. Es war ein Kind, erkannte er nach einem Moment erstaunt, das neben einer toten Frau kauerte, eine ihrer Hände in seinen, den blonden Schopf ihr zugeneigt. „Wach endlich auf, Mama.“, sagte es und die helle, so junge Stimme bot einen verstörenden Kontrast zu dem Bild der Gewalt. „Wir müssen gehen, Mama.“ Weißlogia hielt inne – mit Menschen wollte er nichts zu tun haben, doch das war nur ein Kind. Und Kinder waren unschuldig. „Mama!“ Nach einem Augenblick der Stille stupste es die Leiche in die Seite und Resignation sprach aus der Geste. „Warum wachst du nicht auf?“ Die ganze Haltung wirkte unglücklich und niedergeschlagen; es wusste, dass etwas nicht stimmte, vielleicht sogar schon, was. Doch trotzdem versuchte es erneut, seine Mutter zu wecken, in dem es ihr gegen die Wange piekte. Der Kopf der Frau rollte schlaff zur Seite und das lange, blonde Haar fiel wie ein Vorhang über ihr Gesicht. Für einen beschämenden Moment dachte Weißlogia daran, einfach umzukehren und davonzufliegen. Er musste noch auf die Jagd. Er hatte einen Schwur zu halten. Er wollte nichts mit Menschen zu tun haben. Doch gleichzeitig wusste er, wenn er das tun würde, würde er dieses Kind zum Tode verurteilen. Die Wildländer waren gefährlich und einzig die Feuer hielten die Raubtiere noch fern. Nur am Rande des Schlachtfelds hatten die Krähen und Raben sich bereits über die ersten Leichen hergemacht. Und diesem Schicksal sollte er das Kind überlassen? So herzlos war er nicht. Immer kleinere Kreise ziehend senkte er sich nach unten. Der sanfte Schlag seiner Schwingen war so stark, dass die Flammen brüllend aufloderten, und die Aasfresser flogen kreischend und schimpfend auf. Dann landete er zwischen den Leichen auf der Straße, deren Steine unter seinem Gewicht sprangen oder sich verschoben. Das Kind blickte zu ihm auf, glänzendes Blut im Gesicht und einen verzweifelten Ausdruck, der sein Herz berührte. Eine tiefe Wunde spaltete seine Augenbraue, die noch immer nässte. „Sie wacht nicht auf.“, erklärte es ihm und hob die Hand seiner Mutter, die schon kalt sein musste. „Kannst du sie nicht aufwecken?“ In seiner Stimme lag keinerlei Spur an Erstaunen, als hätte er erwartet, dass ein Drache vom Himmel heruntersegelte. Auch fehlte jegliche Angst, die Menschen Freien Drachen wie ihm normalerweise entgegenbrachten. Es war ein Junge, dünn wie nur aktive Kinder es waren, aber gut genährt. Seine Kleidung war einmal anständig gewesen, nicht edel oder teuer, aber robust und zweckmäßig, doch jetzt war sie verschmutzt und hatte Risse. Einige der Flecken stammten eindeutig von Blut. Er schniefte. „Und mein Kopf tut weh.“ Das Gesicht des Jungen verzog sich, als wollte er anfangen zu weinen, doch stattdessen rieb er sich mit den Fäusten die Augen und zog geräuschvoll die Nase hoch. „Kannst du etwas tun für meine Mama?“ Vertrauensvoll blickte er zu der Kreatur auf, die ihn um ein Vielfaches überragte. Etwas irritiert senkte Weißlogia den Kopf, so dass er auf einer Höhe mit dem Knaben war. „Nein.“, erklärte er kurz angebunden. „Diese Macht besitzen nur die Götter.“ Die Frau war so tot wie alle anderen hier und das Blut, das ihr Kleid und den Boden um sie herum getränkt hatte, ließ keinen Zweifel daran, warum, auch wenn die Wunde nicht zu sehen war. „Oh…“ Jetzt fiel die tapfere Maske des Kindes doch in sich zusammen und die Tränen quollen ihm aus den Augen. Mit den Handballen rieb es sich über das Gesicht und heftige Schluchzer schüttelten den kleinen Körper. Weißlogia seufzte; das hier hatte er sich eigentlich nicht ausgemalt, als er losgeflogen war, um sich eine Mahlzeit zu suchen. Seine Magie sammelnd reckte er den langen Hals und blies dem Kind vorsichtig den heilenden Atem ins Gesicht, um ihm zumindest die körperlichen Schmerzen zu nehmen. Die Wunde auf seiner Stirn schloss sich innerhalb von Sekunden, doch es blieb eine deutliche Narbe zurück. Überrascht blickte es auf, den Mund offenstehend. „Mein Kopf tut nicht mehr weh!“, rief es erstaunt aus und das Erstaunen lenkte ihn so sehr ab, dass es vergaß zu weinen. Weißlogia stieß ein unbestimmtes Geräusch. „Nein.“, erklärte er und blähte die Nüstern, um den Geruch des Kindes aufzunehmen. Der Gestank von frischem Blut, der ihm dabei in die Nase stieß, brachte ihn zum Nießen, aber darunter lag der ganz eigene Geruch des Jungen. Dieser kicherte und rappelte sich auf, um auf ihn zuzukommen, zutraulich wie ein junger Welpe. Er streckte die Hände aus und tätschelte Weißlogias Nase und jetzt war der Drache es, der sich wie ein Hund fühlte. Schweigend ließ er die Herabsetzung einen Moment über sich ergehen, während kleine Hände über seine Schnauze streichelten. „So weiches Fell!“, begeisterte sich der Junge. Schließlich zog Weißlogia den Kopf zurück, jedoch vorsichtig genug, dass das Kind nicht unter seinem eigenen Schwung umkippte. „Deine Mutter ist tot“, erklärte er so ebenmäßig wie möglich „und sie kommt nicht mehr zurück.“ Der Junge runzelte verwirrt die Stirn. „Warum?“ Sein Mund verzog sich widerspenstig, als hätte Weißlogia dies bestimmt, anstatt dass es eine unumstößliche Wahrheit war. „Weil das die Gesetze des Universums brechen würde.“ Der bockige Gesichtsausdruck wurde abgelöst von weit aufgerissenen Augen. Vermutlich war ihm diese Erklärung etwas zu hoch, aber Weißlogia hatte keine Übung darin, die komplexen Regeln von Leben und Tod für einen Fünfjährigen aufzubrechen und auch keine Geduld dafür. Sollte das der Mensch machen, bei dem das Kind letzten Endes bleiben würde. „Du kannst nicht hierbleiben.“, erklärte er dem Jungen stattdessen. „Für heute werde ich dich mitnehmen.“ Der Junge legte den Kopf schief wie ein kleiner Vogel. „Warum?“ „Weil es hier Raubtiere gibt und sie dich fressen werden, wenn du alleine hierbleibst. Komm jetzt.“ Weißlogia streckte eine Klaue aus und versuchte dabei, so harmlos wie möglich zu erscheinen. Er wollte den Jungen nicht erschrecken. Wobei diese Maßnahme noch immer überflüssig zu sein schien, von Angst oder auch nur Furcht war noch immer nichts zu sehen. Das Kind erwog das Angebot ernsthaft, zwei Finger im Mund. Nach einigen Augenblicken nickte es ernsthaft. „Ich möchte nicht alleine bleiben.“ Doch statt zu dem Drachen zu gehen, drehte es sich um und rannte zu dem zerschmetterten Fuhrwerk um hineinzuklettern. Weißlogia blickte ihm verdutzt nach, zu überrascht um auf die Idee zu kommen, dass es vielleicht keine so gute Idee war, das Kind in den zerbrechlich wirkenden Wagen steigen zu lassen. Doch dann tauchte es auch schon wieder auf, einen kleinen Rucksack in der Hand und einen abgegriffenen Stoffhund unter dem Arm. „Was passiert mit Mama?“, wollte es wissen, als es wieder vor ihm ankam. Weißlogia folgte seinem Blick zu der Leiche hinüber. „Sie ist nicht mehr hier.“, erklärte er dem Jungen, der erwartungsvoll zu ihm aufblickte. Ihr Körper mochte es noch sein, aber das, was sie zu einer Person gemacht hatte, ihre Seele, war längst entschwunden. Doch statt sich in Erklärungen zu ergehen, die sowieso auf taube Ohren stoßen würden, nahm er den Jungen vorsichtig zwischen die Vorderklauen und entfaltete die Flügel. Mit einem kräftigen Stoß seiner Hinterbeine beförderte er sich in den Himmel, die Schwingen heftig schlagend, um an Höhe zu gewinnen. Zur Jagd würde er heute nicht mehr kommen; die Sonne entschwand gerade hinter dem Horizont, der Himmel rot und golden wie die langsam niederbrennenden Flammen. Also packte er mit der Hinterpfote eines der toten Pferde und schwang sich trotz der Last leicht in die Luft, die Hände vorsichtig um seinen kleinen Passagier geschlossen. ~~*~~☽⚪☾~~*~~ Als Weißlogia Shiwyn Ehana das erste Mal gesehen hatte, war sie eine märchenhafte, verspielte Metropole voller Leben gewesen, eine wahre Ansiedlung der Alten. Er war noch jung gewesen damals, voller Zuversicht und Hoffnung und Träume. Bei seinem ersten Besuch nach dem Ersten Magierkrieg jedoch war die Stadt nur ein von Dämonen befallenes Loch gewesen, ein Anblick, der seinen schwelenden Zorn wieder wachgerufen hatte. Er war hinabgeflogen zu der ersten der ausgedehnten Terrassen, eine von fünf, die sich an die Flanke des Ehana schmiegten, angeordnet wie Stufen für Götter, überragt von den steilen Klippen des Berges. Eine einzelne, mächtige Mauer erhob sich am Rande der untersten Terrasse und ein einzelnes Tor, so gigantisch, dass selbst ein Drache es als groß empfand, bildete den einzigen Eingang zur Stadt. Es hing geborsten und aufgebrochen in den Angeln und Pflanzen wucherten durch den Torbogen. Die Häuser waren aus dem hellen Stein des Berges erbaut und auf jeder Terrasse wurden sie schöner, prächtiger und verzierter. Das ganze Stadtbild wurde dominiert von verspielten Elementen, schlanke Säulen, offene Bogengänge, kleine Brücken, die über schmale Gassen und teilweise noch funktionstüchtige Kanäle führten, Kuppeldächer, Wasser- und bunte Windräder. Doch die Zerstörung, der die Stadt anheimgefallen war, hervorgerufen durch Kriege und den Zahn der Zeit, war nicht zu übersehen. Ganze Bezirke lagen in Schutt und Asche, andere verfielen langsam und die Vegetation wucherte ungehindert in den ehemals gepflegten Straßen und Parks. Auf der obersten Terrasse erhoben sich weniger, aber weitaus größere Gebäude, darunter ein mächtiger Palast, der direkt aus dem Berg hinauszuwachsen schien, und, wie Weißlogia wusste, hineinführte in den lebenden Fels. Das größte Gebäude war gekrönt von einem Kuppeldach und das ganze Schloss war von einer weiteren Mauer umgeben, aus der schlanke Türme ragten wie die Zacken einer Krone. Vor dem ebenfalls aufgebrochenen Portal erhoben sich zwei mächtige Statuen, ein Mann und eine Frau in langen, fließenden Gewändern, die große Feuerschalen