Schatten über Kemet von Moonprincess ================================================================================ 26. Kapitel ----------- Yugis Frage blieb vorerst unbeantwortet. Am nächsten Tag traf er auf dem Übungsplatz Meisterin Isis, Honda, Jono und Mokuba, aber keine Mana und auch keinen Atem. Auch als er sich müde heim schleppte und dann im kühlen Haus seines Großvaters ruhte, hörte er nichts von Atem. Nicht zum Abendessen und auch nicht als er abends mit seiner Mutter über seine Ausbildung und seine Freundschaft zu Atem sprach.   Am Tag darauf versuchte Yugi es bei den Wachposten, die des Pharaos Privatgemächer schützten. Der Pharao sei nicht anwesend und außerdem sehr beschäftigt, hieß es. Mokuba schien auch nichts zu wissen und Yugi scheute davor zurück, ihn in diese Geschichte hineinzuziehen. Sicher würde Atem selbst mit Mokuba sprechen wollen.   Am dritten Tag fragte Yugi seinen Großvater, doch der hatte Atem ebenfalls seit Tujas Ankunft nicht mehr gesehen. Auch Großvater wußte nicht mehr, als daß der Pharao mit anderen Pflichten beschäftigt sei. Manas Haus war leer und Yugi fand den Mut nicht, es noch einmal aufzusuchen. Manas Verzweiflung stand ihm zu eindringlich vor Augen.   Die Ungewissheit zerrte an Yugis Nerven und die Tage wurden zäh unter einer unerwarteten Hitzewelle. Alles suchte verzweifelt nach Schatten und Abkühlung. Wer konnte, schlief nachts auf Balkon oder Hausdach, Feuer zu machen wurde vermieden. Yugi ernährte sich fast nur noch von Bier und Früchten, sein Großvater brauchte täglich vier Fächerträger nacheinander und Yugis Mutter klagte darüber, daß ihre Schenkel zusammenklebten und aufrieben. Übungen waren nur noch am frühen Morgen oder späten Abend möglich, den Rest der Zeit blieb man im Haus.   Yugi verbrachte viel Zeit damit, aus dem Fenster zu starren. In die Richtung, in der die privaten Gemächer des Pharaos lagen. Wo war Atem? Wo war Mana? Ging es ihnen gut? Oder war das alles nur ein seltsamer Zufall, der gar nichts mit Yugis Familie zu tun hatte?   Ansonsten besuchte Yugi zweimal Ryou, aber auch hier gab es keine Änderung. Viel konnte Yugi auch nicht tun, als außerhalb des Bannkreises zu stehen, der die Schwärze festhielt und Außenstehende beschützte. Ryou fieberte, redete wirr und erbrach schwarzen Nebel. Yugi hätte ihm gerne geholfen und wenn es nur durch eine tröstende Berührung gewesen wäre, aber außer einigen ausgebildeten Heilermagiern durfte niemand in den Bannkreis treten.   Eine Woche später glaubte Yugi, ihm müßte der Kopf platzen und sein einziger Lichtblick war erst, als Jono verkündete, daß Meister Mahaad sie nicht nur empfangen wollte, sondern auch durfte.   Mana erschien erneut nicht und Yugi fiel ein tiefer Seufzer von den Lippen. Zu viert durften sie dann in Meister Mahaads Gemächer eintreten. Es erleichterte Yugi, daß Meister Mahaad auf einer Liege ruhte, ein Fächer aus Pfauenfedern schwebte neben ihm in der Luft und sorgte für eine angenehme Brise. Yugi mußte lächeln.   „Ah, meine Schüler, schön euch zu sehen.“ Meister Mahaad winkte sie näher. Sein Gesicht trug noch Spuren der Explosion, aber sie waren deutlich verblaßt. Sein Haar war offenbar abgeschnitten worden, um die Verletzungen besser zu versorgen, nun wuchs der erste dunkle Flaum nach.   „Es ist gut, daß es dir gut geht“, erwiderte Mokuba mit einem breiten Lächeln.   Sie alle nickten zustimmend und Yugi trat vor. Er hielt die Ledertasche Meister Mahaad entgegen. „Ich fürchte, unser Geschenk hat etwas gelitten letztens bei dem Angriff. Aber ich hoffe, es bereitet dir dennoch Vergnügen, Meister.“   Der musterte sie erstaunt. „Ein Geschenk für mich?“   „Ein Dankeschön“, erklärte Honda. „Ohne dich, ehrenwerter Meister, wäre damals von uns allen nicht viel übriggebleiben.“   „Ja. Also hoffen wir, du hast Spaß mit diesen Schriften.“ Jono grinste.   Meister Mahaad lächelte. Seine Augen schwammen und es dauerte einen Moment, bis er die Tasche annehmen und öffnen konnte. „Ich danke euch. Das ist sehr aufmerksam.“   „Wir müssen uns bedanken.“ Yugi lächelte. „Wirst du auch wieder ganz gesund, Meister?“   Mahaad sah ihn an, dann auch Mokuba, Honda und Jono. „Meine Prognose ist sehr gut, insofern ich mich weiterhin schone.“   Noch ein Grund, aufzuatmen. „Wie schön! Mana freut das sicher auch“, antwortete Yugi.   „Oh, sie war vorgestern schon ganz begeistert.“ Meister Mahaad blickte auf eine silbern schimmernde Statuette der Sachmet, die neben seiner Liege auf einem Tischchen stand.   „Oh, du hast sie gesehen? Wir nämlich in letzter Zeit nicht.“ Jono kratzte sich am Kopf.   „Hm? Ach, ich vergaß: Ich habe Mana ein Forschungsprojekt zugeteilt. Ich dachte, es würde ihr guttun, nachdem sie in letzter Zeit mit den Beschwörungen kein Glück hatte. Aber komisch, daß sie euch davon nichts gesagt hat.“   „Naja, bei der Hitze kann das schon vorkommen. Wer geht da gerne aus dem Haus?“ Yugi glaubte, sein Lächeln war auf seinem Gesicht erstarrt. Mied Mana sie? Oder eher ihn? Nur diese Frage konnte er nicht stellen und so versuchte er, sich an einem weitaus harmloseren Gespräch über Ka-Bestien und schwebende Fächer zu beteiligten.   Nach einer guten halben Stunde wirkte Meister Mahaad allerdings auch von dieser leichten Konversation angestrengt und sie verabschiedeten sich und gingen.   Yugi wollte auch gehen, doch er spürte eine Berührung an der Hand. Als er hinuntersah, entdeckte er den Fächer, der sich gegen seine Hand drückte. Yugi drehte sich um. „Ja? Kann ich noch was für dich tun, Meister?“   Der winkte ihn erneut näher, die Stimmen der anderen verklangen bereits. „Ich habe gehört, daß deine Mutter wieder am Hofe weilt.“   Yugi seufzte und reichte Meister Mahaad den Fächer. „Ich nehme an, du bist in die Geschichte eingeweiht.“   „Dein Geschrei war wohl sehr eindringlich.“ Meister Mahaad lächelte. „Nun sieh nicht so betrübt drein. Du hast Atems Leben gerettet. Auf alle Fälle seine Beine.“   „Hat man dich auch so gerettet?“   „Ja, aber ich hatte das Glück, daß ich mehrere passende Spender habe und sie alle sind erwachsen.“   Yugi lächelte. „Ich glaube, Atem und Mana meiden mich.“   „Prinzessin Mai hat ihnen alles erzählt“, erwiderte Meister Mahaad. „So berichtete es mir Mana. Aber Mana meidet dich nicht. Nicht absichtlich und im Zorn jedenfalls.“   „Aber Atem schon?“   Meister Mahaad ergriff Yugis Hand nach dieser kraftlosen Frage. „Atem ist krank.“   „Was?