hielten. Hinter dem Palst stürzte ein mächtiger Wasserfall herunter, dessen Rauschen seltsam gedämpft über die Stadt scholl, kaum mehr als ein Hintergrundgeräusch. Sein Wasser speiste die Kanäle, auf denen in der Blütezeit Shiwyn Ehanas Boote gefahren waren. Jetzt waren sie teilweise nicht mehr intakt und der Fluss setzte ganze Partien der Stadt unter Wasser. Weißlogia war über die Dämonen hereingebrochen wie ein Sturm aus Glanz und Tod, angetrieben von seiner Wut und seinem Schmerz, die ihn seit der folgenschweren Auseinandersetzung begleitet hatten. Er hatte sie alle getötet, die sich ihm in den Weg gestellt hatten, ausgebrannt durch heiliges Licht. Diese Stadt der Alten, die um ihn herum langsam verfiel, mitsamt ihren Schätzen, ihrer großartigen Handwerkskunst und den verlassenen Hallen und Heimen gehörte jetzt ihm. Er hatte sie erwählt, da er sich noch gut daran erinnerte, wie sie einst ausgesehen hatte, als sie noch voller Leben und Farben gewesen war. Hierhin brachte er das kleine Menschenkind, das sich so vertrauensvoll an seine Finger klammerte und vorwitzig zwischen ihnen hindurchspähte. Sanft landete er auf dem großen Vorplatz des Palastes, der als die Häuser des Wissens bekannt geworden war und niemals Herrscher beherbergt hatte. Auch hier wucherten die Pflanzen wild und unberührt, kleine Bäume, die die Mauern säumten, Unterholz, das dichte Dornenhecken bildete, und Wildwiesen, die von den bunten Flecken der Blumen gesprenkelt war. Zuerst brachte er den Jungen zu dem kleinen Wildbach, der sich vorwitzig seinen Weg durch den Burghof suchte, um das Blut und den Dreck abzuwaschen. Der Junge realisierte dies kaum, sondern sah sich mit staunenden Augen um, wie gebannt von der wilden Schönheit des Ortes und dem Zusammenspiel von Natur und Ruinen. Shiwyn Ehana war eine echte Geisterstadt, uralt, abgeschieden, den Elementen ausgesetzt und überwachsen. Dadurch, dass so viele Kämpfe hier gewütet hatten, nicht nur zwischen einem Drachen und Dämonen, sondern schon viel früher, als die Stadt im Ersten Magierkrieg erobert worden war, war vieles zerstört worden. Wege endeten in zusammengefallenen Häusern, zerborstenen Brücken liefen ins Nichts und die Dächer von großartigen Hallen waren herabgestürzt. Neben den Pflanzen waren auch die Tiere zurückgekehrt und bevölkerten die Stadt auf ihre Weise. Ansonsten wagte sich niemand her – nicht mit dem Drachen, der Shiwyn Ehana als sein Heim auserkoren hatte. So hatte er wenigstens seine Ruhe. Weißlogia ging auf drei Beinen voran, darauf bedacht, das Kind in einer Klaue zu halten, das sich mit großen Augen neugierig umsah. Es drückte den Stoffhund fest gegen die Brust und staunte über die Größe der Dinge, die es hier zu sehen bekam. Dennoch konnte Weißlogia deutlich sehen, dass es keine Ahnung um die wahre Großartigkeit und Schönheit hatte, die es hier zu sehen bekam. Das alles überstieg noch seinen Verstand, der zu jung war, um wirklich zu begreifen. Sie kamen nur langsam voran, denn den Jungen zu tragen und gleichzeitig den Pferdekadaver mitzuschleifen stellte sich als schwierig heraus. Doch es war nicht unmöglich und bald erreichten sie die Halle, die Weißlogia als seinen Hort erwählt hatte. Der Grund war einfach gewesen – die Dämonen vor ihm hatten hier alles zusammengetragen, das sie als Schatz eingestuft hatten. Sie waren von den Alten in der Stadt zurückgelassen worden, als sie geflohen waren, und ihre Feinde hatten damals keine Verwendung dafür gehabt. Gold, Silber und Edelsteine, vereinzelte Artefakte… All das häufte sich zu Hügeln und Bergen von Kostbarkeiten und Kleinodien auf, ein wahrer Drachenhort, auch wenn nur wenige Menschen den Grund kannten, warum sich die mächtigen Kreaturen mit solcherlei Dingen umgaben. Der Junge wirkte nicht sehr beeindruckt davon. Stattdessen reckte er den Hals, um noch einen weiteren Blick in die Vorhalle zu werfen, durch die man noch nach draußen sehen konnte. Achtlos ließ Weißlogia den Pferdekadaver am Eingang der Halle zurück und ging tiefer hinein zu dem Lager aus Münzen und Juwelen, das er sich aufgeschichtet hatte, um darauf zu schlafen. Es lag in einer windgeschützten Ecke, eingegrenzt von Treppen, die zu der Galerie hinaufführten, und dem Säulengang unter eben jener. Hoch über ihnen unter der gewölbten Decke schwebte ein großes Lichtlacrima, das Weißlogia einige Mühen bereitet hatte, ehe er es gefunden hatte. Es strahlte einen sanften, hellen Schein aus, der alles zum Funkeln und Glitzern brachte. Vorsichtig setzt er das Kind vor seiner Lagerstatt ab und rollte sich darauf zusammen, während er seinen ungewöhnlichen – ersten und einzigen – Gast nicht aus den Augen ließ. Doch der Junge kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern sah sich schweigend um. Dann ging er zu den äußersten Ausläufern des Schatzes und hob eine Münze hoch. Sie war aus reinem Silber und so groß wie seine Hand. Nachdem er die detaillierte Prägung darauf genau studiert hatte, warf er sie unachtsam wieder weg und hob einen goldenen Kelch hoch, der so schwer war, dass er ihn kaum halten konnte. Aber auch daran verlor er bald das Interesse. Nach einer Weile kam er offensichtlich zu einem Urteil, denn er wandte sich zu dem Drachen um und erklärte ernsthaft: „Alles glitzert und ist hart.“ Weißlogia verspürte leisen Unmut, auch wenn er nicht genau wusste, worauf er diesen zurückführen konnte, und nickte. „In der Tat. Für heute Nacht kannst du hierbleiben. Morgen werde ich versuchen, einen Platz zu finden, wo du unterkommen kannst.“ Der Junge verzog das Gesicht. „Kann ich nicht hier bei dir bleiben?“ Die Überraschung über die Aussage erstickte jeglichen Widerspruch im Keim. Die Frage hatte er absolut nicht erwartet! Sowieso schien das Kind noch immer sehr wenig beeindruckt darüber zu sein, dass es mit einem Drachen sprach. Stattdessen gähnte es nur sehr weit und sehr ausgiebig und rieb sich müde die Augen. „Warum…?“, begann Weißlogia, doch dann unterbrach er sich. Das spielte keine Rolle, mit der Antwort konnte er sich am nächsten Tag auseinandersetzen. Es sah sowieso nicht aus, dass sein kleiner Gast viel davon aufnehmen konnte. Aber dass dieser nicht hierbleiben konnte, das war offensichtlich und stand außer Frage. So weit kam es noch! Stattdessen reckte der Drache den Kopf. „Mein Name ist Weißlogia. Und wie hat deine Mutter dich genannt?“ „Sting.“, erklärte er und dann deutet er auf den Stoffhund, den er noch immer im Arm hielt. „Das ist Jaro.“ Dann gähnte er erneut. „Es freut mich, … euch kennen zu lernen.“, spielte Weißlogia mit, auch wenn er sich lächerlich vorkam, mit einem Stofftier zu sprechen. Er wechselte das Thema. „Hast du eine Decke in deiner Tasche?“ Sting runzelte nachdenklich die Stirn und schlurfte dann zu seinem Rucksack hinüber, um hineinzuspähen. Nach einem Moment zog er einen bunten Quilt daraus hervor. „Schau.“ „Wo möchtest du schlafen?“ Nicht nur, dass der Kleine bereit war, im Stehen zu schlafen, auf diese Weise musste Weißlogia sich nicht viel um ihn kümmern. Für einen Moment sah der Junge sich ratlos um, dann ließ er die Decke auf den Boden fallen und setzte sich darauf. „Erzählst du mir eine Geschichte?“ Vertrauensselig blickte er über den Kopf seines Stoffhundes zu dem Drachen auf und lächelte hoffnungsvoll. „Eine Geschichte?“ Etwas verschnupft starrte der Drache auf ihn hinunter. Konnte er nicht einfach schlafen? Eine Geschichte. Auch das noch! „Meine Mama erzählt mir jeden Abend eine Geschichte, damit ich besser einschlafen kann.“ „Wenn ich das tue, suchst du dir dann einen Platz und schläfst?“ Sting nickte heftig, ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Dann beeilte er sich, den Quilt auf den Boden auszubreiten, während Weißlogia fieberhaft versuchte, sich an eine Erzählung zu erinnern, die er interessant finden könnte. Er wählte schließlich ein altes Märchen und räusperte sich, während Sting sich in seine Decke einrollte. Unruhig herumrutschend blickte der Junge erwartungsvoll zu ihm auf, also begann er zu erzählen. Es war eine sehr alte Sage und darin kamen eine wilde, rothaarige Prinzessin mit einem Schwert und diverse phantastische Kreaturen vor, die längst ausgestorben waren. Währenddessen zappelte Sting herum, rollte sich hierhin und dahin, setzte sich auf, zerrte an seinem Quilt und legte Jaro unter seinen Kopf, nur um ihn einen Moment später wieder in die Arme zu nehmen. Schließlich hielt Weißlogia inne und fragte: „Stimmt etwas nicht?“ „Es ist so hart.“, jammerte Sting unglücklich und blickte betrübt auf den polierten, geglätteten Fels hinab, aus dem der Boden bestand. „Wie kannst du nur so schlafen?!“ Er klang ausgesprochen entrüstet. Weißlogia stutzte, dann musste er zustimmen. Für ein Kind war das nicht der geeignete Platz zum Schlafen. Für so einen kleinen Menschen zu sorgen war weitaus komplizierter, als er gedacht hatte. „Willst du dir einen anderen Platz suchen? Du kannst dich hier überall hinlegen.“ Mit der Pfote machte er eine Bewegung, die die gesamte Halle einschloss. Das kleine Gesicht leuchtete auf. „Überall?“ „Solange es hier im Saal ist.“, schränkte der Drache sofort ein, aber das schien Sting nicht zu stören. Er sprang auf, raffte seine Decke hoch und rannte die wenigen Schritte auf ihn zu, um neben ihm stehen zu bleiben. Dann zerrte er erst seine Stiefel von den Füßen und zog dann auch noch die Hose aus, die er zu seinem Rucksack warf. Dann begann er, an Weißlogia hochzuklettern. „Und was soll das werden?“, fragte der Drache irritiert und rief sich in Erinnerung, dass er es hier mit einem Kind zu tun hatte. Ein Kind, das absolut keine Scheu vor ihm hatte. Dennoch konnte er den Unwillen nicht unterdrücken, der in ihm aufwallte. Er unterdrückte das Gefühl – es war immerhin nur eine Nacht! Morgen würde er einen Platz finden, wo er bleiben konnte. Er wandte den Kopf und sah pikiert zu, wie Sting seinen Rücken erreichte und es sich dort bequem machte. Mit beiden Händen fuhr der Junge durch den dichten, weißen Pelz. „Dein Fell ist so weich.“, erklärte er, als wäre es das offensichtlichste auf der Welt, und strahlte. Weißlogia wollte ihn schon darauf hinweisen, dass es trotzdem nicht sehr höflich war, es sich auf dem Rücken von anderen Leuten bequem zu machen, als er sich bereits zwischen den mächtigen Schwingen zusammenrollte und den Quilt über sich drapierte. Dann nahm er Jaro in die Arme und blickte den Drachen auffordernd an. „Und was hat Prinzessin Titania dann gemacht?“ Weißlogia öffnete den Mund um zu protestieren, aber dann schloss er ihn wieder. Der Junge hatte recht. Hier in der Halle gab es keinen anderen Platz, der weich genug für ihn war. Aber es war ja nur für eine Nacht, tröstete er sich erneut selbst und schüttelte nachsichtig den Kopf. Dann setzte seine Geschichte fort. Allerdings dauere es nicht sehr lange und Sting war eingeschlafen. Mit einem schweren Seufzen blickte er auf seinen Gast hinab, der dort mit einem kleinen Lächeln lag, struppige blonde Haare in der Stirn und ein Stoffhund im Arm. Damit musste er heute wohl leben. Vorsichtig um sich selbst herumgreifend packte er mit den Spitzen zweier Krallen die Decke und zog sie bis zum Hals hoch, damit der Junge nicht fror. Dann wandte er sich ab und sah sich in der leeren Halle um, ehe er das Lacrima verdunkelte, dass es nur noch ein sehr mattes Licht von sich gab. Nun denn… Weißlogia warf einen sehnsüchtigen Blick zu dem Pferdekadaver hinüber und seufzte schwer, während er den Kopf auf die Vorderpfoten legte. Darauf musste er heute wohl verzichten, wenn er seine wertvolle Fracht nicht stören wollte. Zum Glück war es kühl genug hier drin. ~~*~~☽⚪☾~~*~~ Ein Schlag auf die Stirn ließ Weißlogia heftig aus dem Schlaf auffahren und er riss den Kopf abrupt hoch. Ein spitzer Schrei ertönte, dann landete etwas neben ihm in den Münzen, die klirrend zu allen Seiten sprangen. Eine kleine Lawine aus Gold und Silber rutschte zu Boden, gemeinsam mit etwas Größerem. Oder besser mit jemandem, wie ein kurzer Blick auf den Störfaktor zeigte, denn Sting lag kopfüber zwischen Gold und Silber und fiel mit einem leisen Ächzen um. Etwas entfernt lang Jaro der Stoffhund und grinste ihn an. Weißlogia blinzelte und brauchte einen Moment um sich daran zu erinnern, warum ein kleiner Junge von seinem Rücken gefallen war. „Guten Morgen.“, murrte er, daran gewöhnt, von allein aufzuwachen und nicht, weil freche Kinder auf seinen Kopf fielen. Sting rappelte sich auf und riss strahlend die Arme hoch. „Guten Morgen!“, brüllte er gutgelaunt. „Ich habe Hunger!“ Der Drache starrte ihn nur einen Moment lang an, dann pflückte er die Decke von seinem Rücken und ließ sie auf den Jungen fallen, was einen empörten Schrei zur Folge hatte. Die einzige Nahrung, die er im Moment hier hatte, war das tote Pferd, und das schien ihm nicht ganz das richtige für ein Kind zu sein. Zumal Weißlogia mit Feuer nicht viel anfangen konnte – rohes Fleisch bekam Menschen nicht. Aber was konnte er seinem Gast sonst vorsetzen? „Zieh dich erstmal wieder richtig an.“, schlug er vor, um etwas Zeit zu schinden, während Sting sich aus seinem Quilt befreite. Es gab andere Sachen, die ein Mensch ungekocht essen konnte; Pilze, Beeren, Obst… Einige von den Dingen mussten in der Wildnis der Ruinenstadt zu finden sein. Einst hatte Shiwyn Ehana große Nutzgärten besessen, davon musste doch noch etwas übrig sein. Er warf einen Blick zu Sting, der jetzt mit seinen Hosenbeinen kämpfte und zwischendurch innehielt, um seinen Bauch zu reiben, in dem es leise grummelte. Kein Wunder, dass der Junge Hunger hatte, wer wusste, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte. Vielleicht am letzten Tag zu Mittag? Abends war das Thema jedenfalls nicht aufgekommen, aber jetzt gab es kein Drumherum mehr. Nachdem Sting seinen Gürtel umständlich festgezogen hatte, kämpfte er eine Weile mit seinen Stiefeln, bis er schlichtweg die Geduld verlor und sie davonschleuderte. „Die sind doof.“, erklärte er und starrte den Drachen herausfordernd an, als erwartete er auf Widerstand zu stoßen. Doch Weißlogia zuckte nur mit den Schultern. „Für jetzt kannst du sie hierlassen. Komm.“ Er erhob sich und stieg in einer fließenden Bewegung über das Kind hinweg. „Wir werden sehen, was wir für dich finden.“ „Gibt es Haferbrei? Mit Honig?“, wollte Sting mit leuchtenden Augen wissen. „Oder … Oder Brot! Mit echter Butter!“ Für einen Moment überlegte Weißlogia müßig, wo diese Ideen herkamen, aber vielleicht setzte der Junge den Reichtum, den er hier sah, mit der Möglichkeit gleich, sich solche Dinge zum Frühstück zu genehmigen, denn er klang ziemlich begeistert von den Ideen. „Damit kann ich dir leider nicht dienen.“, antwortete er bedauernd und das Kind zog enttäuscht ein langes Gesicht. „Komm.“, wiederholte der Drache und machte eine Kopfbewegung in die Richtung des Ausgangs. „Wir haben heute noch einiges vor.“ Dass diese Vorhaben darin bestanden, den Jungen in dem der Wildmenschendörfer abzusetzen, erläuterte er nicht. Nach kurzem Zögern stellte Sting seinen Hund neben den Rucksack und erklärte ihm: „Pass gut auf meine Sachen auf, Jaro. Wir sind bald wieder da und ich bring dir was zu Essen mit.“ Dann rannte er hinter seinem Gastgeber her, der sich langsam auf den Weg zur Pforte machte. Doch schon nach drei Schritten bemerkte der Drache, dass es trotzdem unmöglich war, dass Sting mit ihm mithalten würde, egal, wie sehr er sich anstrengte. Dafür waren seine Beine einfach zu kurz. Also pflückte er das Kind vom Boden auf und setzte es auf seinen Rücken. Auf ein paar Augenblicke mehr, die er Reitpferd spielte, kam es jetzt auch nicht mehr an, dachte er resigniert. Im Vorbeigehen nahm er den Pferdekadaver mit, so dass er selbst auch endlich etwas zu essen bekam. Vor den Palastmauern, die seitlich von der hellen Morgensonne angeleuchtet wurden, ließ er den schlafen Körper wieder fallen und streckte sich erstmal ausgiebig, während er sich umsah. „Dann wollen wir doch mal sehen, was wir für dich finden.“, erklärte er dann dem Jungen, der ein langes Gesicht zog und motzte, dass er jetzt Hunger hatte. Weißlogia konnte nichts tun, als die Schultern zu heben – es war einfach nichts da, was er essen konnte. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg in die Stadt, diesmal zu Fuß, wobei der Drache vage die Richtung einschlug, in der er einen alten Garten vermutete. Währenddessen plapperte Sting die ganze Zeit vor sich hin. Dabei schien ihn es nicht sonderlich zu stören, das niemand ihm zuhörte. Es stellte sich gleichzeitig als schwieriger und leichter heraus, als Weißlogia gedacht hatte, genug zu Essen zu finden. Sein Wissen über Pflanzen war umfangreich und ihm war auch bekannt, welche davon für Menschen bekömmlich waren und welche roh verspeist werden konnten. Doch sie in dem Gewirr der Ruinen zu finden, stellte sich als zeitraubend heraus. Nachdem sie aber erst einmal die richtigen Stellen gefunden hatten, gab es Essbares im Überfluss. Sting versuchte, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren, zumal sie Essen versprach, stöberte aber schon bald aus schlichter Neugierde im Unterholz herum und ging mehrmals beinahe verloren. Jedes Mal musste der bald entnervte Drache den Knirps wieder einfangen. Doch bald verlor er auch daran das Interesse und weigerte sich kurz darauf, den Drachen weiter zu Fuß zu folgen. Der beförderte ihn danach wieder auf seinen Rücken zurück, wo er glücklich die Happen verspeiste, die der Drache ihm reichte – rotwangige Äpfel, Beeren in verschiedenen Farben, Pilze, die in dunklen Ecken den Boden bedeckten, die fleischigen Früchte des Fevobaumes, vorgeknackte Crenanüsse, nahrhaft und faustgroß, und was Weißlogia sonst für ihn fand. Nachdem der ärgste Hunger gestillt war, sammelte er die Ausbeute in seinem Schoß, während er wie ein kleiner König zwischen den mächtigen weißen Schwingen saß. Dass er wieder und wieder mit den Händen durch das Fell fuhr, offensichtlich begeistert von der Textur desselben, half Weißlogias Würde ebenfalls nicht. Doch der Drache sagte nichts – sein Gast war nur ein kleines Kind. Er wusste es nicht besser. Das war es, an das er sich immer wieder erinnerte, und etwas, das sein Gemüt auch tatsächlich beruhigte. Als sie endlich zum Tor zurückkehrten, stand die Sonne schon hoch am Himmel und selbst Weißlogia spürte das Kneifen des Hungers in seinem Magen. Als Drache war regelmäßige Nahrung für ihn nicht so wichtig wie für Menschen, zumal das nur eine Art der Ernährung für ihn war, und die andere abgedeckt war. Vorsichtig setzte er Sting und ihre Ausbeute auf einen kleinen Sockel, der Rest, was von einer zerborstenen Säule von übrig war. „Iss.“, wies er das Kind an, das zögerlich einige Schalenstücke aus dem süßen Fleisch der Crena herauspickte. „Nach dem Essen werden wir sehen, ob wir nicht einen Platz in einem der Dörfer für dich finden.“ Das brachte ihm Stings volle Aufmerksamkeit ein. Der Junge starrte ihn aus großen Augen an und legte den Kopf schief, was ihm das Aussehen eines traurigen Vogels verlieh. „Willst du mich nicht haben?