“ Yugi runzelte die Stirn und sein Magen verknotete sich.   „Eine Magen-Darm-Erkrankung. Er kommt wieder auf die Beine, aber momentan darf ihn niemand sehen außer den Ärzten.“   Yugi nickte wie betäubt. Er hatte gar nicht daran gedacht… Der Pharao durfte niemals schwach oder krank wirken. Nur wenige durften ihn in so einer Lage sehen. Also erzählte man überall herum, der Pharao sei gerade besonders beschäftigt. „Kann ich ihn… sehen?“ erkundigte Yugi sich, nachdem er seine Stimmte wiedergefunden hatte.   „Er sollte nicht mehr ansteckend sein und ich weiß, daß er dich schätzt. Ich denke, ich kann das veranlassen. Du bekommst dann natürlich Nachricht.“   Yugi erwiderte Meister Mahaads Lächeln, dann aber tauchte eine neue Frage auf. „Sollte mein Großvater das nicht wissen?“   „Es zu wissen und es weitersagen zu dürfen sind zwei verschiedene Dinge. An sich müßte ich dir gegenüber auch Stillschweigen bewahren, aber… Ich weiß, daß dein Besuch Atem aufheitern wird. Er wird es mir hoffentlich vergeben, daß ich aus Freundschaft seine Anweisung dieses eine Mal ignoriere. Mir eher als deinem Großvater.“ Meister Mahaad tätschelte Yugis Arm.   Das konnte Yugi sich vorstellen nach dem Streit, der zwischen ihnen geherrscht hatte. „Darf ich dir eine letzte Frage stellen, Meister?“ Auf dessen Nicken hin tat Yugi genau das. „Wo ist Mana, wenn sie an ihrem Projekt arbeitet?“   Meister Mahaad lächelte anerkennend.   Eine Verabschiedung und zehn Minuten später hatte Yugi den Palastflügel erreicht, in dem die besten Magier Kemets arbeiteten und forschten. Als Bestienzähmer war es Yugi erlaubt, ihn zu betreten, dennoch kam er sich seltsam fremd hier vor.   Männer und Frauen huschten durch die Gänge, trugen Schriftrollen, Gefäße und alle möglichen Zutaten. Ein Mann unterhielt sich angeregt mit einer Art rosa Vogel der auf seiner Schulter saß und mit langer Zunge Fliegen fing. Eine Frau goß aus einem Krug eine zähe, gelbe Masse, die sich vor Yugis erstauntem Auge zu mehreren Waffen formte. Eine weitere Frau zog im Gehen aus einem Spalt in der Luft eine Schriftrolle.   Yugi hatte Mühe, nicht in andere Leute oder in Wände zu laufen, so sehr klebte sein Blick an diesen absonderlichen Ereignissen. Mana sah er nicht und so mußte er die Räume suchen, die Meister Mahaad und damit auch seinem Lehrling gehörten. Dank eines Magiers, der mit gerunzelter Stirn zusah, wie sein Bart wuchs, während er dazu Notizen machte, wurde Yugi in die richtige Richtung geschickt. Gerade noch rechtzeitig, bevor er sich in der schwarzen, haarigen Schlange am Boden verhedderte.   Mana saß an einem aus Stein gehauenen Tisch, vor sich eine Vielzahl an Tiegeln, Fläschchen, Schalen und Bechern, dazu merkwürdige, gewundene Apparaturen, die Yugi nicht benennen konnte, durch die eine dunkelgrüne Flüssigkeit in einen hohen Becher tropfte. Mana beobachtete den Vorgang mit gerunzelter Stirn und einem tiefen Seufzen.   „Läufts nicht so gut?“ erkundigte Yugi sich leise und trat zu ihr.   Mana seufzte erneut und drehte sich zu Yugi. „Ich soll Gefühle destillieren.“   „Ge-Gefühle?“ Yugi hob die Augenbrauen und betrachtete die grüne Flüßigkeit. „Welches Gefühl soll das denn sein?