“ Für einen Moment starrte der Drache schweigend auf ihn hinunter. Früher, als er jung und dumm gewesen war, hatte er mit vielen Menschen Kontakt gehabt und Zwiesprache gehalten. Doch nach allem, was geschehen war, wollte er nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Er hatte geschworen, sich von ihnen fern zu halten. Die zweite Wahrheit war, dass Weißlogia seine Zurückgezogenheit selbst gewählt hatte. Dekaden waren vergangen und er hatte sich daran gewöhnt, dass nur er selbst sich Gesellschaft leistete, nur vorwitzige Tiere ihn besuchten und niemand ihn störte. Gewiss, manchmal war es sehr still um ihn herum, eine Tatsache, die Stings Anwesenheit nur noch hervorhob. Doch alles in allem genoss er die Einsamkeit und die Ruhe, die sie mit sich brachte. Aber wie konnte er einem kleinen Jungen wie Sting dies verständlich machen? Ein Kind, das keine Ahnung hatte von der gewalttätigen Geschichte seines Volkes und dem Genozid, der diese in Gang gesetzt hatte? „Dies ist kein Ort für ein Kind.“, erklärte er schließlich bedächtig und auch das stimmte. Sting konnte innerhalb eines Augenblicks verloren gehen und wer wusste schon, welche Gefahren hier für ihn warteten? „Du hast gesehen, wie lange wir gebraucht haben, bis du genug zu essen hattest.“ „Aber jetzt wissen wir, wo alles ist!“, triumphierte Sting und hielt seine Crenanuss hoch. „Da ist noch mehr!“ „Und im Winter?“, wehrte der Drache ab. „Dann tragen die Bäume keine Früchte mehr und auch in meinem Hort wird es kalt.“ „Aber du bist ganz warm!“ „Ich kann nicht immer bei dir sein.“, tadelte Weißlogia. „Außerdem ist es besser, wenn du unter deinesgleichen bist. Wir sind, wer wir sind.“ „Oh…“ Niedergeschlagen senkte Sting den Blick auf die Nuss in seinen Händen und zog die Nase hoch. Weißlogia fühlte sich schuldig. Er hatte nicht vorgehabt, das Kind traurig zu machen. Er hatte gedacht, es wäre froh, wieder unter seine eigenen Leute zu kommen. In ihm erwachte der unsinnige Wunsch, es zu trösten, obwohl es dadurch nur noch anhänglicher werden würde. Etwas, dass er sicher nicht wollte. Darum wandte er sich ab und ging endlich zu dem toten Pferd hinüber, um seinen rumorenden Magen zu beruhigen. Dabei bemühte er sich krampfhaft, nicht zu seinem kleinen Gast hinüberzublicken. Das schlechte Gewissen nagte an ihm und er konnte die Mahlzeit nicht so recht genießen, auch wenn er sich immer wieder sagte, dass es besser so war. Er war nicht in die Lage, sich um einen kleinen Jungen zu kümmern und er hatte auch gar kein Interesse daran. Außerdem blieb die einfache Wahrheit, dass er ein Drache war und Sting ein Mensch. Und mit Menschen wollte er nichts mehr zu tun haben. Aber dennoch… Hinter ihm blieb es verdächtig still, doch da er auch keine Schritte hören konnte, fühlte er sich sicher genug um zu sagen, dass Sting noch nicht weggelaufen war, sondern noch immer auf dem Sockel saß. Als Weißlogia sich schließlich wieder umdrehte, erkannte er auch, warum es so ruhig geblieben war: das Kind hatte sich an Ort und Stelle zusammengerollt, den Kopf auf die Arme gelegt und war eingeschlafen. Für einen Moment blickte er es schweigend an. Sting sah sehr ruhig aus, wie er da lag, doch nicht sehr zufrieden. Statt des kleinen Lächelns, das er gestern getragen hatte, trug er ein Stirnrunzeln und seine Mundwinkel waren leicht nach unten gezogen. Seine Haare und Kleider wirkten in dem unerbittlichen Licht der Mittagssonne verschmutzt, und er hatte ein wieder paar Dreckflecken im Gesicht. Nein, dieses Kind gehörte nicht hierher. So war es besser für ihn. Für sie beide. Vorsichtig nahm er den Jungen mit den verbleibenden Vorräten auf und trug ihn behutsam zurück in den Hort, wo er ihn auf seinem Quilt ablegte. Das Essen schichtete er neben dem Rucksack auf, neben dem noch immer Jaro der Stoffhund lag. Vorsichtig, um das innig geliebte Spielzeug nicht zu zerstören, hob er es hoch und drückte es Sting in den Arm, der sich sofort daran schmiegte. Mit einem letzten Blick auf seinen Gast wandte er sich ab und verließ den alten Palast wieder. Es wurde Zeit, sich nach jemandem umzusehen, bei dem Sting gut aufgehoben war. ~~*~~☽⚪☾~~*~~ Der Wind heulte laut um die Ruinen, als Weißlogia zurückkehrte. Selbst er hatte zu kämpfen gegen die mächtigen Böen, die abgerissenes Laub durch die Luft wirbelten. Es zog ein Sturm auf. Der Himmel war bereits verdunkelt von tiefhängenden Wolken und am Horizont ballten sich noch weitere zusammen, schwarz und schwer. Sein langer Flug über den Wald hatte viele Menschendörfer offenbart, mehr, als er gedacht hatte, doch keines schien ihm das richtige zu sein. Sie waren kleine Inseln inmitten der Wildnis, umgeben von Palisaden und Spießen wie die Stacheln eines Igels, wehrhaft und abweisend. Die Menschen hier waren so rau und hart und unnachgiebig wie das Land, dem sie jede kleine Notwendigkeit abringen mussten, ohne Herrscher, ohne Gesetz als das, das sie sich selbst schufen. Sie waren abweisend und unerbittlich und ihre eigene Familie, ihre eigene Sippe zählte über alles andere. Und zu ihnen sollte er Sting bringen? Wer würde ihm garantieren, dass man sich richtig um den kleinen Jungen kümmerte? Wer würde dafür sorgen, dass es ihm an nichts mangelte, dass er aufgenommen wurde? Aber war die Wahrscheinlichkeit, ein geeignetes Heim zu finden, höher, wenn er außerhalb der Wildländer danach suchte…? Vorerst jedoch hatte sich die Frage erübrigt. Der Orkan, so plötzlich aufgezogen, wie es nur ein Herbststurm tat, würde für ein paar Tage verhindern, dass sie sich aus dem geschützten Hort wagen konnten. Also würde er noch für diese Zeit Wirt für seinen winzigen Gast spielen und die leise Erleichterung, die er darüber verspürte, verwirrte ihn. Eigentlich wollte er das Kind so schnell wie möglich wieder loswerden. Die Luft hatte sich verändert, kurz nachdem er losgeflogen war, eine frühe, subtile Warnung von dem, was sie erwartete. Den Menschen war es nicht aufgefallen, aber er selbst hatte den Sturm gerochen, ehe er gekommen war. Also hatte er den Wind und den Horizont im Auge behalten und seine Pläne etwas geändert. Weißlogia war nicht stolz darauf, aber er hatte ein Kind durchzufüttern und nicht viel Nahrung dafür, also hatte er einige Vorräte und ein paar andere Dinge aus den Dörfern mitgenommen, die er jetzt in ein grobes Handtuch gewickelt bei sich trug. Er hatte einige Münzen aus seinem Hort zurückgelassen in der vagen Hoffnung, dass die Leute etwas damit anfangen konnten. Schwer kam er vor dem hohen Tor auf und keinen Moment zu früh. Eine Sturmböe donnerte mit solcher Stärke gegen ihn, dass sie beinahe seine Flügel wieder auseinanderriss. Er schüttelte sich und duckte sich durch den Eingang, doch hier war er nur minimal geschützter. Der Wind heulte durch die offenstehende Pforte, ein weiterer Grund, warum sich sein Lager in einer der inneren Hallen befand. Seine Beute sorgsam in der Pfote tragend steuerte er auf den Hort zu. Unter der Decke strahlte das Lacrima in einem sanften Licht und das Schreien des Windes klang nur gedämpft bis hier herüber. Doch kein aufgeregtes Kind stürzte sich ihm entgegen und der Quilt lag verlassen neben dem Rucksack, dessen Inhalt über den gesamten Boden darum herum verstreut lag. Sting jedoch war verschwunden. Weißlogia erstarrte abrupt und sein Herz machte einen Satz. Das Bündel fiel aus seinen plötzlich kraftlosen Händen. Mit einem einzigen Sprung brachte er den Rest des Weges hinter sich, doch auch das enthüllte keinen blonden Schopf und kein breites Grinsen. Wo war der Junge?! Und warum machte er sich solche Sorgen! „Sting?“, rief er fragend in die Halle, doch nur der heulende Wind antwortete ihm. „Sting!“ Seine von plötzlicher Panik durchzogene Stimme echote von den Wänden wieder und seine Gedanken überschlugen sich. Wo war der Junge? War er weggelaufen? Und wenn ja, wohin…? Wenn er bei diesem Wetter draußen war, würde er sterben. Aber nicht nur das… Weißlogia hatte alle Dämonen, die hier gehaust hatten, erschlagen oder vertrieben hatte, aber dennoch war die verlassene Stadt unglaublich gefährlich und für so ein kleines Kind, das sich nicht wehren konnte, das nicht einmal schnell rennen konnte und das seine Nase neugierig in allerlei Spalten steckte, war sie tödlich. Nicht nur, dass sie langsam zerfiel, der Erste Magierkrieg sowie Weißlogias eigener Eroberungskampf hatten auch tiefe Spuren der Zerstörung hinterlassen. Teilweise waren die tragenden Strukturen beschädigt oder sogar vollständig zertrümmert worden und die Gefahr, dass Bauten bei einer falschen Berührung zusammenstürzten, war hoch. Außerdem war Weißlogia trotz allem nicht der einzige Bewohner der alten Stadt. Wilde Tiere wagten immer wieder einen Vorstoß hier herein und einige davon würden ein so junges Kind wie Sting als Beute sehen. Es gab Bären hier, die sich für den Winterschlaf rüsteten, oder große Raubkatzen, für die Sting nur einen Happen für Zwischendurch darstellen würde. Was, wenn eines dieser Tiere über den Jungen hergefallen war? Was, wenn eines hier eingedrungen war, wenn eines sich herangepirscht hatte, gelockt durch die einfache, zarte Beute…? Nein, das war lächerlich, ermahnte er sich streng. Selbst das mutigste Tier würde sich nicht in die Höhle eines Drachen wagen, außerdem war hier zwar eine ziemliche Unordnung, aber kein Blut. Sting war von allein gegangen und er hatte sogar seinen Hund mitgenommen. Und warum geriet er so in Panik wegen eines einzelnen Menschen…? Jetzt war es an Weißlogia, ihn zu finden, ehe er sich in den Tiefen der Stadt in tödliche Gefahr begab. Der Drache blähte die Nüstern und sog tief die Luft ein, um die Spur des Jungen aufzunehmen. Sie führte schnurstracks zur Tür hinaus und dann scharf nach rechts in den hohen Flur, der sogar groß genug für ihn war. Zu seinem Glück blieb Sting in den geräumigen Gängen, die sogar dem großen Körper eines Drachen Platz genug boten. Rasch nahm Weißlogia die Verfolgung auf. Dabei hatte er kaum einen Blick übrig für die großartigen Zeugnisse der Kunst der Architekten, Steinmetze und Künstler, die Shiwyn Ehana seinerzeit errichtet hatten, sondern strebte rasch durch die weiten Flure. Wenn er sich dabei mehr beeilte als zu jeder anderen Gelegenheit, geradezu hastig, dann brauchte das niemand zu erfahren. Nur vor sich selbst konnte er es nicht rechtfertigen. Bald darauf konnte er Stings Stimme hören, die ihm in leisem Gemurmel entgegenkam, darunter das Plätschern von Wasser. Einige Augenblicke später kristallisierten sich erste Worte und dann Sätze aus dem undeutlichen Getuschel heraus und Weißlogia erkannte, dass er mit seinem Stofftier sprach. Es schien ihm gut zu gehen und der Drache atmete auf; wenigstens diese Sorge war ihm genommen. Einen Moment später erreichte er die Tür, die in eine hohe Halle führte. Die Hälfte der Decke war bereits eingebrochen und Geröll lag über dem Boden verteilt. Ein kleiner Bach aus klarem Wasser floss über die inzwischen glattgeschliffenen Steine herab und sammelte sich in einem Becken, das von einer herabgestürzten Säule geschaffen worden war. Sie war von oben herabgestürzt, hatte ein Loch in die hellen Fliesen gerissen und war von der Wucht des Aufpralls zur Seite geschleudert worden. Von dort suchte das Wasser sich einen Weg durch einen der langen Risse im Boden bis zu einem Loch, in dem es wieder verschwand. Sting hockte am Rande des Teichs und platschte mit der Hand darin herum. Jaro der Hund hockte neben ihm auf einem Stein und starrte mit Knopfaugen geradeaus. „…Fische fangen?“, sagte Sting gerade und blickte zu seinem Stofftier. „Hier sind keine drin.“ Der Anblick der kleinen Gestalt, wohlbehalten und guter Dinge, ließ einen Stein von Weißlogias Herzen fallen, den er vorher mit mäßigem Erfolg versucht hatte zu ignorieren. Er hatte sich Sorgen gemacht! Was hätte alles passieren können!? Und jetzt fand er den kleinen Racker hier, fröhlich und guter Dinge. Wenn er könnte, würde er ihn einfach packen und wieder mitnehmen, egal wie der Bengel protestierte. Nur – der Eingang war zu klein für ihn und der Teich zu weit weg, als dass er den Jungen einfach greifen konnte. „Sting.“, sagte er streng und seine tiefe Stimme rollte durch den zerstörten Saal. Der Junge sprang erschrocken in die Höhe, dann wirbelte er herum. „Du bist zurück!“ Freudestrahlend warf er die Arme hoch und stürmte auf den Drachen zu, um ihm um den Hals zu fallen, zumindest soweit ihm das möglich war. Seine kurzen Arme reichten nicht einmal, um seine Brust zu umspannen. „Wo warst du! Wir haben dich vermisst!“ Erschrocken blinzelnd fuhr Weißlogia zurück und hätte den Jungen dabei fast umgeworfen. Eine solche Begrüßung hatte er nicht erwartet! Und warum wurde sein Herz leichter dadurch? War es jetzt er, der dem Kind zugetan war? Das war nicht so geplant! „Wo warst du so lange und warum bist du einfach weggegangen?“ Mit vorwurfsvollen Augen starrte Sting zu ihm hoch. Doch daran, wie er die Augenbrauen zusammenzog und die Lippen aufeinanderpresste, konnte man sehen, dass er Mühe hatte, nicht in Tränen auszubrechen. Der Drache räusperte sich verlegen. Er hätte daran denken sollen, dass sein Schützling Angst bekam, wenn er alleine aufwachte. „Ich habe einen Platz gesucht, an dem du bleiben kannst.“, erklärte er verspätet und beugte sich wieder zu dem Kind hinunter, das ein enttäuschtes Gesicht machte. „Ich will aber nicht weg.“, beklagte Sting sich kleinlaut und starrte auf seine noch immer nackten Füße. „Warum kann ich nicht bei dir bleiben?“ „Weil du ein kleiner Mensch bist. Außerdem ist es hier gefährlich. Du darfst nicht alleine durch die Stadt gehen. Hier gibt es wilde Tiere und manchmal fallen Steine herunter.“ Er deutete auf die Reste der Säule, die unweit von ihnen lagen. „Die machen dich platt.“ Damit knallte er die flache Hand auf den Boden und zermalmte dabei einige Kiesel, um deutlich zu machen, wie genau das aussehen würde. Doch Sting kicherte nur. „Wie eine Flunder?“ „Wie die platteste Flunder unter allen Flundern.“ Das schien Sting noch witziger zu finden, was der Drache mit seiner Demonstration nun wirklich nicht hatte erreichen wollen. Er drehte den Kopf, so dass er Sting besser ins Auge fassen konnte. „Darum darfst du nicht allein in die Stadt gehen!“, erklärte er nachdrücklich. Wenn der Junge sich nach allen Mühen unter seiner Aufsicht verletzte oder Schlimmeres… Das würde er sich nicht verzeihen. Auch Sting wurde wieder ernst und er verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Wir wollten dich nur suchen! Du warst einfach weg! Das war Jaros Idee.“ Verblüfft blickte Weißlogia auf ihn hinab. Auf was für Ideen so kleine Kinder kamen… „Das ist mir egal.“, erklärte er, nachdem er sich wieder gefangen hatte. „Du bist dafür verantwortlich, dass solche Ideen nicht einfach so ausgeführt werden.“ „In Ordnung…“, nuschelte Sting schuldbewusst und starrte auf seine nackten Füße. Doch noch etwas Anderes schien ihn zu bedrücken, also wartete Weißlogia schweigend ab, bis er den Mut fand. Flüsternd schob er schließlich nach. „Ich wollte nicht allein sein.“ Erneut eine Aussage, die den Drachen überraschte, der einen Moment zögerte. Dann berührte er das Kind sanft an der Schulter. „Ich passe auf dich auf und im Hort bist du sicher. Dort geht niemand hin ohne meine Erlaubnis hin.“ Er räusperte sich. „Und jetzt hol Jaro, damit wir dorthin zurückkehren können.“ Sofort rannte Sting zum Teich zurück, um sich den Hund zu schnappen, und ließ sich dann bereitwillig auf Weißlogias Rücken verfrachten. Er stützte die Hände in das weiche Fell um sich vorzubeugen, als der Drache sich wieder in Bewegung setzte. „Ich habe Hunger. Hast du was zum Essen mitgebracht?“ ~~*~~☽⚪☾~~*~~ Ein leises Wimmern störte Weißlogias Schlaf, aber doch deutlich genug. Es war nicht der Wind, der noch um den Palast heulte. Nach einem kleinen Moment der Verwirrung richtete sich sein Blick sofort auf seinen Gast. Dieser lag, mit seinem Quilt zugedeckt, auf einem Nest aus Blättern, Kleidern und dem Tuch, in dem der Drache die Vorräte herbeigebracht hatte. Das kleine Bündel unter der bunten Decke zitterte und Weißlogia konnte den salzigen Geruch von Tränen riechen. Er hob überrascht den Kopf und schüttelte dann mit einer heftigen Bewegung den Schlaf ab. Warum weinte Sting? Tat ihm etwas weh? Über ihm wurde das Lacrima nach kurzer Anregung durch seine Magie heller, so dass er besser sehen konnte. Vorsicht den Hals reckend, um das Kind nicht zu erschrecken, fasste er es genauer ins Auge. Doch auf den ersten Blick war nichts zu erkennen. Gerade wollte er fragen, was das Problem war, als er bemerkte, dass Sting noch schlief. Unter seinen geschlossenen Lidern quollen Tränen hervor und er hatte sich zu einem bebenden Ball zusammengerollt, den Stoffhund fest an sich gedrückt. Seine Augen bewegten sich heftig; er musste einen fürchterlichen Albtraum haben. Weißlogia fragte sich, wie oft Sting es noch schaffte, dass er sich einer Situation nicht gewachsen fühlte. Aber er konnte den Kleinen wohl kaum schlafen lassen, nicht in diesem Zustand. „Hey.“, flüsterte er leise, doch Sting bewegte sich nur leicht, also streckte er eine Klaue aus und stieß den Jungen vorsichtig an. „Sting, wach auf.“ Diesmal zuckte dieser zusammen und murmelte etwas, doch die Tränen ließen nicht nach. Es brach Weißlogia das Herz, ihn so zu sehen, also versuchte er es erneut, stärker diesmal. „Mein Kleiner, du hast einen Albtraum.“ Diesmal musste seine Stimme zu Sting hindurchgedrungen sein, denn der Knirps fuhr erschrocken auf, sich die Augen reibend. „Mama?“, wollte er wissen und seine Stimme war so hoffnungsvoll und voller Erwartung, dass Weißlogia einen Moment brauchte, um eine Antwort zu geben. „Deine Mutter ist nicht hier.“ Sting schaute ihn einen Moment stumm an, ehe er einen kurzen Blick auf die Umgebung warf. Dann brach er in Tränen aus. Erschrocken starrte der Drache ihn an. Was sollte er jetzt tun?! Die lauten Schluchzer erfüllten die Halle und unter jedem davon wurde Stings Körper erschüttert. Er presste Jaro an sich, als könnte er Halt an dem Stofftier finden, und presste sein Gesicht gegen den Hund. Trotzdem war ihm die Verzweiflung deutlich anzusehen und er wirkte sehr klein und sehr verlassen. „Sting, bitte nicht weinen.“, versuchte Weißlogia ihn zu trösten. „Du bist hier in Sicherheit.“ Natürlich wusste er, dass Stings Zustand und Kummer nichts damit zu tun hatten, aber all seine Macht verlieh ihm nicht die Fähigkeit die Mutter des Jungen ins Leben zurückzuholen. Was sollte er sonst sagen? Er versuchte, Sting mit Worten zu beruhigen, doch es wurde bald offensichtlich, dass das nichts bringen würde. Eine Pfote ausstreckend nahm er das Kind hoch, um ihm Kontakt zu geben, jemand, der da war, der ihm Trost spenden und helfen wollte. Er holte ihn näher zu sich und als Sting sich gegen seine Brust warf und das Gesicht in das weiße Fell presste, drückte er ihn vorsichtig an sich. Es gab nichts weiter, das er tun konnte, nichts, das er nicht sowieso schon tat. Er konnte nur abwarten und hoffen, dass es genug war, dass sein kleiner Freund sich irgendwann beruhigte. Doch in all seinem langen Leben, das wahrlich nicht friedlich gewesen war, hatte er sich noch sich so hilflos gefühlt und sich so sehr gewünscht, etwas tun zu können. Es tat ihm in der Seele weh, seinen jungen Schützling so zu sehen – traurig, verlassen und nicht verstehend. Es dauerte lange, ehe Sting sich endlich ausgeweint hatte. Schließlich wurden die Erschütterungen des Körpers, der sich so vertrauensvoll an ihn schmiegte, geringer, die Schluchzer leiser und nur hin und wieder erklang noch ein Schniefen. Dennoch ließ er nicht los, zog Trost und Ruhe aus der Nähe. Vorsichtig hob Weißlogia den Jungen hoch, so dass sie einander besser ansehen konnten. Stings Gesicht war vom Weinen rot und verquollen, verschmiert von Rotz und Tränen, so dass Weißlogia das alte Hemd benutzte, um ihn vorsichtig zu säubern. „Warum ist meine Mama weggegangen?