“   „Es sollte Freude werden, aber es blubbert nicht.“ Mana tippte den Becher an. „Was führt dich zu mir in die Hexenküche?“   Yugi setzte sich auf den zweiten Hocker neben ihr. „Ich hab dich lange nicht mehr gesehen. Wir wußten nicht, daß du für Meister Mahaad ein Projekt machst, bis er es uns heute gesagt hat.“   Mana blickte Yugi an, dann weiteten sich ihre Augen. „Oh nein! Hast du gedacht, daß ich auf dich sauer bin?“   „Der Gedanke kam mir, ja.“   „Das ist es nicht.“    „Was dann?“   Mana sank in sich zusammen. „Es tut weh, sie zu sehen. Und ich wollte nicht mit Leichenbittermiene daneben stehen, während du dich freust. Oder freuen solltest. Das wäre gemein.“   Yugi rieb über Manas hochgezogene Schultern. „Ich glaube, ich verstehe, warum deine Freude nicht blubbert.“ Mana lachte auf. „Meine Mutter würde sich freuen, dich kennenzulernen. Und Atem zu treffen.“   „Das denke ich mir. Aber wir beide sind gerade nicht in bester Verfassung.“ Dennoch lächelte Mana. „Tut mir leid. Ich hätte mit dir wenigstens reden sollen anstatt mich hier zu verkriechen. Aber wenigstens durftet ihr jetzt auch endlich meinen Meister besuchen.“   „Ja, er hat sich über unser Geschenk gefreut.“   Mana nickte lächelnd. „Wirst du Atem sehen?“   „Meister Mahaad hats mir angeboten und ich hab angenommen.“ Sie lächelten sich an. Dann kam Yugi auf seine frühere Frage zurück. „Wozu braucht man destillierte Gefühle?“   „Für Zauber.“ Mana deutete auf eine Reihe bereits verkorkter und beschrifteter Fläschchen. „Einige brauchen Gefühle, um richtig zu funktionieren. Und natürlich nicht irgendwelche Gefühle. Nicht jeder Zauberer kann genug Gefühl aufbringen, damit der Spruch gelingt. Gerade bei Sachen wie die Wut von zehn Männern oder das Glück von sieben Kindern.“   Yugi las die Etiketten und nahm die verschiedenen Fläschchen zur Hand. Giftgrün war Neid, Rosa Liebe, Violett Neugier, Orange Zufriedenheit, Blau Ruhe. Eines war auch Schwarz und als Yugi es in die Hand nahm zog ein Funken Rot wie ein Blitz durch die seltsame Flüßigkeit. Bösartigkeit… „Ich hoffe, das hier braucht ihr nicht oft.“ Er schob es Mana hin.   „Keine Sorge, in diesem Zustand kann sie dir nichts tun. Wir alle fühlen uns auch mal so. Deshalb passiert noch lange nicht gleich etwas Böses.“ Mana hob das Fläschchen und schüttelte es, bis die schwarze Masse darin wie Nebel umherwaberte.   „Es sieht für mich aus wie diese entstallte Schakal-Vogel-Ding von letztens“, murmelte Yugi und biß sich auf die Unterlippe. Was, wenn… „Könnte es aus Bösartigkeit bestanden haben? Könnte man diese so verzaubern, daß sie sich so verhält wie wir es gesehen haben.“   Mana starrte die schwarzen Schwaden an und machte langgezogen Hm. Dann stellte sie das Fläschchen wieder hin. „Wenn ja, dann müßte es dunkelste Magie sein. Und sehr mächtig. Ich muß das mit Meister Mahaad besprechen.“   Yugi nickte, dann stand er auf. „Ich sollte auch noch etwas nachdenken.“   „Mach das. Für die richtigen Antworten brauchen wir erst mal die richtigen Fragen.“ Mana gab ihm einen Klaps auf die Schulter. „Grüß Atem von mir, ja?“   „Gern.“ Während Yugi aus dem Zimmer ging, hörte er es hinter sich blubbern. Er lächelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)