“, jammerte Sting und neue Tränen schimmerten in seinen Augen. „Warum hat sie mich nicht mitgenommen?“ „Ich bin sicher, dass sie nicht weggehen wollte.“, antwortete der Drache leise. Er wusste, dass er jetzt gefährliches Gebiet betrat. Wie konnte er einem so jungen Kind den Tod erklären? Und nicht nur das, wie konnte er erklären, dass es Leute gab, die ihn absichtlich brachten? Aber lügen stand außer Frage – das hatte niemand verdient, nicht er, nicht Sting, nicht die tote Mutter. „Aber warum hat sie es dann getan?“ Das völlige Unverständnis in Stings Stimme war es, das Weißlogia zeigte, dass er nicht mit leeren Ausflüchten davonkommen würde – und auch nicht wollte. Vorsichtig setzte er Sting auf seinem Nest aus Stoff und Blättern ab und senkte den Kopf, um ihm direkt ins Gesicht sehen zu können. „Deine Mutter ist nicht mehr in dieser Welt. Sie hat die Grenze ins Totenreich überschritten und sie kann nie wieder zurückkommen. Es tut mir sehr leid, mein Kind, aber du wirst sie nicht wiedersehen und sie ist fort.“ „Aber warum?“ Sting hatte keine Ahnung, wie komplex die Antwort auf diese Frage tatsächlich war – eine Frage nach Moral, nach Menschlichkeit und Gnade, nach Brutalität, Grausamkeit und Willkür. Nach Gier und den Kämpfen der Menschen untereinander, nach Ungerechtigkeit und menschlicher Schwäche. Und danach, wie zerbrechlich ein Leben wirklich war. Aber das wollte Sting auch gar nicht wissen. Er wollte nur wissen, warum seine Mutter nicht mehr bei ihm war. „Weil die Welt sehr grausam sein kann.“, antwortete Weißlogia und seine Stimme klang schwer von der Wahrheit dahinter. In seinem langen Leben hatte er dies zu oft miterleben müssen und nicht zuletzt war dies ein Grund, warum er jetzt hier war, allein, unwillig, Menschen erneut in seine Nähe zu lassen, und fern seines eigenen Volkes, das so verstreut und zerstritten war. Sting senkte den Blick und drückte seinen Stoffhund enger an sich. Er schien die Worte gut zu überdenken und in seinem Kopf hin und her zu rollen. Weißlogia ließ ihm die Zeit, die er brauchte, und wartete geduldig ab, bis er zu einem Ergebnis gekommen war. „Es tut weh.“, erklärte er schließlich. „Es ist ganz leer.“ Der Drache legte den Kopf schief und musterte Sting aufmerksam. „Was denn?“ Leer? Sting zog unglücklich die Mundwinkel nach unten und deutete auf seine Brust. „Hier drin. Sie ist nicht da, aber ich will, dass sie wiederkommt.“ „Du vermisst sie.“, erklärte Weißlogia ihm, ohne wieder darauf einzugehen, dass die Frau schlichtweg weg war. Es gab keine Chance auf ein Wiedersehen und allein dieser Gedanke war grausam. Er hinterließ ein dumpfes Gefühl selbst bei dem Drachen. Sting schniefte erneut und wischte sich über die Augen, als neue Tränen kamen. „Was ist denn mit deinem Vater?“, wollte der Drache nach einem Moment wissen. Vielleicht lenkte das den Jungen einen Moment ab? Außerdem wollte er die Antwort auf diese Frage wissen – bei dem ganzen Gespräch war es immer nur um seine Mutter gegangen. Gab es noch einen Vater? Konnte er das Kind zu diesem zurückbringen, selbst wenn das einen Flug über fremdes Revier bedeuten sollte? Sting blickte zu ihm auf und seine Augen glänzten von nicht vergossenen Trägen, die jedoch nicht fielen. „Er war ein großer Held!“, erklärte er mit der Überzeugungskraft einer Person, die absolut an ihre Worte glaubte. „Mama sagt, er hat den Herrn gerettet und ist gefallen in der Schlacht von… von…“ Verwirrt runzelte er die Stirn, als ihm der Name nicht mehr einfiel, aber Weißlogia brauchte nicht mehr zu wissen. Es interessierte ihn auch nicht, welcher Krieg es genau gewesen war, der das Leben von Stings Vater gefordert hatte. Am Ende sahen sie alle gleich aus und es gab keinen Unterschied. Sie verwischten alle zusammen und selbst ihre Gründe änderten sich nicht. Die Geschichte, die hinter den Worten steckte, gesprochen von einem unschuldigen Kind, das sie offensichtlich noch weniger verstand als den Tod seiner Mutter, war uralt. Sie wiederholte sich ständig in immer neuen Varianten, doch letztendlich liefen sie immer darauf hinaus, dass Kinder ohne ihre Väter aufwuchsen, Frauen ihre Männer verloren und Blut die Erde tränkte, als hätte sie nicht schon längst genug davon gekostet. „Und darum darf Mama dem Fräulein dienen und wir wohnen im Schloss!“, verkündete Sting, als wäre das etwas Großartiges. Weißlogia nickte bedächtig. Er konnte sich jetzt zusammenreimen, wie Stings Leben bisher ausgesehen hatte – als der Sohn einer Dienstmagd und eines Soldaten war er schon immer Teil des Gefolges eines Adligen gewesen. Nachdem sein Vater in der Schlacht sein Leben gegeben hatte, um seinen Herrn zu schützen, hatte dieser dessen Frau einen Platz in der persönlichen Dienerschaft seiner Tochter verschafft. Diese Tochter musste das junge Fräulein sein, das der Drache auf der Straße gefunden hatte, geschändet und ermordet, erschlagen mit dem Rest ihres Gefolges. „Denkst du, du kannst jetzt wieder schlafen?“, wollte er ernsthaft von Sting wissen, der aus großen, kobaltblauen Augen zu ihm aufblickte. „Kann ich wieder bei dir schlafen?“ „Du schläfst do…“ Der Drache brach den Satz abrupt ab, als er den Sinn dahinter erkannte. Sting mochte seine Lagerstatt nur wenige Schritt entfernt von ihm haben, aber es ging nicht darum. Es ging um die körperliche Nähe, um den Trost, den er daraus ziehen konnte, und um das Wissen, dass er nicht alleine war. Diesmal fiel dem Drachen die Antwort leicht. „Natürlich.“ Das kleine, glückliche Lächeln, das über das Kindergesicht huschte, zeigte ihm, dass er die richtige Wahl getroffen hatte. Vorsichtig half er dem Jungen, auf seinen Rücken zu klettern, und reichte ihm den Quilt nach oben. Sting rollte sich wie in der letzten Nacht zwischen den mächtigen Schwingen ein, stopfte die Decke um seinen Körper fest und kuschelte den Hund unter sein Kinn. „Schlaf gut.“, flüsterte der Drache und legte seinerseits den Kopf auf seine Pfoten, um die Augen zu schließen. Über ihm verblasste das Lichtlacrima wieder, bis nur noch Dämmerlicht in der Halle herrschte. Es wurde still um sie herum, nur aus der Ferne drang das Heulen des Sturms zu ihnen herüber. „Weißlogia…“, erklang dann eine schläfrige Stimme von seinem Rücken und er hob wieder den Kopf, um den Jungen anzusehen. „Ja?“ Stings Augen glänzten selbst in dem Zwielicht und er kämpfte darum, sie offen zu halten. „Warum kann ich nicht bei dir bleiben?“ Er schnüffelte leise und schloss dann die Augen. Weißlogia schwieg, während er zusah, wie das Kind einschlief. Was konnte er darauf antworten? ~~*~~☽⚪☾~~*~~ Der Sturm brauchte mehrere Tage, um wieder abzuklingen, Tage, die Weißlogia mit seinem Schützling in dem plötzlich nicht mehr stillen Palast verbrachte. Drei Tage lang, die Sting ihm Löcher in den Bauch fragte. Was ist dies, was ist jenes, erzählst du mir eine Geschichte, ich habe Hunger, warum machst du das, was haben die getan? Jede Antwort schien nur noch mehr Fragen aufzuwerfen und Weißlogias Achtung vor menschlichen Frauen stieg. Er war ein sehr geduldiger Drache, die langen Jahre seines Lebens hatten ihn Geduld gelehrt. Zudem erinnerte er sich noch gut daran, wie es war, wenig zu wissen und doch alles wissen zu wollen. Auch heute wusste er noch nicht genug, aber er hatte gelernt, dass er dies niemals tun würde. Doch Sting stellte ihn manchmal gehörig auf die Probe. Aber gleichzeitig war er erfreut und erstaunt über die Wissbegierde und Neugierde des Jungen und auch seine erstaunliche Intelligenz. Sting stellte niemals eine Frage doppelt und wenn er etwas nicht verstand, hakte er nach, oder er grub er weiter nach, wenn es in interessierte. Natürlich geschah dies alles durch die einzigartige Perspektive eines Kindes, die den Drachen manchmal ins Schleudern brachten. Sting hinterfragte simple Wahrheiten, die er einfach als gegeben hingenommen hatte und für die einen Moment brauchte, um sie zu erklären. Dabei kam er zu außergewöhnlichen Ergebnissen, die allerdings nicht falsch waren, nur … einmalig. Die einzige Frage, die wieder und wieder auftauchte, war „Wo ist meine Mama?“ in vielen verschiedenen Varianten. Und jedes Mal musste Weißlogia erneut erklären, dass seine Mutter nicht mehr zurückkommen würde. Zu Beginn weinte er jedes Mal, doch nach und nach ließen die Tränen nach und schließlich klang seine Stimme nur noch leise und hoffnungslos, als er die Frage stellte. Und irgendwann sagte er: „Mama kommt nicht zurück.“ Er hockte auf dem Boden, umgeben von Türmen aus Goldmünzen, mit denen er gespielt hatte. Jaro hockte neben ihm in einem silbernen Kelch, wie um alles zu überwachen. Die Worte, zu schwer für seine jungen Jahre, kamen aus dem Nichts. Weißlogia brummte und hob den Kopf von den Pfoten, wo er vor sich hingedöst hatte. Draußen heulte noch immer der Sturm, doch er wurde langsam schwächer und bald konnten sie wieder hinaus. Dann musste er sich wieder auf die Suche nach einem Zuhause für den Jungen machen. Warum war sein Herz so schwer bei dem Gedanken an die Trennung? Sting schaute über die Schulter zu ihm zurück. „Mama kommt nicht zurück.“, wiederholte er und seine Augen waren riesig und dunkel. Der Drache blickte ihn einen Moment nur schweigend an, ehe er den Kopf schüttelte. „Nein.“ Sting wandte sich wieder ab und schniefte leise, aber er sagte nichts weiter, auch nicht, als keine umfassendere Erklärung folgte. Nach einem Moment nickte er, dann stand er auf, nahm seinen Hund und kam zu Weißlogia hinüber, um sich vor ihn zu setzen und an ihn zu kuscheln. „Warum kann ich dann nicht bei dir bleiben?“ „Weil es hier zu gefährlich für dich ist.“, erklärte der Drache und hob automatisch eine Hand, um ihn vorsichtig an sich zu drücken. Es berührte ihn, dass Sting instinktiv Trost bei ihm suchte, und wühlte seine Gefühle auf, zog etwas Altes, lang Vergessenes aus den Tiefen seiner Seele empor. Etwas, das ihn mit Wärme erfüllte und den drängenden Wunsch, diesen kleinen Menschen, der ihm so viel Vertrauen entgegenbrachte, zu schützen und glücklich zu machen. Etwas, dass er trotz aller Vertrautheit nicht erkannte – so etwas hatte er noch nie zuvor gefühlt, nicht einmal in seinem langen Leben. „Aber ich will bei dir bleiben.“, nuschelte Sting in sein Fell. „Ich verspreche auch, nicht mehr wegzulaufen.“ Diese Aussage brachte den Drachen dazu, leise zu lachen. Egal, wie oft er den Jungen ermahnt hatte, dass der Palast und die Stadt gefährlich waren, er wanderte immer wieder davon. Er tat es nicht mit Absicht oder gar aus Trotz, aber immer wieder wurde er abgelenkt von etwas, das er als interessant einstufte, und überwältigt von seiner Neugierde, die ihn packte. Mehr als einmal war er schon diverse Gänge hinuntergelaufen, ehe sein Hüter gemerkt hatte, dass er verschwunden war. Schlimmer als ein Sack Flöhe und mit diesem Getier hatte Weißlogia so seine Erfahrungen gemacht. Zum Glück waren sie ebenso anfällig gegenüber Magie wie alle anderen auch. Ein oder zweimal hatte er mit dem Gedanken gespielt, das Kind anzubinden, aber bis jetzt war noch nichts Schlimmeres passiert, als das Sting sich die Knie und Hände aufgeschürft hatte, als er einen kleinen Absatz hinuntergefallen war. Das hatte ihn vorsichtiger gemacht, aber bei weitem nicht dafür gesorgt, dass er nicht mehr alleine auf Erkundungsreise ging. „Das würdest du doch sowieso nicht hinkriegen.“, erklärte Weißlogia ihm und hob ihn hoch. „Und kleine Kinder sollen neugierig sein, sonst lernen sie nichts.“ Sting grinste ihn an, als seien damit alle Probleme gelöst. Weißlogia wusste, dass er trotzdem gehen musste. Unter seinen eigenen Leuten war er einfach besser aufgehoben als bei einem einsamen, verbitterten Drachen, der keine Menschen in seiner Nähe wollte. „Mach nochmal die Leuchttiere!“, verlangte der Kleine stattdessen und Weißlogia seufzte. Seit er vor zwei Tagen auf die Idee gekommen war, dem Jungen diese Magie zu zeigen, fragte er immer wieder danach. Aber wenigstens hielt es ihn beschäftigt und für den Drachen selbst stellte es eine angenehme Abwechslung dar. Er setzte Sting vor sich auf den Boden und streckte eine Pfote mit umgedrehter Handfläche aus. Über ihm verdunkelte sich das Lacrima, so dass es nur einen schwachen Schein abgab. Sting rutschte aufgeregt herum und starrte gespannt in die Dunkelheit. Einen Moment später barsten Lichtgestalten aus der ausgestreckte Pfote hervor. Es waren Tiere, lebensgroß und golden leuchtend, deren sanfter Schein das Dämmerlicht um sie herum erhellte, umso stärker hervorstechend vor dem Dunkel. Es waren Rehe und Hasen, Füchse und Eichhörnchen, Wölfe und Säbelzahntiger, Hirsche und edle Pferde. Raben und Adler schwangen sich in die Lüfte, dazu Kraniche und der elegante Kondor. Zwischen ihnen allen sausten Finken und Spatzen dahin, kleine Gestalten, zu schnell, um sie zu sehen, bis sie irgendwo landeten, nur um wenige Augenblicke später wieder loszuflitzen. Es war ein staunenswertes Schauspiel, insbesondere für so einen kleinen Knirps, der noch nicht viele wahre Wunder des Lebens gesehen hatte. Weislogia hatte lange gebraucht, um diese feinsinnige Magie derartig zu perfektionieren, um mehr als nur ein Tier zu erschaffen und um sie beinahe lebensecht wirken zu lassen. Lange hielt es Sting nicht auf seinem Platz. Mit einem erfreuten Jauchzen sprang er auf und tanzte zwischen den Tieren herum, versuchte mal dieses zu fangen, mal jenes, während sie ihre Reigen zogen. Da sie alle nur Lichtgestalten waren, glitten sie durch seine Finger wie flüchtige Illusionen. Doch er ließ sich davon nicht entmutigen, für ihn war es die Jagd selbst, die Bedeutung hatte, und er stellte sich erstaunlich geschickt dabei an. Immer wieder fand er eine neue Beute, die er fangen wollte, ein anderes Tier, das ihn interessierte. Ein Vogel, der vor ihm durch die Luft flitzte, ein majestätisches Pferd, ein Wolf, der verspielt vor ihm herumsprang wie ein junger Hund… Als Weißlogia das Schauspiel schließlich einschränkte und die Tiere nach und nach verschwinden ließ, atmete Sting schwer, aber er strahlte über das ganze Gesicht. Er kam zu dem Drachen zurück und ließ sich vor ihm in die goldenen Münzen fallen. „Kann ich das auch lernen?“, wollte er begeistert wissen. „Ich will auch Tiere machen!“ „Das ist die Magie der Drachen.“, antwortete Weißlogia langsam, aber Sting ließ sich nicht davon beirren. Er setzte sich wieder auf und streckte die Arme aus. „Aber die Drachenlords können das! Mama sagt, sie sind wie die Kinder der Drachen von den Königen!“ Weißlogia drehte den Kopf und blickte ihn mit einem Auge fest an. Manchmal überraschte er mit Wissen über die Politik und Herrschaftsgefüge der menschlichen Reiche, die den Drachen erstaunten. Und manchmal waren sie mit seinen eigenen wilden Vorstellungen gemischt, wie auch jetzt. „Siehst du hier einen König?“, fragte er streng, um jegliche dumme Idee gleich im Keim zu ersticken. Sting runzelte die Stirn und blickte sich um, als ob er erwartete, dass sich plötzlich ein Monarch aus dem Schatz wühlen würde. Dann verzog er verwirrt das Gesicht; er sah aus, als wäre eine grundlegende Wahrheit der Welt plötzlich erschüttert worden, denn jeder Drache hatte einen König. Nur Weißlogia nicht. „Nein.“ Dann blinzelte er und blickte zu diesem auf. „Wie sieht denn ein König aus?“ Weißlogia verschluckte sich an seinem Lachen. „Das kann sehr unterschiedlich sein. Sie sind Menschen und viele von ihnen tragen Kronen.“ „Wie der Herr?“ „Hm-mh.“, machte der Drache unbestimmt. Viele Fürsten trugen herrschaftliche Stirnreifen, um ihren Stand zu verdeutlichen. Aber würde ein kleines Kind wie Sting tatsächlich den Unterschied verstehen? Vermutlich nicht und er würde das jetzt sicher nicht erklären! „Aber woran erkenne ich dann einen König?“, wollte Sting verwirrt wissen. „Du wirst es wissen, wenn du einem begegnest.“ „Oh…“ Sting blickte wieder nachdenklich auf den Boden. „Wann werde ich einem begegnen?“ „Wenn du Glück hast, dann nie.“, grollte Weißlogia, der zu viele schlechte Erfahrungen mit Königen gemacht hatte. „Oh…“ Sting kratzte sich am Kopf. „Aber dann weiß ich ja gar nicht, wie sie aussehen.“ „Das ist auch nicht wichtig.“, versicherte der Drache ihm wegwerfend und Sting nickte, die Aussage einfach so akzeptierend. Erneut verfiel er in nachdenkliches Schweigen. „Weißlogia…“, begann er dann wieder. Seine Stimme war erst ruhig und bedächtig, aber seine Idee begeisterte ihn und er wurde rasch schneller und begeisterter. „Wenn du mir zeigst, wie ich Leuchttiere machen kann, dann bin ich dein Kind! Und dann kann ich hier bei dir bleiben!“ Der Drache ließ geschlagen den Kopf auf sein Bett fallen, dass die Münzen zur Seite sprangen. Wieso hatte die Mutter des Jungen ihm in den Kopf gesetzt, dass die Drachenlords und -ladys die Kinder ihrer Drachen waren? Noch nie hatte er diese Bezeichnung für diese wichtigen Krieger gehört, die die Magie der Drachen lernten und ihren Königen als Erste Ritter oder Erste Damen dienten, als Kämpfer, Ratgeber, Magier und wenn es sein musste auch Richter. Sie waren Fürsten und Krieger und Gelehrte. Aber sie waren keine Kinder. Weißlogia blickte auf den Jungen hinunter, der mit strahlenden, hoffnungsvollen Augen zu ihm hinüberblickte und dessen Lächeln langsam aus seinem Gesicht verschwand. Seine Hände sanken wieder an seine Seiten zurück und seine ganze Haltung sackte in sich zusammen. „Nein…?“, fragte er enttäuscht und die Niedergeschlagenheit in seiner Stimme war schwer mitanzuhören. „Wir werden sehen.“, antwortete Weißlogia darum unbestimmt und wünschte sich auf einmal, er könnte es einfach tun. Aber dann erinnerte er sich an seinen Schwur und den Grund, warum er ihn geleistet hatte, und unterdrückte den Gedanken wieder. Bald würde der Sturm nachlassen. ~~*~~☽⚪☾~~*~~ Durch die schmale Gruppe von Bäumen, die das kleine Feld von dem Dorf trennte, hatten der Drache und der Junge einen guten Blick auf die hölzernen Palisaden und das offenstehende Tor. Links und rechts davon erhoben sich sorgfältig errichtete Wachtürme und unter einem der Dächer, die über die Baumwipfel herausragten, hing sogar eine bronzene Glocke. Festgestampfte Wege führten um die Palisaden herum und zu den Bäumen, die auf hundert Meter vom Dorf entfernt gehalten wurden, um eine freie Fläche darum herum zu schaffen, über die man ungehindert blicken konnte. Auf den Wiesen, die dadurch entstanden waren, weideten eine Gruppe Ziegen, Schweine und sogar ein paar Ponys. Menschen tummelten sich dazwischen, gut genährt und fröhlich, ein lebendiges Treiben, das zeigte, wie gut es dieser Ansiedlung ging. Wachposten standen auf den Türmen und vor dem Tor, das die einzige Lücke in der Palisade darstellte. Kinder spielten mit einem Ball und ein paar Hunden, die dazwischen herumwuselten. Andere Erwachsene gingen ihren täglichen Pflichten nach. Es herrschte geschäftiges Treiben. Weißlogia hatte keine Illusionen darüber, dass das Leben dort tatsächlich so einfach war, wie es im ersten Moment erschien. Er wusste, dass jeden Augenblick eine tödliche Gefahr aus dem Wald brechen konnte und dass diese Menschen von einer Sekunde auf die andere zu gefährlichen Kämpfern werden konnten. Aber sie würden genug entbehren können, um ein weiteres Kind durchzufüttern. Das war es, auf das es ihm ankam, danach hatte er gesucht. Bei ihnen konnte Sting einen Platz finden und leben. Dort war er gut aufgehoben. Weißlogia würde hierbleiben und darüber wachen, dass sie Sting auch annahmen, wenn er aus dem Wald stolperte, und dann würde er zurück nach Shiwyn Ehana fliegen, das er jetzt wieder für sich allein haben würde. Sein Hort würde wieder still und friedlich sein, niemand, der ihm Löcher in den Bauch fragte oder Leuchttiere verlangte oder davonlief und sich in Gefahr brachte und seinem Hüter beinahe einen Herzinfarkt bescherte. Niemand, der sich vertrauensvoll an ihn kuschelte und Trost bei ihm suchte, Geschichten hören wollte und… Er brach den Gedanken abrupt ab und blickte auf den kleinen Störenfried herunter, der seinen Lebensrhythmus gestört hatte. Sting stand ein paar Schritte vor ihm, die Schultern hochgezogen und den Kopf leicht nach vorne geneigt. Seine Haare waren das einzige, das sich an ihm bewegte, wenn der kühle Herbstwind leicht hindurchfuhr. Er trug den Rucksack auf dem Rücken, der jetzt viel zu groß für ihn wirkte. Einzig Jaro hielt er im Arm, fest an sich gedrückt, als ob er etwas bräuchte, an dem er sich festhalten konnte. Ansonsten stand er still wie eine Statue und starrte zu dem Dorf hinüber. Weißlogia seufzte und gab ihm einen leichten Stoß, der ihn jedoch nicht vom Fleck bewegen konnte. Er wankte nur ein bisschen. „Nun geh schon. Sie werden dir ein Heim bieten können. Dort bist du sicher.“ Sting zog geräuschvoll die Nase hoch und presste das Gesicht gegen den Stoffhund. Seine Hände zitterten leicht und es war offensichtlich, dass er nicht gehen wollte. Aber er hatte keine Wahl. „Du wirst dort gut aufgehoben sein.“, versuchte der Drache es erneut. „Dort sind andere Kinder, mit denen du spielen kannst. Männer und Frauen, von denen du lernen kannst. Das sind deine Leute. Dort gehörst du hin.“ Ein Schniefen war die Antwort und Sting blinzelte zu ihm hoch, die Augen hell glänzend von Tränen. „Aber warum kann ich nicht bei dir bleiben?!“, platzte es aus ihm heraus. „Ich will nicht dahin! Ich will bei dir bleiben!“ Er warf sich gegen Weißlogias Brust und klammerte sich in das weiße Fell. „Bitte! Ich will nicht weggehen!“ Automatisch legte der Drache ihm tröstend eine Klaue auf den Rücken. Wie konnte es sein, dass der Junge sich schon so sehr an ihn gewöhnt hatte? Wie konnte es sein, dass er nach den paar Tagen, die sie gemeinsam verbracht hatten, schon so anhänglich geworden war? Wie war es überhaupt gekommen, dass Sting sich von Anfang an so wohl bei ihm gefühlt hatte? Weißlogia dachte an die erste Begegnung zurück, an die selbstverständliche Art, mit der Sting ihn behandelt hatte, als hätte er erwartet, dass er auftauchte. Als wäre es ganz normal, dass ein Drache vom Himmel heruntersank und sich um ihn kümmerte. Andere Leute wären in Panik ausgebrochen, aber der Junge hatte lediglich gefragt, warum seine Mutter nicht mehr erwachte. Aber es war nicht nur Sting, dem dieser Abschied schwerfiel. Dieses Gefühl der Vertrautheit, der Zusammengehörigkeit… Der Wunsch, zusammenzubleiben und sich nicht zu trennen. Beruhte das nicht auf Gegenseitigkeit…? Weißlogia verbot sich den Gedanken und zog Sting vorsichtig von sich weg, um ihn wieder auf die Wiese zu stellen, knapp hinter der magischen Barriere, die das Licht um sie herumlenkte und so für jemanden außerhalb unsichtbar machte. Er wollte keine Panik unter den Dorfleuten auslösen, das würde Sting nicht helfen. „Du musst jetzt gehen.“, erklärte er leise und seine Stimme klang rau und belegt. „Aber…“, begann Sting und biss sich auf die Lippen, als der Drache ihn streng anblickte. Trotzdem sprach er nach einem Moment trotzig weiter: „Ich kenne die nicht!“ Er machte eine heftige Handbewegung in Richtung des Dorfes hinüber. „Ich will die nicht kennen!“ „Das wird sich bald legen.“, antwortete Weißlogia ihm vernünftig. „Außerdem kennst du mich auch nicht.“ „Natürlich kenne ich dich!“, protestierte der Junge beleidigt und machte Anstalten, sich wieder nach vorne zu werfen. Der Drache fing ihn auf, also umarmte er nur seine Pfote, aber das schien ihn nicht zu stören. „Du bist mein Weißlogia!“ Starrköpfig klammerte er sich fest, als würde das die Meinung des Drachen ändern. „Und ich will nicht weg, nein, nein, nein!“ Er schluchzte auf, verzweifelt und verbittert, und Weißlogia konnte das Salz seiner Tränen riechen. „Bittebitte. Schick mich nicht weg.“ Der Drache seufzte. „Siehst du nicht, dass das besser ist für dich?“, wollte er wissen und löste die Umklammerung des Jungen sanft. „Unter deinesgleichen bist du besser aufgehoben als bei einem alten, verbitterten Drachen.“ Er stellte den Jungen wieder vor die Barriere und drehte ihn um, um ihn wieder in die Richtung des Dorfes zu deuten. Sting ließ die Schultern und Arme hängen und bot ein Bild der Freudlosigkeit. Vorsichtig hob Weißlogia den Stoffhund auf, der bei all dem ins Gras gefallen war, und drückte ihn dem Jungen in die Arme, der eine Weile brauchte, um die fürsorgliche Geste anzunehmen. „Pass gut darauf auf. Und jetzt geh.“ Weißlogia setzte sich hoch auf, um streng auf sein Menschenkind hinunterzusehen. Er musste sich zusammenreißen, um seine Schwäche nicht zu zeigen und dem Jungen noch mehr Anlass zu Protesten zu geben. Es war besser so, beharrte er starrköpfig. Was wollte er mit einem Kind? Das rührte sich erst nicht, aber es machte auch keine Anstalten, weiter zu protestieren. Stattdessen stand es einfach nur da, bedrückt und traurig, und Weißlogia verspürte das irrationale Bedürfnis, ihn zu nehmen und davonzufliegen und zu behalten. Aber was hatte ausgerechnet er dem Jungen zu bieten? Sting warf ihm einen letzten, flehenden Blick über die Schulter zu, offensichtlich nur einen Moment davon entfernt, in Tränen auszubrechen. Seine Unterlippe zitterte, aber er zog nur die Nase hoch, einen trotzigen Ausdruck im Gesicht. Offensichtlich wollte er nicht in Tränen ausbrechen. Als der Drache sich nicht rührte, wandte er sich ab und stolperte langsam voran. Er bewegte sich, als würde er nicht erkennen, wohin er trat, und das Zittern seiner Schultern zeigte, dass er den Kampf gegen die Tränen erneut verloren hatte. Das Widerstreben war in jedem Schritt zu erkennen. Der Drache starrte ihm hinterher, die winzige Gestalt, die hoffnungslose Haltung und der Geruch der Tränen… Sting war noch so jung und er hatte schon so viel durchgemacht in seinem jungen Leben und jetzt bürdete Weißlogia ihm noch mehr auf. Den Kleinen gehen zu sehen war das Schwerste, was er jemals getan hatte, und sein Entschluss wankte. Was hielt ihn auf? Warum änderte er nicht seinen Entschluss…? Es waren nicht Menschen, die er in sein Leben ließ, es war nur Sting… Er war sein eigener Herr und alte Schwüre waren ohne Bedeutung. Er würde auf diesen Jungen achtgeben und ihn aufziehen wie einen Sohn. Er würde ihn Magie lehren und lesen, die Geschichte ihrer beider Völker und jener, die vorher gekommen waren, und alles andere, was er wusste. Sie würden gemeinsam essen und Sting konnte in dem weichen Fell auf seinem Rücken schlafen, zwischen den Schwingen, wann immer er wollte. Zusammen konnten sie den Palast und die Stadt erkunden, selbst die Orte, die Weißlogia aufgrund seiner Größe nicht betreten konnte. Sie würden gemeinsam ein Leben aufbauen. Sie konnten gemeinsam ein Leben aufbauen. Irgendwie würde es gelingen und Weißlogia war zu alt für solche impulsiven Entscheidungen, verdammt noch mal! Trotzdem löste er sich aus seiner hochaufgerichtete Haltung und griff zu, nahm den Jungen auf und zog ihn wieder zurück, um den größten Fehler zu verhindern, den er in seinem Leben begehen konnte. „Nein.“, sagte er und seine Stimme schwankte für einen Moment, ehe er sich wieder unter Kontrolle bekam. „Verzeih mir. Du kannst bei mir bleiben, wenn du willst.“ Sting starrte ihn einen Moment stumm an und er hatte für einen flüchtigen Atemzug die Befürchtung, dass dieser wunderbare kleine Mensch sich jetzt doch abwenden würde, ihm den Rücken zukehren und gehen würde. Für einen Augenblick wurde sein Herz schwer. Doch dann jauchzte der Junge vor Freude und warf sich ihm entgegen, um ihn zu umarmen und Weißlogia lächelte und ließ das erste Mal richtig zu, diese liebevolle Geste zu genießen. Von Anfang an hatte Sting ihm nichts als Zuneigung entgegengebracht, aber er war zu stur gewesen, sie zu akzeptieren. Jetzt nicht mehr. „Darf ich wirklich?! Wirklich in echt?!“ Stings Stimme war so voller Hoffnung, dass Weißlogias Lächeln unwillkürlich breiter wurde. „Natürlich.“, erklärte er ernsthaft und blickte dem Jungen fest in die Augen. Sting stieß erneut einen Freudenschrei aus, warf seine Arme um Weißlogias Schnauze und presste einen Kuss darauf. „Und können wir für immer zusammenbleiben, wie eine Familie?“ Unwillkürlich veränderte sich das Lächeln auf Weißlogias Gesicht, wurde sanft und zärtlich und liebevoll, beinahe ungewollt. „Natürlich.“, wiederholte er, auch wenn seine Stimme gedämpft klang, weil er den Mund nicht richtig öffnen konnte. Vorsichtig löste er den euphorischen Jungen von seinem Gesicht und hielt ihn in den Händen. Stings glückliche Miene ließ keinen Zweifel in ihm, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Wie hatte er jemals etwas anderes denken können? „Lass uns nach Shiwyn Ehana zurückkehren.“, schlug er vor und Sting ließ sich bereitwillig auf seinen Rücken setzen. Wie gewohnt griff er in das dichte, weiße Fell, um sich festzuhalten, während der Drache die Flügel ausbreitete. Dann stieß Weißlogia sich vom Boden ab und die Wipfel der Bäume bogen sich unter dem Wind, den die mächtigen Schwingen erzeugten, als er mit seinem kleinen Menschenkind nach Hause flog. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)